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Als sie das Menahouse verließen und draußen auf der Sykomorenallee auf und ab schritten, war die internationale Hotelgesellschaft um eine Sensation und ein ergiebiges Plauderthema reicher.

Man hatte sich für die pikante, lebhafte junge Deutsche, die so gar nichts vom biederen Durchschnitt ihrer uneleganten Landsleute besaß, schon immer interessiert. Doppelt interessierte man sich nun für ihren Flirt. Denn daß sich da in der Abwesenheit des Ehemannes ein Flirt angebandelt hatte – ein recht gewagter sogar – daran hegte niemand einen Zweifel mehr. Ein paar Engländerinnen fanden die unverschleierte Art, in der sich die junge Deutsche ihrem kleinen Roman widmete, › shocking‹, – aber das hielt sie nicht ab, mit um so größerer Spannung der weiteren Entwicklung zu folgen.

Jutta hatte sich vom Groom ihren weißen Spitzenschirm aus dem Zimmer holen lassen. Ohne Jackett und Handschuhe wanderte sie in der Sonne an der Seite des ›Aegypters‹ weiter.

Fritz von Succo geriet mehr und mehr in eine seltsam festliche Stimmung. Was für einen wundervollen Menschen erlebte er da! Seit den ersten Begegnungen an Bord hatte er sich in Gedanken ja schon vielfach mit dem Rätsel beschäftigt, das ihm der Charakter dieser jungen Frau aufgab. Er hatte Eigenschaften an ihr entdeckt, die ihm mit einer Angehörigen des Hauses Succo ganz unvereinbar erscheinen wollten. Eigenschaften, die ihm bei Frauen überhaupt noch selten begegnet waren. Sie besaß vor allem einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – bei aller weiblichen Weichheit eine goldene Rücksichtslosigkeit, die überaus erfrischend und herzerquickend auf ihn wirkte.

Sie sprachen nicht mehr über den ›Fall‹ – sie waren unversehens ins Philosophieren geraten.

Was sich in den drei Jahren ihrer Ehe in Jutta ganz unbewußt als stummes Anklagematerial gegen die Succosche Lebensauffassung angesammelt hatte, das hörte sie nun den Vetter in seiner temperamentvollen, großzügigen Art in lebhafte Worte fassen.

»Die Succos und Leute ihrer Art leben in einem selbstgeschaffenen Gefängnis. Sie blicken nach rechts und nach links, nach oben und unten, immer in der Furcht, da oder dort anzustoßen. So fesseln sie sich selbst – sehen sich ewig hinter Gittern, die ihnen nur ihre eigene Abhängigkeit gezogen hat. Und sie fühlen bei jedem Schritt, den sie tun, tausend Richter und Splitterrichter über sich, statt nur einen einzigen anzuerkennen: sich selbst.«

Jutta war's, als ob ihr Herz sich weitete, als ob ihr Blick größer würde. Die letzte Unklarheit, die letzte Unfreiheit schwand ihr. Es war ihr eine wahre Wohltat, nun endlich einmal mit sich selber über diese Dinge ins reine zu kommen.

Wie sie dem Schicksal dankbar war, daß sie gerade jetzt – in einer Art seelischer Krisis – diesen famosen Menschen kennen gelernt hatte. Der überlegene Spott ihres Mannes, verbunden mit seiner gewandten Redekunst, die ihr immer wieder ›Unlogik‹ nachwies, wo sie ihrem innersten Empfinden folgen wollte, hatte sie schon oft an sich zweifeln lassen. Aber was Fritz von Succo ihr nun freimütig als sein Lebensbekenntnis darlegte, das bestärkte sie immer mehr darin, daß sie trotz aller Einwendungen ihres Mannes auf dem rechten Wege gewesen war.

»Ja – weg mit der abscheulichen, feigen Menschenfurcht – und mit der noch abscheulicheren, feigeren Scheu vor den Prinzipien!«

Das kam so trotzig und kampflustig von ihren Lippen, als ob sie in diesem Augenblick einem Forum gegenüberstünde, das aus lauter Succos gebildet wurde.

Und plötzlich lachte sie herzlich auf.

»Oh, wenn doch jetzt nur Onkel Bodo da wäre! Wenn er mich hier so sähe – im Komplott mit Ihnen! Und wenn ich ihm da nun einmal alles sagen könnte, was mir schon so lange das Herz abdrückt!«

Er reckte sich leicht und lachte ebenfalls. »Ja, das wünschte ich auch. Es würde ja nichts fördern. Absolut nichts. Aber es wäre doch immerhin eine wohltuende Gemütserleichterung.«

Sie hatten die Sykomorenallee verlassen, dem Staub entfliehend, den die Karawanen, die Landauer und die Autos hier aufwirbelten. Sie schlossen sich auch nicht dem bunten Menschenstrom an, der nach der Ankunft jedes Zuges der elektrischen Straßenbahn die Richtung zu den Pyramiden nahm. Unversehens waren sie in ihrem lebhaften Gespräch in ein flottes Wandertempo geraten. Nachdem sie ein paarmal längs der hinterm Hotel dem Ueberschwemmungsgebiet abgetrotzten Rennbahn auf und ab marschiert waren, spazierten sie aufs Geratewohl eine Strecke am Wüstenrand weiter.

Da plötzlich – bei einem kleinen Taleinschnitt des links sich erhebenden lehmbraunen Sandwellengebirges – fielen ein paar zottige, wüstenfarbene Köter sie an, und gleichzeitig umringte sie eine Schar halbnackter, bronzefarbener Kinder. Das kleine Gesindel erhob die Hände, in dem üblichen Wimmerton den üblichen Bakschisch erbettelnd.

Sie waren in die Nähe eines Beduinenlagers geraten.

Das Gebell und Gekreisch riß sie aus ihrem lebhaften Gedankenaustausch. Sie erklommen den nächsten Sandhügel und sahen sich um.

Das Lager befand sich in einer kesselartigen Vertiefung des Flugsandes, ziemlich dicht an dem scharf absetzenden Wüstenrand. Zelte, von Lumpen zusammengestoppelt, umgaben in weitem Umkreis einen freien Versammlungsplatz. Die Zelte waren nach der Mitte geöffnet. In Lumpen gewickelt lag das Nomadenvolk auf dem nackten Wüstensand in der weißen Sonne. Da und dort war ein Feuer entzündet. Bärtige, braune Gestalten hockten dabei. Die Frauen gingen schleierlos. Manch dunkles Glutauge blitzte aus den braunen Gesichtern. Bei aller Erbärmlichkeit des Aeußeren lag in der Haltung dieses Volkes eine feierliche Würde, die durch die weißen, langwallenden Gewänder noch gehoben wurde. Und es waren besonders unter den würdigen, schlanken und sehnigen, gleichmäßig bronzenen und weißbärtigen Alten klassisch schöne Köpfe zu sehen.

Niemand aus den malerisch in der Sonne und bei den Feuern lagernden Gruppen rührte sich.

Aber jenseits des Lagers erhob sich nun Lärm, und gleichzeitig wirbelte eine Staubsäule auf.

Die beiden Wanderer hätten es noch gar nicht bemerkt, wenn nicht die Beduinenkinder, kaum daß sie ihren Bakschisch eingestrichen hatten, mit fabelhafter Geschwindigkeit die Richtung dahin eingeschlagen hätten.

Eine Karawane näherte sich dem Lager von der anderen Seite her aus Abu-Roasch.

Sie konnten die Gesichter der Reiter noch nicht unterscheiden, da wußten sie schon, daß sich Deutsche unter den Ankömmlingen befanden. Sie hörten ein paar Zurufe in ihrer Muttersprache – gleich darauf unterschied Jutta auch einzelne Stimmen. Es war der Trupp, der vom Besuch der Kasernen des Kamelreiter-Regiments zurückkehrte.

»Wie schade!« sagte Jutta.

Und um nicht der ihr widerwärtigen Gesellschaft zu begegnen, schlug sie ihrem Besuch die Rückkehr vor.

Aber die scharfen Augen von Fräulein von Wehl hatten das Paar längst erspäht. Auch Frau von Druhsens Lorgnette nahm die beiden aufs Korn. Und jetzt hoben sich sogar die Krimstecher.

»Das ist doch unerhört!« meinte Frau von Druhsen.

Die Damen ihrer Begleitung meinten das auch – und die Herren schmunzelten.

*

Ganz gehoben kehrte Jutta heim.

Sie hatte den ›Aegypter‹ noch ein Stück des Weges auf Nezlet el-Akta zu begleitet. Den Schimmel hatte er im Stallgebäude in Empfang genommen, aber nicht bestiegen, sondern er trug die Zügel lose über den Arm gestreift, und das schöne Tier schritt gehorsam an seiner Seite. Succos Fäuste steckten in den Taschen – sinnend blickte er im Vorwärtsschreiten über das grüne Niltal hin ins Weite.

Es war nichts Großes zwischen ihnen geschehen – nur ihre Seelen hatten Fühlung miteinander gefunden.

Und als gute Freunde waren sie auseinander gegangen. Mit festem Handschlag.

In der Einsamkeit des Abends, den sie nicht in der allgemeinen Halle verlebte, wo Musik gemacht wurde, sondern bei stiller Lektüre in ihrem Zimmer, weilten ihre Gedanken weder beim Buche noch bei ihrem Mann. Sie folgten dem Paria des Hauses Succo nach seiner weltverlorenen neuen Heimat am Nil – dem ersten Succo, den sie wirklich verstand und von dem sie sich ganz und gar verstanden wußte.

Und sie erschrak nun nicht mehr darüber, daß sie sich das eingestand. Die offene Aussprache mit ›Vetter Fritz‹ hatte sie geläutert, hatte sie ihr Leben in einem ganz neuen Lichte sehen lassen.

Eine Aufgabe stand vor ihr. Eine schwere Aufgabe, das wußte sie. Sie hatte ihrem Mann eine große Beichte abzulegen. Oder nein, keine Beichte war es – eine ernste Abrechnung. Er würde zuerst böse sein, er würde nur Trotz sehen, wo eine ehrliche Ueberzeugung in ihr lebte. Aber wenn sie dann die rechten Worte fand, um ihm zu Herzen zu sprechen, wenn sie's wirklich dahin brachte, daß er diesen kleinlichen, ungerechten Haß überwand: was für ein schöner Sieg!

Nur dies eine einzige Mal sollte er ihr nachgeben, sollte er Größe beweisen, sich von einem Vorurteil freimachen, das seiner unwürdig war!

Ja, er mußte es. Fritz von Succo sollte kein Recht haben, ihren Mann mit der ganzen übrigen Verwandtschaft zusammenzuwerfen. Nein, er sollte ihn achten. Er sollte ihn achten können. – Denn sie selbst wollte doch zu ihrem Mann aufschauen.

Am Schluß dieser Gedankenkette hatte sie den vollen Seelenfrieden wieder. Und in den halbwachen Stunden dieser Nacht und der ihr folgenden Frühdämmerung schwand die letzte Unfreiheit in ihr.

Als sie beim Anziehen war, klopfte es an der Tür. Man brachte ihr ein Telegramm.

Es kam aus Alexandrien: eine Depesche ihres Vaters, die ihr über die Hoteladresse von Kairo folgte.

»Bin 3. März, abends 8 Uhr, Shepheard. Freue mich Wiedersehens. Tausend Grüße Euch beiden. Vater.«

Sie jubelte fast. Besseres konnte ihr gar nicht geschehen.

Endlich, endlich sollte sie ihren Vater wiederhaben, der schon immer ihr großherziger Freund, ihr verständnisvoller, kluger Berater gewesen war!

Noch nie hatte sie seiner so dringend bedurft wie am heutigen Tage.

Ihr Vater war ja auch der einzige Mensch außerhalb der Succoschen Sphäre, der ihrem Mann imponierte.

Hatte sie ihn als ihren Verbündeten, dann konnte alles, alles gut werden.

Sie erschien heute in ganz anderer Stimmung als gestern im Frühstückssaal: geradezu festlich erwartungsvoll und strahlend. Heute bedurfte es bei ihr auch gar nicht der Absicht, Frau von Druhsen und deren Anhang zu übersehen. Sie fühlte sich so weltenfern von ihnen, daß sie sie wirklich nicht bemerkte.

Während sie die nachgesandten Zeitungen und die kleine Post durchflog – es war auch ein auf der Hinreise aufgegebener Kartengruß ihres Mannes dabei – ließ sie sich den Hotelmanager herrufen.

Ob er wüßte, wann die Gesellschaft, die die Reise nach dem Fajum unternommen hatte, hier in Gizeh zurückzuerwarten wäre? War im Cookschen Reiseplan nicht vorgesehen, daß sie heute mit dem Abenddampfer an der langen Brücke von Bulak eintreffen sollte? Und konnte sie einen Dragoman haben, der sie dahin begleitete? Sie wollte dann ihren Mann von der Landungsstelle abholen.

Der Manager meinte, es wäre sehr ungewiß, ob sie ihn dort träfe. Die Cooksche Gesellschaft hielte bei dieser Tour in Bedracheïn für die Gäste aus dem Menahouse immer Reitgelegenheit bereit: es wäre üblich, den Rückweg aus dem Fajum mit dem Besuch der Apisgräber und der Pyramiden von Sakkarah zu verbinden.

Jutta war enttäuscht. »Dann sind die Herren also erst spät am Abend hier?«

»Frühestens um halb 8 Uhr. Es kann aber auch halb neun werden. Das hängt eben davon ab, wie lange die Herrschaften unterwegs Teestation machen.«

Die Vorstellung, ihren Vater nicht gleich bei seiner Ankunft in Kairo begrüßen zu sollen, war Jutta sehr schmerzlich. Er wußte ja noch nicht einmal, daß sie übergesiedelt waren.

Wenigstens mußte sie ihm nach dem Hotel ein Telegramm schicken – ihm für alle Fälle ihre Adresse geben. Er würde sich dann sicher telephonisch mit ihr verbinden lassen, und sie fand so Gelegenheit, ihn willkommen zu heißen und ihm auseinanderzusetzen, weshalb sie nicht zu seinem Empfang da war.

Eine peinliche Empfindung hatte sie dabei nun doch. Sie schämte sich, ihrem Vater darüber zu berichten, daß Gustav sie so skrupellos hier im Hotel, in stockfremdem Lande, mutterseelenallein gelassen hatte. Er würde gewiß sofort die Verstimmung wittern, die zwischen ihnen bestand: die Rücksichtslosigkeit, die Gleichgültigkeit, die in der Ueberstürzung des für viel später geplanten Ausflugs lag, mußte ihm ja auffallen. Natürlich würde er fragen – und mit zwei, drei Worten ließ sich am Telephon über das, was sie getrennt hatte, keine Auskunft geben. Oder er würde nicht fragen – und sich sorgen, sich vielleicht die Sache viel schwerer vorstellen, als sie war.

Daß ihr Vater nicht gleich heute abend noch zu ihnen herauskommen konnte, das wußte sie. Er reiste nicht zu seinem Vergnügen, sondern in verantwortungsvollem Amt. Nach seiner Ankunft hatte er in Städten, in denen sich Agenturen befanden, immer sehr wichtige und dringende Dienstgeschäfte zu erledigen oder vorzubereiten: Rechnereien, Revisionen, Konferenzen.

Den ganzen Tag wartete sie auf ein Telegramm von ihrem Gatten. Er mußte sich doch über die Route, die er zur Heimkehr einschlug, inzwischen schlüssig geworden sein.

Keine Nachricht kam.

Nachmittags berichtete ihr der Manager, die beiden jungen Amerikaner, die den Jagdausflug mitmachten, hätten von Silut el-Akta, einer Nilstation, aus, ans Hotel telegraphiert, daß sie morgen den Ritt nach Sakkarah mitmachten.

»Also fahren sie heute sicher bis nach Kairo durch,« meinte er.

Später traf beim Manager dieselbe Bestellung vom Heidelberger Professor ein.

Bloß ihr Mann schwieg.

Es war ihr unbegreiflich.

Vorübergehend schien ihr's am besten, selbst nach Bedracheïn zu fahren. Dort konnte sie ihren Mann auf alle Fälle treffen: ob er sich nun den Amerikanern anschloß, oder ob er den Weg über Sakkarah nahm.

… Aber gerade nach Bedracheïn –?!

Nein, das ging jetzt nicht, das wollte sie auch nicht. Zudem war's dazu schon zu spät. Wenn sie pünktlich um 8 Uhr in Shepheards Hotel in Kairo sein wollte, mußte sie den Zug der elektrischen Straßenbahn, der kurz nach 7 Uhr hier dicht beim Menahouse abfuhr, benutzen. An der Endstation, der langen Nilbrücke, stünden Droschken bereit, versicherte ihr der Manager.

Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und zog die leichte Seidenbluse aus, die sie den Tag über in der Sonne getragen hatte, um sie mit einer wärmeren zu vertauschen, denn mit Sonnenuntergang sank die Temperatur rasch.

Die Verandatür stand noch auf. Im Begriff, sie zu schließen, kam ihr von draußen eine Welle wunderbaren Rosendufts entgegen – an dem Strauß, den Achmed ihr überbracht hatte, waren inzwischen fast alle Knospen aufgegangen. Sie trat angenehm überrascht hinaus, beugte sich über die Vase und sog den süßen, berauschenden Duft in vollen Zügen ein.

Ein paar Augenblicke verlor sie nun wieder die Unrast, die ihr den ganzen sonnenschönen, sommerwarmen Tag gestört, geraubt hatte.

Der Pakt, den sie mit Fritz von Succo geschlossen hatte, erfüllte sie mit siegessicherem Stolz. Sie freute sich ihrer Aufgabe, so schwer sie war. Das eine wußte sie: daß ihr Vater sie verstehen und daß er seinen Einfluß aufbieten würde, um Gustav für die gute Sache zu erobern.

Binnen drei Tagen sollte der ›Aegypter‹ Nachricht haben. Gar keine Nachricht – so hatte er verlangt – oder die Aufforderung zu einer Aussprache mit ihrem Mann. Sie hoffte: es würde der Ruf zur Versöhnung sein!

Aus ihren Gedanken schreckte sie ein Geräusch auf. Ein Hotelgast promenierte auf dem Weg, der dicht an der Veranda vorbeiführte. In der Dämmerung erkannte sie nur die Umrisse. Soeben war er stehengeblieben – Jutta hörte ein leichtes Schurren und Kratzen an der kaum meterhohen Mauer der Veranda – und gleich darauf tauchte über dem niedrigen schmiedeeisernen Gitter, das die Veranda abschloß, ein Panamahut auf.

Jutta wich erschrocken zurück und blieb unbeweglich im Dunkeln neben der Tür stehen. Ihrer unvollkommenen Toilette wegen wollte sie sich nicht im Türrahmen zeigen.

Da traf sie ein leichtes, verstecktes Lachen – eine schlanke Gestalt im hellen Anzug richtete sich auf – flugs schwang der Eindringling ein Bein über das Gitter und blieb im Reitsitz auf der Balustrade sitzen.

»Das hatt' ich mir schon seit drei Tagen vorgenommen! Nie kam's dazu – stets war die Gnädige vergeben!«

Das Gesicht konnte sie immer noch nicht erkennen. Aber die Stimme war ihr bekannt. Herr Eberhard Schneider – ›der Kohlenbaron‹ – war der seltsame Besucher.

Jutta war mehr verblüfft als verlegen. Sie hatte den jungen Schlesier, der sich nun schon so lange vergeblich bemühte, den Don Juan zu spielen, bisher überhaupt noch nicht ernst genommen.

»Was wünschen Sie, Herr Schneider?« fragte sie, ohne sich aus der dunkeln Ecke wegzurühren, so ruhig und gleichgültig ihr's möglich war. Sie hatte die ungewisse Empfindung, daß der junge Mann im Grunde feig war, daß er sich zu einer solchen Abenteuerlichkeit nur künstlich aufstachelte, und daß er darum durch einen kühl ironischen Ton eher zu maßregeln war als durch Zorn.

Aber was dann folgte, raubte ihr die Fassung doch.

Der Kohlenbaron, der inzwischen auch das zweite Bein übers Geländer geschwungen hatte, steckte die Hände in die Taschen und sah augenblinzelnd nach der Stelle, wo sie stand. »Ich weiß alles, meine Gnädigste,« sagte er, die Stimme noch mehr dämpfend.

Sie zuckte die Achseln, ohne zu verstehen.

»Jawohl, alles. Mir spielen Sie keine Komödie vor.«

Es lag etwas Lüstern-Vertrauliches in seiner ganzen Art.

Jutta war bis zum Türpfosten zurückgewichen. »Ich habe Sie schon einmal gefragt, Herr Schneider, was Sie wollen?« fragte sie scharf.

»Wenn ich nun sagte: Schweigegeld?« Er lachte kurz und heimlich auf, aber seine Stimme schlug ihm dabei über.

»Ich habe nicht die Absicht, Rätsel zu lösen. Uebrigens ist hier kein Eingang.«

Sie wandte sich rasch von ihm ab und tastete innerhalb des Zimmers bei der Tür nach dem Stuhl, auf dem ihre Pelzjacke lag. Aber Schneider war hastig hinter ihr dreingekommen. Sie fühlte plötzlich seine eiskalte Hand ihren bloßen Arm streifen und stieß einen kurzen Schrei aus. Noch immer lachte er in seiner versteckten Art. »Lassen Sie doch! – Das ist ja sehr hübsch so …« Er hatte in der Finsternis auch ihren anderen Arm eingefangen und schob sich mit ihr weiter ins Zimmer hinein.

Sie nahm an, er wäre angetrunken. Angst und Abscheu rangen in ihr.

»Ich frage Sie: was Sie wollen

Er kehrte sich nicht an ihren Befehlston. Mit erzwungenem Uebermut, ohne dabei sein Lachen einzustellen, sagte er atemlos: »Ah – sehen Sie – nun sind Sie in meiner Hand! Was, soll ich ausplaudern? Von den kleinen Tete-a-tetes?« Er trällerte: »Und so intim – in dem Kostüm …! Aber so schlecht bin ich nicht. Ich klatsche nicht. Bloß – Sie müssen nett sein. Ja, wollen Sie nett sein?«

Nein, das war keine Trunkenheit, das war Wahnsinn! Denn was die Worte andeuteten, war so unglaublich, so infam, wie noch nie in ihrem Leben zu ihr gesprochen worden war.

Ein paar Sekunden lang stand sie hilflos da. Sie sah im Zwielicht das blasse Gesicht dicht vor sich. Am liebsten hätte sie danach geschlagen. Aber eine Art körperlichen Ekels hielt sie davon ab. Mit einem Ruck riß sie sich los und eilte um den Tisch herum an die Tür zum Korridor, wo sich die Lichtleitung befand, außerdem die elektrische Klingel für das Personal. Auf dem Weg dahin schlüpfte sie in ihre Jacke.

Er folgte ihr, stieß sich in der Dunkelheit aber heftig an den Tisch. Eine Karaffe klirrte – ein Glas fiel um, rollte zu Boden und ging in Scherben.

Im gleichen Moment hatte Jutta das Licht aufgedreht.

»Verlassen Sie das Zimmer!« rief sie.

»Gott, haben Sie sich doch nicht gleich so! Das ist doch bloß – Scherz!«

»Verlassen Sie das Zimmer. Und auf demselben Weg. Sofort. Sofort. Oder ich rufe die Bedienung.«

Er hatte nun doch nicht mehr die Stirn, Uebermut zu heucheln. Seine Blamage ärgerte ihn. So suchte er denn den Ueberlegenen zu spielen.

»Tolle kleine Frau sind Sie. Ganz tolle kleine Frau. Wahrhaftig. Aber wenn Sie Lärm schlagen wollen: bitte. Mich tangiert's nicht. Dann geben Sie dem Hotel eben noch ein Schauspiel.«

Nun klingelte sie lang und anhaltend.

Der Kohlenbaron wartete das Eintreffen des Arabers, der die Zimmerwartung versah, nicht ab, sondern entfernte sich rasch durch die Verandatür.

Hastig lief Jutta hinter ihm drein, warf die Tür ins Schloß, riegelte sie ab und ließ die Vorhänge herunter.

Mit zitternden Knien stand sie da, ganz hilflos und verwirrt, als es an der Korridortür klopfte.

Der Araber meldete sich.

Sie konnte kaum sprechen. Stockend gab sie einen beliebigen Auftrag, nahm ihn aber sofort wieder zurück und zeigte dem stumm abwartend in der offenen Tür stehengebliebenen Schwarzen mit einer schroffen Handbewegung an: er wäre überflüssig, sie brauchte ihn nicht.

Als sie wieder allein war, suchte sie sich zu überlegen, was denn eigentlich geschehen war, wie die Szene sich abgespielt hatte.

Aber sie konnte sich nicht an einzelne Worte erinnern. Nur das eine war ihr klar: das Recht, zudringlich zu ihr zu sein, hatte der junge Mensch aus dem Klatsch abgeleitet, der über sie und Fritz von Succo unter den Hotelgästen umlief.

Sie stampfte zornig auf.

Bei einem Blick auf den Tisch nach der Karaffe sah sie ihre Uhr. Es fiel ihr ein, daß sie sich eilends fertigmachen mußte, um den Zug der Straßenbahn noch zu erreichen.

Sieben Uhr –.

Wenn Gustav direkt über Kairo gekommen wäre, hätte er jetzt schon hier sein müssen.

Daß sie ihn nicht sprechen konnte! Daß er nicht da war, um sie zu schützen!

Als sie gleich darauf die Halle durchmaß, in der die Hotelgäste in Frack und Gesellschaftstoilette des Gongzeichens für das um sieben Uhr stattfindende Diner harrten, mußte sie gegen ein Weinen ankämpfen.

Sie kam sich beschimpft vor. Es war ihr jetzt, als ob sie Spießruten liefe unter den Blicken.

*

Soviel Menschenkenner war der Rittmeister von Stangenberg immerhin, um noch im Verlauf des ersten Reisetages herauszubekommen, daß in Herrn von Succos Ehe eine ›Unstimmigkeit‹ herrschte. Succo zeigte dabei durchaus nicht etwa eine gedrückte Stimmung. Im Gegenteil, seit Marseille war er überhaupt noch nie so lebhaft und für alles empfänglich gewesen. Stangenberg ward sogar mehrmals wieder an den leichten Biwakton erinnert, den Succo als Junggeselle damals im Ostpreußischen angeschlagen hatte, als er zum Manöver eingezogen war. Allein es klang da ein Unterton mit, der dem Rittmeister nicht entging.

Auf Biwak- und Junggesellenmanieren war der äußere Verkehr während dieses recht strapaziösen Ausfluges überhaupt gestimmt. Wenigstens innerhalb der Gruppe von deutschen Herren, die eine der ›Zeltgenossenschaften‹ in dem Touristenlager am Kurunsee bildeten.

Stangenberg und Succo hatten sich bei Cook gemeinsam für die Reise gemeldet, also richtete der Reiseleiter die Platzverteilung stets so ein, daß sie sich nicht zu trennen brauchten.

So anregend, so gesprächig sich Succo bei diesem fortgesetzten Zusammensein gab: sein Begleiter merkte doch, daß er sich zwang, unterhaltsam zu sein. Und eines erschien ihm besonders auffällig. Stangenberg hatte gleich bei der ersten Begrüßung seine pflichtschuldige Anfrage nach ›dem Befinden der Gnädigen‹ angebracht, Succo hatte korrekt dankend darauf erwidert und aus dem Stegreif eine freundliche Empfehlung erdichtet. Seitdem aber war von Frau Jutta nicht mehr die Rede gewesen. Während der ersten Tage wenigstens mit keinem Wort. Und Stangenberg war es bald genug klar: sein Reisegenosse vermied das Thema absichtlich – er schnitt auch ihm jede Möglichkeit ab, davon anzufangen.

Sonst gab es wohl kaum ein Thema, das nicht herangezogen wurde. Man ›fachsimpelte‹, erledigte Kolonial- und Flottenvereinspolitik, rollte die englische Frage auf, trieb etwas Rang- und Quartierliste, sprach über Theater und zerriß ein paar Modebücher, woran der auf hohe Auflageziffern stets sehr eifersüchtige Professor energisch teilnahm. Bei den Mahlzeiten gaben die übrigen deutschen Herren das Niveau der Unterhaltung an, das etwas niedriger war: man sprach da über Hotels und Trinkgelder, über die Tingeltangel von Kairo, die farbenbunte, berüchtigt sinnverwirrende Messe von Tanta und die ›tolle Weiberwirtschaft‹ in den spanischen und arabischen Singspielhallen … Und beim Mokka wurden gewöhnlich sehr scharfe Anekdoten internationalen Charakters erzählt. Man war ja ›unter sich‹.

Stangenberg machte bei solchen Gelegenheiten im gemütlichen Herrenkreis aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er war von Hause aus denkbar pessimistisch veranlagt – oder durch sein eigentümliches Eheschicksal allmählich um sämtliche Illusionen gekommen – die Auffassung vom Weibe, die sich in seinen pikanten kleinen Erzählungen verriet, stand jedenfalls auf tiefer Stufe. Er hielt es mit dem Mephistophelischen: ›Und ist doch all ihr Weh und Ach …‹

Anfangs hatten sich die fremden Herren, die alle ledig waren, im Ton etwas zurückgehalten, da sie an Succos rechtem Goldfinger den Trauring sahen. Aber sie erkannten bald: er war kein Spielverderber. Ja, aus dem, was er gelegentlich zum besten gab, sprach sogar eine solche Mannesüberhebung, daß selbst Stangenberg stutzig ward.

Mit ein paar kühnen Seitensprüngen war man von den ägyptischen Bauchtänzerinnen und den schwarzäugigen Andalusierinnen zu Schopenhauer und zu Nietzsches blonder Bestie gelangt.

Die geistige und sittliche Inferiorität des Weibes war in den Grundzügen vom Heidelberger Professor in einem lichtvollen Vortrag schlagend bewiesen worden. Selbst der ledige Wiener Bankdirektor, der seltsamerweise als einziger eine idealere Auffassung zu vertreten suchte – er gab zwar zu, daß er mit verschiedenen jungen Damen vom Josefstädtischen Theater schon die bedenklichsten Erfahrungen gemacht hatte – mußte ihm schließlich beistimmen.

Man hatte diese eifrige Debatte am Lagerfeuer vor einem Cookschen Zelt bei den Trümmern eines Ptolemäertempels. Araber servierten Scherbet, man rauchte Zigaretten und hörte ab und zu in der Ferne der Wüste einen Schakal bellen, was die Stimmung ungemein anregte.

Jeder gab seine Meinung ab. Succo führte in seinem überlegenen Juristenton ein paar Beispiele aus Zeugenvernehmungen an, um dem optimistischen Wiener Bankdirektor seinen Irrtum klarzumachen. Denn darin pflichtete er dem Staatsrechtslehrer aus Heidelberg ohne jeden Vorbehalt bei: weibliche Berichterstattung war in fünfundneunzig von hundert Fällen minderwertig. Jeder Prozeß bewies das aufs neue. Gerade die weiblichen Vorzüge – weicheres, wärmeres Empfinden, Subjektivität, Aufopferungsfähigkeit – bedingten seiner Meinung nach diese Mängel.

Als die Herren unter dem sternklaren Himmel des Fajum schlafen gingen, war sich die Mehrzahl darin einig: daß all die gewaltsamen und verschrobenen Emanzipationsbestrebungen der letzten beiden Jahrzehnte im lieben deutschen Vaterland das Gros des weiblichen Geschlechts über die Entwicklungsstufe des Halbtiers nicht wesentlich hinauszuheben vermocht hätten.

Stangenberg hatte insgeheim sein diabolisches Vergnügen daran, auch Herrn von Succo, den er bisher für das geduldige Objekt eines graziösen kleinen Pantoffels gehalten hatte, unter den ›Ketzern‹ zu sehen. Die Unstimmigkeit mußte zwischen dem Ehepaar schon ziemlich stark entwickelt sein, wenn Succo plötzlich so leidenschaftlich diesen Theorien beipflichtete. In Gegenwart der redegewandten, erstaunlich schlagfertigen, kapriziösen und geistreichen Frau Jutta hätte er's sicher nicht gewagt. Es lag also wohl ein gewisser heimlicher Racheakt in diesem absprechenden Bekenntnis.

›Und – er ist maßlos eifersüchtig!‹ sagte sich Stangenberg.

Daß Succo alle Ursache zur Eifersucht auf den famosen ›Vetter Fritz‹ hatte, darüber war sich niemand klarer als Stangenberg, der an Bord das Hinundher der beiden ja schon genügend beobachtet hatte. Allen, die nicht gerade die Seekrankheit vom Bordleben ausschloß, war es aufgefallen. Die einen hatten es milder, die andern bedenklicher beurteilt. Tatsache war, daß man das junge Pärchen, während der bedauernswerte Eheherr Kabinenarrest hatte, in den verschiedensten Schiffsgegenden in recht verfänglicher Harmonie angetroffen hatte. Fräulein von Wehl war der jungen Frau des Oberstaatsanwalts einmal sogar dicht vor der Tür der Kabine, die der ›Aegypter‹ innehatte, begegnet. Ganz entrüstet hatte sie sich darüber gegen die Baronin geäußert. Herr Schneider wiederum hatte die beiden am Abend vor der Landung in zärtlichem Verein im Dunkeln auf dem oberen Promenadendeck beobachtet. Das hatte er dem Rittmeister mit dem ihm eigentümlichen, vielsagenden Augenblinzeln unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut.

Stangenberg brauchte hierzu nur noch seine eigenen Wahrnehmungen zu fügen – die an Bord selber, die hernach in Kairo im Hotel – und er konnte sich seinen gutgereimten Vers darauf machen.

Freilich: wie weit der Flirt zwischen den beiden gegangen sein mochte, das wagte er doch nicht zu entscheiden.

Auf der einen Seite hatte die kleine Frau ja unbedingt einen Zug ins Abenteuernde. Ihr Temperament war nicht umzubringen, sie hatte Rasse, war ganz Nerv bis in die schlanken Fingerspitzen. Aber so ohne weiteres im Sturm zu nehmen wie andere ›heiße Weiber‹, mit denen er schon erfolgreich angebandelt hatte, war sie nicht. Sein Anlauf im Garten von Shepheard war jedenfalls mit Grazie abgeschlagen worden.

Immerhin bereitete es Stangenberg ein nicht unangenehmes Nervenprickeln, sich in Frau Juttas Abenteuer zu vertiefen. Denn so oder so: daß die verwegene kleine Frau sich von ihrem Manne auf die Dauer nicht ausgefüllt fühlte, das stand für ihn fest. Das war auch gar nicht so verwunderlich. Noch ganz andere Männer als der wackere Succo hatten Ueberraschungen zu erleben.

Verblüffend war in diesem Falle eigentlich nur die Person des mit ihrer Gunst Beglückten.

»Ausgerechnet der! Ausgerechnet der Todfeind ihrer ganzen Wahlverwandtschaft! Das ist doch zum Längelanghinschlagen!«

Frau von Druhsen, mit der er bei seinem Besuch im Menahouse die pikante kleine Herzensgeschichte der hübschen Frau Jutta natürlich auch durchgesprochen hatte, war darauf der Meinung gewesen: »Ich finde es im Grunde gar nicht so verblüffend, lieber Herr von Stangenberg. Im Gegenteil, glauben Sie mir: das ist echt weibliche Psychologie. Oder Physiologie. Die verbotene Frucht. Voilà tout. Sie verstehen.«

Und Stangenberg verstand.

»Uebrigens sind dann ja wohl auch die Beweggründe des Herrn Vetters psychologisch nicht so ganz unergründbar,« sagte er. »Ich meine – vom rein Menschlichen, Allzumenschlichen abgesehen,« setzte er hinzu, anzüglich lächelnd.

Frau von Druhsen drohte ihm mit dem Finger. Aber das Thema war ihr doch behaglich. »Uebrigens wieso?«

»Ja, gnädigste Baronin, gibt es denn eine süßere und treffsicherere Rache eines Mannes an einem andern als eben die?«

»Sie haben eine grausame Phantasie.«

»Erfahrungsgrundsätze. Wie Sie wissen, teuer erworbene. Uebrigens – gottlob in beiden Richtungen.«

Das Gespräch endigte damit, daß der Rittmeister aus dem ›Rigoletto‹ summte: » Donna è mobile …«

Wie stets in Fällen einseitiger Eheirrungen schien der Ehemann ganz allein noch keine Ahnung davon zu haben, daß er der Gegenstand so verletzenden Bedauerns war. Wenigstens hatte Stangenberg auch beim Wiedersehen in Kairo am ersten Reisetag nicht die Empfindung gehabt, daß Herr von Succo über sein Pech schon unterrichtet war.

Erst die auffallend hitzige Art und Weise, in der Succo den Bekenntnissen der Hagestolze zustimmte, schien ihm ein Beweis.

Was Stangenberg aber aufs höchste wunderte, das war dabei der Umstand, daß Succo seine junge Frau gerade jetzt, wo doppelte Vorsicht – vielleicht auch doppelte Aufsicht – geboten gewesen wäre, allein gelassen hatte.

Er konnte sich's nicht versagen, ein paar Anspielungen zu machen. Beileibe keine direkten, plumpen Hinweise. Nein, bloß so eine Art Parallele bei der Erzählung von ein paar Skandalgeschichtchen aus der Garnison. Wo die junge Frau ins Bad gefahren war und Sonntags den Besuch ihres Mannes, die Woche über den ihres ›Bruders‹ hatte, der ihr so merkwürdig unähnlich war. Und dergleichen mehr. Stangenberg erzählte dabei stets vom Standpunkt des Attentäters, nie von dem des Angegriffenen aus. Es war ihm ein gewisser Trost.

Succo dagegen versetzte sich in den Debatten, die sich manchmal daran anschlossen, stets auf die Seite des Ehemannes. Er verfiel auch bei der Bezeichnung einer schuldigen Frau in eine krasse alttestamentarische Ausdrucksweise, die sein Begleiter nicht geschmackvoll fand.

»Der Franzose ist galanter,« meinte Stangenberg. »Er spricht in einem solchen Falle nicht einmal von › tromper‹, sondern er sagt human lächelnd: › madame s'amuse‹. Allerdings spricht so nur – der andere.«

War es die tropische Hitze dieser Wüstenwanderungen und langen Ritte, war es die Erinnerung an die üppigen Bilder des ersten Abends in Medinet el-Fajum, die das Blut kochen machte, war es ein heimlicher Vergleich mit eigenen Erlebnissen, eigenen Verdachtsmomenten, der zu peinvollen Vorstellungen und Verirrungen der Gedanken führte: auf Succos Stirn perlte zuweilen ein leichter Schweiß.

Stangenberg glaubte nun bestimmt zu wissen: innerlich verging der Aermste vor Eifersucht. Es war übrigens nicht Grausamkeit, was ihn leitete, diese Themen zu bevorzugen, es war auch nicht einmal der Wunsch, der kleinen Frau Jutta einen Stein in den Weg zu werfen. Nein, seine Phantasie beschäftigte sich nun einmal am liebsten mit derlei Dingen; sie waren für ihn das Leben. Und das Alpha und Omega seiner Weltanschauung lautete: »Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, bis er mich vom Gegenteil überzeugt hat.«

Was den Oberstaatsanwalt auf der ganzen Reise so nervös und nachdenklich und zerstreut erscheinen ließ, das hatte einen ganz anderen Grund, als Stangenberg annahm. Er machte sich Selbstvorwürfe darüber, daß er sich von seiner Frau einer Bagatelle wegen im Groll getrennt hatte. Jutta war noch so jung, so wenig welterfahren, ihre Erziehung war noch nicht vollendet. Es hätte einer Meinungsverschiedenheit wegen – die doch eigentlich ziemlich akademischer Natur war – nicht zu einem solchen Zerwürfnis zu kommen brauchen.

Auf der Nilfahrt von Wasta aus, die den Abschluß der Reise bildete, war Succo recht still. Man fuhr an Bord einer Cookschen Dahabije, auf der sich auch noch andere, von Luksor und Assuan und weiterher nach Kairo zurückkehrende Vergnügungsreisende befanden. Die Gruppen trennten sich. Succo suchte nun auch das Zusammensein mit Stangenberg etwas einzuschränken. Er hatte einen Platz ganz vorn im Boote gewählt, rauchte unausgesetzt Zigaretten – in geradezu krankhaft nervöser Hast – und ließ den Blick ungeduldig über die Nillandschaft schweifen.

Die Bilder, die an ihm vorüberzogen, waren eigenartig, aber in ihrer feierlichen Ruhe und Monotonie auf die Dauer doch ermüdend. Die Fellachendörfer, die Palmwälder, die Scheichgräber und Minaretts, die schmutzigen Bettelkinder, die an den lehmbraunen Ufern des breiten, stillen Stromes mitliefen, die unabsehbaren Mengen der die Dörfer umflatternden Tauben, das Gekreisch der Esel und der Ziehbrunnen – es war auf der ganzen weiten Fahrt immer dasselbe, immer dasselbe. Er hatte keinen Sinn mehr für die fremdländische Schönheit. Es drängte ihn, heimzukommen.

Und was er dabei kaum vor sich selber wahrhaben wollte, wirkte mit, seine Sehnsucht zu verstärken: er empfand eine gewisse Scham darüber, daß er sich ganz so wie in seinen Junggesellenzeiten in den zynischen Ton dieser Herrengespräche hatte mit hineinziehen lassen. Es war ihm nun, als hätte er an Jutta wieder etwas gutzumachen.

In Bedracheïn war Aufenthalt – und Lösung der durch Cook ins Leben gerufenen Freundschaften. Ein Teil der Gäste vom Menahouse fuhr über Kairo nach Gizeh, ein anderer wollte am gleichen Tage noch die Apisgräber von Sakkarah besichtigen.

Succo verhandelte gerade mit dem Dragoman darüber, welche Route eine frühere Ankunft im Menahouse versprach, als er Stangenberg einen Bekannten von der ›Holstein‹ begrüßen sah: Herrn Marcks, den Apotheker aus Dresden. Auf die Bekanntschaft mit diesem Landsmann hatte Succo nie Wert gelegt. Es wunderte ihn daher, daß Stangenberg so lange und angelegentlich mit ihm sprach. Er bemerkte dann auch, daß der Rittmeister im Gespräch mehrmals halb verstohlen zu ihm herübersah – offenbar etwas verstört – und daß er darauf Herrn Marcks einen zurechtweisenden Wink mit den Augen gab: er möchte nicht so laut sprechen, man könnte sonst in der Nachbarschaft hören!

Succo hatte sich, über die Route noch immer nicht im reinen, ungeduldig abgewandt – da tauchte plötzlich Stangenberg an seiner Seite auf und sprach ihn, den Ton merkwürdig dämpfend, an: »Hören Sie, lieber Herr von Succo, dieser sächsische Bundesbruder da, Herr Marcks, der Weltenbummler, stellt hier coram publico eine so unsinnige Behauptung auf – ich glaube, Sie müssen sich den Mann einmal vorbinden.«

»Der Herr ist mir – offen gesagt – schon immer gräßlich gewesen.«

»Mir auch. Aber die Geschichte geht Sie nahe an. Wenn's nämlich nur etwa ein niederträchtiger Klatsch sein sollte, so dürfte man sich die Geschichte unter keinen Umständen gefallen lassen …«

»Was will er?«

»I – er warf da in Gegenwart des Professors und der beiden Amerikaner – übrigens anscheinend ganz harmlos – eine Bemerkung hin … Also das wäre hierher gegen Abend sein gewöhnlicher Ausflug – er hat sich in Heluan niedergelassen, nimmt da Schwefelbäder oder so einen Unfug – in Heluan wär's zum Sterben langweilig, aber hier in Bedracheïn träfe man unter den Passanten immer Landsleute … Ja, und denken Sie sich, unlängst hätte er hier auch Ihre Frau getroffen, sagte er.«

»So. Mit der Hotelgesellschaft?«

»Ja. Zum Teil. Aber – es ist da noch was ganz Absurdes dabei.«

»Was Absurdes?«

»Hier liegt doch die vizekönigliche Zuckerfabrik, deren Direktor Ihr Vetter Fritz von Succo ist?«

Succo horchte auf. Dann sagte er gezwungen lässig: »Möglich. Es war mir so gleichgültig, daß ich's nicht behalten habe.«

»Und Herr Marcks behauptet nun – ich sag's Ihnen lieber sofort brühwarm wieder, ganz so, wie er's vorbringt – Ihre Frau hätte die Gesellschaft gleich nach der Ankunft hier verlassen, und dieser Herr von Succo hätte sie am Fabrikeingang in Empfang genommen. Die Bekannten wären sofort darüber einig gewesen, daß es zwischen ihnen eine abgekartete Sache war, denn Ihre Frau – na kurz und gut, sie wäre dann richtig den ganzen Nachmittag, bis zur Abfahrt des Dampfers, bei ihm gewesen.«

Succo lachte zuerst nur leicht auf.

»Bei ihm gewesen. So.«

Dann verzog er aber grimmig die Stirn.

»Bei ihm gewesen. Was soll das heißen? Wie meint der Herr das?«

»Weiß der Teufel wie. Er ist ein ganz infernalisches Klatschmaul. Das scheint mir todsicher. Natürlich hat er sich darüber gefuchst, daß Sie beide an Bord unnahbar für ihn waren … Er tut ja allerdings wunder wie naiv. Dabei wette ich aber zehn gegen eins: er weiß genau, wie Sie mit Ihrem Vetter stehen.«

»Er war ja dabei – an Bord, am ersten Tage – als ich meine Erklärung abgab.«

»Na also.«

»Ich werde mir den Herrn kaufen.«

Und eine Weile später langte Succo bei dem Sachsen an, den er herablassend begrüßte. Aber in seinen Augen flackerte dabei etwas wie Haß.

»Das ist ja sehr nett: Herr von Stangenberg sagt mir, Sie haben neulich meine Frau hier gesprochen?«

»Gesprochen leider nicht, Herr Oberstaatsanwalt. Als ich von Heluan herüberkam, war die gnädige Frau mit Ihrem Herrn Vetter schon weg. Drinnen in der Fabrik. Ja.«

Succo behielt die Zigarette zwischen den Zähnen, während er sprach. Da ihm der Rauch in die Augen und in die Nase biß, lehnte er den Kopf ziemlich weit zurück. Diese Haltung hatte etwas Herausforderndes, dabei sehr Hochmütiges.

»Sagen Sie mal, Herr – eh – Marcks, das dürfte aber doch wohl ein Irrtum sein. Verwechslung. Nicht? Ich kann mir im Leben nicht erklären, wie meine Frau dazu käme …«

»Ja, die anderen Herrschaften konnten sich's auch nicht erklären,« beteuerte Marcks, dessen Stimme ein wenig flackerte, sofort lebhaft. »Die Baronin von Druhsen meinte aber noch: aha, deswegen hätte Frau von Succo darauf bestanden, daß man über Bedracheïn zurückkehrte. Die Herrschaften hatten nämlich die Tour nach Sakkarah gemacht.«

»Von Sakkarah nach Gizeh ist doch ein ganz direkter Weg.«

»Eben.«

»Hören Sie mal – ich weiß ja nicht, was Sie für ein Interesse daran haben sollten, mir hier irgend etwas vorzureden …«

»Aber, Herr Oberstaatsanwalt, ich bitte sehr, ich hatte Herrn von Stangenberg ganz harmlos erzählt …«

»Ganz harmlos. Natürlich. Es ist nur seltsam, daß Sie trotzdem eben sagten: die anderen Herrschaften konnten sich's auch nicht erklären. Wie meinen Sie das? Und die Bemerkung der Frau von Druhsen – die ist ja geradezu – äußerst merkwürdig.«

»Ich kann nichts anderes anführen als: relata refero. Ich werde doch nichts Unwahres verbreiten. Frau von Druhsen sagte noch zu mir: ›Lieber Herr Marcks‹, sagte sie, ›bitte, tun Sie mir den Gefallen und gehn Sie doch mal Frau von Succo in die Fabrik nach – am besten, Sie lassen sich unter irgendeinem Vorwand direkt beim Chef melden …«

»Wie kommt die Dame dazu?!«

»Ja, sie meinte, sie hätte Ihnen versprochen, Ihre Frau Gemahlin zu chaperonieren, sagte sie.«

»Hm. So. Das meinte sie. Nun, und Sie übernahmen den Auftrag?«

»Ei gewiß. Ich kam auf den Hof. Fremden wird die Einrichtung der Fabrik öfters gezeigt. Ich kenne alles, bin schon zweimal dringewesen. Aber diesmal ward ich nicht vorgelassen. Der Direktor war in seiner Privatwohnung und hatte da Besuch. Ja. Ich bin mit dem kleinen Araber noch selbst bis zur Tür mitgegangen, weiter ließ er mich nicht … Herr Jesus, Sie sehen einen aber an, Herr Oberstaatsanwalt … Man braucht doch nicht gleich das Schlimmste zu denken.«

Succo hatte Fäuste gemacht. Immer hastiger stieß er die kleinen, dicken Rauchwolken aus. Die Zigarette war so weit aufgeraucht, daß er sich die Lippen leicht verbrannte. Er wandte hastig den Kopf und spie den Stummel aus.

Schon während der letzten Sätze des berichteifrigen Apothekers war Stangenberg dazugestoßen. Er hörte die Darstellung nun ein zweites Mal. Einen kleinen Nervenkitzel – eine gewisse Schadenfreude – empfand er dabei ja unverkennbar. Es lag ihm im Blute, sich über derlei zu amüsieren. Er nahm kein Weib ernst – nahm also auch solche kleinen Liebes- und Eifersuchtsdramen nicht tragisch. Aber die letzte Bemerkung des Sachsen – man brauchte sich ja nicht gleich das Schlimmste zu denken – erschien ihm denn doch zu plump und geschmacklos.

Succo hatte den Apotheker stehen lassen, ohne Abschiedsgruß.

»Ein Urteil in moralischer Hinsicht, Herr Marcks, war ja wohl nicht von Ihnen erbeten,« sagte nun Stangenberg scharf und von oben her, zuckte die Achsel und klopfte sich leicht an die Stirn. Dann folgte er Succo und schob den Arm unter den seinen. »Er ist ein komplettes Roß. Sie dürfen ihm das nicht übel nehmen. Dumm geboren und nischt hinzugelernt – wo soll da die höhere Intelligenz herkommen!«

Auch für diese gutgemeinten Trostversuche war Succo nicht zugänglich. »Lassen Sie, lassen Sie, lieber Herr von Stangenberg. Das ist eine infame Sache. Eine ganz infame Sache. Ich bin noch so vor den Kopf gestoßen … Das ist ja so ungeheuerlich …«

»Kommen Sie lieber von hier fort. Man steht ja auf offenem Markte. Und nun glotzt der gute Professor auch noch. Es geht doch nichts über Diskretion.«

»Leisetreterei ist hier durchaus nicht angebracht. Zum Teufel auch. Nein, man muß sich das nur vorstellen. Meine Frau. Meine eigene Frau. Das ist ja so abenteuerlich, so – so … Ich finde gar keine Worte.«

»Glauben Sie dran – oder glauben Sie nicht dran? Die Frage scheint mir die wesentliche.«

»An der Tatsache läßt sich doch nicht mehr zweifeln. Uebrigens ruft er ja das ganze Hotel Menahouse als Zeugen an.«

Sie waren etwas abseits von der Gruppe der andern Reisenden getreten, wurden aber von Eseljungen, Bettlern, Händlern und aufdringlichen Führern derart umdrängt, daß sie sich kaum verständigen konnten.

»Ich würde jedenfalls nicht gleich alles auf eine einzige Karte setzen,« sagte Stangenberg, »wenn ich mir überhaupt einen Rat erlauben darf, aus meiner traurigen Erfahrung heraus.«

Das Wort wirkte auf Succo wie ein Peitschenhieb. Den Abend zuvor hatte ihm Stangenberg ganz skrupellos ein paar Dinge aus seinem Scheidungsprozeß erzählt. Der Vergleich demütigte – und reizte zugleich – Succo dermaßen, daß er hastig seinen Arm freimachte.

»Danke sehr. Aber – man ist doch nicht umsonst nebenher noch Jurist.« Damit schien Succo, der die Augen zusammenkniff und in plötzlichem Entschluß auf den Dragoman zuhielt, die Unterhaltung abbrechen zu wollen.

Eine lebhaftere Bewegung ging soeben durch die Gruppen: es läutete zur Abfahrt des Cookschen Bootes. Mehrere Karawanen hatten sich bereits zusammengefunden, um den Ritt nach Memphis und Sakkarah zu unternehmen. Im letzten Augenblick entschied sich Succo dafür, den in einer halben Stunde fälligen Eisenbahnzug zu benutzen, mit dem er – eine Station vor Kairo – den besten Anschluß zum Menahouse fand.

Er wollte dies Stangenberg, der gerade im Begriff war, an Bord zurückzukehren, nur rasch noch zurufen. Aber der aufreizende Verdacht hatte schon derart Besitz von ihm ergriffen, er fühlte sich so unsicher, daß es ihm dann doch unmöglich war, sich vom Rittmeister so ohne weiteres zu trennen.

»Pardon, noch eine Frage, Herr von Stangenberg. Ich weiß freilich nicht, ob ich Sie zurückhalten darf.«

»Es erwartet mich bei Shepheard niemand als der arabische Kellner, der mir das Diner servieren will. Sagen Sie ein Wort, und ich fahre mit der Bahn mit.«

»Gut. Ich weiß auch, wie das Wort lauten muß. Ich bitte Sie um den Freundschaftsdienst, bei mir zu bleiben.«

»Aber mein verehrtester, bester Herr von Succo –!«

Das war von Succos Seite aus alles in starker Erregung und voller Hast gesagt und getan. Stangenberg erkannte Succo, den stets so Nüchternen und Ueberlegenen, gar nicht wieder. Sonst war Succo doch in erster Reihe Mann des Gesetzes – und dann erst Mensch.

Und so kam es denn zu der demütigen Frage, deren Succo sich, indem er sie formte, über alle Maßen schämte, und zu der noch demütigenderen Antwort Stangenbergs.

Woher mochte Frau von Druhsen das Recht leiten, ohne weiteres anzunehmen, daß zwischen seiner Frau und seinem Vetter Fritz ein Einvernehmen bestand? Um nicht geradezu zu sagen: ein unerlaubtes Verhältnis, ein verbrecherisches? – Glaubte Stangenberg, daß sie irgendwelche Anzeichen besitzen könnte – oder gar Beweismittel?

»Und – Sie selbst, lieber Freund. Haben Sie solche Wahrnehmungen gemacht? – Hand aufs Herz, Mann gegen Mann! – Nein, ausweichen dürfen Sie mir jetzt nicht, es handelt sich um zu Ernstes, zu Wichtiges –!«

»Eben deshalb, lieber Herr von Succo, wird mir's höllisch sauer. Klatschpastete wie dieser Signor Marcks aus Elb-Florenz bin ich nicht. Außerdem ist es noch stets mein Grundsatz gewesen, mich in anderer Leute Liebeshändel nicht einzumischen. Aber wenn Sie mich gleich beim großen Ehrenwort zu packen kriegen –«

»Das tue ich, Herr von Stangenberg.«

»Na, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen reinen Wein einzuschenken. Also – na ja denn. Daß zwischen Ihrer Frau Gemahlin und Herrn Fritz von Succo etwas bestand, daran war allerdings weder für mich ein Zweifel noch für irgendeins von den Herrschaften, die an Bord mit herübergekommen sind.«

»So. So. Und das – das haben Sie die ganze Zeit mit sich herumgetragen, auch diese letzten Tage über, im Fajum, ohne mir ein Wort – ohne mir auch nur ein einziges Wort …«

»Erlauben Sie, Herr von Succo, abgesehen von der Geschmacklosigkeit, so aus dem Stegreif heraus den Hetzer und Petzer markieren zu sollen: wie hätten Sie denn die Geschichte aufgenommen? Das sah man ja vorhin bei Marcks. Es fehlte nicht viel, und er hätte seine Senge besehen. Deswegen schlotterten ihm ja auch die Knie, und das Herz war ihm in die Hosen gefallen. Na, und mir hätten Sie ja wohl keine Fäuste gemacht – aber Sie hätten mir zweifellos Ihre Zeugen geschickt. Oder etwa nicht?«

»Ja, Sie haben recht, das hätt' ich. Mein Gott …!«

Sie waren auf der entsetzlich staubigen und sonnigen Straße, geplagt von den Mücken und dem zerlumpten kleinen Aegyptergesindel, dem die Fliegen in dicken Klumpen an den Augen, den Ohren und an der Nase hingen, zum Bahnhof gelangt. Succo hatte seinen Panama abgenommen. Er schwitzte vor Aufregung und Schwäche. Fortgesetzt trocknete er sich Stirn und Nacken mit dem Taschentuch.

Ueber alles, was Stangenberg mit eigenen Augen gesehen, und was ihm der Klatsch zugetragen hatte, war Succo, als sie endlich in das heiße, niedrige Coupé einstiegen, unterrichtet.

Glied reihte sich da an Glied zu einer lückenlosen Kette.

All die aufreizenden, nichtsnutzigen Erzählungen, Abenteuer und Anekdoten, womit man sich im Herrenkreise in den letzten Tagen die Zeit vertrieben, hatten den Boden seiner Phantasie vorbereitet. Auch das Klima trug dazu bei – auch die üppigen Szenen, die sie am ersten Abend der Reise bei den arabischen Tänzerinnen gesehen, hatten die Sinne erhitzt. Es war wie ein Tropenkoller.

Als der Zug die am Beginn der Sykomorenallee gelegene Station Gizeh erreichte, von wo die elektrische Bahn den nächsten und besten Anschluß bot, saß Succo ganz erschöpft in der Coupéecke. Mit beiden Händen preßte er seine Stirn. Dabei schloß er die Augen, als brauchte er so die Bilder nicht zu sehen, mit denen ihn seine Phantasie folterte.

Wie abscheulich – wie unsagbar abscheulich!

Stangenberg hatte sich mehrmals ausbedungen, daß der ›Freund‹ – denn so dürfte er ihn doch nennen – den Boten von seinem Amt zu trennen wüßte; Succo hatte es auch ganz selbstverständlich beteuert. Aber als sie sich nun verabschiedeten, mit kurzem Händedruck, ohne einander fest ins Auge zu sehen, hatten sie beide die Empfindung, daß sie einander doch nicht trauten.

Es dunkelte. Der Zug fuhr weiter. Succo sah ihm nach. Irgend jemand lehnte sich, die Ellbogen aufstützend, aus einem Wagenfenster heraus. Er bildete sich ein, das wäre Stangenberg, der ihn in seinem Unglück aushöhnte.

Und mit einemmal dachte er daran, wie Stangenberg diese ganze Zeit über mit einem gewissen zynischen Behagen immer und immer wieder über die Ehe gespöttelt hatte.

Was für eine dreiste Beleidigung hatte er sich da ungesühnt bieten lassen!

Aber er war ja selbst mit daran schuld, daß Stangenberg so weit gegangen war: Juttas Unbotmäßigkeit und Anmaßung hatten ihn gereizt, und es hatte ihn amüsiert, mit anzuhören, wie hier über das ganze weibliche Geschlecht der Stab gebrochen wurde.

Darüber kam er indes nicht hinweg: Stangenberg hatte da schon gewußt, was er, der Gatte, nicht wußte! Und hatte sich über ihn lustig gemacht!

Auf der Fahrt in der jetzt nach Sonnenuntergang fast ganz leeren Straßenbahn suchte er wieder Herr seiner Gedanken zu werden. »Nicht alles auf eine Karte setzen!« Darin hatte Stangenberg ja recht. (Und Stangenberg besaß Erfahrung. Es war Succo eine Genugtuung, das jetzt festzustellen.)

Er wollte sich also beherrschen. Es hatte keinen Zweck, sofort bei seiner Ankunft im Menahouse Jutta zur Rede zu stellen. Da hörte er selbstverständlich nur irgendeine Ausflucht, die sie doch für alle Fälle bereit haben mochte. Er mußte sich inzwischen mit allem Bedacht das Zeugenmaterial verschaffen: Frau von Druhsen über das unerhörte Ereignis vernehmen, die andern Hotelgäste, wenn irgend möglich einzeln nacheinander. Ganz wie bei einer Anklagesache. Es galt hier ja das Meisterstück juristischer Kunst: einen Indizienbeweis.

Sobald Succo seine Nerven soweit gemeistert hatte, um die Sache mit dem klaren Juristenverstand zu durchdringen, unabhängig von persönlicher Empfindung, sah er gewonnenes Spiel vor sich.

Nur noch wie ein jäher, scharfer Stich, nicht mehr als lähmender Schmerz, wirkte dabei die Vorstellung: gerade mit seinem einzigen Feind hatte ihn seine Frau hintergangen. Mit dem Manne, der eine satanische Freude daran haben mußte, ihm den Schimpf anzutun.

Und aus dem heißen Wust der Herrengespräche über allerlei Perversitäten grinste es ihn wie eine Fratze an.

Oh, wie bodenlos gemein das doch war.

Als er das Hotel betrat, war die Halle ganz leer. Die Gäste befanden sich bereits beim Diner.

Er suchte das Zimmer auf. Der feine Veilchenduft, der Juttas Wäsche eigen war, schwebte noch im Raume. Den Atem anhaltend, blieb er an der Schwelle stehen und drehte das Licht auf. Er sah die breiten englischen Betten schon zur Nacht abgedeckt unter den mächtigen Moskitonetzen, die wie ein geschlossener Baldachin wirkten. Da und dort bemerkte er aus kleinen Anzeichen, daß Jutta Toilette gemacht hatte.

Natürlich saß sie drüben im Speisesaal.

Er wollte verhindern, sich ihr Bild auszumalen. Gerade in der letzten Zeit hatte sie etwas ungemein Verführerisches gehabt. Er dachte noch an die bewundernden Blicke, die ihr immer in Nizza, in Monte Carlo gefolgt waren. Insgeheim war er doch ein bißchen eitel auf diese kleinen Erfolge seiner Frau gewesen – trotzdem er die Herren immer sehr scharf verweisend angesehen hatte.

Ob die wohl alle, alle geglaubt hatten, sie wäre so leicht zu nehmen wie irgendeines der ›heißen Weiber‹, die in dem breiten Strom dieser internationalen Gesellschaft mitschwammen, dieser lockeren ›kleinen Frauen‹, von denen die Reisebekannten mit so unzweideutigem Augenzwinkern gesprochen hatten?

Er stampfte mit dem Fuße auf.

Wohin führte das? Zum Henker – er wollte doch geordnet und logisch bleiben. Er wollte diese Anklagesache als sein eigener Untersuchungsrichter führen.

Rasch klingelte er.

›Ob Madame drüben im Speisesaal wäre‹, fragte er den Araber.

» Non, monsieur, madame est sortie.«

»Fortgegangen? Wann?«

» Il y a quinze minutes, monsieur.«

»Und wohin?«

Der Araber hob die Schultern. » Je ne sais pas, monsieur.«

Als er wieder allein war, sagte er sich: Nur Ruhe, Ruhe. Nur keine Ueberstürzung. Nur ja sich nicht gleich vor den Dienstboten verraten.

Aber dann schoß ihm ein widerwärtiger, hitziger Gedanke durch den Kopf: Vielleicht wußte der schwarze Bursche mehr, als irgendwer ahnte – diese Hotelbediensteten hatten ja eine solche Menschenkenntnis – vielleicht war der Sohn der Wildnis längst in die Schmach eingeweiht, die dem ›Monsieur‹ durch ›Madame‹ angetan war.

Er riß den Hut ab und schleuderte ihn auf die Chaiselongue. Dann ging er zur Verandatür.

Als er sie öffnete, drang ihm Rosenduft entgegen. Er trat erstaunt hinaus. Und da sah er den Riesenstrauß von La-France-Rosen auf dem Tischchen.

»Das hat ja nichts auf sich, das hat ja gar nichts auf sich,« suchte er sich nervös zu beschwichtigen, indem er mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischte. »Das kann hier irgendwo gekauft sein. Oder von Kairo mitgebracht.«

Merkwürdig, daß er während dieser Fajumreise bis zum letzten Abend sich kein einziges Mal gefragt hatte: was tut Jutta wohl jetzt, wo war sie jetzt, mit wem sprach sie jetzt?

Und er überlegte: wie war's früher gewesen, wenn er sich von ihr einer kurzen Reise halber hatte trennen müssen?

Hinterher hatte sie ihm stets in ihrer lebhaften Art anschaulich dargestellt, was sie getrieben hatte. Es war ihm dann immer so, als wäre er dabei gewesen. So unbedingt schenkte er ihr Glauben.

Und er zermarterte sein Hirn: hatte er vorher je Grund zur Eifersucht gehabt?

Allerlei nebensächliche, untergeordnete Situationen fielen ihm ein – Situationen, an die er gar nicht mehr gedacht hatte, von denen er vordem überhaupt nie geglaubt hätte, daß er sie jemals für verfänglich würde halten können. Ein sommerlicher Tanzabend bei Landrats, die italienische Nacht in dem weiten Park – und Jutta in ihrem ausgeschnittenen Kleid von weißer indischer Seide am Arme Schaufferts, der ihr auf Tod und Leben die Cour schnitt. Er sah sie plötzlich lachend und erhitzt aus dem Dunkel des Parkweges auf die Lichtung treten, wo das rote bengalische Licht aufflammte. Warum dachte er jetzt daran? Warum? Und die Fahrt in der überfüllten Semmeringbahn damals. Haarscharf stand es ihm vor Augen. Der junge Ungar, der rechts von ihr saß, über dessen Drolligkeiten sie so herzlich lachte, dem sie dann noch zweimal begegnet waren, auch an dem Abend, wo Jutta ihm zugeredet hatte, drüben in der Post mit den Herren noch ein Glas Wein zu trinken. Sie wäre müde, sagte sie, und wollte gleich zu Bett. Aber als er dann zurückkehrte, saß sie noch im Garten, rauchte eine Zigarette, und der junge Ungar war dabei und erzählte. Warum fiel ihm das nun wieder ein? Warum?

Er verwünschte diese Possen, die ihm sein Gedächtnis spielte.

Zum Henker, um wen und was handelte sich's denn? Um ein Chormädel, um eine Büfettmamsell?

Es war Frau Jutta von Succo, deren Ehre da angetastet wurde.

Aber boten denn Stellung, Name und Rang eine Gewähr?

Die nichtswürdigen Klatschgeschichten Stangenbergs fielen ihm ein – all die großen Skandalprozesse der letzten Jahre – Stützen der Gesellschaft, die man für unantastbar gehalten hatte, Prinzessinnen und gekrönte Häupter waren gefallen …

Und so unglaublich waren einem diese Verirrungen zuerst erschienen. Diese Frauen legten ihr ganzes Leben, ihre Ehre, ihr Familienglück, das Wohl ihrer Kinder, den Namen ihrer Eltern und Brüder, ihre soziale Stellung, alles, alles auf eine Wagschale.

… Oft nur eine einzige Stunde der Lust, eine Minute des Vergessens …

Wie schändlich, wie unbegreiflich! – Oder auch bloß: wie krankhaft, pervers!

… Die verbotene Frucht! …

Da hockte er wieder mitten drin in Stangenbergs Theorien – die freilich niemals anklagten, sondern immer mit weltmännischer Laxheit entschuldigten.

Das Rätsel Weib!

Er war nicht imstande, Toilette zu machen, um drüben im Speisesaal am Diner teilzunehmen, ganz als ob nichts Außergewöhnliches vorläge.

Von der Chaiselongue riß er wieder den Hut an sich und stürmte hinaus.

In der Halle traf er dann den Manager. Er beobachtete sich im Gespräch mit dem Manne ganz genau. Während der ihm Bericht erstattete über die Verhandlungen, die seine Frau mit ihm gepflogen hatte, bemühte er sich, ein gelassenes Wesen zur Schau zu tragen. Aber es war ihm doch, als steckte in dem geschmeidigen Oberkellnergesicht ein Zug frecher Neugier.

Soviel reimte er sich leicht zusammen: Jutta hatte Nachricht bekommen, daß ihr Vater heute abend in Shepheards Hotel eintraf, und sie hatte beabsichtigt, an der Dampferstation von Kairo das Eintreffen der Cookschen Dahabije abzuwarten.

Aber auch da knüpfte sofort sein Verdacht wieder an. Er sagte sich: das kam ihr nun wohl sehr gelegen, daß auf diese Weise ihr erstes Wiedersehen nicht unter vier Augen stattfand. Denn natürlich würde sie ihren Vater gleich mitbringen, an dem sie einen Beistand hatte.

Ob sie insgeheim Furcht empfand? Ob sie sich wohl sagte, daß der Hotelklatsch ihm über kurz oder lang doch alles zutragen mußte?

Sie hatten ja allerdings vorgehabt, morgen früh das Menahouse zu verlassen. Mit den Leuten, die sie hier in seiner Abwesenheit beobachtet hatten, kam man dann unter Umständen nie im Leben wieder zusammen.

Nie im Leben wieder.

Wie leicht war es doch im Grunde für eine abenteuerlustige Frau, auf solch einer Reise in fremdes Land den Gatten zu betrügen –!

Er hätte fast aufschreien können vor Wut über diesen grausam nervenfolternden Verdacht.

Einer der Kellner kam und fragte ihn, ob nachserviert werden sollte. Für die Nachzügler war im Restaurant gedeckt.

»Gut. Ja. Ich komme.«

Aber der Löffel zitterte dann in seiner Hand, und als er sich Wein einschenkte, goß er über.

Er aß fast nichts, trank aber hastig fast die ganze Flasche leer.

Mit rotem Kopf, eine Zigarette zwischen den Lippen, begab er sich darauf in die Halle und begrüßte die Bekannten, die sich inzwischen vom großen Speisesaal aus hier an den kleinen arabischen Tischchen zusammengefunden hatten: fast alle Herren im Frack oder im Smoking, die Damen in heller Abendtoilette.

Er ging von Gruppe zu Gruppe. Man fragte ihn nach dem Fajum und berichtete ihm von den eigenen Ausflügen, und da und dort mußte er auf einem der tiefen, weichen Fauteuils Platz nehmen. Die Musik spielte, man schlürfte Mokka, überall wurde geschwatzt, geflirtet.

Wie in einer Spirale gelangte er so über mehrere Plauderstationen bis zu Frau von Druhsen, die mit ihrer Gruppe ziemlich die Mitte des großen Raumes einnahm. Er hatte sie bis jetzt erst von weitem begrüßt. Nun küßte er ihr die Hand und machte von ihrer Erlaubnis Gebrauch, neben ihr Platz zu nehmen.

Eine ihm unerklärliche Feigheit hatte ihn bestimmt, diesen Moment so weit als angängig hinauszuschieben. Jetzt, wo er mit ihr im Gespräch war, hatte er aber wieder die Herrschaft über sich.

Er lehnte sich weit im Fauteuil zurück. Auch Frau von Druhsen lag fast mehr, als daß sie saß. Sie hatte es den Amerikanerinnen abgesehen. Sie drehten sich, bevor sie sich niederließen, einmal halb um sich herum, so daß die Röcke unterhalb der Knie sich wie festgeschnürt um die Glieder legten, darauf sanken sie in sanftem Schwung auf die Kissen. Aus dem Spitzengerinnsel der Dessous ragten dann verführerisch die eleganten Schuhe, die den Boden nicht mehr berührten, mit dem im seidenen, durchbrochenen Strumpf steckenden Bein über das Ende der diwanartigen Stühle. Fräulein von Wehl war die einzige Dame, die korrekt aufrecht dasaß; sie hielt es mit ihrer Stellung als Gesellschafterin wohl nicht recht vereinbar, die herausfordernde Stellung einzunehmen: vielleicht vertrug sich's auch nicht mit ihrer sittlichen Auffassung oder mit den bescheidenen Reizen ihrer Dessous.

Succo beobachtete, wie gespannt alle herüberlauschten, um von seiner Unterhaltung mit Frau von Druhsen etwas aufzuschnappen, während sie doch taten, als wären sie selbst in angelegentlichem Gespräch. Die meisten besaßen darin eine bemerkenswerte Gewandtheit. Er selbst war jetzt so ruhig und kalt, als ob er einen Zeugen vernähme.

Frau von Druhsen hatte zuerst etwas Gekränktes in ihrem Ton an den Tag gelegt. Mehr und mehr schwand das. Und da sie feststellte, wie gefaßt der unglückliche Mann über die unglaubliche Verirrung seiner Frau sprach, so verdoppelte sich ihr Eifer, ihm jede, auch die kleinste Handhabe zu geben.

»An Bord konnt' ich's Ihnen ja nicht sagen, Herr von Succo. Da glaubt' ich auch selbst noch nicht daran, daß es wirklich wahr sein könnte. Aber Sie werden sich erinnern: auf der Fahrt von Alexandrien hierher hab ich eine Anspielung gemacht. Und dann auch mehrmals vor Ihrer Abreise ins Fajum.«

O ja, daran hatte sie's nicht fehlen lassen, an Anspielungen.

Aber nun handelte sich's um nackte Tatsachen.

Er wollte alles, alles, alles wissen.

Und so erfuhr er denn auch, was ihm für ein paar Sekunden das Herz stillstehen machte: seine Frau hatte Fritz von Succo sogar hier empfangen!

Der Rosenstrauß war der Bote gewesen, der seinen Besuch ankündigte.

Ja, hier im Hotel, dort an dem Tischchen – wo jetzt die rotblonde Amerikanerin saß, die übrigens von ihren durchbrochenen, seidenen Strümpfen reichlich viel, fast zu viel sehen ließ – dort hatten sie zuerst miteinander gesprochen. Die Baronin hatte sich alles ganz genau schildern lassen. Das Paar war ja überall aufgefallen, man hatte sich doch selbstverständlich allgemein dafür interessiert, vielmehr: darüber gewundert. Es gab also keine Lücke in dem Bericht. Nur auf ihren einsamen Wanderungen hatte man die beiden nicht begleiten können. Frau von Druhsen konnte daher nur über den Moment sprechen, wo sie, von Abu-Roasch kommend, dem Paar bei dem Beduinenlager begegnet war. Im übrigen – die heiße Sandwüste Libyens hatte natürlich keine Zeugen.

Succo fühlte es mit wachsendem Zorn, wachsendem Ekel: es lag so viel Grausamkeit, so viel versteckte Bosheit und Lust am Gemeinen in dieser Darstellung, trotz der moralischen Entrüstung.

›Und ich höre mir das an – ich höre mir das alles so ruhig an, als ob es bloß die Ehe und die Ehre eines andern anginge!‹ sagte er zu sich.

War sie ihm denn schon so gleichgültig geworden? Hatte er sich mit der Tatsache denn schon endgültig abgefunden?

Einer der Hall-Boys stand plötzlich vor ihm: Mr. Succo möchte ans Telephon kommen, man rufe aus Kairo.

Er sprang auf. Flüchtig entschuldigte er sich bei Frau von Druhsen und folgte dem Angestellten. Als er von der Halle in die Telephonzelle eintrat, sah er noch eben, daß Fräulein von Wehl seinen Platz neben der Baronin bereits eingenommen hatte und angelegentlich mit ihr sprach.

Eine sonore Männerstimme klang aus dem Schallrohr: »Hallo, mein Junge. Gustav, bist Du's?«

Kapitän Plaschke war's, sein Schwiegervater.

»Grüß Gott, alter Freund. Heil zurück aus der Wüste? Ihr seid ja wahre Globetrotters geworden. Hör' mal, Jutta ist bei mir, sie will mit dem letzten Zuge nach Gizeh zurück. Ich lasse sie aber nicht weg. Wie wär's, wenn Du nachkämst, wie?«

»Das geht nicht, Papa. Ich bin todmüde hier angelangt.«

»Na, dann sehen wir uns morgen. Ich habe von zehn bis ein Uhr Konferenzen. Aber zum Lunch seid Ihr hier bei mir. – Wie? – Na, höre, liebster Sohn, Du nimmst es uns doch nicht übel?«

»Bewahre. Wenn Jutta vorzieht, über Nacht dort zu bleiben – bitte.«

»Sie ist in meinem Zimmer oben, will mir durchaus auspacken helfen. Soll ich sie rufen?«

»Nicht nötig. Wir sehen uns dann ja morgen früh.«

»Gut. Ich setze sie um neun Uhr ins Hotelautomobil – und zum Frühstück bringt sie Dich im Triumph mit her. Abgemacht? – All right. Auf Wiedersehen, Gustav.«

Von der Sprechzelle aus begab sich Succo nach ein paar zwecklosen Gängen durch die Hotelkorridore und die fast menschenleeren Salons wieder ins Zimmer.

Und hier erfaßte ihn mit einemmal eine fieberhafte Unruhe.

Plötzlich ertappte er sich dabei, wie er Juttas Koffer, ihren Schrank, ihre Handtasche öffnete. Er kam sich jämmerlich vor – aber er konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen.

In der Schublade des Schreibtisches lag ihre Briefmappe. Sie war verschlossen.

Ein paar Sekunden zögerte er. Dann riß er sie auf: das feine, kleine Schloß hing an einem Fetzen des weichen Leders.

Die Briefmappe enthielt einen kurzen Brief an seine Frau. Von Fritz von Succo. Die Einlage, von der darin die Rede war, befand sich nicht dabei.

Er durchkramte noch einmal alles, auch das Toilettenzeug. Die Einlage war nicht zu finden.

Also hatte Jutta sie vernichtet oder mit sich genommen.

In dem durchwühlten Zimmer verlebte Succo eine trostlose Nacht.

Sobald der Morgen graute, machte er sich fertig. Er hielt's in der Einsamkeit nicht länger aus. Eine dicke Schwüle legte sich auf ihn. Alles erinnerte ihn hier an Jutta. Und eine sinnliche Erregung überfiel ihn plötzlich. Zornig stampfte er auf.

Er öffnete die Tür zur Veranda.

Da standen noch die Rosen.

Eine Sekunde lang suchte er den quälenden Verdacht einzulullen. Es konnte doch nicht sein – wie hätte sie ihm wieder ins Auge sehen können … Er preßte die Stirn in die Hände und starrte über die Balustrade hinweg ins Leere.

Betroffen ließ er plötzlich die Hände sinken.

Der schmale Rasenstreifen dicht unterhalb der Veranda war zerstampft. Man sah den Abdruck eines Herrenschuhs.

Wie sofort wieder seine Phantasie arbeitete und ihn marterte!

Das bedeutete ja nichts. Torheit – Torheit. Und doch – hier auf den Fliesen der Veranda setzten sich die Spuren fort: Spuren von gelbem Gartenkies und Erde. Da an der Balustrade war etwas Mörtel abgekratzt.

Er beugte sich über das Geländer und sah sich die Außenwand an.

An dem Schlinggewächs, das die Mauer bekleidete, zeigten sich geknickte Aestchen. Kein Zweifel: da war jemand von draußen eingestiegen.

Er drehte sich hastig um und verfolgte die Spur. Sie war auch noch drinnen auf dem Teppich deutlich wahrzunehmen.

»O pfui, pfui!«

Ganz laut stieß er das aus. Dabei erschrak er über seine eigene Stimme. Und er wußte nicht einmal, ob der Ausruf des Abscheus nicht ihm selber galt. Denn er schämte sich der Rolle, die er nun spielte.

War er nicht wie ein Detektiv?

Dennoch verfolgte er die Spuren noch einmal, ängstlich, mit angehaltenem Atem, während er den kalten Schweiß auf seiner Stirn fühlte.

»Das ist ja zum Wahnsinnigwerden. Das ist ja nicht auszudenken! O, mein Gott – mein Gott!«

Ganz erschöpft ließ er sich dann im Zimmer auf einem Sessel nieder.

Aber die dumpfe Wut seiner Eifersucht duldete ihn hier nicht lange. Wohin er sah – überall sah er Jutta. Und neben ihr den feigen, frechen Räuber seines Glückes, seiner Ehre.

Er zog die Uhr aus der Tasche. Es war noch nicht acht. Vor halb zehn konnte er Jutta kaum erwarten.

Sie kam allein, ohne ihren Vater.

Gut. Sie sollte ihn hier wiederfinden. An dieser Stelle.

Solange wollte er draußen in der Morgenkühle umhergehen, sich sammeln, seine klaren Gedanken zusammenfassen, wieder Herr seiner Nerven werden.

Denn die Stunde dieses Wiedersehens brauchte einen ganzen Mann – sie entschied über sein ferneres Schicksal.

Es war die Lebenswende.


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