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Das achte Kapitel

Die Witwer und die Witwen

Die Begierde, womit heutzutage die Männer sowohl als die Weiber zur zweiten und, wenns Glück gut ist, auch zur dritten Ehe schreiten, bestätigt es, daß es um die Ehe eben so schlecht nicht ist, als man es glauben sollte. Oft kommt es auch daher, weil es eine Schande ist, etwas, und wenn es auch eine Torheit wäre, halb zu begehen. Bei einigen Leuten, die zum dritten-, zum vierten-, auch wohl zum fünftenmal heiraten, ist die Ehe ein Mittel, reich zu werden, geworden. »Vierzig Jahre alt ist sie«, sagen sie, »in drei bis vier Jahren stirbt sie, alsdann ihre Schwester, jede hat dreißigtausend Taler, Facit: sechzigtausend.« Die Weiber machen es nicht besser, und oft heiratet eine Junge einen Alten, um nach dessen Tode in den Armen eines liederlichen Burschen den Sterbetag feiern zu können.

Nach den Gesetzen ist es dem Manne sowohl als der Frau erlaubt, zur anderen Wahl zu schreiten; denn der Tod endigt das Bündnis, und dem zurückgebliebenen Teil bleibt es frei, zu tun, was ihm gut dünkt, es wäre denn, daß darüber vor dem Ableben eine Verabredung getroffen oder testiert wäre. Stirbt der Mann ohne ein solches Testament, so muß die Frau dem Manne zu Ehren die landesüblichen Monate, die sich (wenn sie nicht über neun sind) in der Natur der Sache gründen, einen Flor tragen. Dem Mann aber müßte es freistehen, sich von der Trauerzeit dispensieren zu lassen, weil es bei derselben nur auf sein Herz und sonst auf keine andere Ursache ankommt. Es gibt Gesetze, die einem Weibe sogar ein Recht zur anderen Ehe zusprechen, wenn sie gleich ihrem Mann, ewig Witwe zu bleiben, zugesagt hat: allein warum nimmt sie dann die Güter ihres Mannes? Nicht, weil er sie ihr versprochen hat? Ja, sagt man, es ist ein unnatürliches Versprechen, Witwe zu bleiben; allein ich finde es noch weit unnatürlicher, einer Frau Güter zu lassen, die meinen Namen verleugnet, die die Brillanten von meinem Bilde wegbricht und das Bild auf eine Auktion gibt. Das wäre zwar recht, allein wäre es billig, wäre es anständig?

Bei einem Witwer sind oft Ursachen, warum man ihm die zweite Heirat nicht verdenken kann. zurückgebliebene Kinder, Wirtschaftsangelegenheiten machen ein Weibsbild notwendig in seinem Hause, und da Gelegenheit Diebe macht, so will er lieber nehmen als stehlen. Er bezahlt die Sache, warum sollte er keinen Nutzen davon ziehen?

Halbbrüder und Halbschwestern sind zum Haß gegeneinander geboren. Siehe, dein Erstgeborener weint, da dein zweites Weib dir auch einen Erstgeborenen schenkt, und es ist gewiß, daß diese zwei Jungen zwei Läger machen und in deinem Hause beständig zu Felde ziehen werden. Auf welcher Seite deine Frau ist, versteht sich von selbst, und auf welcher du gegen Abend sein wirst, weiß ich auch. Allein erinnere dich, wie zärtlich du dein verstorbenes Weib umfingst, als dich dein Sohn, der Anfang deiner Kräfte, zum erstenmal Vater nannte. Sie starb als eine Heldin, denn sie starb im Kindbett, nachdem sie vier Schlachten gewonnen und dir, bedenke den Vorzug! vier Söhne errungen hatte. Bedenke, wenn du an eine Zukunft und eine Zusammenkunft der Guten glaubst, daß sie dich nach ihren Kindern fragen wird. Ohne Vorwurf kann es unmöglich abgehen, wenn du in einer besseren Welt deinem ersten Weibe dein Herz berechnest und im Konto eine so unvermutete Post anführst.

Sei indessen wenigstens gerecht, da du leider mehr nicht sein kannst. Wo zweierlei Kinder im Hause sind, gerät selten ein einziges gut. Neid, Verfolgung, Geiz und beinahe alle nur möglichen Laster brüten sich untereinander aus, und deine Kinder werden unvermerkt so weit von der Nächstenliebe abgebracht, daß man zuletzt alle für Stiefgeschwister ansieht. Die Geschichte ist voller Beispiele, daß Stiefmütter, um ihren leiblichen Sohn auf den Thron zu bringen, die größten Grausamkeiten verübt haben, und was ein Thron bei durchlauchtigsten Stiefmüttern ist, das ist eine Meierei bei geringen. Ein Mann muß die Kinder der zweiten Ehe doppelt lieben, erstens als Vater und zweitens, um seiner Frau einen Gefallen zu tun. Hat er drei Frauen gehabt und mit allen dreien Kinder, so pflegen Vater und Stiefmutter die Kinder der ersten Ehe den Kindern der zweiten unendlich vorzuziehen. Der Vater, weil er sie näher kennenlernt und es ihn verdrießt, daß er der zweiten seligen Frau zu Gefallen seinen Kindern erster Ehe ohne Ursache hat hart begegnen müssen; die Stiefmutter, weil sie glaubt, ihr Mann habe die erste Frau mehr als die zweite vergessen, da nichts so geschwind als das Andenken seine Kraft verliert. Indessen bleibt sie auch für die Kinder der ersten Ehe Stiefmutter.

Die Ehen würden unendlich gewinnen, wenn es nur erlaubt wäre, einmal zu heiraten. Sie würden feierlich werden, so wie es der Tod nur darum ist, weil man nur einmal stirbt. Genaugenommen ist die zweite Ehe allemal ein Ehebruch, und zwar ein einfacher, wenn man ein Mädchen, ein zweifacher, wenn man eine Witwe heiratet. Einer Witwe ist nichts anständiger, als daß sie es bis ans Ende ihres Lebens bleibe. Ein Weib, das den Rock auszieht, zieht die Schamhaftigkeit aus, und dieses könnte man insbesondere vom Trauerrock sagen. Hat es nicht einen Mann verloren, und ist dieser Verlust nicht einer ewigen Trauer wert?

Ich würde einer Witwe, welche heiratet, alles absprechen, was sie von ihrem ersten Mann erhalten hat, und sie sollte sehr zufrieden sein, alles aus dem Weg zu räumen, was sie alle Augenblicke an ihre unschickliche Handlung erinnern kann. Die ganze Alte Welt hatte einen Abscheu vor Weibern, die sich zum zweitenmal verheirateten. Heutzutage werden die Witwen oft eher als die Mädchen befördert, obgleich sie billig nicht eher hierzu zugelassen werden sollten, als bis alle Mädchen in der Gegend versorgt wären. Es ist aber leider der Flor, den die Witwen um ihren Mann tragen, schon so durchsichtig, daß er füglich als ein Netz angesehen werden kann, worin der zweite Mann gefangen werden soll. Sie halten es mit ihrer Trauer so wie mit ihren Sechswochen, die sie lang und kurz machen können, so wie es ihre Leibesnahrung und Notdurft bedarf, überhaupt scheint die schwarze Trauer ein ausgehängter Kranz zu sein, um zu beweisen, daß der Wein noch nicht sauer ist: es läßt sich wenigstens dabei der buhlerische Putz anbringen. Notare, Priester und andere Leute, die bei Todesfällen zu tun haben, heiraten daher beinahe beständig Personen in Trauer. Das Herz des Notars schmilzt wie sein Notariallack, und Wohlehrwürden fangen an zu seufzen, statt ihr Trostamt zu beweisen. Ein betrübtes Gesicht beim Frauenzimmer hat schon an sich was Siegreiches, kein Wunder also, wenn es zur Trauer so vortrefflich absticht.

Was ist eine Witwe mehr als eine halbverwischte Malerei, ein umgewendetes Kleid, ein aufgewärmtes Essen, eine Perücke statt eignen Haars, eine Tulpe, die den Schlüssel verloren hat und sich nicht mehr schließen läßt. Der zweite Ehemann kann, ohne ein Prophet zu sein, das Schicksal genau bestimmen, das nach seinem Tode auf ihn wartet. Ein. wenig gutes Herz und. ein wenig gutes Gedächtnis müßten imstande sein, eine Frau bei wahrer Witwengesinnung zu erhalten, und ihre Treue auch dann unüberwindlich zu machen, wenn, keiner unter den Lebendigen ihr deshalb Rechnung abnimmt. Religion und Einbildungskraft müssen diese Gesinnungen verstärken, und es bedarf keiner Urne und. keiner Mumie, um bei einer Witwe den verstorbenen Mann unsterblich zu. machen. »Wo mein König ist, da ist mein Königreich«, sagte Isabella, die Gemahlin des aus Dänemark vertriebenen Königs Christian, als man es ihr freiließ, im Lande zu bleiben,, das ihr ohne ihren Gemahl, kein Land mehr war. Und die indischen Weiber waren stolz auf die Ehre, mit ihren Männern verbrannt zu werden.

Der einzige Zweifel, der diesem Kapitel gefährlich werden könnte, ist von unseren Gesetzen hergenommen. Allein wer nicht mehr tut, als die Gesetze halten, hat wirklich sehr wenig getan. Wer die Gesetze des Landes hält, ist ein Bürger; wer die Natur beachtet, ist ein Mensch; wer mehr tut, ist ein Mensch im erhabenen Verstände, so wie derjenige ein Held ist, der sich selbst überwindet.


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