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Das zweite Kapitel

Der Endzweck der Ehe

Eine akademische Vorlesung

Die wenigsten jungen Leute auf Akademien, meine Herren, wissen, was sie bloß lernen. Sie lernen Gedanken, allein sie lernen nicht denken; sie lernen Philosophie, allein nicht philosophieren; sie lernen die Gesetze, allein nicht das Recht. Was ich also oft gebeten habe, das bitte ich, weil wir heute so schönes Wetter haben, wiederholentlich: meine Vorlesungen nämlich nicht als ein Urbild des Urteils anzusehen, sondern als eine Veranlassung zum Urteilen. Ich will keinen allgemeinen Maßstab einführen, sondern es brauche jeder den seinigen.

Was nun den Mittelpunkt der gegenwärtigen Stunde anbetrifft, so sind wir noch immer beim Heiraten, insbesondere bei der Frage: was ist der Endzweck der Ehe? Dabei wollen wir zuvörderst erörtern, was der Endzweck der Ehe nicht ist. Ich kann nicht leugnen, daß ein Mensch, der heiratet, um Kinder zu zeugen und zu erziehen, wenn eins der Eheleute untauglich ist, die Befugnis haben muß, die eingegangene Ehe für ungültig anzusehen. Untüchtigkeit scheidet, sagt man, und Sie, meine Herren, wissen so gut wie ich, was das Wort Untüchtigkeit in diesem Sinne meint: die Untüchtigkeit, Kinder zu zeugen und Kinder zu gebären nämlich. Wenn indessen jene Untüchtigkeit nicht gleich zu Anfang der Ehe vorhanden gewesen, sondern während der Ehe entstanden ist, so gehört sie in den Mantelsack, den christliche Eheleute bis an ihr, gebs Gott, seliges Ende tragen müssen. Was denken aber meine Herren, wenn sie sich ein Paar Eheleute vorstellen, die den Beweis und Gegenbeweis ihrer guten Eigenschaften geführt haben und dennoch keine Kinder zeugen können? Aus welchem Gesichtspunkt wollen sie wohl dieser Ehe ihre Gültigkeit geben? Unterstehen sie sich, selbige für nichtig zu erklären? Soll man in die Lehre gehen und nicht eher, als bis ein Meisterstück vorhanden ist, die Zunft gewinnen oder, wenn das Meisterstück mißlingt, wieder abziehen? Soll man erst mieten, ehe man kauft, und, wenn das Haus uns nicht ansteht, seinen Stab weitersetzen? Nein, meine Herren, das läßt sich in einem gesitteten Staat nicht machen. Kurz und gut, es muß Ehen geben, ohne daß Kinder erzeugt und mithin auch: ohne daß welche erzogen werden. Denn das sehen meine Herren wohl von selbst ein, daß, wenn nicht Kinder vorhanden sind, auch Kinder nicht erzogen werden müssen und können. Und was dünkt Ihnen von den regierenden Herren, welche in den Jahren, da sie noch nicht Kinder zeugen können, heiraten? Sollte deshalb ihre Ehe ungültig sein?

»Es ist«, sagte mir Herr ... (Ha! bald hätte ich ihn genannt, und meine Herren hätten einen Mann in schwarzem Kleide kennengelernt, der sich gestern die vierte Frau hat antrauen lassen.) »Es ist besser zu freien, als Brunst zu leiden«, sagte er, »und die Auslöschung dieses Feuers muß der Endzweck der Ehe sein. Ohne ein gewissen ... hm. Ohne ein gewisses ... können keine Kinder erzeugt werden. Ich rede aus Erfahrung, denn ich habe sechzehn Kinder am Leben, und sechzehn sind bei Gott.«

Genug! Man muß die Leute nicht mehr reden lassen, als man beantworten kann. Diese gelehrte Notwehr ist die Notwehr von allen gelehrten Disputen. Die Antwort für den Mann ist aber: was als Mittel gilt, kann als Endzweck verboten sein.

Unser Gegner schweigt. Und wer schweigt, wo er hätte reden können, willigt ein.

Das war also mein erster Teil, nämlich: was der Endzweck der Ehe nicht ist. Was ist denn aber der Endzweck der Ehe? Ich will es kurz machen, weil es schon spät ist. Ich glaube, daß der Endzweck der Ehe die vollkommenste Lebensvereinigung ist. (In einer Parenthese, meiner Lieblingsinterpunktion, muß ich anzeigen, daß ich dasjenige, was ich glaube, noch nicht für gewiß halte. Was die Gelehrten gewiß wissen, hat auf einem halben Bogen Raum, was sie aber glauben, das können viele Kamele nicht tragen.) Vollkommenste Lebensvereinigung habe ich also gesagt, allein warum soll ichs Ihnen verhehlen, daß der Philosoph dawider viel einwenden würde, weil dieser Begriff zu viel Poesie in sich schließt. Die Natur, meine Herren, ist der Positiv; die Philosophie und alle dahin einschlagenden Wissenschaften der Komperativ; die Poesie mit An- und Zubehör aber ist der Superlativ. Die Poesie ist die wahre Algebra, welches wir durch große Erfindungen in der Philosophie nachweisen könnten. Der poetische Kopf wird von der Imagination auf Dinge gebracht, und der philosophische rechnet das Exempel noch einmal über und macht die Probe dazu.

Vollkommenste Lebensvereinigung, sagte ich –: wer hierzu Kinderzeugen rechnet, der rechne es. Wer andere Grenzen annimmt, der nehme sie an. Dieser Begriff ist so voller Toleranz, daß jeder dabei seine freie Eheübung exerzieren kann. Sobald indessen ein Paar Eheleute zusammentreten, so muß es von ihnen abhängen, wie sie diese vollkommenste Lebensvereinigung im voraus bestimmen oder erklären wollen. Nicht der Beischlaf begründet die Ehe, sondern die eheliche Zuneigung, heißt es im Gesetzbuch, und an anderer Stelle: Nicht die Defloration, sondern das Verlöbnis des Ehepartners begründet eine Ehe. Es kann also Zeugung von Nachkommen nicht die Hauptsache sein. Mit einem Wort: es gibt Seelen- und Körperehen, wovon eine jede besonders, so wie beide vereinigt eine förmliche Ehe ausmachen. Ich habe in einem Rechtsgutachten handgreiflich bewiesen, daß auch Verschnittene heiraten können. Es kommt alles auf die Bedingungen an, und einem, der es so will, geschieht kein Unrecht. Ist indessen nichts vor der Ehe verabredet, so müßte die Ehe und die damit verbundene teure Pflicht im allerweitesten Sinne interpretiert werden. Soviel ist gewiß, daß die Ärzte auf diese Art bei Ehewerbungen beinahe mehr als die Juristen gebraucht werden dürften. Indessen heißt es auch hier: leben und leben lassen.

Zum Beschluß will ich noch die sehr kritische Frage: wie oft? mitnehmen. Die Frage ist von einer solchen Wichtigkeit, daß ich mich kaum der Wehmut dabei enthalten kann. Wie oft also? Ehe der Ackersmann nicht überzeugt ist, daß seine Saat aufgeht, wird er nicht säen, und wenn ich mein Feld nur einmal des Jahres nutze, habe ich keine Ursache, es zweimal zu bearbeiten. Die Weiber sollten, um hierdurch ihre Männer beständig verliebt zu erhalten, dieses Vergnügen solange als möglich aussetzen. Indessen ist es eine gewöhnliche Sache, daß das Gegenwärtige und das Zukünftige ein sehr ungleiches Paar sind und das Gegenwärtige, sobald es zum Streit kommt, den Sieg erhält. Eine lebhafte Empfindung unterdrückt eine schwächere. Rechnen Sie, meine Herren, diesen Satz durch alle fünf Spezies der Sinne durch: Sie werden ihn richtig finden. Wer Hunger hat, ißt, wer müde ist, schläft, und nur der gemeine Mann fühlt die Glückseligkeit, daß es alle acht Tage einen Ruhetag gibt. Unser aller Trost ist, daß die Werke der Liebe und der Not auch am Sonntag erlaubt sind. Wenn indessen darüber gestritten werden sollte, ob der Ehemann zu sparsam wäre, so müßte es ihn vor allen Gerichten schützen, daß er wie ein Ackersmann verfahren ist.

Um der aufgeworfenen Frage näherzukommen, will ich diese Ermahnungsrede abbrechen und bemerken, daß von Weisen und Toren durch Gesetze und durch Ratschläge eine bestimmte Zahl festgesetzt worden ist. Indessen ist es mir allemal sehr erwecklich gewesen, daß die Gelehrten, nach dem Talmud, nur alle zwei oder drei Jahre die Hochzeitsnacht wiederholen dürfen. Akademisten verdienen diesen Rahmen mehr als andere, weil sie nicht nur gelehrt sind, sondern auch andere gelehrt machen. Gegen kleine Honorare geben sie ihren Schülern, so wie die Erde dem Mond, vierzehnmal mehr Licht, als sie erhalten. Schließlich bitte ich meine hochgeehrten Herren, sich nicht fernerhin mit Abendmusiken, meiner Frau zu Ehren, in Kosten zu setzen.


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