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Erste Liebe

(1911)

I

Sie müssen heute sehr Nachsicht mit mir haben, lieber Freund, sagte die Professorin. Ich bin nicht unwohl, aber zerstreut und betrübt, und meine Gedanken schweifen in der Vergangenheit, so daß Sie die Kosten der Unterhaltung allein tragen müssen. Ich habe heute Nachmittag Abschied genommen von einer alten Freundin, die die Nacht wohl nicht überleben wird. Viel zu sagen hatten wir uns nicht mehr. Wenn man dreißig Jahre mit einander alt geworden ist, hat man sich das Beste schon gesagt. Sie war nur eine einfache Näherin, die bei mir arbeitete, hatte nur die Bildung der Volksschule, aber einen hellen natürlichen Verstand, mit dem sie allen Menschen und Verhältnissen auf den Grund sah, und dazu ein Herz von Gold. Alles, was ich zu erleben hatte, konnte ich mit ihr aussprechen, und wenn es manchmal etwas verworren war, zog sie mit leiser Hand die Fäden auseinander. Vor fünf Jahren befiel sie eine seltsame Schwäche, so daß sie die Nadel nicht mehr führen konnte, dazu trübten sich ihre Augen. Ich brachte sie in einem Spital unter, wo sie eine eigene Kammer hatte und auch sonst gut versorgt war. Da beschäftigte sie sich mit Spinnen und pflegte ein wenig die andern alten Weibchen, die noch gebrechlicher waren als sie, und es war immer ein Fest, wenn ich sie besuchte, auch für mich. Denn noch immer hatte sie die Gabe, mich zu erheitern, und klagte nie oder hatte besondere Wünsche, und an ihrem Gottvertrauen stärkte und erbaute ich mich mehr, als an mancher Predigt. Seit ein paar Wochen ist ihr Zustand bedenklicher geworden, sie konnte das Bett nicht verlassen, und jetzt geht es rasch zu Ende. Ich weiß ja, lieber Freund, wie Sie über die Hoffnung auf ein Jenseits denken, und auch mir ist sie zweifelhaft geworden. Aber wenn Sie das verklärte Gesicht meiner alten Christine gesehen hätten, würden Sie zugeben, daß es frevelhaft wäre, Ihre philosophische Überzeugung dem Volke einpflanzen zu wollen, als Ersatz für den Trost, den Sie ihm damit nähmen.

Sie thun mir sehr Unrecht, meine liebe Freundin, versetzte der alte Herr. Ich wäre ein schlechter Arzt, wenn ich der leidenden Menschheit irgend ein geistiges oder leibliches Linderungsmittel ihres Schicksals mißgönnen möchte. Unter Allem, was als Quietiv für die Krankheit dienen kann, die wir Leben nennen, giebt es ja kein wirksameres, als die Religion. Keine Aufklärung und sogenannte wissenschaftliche Erkenntniß wird sie entbehrlich machen, notabene Denen, die zum Erkennen des überhaupt Erkennbaren die geistige Kraft und Bildung und zum Ertragen desselben den Muth und die Resignation nicht haben. Die meisten Menschen bleiben ja zeitlebens Kinder, die man mit Märchen in den Schlaf lullt. Nur sollte man solche Märchen ausschließen, die das arme beschränkte Gehirn ängstigen, wie das vom Oger, der die kleinen Kinder frißt, was so ungefähr auf die Hölle hinausläuft, und womit Diejenigen drohen, deren Interesse es ist, das Volk unmündig zu erhalten. Wenn man nur immer die Grenze genau ziehen könnte zwischen heilsamem Glauben und unheilvollem Aberglauben! Aber Sie sind heut nicht zum Plaudern aufgelegt. Es ist besser, ich sage Ihnen gute Nacht.

Nein, rief die kleine Frau, ich lasse Sie nicht fort, wenigstens nicht ehe Sie eine Tasse Thee bekommen haben. Ich meinte nur, daß Sie sehr mit mir vorlieb nehmen müßten; aber wenn Sie mir eine halbe Stunde schenken wollen – Sie wissen, wie mir schon Ihre bloße Gegenwart wohlthut. Kommen Sie, setzen Sie sich neben mich, zünden Sie Ihre Zigarre an, der Rauch ist für mich auch ein Quietiv. Wie oft hat mein lieber Mann meine Nerven damit beruhigt! Und nun erzählen Sie mir was, Sie haben ja gewiß eine Menge der merkwürdigsten Romane erlebt, wenigstens als Zuschauer – oder doch auch mitbetheiligt? fragte sie mit einem feinen Lächeln.

Gewiß, liebe Frau Julie, versetzte er, zum Glück jedoch nur sehr selten im letzteren Falle. Daß es nicht häufiger geschah, dankte ich nächst meinem Beruf, der mir nicht viel Zeit ließ zu Herzensabenteuern, meiner frühen Verheirathung mit einer Frau, die ich sehr liebte. Aber wenn ich Ihnen etwas erzählen soll, was allerdings nach einem kleinen Roman aussieht – ich spiele nur leider keine glänzende Rolle darin –

Bitte, erzählen Sie! Ich weiß trotz unsrer alten Freundschaft noch immer so wenig von Ihrem Leben. Nicht einmal, wie Sie und Ihre liebe Frau sich gefunden haben.

Sehr einfach: sie kam, sah und siegte. Aber auch eh ich sie kennen lernte, passierte mir's einmal, daß ich's an mir erfuhr, was ich bisher für eine Fabel gehalten hatte, daß der Blitz aus einem schwarzen Augenpaar in eine unbewachte arme Seele einschlagen und sie lichterloh in Brand setzen kann.

*

Wie Sie wissen, habe ich meine Doktorwürde in Leipzig erlangt, bin dann aber nach Dresden gegangen, wo ich einen Onkel hatte, und zu dem Geheimrath von Bürger, dem großen Kliniker, gekommen, der mich schon ein Jahr darauf zu seinem Assistenten machte. Er war der angesehenste Arzt und auch wegen seiner menschlichen Eigenschaften sehr geachtet und geliebt. Da er mich besonders in Affection genommen hatte, hätte es nur an mir gelegen, auch gesellschaftlich in die besten Familien eingeführt zu werden. Ich war aber ungesellig und ging all solchen Versuchungen aus dem Wege. Meine dürftige Jugend war in Arbeit und Entbehrungen vergangen, in Gesellschaft von Frauen, in die ich selten kam, fühlte ich mich verlegen, und so verbrachte ich meine Abende meist über den Büchern oder in einem bescheidenen Gasthause mit ein paar Freunden.

Einer von ihnen beredete mich indessen, einmal meine Menschenscheu zu überwinden und mit ihm den Maskenball zu besuchen, der damals im Carneval im Hoftheater stattfand. Ein wenig Neugier, wie es da zugehen möchte, fühlte ich doch auch, und da ich das Ganze ja nur wie ein Schauspiel betrachten konnte, brauchte ich mich vor meiner gesellschaftlichen Unerfahrenheit nicht zu fürchten.

Daß wir zu Dreien waren – mein College hatte noch eine Freundin mitgebracht – erleichterte mir die Sache noch mehr. Ich überließ die Beiden bald sich selbst und ihrem Tanzvergnügen und wand mich in meinem Domino einsam durch das bunte Gewimmel, all diese phantastischen Figuren wie die wechselnden Bilder eines riesengroßen Kaleidoskops betrachtend, doch ohne einen besonderen Reiz, geschweige Herzensantheil zu spüren. Allerlei hübsche, lustige oder pikante Gesichter fesselten mich einen Augenblick, huschten aber vorüber, eh ich auch nur die Farbe ihrer Augen unterscheiden konnte. Auch waren die Meisten maskiert.

Mein College, der mich mit meiner Weiberfeindschaft zu necken pflegte, hatte mir geweissagt, heut oder nie würde ich mein Herz verlieren. Ich fing an, die Hoffnung aufzugeben, daß sich in diesem Muskel je etwas regen würde, was ein erfahrener Diagnostiker als Liebe oder auch nur Verliebtheit bezeichnen könnte.

Da kam, als ich mich eben umsah, wo ich nach dem Büffet gelangen könnte, ein ausfallendes Paar gerade auf mich zu, eine ältere Dame mit schon angegrautem Haar unter der Kapuze ihres blauen Dominos, neben ihr eine kleinere, sehr schlanke und geschmeidige Gestalt in dem reizenden Kostüm einer spanischen Zigeunerin, die schwarzseidene Mantilla über dem goldblonden Haar, das blauseidene Röckchen kaum bis zu den Knöcheln reichend, mit Spitzen und goldenem Flitter übersät. Sie trug eine Halbmaske, unter der man ihren rothen Mund mit blendend weißen Zähnen lächeln sah, während die Augen durch die Schlitze in dem schwarzen Tafft Blitze versprühten. Unwillkürlich öffnete sich das Gewühl, als sie sich näherte, und Einige, die sie erkennen mochten, drängten sich heran, ihr ein paar Worte zuzuflüstern, auf die sie witzig zu antworten schien, da die Angeredeten lachten und das Geplänkel fortsetzten. Allzu Dreiste schob sie zurück, indem sie ihr Tamburin erhob und die Glöckchen daran schüttelte. Als sie mich erblickte, der wie entgeistert sie anstarrte, trat sie dicht an mich heran und sagte rasch und leise: Soll ich dir die Wahrheit sagen, die gute Wahrheit, die schöne Wahrheit?

Ohne Weiteres, da ich von dem weichen Klang ihrer Stimme wie verzaubert schwieg und ihr nur die Hand hinhielt, griff sie danach, betrachtete die Linien darin aufmerksam und sagte dann: Wage nur und du wirst gewinnen! Aber hüte dich vor Schlangen!

Dann bewegte sie das Tamburin gegen mich, nickte mir zu und verschwand in der Menge, die sich hinter ihr schloß.

*

In diesem Augenblick fanden sich meine Begleiter wieder zu mir. Wer sind diese Damen? fragte ich hastig. Der Kopf taumelte mir, wie wenn ich ein unerhörtes Glück erlebt hätte. Mein Freund aber kannte sie nicht, er war selbst erst seit Jahr und Tag in Dresden. Er wollte mich festhalten, ich machte mich aber ziemlich unhöflich von ihm los und folgte besinnungslos der mir Entschwundenen.

Es war aber nicht schwer, sie wiederzufinden.

Bald entdeckte ich sie tanzend am Arm eines jungen Hidalgo, mit dem sie bekannt zu sein schien. Man hatte einen Kreis um das schöne Paar gebildet, in dem ich allerlei Laute der Bewunderung hörte. Auch war die wilde Anmuth ihrer Bewegungen so eigenartig, wie ich es nie von einer Ballettänzerin gesehen hatte, während die ältere Dame, offenbar ihre Mutter, still an der Seite stand und sich an dem Erfolg ihres Kindes weidete.

Als sie zu tanzen aufhörte und der junge Mann sie zu der Mama zurückführte, klatschten alle Zuschauer Beifall, was sie mit einem gnädigen Neigen des kleinen Kopfes hinnahm. Dann verloren sie sich tiefer in den Saal hinein.

Nun erfuhr ich auch ihren Namen.

Es war eine reiche Gutsbesitzerin, die zu Anfang des Winters von ihrem nahgelegenen Landsitz in die Stadt gekommen war, um ihre Tochter in die Gesellschaft einzuführen. Das achtzehnjährige schöne Mädchen habe auch in den Hofkreisen Aufsehen gemacht und durch seine Liebenswürdigkeit sofort viele Bewerber angezogen, ohne doch einen zu bevorzugen. Auch die Mutter werde sehr verehrt, und ihr Besitz spiele natürlich auch eine Rolle bei ihrer Beliebtheit.

Ich hörte das Alles nur mit halbem Ohr, da ich nur darauf brannte, sie wiederzusehen. Zum Glück ging es auf Mitternacht. Als ich in den Saal trat, wo soupiert wurde, waren eben die Masken gefallen. Ich sah Mutter und Tochter mit einigen Bekannten an einem runden Tische sitzen und sie – mit freiem Gesicht, noch schöner, als meine Phantasie mir ihre Züge vorgemalt hatte. Ich denke, liebe Freundin, Sie erlassen mir jede Schilderung. Dergleichen glückt nicht einmal einem gelernten Dichter. Kurz, es war das reizendste Mädchenbild, das Sie sich vorstellen können, übermüthig, sinnig, naiv und fröhlich – Alles, was sich sonst nur selten zusammenfindet.

Wäre ich nicht ein so unbeholfener Geselle gewesen, so hätte ich unter dem Schutz der Faschingsfreiheit zu der kleinen Gesellschaft herantreten und fragen können, ob man mir gestatte, mich mit an den Tisch zu setzen. Da die Senorita Gitana so gütig gewesen, mir zu weissagen, dürfte ich Sie vielleicht auch um einen kleinen Commentar ihrer Warnung vor Schlangen bitten, oder dergleichen. Aber wie gesagt, ich brachte nichts Munteres hervor, sondern begnügte mich, von einem nahen Platz aus, zu dem auch das andere Paar sich hingefunden hatte, meine Schöne mit den Augen zu verschlingen, während ihr Tänzer von vorhin sich bemühte, sie möglichst witzig zu unterhalten.

In dieser ersten Stunde lernte ich alle Qualen des Neides und der Eifersucht kennen. Ganz versteinert war also der berühmte Muskel in meiner linken Brustseite doch nicht.

Nun, die schmerzliche Wonne dieser Nacht endete, wie alles Irdische. Ich konnte aber noch lange den Weg nach meiner Wohnung nicht finden, so scharf der Februarwind durch die Straßen fegte, und daß ich am nächsten Tage immer die richtigen Recepte schrieb, möchte ich bezweifeln.

Daß dies Erlebniß eine Fortsetzung haben könnte, hielt ich nicht für möglich, ja ich wünschte es nicht einmal. Was sollte aus mir werden, wenn ich sie wiedersah und der Pfeil mir immer tiefer ins Herz gedrückt wurde! Zum Glück war auch nicht die geringste Aussicht dazu. Der Fasching ging zu Ende, einen öffentlichen Ball zu vermeiden nahm ich mir bestimmt vor, und in den wenigen Privathäusern, die ich zuweilen besuchte, wurde nicht getanzt. Also resolvierte ich mich, das ganze Ereigniß nur wie einen glänzenden Traum zu betrachten und meinen nüchternen Berufsweg mit einem stillen Seufzer fortzutrotten.

Ganz so sollte es aber doch nicht kommen.

Als ich eines Morgens mich wie gewöhnlich bei meinem Geheimrath meldete, etwaige Instructionen zu empfangen, fand ich ihn im Bett, mit einer nicht unbedeutenden Grippe, die er sich gestern im rauhen Winde zugezogen hatte.

Sie müssen mich heute vertreten, lieber Freund, sagte er. Ich hoffe, meine alten Mittel werden bald wieder ihre Schuldigkeit thun. Viel liegt zum Glück nicht vor – er nannte mir die Häuser, in denen ich ihn entschuldigen sollte –, doch da hat heute früh noch eine Frau von Dornburg nach mir geschickt, deren Tochter unwohl geworden sei – ich kenne die Dame nicht, sie soll vom Lande hereingekommen sein, sehn Sie doch einmal nach, es ist hoffentlich nur ein bischen Carnevalsnachweh und leicht zu kurieren. Sie berichten mir dann, lieber Doktor! Adieu. Ich will zu schwitzen suchen.

Frau von Dornburg! Sollte das Schicksal mich wirklich noch zu »neuen Freuden, neuen Schmerzen« ausersehen haben? Ich war so bestürzt, daß ich mich eilig verabschiedete, um mein Herzklopfen draußen sich beruhigen zu lassen.

*

Als ich an der Wohnung der Damen klingelte, erschien eine alte Dienerin, die mir meine Karte abnahm und gleich darauf mich zu ihrer Herrin führte.

Die Mutter kam mir mit einem Gesicht entgegen, auf dem sich eine lebhafte Unruhe und zugleich eine Enttäuschung spiegelte. Statt des berühmten alten Arztes, den sie erwartet hatte, stand ihr ein so junger Mann – ich war noch nicht vierundzwanzig – gegenüber. Da ich aber sagte, der Geheimrath sei ans Bett gefesselt und habe mich, seinen Assistenten, geschickt, zunächst zu erfahren, um was sich's handle, faßte sie Vertrauen zu mir und erzählte, während ihre Augen sich feuchteten, ihre Tochter mache ihr seit einer Woche große Sorge. Ihr sonst so heiteres Wesen sei plötzlich völlig verwandelt worden, eine rätselhafte Schwermuth habe sie befallen ohne jeden erkennbaren Grund, gegen die eigene Mutter, der sie sonst immer die zärtlichste Tochter gewesen, habe sie sich stumm und fremd gezeigt, und da sie kaum noch Nahrung zu sich genommen und die Nächte fast ganz schlaflos zugebracht, auch darauf bestanden habe, nicht mehr das Schlafzimmer mit ihr zu theilen, angeblich um sie nicht zu stören, konnte die Mutter die Angst nicht länger ertragen, ohne einen Arzt zu consultieren.

Auf einige Fragen, ob sich keine körperlichen Symptome irgend welcher Art gezeigt hätten, wurde mir erwiedert, das sonstige Befinden sei ganz normal; die Ursache dieser seltsamen Erscheinungen müsse eine rein nervöse oder seelische sein, obwohl der äußere Anlaß sich allen Vermuthungen entziehe.

Ich bat, mich zu der Kranken zu führen, und betrat das Zimmer in lebhafter Erregung. Man hatte das Bett der Tochter hineingetragen, sie lag aber angekleidet auf einer Chaiselongue, in einem weißen Morgenkleide, das blonde Haar lose aufgesteckt, völlig ungleich dem Bilde, das ich an jenem Theaterabend von ihr empfangen hatte, so daß ich sie auf den ersten Blick nicht wieder erkannt hätte. Ihre Züge erschienen schärfer, der volle rothe Mund blaß und leidvoll gepreßt, in den schwarzen Augen flackerte eine fieberhafte Unruhe.

Als ich neben der Mutter über die Schwelle trat, fuhr sie jäh in die Höhe, über ihr Gesicht flog eine dunkle Röthe und ein unwilliger Blick zu der Mutter hin. Gleich darauf sank sie wieder zurück und verharrte nun regungslos in dieser Lage, die Augen vor sich hin ins Leere gerichtet.

Ich entschuldigte mich, daß ich statt des alten Arztes käme, der zunächst nur wissen wolle, worüber sie zu klagen habe. Sie klage über Nichts, sie sei ganz gesund und wünsche nur, daß man sie sich selbst überlasse. Jedenfalls, sagt' ich, sei die Schlaflosigkeit und daß sie die Eßlust verloren, nicht normal und dürfe nicht andauern, wenn es nicht zu wirklicher Krankheit führen sollte. Sie sei es ihrer Mutter doch schuldig, für Schlaf zu sorgen, mit den einfachen Mitteln, die ich ihr verschreiben würde, und wenigstens Milch zu sich zu nehmen, wenn sie gegen andere Nahrung einen Widerwillen habe.

Als ich den Namen ihrer Mutter nannte, sah ich, daß ihr schlanker Leib leicht zuckte und sie sich ein wenig abwandte. Machen Sie, was Sie wollen, erwiederte sie kaum hörbar. Dann griff sie wieder nach einem Büchlein, worin sie gelesen hatte, als wir eintraten. Es war schwarz eingebunden, auf dem Deckel ein goldnes Kreuz.

Ich sagte, ich würde mir erlauben, morgen nachzusehen, ob sie geschlafen habe, und empfahl mich, ohne mehr als ein leichtes Nicken zum Abschied zu erhalten. Vorher hatte ich noch den Puls gefühlt, der etwas unruhig, aber nicht fieberhaft war. Auch das bestätigte meine Diagnose, daß irgend eine seelische Erschütterung stattgefunden haben müsse, die eine so jähe Verwandlung hervorgebracht habe.

Als ich mit der Mutter allein war, beruhigte ich sie, so viel ich konnte, und vertröstete sie auf die Wirkung des Brom für die nächste Nacht. Das Fräulein habe vielleicht zu viel getanzt, ein Rückschlag auf ihre zarten Nerven sei die Folge gewesen – und was ich an sonstiger grüner Weisheit vorbrachte. Ich ging dann, selbst sehr unruhig, und zugleich noch mehr unter dem Zauber dieses wundersamen Mädchens, als vorher, da sie in ihrem traumhaften Zustand mir noch anziehender erschienen war.

Meinen Geheimrath fand ich in einem ziemlich hohen Fieber, er hörte meinen Bericht ohne sonderliches Interesse und sagte kurz: Es ist gut; Sie werden das Nöthige schon besorgen. So lag also auf mir die volle Verantwortung.

*

Mit Ungeduld erwartete ich den nächsten Morgen.

Die Mutter empfing mich etwas ruhiger, mein Schlafmittel habe gewirkt, wenigstens ein paar Stunden gegen Morgen, was sie selbst beobachtet habe, da die Sorge sie um allen Schlaf gebracht. Sie bestärke sich mehr und mehr in dem Glauben, es müsse eine Gemüthsverstörung sein, irgend ein plötzlich in ihr aufgestiegener Schreckensgedanke, über den sie nicht Herr werden könne.

Ich bat die gute Frau, mich mit der Kranken allein zu lassen. Nur so könne ich vielleicht hoffen, hinter das Geheimniß zu kommen, was sie auch begriff. Als ich dann eintrat und fragte, wie sie sich fühle: besser, sagte sie und grüßte mich mit einem stillen Blick, nicht mehr abweisend, wie gestern. Dann richtete sie sich auf ihrem Ruhebett vollständig aus, strich sich das reiche Haar aus der blassen Stirn und sagte halblaut, nach der Thür des Nebenzimmers blickend, hinter der sie die Mutter wußte: Ich möchte mit Ihnen sprechen, Herr Doktor. Ich habe großes Zutrauen zu Ihnen, und Sie können mir einen Dienst erweisen, den ich Ihnen ewig danken werde. Es ist nicht das erste Mal, daß ich Sie sehe. Schon auf dem Ballabend im Theater fielen Sie mir auf durch Ihre ernste Miene unter all den lustigen jungen Leuten. Damals dachte ich nicht, daß ich Ihnen je etwas so Ernstes würde mitzutheilen haben. Nur müssen Sie mir erst Eins versprechen: daß Sie keinem Menschen verrathen wollen, was ich Ihnen jetzt sagen werde, am wenigsten meiner Mutter. Wollen Sie das?

Ich betheuerte, daß ich schweigen würde, wie das Grab. Schon als Arzt sei ich zu tiefster Discretion verpflichtet.

Es ist aber nichts Ärztliches, sagte sie mit einem müden, schmerzlichen Lächeln. Ich bin ja nicht krank, nur unglücklich. Wollen Sie mir's also geloben, so wahr Sie selig werden wollen?

Ich reichte ihr die Hand, die sie leise drückte. Dann, sichtbar mit einem schweren Entschlusse: Ich habe keinen Freund, Niemand, der mir rathen und helfen könnte. Und doch – es ist unmöglich, daß ich so fortlebe. Ich gehöre nicht mehr in die Welt, mir graut davor, in welche entsetzliche Gefahr ich beinah gerathen wäre, doch sein Leben selbst zu enden, ist eine Todsünde. Also bleibt nur nur Ein Ausweg: eine Zuflucht zu suchen, in der ich mein unseliges Schicksal bis ans Ende tragen kann, ohne jede Anfechtung, ich meine – in ein Kloster einzutreten.

Das hatte sie mit fast erlöschender Stimme herausgebracht, während ihre Augen sich langsam schlossen. Und dieselben Augen hatten an jenem Abend von Lebensluft und Übermuth geglänzt, und der Mund, der so trostlose Worte sprach, in heller Wonne gelacht! Ich fuhr unwillkürlich vom Sessel auf und starrte sie sprachlos an.

Sie nickte traurig vor sich hin.

Ich wußte, daß es Ihnen unbegreiflich scheinen würde, und darf Ihnen doch nicht sagen, was Ihnen allein Alles erklären könnte. Wenn Sie es gut mit mir meinen, dringen Sie nicht weiter in mich, sondern helfen Sie mir, meinen Entschluß auszuführen. Ich weiß nicht, was dazu nöthig ist, an wen man sich wenden muß und welche Prüfungen man etwa zu bestehen hat. Hier habe ich auch keinen Beichtvater, der mich kennt, wie der Pfarrer in unsrer Dorfkirche, kenne kein Kloster, und was ich von Ihnen bitte, ist nur, daß Sie wegen all dieser Dinge sich erkundigen möchten. Wie dankbar ich Ihnen sein würde –

Ihre Stimme zitterte, der Ausdruck ihres Gesichts blieb aber der einer festen Entschlossenheit.

Ich war in der peinlichsten Bestürzung. Wie sollte ich dem geliebten Mädchen irgend Etwas versagen, um das sie bat? Und doch – wie konnte ich ihr Etwas gewähren, was über ihr ganzes Leben entschied, ohne daß ich auch nur ihre Motive verstand?

Mein theures Fräulein, sagt' ich endlich, ich bin Ihnen innig dankbar für das große Vertrauen, das Sie mir schenken wie einem alten Freunde, aber ich würde es nicht verdienen, wenn ich blindlings Ihren Wunsch erfüllte, den ich nicht begreifen kann. Ich habe Sie zuerst gesehen, da die höchste Lebensfreude Sie zu beseelen schien. Wie soll ich es fassen, daß so kurze Tage später Ihnen das Leben so verleidet worden ist, um sich von der Welt für immer abzuwenden? Was kann so Furchtbares inzwischen geschehen sein, das auf einmal den Anblick der Menschen Ihnen verhaßt, selbst den Ihrer vortrefflichen Mutter, die Sie so zärtlich liebt, Ihnen unerträglich gemacht hat? Und wie soll ich mich vermessen, hinter dem Rücken dieser Ihrer besten Freundin und natürlichsten Beschützerin an einem Unternehmen mitzuwirken, das Sie für immer von ihr trennen würde? Ein Verbrechen freilich, das nur durch eine lebenslange Buße zu sühnen wäre, eine Schuld, die Sie aus dem Kreise aller guten Menschen ausstieße, könnte einen solchen Entschluß erklären. Aber Sie – wie sollten Sie –

Man kann auch büßen für die Schuld einer Andern, unterbrach sie mich und ihre Augen irrten düster am Boden. Beten wir nicht für die abgeschiedenen Seelen, um sie aus dem Fegefeuer zu erlösen? Und ist es nicht eine Gott noch wohlgefälligere Handlung, die Sühne für die Schuld Anderer, die noch leben und ein Anrecht an unsere Liebe haben, auf uns zu nehmen? Aber Sie sind vielleicht nicht katholisch und werden das nicht verstehen.

Ich gestand, daß ich allerdings einer anderen Konfession angehörte und nicht im Stande sei, mich in ihre Anschauung hineinzufinden.

So ist es also Nichts! sagte sie mit einem Seufzer. Verzeihen Sie, daß ich Sie mit meiner Noth behelligt habe. Ich werde suchen müssen, mir allein zu helfen.

Sie stand auf, wie um mich zu entlassen. Ich ergriff ihre Hand und zog sie wieder auf ihren Sessel nieder. Der Ausdruck der Verzweiflung in dem reizenden blassen Gesicht ging mir so ins Herz – ich weiß nicht, was ich ihr in diesem Augenblick nicht Alles zu thun versprochen hätte.

Erkundigungen, wie sie es wünschte, wollte ich jedenfalls einziehen, erforschen, ob sie mit ihren achtzehn Jahren schon das Recht habe, über sich zu verfügen, ob eine Probezeit vorhergehn müsse und dergleichen mehr. Doch konnte ich mich nicht enthalten, sie zu bitten, daß sie jedenfalls sich selbst noch ernstlich prüfen möchte, ob ihr Entschluß unabänderlich sei.

Sie antwortete nur mit einem bittern Lächeln. Ich danke Ihnen – und – –

Sie legte den Finger auf den Mund, und ich verließ sie nach einem herzlichen Händedruck.

*

Als die Thür hinter mir zugefallen war, blieb ich in größter Rathlosigkeit stehen.

Zunächst freilich mußte ich der Mutter sagen, ich hoffte, mit der Zeit den räthselhaften seelischen Zustand ihrer Gabriele zu ergründen, wir müßten eben Geduld haben und mit den beruhigenden Mitteln fortfahren. Wie ich aber sonst mich zu verhalten hätte, ahnte ich nicht.

Damals zuerst, liebe Freundin, erlebte ich an einem traurigen Beispiel, wie die Religion, die so segensreich zu wirken vermag, auch eine verhängnißvolle Macht auf unreife Gemüther ausüben kann, da das Wort Goethes: Wie beseliget euch, Menschen, ein falscher Begriff! eine tiefe Wahrheit enthält. Diese holde Jugend, einem Wahn dahingegeben, der ihr Leben zerstören mußte, wenn es nicht gelang, ihn von ihr zu nehmen, – aber wie konnte es gelingen, wenn sie fortfuhr, sich in sich selbst zu verschließen und zu verstocken? Wie konnte man eine abergläubische Vorstellung, die noch dazu in der Liebe wurzelte, bekämpfen, wenn man die Thatsachen nicht kannte, aus denen sie hervorgegangen war?

Ich war in schmerzlichster Verzweiflung.

Nur das Eine stand mir fest, daß ich nicht das Geringste thun durfte, um ihrem Vorhaben Vorschub zu leisten, sondern nur sorgen mußte, sie hinzuhalten und abzuwarten, ob sie selbst, so unerschütterlich ihre Absicht augenblicklich zu sein schien, nicht doch noch davon zurückkommen würde.

So spiegelte ich ihr in den nächsten Tagen vor, ich hätte bereits einige Schritte gethan, um über die Lage klar zu werden. Einstweilen möge sie nur dafür sorgen, sich durch eine vernünftige Lebensweise zu kräftigen, da sie darauf gefaßt sein müsse, schwere Kämpfe zu bestehen.

Das beruhigte sie sichtbar, und eine Art von stiller, fast heiterer Resignation war in ihrem Betragen zu erkennen. Wenn ich zu ihr kam, nach ihrer Nachtruhe zu fragen und ihren Puls zu fühlen, fragte sie mich sogleich, ob ich neue Nachrichten brächte, und nahm meine ausweichenden Mittheilungen ohne Zeichen von Ungeduld oder gar Mißtrauen hin. Dann fing sie von Anderem an, und ich fühlte, wie wohl es ihr that, da sie übrigens mit keinem Menschen zusammenkam und sich immer noch von der Mutter möglichst fern hielt, doch mit Einem Freund sich austauschen zu können, der ihr ein warmes Interesse zeigte.

Sie können denken, wie wohl und weh zugleich mir dabei zu Muth war.

Je mehr sie mir Vertrauen zeigte, je öfter sie mich »Freund« anredete, je tiefer verstrickte ich mich in dieser Leidenschaft. Ja ich sagte mir, daß unter anderen Umständen ich sogar hätte hoffen dürfen, mein Gefühl erwiedert zu sehen, ein Gedanke, der mich schwindeln machte. Mein Herz war ja in Liebessachen ein Neuling, und daß ich je irgend ein Wesen finden konnte, das mich überschwänglicher beglücken möchte, war mir undenkbar.

Und dann wieder die Erkenntniß völliger Hoffnungslosigkeit, wenn sie ihren Entschluß ausführte!

Aber nein, ich hörte trotz alledem nicht auf zu hoffen. Vielleicht war es doch möglich, durch ihr Herz auf ihren Verstand zu wirken, diesen zu überreden, daß die Pflicht, einen Menschen glücklich zu machen, doch höher stehe, als der Wahn, für eines Andern Sünde zu büßen. Ich durfte ihr nur keinen Zweifel darüber lassen, wie es um mich stand, mußte in aller Ehrerbietigkeit selbst um die junge Himmelsbraut werben und versuchen, sie in die Welt, aus der sie fliehen wollte, zurückzulocken.

So überhäufte ich sie mit kleinen Aufmerksamkeiten, und das Herz schwoll mir, wenn sie mit einem holden, gütigen Lächeln dafür dankte. Ich hatte unter dem Vorwand, ihren Schlaf und Appetit dadurch zu verbessern, der Mutter gerathen, sie reiten zu lassen. Auf ihrem Gute hatte sie es gelernt. Da ich selbst mich gut darauf verstand – es war der einzige Luxus gewesen, den ich mir in meiner Universitätszeit gestattete – konnte ich mich zum Begleiter anbieten, und nun machten wir die herrlichsten Ritte in der schönen Umgegend, so oft das zweifelhafte Frühlingswetter es zuließ. Wenn ich sie so auf ihrem Pferde neben mir dahintraben sah, wo dann etwas von der ungebundenen Frische und Keckheit über sie kam, mit der sie mich als Zigeunerin bezaubert hatte, stand es mir fest, daß dieses herrliche Geschöpf nie und nimmer ihr goldenes Haar der Scheere überliefern und ihre schlanke Gestalt in einen Nonnenrock verbergen dürfe, und müsse ich Himmel und Hölle dagegen in Bewegung setzen.

Auch sie fühlte dann, daß sie der Welt noch mit allen Sinnen angehörte. Um so düsterer war hernach der Rückschlag auf ihre Stimmung, sobald ich sie aus dem Sattel gehoben hatte und sie die Erde wieder unter ihren Füßen fühlte. Auch merkte ich deutlich, daß eine brennende Unruhe in ihr sich einnistete, die sie immer weniger mit den Berichten über den Erfolg meiner vermeintlichen Nachforschungen zufrieden machte. Sie erklärte mir sogar, sie habe beschlossen, sich direkt an einen Geistlichen zu wenden, um zu erfahren, was sie zu hoffen habe. Bisher hatte sie sich davor gescheut, da das Motiv, das sie dazu trieb, nicht zu enthüllen war, ohne das Geheimniß jener Andern zu verrathen. Doch vielleicht würde ihr das erlassen werden.

Ich erschrak, als sie mir das anvertraute. Doch konnte ich nichts dagegen thun und hoffte im Stillen, auch ein vernünftiger Seelsorger werde Bedenken tragen, einem übereilten Entschluß zuzustimmen.

Es sollte aber zu einer Lösung kommen, die ich mir nicht hatte träumen lassen.

*

Ich kam am andern Tage zur gewohnten Stunde zu ihr, auf das Schlimmste gefaßt. Wenn sie wirklich ihren Vorsatz schon ausgeführt und sich in der Beichte Raths erholt hatte, wenn der Geistliche sich beeilt hatte, diese junge Seele für die Mutter Kirche zu gewinnen – es war nicht auszudenken!

Wie erstaunte ich aber, als ich bei ihr eintrat und sie mir mit einem Gesicht entgegenkam, wie ich es in all den Tagen nicht gesehen hatte. Im ersten Moment fuhr mir der Gedanke durch den Kopf: Sie hat es erreicht, es soll Ernst werden mit ihrer Weltflucht! Darüber frohlockt sie! – Aber sofort riß sie mich aus meinem Irrthum. Sie lächelte mich an, indem sie mir beide Hände entgegenstreckte, und sagte mit ihrer süßen Stimme: Gratulieren Sie mir, lieber Doktor! Ich bin über Nacht völlig genesen, es ist ein Wunder geschehen und doch ganz natürlich dabei zugegangen. Wenn Sie mir nachfühlen könnten, wie leicht mir ums Herz ist! Eine Zentnerlast ist mir von der Brust gefallen. Daß Ihnen diese Wunderkur nicht gelungen ist, darf Sie nicht betrüben. Sie haben mir doch unendlich wohlgethan, ohne Sie hätt' ich diese Krankheit nicht so überstanden, Ihre herzliche Freundschaft hielt mich aufrecht, als die Kräfte mich zu verlassen drohten, und nie, nie werde ich vergessen, was ich Ihnen schuldig geworden!

Ihr Blick begegnete mit so strahlender Helle und Herzlichkeit dem meinen, sie hielt meine Hände so fest und warm, daß ich in die tiefste Verwirrung gerieth und endlich nur stammeln konnte: Mein verehrtes, theuerstes Fräulein, was soll ich denken – –? Diese plötzliche Verwandlung – erklären Sie mir –

Ihr schönes Gesicht überflog plötzlich eine Röthe, sie zog ihre Hände aus den meinen und sagte in sichtbarer Verlegenheit: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es ist so schwer für ein Mädchen, von solchen Dingen zu reden – gehen Sie zu meiner Mutter, die wird Ihnen Alles erklären – o und Sie müssen mir versprechen, nicht schlecht von mir zu denken, weil ich so thöricht sein konnte, mir einzubilden – ja, gehn Sie zu ihr! Sie erwartet Sie. Und nochmals Dank, tausend innigen Dank!

Sie gab mir noch einmal die Hand, grüßte mich mit ihren holden Augen und verabschiedete mich.

»Sprechen Sie mit meiner Mutter!« – hatte sie nicht so gesagt? Durfte ich das in dem Sinne nehmen, wie ein verliebter junger Mensch, der es aus dem Munde eines erröthend vor ihm stehenden Mädchens hört? Mir wankte Alles um mich her, als ich die wenigen Schritte nach dem Wohnzimmer that, wo ich die Mutter finden sollte.

Sie kommen von ihr! rief die treffliche Frau. Gabriele wird Ihnen gesagt haben, wie wundersam sich das Alles aufgeklärt hat, was uns das Herz bedrückte –

Ich erwiederte, das Fräulein habe mich an sie gewiesen.

Nun freilich, versetzte die Mutter lächelnd, sie schämt sich ein wenig und hat auch Grund dazu. Also setzen wir uns und lassen Sie sich erzählen!

Gestern Mittag nämlich – es fiel mir plötzlich ein, nach einem Spitzenschleier zu suchen, der mir den ganzen Winter nicht vor Augen gekommen war. In all meinen Schubfächern und Cartons fand ich ihn nicht und denke, er ist am Ende unter Gabrieles Sachen gerathen, gehe also hinüber in ihr Zimmer, sie zu fragen. Sie war ausgegangen, wahrscheinlich in die Kirche, was sie mir nicht gesagt hatte, da sie mir ja in der letzten Zeit nur selten ein Wort gönnte. Richtig, in einer Kommode zu unterst bei anderen Chiffons fand ich das Vermißte und daneben zu meiner Verwunderung etwas Anderes, was ich hier nicht vermuthet hatte: eine kleine grünseidene Brieftasche mit einem rosa Band umwunden. Briefe lagen darin, die ich sorgfältig seit Jahren aufbewahrt hatte, in einem Koffer, worin noch andere Reliquien ruhten aus meiner Mädchenzeit, alte seidene Fähnchen und ein paar Maskenkostüme, längst verblichen und verstaubt. Der Koffer hatte auf dem Speicher gestanden und war ganz vergessen worden. Das Kind mochte darin gekramt haben, als wir noch Bälle besuchten, um vielleicht ein neues Kostüm darin zu finden.

Ich hielt das Täschchen noch in der Hand, als Gabriele eintrat. Wie entgeistert blieb sie an der Schwelle stehn und starrte mich mit großen Augen an.

Wie kommst du zu dieser Brieftasche? fragt' ich.

Sie gab keine Antwort.

Hast du die Briefe darin gelesen?

Nur ein leises Nicken.

Nun, sagt' ich, du magst es immerhin gethan haben, obwohl ich versprochen habe, daß kein Auge sie je sehen solle. Diejenige, an die sie gerichtet waren, ist todt, und der sie schrieb, wird es sich längst aus dem Sinn geschlagen haben und sie nie zurückfordern, weil er wohl glaubt, die Empfängerin habe sie verbrannt. Jetzt kannst du ja auch erfahren, was für eine traurige Geschichte daran hängt.

Dann erzählte ich ihr, wer der Schreiber gewesen, ein ihr wohlbekannter Jugendfreund ihres Vaters, der sich später in Hamburg angesiedelt und ein großes Handelsgeschäft gegründet hatte. Der sei einmal zum Besuch zu uns gekommen, als wir selbst ein paar Jahre schon verheirathet gewesen. Er selbst aber hatte seine Frau nach kurzer Ehe wieder verloren.

Und nun hatten wir damals auf unserem Gut noch einen Besuch, eine Freundin von mir, die unglücklich verheirathet war, ein sehr liebenswürdiges, schönes Wesen, das uns durch das traurige Schicksal noch besonders theuer geworden war. Es dauerte nicht lange, so entspann sich zwischen ihr und unserm verwittweten Freunde ein leidenschaftliches Verhältniß, das die tägliche Gelegenheit auf dem Lande zu Begegnungen unter vier Augen rasch zu einer unwiderstehlichen Glut anfachte und erst ein Ende nahm, als der Gatte kam, seine Frau zurückzuholen. Wie weit es zwischen den Liebenden gekommen war, erfuhren wir nicht. Doch aus den Briefen, die ich später las, als meine Freundin sie mir zur Aufbewahrung anvertraute, mußte man entnehmen, daß sie sich rückhaltlos ihm in die Arme geworfen hatte.

Sie können denken, wie verhängnißvoll diese Lectüre auf mein armes Kind wirken mußte.

Meine eigene Ehe war mehrere Jahre kinderlos geblieben. Dreiviertel Jahre nach dem Besuch der beiden Liebenden bei uns kam meine Gabriele zur Welt. So unerfahren sie noch in vielen Dingen ist, bei dem chronologischen Zusammentreffen mußte der furchtbare Verdacht in ihr aufsteigen, sie sei die Frucht eines Verbrechens, das durch diese Briefe bestätigt werde.

All das, was ich ihr nun mittheilen durfte, hatte sie, ohne einen Laut von sich zu geben, mit angehört. Als ich zu Ende war, stürzte sie mir zu Füßen, umklammerte meine Kniee und drückte den Kopf gegen meinen Schooß, mit einem so herzbrechenden Schluchzen, daß es mir lange nicht gelang, sie zu beruhigen und zum Sprechen zu bringen.

Sie rief immer von Neuem, nie würde ich ihr verzeihen können, daß sie mich einer so schweren Sünde fähig gehalten, mich im Herzen verurtheilt und sich über mich erhoben hätte, als sei ich ihrer Liebe, ihres Vertrauens nicht mehr würdig. Und dann gestand sie in tiefer Zerknirschung, was sie vorgehabt habe, um sich von mir zu trennen, indem sie zugleich ihren jungen Freund entschuldigte durch das Gelübde, gegen mich zu schweigen.

Als es endlich mit vieler Mühe gelang, ihre Thränen zu stillen, und ich sie ein dummes Kind schalt, das doch wohl im tiefsten Herzen nie aufgehört habe, die Mutter zu lieben, war es rührend zu sehen, wie sie wieder auflebte, mit dankbaren Augen mich anlächelte und nicht genug sich an mich pressen und mir die Hände küssen konnte. Ich wußte freilich, daß noch aus einem anderen Grunde diese Enthüllung ihr wie eine Lebensrettung erscheinen mußte.

Der Schreiber jener Briefe hatte nämlich bei seinem damaligen Besuch seinen kleinen sechsjährigen Sohn mitgebracht und ihn auch später, wenn er einmal wiederkam, nicht zu Hause gelassen. Die beiden Kinder hatten sich sehr mit einander befreundet, später Briefe gewechselt, und als vor einem Jahr der junge Mann, der Marineleutnant geworden war, auf eine große Weltumseglung ging, war es zu einer stillen Verlobung gekommen, die erst proclamiert werden sollte nach der glücklichen Rückkehr des Bräutigams. Diese steht nahe bevor. Aber Sie begreifen, welches Entsetzen Gabrieles Herz ergriff, bei dem Gedanken, sie hätte sich mit ihrem leiblichen Bruder vermählen können. Nun überkam sie die wonnige Gewißheit, daß sie diese Gefahr nur geträumt hatte, und die Hoffnung, in kurzen Tagen das schönste Liebesglück genießen zu können.

*

Wie diese Eröffnungen auf mich wirkten, werden Sie mir nachfühlen, liebe Freundin.

Ich weiß nicht, was mir bitterer war, meine kühnen Hoffnungen zu Schanden werden zu sehn, oder die Beschämung, das geliebte Mädchen nur für einen Andern mit meiner treuen Sorge behütet zu haben. Ich hatte Mühe, zum bösen Spiel und der Rolle, die ich in dieser Komödie der Irrungen gespielt, gute Miene zu machen, beglückwünschte die Mama, daß alle Wolken von ihrem Himmel verscheucht seien, und verabschiedete mich mit leidlich geheuchelter Mitfreude.

Die Einladung, am Mittag mit ihnen zu speisen, lehnte ich unter einem Vorwande ab. Am dritten Tage wollten sie auf das Gut zurückkehren, und ich versprach, zum Abschied noch an die Bahn zu kommen, entschuldigte mich aber noch im letzten Augenblick durch ein Billet, da eine unerläßliche Berufspflicht mich zurückhalte.

Vierzehn Tage später erhielt ich die Verlobungsanzeige und war bereits von dem harten Schlage so weit wieder erholt, daß ich mit einem humoristisch sein sollenden Glückwunsch antworten konnte. Daß ich es nur zu einem Galgenhumor brachte, werden Sie begreifen.

So endete der nicht sehr glorreiche Roman meiner ersten Liebe.

*

II

Sie haben mir neulich die Geschichte Ihrer ersten Liebe erzählt, lieber Freund, sagte die Professorin. Da bin ich es Ihnen wohl schuldig, zu gestehen, daß es mir nicht besser ergangen, daß auch ich von verlorner Liebesmüh ein Lied zu singen hätte. Wir beide brauchen uns dessen aber nicht zu schämen. Kein Meister fällt vom Himmel, auch nicht in Liebessachen, und es heißt auch da: früh übt sich, wer ein Meister werden will. Also zünden Sie sich erst Ihre Cigarre an, und dann hören Sie geduldig zu. Es ist leider eine etwas längliche Geschichte.

Wenn ich von erster Liebe spreche, so meine ich freilich nicht jene ganz unreifen Präludien, die bei unserm Geschlecht früher eintreten als bei dem Ihren, da bei uns der künftige Beruf schon mit der Liebe zu unsern Puppen sich ankündigt und dann in der Tanzstunde der Secundaner, mit dem wir den ersten Walzer tanzen, auch unser Herz im Dreivierteltakt klopfen macht, während der Jüngling auf »das dumme kleine Mädel« kühl und vornehm herabsieht. Auch die obligate Schwärmerei für unsern Professor der Literaturgeschichte rechne ich nicht. Sie gilt ja auch nicht eigentlich ihm, sondern den Dichtern, deren Worte aus seinem Munde zu hören uns begeistert, so daß wir sie ihm anrechnen, als wären sie seinem Geist und Herzen entsprungen. Mein guter Lehrer war ungewöhnlich häßlich, sah immer aus, wie wenn er Zahnweh hätte, und hatte eine Frau und vier Kinder. Gleichwohl träumte ich oft von ihm, daß er mir »die Entzückung an Laura« oder »Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt« vordeclamierte, und vor dem Abgang vom Institut richtete ich ein Gedicht voll Wonne und Sonne an ihn, natürlich anonym, das ich mit Herzklopfen in den Briefkasten steckte. Er ersparte mir die Beschämung, es in der letzten Literaturstunde vorzulesen, lächelte nur, als er es erwähnte und wie ein bloßes Exercitium behandelte, das voll unreiner Reime, sonst aber gut gemeint sei. Meine reinen Gefühle unrein gereimt! Das kurierte mich sofort auch von diesem platonischen Gefühl, und ich glaubte, nunmehr gegen alle Anwandlungen von Liebe gefeit zu sein.

Dies sprach ich mehrfach in Versen aus, in denen ich mir über alle weiblichen Schwächen erhaben vorkam. Auch kleine Novellen erfand ich, deren Heldin gewöhnlich ein Mädchen war, das nach schweren Lebenserfahrungen den Männern unnahbar blieb und eine »Vergangenheit« hatte, etwa wie ich selbst ein hoffnungsloses »Verhältniß« mit einem verheiratheten Manne. Einige dieser Geschichten fanden sogar Aufnahme in einer Familienzeitung, natürlich unter einem nom de guerre, wozu ich mir den Namen »Verbena« gewählt hatte. Die Blume, die so hieß, hatte ich nie gesehen, aber das Wort klang so schön, und ich hatte ja auch die Liebe, von der hier die Rede war, noch nicht kennen gelernt.

Wie drollig es in jungen Mädchenköpfen aussieht, kann kein Mann sich vorstellen.

Und ich war doch kein Backfisch mehr, sondern volle siebzehn Jahr, hatte aber schon vor ein paar Jahren meine liebe Mutter verloren und keine kluge ältere Freundin gefunden, die sich meiner Erziehung annahm. Vor dem Vater hatte ich zu viel Respekt, so sehr er bemüht war, mir seine Liebe zu zeigen. Eher wäre ich gestorben, als ihn von meiner heimlichen Schriftstellerei etwas sehen zu lassen. Auch glaubte ich nicht, daß er sonderlich viel von Poesie verstand, da er sich nur für Technisches interessierte – Sie wissen, er hatte eine große Fabrik optischer und astronomischer Instrumente, und ein Roman oder gar ein lyrisches Bändchen war in seiner ganzen Bibliothek nicht zu finden. Dabei war er doch der zartfühlendste, gütigste Vater von der Welt und that, was er mir an den Augen absehen konnte.

*

Er hätte es sogar über sich gebracht, mich in diesem Winter auf Bälle zu führen, da ich leidenschaftlich gern tanzte. Dessen überhob ihn aber eine starke Halsentzündung, deren Nachwehen Monate lang mich ans Haus fesselten. Wie dann die mildere Jahreszeit eintrat, bestand der Arzt darauf, ich müsse eine gründliche Kur in Ems durchmachen, um mich vollständig auszuheilen.

Dorthin mich zu begleiten, konnte mein Papa freilich nicht die Zeit erschwingen. Doch lebte in unserm Hause noch die alte Kinderfrau, nur Brendel genannt, die mich schon bei Lebzeiten meiner Mutter behütet hatte, eine sehr verständige, auch nicht ganz ungebildete gute dicke Person, die an mir hing, wie an einem eigenen Kinde. Wenn sie ihre guten Kleider anhatte, sah sie auch ganz reputierlich aus und benahm sich als Gardedame taktvoll und würdig.

So machten wir uns Ende Mai auf den Weg, und mein Vater ließ es sich nicht nehmen, uns wenigstens hinzubringen und für unser Unterkommen zu sorgen. Er hatte ein Hôtel bescheidneren Ranges gewählt, das von Leuten des Mittelstandes besucht war, weil er wußte, daß meine alte Brendel sich geniert fühlen würde, an einer vornehmen Table d'hôte mitzuspeisen, und ich sie doch neben mir zu haben wünschte. Das Haus, der »Hof von Holland«, lag fast am Ende der langen Straße nach den Anlagen zu, dahinter nur noch ein anderes Haus, das für jüdische Gäste einen Tisch nach dem Gesetz führte. Gegenüber stiegen die bewaldeten Höhen hinan, und von der Kurmusik wurden nur bei günstigem Winde verlorene Klänge zu uns herübergeweht.

Sie kennen ja Ems. Ich brauch' es Ihnen also nicht zu beschreiben. So werden Sie sich auch denken können, daß mir sehr wohl dort wurde, zunächst in dem Hause selbst, wo ich bei Tische mit einem Ehepaar aus Hannover, einem Arzt und seiner guten Frau, zusammenkam, einem katholischen Geistlichen aus dem Elsaß, einer alten, wohlhabenden Bäuerin aus dem Badischen in ihrer Landestracht und Leuten ähnlichen Schlages, mit denen, während wir ganz gut gefüttert wurden, eine harmlose Conversation stattfand. Meine Brendel hatte sich mit der Wirthin angefreundet, die mit an der Tafel saß, während der Sohn – ihr Mann war gestorben – den Wirth machte und mir ein wenig den Hof. Morgens früh ging ich mit meiner Alten an den Brunnen und Nachmittags auf die lustige Waldhöhe des Malbergs, die, wie Sie wissen, durch eine Zahnradbahn zu erreichen ist.

Eine bequemere, behaglichere Kur war nicht zu denken, überdies hatte ich eine angefangene novellistische Arbeit mitgebracht, die ich in diesem stillen Hause con amore zu beenden gedachte.

Etwa vier Tage mochte ich so gelebt haben, da erschienen in dem Speisesälchen, wo schon alle Gäste an dem langen Tische saßen, eines Mittags zwei neue Gesichter, die großes Aufsehn machten, ein junger Herr und ein reizendes Fräulein. Der Wirth wies ihnen die zwei noch leeren Plätze unten an der Tafel an, die sie einnahmen, nachdem sie sich nachlässig gegen die Übrigen verneigt hatten. Dann nahmen sie nicht weiter Notiz von uns, beschäftigten sich mit ihrer Suppe und flüsterten unter dem Essen angelegentlich mit einander, so leise, daß man kein Wort verstehen konnte.

Meine Brendel raunte mir zu, was sie schon am Morgen von der Wirthin erfahren hatte: es seien Geschwister, das Fräulein solle hier einen chronischen Katarrh loswerden, der Bruder sei Schriftsteller, sie wohnten im zweiten Stock gerade über unsern beiden Zimmern.

Ein Schriftsteller! Wie leidenschaftlich hatte ich mir immer gewünscht, einmal einem lebendigen Dichter zu begegnen!

Ein wenig anders hatte ich ihn mir freilich vorgestellt, etwas – wie soll ich sagen? – romantischer, idealer. Aber mit einigem guten Willen, wenn ich auf die langen Haare und die umwölkte Stirn verzichtete – das Maal der Dichtung sollte ja ein Kainszeichen sein –, konnte dieser schmächtige junge Herr, dem ein dichter Haarbüschel in die Stirne hing und dessen Gesicht mit dem feinen dunklen Schnurrbärtchen ganz anziehend war, immerhin für ein Mitglied der Poetenzunft gelten. Auch hatte er ein etwas müdes, ironisches Lächeln, wenn er zu seiner Nachbarin sprach, das stimmte zu meiner Vorstellung, nicht aber, daß er Bier trank, statt Wein, und den Speisen mit sehr gesundem Appetit zusprach.

Seine Schwester interessierte mich erst in zweiter Reihe, obwohl sie auffallend hübsch war, ja schön genannt werden konnte.

Sie war nur wenig kleiner als er, die sehr bewegliche Gestalt neigte schon etwas zur Fülle, der Kopf trug schwer an einer Last aschblonder Haare, die in gesuchter Ungebundenheit aufgesteckt waren. Das bleiche Gesicht – doch nein, sie hatte zwei Gesichter, ein kaltes, fast hochmüthiges in der Ruhe, ein anderes von schmachtender Holdseligkeit, wenn sie gerade auf ein zärtliches Wort des Bruders antwortete oder über einen Scherz lachte. Das Schönste waren die Augen, kleine schwarze Sterne, die in einem milchblauen Weiß schwammen, die Wimpern ebenfalls kohlschwarz. Daß man das durch einen Pinselstrich hervorbringen könne, wußte ich damals noch nicht.

Den Bruder schätzte ich auf drei- bis vierundzwanzig Jahre, etwa zwei Jahr älter, als die Schwester, die, wie ich später erfuhr, um so viel älter als er war.

Während des ganzen Mittags hatten sie kein Auge für die Tischgesellschaft gehabt und empfahlen sich ebenso gleichgültig, während wir Andern jetzt unsre Bemerkungen über sie austauschten. Heinz und Ellen Martersteig aus Berlin hatten sie sich ins Fremdenbuch eingeschrieben, der Name war selbst mir nicht bekannt, vielleicht bediente auch er sich, wie seine Collegin Verbena, einer Tarnkappe bei seinen Veröffentlichungen Jedenfalls ein sehr interessanter Hausgenosse, dessen nähere Bekanntschaft ich dringend zu machen wünschte.

Wie gefällt dir das Fräulein? fragte ich meine gute Brendel. Findest du sie nicht schön?

Sie hat falsche Augen, versetzte die Alte. Der Bruder ist mir lieber.

*

Es kam aber zunächst nicht zu einer Annäherung. Wir begegneten uns freilich am nächsten Morgen beim Brunnen, doch blieb es bei einem kühlen Gruß des Bruders im Vorübergehn, während Fräulein Ellen mich so fremd anstarrte, als ob sie Mühe hätte, mich wiederzuerkennen.

Auch wenn im Hause, da man sich auf der Treppe nicht ausweichen konnte, nothwendig doch ein paar Worte gewechselt werden mußten, geschah das ohne jedes Zeichen, daß es ihnen sonderlich angenehm sei. Der Bruder kehrte, wenn er seinen Ritterdienst am Brunnen gethan hatte, ins Haus zurück und kam bis zu Tisch nicht zum Vorschein. Die Schwester trieb sich in der Stadt herum, besah die Läden, hatte irgend ein Bad zu nehmen und schien sich sehr zu langweilen.

Ein einziges Mal redete sie mich auf einem dieser Gänge an, um zu fragen, wo sie irgend einen Toilettengegenstand kaufen könne. Ich erbot mich, sie hinzuführen, und es ergab sich eine gleichgültige Unterhaltung. Dabei fiel mir zum ersten Mal sehr befremdlich auf, daß sie in keinem Zuge, nicht nur äußerlich, sondern auch im Sprechen und Lachen dem Bruder glich. Ich sagte es ihr. Sie sehe mehr der Mutter ähnlich und sei längere Zeit in einem Schweizer Institut erzogen worden, da habe sie sich diesen fremden Ton angewöhnt.

Am Nachmittag, wo man gewöhnlich der Kurmusik im Freien zuhörte, traf ich das Paar an einem Tischchen bei ihrem Thee und wollte mit meiner Brendel grüßend vorübergehen. Herr Heinz Martersteig stand aber auf und fragte, ob wir nicht an ihrem Tische Platz nehmen möchten, es sei sonst schwerlich ein Unterkommen zu finden. Meine gute Alte, discret wie sie immer war, schützte eine nothwendige Besorgung vor und entfernte sich. Ich nahm die Einladung nur allzu gern an, und bald saßen wir zu Dreien in lebhafter Unterhaltung, an der sich allerdings das Fräulein bald nicht mehr betheiligte. Denn die Themata waren, wie es schien, nicht nach ihrem Sinn, und sie zog die Straußischen Walzer, die das Orchester spielte, vor, während ich – Sie können denken, mit welchem Hochgefühl ich meinen Dichter auf allerlei Literarisches brachte und jedes seiner »geistbeseelten« Worte ihm von den Lippen nahm.

Ich fragte ihn geradezu, woran er augenblicklich arbeite, und er gestand mit einem bescheidenen Erröthen, er schreibe an einem Roman, seinem zweiten. Den ersten habe ein Provinzblatt gebracht, den jetzigen wünsche eine größere Zeitung zu erwerben, und er hoffe ihn hier noch fertig zu bringen, obwohl die weiche Luft am Rhein auf seine Nerven drücke.

Das Alles war mir hochinteressant.

Ich fragte ihn dann, wie er mit den anderen Berliner Literaten stehe, und er erklärte, er habe zu keinem ein näheres Verhältniß. Gewisse neue Erscheinungen, die mir bedeutend schienen, fertigte er mit einem Achselzucken ab und sprach von anderen, die ich nicht kannte, mit Hochachtung. Seine Schwester gähnte ein paarmal und stand endlich auf, es komme kühl vom Fluß herauf, sie wünsche nach Haus zu gehen. Da sie gehüstelt hatte, sprang ihr Bruder sofort auf, legte ihr das leichte Tuch um die Schultern und bedauerte, das Gespräch enden zu müssen, auf eine Fortsetzung hoffend.

Ich sah, daß die Schwester diese Hoffnung durchaus nicht theilte. Sie nickte mir sehr unherzlich zu und wandte sich ab, ohne mir die Hand zu geben, was der Dichter zutraulich that. Etwas wie Eifersucht war auf ihrem Gesicht deutlich zu erkennen.

Das kümmerte mich aber wenig. Ich schwelgte noch in dem Nachgefühl, daß ich zum ersten Mal mit einem wirklichen schon gedruckten Dichter mich unterhalten hatte und seiner bedeutenden kritischen Aussprüche gewürdigt worden war. Wenn es so weit käme, daß ich ihm etwas von meinen Sachen zeigen, sein Urtheil erbitten könnte, – es wäre so herrlich, daß ich es noch kaum glauben konnte!

*

Aber junge Dilettantinnen pflegen Courage, oder vielmehr Unverfrorenheit zu besitzen.

Nachts überlegte ich, wie ich es anfangen könnte, ohne mich, im Fall das Urtheil ungünstig ausfiele, bloßzustellen, da ich doch unter Einem Dache mit ihm fortleben mußte. Als angehende Novellistin war ich aber um einen Ausweg nicht verlegen, und so fand ich bald einen sehr einfachen und schlief getrosten Muthes ein.

Das Fräulein Schwester pflegte, wie ich erwähnte, Vormittags lange herumzustreifen. Darauf baute ich meinen Plan, den Bruder geradezu zu überfallen. Ich wußte, daß sein Zimmer, in dem er schlief und arbeitete, nach hinten hinausging, über unserm Schlafzimmer. Da ging ich, ein Heft des Familienblatts mit meiner Erzählung in der Tasche, ohne Weiteres, obzwar mit einigem Herzklopfen, hinaus, pochte an seine Thür und that, da ich eintrat, als sei ich sehr verlegen, mich im Zimmer geirrt zu haben, da ich die Schwester hätte besuchen wollen. Ich bedauerte, ihn gestört zu haben, und wollte mich zurückziehen.

Natürlich ließ er es nicht zu, und ich mußte auf seinem Sopha Platz nehmen, während er sich mir gegenübersetzte und freundlich fragte, was mich zu seiner Schwester geführt hätte. Ich zog das Heft der Zeitschrift hervor und erzählte, ich hätte Fräulein Ellen bitten wollen, diese Geschichte, die eine Freundin von mir geschrieben, zu lesen und dann, wenn sie ihr der Mühe werth scheine, auch vielleicht ihn, den Bruder, um sein Urtheil zu bitten. Ich wisse, daß die Verfasserin sehr dankbar dafür sein würde, da sie sich sonst keinem sachkundigen Berather anvertrauen könne, und so weiter.

Der gute Mensch nahm mir das Heft freundlich ab und versprach, es sogleich zu lesen. Er sei ohnehin an einen Punkt gekommen, wo ihm in seiner Arbeit Zweifel aufgestiegen seien, wie er fortfahren solle. Dabei handle sich's gerade um die letzte entscheidende Lösung.

Er stand auf, nahm eine Mappe vom Schreibtisch und sagte mit einem Seufzer: Wenn mir keine Erleuchtung kommt, bleibt mir nichts übrig, als dies dicke Manuscript ins Feuer zu werfen.

Ich wäre sehr glücklich, sagt' ich schüchtern, wenn ich im Stande wäre, Ihnen zu rathen; aber was verstehe ich von so hohen Aufgaben! Ein ungelehrtes Mädchen –

Nein, mein verehrtes Fräulein, rief er eifrig, sagen Sie das nicht. Ein offener Sinn – in diesem Falle zumal, wo sich's um ein sittliches Problem handelt – Ihr Takt, Ihr unbefangener Eindruck sind mir mehr werth als das Urtheil eines hochweisen Kritikers. Darf ich Ihnen wirklich zumuthen, den Kram, so weit ich damit gekommen bin, zu lesen und dann ganz offenherzig – Sie erweisen mir den größten Dienst – ich habe stets mehr auf die Gottesstimme des Publikums gehorcht, als auf die der kritischen Blätter – da sehen Sie – (und er nahm ein Büchlein vom Regal) meine ersten Gedichte; todtgeschwiegen hat sie die Presse, aber was mir edle Frauen darüber gesagt haben, hat mich reichlich getröstet. Wollten Sie auch in die einen Blick werfen?

Wir hörten nebenan ein leichtes Hüsteln – die Schwester war zurückgekehrt. Eh ich noch, mit den beiden Schätzen beladen, meinen Dichter verlassen konnte, trat das Fräulein ein und warf mir einen feindseligen Blick zu. Der Bruder stotterte eine Erklärung meines Besuches hervor, dann verabschiedete ich mich.

*

Sobald ich unten in meinem Zimmer allein war, verschlang ich das Gedichtbuch, das mir einen tiefen Eindruck machte. Es war das übliche Sehnen und Stöhnen junger Lyriker, Klagen über getäuschte Liebe und Scheitern aller Lebenshoffnungen frei nach Lenau und anderen berühmten Mustern, und wie ich selbst damals schon merkte, ohne besondere Originalität. Da es aber das erste Mal war, daß ein Verfasser mir solche Bekenntnisse seiner schönen Seele persönlich in die Hand gedrückt hatte, machte das Alles einen ganz anderen Eindruck. Ich sah hinter diesen gereimten Allgemeinheiten beständig das feine bleiche Gesicht mit den schwermüthigen Augen und hörte die bitteren Worte, daß die Kritik diese Jugendsünden todtgeschwiegen habe. Sie ahnen wohl, lieber Freund: meine eigne Kritik war bestochen von meinem Herzen, das schon ziemlich tief in das Netz dieses jungen Sängers hineingerathen war.

Noch vor Tische fing ich an, auch den Roman zu lesen.

Es war ein dickes Manuscript, schon über dreihundert Seiten, und hatte den Titel »Rosen und Lorbeer«, der mir ungemein gefiel. Ein Künstlerroman, das Milieu die Bohême, ein Wort, mit dem ich damals noch kaum einen Begriff verband. Um so anziehender waren mir die Schilderungen der Sitten und Unsitten dieser jungen Gesellschaft, die nach eigenem Moralcodex lustig in den Tag hineinlebte, zuweilen es bitter büßen mußte, dabei aber oft größere Wonnen genoß, als die gut bürgerlichen Biedermänner und -Weiber.

Ich las mich heiß an dem Buch und schätzte es höher als die Gedichte, hörte auch am Nachmittag nicht damit auf, so daß ich die letzte Seite gelesen hatte, als man zur Abendtafel läutete. Bei dieser sagte ich natürlich dem Verfasser kein Wort davon. Wir tauschten nur einen verständnißvollen Blick, wie zwei Verschwörer, die ein Geheimniß mit einander zu hüten haben, doch konnte ich an seinem freundlichen Lächeln merken, daß auch er schon gelesen hatte und günstig von der Arbeit »meiner Freundin« dachte.

Seine Schwester schien übler Laune, sprach während des Essens kein Wort mit ihm und gab mir zu erkennen, daß ich Luft für sie war.

Nachts konnte ich nur wenig schlafen. Ich war mir ganz klar darüber, daß dieser Tag Epoche in meinem Leben gemacht, mich zum ersten Mal hatte erfahren lassen, was es mit der berühmten Liebe für eine Bewandtniß habe. Von den Schmerzen, die mit ihr verbunden sein sollten, empfand ich nichts, nur das überschwängliche Glück, endlich mein »Ideal« gefunden zu haben, einen Menschen, der einem liebenswürdiger scheine, als alle Andern, und dem man alles Gute und Große zutraue. Auch daß dies Gefühl nicht erwiedert werden könnte, fürchtete ich nicht. Ich wußte, daß ich nicht häßlich war, nicht einfältig, sogar mit einem kleinen Talent begabt, das er nicht gering zu schätzen schien, und daß seine Schwester mir nicht hold war, würde mich nicht kümmern oder mit der Zeit sich vielleicht ändern. So versenkte ich mich immer besinnungsloser in diese Glückseligkeit einer ersten Liebe und träumte mit offenen Augen die reizendsten Scenen zwischen mir und dem Angeschwärmten, der indessen über mir den Schlaf eines ahnungslosen Gerechten geschlafen haben wird.

Als ich aber am Morgen etwas müde von meinem Glück aufstand, fiel mir aufs Herz, daß ich die Hauptsache ganz vergessen hatte, die Antwort auf die Frage, wie die Handlung des Romans weitergehen sollte. Es war ein Liebesverhältniß zwischen einem jungen Bildhauer und einer schönen aber ziemlich talentlosen Malerin, die an sich verzweifelte und Trost in der Liebe suchte. Das Alles war sehr anschaulich und mit leidenschaftlichen Naturlauten dargestellt, die verriethen, daß der Verfasser eigene Erfahrungen vor Augen hatte, schon durch die übermäßige Breite der Herzensergüsse. Dem ließ sich aber abhelfen durch Streichen. Nun handelte sich's jedoch darum, ob die Sache, wie Herr Martersteig es trocken formuliert hatte, sittlich oder unsittlich ausgehen sollte, im letzteren Falle glücklich oder tragisch enden. Daß er selbst das nicht von vornherein überlegt hatte, war mir bei aller Bewunderung und – Liebe doch bedenklich. Das mußte ja das Rückgrat der ganzen Composition bilden und nicht dem Zufall überlassen bleiben, wie wenn man die Idee einer Dichtung an den Knöpfen abzählt. Sie sehen, ich war schon damals ziemlich fest in meinen ästhetischen Begriffen.

Ich nahm mir vor, dem Problem auf einem stillen Spaziergang nachzugrübeln, ließ am Nachmittag meine Brendel zu Hause und wanderte nach dem Stationshäuschen, wo man in die Wagen der Drahtseilbahn einstieg.

Ich kam gerade, da ein solcher eben unten angelangt war, und stieg sofort ein. Kaum aber hatte ich ein paar Minuten drin gesessen, so sah ich die Geschwister herankommen, die ebenfalls in den Bergwald hinauf wollten.

Man begrüßte sich mit verschiedenen Gefühlen, das Fräulein unverhohlen mißvergnügt über das Zusammentreffen, wir beide, mein heimlich geliebter Dichter und ich, voll froher Erwartung einer gemeinsamen schönen Stunde im Grünen.

Und noch ein erwünschter Zufall kam uns dabei zu Hülfe.

Ich hatte Morgens beim Brunnen sehr oft einen eleganten jungen Mann bemerkt, der in dem jüdischen Hôtel neben unserm »Hof von Holland« wohnte und nach öfterem Vorübergehen sich gewöhnt hatte, höflich den Hut zu lüften, ohne doch weiter das Recht der Nachbarschaft geltend zu machen. Er war sehr hübsch, doch von einem orientalischen Typus, der mir nicht sonderlich gefiel, dazu mit großen Brillantringen an der Hand, die den Becher zum Munde führte, und einem selbstgefälligen Lächeln.

Dieser Herr kam, da unser Wagen eben abfahren wollte, eilig herbeigerannt und schlüpfte noch mit hinein. Er stellte sich sogleich vor, David Rosenhain aus Mainz, Sohn der Firma Rosenhain & Compagnie von dem bekannten großen Weingeschäft, und fing eine lebhafte, sehr nichtssagende Conversation an, auf die nur Fräulein Ellen sich entgegenkommend einließ. Ihr Bruder blieb einsilbig, fast bis zur Unhöflichkeit, wandte sich zu mir und sagte, er freue sich, daß wir uns hier getroffen hätten. Im Gewimmel des Kurconzerts und der dumpfen Luft unten könne man kein vernünftiges Wort mit einander reden.

Ich war natürlich selig über dies Zusammentreffen

Oben angelangt half Herr David Rosenhain Ellen aus dem Wagen und fragte, ob er »den Vorzug haben« könne, sich den Herrschaften anzuschließen. Der Bruder nickte nur schweigend, Ellen versetzte lebhaft, es werde ihr sehr angenehm sein, sie möchte gern etwas von seiner Vaterstadt Mainz erfahren, die eine so schöne Stadt sein solle und einen berühmten Dom besitze, auch ein Monument Gutenbergs und was sie sonst noch an ihn hinschwatzte. So setzten wir uns paarweise in Bewegung in die herrlichen Waldschatten hinein, voran der Sohn von Rosenhain & Compagnie mit der schönen koketten jungen Dame, in einigem Abstande hinter ihnen der junge Dichter, der seinen Unmuth über die aufgedrungene Gesellschaft bald verlor und mit seiner unscheinbaren Begleiterin in ein interessantes Gespräch gerieth.

*

Sobald wir nämlich unter vier Augen waren, fing er an, von meiner Geschichte in dem Familienblatt zu reden, die er mit Vergnügen gelesen habe. Nur habe die Verfasserin, wie fast alle Damen, eine Schwäche für Naturbeschreibungen mit conventionellen Ausdrücken ohne wirkliche Beobachtung und für überschwängliche Adjective, was sich aber mit Fleiß und gutem Willen verlieren könne. Sie möge nur so fortfahren – und so weiter.

Ich war natürlich hochbeglückt durch diese Aufmunterung und dankte ihm im Namen meiner Freundin. Da sah er mich mit einem feinen Lächeln an.

Gestehn Sie nur, verehrtes Fräulein, diese »Verbena« steht Ihnen sehr nah, da Jeder sich selbst der Nächste ist.

Ich erröthete über und über. Woraus schließen Sie das? fragt' ich.

Nun daraus, daß manche Wendung Ihres gesprochenen Stils in Ihrem geschriebenen wiederkehrt, zum Beispiel – und nun nannte er mir ein paar meiner Lieblingsausdrücke.

Wir lachten Beide. Dann fragte er, wie weit ich in seinem Roman gekommen sei. Als ich sagte, ich hätte ihn gestern Nacht schon zu Ende gelesen, er hätte mich so gefesselt, wurde er sehr ernst, fast traurig. Jetzt beginnt ja aber erst die Aufgabe, seufzte er. Nun müssen Sie mir helfen, ebenso offenherzig, wie ich über Ihre Arbeit mich geäußert habe.

Dann erzählte er mir in großen Zügen, wie die Geschichte weitergehen sollte. Ich bin noch jetzt ganz damit zufrieden, aber Sie sehen wohl, wenn ich es so mache, verschütte ich es mit der Mehrzahl der Leser, die moralisch sind und Zeter schreien werden. Das sieht auch die Redaktion der Zeitung voraus und lehnt den Roman am Ende ab, was mir ein Strich durch die Rechnung wäre, denn ich habe auf das Honorar gerechnet. Nun könnte ich es auch so machen – und er entwarf in raschen Umrissen einen anderen Fortgang. Aber sehen Sie, das Tugendhafte liegt mir nicht. Es ist gewöhnlich langweilig, weil es dem Durchschnittsgefühl der Menschen entspricht, die gewöhnlich Philister sind. Was die erleben, braucht der Dichter nicht zu schildern, außer für das Publikum der Familienblätter – verzeihen Sie, liebes Fräulein! ich will Sie nicht kränken, Frauen haben eben einen anderen Maßstab. Ich aber – wenn ich denke, daß ich meine schöne erste Erfindung aufgeben soll, um so etwas Fischblütiges an die Stelle zu setzen – und doch – in der Noth frißt der Teufel Fliegen!

Er ging eine Weile stumm mit düsterem Gesicht neben mir her. Das Paar vor uns schien in desto besserer Laune zu sein. Wenigstens hörten wir die Schwester alle Augenblicke laut auflachen.

Ich suchte den Verstimmten auf heitere Gedanken zu bringen und fing an, ihm den neuen Plan, den moralischen, im günstigsten Lichte darzustellen. Da Sie, lieber Freund, das Werk nicht kennen, will ich Sie mit allen Details verschonen.

Er hörte mir aufmerksam zu, dann blieb er stehen und sagte: Vielleicht haben Sie Recht, liebes Fräulein. Aber wissen Sie was? Schreiben Sie das Buch zu Ende, ich fühle mich dazu nicht fähig, Sie aber werden es ganz hübsch machen, und hernach theilen wir das Honorar, wie es üblich ist, wenn eine literarische Arbeit zwei Verfasser hat. Nein, weigern Sie sich nicht aus falscher Bescheidenheit. Sie erweisen mir einen großen Dienst und kommen dadurch zugleich in ein großes Fahrwasser aus dem seichten Bächlein Ihrer Familienblätter.

Sie können denken, wie mich dieser Vorschlag bestürzte und zugleich stolz und glücklich machte. Ich muß es erst überlegen! stammelte ich. Einen Versuch kann ich ja machen, aber Sie werden sehen, Sie trauen mir zu viel zu, und der Versuch endet mit einer Blamage.

Während dieses Gesprächs waren wir zu dem kleinen Haus im Walde gelangt, wo sich eine Milchwirthschaft und Molkerei für Kurgäste befand. Das bescheidene Etablissement wird längst einem eleganten Restaurant Platz gemacht haben. Fräulein Ellen schlug vor, hier zu rasten, wir etablierten uns im Freien unter einer großen Fichte, und während wir saure Milch aßen, war Herr David Rosenhain unerschöpflich in Erzählungen von seinen Reisen, besonders von Paris, das er gründlich studiert zu haben schien. Doch mehr von der Vergnügungsseite als irgend einer andern. Wenigstens kehrten die Folies bergères, die Closeries de Lila, die kleinen Theater und die Frères Provenceaux in seinem Munde immer wieder, während vom Louvre nicht die Rede war. O Paris! rief er begeistert, dahin sollten Sie, mein gnädiges Fräulein, das wäre der richtige Schauplatz für Ihre Person; dort Ihren Cicerone zu machen, wäre die beglückendste Aufgabe für meine Wenigkeit – und in diesem Stile endlos fort, bis die Milch genossen war und der Bruder, der nicht ein Wort gesprochen hatte, hastig aufbrach.

*

Als ich Abends allein in meinem Zimmer saß, kam ich über die Ereignisse dieses Nachmittags erst zur Besinnung.

Dieser heimlich geliebte Mensch und verehrte Dichter hatte mich zu seiner Mitarbeiterin würdig befunden, ich sollte Wochen, vielleicht Monate lang mit ihm im Verkehr bleiben, vielleicht, wenn er mich näher kennen lernte – schon jetzt hatte er einen warmen Ton angeschlagen, mich »liebe Freundin« genannt – seine Schwester stand ihm offenbar nicht geschwisterlich nahe, da ihre Interessen ganz äußerliche waren und sein zartbesaitetes und doch leidenschaftliches Herz – ich kannte es ja aus seinen Gedichten – nach Besserem und Tieferem verlangte – o welcher Ausblick in eine entzückend herrliche Zukunft öffnete sich vor mir! Wenn ich nur die Kraft hatte, mich eines solchen Glückes werth zu zeigen!

Mit dem Versuch dazu mußte gleich am nächsten Tage begonnen werden.

Nachdem ich eilig meine zwei Becher getrunken hatte, pflanzte ich mich vor meinen Schreibtisch und nahm den Faden der Erzählung da aus, wo der Verfasser ihn hatte fallen lassen. Es wurde mir aber schwerer, als ich gedacht hatte. Heinz Martersteig hatte einen eigenen nervösen Stil, etwas sprunghaft und zuweilen barock, aber, wie mir vorkam, interessanter als der meine. Ich schrieb ein paar Seiten und zerriß sie wieder. Darüber gerieth ich in einen tiefen Kummer und sah ein, daß ich zunächst das Fertige auf die äußere Form hin sorgfältig studieren müßte.

So vergingen einige Tage, nicht in der heitersten Stimmung. Bis ich so weit gekommen war, daß ich mir getraute, das Original so leidlich nachzuahmen, daß der Leser wenigstens im Stil keine zweite Hand witterte, wenn auch die Gedanken ihn hie und da etwas frauenzimmerlich anmuthen mochten.

Meinen großen Collegen sah ich nur bei den Mahlzeiten, wo wir uns auf einen kurzen Gruß beschränkten. Nur im Vorübergehen hatte ich ihm auf seine Frage einmal zugeflüstert, ich hätte mich ans Werk gemacht und würde ihm nächstens ein Kapitel zur Probe zeigen. Für die Schwester fuhr ich fort Luft zu sein.

Es war mir aufgefallen, daß unser Nachbar, David Rosenhain, ungewöhnlich oft an unserm Hause vorbeiwandelte und nach dem Balkon über dem meinen hinaufschmachtete, wo Fräulein Ellen's Zimmer lag. Auch beim Brunnen sah ich ihn zuweilen neben ihr gehen und sie eifrig unterhalten. Ihr Bruder erschien dort jetzt seltener, so mußte ihr ein Cavalier erwünscht sein. Immer wunderbarer war mir, daß dies ungleiche Paar Eine Mutter haben sollte.

Dann kam es so weit, daß ich eine erste Probe meiner Fortsetzung dem Autor zeigen konnte. Ich war unendlich froh und stolz, als er sie höchst gelungen fand und nur bat, ich möchte in der Arbeit nicht ermatten. Wenn ich in diesem Tempo fortführe, würde ich in vierzehn Tagen fertig sein, freilich eine längere Zeit, als ich ursprünglich für meine Kur mir vorgesetzt, aber mit welchem Gefühl würde ich dann diesen Ort verlassen! Und wie ewig dankbar – und so weiter.

Einmal übers andere hatte er mich »theuerste Freundin« genannt und immer wieder meine beiden Hände geküßt. Mich überströmte eine solche Flut von Seligkeit, daß ich wie berauscht von ihm ging, und unten angelangt, vor Aufregung in Thränen ausbrach.

Abends flüsterte er mir zu, er werde am anderen Tage einen Ausflug nach Köln machen, die Redaction der Kölnischen Zeitung aufzusuchen, um wegen des Romans sich mit ihr zu besprechen. Am dritten Tage kehre er zurück. Ich möchte die Güte haben, wenn inzwischen seiner Schwester etwas zustoße – sie sei in den letzten Tagen so seltsam gewesen, was vielleicht körperliche Ursachen habe – kurz, er verlasse sich auf mich, wie wenn wir die ältesten Freunde wären.

*

Doch gegen die Schwester meine Freundschaft zu beweisen, sollte ich keine Gelegenheit haben.

Bei unserm Begegnen am Brunnen sah das schöne Fräulein vollkommen über mich weg und war ganz Ohr für das, was ihr Galan, Herr Rosenhain, angelegentlich an sie hinsprach. Mittags blieb sie auf ihrem Zimmer, und als ich Abends hinausschickte, zu fragen, ob sie nicht wohl sei und etwas von mir bedürfe, brachte meine Brendel den Bescheid, sie lasse danken, wünsche aber allein zu bleiben.

Nun war ich jeder Verpflichtung überhoben und benutzte meine einsame Muße zu desto eifrigerer Schreiberei. Damit fuhr ich auch am Vormittage des dritten Tages fort und empfand es als eine unliebsame Störung, als an meine Thür geklopft wurde. Wie erstaunte ich aber, als mein Dichter, den ich erst bei Tische wiederzusehen dachte, mit einem tiefverstörten Gesicht bei mir eintrat.

Wie geistesabwesend nickte er mir zu und starrte zu Boden, ließ sich auf einen Sessel fallen und wühlte in seinem Haar.

Um Gottes willen, was ist Ihnen? rief ich. Was ist vorgefallen? Ihre Schwester –

Statt zu antworten, zog er einen offenen Brief aus der Tasche und hielt ihn mir hin. Ich nahm ihn mit Zittern, und mein Blick fiel auf die Unterschrift: Ellen!

Den Wortlaut habe ich natürlich vergessen. Der Inhalt lautete ungefähr so:

 

»Lieber Heinz!

Verzeih, daß Du mich bei Deiner Rückkehr nicht mehr vorfinden wirst. Es wird Dir nicht schwer werden, da Du mir in der letzten Zeit gezeigt hast, wie gleichgültig ich Dir geworden bin. Du hast ja auch Ersatz gefunden, der Deinem Geschmack mehr zusagt. Also sans rancune, Jedem das Seine. Ich gehe mit Herrn Rosenhain nach Mainz oder nach Paris, es steht noch nicht fest. Letzteres bin ich meiner künstlerischen Ausbildung schuldig. Und so leb wohl und vielen Dank!

Ellen.

 

»N. S. Von unsrer Kasse habe ich die Hälfte mitgenommen. Mein Begleiter will mich ja frei halten, aber man braucht immerhin Geld. Nochmals Adieu. Ich wünsche guten Erfolg.«

Ich war so bestürzt, daß ich mit Mühe ein Wort vorbringen konnte.

Das ist ja unglaublich! stammelte ich endlich. Daß Sie das erleben müssen, an einer Schwester, für die Sie so liebevoll besorgt waren –

Er richtete sich jäh in die Höhe, nahm mir heftig den Brief aus der Hand und zerriß ihn langsam in kleine Stücke, die er auf die Erde warf. Schwester? knirschte er zwischen den Zähnen. Oh diese Schlange! Dieser Dämon! Nein, ich will kein Geheimniß vor Ihnen haben, Sie sind ja meine theuerste, meine einzige Freundin! Wissen Sie denn: diese treulose Verrätherin war nicht meine Schwester, sondern meine Geliebte. Ich dachte, sie würde mir noch mehr werden, wenn ich erst in der Lage wäre, einen eigenen Herd zu gründen. Nun bin ich ihr dankbar, daß sie mich davor bewahrt hat. An ein solches Weib für immer gekettet zu sein, wäre die Hölle auf Erden!

Er ging ein paarmal mit hastigen Schritten durch das Zimmer, im Haar wühlend und die Augen rollend, dann trat er vor mich hin und sagte in abgebrochenen Sätzen: Haben Sie Nachsicht mit mir – geben Sie mir ein Glas Wasser – so! – ich danke Ihnen. Sie sollen nun Alles erfahren.

Nun erzählte er mir die unglückliche Geschichte, wie er im Friedrichwilhelmstädtischen Theater dies Mädchen kennen gelernt hatte, als eine Anfängerin in kleinen Rollen, ohne bedeutendes Talent, aber der Direction werthvoll durch ihre auffallend schöne Erscheinung. Er habe sich sofort wahnsinnig in sie verliebt, sie aber sei zwar durch seine Huldigung geschmeichelt gewesen, doch da er diese nur in Versen und Blumen ihr bezeigt, sehr kühl geblieben und habe ihn gepeinigt durch die Bevorzugung eleganter junger Laffen. Auf einem Ball im Carneval aber habe sie sich eine heftige Erkältung zugezogen und nicht mehr auftreten können, da ein chronischer Husten zurückgeblieben sei. Als nun der Arzt darauf bestand, sie müsse nach Ems und eine gründliche Kur durchmachen, sei der bescheidene Anbeter plötzlich im Werthe gestiegen. Seinen Vorschlag, sie nach Ems zu begleiten, habe sie dankbar angenommen, um so mehr, da sie nur wenig Geld hatte und sehr damit einverstanden war, daß sie gemeinsame Kasse machen sollten. Auch hoffte er damals schon auf das Honorar für seinen Roman.

Er sei überglücklich gewesen, sie nun allein zu besitzen, und sie habe auch in der ersten Zeit sich so zärtlich hingebend gezeigt, daß er sie für das herrlichste Geschöpf auf der Welt gehalten habe. Bis sie dann ihre wahre Natur herauskehrte, ihren Egoismus und Kaltsinn, und daß sie im Grunde für Nichts Interesse hatte, als für ihre eitle Person und die Huldigungen, die dieser gebracht wurden. Daß er ein Dichter war und eine große Arbeit unter den Händen hatte, sei ihr völlig gleichgültig gewesen, weil sie nur wenig Bildung hatte und zum Theater gegangen war, einzig um mit ihrer Schönheit Erfolge zu haben.

All das habe er klar erkannt, nachdem der erste Reiz der Intimität geschwunden sei. Aber sie behielt trotzdem ihre Macht über mich, rief er, die Faust ballend; sie ist ein Dämon und, wie es im Faust heißt: man weiß, man sieht, man kann es greifen, und dennoch tanzt man, wie die Luder pfeifen!

Er warf sich auf das Sopha und drückte die Hände vors Gesicht. Ich stand in tiefster Verwirrung mitten im Zimmer und zermarterte mein Gehirn, wie ich mich dieser schnöden Geschichte gegenüber verhalten sollte.

Plötzlich sprang er auf und rief: Vorbei! Allen Göttern sei Dank, das liegt nun für immer hinter mir. Wozu ich wohl nie die Kraft besessen hätte, diese Verzauberung abzuschütteln, das hat sie nun gethan. Mit keinem Finger würde ich sie mehr anrühren, wenn sie vor mir auf die Kniee fiele und ihre buhlerischen Künste spielen ließe. Noch in der nächsten Stunde wende ich dem Ort, wo ich mich so schmachvoll erniedrigte, den Rücken und kehre in die Freiheit zurück. Dazu ist aber noch Eins nöthig, und das erhoffe ich von Ihrer Freundschaft zu erlangen.

Er ergriff meine Hand und führte mich nach dem Sopha, wo er sich neben mir niederließ.

Meine theure Freundin, sagte er, jetzt ganz ruhig, ich bin in großer Verlegenheit. Die Herrn in Köln, bei denen ich anklopfte, sind sehr geneigt, unsern Roman zu drucken, doch wollen sie ihn erst gelesen haben, und auf eine Vorausbezahlung oder auch nur einen Vorschuß lassen sie sich nicht ein. Hier aber ist meines Bleibens nicht länger, nachdem meine edle »Schwester« mir durchgebrannt ist; ich würde den Leuten im Hause nicht frei ins Gesicht blicken können. Da Fräulein Ellen aber, wie Sie gelesen haben, die Hälfte unseres Vermögens mit auf die Reise genommen hat – es war ohnehin schon sehr zusammengeschmolzen – kann ich die Hausrechnung nicht mehr ganz berichtigen. Wollten und könnten Sie nun, theuerste Freundin, die unendliche Güte haben, mir dreihundert Mark zu leihen?

Ich brachte stammelnd hervor, daß ich überglücklich sei, ihm diesen geringen Dienst leisten zu können.

Doch nur unter Einer Bedingung, setzte er hastig hinzu: Sie behalten mein Manuscript als Pfand, bringen die Arbeit zu Ende und schicken sie dann an die Kölnische Zeitung. Von dem Honorar, das keinenfalls unter tausend Mark betragen wird, begleichen Sie dann meine Schuld und den Überschuß senden Sie mir gelegentlich – ich will Ihnen gleich meine Berliner Adresse geben!

Er nahm eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche, schrieb die Wohnung darauf und reichte sie mir. Ich weigerte mich, auf diesen Vorschlag einzugehen. Es bedarf keines Pfandes, sagt' ich. Ich würde Ihnen vertrauen, auch wenn sich's um Tausende handelte. Alles, was Sie sonst wünschen, soll geschehen.

Damit ging ich nach meinem Koffer, nahm die drei Scheine heraus und steckte sie in ein Couvert, das ich ihm schüchtern hinreichte. Er nahm es und zugleich meine Hand.

Mädchen, rief er, du bist ein Engel, mein rettender Engel! Wenn ich dich gefunden hätte, eh diese Teufelin mich in ihr Netz zog –

Und plötzlich fühlte ich mich von seinen Armen umschlungen und einen heißen Kuß auf meinem Munde. Eh ich mich von der Bestürzung erholen konnte, war er aus dem Zimmer.

*

Daß ich mit sehr gemischten Gefühlen zurückblieb, können Sie denken.

So aufrichtig ich den armen Menschen bedauerte, der an eine herzlose Kokette seine schönsten Gefühle verschwendet hatte, so sehr that es mir doch heimlich wohl, daß meine Liebe nun nicht ganz hoffnungslos erschien, obwohl es freilich nicht gerade ehrenvoll war, mit der Erbschaft von einer solchen Vorgängerin vorlieb zu nehmen. Doch half mir der erste Kuß, den ich von einem jungen Freunde, noch dazu einem Dichter, bekommen hatte, hierüber hinweg. Ich war noch immer nicht ganz ernüchtert und malte mir mit gespannter Erwartung aus, was für eine Fortsetzung dieser mein Roman wohl noch haben würde.

Den anderen that ich ruhig in den Koffer, als ich nach etlichen Tagen meine Kur beendet hatte und nach Hause zurückkehrte. Mein guter Papa, dem ich das ganze Abenteuer berichtete, natürlich ohne meine eigene Verliebung zu erwähnen, amüsierte sich sehr daran und neckte mich nicht wenig mit meiner heimlichen Compagnieschaft. Deinen Collaborateur, Kind, wirst du aber so wenig wiedersehn, wie deine dreihundert Mark, sagte er. – Ich beschloß, ihn zu beschämen, indem ich vor Allem mein Versprechen hielt und »Rosen und Lorbeer« fertig machte. Wenn die Rosen seiner Liebe Dornen gehabt hätten, sollte er wenigstens nicht um den Lorbeer kommen.

In sechs Wochen wurde ich denn auch fertig und schickte das Manuscript »Im Auftrag von Herrn Heinz Martersteig«, der augenblicklich verhindert sei, an die Redaction der Kölnischen Zeitung. Nach einer Woche kam es zurück mit einem höflich bedauernden Schreiben: der Roman zeuge für ein entschiedenes Talent, der Stoff aber sei für ihren Leserkreis nicht ganz geeignet, sie hofften jedoch, eine nächste Arbeit werde es ihnen möglich machen – und so weiter.

Diesen Brief sandte ich sofort an meinen Freund und fragte, was ich nun weiter mit dem Manuscript beginnen, wohin ich es senden solle, und ob er es zunächst zu lesen wünsche, da mein Antheil daran die Ablehnung vielleicht verschuldet habe.

Mein Brief kam als unbestellbar zurück. Der Adressat habe die Wohnung gekündigt und die neue nicht angegeben.

Daß dies das Ende vom Liede sein sollte, schmerzte mich sehr und kostete mich sogar einige Thränen. Ich schluckte sie aber voll Zorn über meine Schwäche, und schon um dem Vater keine Gelegenheit zu neuem Spott zu geben, tapfer hinunter, legte den dicken Wälzer zu unterst in eine Kommode und meine erste Liebe dazu und wartete ruhig, ob etwa eine zweite kommen würde.

Die ließ denn auch nicht lange auf sich warten, und als sie kam, war's mit meiner Schriftstellerei für immer vorbei, da sie nur ein Surrogat für das wirkliche Leben gewesen war. Schon im nächsten Winter lernte ich meinen zukünftigen Mann kennen, der nur erst außerordentlicher Professor werden sollte, um mich heimzuführen.

Sie kannten ihn und werden mir zugeben, daß er in Allem das Widerspiel meines verflossenen Dichters war, wie ich diesen geschildert habe. Aber wenn ihm auch viel fehlte zum Romanhelden oder Romandichter, so schadete es ihm doch nicht, daß ihm »das Tugendhafte nicht recht lag«, da er trotz dieses Mangels das Talent besaß, mich sehr glücklich zu machen.

Ein Jahr lebten wir noch in der Nähe des Vaters, bis mein erstes Kind zur Welt kam und wir nach Halle versetzt wurden.

*

Vorher aber sollte mein Emser Roman noch ein neues Schlußkapitel bekommen.

In den Theateranzeigen las ich eines Tages den Namen Heinz Martersteig, als Verfasser eines einaktigen Lustspiels, das am nächsten Abend in einem Vorstadttheater seine Première erleben sollte.

Meinem Manne hatte ich natürlich dies romantische Erlebniß nicht verschwiegen. So fand er es natürlich, daß ich das Stück des alten »Collegen« zu sehen wünschte, und begleitete mich sogar selbst ins Theater, obwohl er sonst nur für das höhere Drama Interesse hatte.

Was wir da zu sehen bekamen, habe ich sogar bis auf den Titel vergessen. Ich weiß nur, daß ich über ein paar billige Witze lachen konnte und einzig des Verfassers wegen mich an dem Klatschen des anspruchslos gestimmten Hauses betheiligte, so daß Heinz Martersteig nach dem Schluß hervorgerufen wurde.

Ich erkannte ihn kaum wieder. Er war noch magerer geworden und der Haarbusch über seiner Stirn verschwunden. Doch hatte er noch den guten melancholischen Ausdruck von damals, so daß ich mich meiner Schwäche für ihn nicht zu schämen brauchte.

In der Prosceniumsloge hatte ich eine dicke, stark geschminkte Dame bemerkt, die wüthend geklatscht und dem Autor einen Kranz zugeworfen hatte. Sie hatte mich an Jemand erinnert – aber nein, das schöne Fräulein Ellen konnte sich in den vier Jahren nicht so verändert haben.

Am andern Tag kaufte ich einen Strauß Rosen und Lorbeer und sandte ihn durch das Bureau des Theaters an den Dichter des gestrigen Stücks, mit einer Karte, auf der nur stand: »Herzlichen Glückwunsch! Verbena.«

Mein Mann, dem ich es erst hernach sagte, schalt mich. Er wird glauben, daß du ihn hättest mahnen wollen, da der Roman inzwischen nicht erschienen ist. Ich sah das zu spät ein, hoffte aber, es werde keine Folgen haben, und erschrak, als es am Nachmittag klingelte und das Mädchen mir eine Karte brachte mit dem Namen »Heinz Martersteig«.

Dann trat er wirklich herein, ganz unbefangen liebenswürdig, dankte mir für die Erinnerung an unser altes Begegnen und erzählte, daß er zum Theater übergegangen, was die einzige Stätte sei, die für einen redlichen Arbeiter einen goldnen Boden habe. Er fürchte, mit »unserm« Roman hätte ich schlechte Erfahrungen gemacht, hoffe aber, wenigstens seine äußerliche Dankesschuld von der Tantième des gestrigen Stückes abtragen zu können, wenn auch im Augenblick –

Ich fiel ihm ins Wort und log ihm vor, die Kölnische Zeitung habe das Werk allerdings abgelehnt, eine literarische Agentur es aber angenommen und dreihundert Mark dafür gezahlt, da sie den Roman in Feuilletons kleiner Provinzblätter anzubringen hoffe, auch noch ein Nachhonorar in Aussicht gestellt. Ein solches hätte ich freilich so wenig wie ein Belegexemplar erhalten.

Er nahm das für bare Münze und athmete sichtbar auf. Ich freute mich, daß er ein so redlicher Mensch war und nicht mein Schuldner hatte bleiben wollen.

Und Ihre – Schwester? fragte ich.

O Die! sagte er etwas verlegen – wir sind wieder beisammen – es ist sogar auch ein Kleines da – Sie begreifen, ich konnte, da ihre Stimme nicht gesund wurde und sie die Bühne verlassen mußte, nicht unversöhnlich sein – am Ende, Paris – die Versuchung war zu groß. Und liebenswürdig war sie ja auch geblieben – wenn sie wollte – und hatte immer ein Faible für mich armen Teufel. Sie werden sie gestern vielleicht gesehen haben, sie saß in der Prosceniumsloge links und hat sich's nicht nehmen lassen, mir einen Kranz zu werfen. Übrigens läßt sie Sie grüßen und ist von ihrer Eifersucht geheilt, da sie mich ja nun in festen Händen hat.

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