Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Don Juan

(1911)

Sie waren ja gestern im Don Juan, liebe Freundin, sagte der Medizinalrath. Nun, wie war's? Ist der Gast hinter den Erwartungen, die die Zeitungsreklame erregte, nicht zu weit zurückgeblieben?

Erbat sie sogar übertroffen, versetzte die kleine Frau. Ich wenigstens glaube, nun erst all das gesehen und gehört zu haben, was Textdichter und Componist in die Figur hineintragen wollten. Kein Wunder! Er ist ja ein Italiener und außer einem großen Sänger ein Schauspieler ersten Ranges. Dazu die göttliche Musik! Und doch hatte ich auch gestern von diesem unsterblichen Meisterwerk keinen ganz reinen Genuß.

Warum nicht?

Weil ich nicht darüber hinwegkomme, daß es für diesen großen Sünder keine größere Strafe geben soll, als daß sich der brutale Höllenrachen unter ihm aufthut. Ich bitte Sie: ist er nicht selbst ein Teufel und findet sich in der Hölle nun wieder in seiner Heimath, der er doch entstammt? Wenigstens sollte er vorher, wie Orpheus von den Mänaden, von den tausendunddrei Spanierinnen, die er verführt hat, zerrissen werden, das wäre zugleich ein hübsches Schauspiel, natürlich als Ballet, und eine witzigere Art von poetischer Gerechtigkeit, als der eisige Händedruck des Gouverneurs zu Pferde.

Der alte Herr lachte.

Diesen Vorschlag sollten Sie einmal der Intendanz machen, verehrte Freundin. Er würde gewiß acceptiert werden und das Finale noch wirksamer gestalten.

Nein, im Ernst, fuhr die Professorin eifrig fort, das Drama leidet für mich an einem Mangel an Handlung, den die schönsten Arien nicht verschleiern können. Eine Verführungsszene nach der andern, nur immer unter etwas andern Umständen und in andrer Tonart – das ist am Ende langweilig. Man erwartet einen Gegenspieler – so nennt man das ja wohl, – einen Mann, der ihn von Macht zu Macht behandelt, nicht bloß ein Gespenst, das es rein äußerlich mit ihm aufnimmt und ihm ein Ende mit Schrecken bereitet, oder besser noch ein Weib, das ihm die Stirn bietet.

Ein Weib? Was sollte das für eins sein, das sich zur ebenbürtigen Gegenspielerin dieses dämonischen, allgewaltigen Herzenbrechers qualificierte? Oder denken Sie an ein ebenso siegreiches Überweib, wie er ein Übermann war? die das Ewigweibliche ebenso souverän darstellte, wie er das Ewigmännliche?

Auch das wäre vielleicht ein dankbarer Stoff für einen bedeutenden Dichter. Doch daran habe ich nicht gedacht, nur an etwas viel Bescheidneres und doch in seiner Art ebenso Wirksames: an ein weibliches Wesen von so starker innerer Reinheit, daß der Dämon keine Macht über sie gewinnen könnte und mit all seinen Künsten schmählich zu Schanden würde. Da er nur zur Hälfte aus Sinnlichkeit, zur größeren aus Hochmuth und Eitelkeit besteht, müßte eine solche Niederlage ihn tödtlicher verwunden als das bischen Höllenstrafe, die wir nicht einmal mit ansehen können.

Der Medizinalrath lächelte.

An Ihnen ist wirklich ein Poet verdorben, liebste Freundin, sagte er. Nur hat Ihr Vorschlag einen Haken. Ihre Siegerin wäre eben kein richtiges Weib, sondern eine Heilige, die sich eher zu allem Andern als zu einer dramatischen Figur eignete. Es giebt aber in der Natur kein Eis, das nicht durch Feuer zum Schmelzen käme, und nur ein Weib ohne alle Sinnlichkeit würde einem Don Juan auf die Länge widerstehen, da selbst die edle Donna Anna ihm erlag.

Die Professorin schwieg ein wenig, dann sagte sie mit einem sehr ernsten Gesicht: Ich hab' ein solches seltenes Wesen gekannt, das ein so richtiges warmblütiges Weib war wie Eine und doch nicht erlag, da sie vor der kalten Seele des Verführers zurückschauderte. Und dieses Wesen war meine eigne einzige Schwester.

Ihre Schwester? Aber von der haben Sie mir ja nie ein Wort gesagt!

Weil die Erinnerung an sie mir noch heute, nach vierzig Jahren, den ganz gleichen tiefen Schmerz aufregt, wie da ich sie verlor. Es giebt eben Wunden, die sich nie schließen. Und freilich, wenn ich Ihnen sage, daß mir nie ein andrer Mensch näher gestanden hat als diese Schwester, daß sie das Liebenswürdigste war, was mir je begegnet ist –

Das heißt: nicht liebenswürdig in dem landläufigen Sinne, wie die Welt es versteht, eine allgemeine holdselige Bethulichkeit, ohne jede Schärfe im Verkehr mit den Menschen, wie sie von einer redlichen, charaktervollen Natur unzertrennlich ist. Und doch wurde sie von Allen, die ihr nahe kamen, geliebt und verehrt, da Jeder fühlte, hinter dieser klaren Stirn wohne ein hochgesinnter Geist, auf diesen Augen blicke eine heitere, warme Seele ohne Falsch. Dazu ihre gesellige Munterkeit und ein trockener Humor, der Niemand weh that und sie bei Männern und Weibern beliebt machte.

Sie war durchaus keine Schönheit. Niemand, der ihr auf der Straße begegnete, blieb stehen, um ihr nachzublicken. Wer aber nur zehn Minuten mit ihr gesprochen hatte, vergaß ihr Gesicht nicht wieder. Es lag ein so eigner Reiz in diesen feinen, ruhigen Zügen, wenn sie sich im Gespräch belebten, besonders wenn sie etwas Schalkhaftes sagte oder sich für einen großen Gedanken begeisterte, wo die Willenskraft, die in ihr lebte, an ihrem energischen Mund zu Tage trat. All diese Eigenschaften erschienen so unbefangen in ihrem Wesen, so frei von jeder Gefallsucht, daß sie um so mehr gefiel und es ihr auch an eifrigen Courmachern nicht fehlte, so wenig wie an Bewerberinnen um ihre Freundschaft.

Doch über eine gewisse Grenze ließ sie Niemand sich nahe kommen, da sie ihr Freundschaftsbedürfniß vollauf in ihrem Verhältniß zu mir befriedigte, die ich nur drei Jahre älter war und ihre Liebe schwärmerisch erwiderte. Von den Männern aber, die sich um sie bewarben, konnte ihrem scharfen Blick keiner Stand halten. Einem Jeden hatte sie nach kurzer Bekanntschaft seine Schwäche abgesehen und amüsierte mich oft nach einem Ball oder einer Abendgesellschaft mit dem humoristischen Signalement der Einzelnen. Der Wunsch aber, sich selbst eine Illusion zu machen, nur um einmal zu erleben, was es mit der berühmten verliebten Liebe auf sich habe, blieb ihr fern. Dazu war sie noch zu jung und das Blut in ihren Adern noch von keinem Mannsbild in Wallung gebracht.

Ich hatte mich inzwischen verlobt.

Sie haben meinen seligen Mann gekannt und wissen, daß er nicht dazu angethan war, bei einem jungen Mädchen eine himmelhohe Leidenschaft zu entfachen, daß er aber alle Eigenschaften besaß, ein Weib, dem er sein Herz geschenkt, und das den Werth dieses goldenen Herzens erkannt hatte, sehr glücklich zu machen. So hatte er mich rasch gewonnen. Nicht wenig aber war ich froh darüber, daß meine Minette mir zu diesem Herzensbund ihren Segen gab. Du, sagte sie, halte mir deinen Fritz gut, sonst mach' ich ihn dir noch abspenstig. Er hat so gar nichts von all dem, worauf die Herren der Schöpfung sich was einzubilden pflegen. Dafür ist er mehr als Alle, die ich kennen gelernt, ein richtiger Mann und Mensch.

Sie nahm es übrigens bei aller Heiterkeit sehr ernst mit ihrem Leben. Sie wollte sich zur Lehrerin ausbilden, da ihr nichts mehr Freude machte, als mit Kindern umzugehen. Ich kann mir, sagte sie, keinen erquicklicheren und höheren Beruf denken als den, Mädchen dazu heranzubilden, daß sie sich selbst kennen und achten lernen und statt auf die Männerjagd zu gehen, ein bischen Persönlichkeit in sich auszureifen. Zugleich macht es ja mich selbst äußerlich unabhängig und schützt mich vor der Erbärmlichkeit, am Ende auch auf eine sogenannte Versorgung denken zu müssen.

Ihr Lehrerinnenexamen wollte sie auch im Zeichnen machen, wozu sie viel Talent hatte, ohne sich einzubilden, es stecke eine Künstlerin in ihr. Nur daß sie für alles Schöne eine leidenschaftliche Bewunderung hatte, dagegen aber eine Abneigung gegen das, was man einen schönen Mann zu nennen pflegt. An einem solchen übte sie unter vier Augen mit mir eine um so unbarmherzigere Kritik, je mehr er auf Andre ihrer Bekanntschaft Eindruck machte.

Nun tauchte aber auf einmal in unsern Kreisen ein Fremder auf, der sogleich alle Zungen in Bewegung setzte: ein Herr von Waltersheim, der aus Königsberg an unser Amtsgericht als Assessor versetzt worden war, weil er sich, wie es hieß, dort im Osten unmöglich gemacht hatte.

Er kam nicht direct von jenem Gericht, an dem er zuerst gearbeitet hatte, sondern – von der Festung. Auf der hatte er eine Strafe von drei Monaten abbüßen müssen für ein Duell mit dem Manne einer schönen Frau, den er nur leicht verwundet hatte, gleichsam nur um ihn darauf aufmerksam zu machen, in Zukunft in der Wahl seiner Hausfreunde vorsichtiger zu sein. Die Geschichte aber hatte das Maß der Beschwerden gegen ihn überfließen lassen. Er galt längst für den gefährlichsten Roué in der Stadt, doch war es bisher zu keinem öffentlichen Skandal gekommen, den auch die Regierung nicht ruhig hinnehmen konnte.

Bei uns nun führte er sich zunächst so unauffällig ein, daß harmlose Seelen erst nicht glauben wollten, dieser ernsthafte, bescheidene Mensch sei der berühmte Frauenjäger und Tugendmörder, als den die Legende ihn brandmarkte. Auch sein Äußeres wollte nicht recht dazu stimmen. Er war durchaus nicht schön im gewöhnlichen Sinne, aber groß und wohl proportioniert, der Kopf mit krausem braunem Haar saß auf breiten Schultern, die Züge des Gesichts aber waren unregelmäßig und die Farbe der glattrasierten Wangen von einer fahlen Blässe. Dazu lag um den energischen Mund stets ein Zug von kalter, fast höhnischer Gleichgültigkeit, selten durch ein Lächeln gemildert, auch dann mehr herablassend als wahrhaft menschenfreundlich.

Junge Mädchen hatten Furcht vor ihm, bei den Frauen bewährte sich wieder einmal das Goethe'sche Wort:

Geh den Weibern zart entgegen,
Du gewinnst sie auf mein Wort,
Und wer rasch ist und verwegen,
Kommt vielleicht noch besser fort.
Doch wem wenig dran gelegen
Scheinet, ob er reizt und rührt,
Der beleidigt, der verführt.

Ich nun freilich, obwohl ich kein Backfisch mehr war, fühlte mich gegen jede solche Verführung gefeit als glückliche Braut. Auch war ich keine so feine Männerkennerin wie meine Schwester. Die sagte, als wir einmal diesem berüchtigten Herrn auf der Straße begegnet waren – ein gemeinsamer Bekannter, der mit ihm ging, hatte ihn uns vorgestellt und ich hernach gefunden, er scheine doch besser zu sein als sein Ruf: Laß dich nicht täuschen, Julie. Ich wette, wenn er nach seinem Tode seciert wird, findet man an der Stelle, wo gewöhnliche Menschen ihr Herz haben, eine goldene Kapsel mit dem Miniaturporträt des Verstorbenen.

Ich lachte und schalt sie eine Pessimistin. Wenn dieser leichtsinnige Herr einmal die Rechte fände, würde er vielleicht der bravste Familienvater und treueste Gatte werden.

Sie zuckte die Achseln und erwiederte nichts.

*

Es schien allerdings, als ob ich mit meiner guten Meinung Recht behalten sollte.

Trotz seines üblen Leumunds fand Jarno – diesen Spitznamen, der sehr wenig auf ihn paßte, hatte eine für geistreich geltende Dame ihm aufgebracht – in den besten Häusern Zutritt, machte aber wenig Gebrauch davon. Es war wohl mehr, um das Terrain zu sondieren, zu erforschen, ob sich irgend was fände, was seinen unternehmenden Geist reizen könnte. Daß er nichts derart zu finden schien, wurde ihm sehr übel genommen. Man hatte herausgebracht, daß er ein hinlängliches Vermögen besaß, um nicht nach einem Goldfisch sein Netz auswerfen zu müssen. Es gab auch bei uns einige solche, die noch dazu für hübsch und liebenswürdig galten. An Allen ging er mit seinem kalten Gesicht vorüber. Wenn er von seinen Don Juan-Allüren nicht lassen konnte, mußte er es wenigstens so geheim treiben, daß er den Spähern und Nachrednern das Vergnügen verdarb, mit seinen Abenteuern die tugendhafte Gesellschaft in Empörung zu bringen.

So war die Hälfte des Winters vergangen und Fastnacht herangekommen, wo es auch bei uns mit Bällen und allerlei lustigen Veranstaltungen lebhafter zuzugehen pflegt, wenn auch nicht in dem Maße, wie in den katholischen Ländern. Unter Anderm fand auch in dem Mittwochkränzchen, dem die beste, gebildetste Gesellschaft der Stadt, darunter auch wir, angehörten, eine Theateraufführung statt, bei der Minette mitwirken mußte. Sie hatte das größte Talent zum Komödiespielen, und einige Sachkundige von unserm Theater hatten ihr ernstlich zugeredet, die Lehrerin gegen die Schauspielerin aufzugeben. Es wird ohnehin viel zu viel Komödie gespielt, sagte sie, im Leben mehr als hinter den Lampen, man braucht nicht noch eigens einen Beruf daraus zu machen.

An jenem Abend hatte sie zwei Rollen zu spielen, in zwei Einaktern, einem deutschen und einem französischen, der auch in der Sprache, in der er geschrieben wurde, aufgeführt wurde. In dem deutschen Stück machte sie eine der landläufigen schnippischen Kammerjungfern, nach dem berühmten Muster der Franziska in Minna von Barnhelm. In dem französischen eine junge Weltdame, die unter der Maske einer sentimentalen Tugend einen Hang zu verliebten Abenteuern verbarg und noch kurz vor ihrer Entlarvung von ihrem guten Manne aus einer beschämenden Lage gerettet und dadurch – freilich, Gott weiß, auf wie lange – gebessert wurde.

Beide Rollen spielte sie mit so glänzender Anmuth und Lebendigkeit, daß sie alle Zuschauer entzückte, darunter auch »Jarno«, der sich vor Kurzem um die Aufnahme in die Mittwochsgesellschaft beworben hatte und nicht zurückgewiesen worden war. Er hatte sich als Claqueur ausgezeichnet, und sobald der Vorhang gefallen und die gefeierte junge Gräfin unter den Gästen erschienen war, ließ er sich ihr vorstellen und sagte ihr die schmeichelhaftesten Sachen, die sie unbefangen ohne sonderlichen Eindruck an sich abgleiten ließ.

Man ging dann zu Tische. Jarno bemühte sich umsonst, in Minettes Nähe zu kommen, da sie von älteren Bekannten umringt war. Ich sah aber, wie seine Augen vom Ende der Tafel aus beständig zu ihr herübergingen und er auf das Geplauder seiner Nachbarin nur zerstreut zu antworten schien.

Als das Souper vorüber war und in dem größeren Saal, wo vorher die Komödie stattgefunden hatte, das Tanzen beginnen sollte, kam er eilig herbei und wollte meine Schwester zu allen möglichen Tänzen engagieren. Alles mit einer sehr beflissenen, liebenswürdigen Manier und sehr unglücklich, als sie ihm nur den siebenten Tanz zusagen konnte, da sie die früheren an ihre Schauspielkollegen vergeben hätte. Er verneigte sich und zog sich, ohne sich an eine andre Dame zu wenden, in eine Fensternische zurück, von wo aus er nur Augen für Minette zu haben schien.

Sie tanzte sehr gut, und ihre schöne, schlanke Gestalt kam dabei aufs Vorteilhafteste zur Erscheinung. Heute aber bemerkte ich eine leichte Ermüdung an ihr, und als der Walzer kam, den sie Jarno versprochen hatte, fragte ich sie leise, ob sie sich nicht lieber entschuldigen wolle. Sie schüttelte nur den Kopf, legte, als der Tänzer sich vor ihr verneigte, die Hand leicht auf seinen Arm und ließ sich von ihm in das Gewirre der tanzenden Paare hineinziehen.

Ich hatte nur die Rolle einer Ballmutter, da mein Fritz nicht tanzte und ich als Braut es nicht passend fand, mit einem Andern mich herumzudrehen. So konnte ich Minette beständig im Auge behalten, und es fiel mir eine seltsame Blässe in ihrem Gesicht auf, das bei den früheren Tänzen sich stark geröthet hatte. Als sie daher von ihrem Tänzer zu mir zurückgeführt wurde und hochathmend auf ihren Stuhl sank, flüsterte ich ihr zu, ob ihr Etwas zugestoßen sei, er Etwas gesagt habe, was sie unschicklich gefunden, oder nur die Erschöpfung nach Komödiespiel und Tanzen sie nervös mache.

Nur das, erwiederte sie hastig. Es wäre wohl besser, ich führe nach Haus mit dem Vater. Du kannst mit Fritz ja noch bleiben. Ich schicke dann den Wagen zurück.

Davon wollten wir Alle nichts wissen, und so brachen wir denn auf. Jarno begleitete uns in die Garderobe, fragte, ob dem Fräulein unwohl geworden, da sie so plötzlich das Fest verlasse, und verabschiedete sich erst unten am Wagen.

*

Es war mir nicht möglich, noch in der Nacht Etwas aus ihr herauszubringen. Sie wich allen Fragen aus, weil sie todmüde sei, doch hörte ich sie, da wir in demselben Zimmer schliefen, noch lange in ihrem Bett sich regen und weiß nicht, wann sie zur Ruhe kam.

Mein erster Blick, als ich am Morgen aufwachte, ging zu ihr hinüber. Ich sah sie in ihren Kissen aufrecht sitzen, das Kinn in die Hand gestützt, die Augen wie versonnen ins Leere gerichtet. Ich schlüpfte aus dem Bett und zu ihr hinüber. Bist du wirklich wach oder träumst noch mit offenen Augen? fragte ich halb lachend. Du hast was auf dem Herzen. Es wäre das erste Mal in unserm Leben, mein Liebling, wenn du's deiner alten Schwester nicht anvertrauen wolltest.

Ja, nickte sie ernsthaft vor sich hin, es ist Etwas, über das ich noch nicht im Reinen bin. Gestern Abend, weißt du, als ich mit ihm tanzte – und doch, ich war wie in einem Fieber. Seine Berührung, die leisen, schmeichelnden Worte, gar nicht zudringlich, aber so klug berechnet auf ein schwaches Mädchenherz – das Alles machte mich heiß, es ging wie eine magische Bezauberung von ihm aus, so daß ich Alles verstand, was man ihm in Bezug auf seine Erfolge bei Weibern nachgesagt hatte, zugleich aber überlief mich's eiskalt, da ich klar sah, wie das ohne einen Funken wahrer Empfindung nur wie ein Spiel von ihm behandelt wurde, ein Fest für seine Eitelkeit, das einen tiefen Haß in mir erregte. Ich will ihn nicht wiedersehen. Zwar fühl' ich mich gegen jede Gefahr gesichert, aber eben dieser Zwiespalt ist peinlich, und dem möcht' ich ausweichen.

Noch an demselben Vormittag führte sie diesen Vorsatz aus. Er kam zur Besuchsstunde, sich zu erkundigen, wie das Fräulein nach den gestrigen Aufregungen geschlafen habe. Ich mußte ihr Nichterscheinen mit einem leichten Unwohlsein entschuldigen. Als er sie auch bei einem zweiten Besuch wenige Tage später nicht zu sehen bekam, mußte er wohl fühlen, daß sie sich absichtlich verläugnen ließ, und blieb nun unserm Hause fern.

Es konnte aber nicht fehlen, daß sie ihn in andern Gesellschaften antraf. Sie erwiederte dann seine beflissene Annäherung mit kühler Höflichkeit, doch eben wie sie sich gegen jeden andern ihr Gleichgültigen betrug. Nur daß sie es liebte, wenn er in einem allgemeinen Gespräch sich einmal an sie wendete, das Gegentheil von seiner Meinung zu verfechten, mit so viel Witz oder ruhigem Ernst, daß er den Kürzeren zog.

So erinnere ich mich, daß einmal die Rede auf die Frauenemancipation kam, ein Thema, das damals-vor vierzig Jahren – eben erst interessant zu werden anfing. Es war in einem uns befreundeten Hause, wo man auch ernstere Gespräche zu führen pflegte. Jarno – ich weiß nicht, ob es seine wirkliche Meinung war, oder ob er sich nur bei den geistreichelnden Damen dadurch beliebt machen wollte – vertheidigte das Recht des weiblichen Geschlechts, nicht bloß nach Goethes Wort zu leben: »Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte«, sondern sich auch zu einer höheren Freiheit aufzuschwingen, als es in unsern traditionellen Verhältnissen die Sitte erlaube, vor Allem sich der Lernfreiheit zu bedienen und geistige Interessen zu pflegen, die bisher ihrem Horizont fern gelegen.

Diesmal, gnädiges Fräulein, wandte er sich mit leichtem Lächeln direct an meine Schwester, werden wir wohl derselben Meinung sein, was nicht oft der Fall zu sein pflegt. Ich höre ja, daß Sie sich dazu vorbereiten, das Lehrerinnenexamen zu machen.

Wenn Sie wüßten, erwiederte sie sehr ruhig, wie wenig dazu gehört, diese Prüfung zu bestehen, und daß man darauf nicht den Anspruch gründen kann, als gelehrt zu gelten! Ich tue es nur, weil ich gern mit jungen Wesen umgehe und es für verdienstlich halte, mich um ihre Erziehung zu bekümmern, damit die jungen Pflänzchen möglichst gerade wachsen, nicht durch allerhand künstliche Einflüsse verbildet werden. Ich hatte auch einmal den falschen Ehrgeiz, eine Denkerin oder Gelehrte werden zu wollen. Daß es kein weibliches Wesen giebt, das sich durch wissenschaftliche Leistungen um die Menschheit verdient gemacht hätte, schreckte mich nicht ab. Dagegen blieb ich auf diesem Wege zur Höhe stecken, als ich merkte, daß ich schon für die Geschichte nicht die Ausdauer hatte, die zwanzig Bände der Beckerschen Weltgeschichte durchzustudieren und dann erst die Spezialforschungen zu beginnen. Auch interessierte mich Karl der Große so wenig wie Karl der Fünfte, und für die Tausende, die in ihren Kriegen umkamen, hatte ich nicht die geringste Theilnahme. Und nun vollends die Philosophie! Oder die Naturgeschichte – und dazu die Verpflichtung, ein Spezialfach zu wählen. Denn ich hatte stets eine tiefe Abneigung gegen alles Halbe. Da entschloß ich mich, auf jede Concurrenz mit dem andern Geschlecht zu verzichten, da ja, wie wenigstens die Sage geht, der männliche Geist fähig ist, eine umfassende Bildung in sich aufzunehmen, während wir immer nur mit dem Herzen urtheilen und hin und wieder aus dem Garten der Wissenschaft nur ein Blümchen pflücken, mit dem wir unsre Toilette vervollständigen. Wir armen Frauenzimmer, sagte ich mir, auch wenn wir nicht den sogenannten eigentlichen Beruf des Weibes erfüllen können, sollen wenigstens dadurch uns vor Verbitterung schützen, daß wir uns in irgend etwas Nützlichem bis zur Vollkommenheit ausbilden und überdies unsre Nächsten so glücklich machen, wie es in unsrer Macht steht. Diese Freiheit wird nie mit der Sitte in Streit geraten. Und so hoffe ich, einem Schwarm kleiner Mädchen etwas Sitte beizubringen, ferner klare Begriffe über die Hauptsachen im Leben und dazu ein bischen Deutsch, Französisch, Geographie und andre nützliche Kenntnisse. Wenn sie sich hernach »emancipieren« wollen, mögen sie's auf eigne Rechnung und Gefahr thun, ich wasche meine Hände.

Sie sagte das alles viel witziger, als ich es jetzt aus der Erinnerung wieder vorbringen kann, dazu die lustigsten Bemerkungen mit einem drolligen Ernst, so daß sie Alle erheiterte und auf ihre Seite brachte.

Jarno war ernst geblieben, doch ohne durch ihren Sieg verstimmt zu scheinen. Vielmehr sagte er im verbindlichsten Tone: Ich strecke die Waffen, mein verehrtes Fräulein, doch nicht weil ich mich überwunden fühle, nur aus Hochachtung vor meiner Gegnerin, die uns eigentlich nur Gründe für meine Meinung geliefert hat. Ob Sie sich als Geschichtsprofessorin oder Philosophin auszeichnen würden, weiß ich nicht. Als Juristin würden Sie Ihrem Geschlecht die größte Ehre machen, da Sie eine schlechte Sache so glänzend vertheidigt haben, daß die hier anwesenden Geschworenen ohne Zweifel zu Ihren Gunsten das Urtheil sprechen werden.

Damit ergriff er ihre Hand und drückte einen ehrerbietigen Kuß darauf, was sie mit tiefem Erröten geschehen ließ.

*

Kaum waren wir auf dem Heimweg draußen allein, so brach es aus mir heraus: Du Heuchlerin! Warum hast du das Gegentheil gesagt von dem, was deine wirkliche Meinung ist? Ich weiß ja, du hältst die Frauen auch fähig, sich weiter zu bilden als zu guten Müttern und Köchinnen und begrüßest die heutige Bewegung, die das Wort la carrière ouverte au talent auf ihre Fahne schreibt, mit Begeisterung. Warum hast du nun aus deinem Herzen eine Mördergrube gemacht, statt Jarno zuzustimmen, der doch so Recht hatte?

Weil das beste Recht, wenn er's verteidigt, ein kaltes, seelenloses Ding wird, versetzte sie leidenschaftlich. Ihm ist das alles so gleichgültig, daß er mit eben so viel Geist und Witz das Gegentheil behaupten könnte, wenn er dabei ebenso seinen Vortheil fände, zu glänzen und armen dummen Frauenzimmern zu imponieren. Ich kann ihm das ja nicht ins Gesicht sagen, mir seine Absicht vereiteln, indem ich sie widerlege. Hätte er sich gegen die Emancipation erklärt, so würde ich für sie gesprochen haben. Oh, Julchen, warum muß es Männer geben, die nie eine andere Überzeugung haben, als daß sie unwiderstehlich sind!

Mir war bei der Heftigkeit, mit der sie das hervorsprudelte, nicht geheuer. Wenn er ihr gleichgültig gewesen wäre, hätte sie ihn ruhig schwatzen lassen und nicht mit ihm angebunden. Ich fühlte aber, daß es zu Nichts geführt hätte, sie warnen zu wollen. Auch war, so lange sie ihn durchschaute, nichts Schlimmes zu befürchten. Die Vögelchen, die ihm ins Garn gegangen, hatten keine so offenen Augen gehabt.

Leid that es mir freilich, daß wir für einige Zeit getrennt werden sollten. In den Osterferien fand meine Hochzeit statt, darauf verreisten wir für drei Wochen, sie blieb mit dem Vater allein. Doch hatte sie nun den Haushalt zu führen, daneben sich auf das Examen vorzubereiten, das sie natürlich glänzend bestand. Es blieb also keine Zeit für Gesellschaften, in denen sie mit ihm zusammentreffen konnte. Als wir dann von der Hochzeitsreise zurückkehrten, fand ich sie scheinbar in der heitersten Stimmung. Sie liebte mich so herzlich, daß sie sich meines jungen Glückes neidlos freute und mich mit Stolz durch unsre neue Wohnung im oberen Stock des alten Hauses führte, die sie aufs Hübscheste für uns eingerichtet hatte. Unter uns war unser Papa wohnen geblieben. Wenn nun auch du heirathest, Liebling, sagte ich, kannst du dein Nest im Erdgeschoß bauen.

Da wurde sie sehr erregt.

Daran ist nicht zu denken, sagte sie. Ich bleibe überhaupt nicht hier. Vater hat ja euch, ich aber –

Und nun erzählte sie mir, daß nach glücklich bestandenem Examen der Schulrath ihr eröffnet habe, zwei Stellen seien augenblicklich frei, zwischen denen sie sogleich wählen könne, eine hier in der Stadt an der Elisabethschule, die andere in Stettin. Sie habe sich für diese entschieden.

Ich erschrak sehr. Der Gedanke, sie zu verlieren, war mir unfaßbar.

Sie sah düster vor sich hin.

Wenn du mich lieb hast, sagte sie, so versuche nicht, mich in meinem Entschluß wankend zu machen, der mir ohnehin schwer genug geworden ist. Es muß aber sein. Ich fühle, wenn ich hier bleibe, geh' ich zu Grunde – an dem bewußten Fieber. Ich bin ihm ein paar Mal auf der Straße begegnet und habe es ihm nicht verwehren können, mich eine Strecke zu begleiten. Das hat er benutzt, alle seine Künste aufzubieten, um mir den Glauben beizubringen, ich sei ihm unendlich theuer. So bethörend das klang – nicht eine eigentliche Liebeserklärung, aber viel schmeichelhafter durch den Respekt, der ihn scheinbar abhielt, das letzte Wort auszusprechen, – ich verlor doch keinen Augenblick meine klare Besinnung und vergaß nicht, daß es nur der Lockruf des Vogelstellers war, und ließ ihn keinen Schritt Boden gewinnen. Aber auf die Dauer halt' ich diesen Schüttelfrost zwischen Liebe und Haß nicht aus. Du wirst es feige nennen, daß ich fliehen will. Es ist aber keine Schande, sich einer Behexung durch die Flucht zu entziehen, und so was ist es, was dieser Mann gegen mich ausübt. Wenn du mein Bestes willst, Liebste, hilf mir, daß auch Papa einwilligt, der nicht begreift, daß ich so weit von euch Allen mich glücklicher fühlen kann als hier. Er weiß ja nicht, daß es mein Unglück sein würde, wenn ich endlich doch die Besinnung verlöre und glauben könnte, dieser Dämon sei eines menschlichen Gefühls fähig.

*

So mußte ich meinen Liebling denn hingeben, was einen Schatten auf mein junges Eheglück warf. Bald aber fand ich mich leichter darein, da auch wir fortzogen. Schon im Sommersemester hatte Fritz den Ruf als außerordentlicher Professor nach Halle bekommen, und Vater folgte uns dorthin. Er hatte wegen zunehmender Kränklichkeit sich vom Geschäft zurückziehen müssen und wollte nun seinen Lebensabend unter Kindern und Enkeln beschließen.

Daß ich mit Minette trotz meiner Hausfrauen- und bald auch Mutterpflichten in eifrigem brieflichem Verkehr blieb, können Sie wohl denken. Sie schien auch in ihren neuen Verhältnissen sich bald einzuleben, hatte Freude am Unterricht und noch Zeit, nebenher allerlei zu studieren, was ihren Geist anzog, ohne daß sie eine besondere Wissenschaft bevorzugte. Von dem, was sie in die Fremde getrieben hatte, war nie in ihren Briefen die Rede.

Auch nicht, wenn sie in den Ferien einmal zu uns kam oder wir unsre freien Sommer- und Herbstwochen mit ihr zusammen in einem Seebad zubrachten, was immer die größte Seligkeit für mich war. Ich glaubte dann auch zu erkennen, daß von jenem Fieber keine Spur mehr in ihrem Blut zurückgeblieben sei. Sie war so heiterer Laune wie in ihrer jüngsten Zeit, tollte mit meinem ersten Buben am Strande herum, als würde sie selbst wieder zum Kinde, und sah so frisch und hübsch aus, daß sie unter den Badegästen mehr als eine Eroberung machte und sogar ein paar Körbe auszutheilen hatte.

Dies vergnügliche Leben aber sollte plötzlich gestört werden.

Wir waren eines Morgens eben aus dem Bade gekommen und wanderten am Strande in der Sonne, Minette hatte dem Kindermädchen den Kleinen abgenommen und bald Muscheln mit ihm gelesen, bald ihn auf ihrem Rücken reiten lassen, als eine dunkle Gestalt uns entgegenkam, in der wir sofort den seither verschollenen »Dämon« erkannten. Er war in Trauerkleidern, auch sein Gesicht sehr bleich und düster, der Ausdruck veränderte sich auch kaum, als er unser ansichtig wurde und den Hut ziehend bei uns stehen blieb.

Wir erfuhren, daß vor vier Wochen seine Mutter gestorben war, von deren Leben und Wesen er viele kleine Züge erzählte, die erklären sollten, warum dieser Verlust für ihn mehr als für manchen andern guten Sohn bedeute. Dann brach er plötzlich ab, sich entschuldigend, daß er unsre Theilnahme so lange in Anspruch genommen, und entfernte sich über die Dünen hinaus, ohne sich weiter nach unserm Leben erkundigt zu haben.

Mit Minette hatte er weder ein Wort noch einen Blick getauscht, nur dem Kinde den Kopf gestreichelt, wie geistesabwesend, als ob seine Trauer ihn gänzlich in Beschlag nähme.

Ich hatte mich durch seine Haltung täuschen und zu aufrichtigem Antheil bewegen lassen. Als ich Minette sagte, wie leid er mir thue, zuckte sie nur die Achseln. Sie war aber todtenblaß, als sie ihn erblickte, und ich sah wohl, daß sie sich große Gewalt anthun mußte, ihre Erregung nicht zu verrathen. So mußte ich mir sagen, daß das Fieber in den drei Jahren noch nicht ganz geschwunden sei, und hoffte nur, man werde sich aus dem Wege gehen können, zumal er durch die Trauer wohl für seine alten Abenteuer die Stimmung verloren habe.

Leider aber wohnte er in demselben Hôtel mit uns, und wenn er auch Mittags an einem besonderen Tischchen speiste, konnte es doch nicht fehlen, daß wir einander vielfach begegneten. Zumal es meinem Fritz, der nicht täglich badete, keine Arbeit mitgenommen hatte und sich daher ziemlich langweilte, sehr willkommen war, einen Juristen angetroffen zu haben, mit dem er hin und wieder, wie man's nennt, »fachsimpeln« konnte.

Ich selbst jedoch konnte mir nicht verhehlen, daß ich an seinem Umgang mehr und mehr Gefallen fand. Er war wirklich ein geistvoller Plauderer und guter Erzählen und da er viel gereist war, ging ihm der Unterhaltungsstoff nie aus. Wenn wir nach Tisch auf der Veranda den Kaffee tranken und er, »zufällig« vorbeikommend, bescheiden fragte, ob er sich einen Augenblick zu uns setzen dürfe, war er mir stets willkommen. Minette blieb dann nicht lange, sondern verschwand unter einem Vorwand.

Ich kann das nicht lange mit ansehen, sagte sie, wie er den harmlosen Globetrotter spielt, da ihm doch nur daran lag, in Spanien die Tausendunddrei auf seine Liste zu bringen. Ihr Beide seid eben zu gute Menschen und denkt an nichts Arges. Schopenhauer oder irgend ein andrer Philosoph hat ganz Recht, wenn er behauptet, der innerste Charakter eines Menschen könne sich nie verändern. Doch daß er mit seiner berühmten Unwiderstehlichkeit auch euch bezaubert hat, ist euch zu verzeihen.

Sie nahm dann wohl ihren Malkasten, da sie ein Strandbildchen in Aquarellfarben angefangen hatte, oder holte sich den Jungen, mit ihm einen Spaziergang zu machen. Fritz schalt sie, daß sie den interessanten Menschen schlecht behandle. Ich behandle Jeden, wie er es in meinen Augen verdient, versetzte sie. Über den Geschmack ist nicht zu streiten.

*

Nun kam sie aber eines Nachmittags von ihrer Malarbeit am Strande in großer Erregung zurück und suchte mich gleich in meinem Zimmer auf. Sie schloß zitternd die Thür hinter sich, wie wenn sie verfolgt würde, sank auf einen Stuhl und brach in Thränen aus. Als ich aber heftig erschrocken sie umfing und fragte, ob sie plötzlich krank geworden, richtete sie sich auf, strich zornig die Thränen aus den Augen und rief: Verzeih, daß ich mich so kläglich betrage, nein, ich bin nicht krank, nur wütend, daß ich's so weit kommen ließ, statt gleich ein für alle mal Alles abzuschneiden. Ich wollte euch das Vergnügen nicht stören und einen Eclat vermeiden, da er dann doch sich hätte fernhalten müssen. Und auch jetzt – ich Närrin, ich dumme Gans! Auch jetzt noch ist's nicht ganz zu Ende, wenigstens nach seiner Meinung!

Es gelang mir, sie etwas zu beruhigen, so daß sie mir erzählen konnte, was vorgefallen war.

Sie hatte ruhig auf ihrem Feldstuhl gesessen und versucht, die Brandung nachzupinseln, da war er plötzlich ganz sacht in ihrem Rücken herangekommen und hatte erst dicht hinter ihr gefragt, ob sie ihm erlaube ihre Arbeit anzusehen. Sie sei aufgefahren und habe lebhaft erwiedert, es sei nichts daran zu sehen, wenigstens in diesem Anfangsstadium, und dann ihre Malsachen ruhig zusammengepackt und sich zum Rückweg ungeschickt, mit einer Geberde, als wolle sie ihn entlassen. Er aber sei an ihrer Seite geblieben, sich entschuldigend, daß er sie verscheucht habe, und plötzlich habe er gesagt: Was habe ich Ihnen gethan, gnädiges Fräulein, daß Sie mich fortwährend so ungnädig behandeln? Und als sie ausweichend erwiederte, er irre sich, sie behandle ihn wie jeden Andern, habe er nun fortgefahren, er glaube doch eine etwas bessere Behandlung als jeder Andre verdient zu haben, da kein Andrer sie mehr verehre und er es auch ihr zu zeigen sich bemüht habe. Da sei es ihr herausgefahren: eben darum habe sie es ihn fühlen lassen wollen, daß er sich täusche, wenn er glaube, sie so leichten Kaufs gewinnen zu können, wie die vielen Andern. Denn von Anfang an habe sie erkannt, daß er aus seinen Siegen über schwache Frauen nur einen Sport mache, nicht einmal weil er leidenschaftlich empfinde, wenn er von Einer zur Andern gehe, sondern aus herzenskalter Geringschätzung ihres Geschlechts, das ihm nur zu einem Spiel gut genug sei, und um eine schöne lange Leporelloliste vorweisen zu können.

Das Alles habe er mit der Miene des tiefsten Schmerzes angehört und endlich in gut gespielter Zerknirschung erwiedert, er könne sich von all diesen Vorwürfen nicht reinigen, er sei eben durch das Entgegenkommen leichtsinniger Weiber verwöhnt worden und nie einem weiblichen Wesen begegnet, das ihm wahrhafte Hochachtung eingeflößt – bis er mich kennen gelernt. Und nun folgte eine glühende Schilderung dessen, was er in meiner Nähe empfunden, und zuletzt das Geständniß, er werde nie ein glücklicher Mann werden, wenn er darauf verzichten müsse, mich zu seinem Weibe zu gewinnen.

Wenn du ihn gehört hättest, Liebste, fuhr sie fort, wie schlicht und mit bewegter Stimme er das Alles vorbrachte, mit dieser Stimme, mit der er schon so Manche bethört hat, und sagte, in der letzten traurigen Zeit habe nur der Gedanke an mich ihn aufrecht erhalten – du hättest begriffen, daß selbst ich einen Augenblick schwach wurde, zumal – ich muß es dir nur gestehen – auch ich in diesen drei Jahren, wo er mir fern gewesen war, den Gedanken an ihn nie aus meinem Kopf, nein, aus meinem Herzen hatte verbannen können. Dabei hatte ich mir beständig gesagt, daß es mein Unglück wäre, wenn ich ihm jemals angehörte, daß es eben eine Bezauberung sei, wie man im Mittelalter armen Frauen nachgesagt und sie selbst es geglaubt hätten, sie hätten sich dem Teufel hingegeben – und suchte mich in meine Bücher zu vertiefen, mir die Erinnerung an ihn fernzurücken – umsonst! Er tauchte immer wieder auf.

Und nun jetzt – oh, ich war so erschüttert und verwirrt, daß ich, statt einfach zu erklären, von einer Verbindung mit ihm könne nie die Rede sein, auf seine dringende Bitte versprach, ihm erst nach drei Tagen Bedenkzeit mein letztes Wort zu sagen.

So verließ er mich, mit leidenschaftlichem Dank, daß ich ihm wenigstens nicht alle Hoffnung raube, und du siehst mich nun hier in der hellen Verzweiflung, daß ich's so weit habe kommen lassen!

Ich sehe nicht ein, sagte ich, was da zu verzweifeln ist. Warum willst du's nicht noch weiter kommen lassen? Es wäre nicht das erste Mal, daß eine kluge, charaktervolle Frau einen als Junggesellen sehr untugendhaften Mann gründlich gebessert hat, und wie er sich jetzt beträgt –

Auch jetzt, Liebste, unterbrach sie mich, ist er der Alte geblieben. Ich hörte deutlich aus seinen rührendsten Betheuerungen das bischen Komödie heraus, das er aus alter Gewohnheit spielen mußte, selbst wenn es ihm jetzt Ernst damit wäre, daß er mehr als sonst eine Liebe zu mir fühlte. Sobald er sein Ziel erreicht hätte, würde das vergehen, und bei der nächsten Besten begänne das alte Spiel. Nein, es kann, kann, kann nicht sein!

Die Thränen traten ihr still wieder in die Augen.

Nun, sagte ich, wenn es nicht sein kann, so entschließ dich und weise ihn einfach ab. Ist er, wie du glaubst, so wird er eben nicht verzweifeln.

Ihn abweisen, das ist leicht gesagt. Doch wenn er mir gegenüber stünde, rührte sich wieder der alte Zauber. Wie sagt Emilia Galotti? Auch ich habe Blut, mein Vater, so jugendlich warmes Blut wie Eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Dann rührte sich wieder das Wechselfieber wie die letzten drei Jahre, und endlich ginge ich daran zu Grunde. Dann doch lieber gleich jetzt, als abreisen, feige fliehen, wie schon einmal, und erleben, daß er mir nacheilt und, auch wenn ich Flügel der Morgenröthe nähme, mich am Ende doch einholt und besinnungslos zum Altar schleppt.

Ich war tief unglücklich, wußte keinen Rath und bat sie nur endlich, Nichts zu übereilen und wenigstens die Bedenkzeit zu Ende gehen zu lassen.

Das gelobte sie mir, und so sprachen wir zunächst kein Wort mehr von der unseligen Geschichte.

*

An diese drei Tage werde ich ewig denken.

Ich sehe sie noch, wie sie mit einem regungslosen Gesicht wie weltentrückt herumging, wenn man sie anredete, sich besinnen mußte, ehe sie antwortete, übrigens durch ihr ganzes Betragen gegen uns und den Kleinen zeigte, daß ihr Herz noch bei uns war, nur inniger noch als sonst, während ihr Geist von irgend einer fixen Idee in Bann gehalten wurde. Aus der großen Weichheit ihrer Stimmung glaubte ich schließen zu dürfen, daß sie mit sich kämpfte zu Gunsten ihres Bewerbers und schwankte, ob sie ihm nicht doch Vertrauen schenken und es auf alle Gefahr hin mit ihm wagen solle.

Äußerlich ging unser Leben unverändert seinen Gang. Vormittags das Bad, eine kleine Siesta vor Tische, Nachmittags ein Spaziergang. Nur daß sie ihr Malen am Strande aufgegeben hatte, wohl um nicht wieder von ihm dort aufgesucht zu werden. Doch drohte wohl keine solche Gefahr. Er hielt sich in diesen drei Tagen völlig fern von uns, nahm sogar die Mahlzeiten unter dem Vorwande einer leichten Unpäßlichkeit in seinem Zimmer ein. Es sprach mir für ihn, daß er es unter seiner Würde hielt, ihren freien Entschluß durch Versuche, sie zu rühren, beeinflussen zu wollen. Gewiß aber war's nur eine kokette List. Il faut se faire desirer ist ja eine bekannte Regel für Alle, die ein sprödes Herz erobern wollen.

Am dritten Tage nun, an dessen Nachmittag die Frist ablief, zeigte sie sich besonders zärtlich gegen mich und sogar wieder heiter, so daß mein Mann, der von dem, was vorging, keine Ahnung hatte, ihr sagte, sie müsse irgend Etwas erlebt haben, was sie glücklich mache; ob sie es ihm nicht verrathen wolle. Es werde bald an den Tag kommen, versetzte sie geheimnißvoll lächelnd. Gewiß, scherzte er, habe sie sich in einen der jungen Herren verliebt, die ihr so eifrig den Hof machten. Und sie: das könne wohl sein. Doch wenn sie ihr Herz verloren habe, wünsche sie es nicht wiederzufinden. Und solcher zweideutigen Worte mehr.

Sie umarmte ihn und sagte, das Stück von ihrem Herzen, das ihm gehöre, werde sie ihm immer aufheben. Damit verließen wir ihn, und sobald wir unter vier Augen waren, versank sie wieder in ihr Schweigen und Sinnen. Es war ein trüber, windiger Tag, zum Baden nicht einladend. Ich rieth daher, es für heute aufzugeben, sie bestand aber heftig darauf, gerade heute habe sie's nöthig, ihr Blut zu kühlen, und so zogen wir unser Badekostüm an und traten an den Strand hinaus. Als die Wellen uns schon die Füße netzten, wandte sie zufällig den Blick nach der Seite und tat einen leisen, erschreckten Ausruf: Da kommt er! Schütze mich vor ihm!

Ich wandte nun auch das Gesicht nach rechts und sah die schwarze Gestalt langsam auf uns zukommen, wie es schien, ganz absichtslos, da er den Blick zu Boden gesenkt hatte. Er hat uns gar nicht gesehen! flüsterte ich ihr zu. Was thut es auch? Damit drehte ich mich wieder nach ihr um, sah sie aber schon eine Strecke weit ins Wasser hineingeschritten, unaufhaltsam, obgleich ich ihr nachrief, auf mich zu warten, und so rasch, daß ich hinter ihr zurückbleiben mußte. Eine seltsame Angst überfiel mich, immer wieder rief ich ihren Namen, immer schwerer kämpfte ich mich durch die höher steigende Flut der fliehenden Gestalt nach, von der bald nur der Kopf über dem Wellenkamm auftauchte, – bis er völlig verschwand!

Ich konnte nicht weiter, die Kniee versagten mir, beim nächsten Schritt hätte ich den Grund unter den Füßen verloren. Nur so viel Besinnung behielt ich in meiner Todesangst, daß ich mich an den Strand zurückarbeiten konnte, nach Hülfe schreiend und die Badewärter heranbeschwörend, daß sie der Verunglückten nacheilen, sie vom Untergang retten sollten – dann brach ich selbst zusammen.

Nur kurze Augenblicke verlor ich das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, umstand mich ein tief bestürzter Schwarm von Badegästen, die Badewärter kehrten mit dem Rettungsboot eben zurück, die Versunkene hatten sie nicht auffinden können.

Erst am nächsten Tage gab die See ihre Beute wieder heraus. Nichts mehr von unserm Jammerzustand, als wir das geliebte Gesicht wiedersahen, nun stumm für immer, doch von aller Fieberqual, die sie in den Tod getrieben, geheilt! Ich aber mußte das Geheimniß ihres Todes allein tragen. Erst viel später konnte ich mich entschließen, meinem Manne davon zu reden.

Als der schlichte Sarg geschlossen war, in dem wir den armen Rest unsrer Geliebtesten in unsre Heimath mitnehmen wollten, und vor der Einschiffung der Geistliche in unsrer Wohnung eine stille Feier abhielt, der alle Badegäste, die sie gekannt und verehrt hatten, tief ergriffen beiwohnten, trat während des Schlusses der Rede auch er herein, einen Cypressenkranz mit weißen Rosen in der Hand, den er, als der Sarg aufgehoben wurde, zu den andern Todtenkränzen legte. Sein Gesicht war wie von einem Krampf unterdrückten Weinens verzerrt, er trat auf meinen Mann zu, verneigte sich stumm und drückte ihm die Hand. Dann trat er auch zu mir und flüsterte ein paar unverständliche Worte, auch mir die Hand hinreichend. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, sie zu ergreifen.

*

Eine lange Stille folgte auf diese letzten Worte. Endlich sagte der alte Freund: Und was ist aus ihm geworden? Haben Sie noch weiter von ihm gehört?

Ein halbes Jahr nach diesem Ereigniß stand sein Name und der einer Berliner Kommerzienrathstochter, die ihm eine Millionenmitgift zubrachte, als »Vermählte« in der Zeitung. Es soll eine nicht sehr hübsche und unbedeutende Frau gewesen sein, die er mit seinen magischen Künsten bethört hatte. Nicht lange, so erkannte sie, an wen sie sich weggeworfen hatte, ertrug es eine Weile, wie so Unzählige, bis er es gar zu arg machte, nicht nur sie vernachlässigte und sie seine Herzlosigkeit brutal empfinden ließ, sondern durch einen öffentlichen Skandal mit einer Andern sie aufs Tiefste beleidigte. Sie sind dann geschieden worden, die gute Frau aber, die ihn immer noch liebte, hat dem Verräther noch eine große Summe mitgegeben, wozu sie nicht verpflichtet war.

Mit der ist er nach der Riviera gegangen und hat sich in Monaco festgesetzt, dort zum Spieler von Beruf sich auszubilden. Als er endlich sein letztes Fünffrankenstück verloren hatte, warf er ihm sein verlorenes Leben nach und schoß sich eine Kugel durch den Kopf.

– – – – – –


 << zurück weiter >>