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Das schwächere Geschlecht

(1911)

Das schwächere Geschlecht! rief die Professorin. Wenn ich das dumme Wort nur nicht immer wieder hören müßte und vollends aus dem Munde eines so gescheiten Mannes, wie Sie, mein verehrter Freund! Aber freilich, der Unsinn ist so alt wie die Welt und wird erst mit ihr verstummen. Oder hat nicht Vater Adam schon seiner Frau vorgehalten, wenn sie im Felde pflügten oder ihre Hütte bauten, daß sie ein armes, schwaches Geschöpf sei, das sich mit seiner Kraft nicht messen könne? Von einer anderen Stärke, als der leiblichen, hatte er natürlich noch keine Ahnung, und daß er, was den Charakter betrifft, ein Schwächling sei, kam ihm nicht zum Bewußtsein, als er in den Apfel biß. Das that ja auch Mutter Eva, doch erst nach ihm, und wer verführt, ist doch immer stärker, als wer sich verführen läßt. Seitdem hat sich jene Schwäche im männlichen Geschlecht fortgeerbt. Ihr habt ja sehr schöne Tugenden und verrichtet die größten Heldenwerke, aber gewissen Versuchungen gegenüber seid ihr so schwach wie die Kinder, die auch immer Alles, was ihren Appetit reizt, in den Mund stecken müssen, ohne zu fragen, ob es nicht etwa einem Andern gehört. Und da wird ein großes Geschrei gemacht, wenn auch einmal ein armes weibliches Wesen seinem Gelüste folgt und eins der zehn Gebote übertritt. Gehn Sie, lieber Freund! Gestehen Sie, daß die Herren der Schöpfung mit doppeltem Maß zu messen pflegen und die größere Nachsicht gegen sich selbst üben.

Die alte Dame hatte diese heftige Schutzrede für ihr Geschlecht in wachsendem Eifer hervorgesprudelt, wobei ihr feines Gesicht sich röthete und die silberweißen Löckchen über ihrer Stirn noch zitterten, als sie schon schwieg. Sie blickte den alten Medizinalrath, der ihr gegenüber saß, mit scharfen Augen an und nahm, da er nicht gleich antwortete, das Gestrick wieder auf, das ihr über ihrer lebhaften Rede aus den Händen geglitten war.

Theuerste Freundin, sagte der alte Herr endlich, nachdem er den Rest seines Thees langsam ausgeschlürft hatte, so sehr ich sonst bereit bin, in allen sittlichen Fragen mich vor Ihrem feineren Takt und Gewissen zu beugen, in diesem Falle werden wir uns kaum verständigen. Keine Frau will zugestehen, daß es sich hier um ein Naturgesetz handelt, durch das die beiden Geschlechter verschieden organisiert sind, der Mann polygamisch, das Weib auf eine monogamische Existenz angewiesen, und daß sich danach die sittliche Zurechnung verschieden gestaltet. Wollen wir diese tausendfach discutierte Frage nicht lieber auf sich beruhen lassen, als uns den gemüthlichen Abend damit verderben, daß wir uns streiten und am Ende Jeder auf seiner Meinung bleibt?

Sie weichen mir aus, lieber Freund, entgegnete die Professorin. Ich läugne ja nicht, daß ein stärkerer Naturtrieb die Männer dazu anreizt, ihren Frauen untreu zu werden, obwohl auch das nicht über jeden Zweifel erhaben ist; ich behaupte nur, daß sie diese billige Entschuldigung mit einem Naturgesetz aufs Äußerste mißbrauchen, die eigentlich überhaupt keine Entschuldigung ist, so wenig ein Mörder, Dieb oder sonstiger Verbrecher sich darauf ausreden darf, seine Natur sei nun einmal so angelegt, daß er der Versuchung nicht habe widerstehen können. Gewiß gibt es auch unter den Frauen nur allzu viele, die polygamisch geartet sind, aber die Meisten unter ihnen widerstehen eben diesem Naturtriebe aus sittlichen Motiven, während unter den Männern die Wenigsten dies vermögen. Statistisch freilich läßt sich das nicht nachweisen. Aber in meinem langen Leben habe ich so viele Beweise für die Wahrheit dieser Behauptung erhalten, daß ich sie mir von Niemand bestreiten lasse. Freilich haben die Frauen im Kampf gegen den Naturtrieb Bundesgenossen, die den Männern nicht in gleicher Stärke beistehen: die Kinder. Wie manche Mutter, die schon drauf und dran war, der Stimme der Leidenschaft in ihrem Blut zu folgen, hat ein Laut von den Lippen ihres Kindes zurückgehalten. Übrigens ist es auch sonst nicht im Allgemeinen wahr, selbst nicht im blos Physischen, daß ihr Recht hättet, mitleidig auf uns herabzusehen, als auf das schwächere Geschlecht. Wir haben zwar keine Muskelkraft, wie sie Lastträger besitzen. Aber wenn wir keine schweren Balken tragen können, im Ertragen physischer Schmerzen sind wir euch überlegen, und Sie kennen ja auch das scherzhafte Wort, man könne die Thatsache, daß der liebe Gott ein Mann sei, schon daraus folgern, weil er das Geschäft, mit Schmerzen Kinder zu gebären, den Weibern übertragen habe.

Der Medizinalrath wiegte lächelnd den weißen Kopf und sagte: Da Sie in die Geheimnisse Gottes eingeweiht sind, werden Sie auch wissen, daß er mit gutem Bedacht Ihr Geschlecht nicht nur als das schwächere, sondern auch als das schönere erschaffen hat, um die armen Männer schuldloser erscheinen zu lassen, wenn sie dem polygamischen Naturtriebe nicht zu widerstehen vermögen.

Sie böser Sophist! rief die muntere alte Dame, damit kommen Sie mir nicht durch. Die galante Bezeichnung als »schöneres Geschlecht« ist ebenso falsch, wie jene andere. Fragen Sie deßwegen nicht etwa verliebte junge Thoren, sondern reife, vernünftige Künstler, da werden Sie hören, daß vom rein ästhetischen Gesichtspunkt aus der männliche Körper dem weiblichen an festem harmonischem Reiz der Formen überlegen ist, abgesehen davon, daß dem Weibe nur eine kurze Zeit der Blüte vergönnt ist, in der sie nach Schopenhauer als »Knalleffekt der Natur« bewundert und begehrt werden kann, während der Mann bis an die Grenze des Greisenalters sich sehen lassen darf. Und was die größere Gefahr der Versuchung durch die Schönheit betrifft, so bedroht sie eine große Menge Männer überhaupt nicht, da fast bei der Mehrzahl die Befriedigung des ästhetischen Triebes nur so nebenher mitspielt. Mein eigner lieber Mann zum Beispiel – er hat mich geradezu vergöttert und auf Händen getragen, als die Beste aller Frauen, aber mein bischen hübsches Gesicht hatte den geringsten Anteil daran. Er sah kaum, daß ich wohl dazu angethan war, Eroberungen zu machen. Wie ich mich kleidete, was ich that, um auch einmal in der Gesellschaft zu glänzen, das war Alles für ihn verloren. Sie haben ihn ja gekannt und hoch geschätzt und wissen auch, daß ich nicht seine erste Liebe war, die gehörte der Jurisprudenz, wohl aber seine zweite und letzte. Daß er nie in die Versuchung kam, mir untreu zu werden, war daher kein Beweis besonderer Tugend und seiner Zugehörigkeit zum schwächeren Geschlecht der Männer, die wehrlos sind gegen jeden sinnlichen Reiz. Wie es aber den Andern ergeht, die nach dem Worte leben: erlaubt ist, was gefällt, und sich kein Gewissen daraus machen, ihre heiligen Schwüre am Altar in den Wind zu schlagen und sich auf das Recht des Stärkeren berufen, was nichts Anderes ist als ihre Ohnmacht, dem angenehmen Naturtrieb zu widerstehen, dafür habe ich mancherlei Beweise erlebt, einen besonders starken, bei dem eine meiner liebsten Jugendfreundinnen eine Rolle spielt, die ihr viel Thränen kostete.

Sie war das reizendste Wesen, das mir je begegnet ist, so schön wie gut und so gut wie klug. Sie werden mich für eine überspannte Schwärmerin erklären, wenn ich sage, soviel es in dieser unvollkommenen Welt möglich ist, war sie von innen und außen vollkommen. Dabei, obwohl sie natürlich nicht im Zweifel sein konnte, daß sich, was Gesicht und Gestalt betrifft, keine Andere mit ihr messen durfte, ohne eine Spur von Eitelkeit, eher bemüht, sich in den Schatten zu stellen. Und so auch mit ihren anderen Vorzügen und Liebenswürdigkeiten. Die trug sie mit sich wie etwas Selbstverständliches, das ihr eigen sei wie die fünf Finger an jeder Hand, oder die Wimpern an ihren Augenlidern. Sie gab sich stets in heiterer Unbefangenheit, und ich habe nie von einem Mädchen ein lieblicheres Lachen gehört. Und doch lag auch zuweilen eine leise Schwermuth über ihrem Gemüth, nur wie ein leichter Flor, durch den ihre dunklen Augen nur noch reizender hervorleuchteten.

Bis zu ihrem vierzehnten Jahre war sie auf dem Lande aufgewachsen, ihr Vater besaß ein großes Gut in der Altmark, und ein sehr gebildetes Fräulein hatte im Verein mit dem Lehrer des Dorfs und der Mutter ihren Unterricht geleitet. Als dann die Mutter gestorben war, siedelte der Vater nach Berlin über, und Hortense wurde in eine höhere Töchterschule gebracht. Da lernte ich sie kennen. Ich war zwei Klassen über ihr, aber an dem ersten Tage, wo ich sie in der Zwischenstunde draußen auf dem Spielplatz traf, fühlte ich, daß ich mein Herz an sie verloren hatte.

Das geschah auch so ziemlich allen Andern, nur daß sich's bei mir heftiger äußerte. Ich kann nicht sagen, daß meine leidenschaftliche Werbung besonderen Eindruck auf sie gemacht hätte. Sie nahm sie ziemlich gelassen hin, doch nicht wie etwas, worauf sie ein Recht hätte, sondern sie lebte so nach innen und war durch den Übergang in die ganz neuen Verhältnisse so in Verwirrung gerathen, daß ihr das Wichtigste war, sich erst mit sich selbst zurechtzufinden.

Als sie dann merkte, daß ich ihr gern dabei helfen wollte, war sie für meine zärtliche Hingebung dankbar und schloß sich mehr an mich als an irgend eine Andere an.

Das dauerte auch noch fort, nachdem ich das Institut verlassen hatte, während sie noch darin zurückblieb. Die Erinnerung an diese Jahre meiner Freundschaft mit diesem geliebten Wesen lebt mit unvergänglicher Süßigkeit in meinem Herzen fort. Aber ich schweige davon. Sie würden kein Verständniß dafür haben und mich im Stillen eine sentimentale Närrin schelten.

Genug, als sie mit siebzehn Jahren um einige wissenschaftliche Bildung reicher, übrigens aber an Geist und Gemüt so unverbildet, wie sie auf dem Lande gelebt hatte, ins gesellschaftliche Treiben der Großstadt hinaustrat, berührte auch das sie nicht im Geringsten an ihrem edleren Theil, und mir wurde sie dadurch nicht entfremdet.

Nur noch liebenswürdiger erschien sie mir, da ich sah, daß sie bei aller Huldigung, die ihr zu Theil wurde, sich gleich blieb. Wenn Jemand durch die ungewöhnlichen Erfolge des seltsamen Mädchens etwas aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, so war es der Papa, der, da eine Mutter sie nicht in die Welt begleiten konnte, wie ein leibeigner Ritter oder Knappe ihr die Schleppe trug und glücklich war, das Raunen der Bewunderung, wo sie sich zeigte, statt ihrer in Empfang zu nehmen.

Ich selbst war nur kurze Zeit Zeuge des Eindruckes, den sie überall machte, auf die Frauen nicht minder, als auf die verliebten Männer. Ich verlobte mich bald mit meinem Wilhelm, der an der Universität zwar erst Privatdozent war, dann aber als außerordentlicher Professor nach Halle kam, von wo wir nach wenigen Jahren hieher versetzt wurden.

Hortense war meine Brautjungfer gewesen. Wie überirdisch schön sie in ihrem hochzeitlichen Schmuck aussah, können Sie sich nicht vorstellen, auch wenn ich Ihnen die Photographie zeige, die ich mir damals von ihr ausbat. Die Farben fehlen und das entzückende ernste Lächeln an dem lieblichen Munde.

Ein Jahr später aber – ich hatte vor kurzem meinen kleinen Martin zur Welt gebracht – erhielt ich die Anzeige ihrer Verlobung und bald darauf auch der Vermählung.

Der Glückliche, der diesen kostbaren Schatz gehoben hatte, war ein Architekt, noch sehr jung, aber schon einer der Namhaftesten seiner Collegen und mit Aufträgen überhäuft. Die Braut, deren Briefe nicht gerade einen überschwänglichen Ton anschlugen, doch nicht daran zweifeln ließen, daß sie eine warme Liebe für den Erkorenen empfand, hatte mir seine Photographie geschickt. Ich sah einen großen, schlanken jungen Mann, nicht eigentlich schön, doch von jener interessanten Art, die auf uns »schwächeres Geschlecht« mehr Eindruck zu machen pflegt, als die klassischen Züge eines Apoll. Nur war etwas Undefinierbares in ihm, ein verwegener Blick der Augen, was mich heimlich abstieß. Ich hatte Mühe, die Freundin nichts davon merken zu lassen.

Indessen hatte ich mich wohl getäuscht in meinem Vorurtheil. Die Briefe Hortenses, die allerdings, wie sich's von selbst verstand, seltener wurden, verrieten Nichts, was mich hätte besorgt machen können. Als dann ein Knabe zur Welt kam, strahlten sie förmlich von Mutterglück. Ich selbst hatte inzwischen mein Luischen geboren. Das Bächlein unsrer Correspondenz floß immer seichter und versiegte endlich ganz.

*

So blieb es drei bis vier Jahre. Dann sollte das zerrissene Fädchen durch einen äußeren Zufall wieder angeknüpft werden.

Mein kleiner Martin hatte die Masern glücklich überstanden, wollte sich aber nicht recht erholen. Der Arzt – damals kannten wir Sie noch nicht – rieth, mit dem lieben Jungen in ein Seebad zu gehn, was ich auch that. Das Luischen konnt' ich im Schutz meiner Mutter zurücklassen, die ja mit uns lebte.

Wir gingen in ein kleines Ostseebad, das mir darum besonders empfohlen wurde, weil die See hier so zahm und glatt war, wie ein Binnensee, und darum mit Vorliebe von Müttern stärkungsbedürftiger Kinder besucht wurde. Es gab hier keine Brandung, die so gewaltig schäumte, wie etwa in Sylt, der Grund lief eine ganze Strecke flach unter dem Wasser fort, die Kleinen konnten so gefahrlos baden, wie zu Haus in der Wanne.

Für die Erwachsenen war dieser stille Winkel, Haffkrug genannt – wohl die Übersetzung des dänischen Havkrog, Meerwinkel – weniger ergötzlich, außer für ein Mutterherz, das nichts Reizenderes kannte, als das kleine Volk in der seichten Flut herumpatschen und die blassen Bäckchen nach und nach sich röthen zu sehen. Obwohl auch ich ein solches Herz besaß, wurde mir das eintönige Strandleben doch bald langweilig, zumal ich keine Bekanntschaften machte, die mir über den langen Tag hinweggeholfen hätten.

Nach den ersten zwei Wochen, während deren mein Bübchen auffallend rasch gedieh, zählte ich die Tage, bis ich die Rückreise antreten konnte.

Eines Morgens aber – ich wollte eben mit dem Kleinen in den Badekarren, um ihn zu entkleiden – blieb ich plötzlich stehen, da ich eine schlanke dunkle Figur von der anderen Seite herankommen sah, eine junge Frau, die ebenfalls ein Knäbchen an der Hand führte, und die niemand anders sein konnte, als meine Hortense.

Nur darin glich sie ihr nicht mehr, daß sie den schönen Kopf, um den sie ein schwarzes Spitzentuch geknüpft hatte, gesenkt trug, da sie sonst ihn gern ein wenig hob.

Man hatte ihr wegen ihrer griechischen Züge den Namen »die Karyatide« gegeben. Sie glich jetzt in der That einer der Gebälkträgerinnen an jenem Tempelchen auf der Akropolis, dessen Namen mir entfallen ist. Jetzt sah es aus, als ob ihr die Last zu schwer geworden wäre. Auch der Ausdruck des blassen Gesichts war seltsam ernst und wie weltvergessen und der liebliche junge Mund zusammengepreßt.

Ich hatte Zeit, mich über diese Verwandlung zu wundern, da sie, wie gesagt, die Augen gesenkt hatte und mich nicht eher gewahrte, als bis sie ganz nahe herangekommen war. Da rief ich sie an, sie erschrak, als sie ihren Namen hörte, im nächsten Augenblick aber lagen wir uns in den Armen, und die freudige Erschütterung war so stark, daß wir beide in Thränen ausbrachen.

Die beiden Knäbchen standen sich verlegen gegenüber und wußten nicht, was sie auf diesem Gefühlsausbruch ihrer Mütter machen sollten. Als wir uns ein wenig besonnen hatten, vermittelten wir die Bekanntschaft meines Martinchens und ihres Fränzchens und überließen sie ihrem Spiel, während wir uns in ein Paar neben einander stehende Strandkörbe setzten und erst noch eine Weile uns stumm und glücklich anschauten, eh' es zu einer Aussprache kam.

Es war mir freilich nicht entgangen, daß trotz aller Freude des Wiedersehens die Stimmung meiner Freundin etwas Beklommenes und Unfreies behielt. Ich vermuthete, der Grund sei eigenes Unwohlsein, und mein Erstes war, sie deßhalb zu befragen. Eine dunkle Röthe schoß ihr in die Wangen, sie schüttelte leise den Kopf und erwiederte, sie sei allerdings von ihrem Arzt hergeschickt worden, da sie in letzter Zeit an Schlaflosigkeit gelitten habe, doch sei sie im Übrigen gesund, und es werde auch damit hoffentlich bald besser werden in der stärkenden Seeluft.

Und wie geht es deinem Manne? Wird er nicht wenigstens kommen, dich abzuholen?

Alles Blut wich ihr plötzlich aus dem Gesicht.

Mein – Mann? Weißt du denn nicht, daß ich – seit einem Jahr – von ihm geschieden bin?

Wie furchtbar ich erschrak, können Sie denken.

Mit den Berliner Kreisen, in denen wir uns damals gefunden hatten, war ich nicht in Fühlung geblieben, und was darin vorging, wenn es nicht eine Zeitung brachte, drang nicht zu mir hin. Daß sie selbst mir von diesem Ereigniß keine Nachricht gab, war sehr begreiflich. Sie hatte ja schon als Mädchen Alles, was Bedeutsames an sie herantrat, mit sich selbst abgemacht und selbst mir nur, wenn ich fragte, gebeichtet.

Doch nun bedurfte es keines langen Dringens, bis sie mich alles wissen ließ.

Die ersten Jahre hatte sie in vollem Glück mit ihrem Manne gelebt. Ich habe ihn mehr und mehr lieb gewonnen, sagte sie, er hatte etwas Unwiderstehliches in seinem Wesen, selbst seine Fehler waren nie kleinlich, und gegen mich kehrte er sie möglichst wenig hervor. Und dann war ich ihm so dankbar, daß er mich in die Welt der Kunst einführte, die mir bisher ziemlich verschlossen geblieben war. Auf dem Lande hatte ich ja keine Gelegenheit oder Anleitung dazu gehabt. Nun war ich selig, eine Anlage dazu, wenigstens zum Genuß des Schönen in mir zu entdecken und unter seiner Leitung ausbilden zu können. O dies erste Jahr, es war wundervoll!

Als dann das Kind gekommen war, hatte ich freilich Anderes zu thun, als in Museen zu laufen und Kunstgeschichte zu studiren, doch Alles, was seine eigene Arbeit betraf, interessierte mich, und ich lernte sehen und verstehen, worauf es in architektonischen Aufgaben ankommt, und war stolz darauf, daß er mich lobte und sogar auf mein Urtheil etwas gab.

Dies ungetrübt glückliche Leben dauerte noch zwei Jahre. Dann –

Sie schwieg, und ein Schauer der Erinnerung überlief ihre schlanke Gestalt.

Sprich nicht weiter! sagt' ich und streichelte ihre Hand, die in der meinen lag. Es greift dich an und raubt dir wieder den Schlaf. Morgen erzählst du mir weiter, wie das geschehen konnte, was mir so unbegreiflich scheint.

Nein, Liebste, erwiederte sie, und richtete sich entschlossen auf. Heut oder morgen, es wird darum nicht anders. Und thut mir vielleicht wohl, da es mir sonst immer wie ein dumpfer Alb auf dem Herzen liegt, wenn ich's einmal in dein treues Herz ausschütte.

Es ist auch bald gesagt. Eine einzige Woche hat zerstört, was Jahre an Glück aufgebaut hatten.

*

Nun erzählte sie.

Eine französische Sängerin sei plötzlich in Berlin aufgetaucht, um auf der Durchreise nach Petersburg ein paar Concerte zu geben. Sie hatte ganz jung in einem Café chantant debutirt, dann aber durch ihr Talent sich so rasch einen Namen gemacht, daß sie selbständig auftreten und sogar, nachdem in Paris die erforderliche Reklame für sie gemacht worden war, auf die Anregung eines russischen Gönners hin die Reise nach Rußland antreten konnte.

Mein Mann, fuhr sie fort, der sehr musikalisch war – er hatte sein Cello erst vernachlässigt, als ihm die Aufträge über den Kopf wuchsen – war begierig, die gepriesene Sängerin zu hören, und so gingen wir hin. Es war gegen Ende der Saison, der Saal nicht sehr gefüllt, ein Pianist zweiten Ranges eröffnete das Concert mit einer Chopin'schen Mazurka, dann trat die Sängerin auf, eine üppige aber schlanke Gestalt in sehr auffallender Toilette, ein Gesicht mit einer Stumpfnase, das bis auf zwei kleine, aber glänzende schwarze Augen und weiße Zähne in dem großen Munde nichts Reizendes oder gar Schönes hatte.

Der reine Hundekopf! sagte mein Mann lachend. Aber da sie keine Arie aus Gluck's Iphigenie singt, paßt das Gesicht zu dem Programm.

Auch die Stimme hatte keinen Reiz, nur die Art, wie sie behandelt wurde. Nicht nur bei den üblichen zweideutigen Liedchen, sondern auch bei gewissen aufregenden leidenschaftlichen oder düsteren Romanzen. Später hat mich Yvette Guilbert an sie erinnert, die aber eine weit größere Künstlerin war.

Es war seltsam: so sehr ich die Wirkung dieses Gesangs als ungewöhnlich empfand, konnte ich mich doch eines Widerwillens gegen die Person nicht erwehren. Es war ein Unterton von Frechheit in allem, was sie zum Besten gab, und im Gesicht, so starr und wie geistesabwesend der Ausdruck selbst bei den liederlichsten Stellen blieb, eine herausfordernde Kälte, die fast an Grausamkeit grenzte. Als ob diese prachtvollen Zähne sich nicht besinnen würden, eine lebendige Ader durchzubeißen, um das warme Blut zu trinken.

Dieser Hauch von Gemeinheit, der von ihr ausging, schien auch von dem übrigen Publikum empfunden zu werden. Wenigstens blieb der Beifall nach der ersten Nummer ziemlich kühl. Dann aber empfand man mehr und mehr die Wirkung dieses rassemäßigen Temperaments, und zum Schluße wurde rasend applaudiert.

Unter Denen, die sich die Hände zerklatschten, war auch mein Mann. Er hatte, während sie sang, das Opernglas nicht von den Augen gelassen, und als wir dann in der kühlen Märznacht nach Hause gingen, wurde er nicht müde, seiner Bewunderung dieser Gesangskunst Worte zu leihen. Ich ging schweigend neben ihm. Was mir daran mißfallen habe? fragte er. Der gemeine Ton, der in Allem mitklingt, erwiederte ich. Nun ja, erwiederte er, sie verläugnet ihre Herkunft nicht. Ihr Vater soll eine Branntweinschenke in einem der Arbeiterviertel besessen haben. Doch um so merkwürdiger ist es, wie weit sie sich auf dieser Pfütze hinaufgearbeitet hat. Und musikalisch ist sie bis in die Haarspitzen.

Er brachte mir am andern Morgen die Zeitung, in der von dem glänzenden Erfolg berichtet war und Nichts von dem stand, was mich abgestoßen hatte. Ich konnte mich aber nicht entschließen, ihn in das zweite Concert zu begleiten, das am nächsten Tage stattfand. Er kam in ähnlicher begeisterter Stimmung, wie nach dem ersten, zurück, es wurde aber nicht mehr zwischen uns von ihr gesprochen.

Heimlich war ich froh, daß sie am Morgen nach ihrem dritten Concert ihre Reise fortsetzen sollte, wie sehr ihre Verehrer, selbst in »eingesandten« Zeitungsinseraten, sie um längeres Bleiben bestürmten. Mir wurde aber doch nicht erspart, sie noch einmal zu hören.

An diesem letzten Abend gab ein reicher Bankier, der sich als Musik-Enthusiasten aufspielte, eine große Soiree, zu der auch wir Beide geladen waren, diesmal auch mein Vater, der ungern in größere Gesellschaften ging, seit ihm die Gicht zu schaffen machte. Bald nachdem wir eingetreten waren, bekamen wir ein Beethoven'sches Trio zu hören, von Musikern der Hofoper gespielt. Der letzte Satz war kaum zu Ende, so entstand eine unruhige Bewegung in den Zuhörern, denn aus der Thür, die der Bediente geräuschlos geöffnet hatte, war ein verspäteter Gast eingetreten – die Französin, die, von ihrem eigenen Concert kommend, durch den Hausherrn sich hatte bewegen lassen, gegen eine ansehnliche Summe auch in diesem Privatcirkel noch ein paar Lieder zu singen.

Natürlich drängte sich Alles um sie, und Beethoven trat in den Schatten. Unter Denen, die sich ihr vorstellen ließen, war auch mein Mann, dem in der Conversation mit ihr sein längerer Aufenthalt in Paris zu Statten kam. Ich hielt mich im Hintergrund und studierte die Vielbewunderte aus meinem Winkel. Trotz aller Toilettenkünste sah man, daß die Haut schon welk und die Augen künstlich vergrößert waren. Und der gemeine Zug am Munde trat in der Nähe noch deutlicher hervor.

Ihr Gesang erweckte wieder große Begeisterung. Als man sich dann zum Souper begab, bot ihr der Hausherr den Arm. An ihrer anderen Seite aber kam mein Mann zu sitzen. Du kannst denken, mit welchen Gefühlen ich, dem Paar schräg gegenüber, das lebhafte Gespräch verfolgte, das sich zwischen ihnen entspann.

Plötzlich aber stand sie auf, sich entschuldigend, daß sie schon aufbrechen müsse, da sie morgen in aller Frühe die Reise fortsetzen solle. Sie bat, ihre Jungfer zu benachrichtigen, der befohlen sei, sie abzuholen. Sie habe keinen Wagen bestellt, da sie nach so viel Aufregungen gern zu Fuß durch die Nacht zurückgehen möchte.

Als die Meldung kam, die Begleiterin sei noch nicht erschienen, bot sich mehr als einer der jüngeren und älteren Herren an, ihr diesen Ritterdienst zu leisten. Sie wählte aber ihren Tischnachbarn, meinen Mann.

Ich sah, wie die Falte auf der Stirn meines Vaters sich furchte, als Ludolf zu ihm trat und rasch hinwarf, er vertraue seine Frau ihm zum Heimweg an. Dann, ohne mehr als ein Nicken mit dem Kopf an mich zu wenden, verließ er mich und verschwand mit der Gefeierten aus der Gesellschaft.

*

Ich war längst mit dem Vater nach Hause gekommen, der seinem Unwillen während der Fahrt in heftigen Worten Luft gemacht hatte. Zu einem herzlichen Verhältniß war es unter den beiden Männern überhaupt nicht gekommen. Mein Papa hatte gegen diesen Schwiegersohn eigentlich nichts einzuwenden gehabt, da ihm aber für seine vergötterte Tochter selbst der Beste nicht gut genug war, es ihm nicht verzeihen können, daß er nun einen Theil meiner Liebe an diesen Fremden abtreten mußte. So war er ihm immer fremd geblieben und hatte nicht einmal das trauliche Du über die Lippen gebracht.

Was mich betrifft, so kannst du denken, daß ich wach blieb, bis Ludolf heimkam. Es war erst nach Zwei. Er war seltsam aufgeregt, sagte, auf dem Wege vom Hôtel aus, wo er sich von der Dame verabschiedet, sei er auf einen Collegen gestoßen, der ihn beredet habe, in einem Restaurant noch ein wenig zu plaudern, über eine gemeinsame Angelegenheit. Der Wein, den sie dort getrunken, habe ihn erhitzt. Es sei eine Dummheit gewesen, da er spätes Trinken ja nicht gewohnt sei.

Er legte sich rasch nieder, ohne mich, wie sonst, zur Gutenacht zu küssen. Ich lag dann wach bis an den Morgen. Ich bemühte mich, ihm zu glauben. Es wollte mir nur schwer gelingen.

Am andern Tage ging er in einer seltsamen Zerstreuung umher, sagte, ihm sei unwohl, und sah weder mir noch dem Papa, der zu seiner Erklärung des langen Ausbleibens schwieg, unbefangen wie sonst ins Gesicht. Nachmittags erklärte er plötzlich, er müsse am nächsten Morgen auf einige Tage verreisen. Er baute damals einem pommerschen Grafen ein Schloß. Der Bauführer habe ihm allerlei geschrieben, was ihn nöthige, einmal wieder persönlich nach dem Rechten zu sehen. Es war sehr schlechtes Wetter, ich versuchte umsonst, ihn zum Aufschieben der Fahrt zu bewegen. Doch wurde er wieder ganz aufgeräumt und nahm sogar heiter und herzlich Abschied.

Drei Tage war er schon fortgeblieben und hatte nicht geschrieben, was mich nicht gerade beunruhigte, da er mich auch sonst mit Briefen kurz hielt. Am vierten Tage kam mein Vater von seinem Spaziergang in einer Aufregung zurück, wie ich ihn nie gesehen hatte.

Ich erschrak tödtlich. Ich wußte sofort, es konnte nur meinen Mann betreffen, was er mir zu sagen hatte. Es wurde ihm aber schwer, es herauszubringen, er wußte ja, daß es mich ins Leben treffen mußte.

Ein Bekannter war ihm begegnet, ein uns Beiden verhaßter Lebemann, der einmal ein Auge auf mich geworfen hatte und mit seiner Werbung abgewiesen worden war. Der habe ihn angehalten, um ihn hämisch zu fragen, ob er Nachrichten von seinem Schwiegersohn habe, sonst könne er ihm sagen, daß es ihm in Danzig ganz wohl gehe, wo er mit einer Dame gesehen worden sei, ein Freund habe es ihm geschrieben. Dazu lächelte er schadenfroh und bat um Verzeihung, wenn er vielleicht indiscret gewesen sei. Natürlich könne man dem glücklichen Gatten der schönsten Frau nicht zutrauen, daß er auf Abwege geraten sei. Nur eine Ritterpflicht – und damit habe er sich lächelnd entfernt.

Da wir in jener Abendgesellschaft gehört hatten, die Sängerin werde sich in Danzig nach Petersburg einschiffen, blieb kein Zweifel, daß mein Mann ihr dorthin nachgereist sei.

Ich verlange nur eins von dir, schloß der Vater: daß du, wenn er zurückkommt, dich nicht dazu erniedrigst, auch nur ein Wort noch an den Elenden zu wenden. Wir sind fertig mit ihm. An mir ist es, die Ehre meines Namens zu schützen, die er so schmählich besudelt hat. Der gemeine Denunziant, der sich für den Korb, den er sich bei dir geholt, hat rächen wollen, wird diese Skandalgeschichte natürlich rasch herumbringen. Daß alle anständigen Leute auf deiner Seite sein werden, ist gewiß. Das hindert aber nicht, daß unsers Bleibens in Berlin nicht länger sein wird. Ich will mein einziges liebstes Kind nicht dem öffentlichen Mitleid preisgegeben sehen. Sobald ich mit dem Schurken abgerechnet habe, verlassen wir die Stadt.

Er war so außer sich, daß er noch lange sich in wilden Reden erging. Dann zog er mich heftig an sich, küßte mich auf die Stirn, und da er in ein thränenloses Schluchzen ausbrach, stürzte er aus dem Zimmer und ließ mich allein.

In welcher Verfassung, kann ich dir nicht schildern. So tödtlich ich getroffen war, konnte ich mir doch nicht vorstellen, daß nun Alles aus sein sollte zwischen mir und ihm, der mein ganzes Herz besessen und der Vater meines Kindes war. Ich bemühte mich, ihn vor mir selbst zu entschuldigen, ihn nicht als einen Verbrecher, sondern als einen Kranken anzusehen, einen durch einen bösen Geist Verzauberten, der, wenn der Bann von ihm gefallen, selbst nicht begreifen werde, wie er sich in diesen Abgrund habe stürzen können.

Doch was ich auch thun mochte, Milderungsgründe zu finden – die furchtbare Thatsache blieb bestehen: er hatte im Rausch der Sinne vergessen, was er mir schuldig war, und war einer Abenteurerin nachgezogen, ohne zu denken, welchem öffentlichen Skandal er unsre Ehe preisgab.

Zu einem festen Entschluß konnte ich nicht kommen. Daß der Vater mir verboten hatte, ihn zu empfangen, war mir in meiner grenzenlosen Verwirrung fast erwünscht, da ich kein Wort hätte finden können, und doch wieder eine Todesangst, da ich das Ärgste erwarten mußte, wenn Ludolf dem tief empörten alten Mann ohne meine Vermittlung gegenübertrat.

Das geschah nun doch am Abend des fünften Tages.

Ich hatte meinen lieben Kleinen eben zu Bett gebracht, da hörte ich eine Droschke unten vorfahren und gleich darauf die Klingel an der Hausthür gehen. Das Herz stand mir still, ich konnte mich nicht fassen und wankte nach der Thür, schon wollte ich trotz alle dem hinunter, ihm entgegen gehn, da hörte ich ihn schon oben im Flur am Kinderzimmer vorbeikommen nach dem Zimmer meines Vaters. Als ich hinaustrat, begegnete mir das Mädchen: der gnädige Herr habe befohlen, wenn der Herr Professor zurückkehren sollte, zu bitten, daß er zuerst zu ihm kommen möchte.

Ich war allein geblieben, die Füße wollten mich nicht tragen, doch konnte ich's nicht lassen, im Flur nach dem Zimmer des Vaters zu schleichen, blieb aber vor der Schwelle stehen und horchte. Kein Wort war zu verstehen. Ich wußte schon, daß der Papa, wenn er im höchsten Zorn war, die Stimme bis zum Flüstern zu dämpfen pflegte. Schon wollte ich es wagen, einzutreten, da wurde die Thür aufgerissen, mein Mann erschien auf der Schwelle und rief mit heiserer Stimme zurück: Thun Sie, was Sie wollen, ich erkläre Ihnen nochmals, daß ich mich nicht verpflichtet fühle, über mein Thun und Lassen Ihnen Rechenschaft abzulegen, und aus Rücksicht auf Ihre Jahre es verschmähe, auf Ihre beleidigenden Verdächtigungen Ihnen die gebührende Antwort zu geben!

Er trat in den Corridor heraus, ohne meine dunkle Gestalt, die neben der Thür an der Wand lehnte, zu sehen oder – sehen zu wollen. Hochaufgerichtet schritt er nach der Treppe, und gleich darauf hörte ich die Hausthür unten zuschlagen, worauf es todtenstill wurde.

Das Herz klopfte mir zum Zerspringen. Als ich mich endlich soweit beruhigt hatte, trat ich leise bei meinem Vater ein. Das Zimmer schien völlig leer zu sein. Dann entdeckte ich endlich, daß der theure alte Mann vor dem Sopha auf dem Teppich lag. Er erhob sich nicht auf meinen Ruf. Ich faßte seine Hand, sie war eiskalt. Ein Schlaganfall hatte ihn niedergeworfen. Erst nach einer Woche fand er seine volle Besinnung und etwas später seine Sprache wieder.

*

Was damals in mir vorging, wie ich diese furchtbare doppelte Prüfung überstand, davon laß mich schweigen.

Nur mein geliebtes Kind hielt mich aufrecht, sonst wäre ich den Kämpfen vielleicht erlegen. Denn zu dem bitteren Gram um das verlorene Liebesglück kam alles Grauenhafte eines Scheidungsprozesses, den mein Vater sofort, nachdem er den Schlaganfall leidlich überwunden hatte, gegen meinen Mann anstrengte.

Von ihm wußte ich nichts mehr, als daß er seine Junggesellenwohnung in dem Hause, wo sich auch sein Bureau befand, wieder gemietet hatte. Seine Kleider und die nothwendigsten anderen Effekten hatte er durch einen Bedienten abholen lassen, er selbst unser Haus weder betreten, noch durch einen Brief gezeigt, daß ich für ihn noch auf der Welt oder die Mutter seines Kindes sei. Die Scham und wohl auch Reue über sein Vergehen konnte er nur durch einen maßlosen Stolz ersticken, der es ihm unmöglich machte, einen Schritt mir entgegen zu thun durch ein offenes Schuldbekenntniß. Und ich wartete doch noch immer darauf! Wenn er gekommen wäre – o liebste Freundin, ich hatte mich ja gewöhnt, ihn nicht für schuldig, sondern für krank zu hatten, und obwohl ich mich tödtlich getroffen fühlte – ich wäre bei dem ersten Wort und Blick schwach genug gewesen, ihm Alles zu verzeihen.

Aber er blieb stumm und unsichtbar. Ich habe ihn nicht wiedergesehen.

Während der Verhandlung, die natürlich kein geringes Aufsehen in der Gesellschaft machte, betrug er sich übrigens correct, verzichtete auf jede Vertheidigung und ließ den Spruch, der ihm auch das Recht auf das Kind nahm, ohne Widerrede über sich ergehen – obwohl er doch den Jungen vergöttert hatte. Es war wie eine Versteinerung, sagte der Advocat, der unsere Sache geführt hatte, obwohl er nur eine cynische Gleichgültigkeit zur Schau trug.

Dann, sobald der Vater ziemlich hergestellt war, verließen wir die Stadt und kehrten auf das Gut zurück. Hier aber dauerte es nicht lange, so verlor ich auch den letzten Freund – es ist nun anderthalb Jahre her – und hatte Nichts, was mich an das Leben band, als mein Kind. Das war erst drei Jahre alt. Aber da ich alle Liebe, die ich an Niemand sonst wenden konnte, ihm widmete, wachte die kleine Seele früher, als sonst in diesem Alter, auf und klammerte sich mit seltsamer Inbrunst an mich an, so daß ich fühlte, wie er es verstand, wenn ich besonders trübe und gedrückt war an Tagen, wo das Erlittene wie gestern vor mich hintrat, und mich dann mit seinen Liebkosungen zu erheitern suchte.

Äußerlich hatte ich ja auch genug zu thun, mit der Wirthschaft, die ich zum Theil selbst wieder in die Hand nahm. So lebe ich hin, oder vielmehr: ich lasse mich leben. Die Zukunft steht wie eine einzige große graue Wand vor mir, auf der keine Bilder an mir vorübergehen, die mir hübsch oder häßlich erschienen. Auf etwas so Liebes und Herzliches, wie daß ich dich hier finden sollte, hatte ich nie zu hoffen gewagt.

Sie neigte sich zu mir, zog mich an sich und küßte mich, so daß ich meine Rührung nicht bezwingen konnte und in Thränen ausbrach. Als sie mich losließ, sah ich, daß auch ihre Augen feucht schimmerten, doch blieb sie gefaßter. Auch in ihr schien etwas versteinert zu sein, das nicht mehr völlig schmelzen konnte.

Dann kamen unsere kleinen Leute herbeigerannt, die des Spielens im Sande müde geworden waren. Ihr Bübchen war der Lebhaftere, warf sich ungestüm auf ihren Schooß und plauderte allerlei von seinem eben Erlebten an sie hin. Sie hob ihn auf und sah ihm dicht in die hellen Augen, mit einem Ausdruck mütterlichen Glücks, der mir tief zu Herzen ging. Sie war auf einmal wieder wie von allem Gram befreit, das Gesicht so entzückend hold und jung, daß ich mich fragte, wie ein Mann, der die Liebe dieser Frau besessen, sich jemals zu einer Anderen verirren konnte, und gerade zu einer Solchen. Aber freilich, wer zum schwächeren Geschlecht gehört, der vergißt seine heiligsten Pflichten, wenn eine Hexe mit einem »Hundsgesicht« ihm über den Weg läuft. Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht, und das Verwandte zieht ihn an, das Höhere kann er auf die Länge nicht ertragen. O diese Männer!

*

Die kleine alte Dame schwieg, sie hatte sich außer Athem gesprochen, und die sittliche Entrüstung leuchtete ihr aus den Augen. Der Medizinalrath aber sagte: Gewiß, meine liebe Freundin, ist diese Geschichte ein arges Beispiel, wohin ein Mensch mit einem schwachen Gewissen und einer starken Sinnlichkeit sich verirren kann. Daß aber gerade ein Künstler, dessen Schönheitsorgan besonders fein ausgebildet ist, der Verführung durch eine häßliche Canaille leichter als Andere erliegt, erscheint mir durchaus naturgemäß. Erstens weil die Extreme sich anziehen, und dann weil dem eigenthümlichen Schwindel, den es erregt, von einer vornehmen Höhe einmal den Sprung in tiefe Erniedrigung zu thun, so ein verwegener Geselle schwerer widersteht, als ein schwachblütiger Biedermann. Darum aber kann ich diesen Fall doch nicht als Beweis dafür gelten lassen, daß die Mehrzahl der Männer den Vorwurf verdiene, sich dem polygamischen Naturgesetz blindlings zu unterwerfen und den Namen des schwächeren Geschlechts zu verdienen. Wenigstens wenn diese Frau ein solcher Ausbund aller Liebenswürdigkeit war, wie Sie von ihr rühmen, würde ihr das mit irgend einem anderen Gatten schwerlich passiert sein.

Die Professorin sah ihrem alten Freunde mit einem überlegenen Lächeln ins Gesicht und sagte: Meinen Sie? Nun, ich könnte Sie eines Besseren, das heißt Schlimmeren überführen, wenn ich Ihnen nicht schon zu lange von meiner Hortense vorgeplaudert hätte und nicht wüßte, daß Sie früh schlafen zu gehen pflegen, da Sie schon um sieben Uhr Sprechstunde haben, ehe Sie auf Ihre Praxis fahren. Denn der Lebensroman meiner Hortense hat noch einen zweiten Theil, nicht ganz so aufregend, wie der erste, immerhin gerade für unsere Streitfrage von Bedeutung. Aber es ist elf Uhr, Ihre Cigarre längst ausgeraucht, ich darf Sie nicht länger aufhalten.

Wofür halten Sie mich? versetzte der alte Herr lachend. Wie oft sitz' ich die halben Nächte am Krankenbett, und der Fall, um den sich's bei Frau Hortense handelt, ist interessanter, als mancher, der mich dann wach hält, obgleich er meine ärztliche Hülfe nicht in Anspruch nimmt. Denn er liegt wohl schon über dreißig Jahre zurück. Also bitte, liebe Freundin, lassen Sie den zweiten Theil folgen – nur erlauben Sie mir, noch eine Cigarre anzuzünden!

Wenn Sie es denn wollen – sagte die Professorin – ich werde mich aber jedenfalls möglichst kurz fassen. Also nichts mehr von jenem Beisammensein an der See, das ich um ein paar Tage verlängerte, da ich sah, wie sehr es der armen Verlassenen wohlthat, und wie auch die Kinder sich nur schwer von einander trennten. Als wir dann beide wieder zu Hause waren, vermißten wir einander sehr. Zu einem ergiebigen Briefwechsel kam's aber doch nicht. Sie hatte gleich beim Abschied gesagt, ich dürfe keine häufigen Mittheilungen erwarten, ihr äußeres Leben sei so eintönig, und mit ihren inneren Zuständen wolle sie mir nicht die Stimmung verderben.

So vergingen zwei Jahre, da kam endlich ein Brief, der mehr enthielt als die kurzen Lebenszeichen zu Geburtstagen und Neujahr. Nichts Geringeres meldete sie mir, als daß sie sich wieder verheirathet habe, mit einem adligen Gutsbesitzer aus Thüringen. Die Bekanntschaft habe sich in Dresden gemacht, wohin sie nach der Ernte gereist sei, um ihrem Franz, der inzwischen sieben Jahr alt geworden und sich prächtig entwickelt habe, zur Belohnung für seinen Fleiß und gute Ausführung etwas von der Welt zu zeigen. Auch habe sie selbst das Bedürfniß gefühlt, sich aus ihrer dumpfen Stimmung herauszuretten, etwas Schönes zu sehen, einmal wieder Theater und Concert zu genießen.

An der Table d'hôte im Hôtel sei sie einer liebenswürdigen alten Dame gegenüber gesessen, die aus den gleichen Motiven ihr in Thüringen gelegenes großes Gut mit ihrem Sohn verlassen habe, einem jungen Mann im Anfang der Dreißiger, von sehr angenehmem Äußeren und Benehmen, an dem ihr besonders die Art gefallen habe, wie er sich gegen seine Mutter betrug. Er habe für sie gesorgt, da sie von zarter Gesundheit gewesen, wie eine zärtliche Tochter, sich in allem ihr untergeordnet, aber auch im Verkehr mit Anderen sich bescheiden und von der besten Bildung gezeigt. Die Mama aber habe sich sogleich lebhaft an sie angeschlossen, und während der acht Tage ihres gemeinsamen Aufenthalts seien sie unzertrennlich gewesen. Vollends habe sie sich von ihnen Beiden dadurch gewinnen lassen, daß sie ihren Knaben mit größter Herzlichkeit behandelten, so daß Fränzchen, der etwas Ähnliches noch nicht erlebt, als der neue Onkel ihn beim Abschiede umarmt, in Thränen ausgebrochen sei.

So habe sie gern die Einladung auf ihr thüringisches Gut schon im nächsten Frühling angenommen, und dann – nun, da habe sich alles Andere bald gemacht. Das sei nun schon ein paar Monate her, und keinen Augenblick habe sie Grund gehabt, ihren Entschluß zu bereuen. Ihr Eduard sei sehr gebildet, aber mit Leib und Seele Landwirth, sie aber könne ja diese seine Interessen theilen. Überdies sorge die Mutter dafür, daß daneben auch die schöne Literatur zu ihrem Recht komme, da sie selbst in jungen Jahren ein bischen geschriftstellert habe und noch hin und wieder im Stillen ein Gedicht verfasse.

Wie herzlich mich das freute und mit wie vollem Vertrauen, daß sie das Rechte gefunden, ich ihr Glück wünschte, können Sie denken.

Dabei blieb es aber. Ich hatte bei meinen vielen häuslichen Pflichten, zumal damals auch mein lieber Mann zu kränkeln anfing, nicht viel Zeit zu fortgesetzter Correspondenz, auch waren unsere äußeren Interessen zu verschieden, um uns brieflich davon zu unterhalten.

So waren wieder zwei Jahre vergangen.

An einem schönen Sommertage, da zu Hause Alles gut stand, beschloß ich, einen Ausflug zu einer alten Tante zu machen, die ziemlich einsam in Rudolstadt lebte und mich gern ein paar Wochen bei sich gesehen hätte, da ich von früh an ihr besonderer Liebling gewesen war. Auch ich war ihr herzlich zugethan und freute mich sehr, sie trotz ihrer Gicht, die sie ans Haus fesselte, noch frisch und lebensmuthig zu finden.

Im Stillen hatte ich geplant, von da aus einen kleinen Abstecher nach dem Gute meiner Jugendfreundin zu machen, das in zwei Eisenbahnstunden zu erreichen war, um zu sehen, wie sie ihr Leben eingerichtet hatte.

Als ich aber eines Tages ahnungslos durch das reizende alte Städtchen schlenderte, wem begegne ich? Meiner alten geliebten Hortense. Wie wir uns freuten, können Sie sich vorstellen. Ich fand sie auch äußerlich kaum verändert, nur ein bischen stärker geworden und mit einem Ausdruck in dem lieben schönen Gesicht, der mich erkennen ließ, noch ehe sie selbst es sagte, daß sie vollkommen– glücklich war.

Wir setzten uns in einer der Anlagen draußen vor der Stadt auf eine Bank, und nun war des Austausches unserer Erlebnisse kein Ende.

Der Anlaß zu ihrem Hiersein war die Sorge für ihren Franz, der jetzt im neunten Jahre stand und in ein Gymnasium gebracht werden mußte. Seinen früheren trefflichen Hauslehrer hatte sie freilich in die neue Ehe mitgebracht. Da der aber jetzt eine Lehrerstelle angenommen und ein Ersatz für ihn sich nicht leicht finden ließ – auch durfte ihr Franz den Umgang mit gleichaltrigen Kameraden nicht ewig entbehren – so hatte Hortense sich aufgemacht, in den thüringischen Städten Umschau zu halten, wo sich eine gute Schule und zugleich eine Pension fände, der sie den Knaben anvertrauen könnte.

Schulpforta war ihr etwas unheimlich gewesen mit seinem großen Alumnat ohne weibliche Pflege und dem sehr philologischen Lehrplan. Ihr Sohn sollte kein Gelehrter werden, sondern einmal das Gut seines Stiefvaters übernehmen, der den Knaben völlig wie einen eignen Sohn behandelte.

Hier in Rudolstadt glaubte sie nun, was sie suchte, gefunden zu haben. Sie war nur noch unschlüssig, welcher der beiden Familien, die sich ihr dazu angeboten hatten, sie die Sorge für den Knaben am besten anvertrauen würde.

Der einzige Kummer, der ihr Leben in den neuen Verhältnissen getrübt hatte, war der Tod ihrer sehr geliebten Schwiegermutter gewesen, schon ein halbes Jahr nach ihrer Vermählung. Daß sie selbst ihrem Manne noch kein Kind geschenkt hatte, schien sie nicht schwer zu nehmen. Auch ihr Gatte lasse sie es nicht empfinden. Es sei überhaupt nicht der leiseste Schatten in ihren Glückshimmel gefallen, ein besserer, treuerer, feinsinnigerer Lebensgefährte lasse sich nicht denken, und es beschäme sie völlig, wie er zu ihr aufschaue und alle Frauen der Nachbarschaft, unter denen auch sehr reizende seien, mit so kühler Höflichkeit behandle, als könne von einem Vergleich mit ihr überhaupt nicht die Rede sein.

*

Wir hatten uns so verschwatzt, daß ich erschrocken auffuhr, als es von einem Kirchthurm Fünf schlug, die Stunde, wo die Tante ihren Thee zu trinken pflegte. Ich mußte eilig nach Hause, Hortense aber wollte mich heute nicht begleiten, um die gute Alte kennen zu lernen, sie habe Briefe zu schreiben, die sogleich noch fort sollten, an ihren Mann und die treue Margret. Ihrem Eduard mußte sie doch berichten, daß sie morgen den Entschluß wegen der Pension treffen werde, und der Alten Anweisung geben wegen der Garderobe, die für Franz einzupacken sei, da sie nur heimkehren wolle, um sogleich wieder mit dem Knaben herzukommen. So trennten wir uns vor ihrem Hôtel und verabredeten für den nächsten Tag eine Spazierfahrt, nachdem sie mich bei der Tante abgeholt hätte.

Ihre alte Dienerin hatte ich schon damals in Hasskrug kennen gelernt, ein wahres Prachtexemplar von einem treuen Hausmöbel, sehr gescheit und zuverlässig, wie sie sich schon bei der kleinen Hortense als Kindermädchen bewährt hatte, jetzt wieder bei deren Kinde, dabei bescheiden und anspruchslos. Ich schickte ihr einen herzlichen Gruß, da ich sie diesmal nicht würde zu sehen bekommen.

Am nächsten Nachmittag zu der bestimmten Stunde – keine Hortense, die sonst die Pünktlichkeit in Person war! Die Tante, die sich zu ihr gefreut hatte, wurde endlich ungeduldig und trieb mich an, nach dem Hôtel zu gehen, zu sehen, was der Grund der Verhinderung sein möchte.

Als ich in ihr Zimmer trat, sah ich sie zwischen Koffern und Schachteln, die eben hastig gepackt worden waren. Sie saß aber wie von einem schweren Traum befallen mitten in dieser Unordnung und starrte mich an, als finde sie sich mühsam in die Wirklichkeit zurück.

Verzeih, sagte sie mit einem Seufzer, den sie vergebens zu unterdrücken suchte, ich wollte eben zu dir schicken, mich zu entschuldigen, daß ich die Verabredung nicht einhalten könne, ich muß aber mit dem nächsten Zuge abreisen, ich bin durchaus nöthig zu Hause – den Grund werde ich dir von dort aus –

Nein, rief ich, mit dieser Angst und Ungewißheit lass' ich dich nicht fort. Was kann geschehen sein, das ich nicht gleich erfahren dürfte?

Du hast Recht, erwiederte sie. Obwohl ich selbst nichts Gewisses weiß. Da lies – ein Brief von der Margret – er kam eben, da ich zu dir wollte.

Sie nahm ein Blatt vom Tische, das offen da lag. Es war mit einer ungelenken Hand beschrieben, doch in einem ziemlich gebildeten Deutsch und leidlich orthographisch.

Es sei ihr sehr schmerzlich, schrieb die treue alte Seele, der gnädigen Frau eine unangenehme Mittheilung machen zu müssen, sie könne aber im Hause nur so lange bleiben, bis gnädige Frau zurückgekommen sei und sie die Sorge für Franz in ihre Hände gelegt habe. Es habe sich was zugetragen, was sie dazu getrieben, zu kündigen, der gnädige Herr habe die Kündigung auch sogleich angenommen. Was es gewesen, könne sie der gnädigen Frau nur mündlich sagen, bloß daß es die »Fremde« betreffe, diese – Person, die ihr von Anfang an zuwider gewesen, obwohl sie nichts Bestimmtes gegen sie habe vorbringen können. Aber nach dem, was mit ihr vorgefallen und woran sie jedenfalls die Hauptschuld trage, könne sie unmöglich unter Einem Dache mit ihr leben, und so habe sie kündigen müssen, obwohl sie sich nicht versehen hätte, daß man die Kündigung annehmen und nicht lieber das fremde Ding fortschicken würde. Meiner gnädigen Frau bis in den Tod ergebene – – –

Ich legte den Brief bestürzt auf den Tisch zurück, eine dunkle Ahnung, um was sich's handeln möchte, stieg in mir auf, so unglaublich es war.

Wer ist diese »Fremde«, von der Margret spricht? fragte ich.

Ein ganz unbedeutendes Geschöpf, die Schwester unseres Schweizers aus dem Berner Oberland. Daß der Mann aus seiner Heimath hieher verschlagen wurde, kam von einem Transport schöner Schweizer Kühe, den er einem unserer Nachbarn zuzuführen hatte. Er fand dann bei uns Anstellung und bewies sich so tüchtig, daß wir, als sein »Müetterli« starb, seine Schwester kommen ließen, die er nicht verwaist und schutzlos in der Heimath lassen wollte. Dies Bäbeli gefiel uns denn auch, und da wir unsere Milchwirthschaft noch zu vergrößern dachten, war uns eine Melkdirne, die die Arbeit verstand, ganz willkommen. Ich hieß sie nur gleich ihre Berner Oberlandstracht mit der hier üblichen vertauschen, die ihr nicht so malerisch stand. Doch war sie immer noch ganz hübsch mit ihren blanken weiß und rothen Backen, dem blonden Haar, das sie in zwei dicken Zöpfen über den Rücken hinabhängen ließ, und dem rothen Mund, der oft lachte, was sich freilich mehr kindisch als witzig ausnahm. Kokett war sie denn auch, besonders auf den Großknecht schien sie's abgesehen zu haben – ich hatte mir gerade vorgenommen, ihr darüber die Leviten zu lesen, als ich vor vierzehn Tagen abreisen mußte. Und jetzt – was ich davon denken soll, daß mein Mann ihre Partei genommen habe gegen unsre alte Getreue –

Es läßt mir keine Ruhe, ich muß die Wahrheit erfahren. Unsre schöne Spazierfahrt soll aber hoffentlich nur kurz aufgeschoben sein. Jedenfalls find' ich dich doch noch hier, wenn ich mit dem Jungen zurückkomme, und dann folgst du mir nach dem Gut.

Ich begleitete sie nach dem Bahnhof und wir nahmen etwas beklommen und aufgeregt von einander Abschied.

*

Sie hatte versprochen, mir so bald als möglich Nachricht zu geben. Aber drei Tage vergingen, ohne daß ein Brief gekommen wäre. Ich schickte endlich ein Telegramm mit der Bitte, mich nicht länger in der Unruhe zu lassen. Umgehend kam die Antwort: Alles geordnet. Bald Näheres mündlich.

Damit mußte ich mich vorläufig beruhigen. Warum sie nicht aber wenigstens zehn Zeilen aufs Papier werfen konnte, war mir ein Räthsel.

So gehe ich am vierten Tage, an nichts Arges denkend, über den Platz vor dem reizenden alten Rathhaus, als aus einer Seitengasse eine kleine Gesellschaft von drei Personen auf mich zukommt: meine Hortense, ihr Gymnasiast und die Margret.

Der Franz war so hoch aufgeschossen und ein so blühender Bursche geworden, daß selbst meine mütterliche Verblendung gestehen mußte, mein Martin, der doch auch nicht zurückgeblieben war, würde durch ihn in Schatten gestellt werden. Die alte Margret dagegen war in den sechs Jahren ganz dieselbe geblieben bis auf ein paar Runzeln mehr und einige Haare weniger. Wir begrüßten uns in großer Freude und Herzlichkeit, dann sagte Hortense: Geht jetzt nur ins Hôtel zurück, ich folge euch bald nach.

Das sagte sie mit ganz heiterer Miene. Als wir aber allein zurückgeblieben waren, stand sie mitten auf dem Platz still und athmete tief auf, wie aus einer schwer bedrückten Brust.

Komm, Liebste, sagte sie dann und setzte sich rasch in Bewegung, du mußt mir helfen, eine Wohnung zu suchen, für uns Drei. Ich gedenke mit dem Jungen hier zu bleiben und seine Lehrzeit zu überwachen. Die Margret führt mir den Haushalt, auf dem Gut bin ich überflüssig. Komm, ich habe mir ein paar Adressen geben lassen, es wird ganz hübsch hier wohnen sein.

Ich merkte, daß es sie furchtbar hart ankam, mir Aufschluß zu geben über das, was sie zu dieser Änderung ihres früheren Plans getrieben hatte. Doch war es ihr auch wieder Bedürfniß, ihr Herz zu erleichtern. Sie steckte den Zettel, auf dem die Adressen standen, wieder ein, und eh' wir's uns versahen, waren wir draußen in den Anlagen bei der Bank wieder angelangt, wo wir uns das erste mal so viel freudiger gegen einander ausgesprochen hatten.

Da erfuhr ich denn Alles.

Sie hatte ihren Mann in großer Verlegenheit gefunden, wie er ihr das Vorgefallene mittheilen sollte. Die Margret habe ihn »wegen einer Bagatelle« geradezu zur Rede gestellt in einem so ungehörigen Ton, daß er es ihr scharf verboten habe. Ein alter Hitzkopf, wie sie sei, habe sie sogleich mit der Kündigung erwidert, die er, so ungern er's gethan, annehmen mußte, um seiner Autorität nichts zu vergeben.

Dies habe sie ohne eine Bemerkung angehört, dann aber von der Alten erfahren, was eigentlich dazu geführt hatte.

Margret habe erst mit der Sprache nicht heraus gewollt. Der feinfühligen alten Getreuen sei es ungemein peinlich gewesen, etwas über ihren Herrn aussagen zu sollen, der immer gütig gegen sie gewesen. Dann aber habe sie zu ihrer eigenen Rechtfertigung doch nicht schweigen können. Es sei ihr schon immer aufgefallen, daß der gnädige Herr, wenn er dem Bäbeli im Hofe begegnete, sie öfters anhielt, mit ihr scherzte und sie nach ihrer Heimath befragte. Der Großknecht habe es auch bemerkt und in der Gesindestube Anspielungen darauf gemacht. Sie aber habe es zwar nicht ganz passend gefunden, aber sich weiter nichts dabei gedacht, nur daß sie das dumme, eitle Lachen der Dirne geärgert hätte, wenn der Herr, ehe er wieder ging, ihr zunickte.

Mit Einer aus einem fremden Land kann man ja ein bischen anders umgehen, als mit einer Stallmagd aus der hiesigen Gegend.

Eines Sonntag Nachmittags aber, da Franz mit dem Hauslehrer einen kleinen Ausflug gemacht habe und sie sonst im Hause nichts zu thun gehabt, sei sie auch spazieren gegangen, nach dem Birkenwäldchen, das so hübsch schattig sich am Fluß hinzieht. Sie habe gewußt, daß das Bäbeli hier manchmal mit ihrem Verehrer, dem Großknecht, zusammenkomme, und hätte dem dummen Geschöpf gerne ein wenig ins Gewissen geredet und es gewarnt.

Richtig habe sie auch ihren Strohhut schon von fern durch die Zweige schimmern sehn. Als sie aber näher herangekommen, habe sie allerdings erkannt, daß sie nicht allein war, aber ihr Begleiter sei nicht der Hans gewesen, sondern – sie habe ihren Augen nicht getraut – der gnädige Herr!

Da sei sie athemlos stehn geblieben. Der Herr aber habe den Arm um die Schulter des Mädchens gelegt gehabt und sie zu einer Bank geführt, die an der schattigsten Stelle des Ufers gestanden. Da habe er beständig in sie hineingeredet, die einfältige Person aber habe nur immer gelacht, mit offenem Munde, darin die Zähne geblitzt hätten, und auf einmal habe der Herr sie beim Kopf genommen und herzhaft abgeküßt.

Sie habe dabei ganz still gehalten, auch nicht gemuckst, als er sie auf seinen Schooß gezogen und mit dem Küssen fortgefahren habe. Ihr aber, der Margret, sei ganz grauslich zu Muthe geworden, wenn sie gedacht hätte, wozu es noch hätte kommen können, wenn der Zufall sie nicht zur rechten Zeit hergeführt hätte. Also sei sie hastig weiter gegangen und habe sich durch Husten angekündigt. Die Erste, die sie bemerkte, sei die freche Person gewesen, habe sich auch gleich von dem Herrn losgemacht und sei eiligst fortgelaufen, ins Dickicht hinein. Der Herr aber sei wie geistesgestört sitzen geblieben, habe sie, die Margret, nur angestarrt und erst kein Wort gesprochen. Als sie ihm dann ins Gesicht gesagt, es sei abscheulich, daß er ihrer gnädigen Frau einen solchen Schimpf anthun könne, sei er aufgefahren und habe heftig erwiedert, er verbitte sich eine solche Sprache, sie solle ihre Zunge hüten und ihm aus den Augen gehen.

Dann sei Alles weiter erfolgt, wie sie's schon geschrieben. Sie würde auch, da der Herr ihre Kündigung angenommen, sofort aus dem Hause gegangen sein, bloß daß sie verpflichtet gewesen, die Aufsicht über den Franz keinem Anderen, als der Mutter, abzutreten.

Bei diesen Worten, da sie den Jungen nun verlassen müsse, sei sie in Thränen ausgebrochen, habe immer wieder um Verzeihung gebeten, daß sie sich unterstanden hätte, den Herrn zu verklagen, und die Frau solle auch zu seiner Entschuldigung bedenken, daß am Mittag vorher der Baron Selbitz zu Tisch da gewesen sei, wobei die Herren etwas viel Sekt getrunken hätten.

Wie mir bei dieser Erzählung zu Muthe war, Liebste, fuhr meine arme Freundin fort, kannst du denken. Ich beruhigte aber die alte Getreue nur mit wenigen Worten, es werde noch Alles in Ordnung kommen, suchte dann meinen Mann auf, den ich in seinem Arbeitszimmer müßig dasitzen und vor sich hinstieren fand, und sagte ihm ganz kühl, ich wisse nun Alles und wolle kein Wort mehr darüber verlieren, da unsere Ansichten über das, was er eine »Bagatelle« genannt, zu weit aus einander gingen. Es scheine mir darum nothwendig, daß wir uns eine Weile trennten. Ich würde den Jungen nicht in Pension geben, sondern in Rudolstadt selbst mit ihm leben und zu meiner Bedienung die Margret mitnehmen, die ja doch gekündigt habe. Ich fordere von ihm nur das feste Versprechen, keinen Versuch, uns wiederzusehen, zu machen, ehe ich es ihm selbst gestatten würde.

Er nahm das Alles mit so tiefer Zerknirschung hin, machte nicht den geringsten Versuch, etwa mit der Sektstimmung sein Vergehen zu beschönigen, daß er mir ordentlich leid that. Ich blieb aber fest – was ich früher erlebt hatte, trat wieder mit allem Schrecklichen in meine Erinnerung, – und so ging ich während der drei Tage, die ich brauchte, mich zu meinem Exil zu rüsten, wie wenn Nichts vorgefallen wäre neben ihm hin, so daß auch der Pfarrer, der Lehrer und einige Besucher nicht anders glaubten, als daß mein überzärtliches Mutterherz den Jungen nicht ohne meine Aufsicht seine Schulzeit antreten lassen wolle. Auch daß mein Mann beim Abschied mir nur die Hand küßte, statt mich zu umarmen, fand Niemand auffallend. Du wirst mir nie verzeihen können! stammelte er kaum hörbar, mit Thränen in den Augen.

Wahrscheinlich werde ich's doch endlich thun, da eine solche Sünde kein Scheidungsgrund ist, doch wann es dazu kommen mag, jedenfalls nicht so bald, weiß Gott. Vorläufig fühle ich die Kränkung noch zu tief, und obwohl er die Schweizer Dirne fortgeschickt hat und von ihr auch, wenn sie bliebe, wohl nicht wieder verführt werden würde – ich habe die Männer jetzt kennen gelernt und bin darauf gefaßt, daß er, wenn ich fern bliebe, sich irgend wie zu trösten suchen würde.

*

Wir blieben dann nur noch einen Tag zusammen, fuhr die Professorin fort, und im Lauf dieses Jahres bekam ich nur ein paar Mal eine kurze Postkarte von ihr, in der sie schrieb, daß Alles beim Alten sei. Im nächsten Jahre verstummte sie ganz. Dann aber, im October, kam ein gedrucktes Blatt, in dem Herr und Frau von *** die Geburt eines kräftigen Mädchens hocherfreut anzeigten. Die glückliche Mutter hatte nur hinzugefügt: Er hat sein Versprechen nicht halten und warten können, bis ich ihm zu kommen erlaubte, sondern ist zu Weihnachten plötzlich bei uns erschienen, mit Geschenken nur für Franz. Du wirst begreifen, daß ich nicht unerbittlich blieb und den Mantel der christlichen Liebe über das Vorgefallene warf. Geradezu eine Todsünde hatte er ja auch nicht begangen. Ich lebe wieder bei ihm. Die Margret habe ich bei dem Jungen gelassen.

*

Der Medizinalrath stand auf. Ich danke Ihnen, liebe Freundin, für diese nachdenkliche und erbauliche Geschichte. Von nun an werde ich allerdings den Ausdruck »das schwächere Geschlecht« von den lieben Frauen nicht mehr brauchen. Aber wenn überhaupt verglichen wird, müssen Sie zugeben, daß beide Geschlechter in puncto Schwäche sich Nichts vorzuwerfen haben. Denn daß Ihre liebenswürdige Freundin so rasch mit ihrer Verzeihung bei der Hand war, bestätigt doch den Satz: frailty, thy name is woman!

Sie unverbesserlicher Spötter! sagte die alte Dame mit einem kleinen Schlag auf seinen Arm. War diese Schwäche nicht eine Tugend? War's nicht Christenpflicht, dem reuigen Mitmenschen siebenmal siebzigmal zu verzeihen?

Gewiß, liebe Freundin, erwiderte der alte Herr lächelnd. Aber können Sie behaupten, daß es in diesem Falle nur die gemeine Christenpflicht, nicht ein anderer, bloß natürlicher Trieb war, der die Frau, die sich selbst von ihrem leichtsinnigen Manne getrennt hatte, bewog, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und den armen Sünder zu begnadigen?

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