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IV.

»Die gegenwärtige Politik« schreibt *** in »Russland am Vorabend des XX. Jahrhunderts«, »ist die Wiederholung der Antireformatorischen und wird zu denselben Resultaten führen: zuerst zum Herabsinken auf das niedrigste Niveau, wie das jetzt schon der Fall ist, dann zu irgend einer Katastrophe, welche Russland aus dem falschen Geleise, in das es geraten, wieder in die richtigen Bahnen der gesetzmässigen Entwicklung lenken wird.

Wann diese Katastrophe eintritt, muss der Zeit überlassen bleiben. Sie kann schon nahe, sie kann aber auch noch fern sein. Sie kann durch äussere Umstände hervorgerufen werden: das ist das Geheimnis der Zukunft.«

Jedenfalls wird diese Katastrophe nicht durch Nihilisten, sondern durch die Gesamtheit des Volkes herbeigeführt. Der Nihilismus hat sie in den letzten Jahrzehnten eingeleitet, und in diesem Sinne besteht in Russland schon seit Nikolaus I. die Revolution, eine moderne Revolution, die auf beiden Seiten mit ungleichen Waffen, mit verdammenswerten Mitteln aufrecht erhalten wurde. Mit der allgemeinen Verbreitung Marx'scher Ideen in Russland, mit dem Erstarken einer zielbewussten Sozialdemokratie ist die terroristische Partei mehr und mehr in den Hintergrund getreten und wird wohl allmählich ganz in einem fortschrittlichen Sozialismus aufgehen. Die beklagenswerteste Tat der Terroristen war die Ermordung Alexander II. Denn erstens war dieser Herrscher wirklich einer der aufrichtigsten, die Russland besessen, zweitens ist der Mord eine Waffe, von der eine Partei, sei sie welcher Art sie wolle, in einem aufgeklärten Jahrhundert lediglich als Terrorisierungsmittel, nicht mehr Gebrauch machen sollte. Das System in Russland muss fallen. Aber nicht die Zaren halten dieses System, sondern die Bureaukratie, und die Bureaukratie wieder ist es, die die Autokratie erhält. Nicht aber umgekehrt. Die Aufklärung des Proletariats und Bauernstandes, die Organisation und geistige, soziale Erziehung der Massen, die Einwirkung auf den gebildeten Teil der Bevölkerung durch eine hochentwickelte Literatur – das sind die Mittel, welche allein die Reorganisation vorbereiten können. Die russischen Zaren hängen, selbst wenn sie sich freiwillig zu monarchistischen Regierungsformen bekennen wollten, in erster Linie von dem jeder Neuerung feindlich gegenüberstehenden Adel ab, und dieser Adel repräsentiert in Russland jene Anarchie, die vor dem Königsmord nicht zurückschreckt.

Der Mord Alexander II. war das erste Verbrechen dieser Art, für das die Revolutionspartei in Russland die Verantwortung trifft, obgleich sich auch hier schwer feststellen lässt, wie weit die Fäden reichen, die die tötliche Bombe mit der Partei der Unzufriedenen verband.

Ein Vierteljahrhundert verfloss, und abermals fand eine Bombe ihren Weg zu einem Mitgliede des Kaiserhauses, zu einer Zeit, wo das ganze Volk sich in einem Zustande der höchsten Aufregung befand. Wir Ausländer können schwer urteilen, welchen innerpolitischen Erfolg sich die Revolutionspartei von dieser Tat versprach; ein Markstein der Entwicklung ist sie nicht.

Diese zwei Gewaltakte gegen das Regentenhaus sind bis heute aber auch die einzigen, die die Revolutionspartei zu verantworten hat. Alle anderen Regentenmorde fallen auf Schuld des Adels und entpuppen sich als Palastrevolutionen simpelster Art.

Zar Ivan der Schreckliche schon starb, wie die Forschung nachgewiesen hat, keines natürlichen Todes. Die Hofkamarilla machte seinem Leben durch Gift ein Ende.

Demetrius, der Usurpator, ward bei einem Aufstande getötet.

Der Sohn Peter d. Gr., der Cesarewitsch, wurde von seinem eigenen Vater durch Gift aus dem Wege geräumt, und die Forschung behauptet, dass Peter der Grosse selbst einem Anschlage seiner Gemahlin Katharina zum Opfer fiel.

Katharina I. erfreute sich nur während zwei Jahren des Thrones, zu dem ihr ein Verbrechen den Weg geebnet hatte. Ihr Günstling Menzikow machte ihrem Leben ein gewaltsames Ende.

Peter III., der Sohn Elisabeths, wurde von seinen eigenen Gardeoffizieren in grausamer Weise mit Servietten erdrosselt, ein Schicksal, dem auch Zar Iwan verfiel, den Katharina II. seit ihrer Thronbesteigung ständig gefangen gehalten hatte.

Paul I. wurde gleichfalls das Opfer einer Palastrevolution, die wieder von Offizieren angestiftet war, und selbst bei dem Ableben Alexander I. wollten die Gerüchte nicht verstummen, die von einem gewaltsamen Ende zu berichten wussten.

Talleyrand war es, der damals die inhaltsschweren Worte sprach: » Es ist hohe Zeit, dass die Kaiser von Russland ihre Todesart ändern«.

Die Entwicklung des Cäsarismus erinnert uns an die Zeiten Domitians. Nicht das Volk, nicht die Reichsfeinde fürchteten die Cäsaren, sondern die Prätorianer, deren Schutz ihr Leben übergeben war.

Erst wenn die russischen Cäsaren wirklich unumschränkte Selbstherrscher sein werden, dann steht zu hoffen, dass sie sich der Logik der Ereignisse fügen und verfassungsmässige Monarchen werden.


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