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Weit über Erwarten hatte sich Frau von Zehrens Aufenthalt bei ihrer erkrankten Schwester ausgedehnt, doch endlich war sie dort entbehrlich und kehrte heim. Und alle Sorgen, die sie während der langen Abwesenheit geplagt, erwiesen sich als unbegründet, denn in Reih und Glied standen in der Speisekammer die Gläser eingemachter Beerenobste; und im wohlverwalteten Küchengarten waren die Gemüse in sorgsam erwogener Anordnung gesät, so daß sie bis zum späten Herbste erfreuliche Reihenfolge versprachen. Weise auch hatte Mamsell die große Wäsche gerade vor Rückkehr der gnädigen Frau Mutter beendet, und in den lavendelduftenden Schränken lagen die schimmernden weißen Linnen, wie reine Gewissen, die auch vor strengster Prüfung nicht zu bangen brauchten. – So konnten denn die äußerlichen Dinge selbst vor Augen bestehen, die eigentlich Mängel zu finden wünschten, und die Gereiztheit, mit der Frau von Zehren stets von Reisen heimkehrte, mußte andere Gebiete suchen. Und da fand sie, daß der Geist des Aufruhrs, den Pastoren und weltliche Autoritäten so häufig rügen mußten, auch in ihr bisher wohlgehütetes Reich gedrungen war. – Als Frau von Zehren am Morgen nach ihrer Ankunft gesagt hatte: »Nun will ich mal überall revidieren,« war der Schwiegertochter gleichgültige Antwort gewesen: »Du hattest ja Mamsell deine Befehle gegeben, sie wird wohl alles gemacht haben, wie du wolltest.« Und ohne Anerbieten der Begleitung hatte sie die Schwiegermutter ihre Wanderung antreten lassen.

Auf ihrem Inspektionsgang kam Frau von Zehren auch in das leere Zimmer und entdeckte den neuen Flügel. Ilse, die den noch immer leicht hinabgleitenden Trauring abgenommen hatte, saß davor und übte gerade Mignons Lied von Thomas, in diesem Raum, dessen eigentliche Bestimmung war, nur Wiegenlieder zu vernehmen.

– Im Beisein der Mamsell unterdrückte Frau von Zehren ihr Mißfalllen ob solcher Neuerung, aber später, in Gegenwart Theophils, sagte sie: »Du scheinst mir deine ganze Zeit am Klavier zu vertrödeln, liebe Ilse.«

»Oh nein!« antwortete Ilse, »ich trödle wirklich nicht – ich arbeite sehr eifrig an meiner Musik.«

»Du arbeitest?« wiederholte die Schwiegermutter erstaunt. »Na, jede von uns hat ja genügend Musik gelernt, um mal der Jugend zum Tanz aufzuspielen und im Chor mitsingen zu können, – aber arbeiten hätten wir das doch kaum genannt.«

»Ich hoffe auch etwas mehr damit zu erreichen,« erwiderte Ilse, und dann setzte sie inbrünstig hinzu: »Ich muß mir doch irgendein Leben schaffen.«

»Mir scheint, du hast das Leben aller jungen Frauen.«

»Ja, siehst du, wenn das wirklich das Leben aller jungen Frauen ist – dann ... genügt's mir eben nicht.«

»Theophil!« rief Frau von Zehren, »Theophil, was sagst du dazu?«

Aber Theophil sagte gar nichts. Ihm war unbehaglich zu Mute. Er war zwar seit frühester Jugend daraufhin erzogen, der Mutter stets beizustimmen; da ihn aber Ilses neueste Musikpassion in keiner seiner Gewohnheiten störte, war er geneigt, ihr darin freie Hand zu lassen. Außerdem schmeichelten ihm auch etwas die auffallende Beachtung, die Ilse bei Helmstedts fand, und die häufigeren Einladungen, die auch er dadurch notwendigerweise nach Frohhausen erhielt. Zu der Erkenntnis, daß die Heirat mit Ilse nicht die geeignetste für ihn gewesen, war er ja, mit langsamem Denken und dank der Nachmittagstees in Mechtilds Haus, allmählich gekommen, aber dem ländlich bäuerischen Verstand entspricht es, auch aus einem schlechten Handel mit Zähigkeit größtmöglichen Vorteil zu ziehen, – wenn es daher nun mal zu Ilses Mitgift gehörte, gerade bei Leuten wie Helmstedts Sympathie zu erwecken, so mußte man das mitnehmen, konnte es vielleicht sogar mal praktisch, etwa auf politischem Gebiete, ausnutzen. – Aber er fühlte, daß die Mutter irgendeine beistimmende Unterstützung von ihm erwartete, und so begann er langsam und feierlich: »Ich fürchte ja freilich auch, daß Ilse kein rechtes Verständnis für die Pflicht hat, ganz in den Interessen des Mannes aufzugehen, und daß ihr Sinn immer noch zu sehr nach Eigenem strebt, – was indessen dieses bißchen Geklimpere und Gesinge betrifft, so schadet es ja niemand – und – na, ich versteh allerdings nichts davon, aber,« und er endigte hastender, »bei Helmstedts fand man's neulich hübsch.«

»Wenn du dich danach richten willst, was in Frohhausen hübsch gefunden wird,« rief Frau von Zehren erregt, »so kann uns das freilich weit führen! Der ganze Verkehr dort paßt nicht für solch eine unreife, ungefestigte Seele! – Gerade diese beiden sogenannten Künstler, die, wie mir Mechtild schrieb, Ilse Unterricht geben – nun – diese ... diese ... sie sollen ja zusammen in wilder Ehe leben!«

»Oh Mama!« fiel Ilse eifrig ein, »so ist das wirklich nicht! Der arme Herr Kaliwoda möchte sich ja so gern von seiner Frau scheiden lassen, und dann würde er Fräulein Neuland sicher gleich heiraten – aber in seinem Lande sind Scheidungen so schwierig, und seine Frau, die er doch seit Jahren nicht mehr gesehen hat, und die gar kein Verständnis für ihn und seine Kunst hat, will ihn absolut nicht freigeben, was soll er da tun?«

»Nun das ist doch sehr einfach, was er tun sollte, liebe Ilse: Was man nicht nach Gesetz und Sitte besitzen kann, dem entsagt man eben.« Es klang so klipp und klar, als ob Frau von Zehren eine große Schere zuklappe.

Ilse jedoch machte noch einen Verteidigungsversuch zu Gunsten ihrer neuen Freunde: »Herr Kaliwoda und Fräulein Neuland brauchen sich gegenseitig so sehr zu ihrem künstlerischen Schaffen – und dann denkt euch doch nur in die armen Menschen hinein: Daß sie sich im Sommer so einige Wochen treffen, ist das einzig Schöne, was sie im Leben haben!«

»Nein, nein, liebes Kind,« sagte nun auch Theophil gemessen, »das sind nur bequeme Ausreden für einen Mangel an Selbstzucht. In allem, was du da vorbringst, liegt ein verderblicher kosmopolitischer Zug, und dies Spielen mit dem Begriff der Lösbarkeit der Ehe ist für unser hiesiges Empfinden höchst verletzend! und sollte es auch dir wie jeder Frau sein. – Dagegen will ich nicht in Abrede stellen,« setzte er hinzu, »daß es Vergehen des Weibes gibt, nach denen dem Mann allerdings nichts anderes übrig bleibt.«

Ilse warf ihr hübsches Köpfchen in die Höhe und entgegnete lebhaft: »Na, ich kann nur sagen, daß diese Frau Kaliwoda, die ihren Mann durchaus festhalten will, mir sehr würdelos erscheint.«

»Ich finde im Gegenteil, daß sie achtungswert handelt, ihrem Mann die Rückkehr in ein geordnetes Leben offen zu halten,« fiel Frau von Zehren ein. »Aber ich fürchte, liebe Ilse, du bist schon etwas angekränkelt von allem, was du in Frohhausen gehört haben magst, – na, und ob dies viele Musizieren und Exaltiertwerden dir überhaupt zuträglich ist? – Am besten wird wohl sein, ich lasse mal Liebetrau kommen und höre, was der davon hält.«

So endete das Gespräch, und Dr. Liebetrau ward wieder einmal nach Weltsöden berufen. Ihm schüttete dann Frau von Zehren ihr Herz aus, und in mühsam unterdrückter Erregung schloß sie ihre Darlegung mit den Worten: »Und in das leere Zimmer hat sie den Flügel gestellt, verstehen sie, bester Liebetrau? – In das leere Zimmer!«

»Ja, ja, meine gnädige Frau, ich verstehe,« antwortete der Arzt beschwichtigend und klopfte dabei auf den mit Nettelbecks Silhouette gezierten Deckel der Horndose – »verstehe auch, daß es Sie betrübt, daß das Zimmer, abgesehen vom Flügel, noch leer ist, – aber,« und dabei reichte er den Höhlen seiner gebirgigen Nase den Schnupftabak dar, »ich sehe in diesem Instrument doch lediglich einen Notbehelf, zu dem die kleine Frau halb unbewußt greift, sie ist eben eine Suchende, die den Weg noch nicht gefunden hat.«

»Bester Liebetrau, was sind das nun wieder für moderne Redensarten, und noch dazu von Ihnen, der Sie doch ein alter Mann sind, wie ich eine alte Frau bin, – von so was redete man doch gar nicht, als wir jung waren!«

»Freilich nicht, aber heutzutage sind die Menschen nicht mehr so einfach – oder bilden sich wenigstens ein, es nicht zu sein, – und wenn wir Alten noch etwas Einfluß behalten wollen, müssen wir uns halt in sie hinein zu denken trachten.«

»Und was ist es denn, was meine Schwiegertochter Ihrer Ansicht nach sucht?«

»Freude, meine gnädigste Frau. Freude an sich selbst, am eigenen Wert, vor allem daran, etwas Eigenes zu leisten.«

»Aber sie hat doch meinen Sohn?«

»Nun ja, nun ja!« antwortete der Doktor und zog das türkische Taschentuch hervor, »das sagt jede Mutter und hält damit alles für abgetan, und daß die Schwiegertochter hübsch dankbar sein soll.«

»Dazu hätte sie doch auch allen Grund! Aber ich will Ihnen etwas sagen, Liebetrau, es weht eben ein schlimmer Wind über die Erde, und unser guter Rockstroh hatte wahrlich recht, als er neulich in der Predigt sagte: ›Die Unzufriedenheit auf der Welt ist so groß, daß nächstens die Säuglinge an der Mutterbrust sich beschweren werden, Milch statt Sahne zu erhalten‹«

»Hm, hm,« machte Liebetrau und schneuzte sich heftig in das türkisch gemusterte Taschentuch, »das wäre freilich schlimm; aber wenn hier in Weltsöden erst ein Säugling ist, wird er sicher weniger umstürzlerisch denken.«

»Ja – wenn!« seufzte Frau von Zehren.

»Ach,« sagte Liebetrau zuversichtlich, »es sollte mich gar nicht wundern, wenn sich der bald einstellte. Das junge Frauchen macht sich seit einiger Zeit sehr heraus und sieht entwickelter aus. – Na, und mit all ihren Ideen jetzt müssen Sie halt Geduld haben, meine Gnädigste – das sind Kinderkrankheiten der Seele, und je heftiger sie auftreten, desto normaler ist nachher oft die Gesundheit – es wäre ja freilich besser gewesen, wenn sich all das hätte vor der Ehe abspielen können, so daß diese selbst die Erfüllung gewesen wäre, – aber hoffen wir, daß, wenn erst im leeren Zimmer neben dem Flügel eine Wiege steht, darin das ›Eigenste‹ sein wird, an dem Ihre Schwiegertochter die Freude findet, nach der sie jetzt noch sucht.«

»Gott erhör Sie, Liebetrau! Aber,« und dabei blitzten Frau von Zehrens kleine schlaue Äuglein tückisch über den weiten Elefantenwangen, »eins will ich Ihnen doch sagen: Ich werde dafür sorgen, daß es nicht zu sehr ihr eigenstes wird.« –

So durfte denn Ilse fortfahren, am Bechstein zu üben und in Frohhausen in musikalische und andere neue Welten Blicke zu tun. – Es kam jedoch bisweilen vor, daß sie sich beim Üben müde fühlte, ihr Rücken tat ihr weh, und manchmal wurde ihr schwindlig; dann nahm sie sich aber doppelt zusammen, daß niemand es bemerke, und sie gewahrte dabei mit Genugtuung, daß Kräfte in ihr schlummerten, die, sobald sie zu einem lohnenden Zweck aufgerufen wurden, bereitwilligst antworteten. Und den Zweck hatte sie ja nunmehr gefunden: Sie ersang und erspielte ihrem Leben einen Inhalt. – Das zunehmende eigene Können und Verstehen der Musik war für sie wie das Anwachsen eines geheimen wohlgehüteten Schatzes. Schmerzlich leer war das Leben ihr bis dahin erschienen, aber wenn sie sich jetzt zwischen Theophil und der Schwiegermutter auch noch so fremd dahin bewegte, so wußte sie ja, daß sie etwas besaß, woran sie nur zu denken brauchte, um Niedergeschlagenheit und Einsamkeit zu verscheuchen, wenn sie jetzt nachts im braunen Schlafzimmer aufwachte und aus dem nußholzenen Bette neben ihr Theophils Schnarchen in regelmäßigen Knarr- und Sägetönen zu ihr drang, dann summte sie ganz leise eine der neuen Melodien vor sich hin, und alsobald entschwand die Wirklichkeit, und sie wähnte sich fern und frei in einer Welt, deren Harmonien ihr gehörten. –


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