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»Morgen um acht Uhr holst du mich ab,« hatte Frau von Zehren nach dem Diner zu Ilse gesagt, »hier in der Stadt sind die Leute ja alle Langschläfer, da findet man früh die Läden leer und kann in Ruhe aussuchen.«

Und so geschah es. Frau von Zehren hatte eine lange Liste all dessen aufgestellt, was in Weltsöden fehlte, und danach wurde nun Ilses Ausstattung zusammengesetzt. Dieses Ergänzungsverfahren war zwar praktisch und den Begriffen Zehrenscher Weltordnung wohl angemessen, aber für Ilse bot es wenig Befriedigung; sie konnte kein Interesse an all diesen vereinzelten Stücken gewinnen, die zu lauter ihr unbekannten Sachen passen sollten. Und während Frau von Zehren Heißwasserkannen und Linoleumteppiche für einige Fremdenzimmer bestellte, wo diese Dinge gerade schadhaft geworden sein sollten, schweiften Ilses Gedanken weit ab. was konnten das wohl für große Ziele sein, die für Deutschland zu erreichen waren? fragte sie sich sinnend. Und ihre Phantasie malte ihr abenteuerliche Entdeckungszüge in dunkle Erdteile aus und Verhandlungen mit wilden schwarzen Häuptlingen, worin diese, gegen einige Schnüre Glasperlen, weite Gebiete zur Besiedlung an blonde germanische Männer abtraten. – Über solche Bilder sah sie gar nicht die Emailwaschgeschirre, die Frau von Zehren für Dienstboten kaufte.

In einem Laden aber erwachte doch ihr Interesse. Da hatte man ihr weiße Möbel mit großblumigen Kretonnebezügen gezeigt, und sie rief: »So möchte ich mein eigenes Schlafzimmerchen haben!« Aber Frau von Zehren antwortete mit entschiedenem und alles weitere abschneidendem Tone: »Euer Schlafzimmer ist überhaupt fix und fertig. Es ist dasselbe, was mein seliger Mann und ich bewohnt haben, und wo auch mein Theophilchen geboren wurde. Die Einrichtung ist noch wie neu, Nußbaum mit hellbraunem Rips und Straminborten, die ich alle selbst zu meiner Aussteuer gestickt habe. Man war zu meiner Zeit fleißig mit der Nadel.«

Danach überließ Ilse alles ganz der Schwiegermutter, was diese selbstverständlich zu finden schien. Auch Theophil gab ja in allem seiner Mutter nach; er hatte sonst recht entschiedene Ansichten, wie Ilse allmählich erkannte, aber vor einer Einsprache der herrischen alten Dame wichen sie sofort. – Frau von Zehren verstand es eben meisterhaft, sich überall Geltung zu verschaffen; sogar die Berliner Ladenkommis flogen bei den Befehlen dieser Landedeldame mit der lauten Stimme, den langen flachen Hängebacken, listigen Äuglein und großen groben Händen, die so genau Leinwand auf Wert oder Unwert zu befühlen verstanden. – Als sie aber einmal in einem Laden nicht rasch genug bedient wurde, sah sie den Verkäufer durchbohrend an und sagte: »Guter Mann, sie scheinen nicht zu wissen, mit wem sie zu tun haben: Ich bin die Frau von Zehren auf Weltsöden.« – Und merkwürdigerweise wirkte es auf den verdutzten Jüngling, als habe sie gesagt: Ich bin der Polizeipräsident von Berlin.

Die mit Besorgungen angefüllten Berliner Tage glitten an Ilse vorüber wie der wirre Fiebertraum einer kranken Wirtschaftselevin. Allerhand ernsthafte, langweilige Dinge, Kupferkasserollen und Staubtücher, Spirituslampen und Bettvorleger, die alle seltsam bedrohliche Fratzen zu schneiden schienen, zogen da in feierlicher Polonaise vorüber. Sie wußten, das wichtigste für eine Ehe waren sie. Und Frau von Zehren erwies sich als unermüdlich in der Beschaffung dieser sicheren Grundlagen des neuen Hausstandes. Sie ließ Ilse dabei kaum zu Atem kommen, denn sie sagte: »Unnütz solle man nicht in den teueren Berliner Hotels herumhocken und nicht mehr als durchaus nötig gutes Geld vom Lande an die Städter verausgaben.«

Als Ilse dann wieder mit Papa zurück war in ihrem heimatlichen Städtchen, ging auch dort die Zeit schneller vorüber als je zuvor, und plötzlich war der Herbst und mit ihm der Hochzeitstag gekommen. – Ilse hatte einmal nach Weltsöden geschrieben, wie schön es doch sein würde, eine kleine Hochzeitsreise nach Italien zu machen, aber Theophil antwortete, daß er dazu leider keine Zeit haben werde, da er die Arbeiten in Wüste Teufelstrift selbst überwachen müsse. Frau von Zehren, der ihr Sohn offenbar Ilses Brief mitgeteilt hatte, schrieb ihrerseits: »Sie halte nichts vom faulen Herumlungern in welschem, katholischem Lande als Beginn eines norddeutschen Ehelebens – die Ehe sei kein Spaß, sondern die Übernahme ernster Pflichten gegen Land und Bevölkerung, man solle daher auch dort beginnen, wo man von rechtswegen hingehöre.«

Ernste Pflichten. Ja, ja, die wollte Ilse ja auch übernehmen, waren es denn nicht gerade die, die sie zuerst angelockt hatten? Ja – ja – aber – sie war doch vielleicht schon etwas weniger pflichtenthusiastisch als damals bei der Verlobung – und es blieb doch recht schade, daß die Reise nach Italien aufgegeben werden mußte.

Von ihrem Hochzeitstag erinnerte sie sich wenig. Wenn sie später daran zurück dachte, war es mehr ein theoretisches Rekonstruieren, wie es alles gewesen sein mußte. Die vielen Zehren und Saßmacken, die geschäftige Aufregung von Greinchen, der längs des gutmütigen Bulldoggengesichts beständig Tränen herabsickerten, die Feierlichkeit des alten Friedrich. Die Trauung hatte in der Stadtkirche auf dem Marktplatz stattgefunden. Theophils neun lange und eckige Nichten hatten mit allzu hohen Stirnen und straff zurückgekämmtem weißblonden Haar als Brautjungfern hinter ihr gestanden; die eine hatte gerade ein Gerstenkorn und die andere eine entzündete Oberlippe. Dann mußte wohl das Dejeuner gekommen sein mit den Reden und dem Vorlesen der von allerhand Ilsen meist unbekannten Menschen gesandten stereotypen Glückwunschtelegramme. – All das war unpersönlich und konnte bei vielen anderen Hochzeiten genau ebenso gewesen sein.

Nur an einen Augenblick erinnerte Ilse sich später als an ihr eigenstes Erlebnis. Als sie schon ihr Reisekleid angehabt hatte, blieb sie noch einmal am Fenster des Eckzimmers stehen und schaute hinüber zu dem großen Garten; die alten Bäume rauschten im Herbstwind, und die Rehe hatten sich eng aneinander gedrängt, unter ihrem Schutzdach vor dem beginnenden Regen geborgen. Papa war hereingekommen, um ungestört von ihr Abschied zu nehmen und da, ganz plötzlich, hatte sie sich ihm in die Arme geworfen, wie noch nie im Leben, mit einer sinnlosen, rasenden Angst im Herzen, die wie ein Ertrinken war. Sie hatte kein Wort herauszubringen vermocht, so sehr schüttelte sie ein krampfartiges Weinen. Und Papa hatte auch die Fassung verloren. Er klopfte sie unablässig auf die Schulter und sagte in einem fort: »Es ist ja gar nicht so schlimm, es ist ja gar nicht so schlimm.« Und bei diesen immer wiederholten Worten mußte Ilse, ebenso unvermittelt wie sie geweint, nun auf einmal lachen – denn gerade so und mit demselben Tonfall hatte ihr Papa einst zugeredet, wie sie als Kind krank gewesen und die Arznei nicht hatte nehmen wollen: »Sie schmeckt gar nicht so bitter, sie ist wirklich nicht so bitter.«

In diesem Augenblick hatte Frau von Zehren ins Zimmer geschaut und ungeduldig gemahnt: »Ilse, Ilse, es ist die höchste Zeit, der Wagen wartet.« Als sie aber das tränenüberströmte Gesicht ihrer Schwiegertochter erblickt, hatte sie sie mit kräftig zugreifenden Händen bei den Schultern gepackt und gerufen: »Ich glaub gar, du weinst? Du gehst doch in dein Glück! So einen Mann wie mein Theophilchen kriegt wahrhaftig nicht jedes Mädchen!« »Sie müssen das Kind entschuldigen,« hatte Papa sanft geantwortet.

Dann hatte Ilse plötzlich mit Theophil im geschlossenen Wagen gesessen, und in dem stärker und stärker gegen die Scheiben klatschenden Regen war es die Breitestraße hinunter und zum Bahnhof gegangen. In dem Eisenbahnkupee, als der Zug aus der Halle gerollt war, und die Stadt mit der nächsten ihr noch wohlbekannten Waldumgebung verschwand, und die Gegend fremd, wie ein neues Leben, wurde, hatte das krampfartige Weinen Ilse noch einmal gepackt, stumm und unbeholfen saß Herr von Zehren ihr gegenüber, in dem großkarrierten Reisemantel und einer ebensolchen Mütze, die für seinen Kopf etwas zu weit war. Seine langen, ungelenken Beine sprangen über den Sitzplatz weit vor, so daß seine mageren Kniee ihr Kleid streiften. Er tat ihr plötzlich leid, so daß sie noch schluchzend sagte: »Du mußt mir nicht böse sein.« Und Theophil antwortete feierlich: »Ich achte deine Gefühle, liebes Kind; sie sind mir eine Bürgschaft für die Zukunft, denn eine anhängliche Tochter wird sicher auch eine pflichttreue Frau werden.« – Da schlug Ilses Weinen unvermittelt in Lachen über, und sie rief: »Oh Theophil, genau dasselbe hat ja der Pastor heute früh bei der Trauung gesagt.« – »Ja,« antwortete er gemessen, »es war eine gute Rede – und nun – da wir ja hier allein sind, gestattest du wohl, daß ich mir eine Zigarre anzünde, ich kam nach dem Dejeuner nicht mehr dazu, und sie fehlt mir nach dem Essen.« – –

Abends spät trafen sie in Berlin ein. Dort wollten sie die Nacht bleiben und am nächsten Morgen weiterreisen nach Weltsöden.


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