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Zweites Kapitel
Episode

Nacht in Singapore, dunstige, heiße Dunkelheit.

Ein leiser Wind rauscht in den Mango- und Aloebäumen, läßt die Bananen- und Kakaozweige zitternd schwingen.

Eine Fülle von Sternen war ausgeschwärmt und hatte sich tief über die Insel gesenkt; so tief, daß es der Frau, die im Halbdunkel auf der oberen Veranda des Hotels stand, schien, als ob sie nach ihnen greifen und sie berühren könnte.

Sie war intensiv in Gedanken verstrickt, als wenn sie eine Geheimschrift im Hafen entziffern wollte. Brennpunkt ihres Schauens waren ein Paar grüner Augen, die ihren Blick unbewegt zurückgaben. In Wirklichkeit waren es die Steuerbordlichter zweier Schiffe, ihr aber erschienen sie wie Medusenaugen.

Seufzte sie? Durch eine rasche Bewegung fielen ihre langen, fließenden Ärmel von ihrem weißen Arm zurück. Sie hob ihre Arme, streckte sich; ein starkes Machtgefühl durchströmte sie. So stand sie eine Weile, bewegungslos, kaum atmend, ihre entblößte Haut glänzte wie Elfenbein. Es war eine Herrschergeste, unduldsam und gebieterisch, sie glich einer Walküre, triumphierend in ihrer unerschütterlichen Sicherheit.

Dann ließ sie leise die Arme sinken und schritt zurück in den Lichtraum; ein goldener Drachen leuchtete an ihrem Kimono auf, wie lebendig auf der schweren schwarzen Seide zusammengerollt, Feuer nach dem Haupt der Frau sprühend, ein Glühen, das mit dem flüssigen Kupfergold ihres Haares verschmolz. Rasch, mit einem weichen Rauschen von Seide, begab sie sich in das Zimmer und ließ die Fensterläden herab.

Medusenaugen. Ihr Geist ließ das Bild der grünen Augen nochmals erstehen.

Sechs Jahre waren es her; kurz, nachdem sie das Alter für seidene Kleider und Federfächer erreicht hatte, sechs Jahre, daß sie diesem Zauber verfallen war. Oftmals hatte sie seither diese Schlangenaugen erblickt. Im Hafen von New York, im Golf von Neapel, in San Francisco, Yokohama; überall, wo Schiffe nachts an der Mole lagen.

Sie lachte auf – ein voller, leicht heiserer Ton. Ein Blick auf die Uhr am Toilettentisch verjagte alle anderen Gedanken, außer daß es nur noch fünfzehn Minuten vor acht Uhr war und um acht Uhr diniert wurde.

So setzte sie sich vor den Spiegel und prüfte ihr Bild. Ein feines, regelmäßiges Gesicht wie die Prägung einer Münze, sinnend genug, um das eines jungen Mädchens, reif genug, um das einer Frau zu sein.

Blaßgolden war der Hals, der sich wie eine schlanke Säule aus der schwarzen Seide erhob, blaßgolden die Arme. Ihre Lippen waren, im Kontrast zu ihrer makellosen, elfenbeinernen Blässe, von einem lebhaften Karmoisinrot, und das Besondere daran war, daß ihre Farbe echt war.

Sie entschied sich für das Abendkleid aus Moiré dorée. Es würde gut aussehen neben des Hauptmanns Uniform. Hauptmann Remy Barthélemy von der französischen Annam-Armee lief wie ein kurzes Aufleuchten durch ihren Sinn. Sie begab sich mit der ihr eigenen leichten Grazie zu einem Wandschrank; nach ihrem Kleide reichend, ließ sie unbewußt den Kimono von ihren Armen herabgleiten und enthüllte köstliche Schultern ...

Beim Ankleiden summte sie leise vor sich hin: »Addio a Napoli«, eine schwermütige Weise, die ihre Gedanken nach einer Stadt lenkte, die über einer porzellanblauen Bucht träumt, zum Vorspiel ihres gesellschaftlichen Debuts, dem atemraubendsten Lebensabschnitt, aus dem sie sich verfeinert, seelisch ausgeglichen – und unberührt gelöst hatte.

Sie, Lhassa Camber, der lebendige Gletscher, verbarg unter einer Maske von Gleichgültigkeit das glimmende, schwelende Streben nach einem Ziel, das sie durch die halbe Welt führen sollte ... Und die Melodie endete in einem Seufzer.

Fertig angezogen, prüfte sie sich im Spiegel. Ihr einziger Schmuck war ein großer Kamm in ihrem Haar. Sie hatte kein Rot aufgelegt, nicht weil sie etwas dagegen hatte, sondern weil sie sich der Wirkung ihrer roten Lippen auf dem farblosen Oval ihres Gesichtes bewußt war. Mit sich selbst zufrieden, ging sie hinab.

*

Ein Offizier sprang bei ihrem Eintreten auf. Medaillen und Ordensbänder auf seiner glänzenden Uniform erzählten vom Dienst in fernen Ländern. Schwarzes Haar, glänzend wie Lack, zurückgebürstet aus dem Gesicht, dessen Züge in ihrer ruhigen Regelmäßigkeit fast orientalisch anmuteten. Sturm und Sonnenbrand hatten seiner kräftigen Haut ihren Stempel aufgedrückt; und wären nicht seine Augen und sein Mund gewesen, beides ziemlich humorvoll, so hätte er wie ein Mann ausgesehen, der nicht nur körperlich, sondern auch als Charakter hart war. Ein kurzer, schwarzer, gepflegter Schnurrbart fügte eine leichte, lebenslustige Note dazu.

»Ich bin etwas spät daran«, entschuldigte sie sich.

Er verbeugte sich aus schmalen Hüften heraus:

»Ja? Ich habe es nicht gemerkt«, log er.

Sie schaute ihn prüfend an. Er war, was man von einem Legionär erwarten konnte; ein Mann, dessen Gefühle ebenso beherrscht waren wie seine Muskeln. »Kannte seinen Vater,« hatte ihr der Konsul anvertraut, bevor er ihn vorstellte, »gute Familie; ich kann für ihn bürgen. Sie werden einen interessanten Reisegefährten an ihm haben.« Und sie hatte ihn gleich interessant gefunden, schon allein durch die Tatsache, daß er viel von der Welt gesehen und eine gewisse heitere Bosheit daraus gewonnen hatte.

»Die Männer sagen immer das, was man erwartet«, bemerkte sie, »und die Frauen tun es. Täten sie Anderes, so würden sie originell sein – und das ist gefährlich.«

Er lächelte: »Tun alle Frauen das Erwartete?« Die Anspielung entging ihr nicht; als sie sich gesetzt hatten, befahl sie:

»Seien Sie genau – bitte!«

Der Franzose machte eine Geste. »Von einer jungen Frau, die hier draußen in den Kolonien herumreist, erwartet man, daß sie eine Gesellschafterin, gewöhnlich eine alte Aristokratin, bei sich hat.«

»Soll ich eine Belehrung bekommen?« unterbrach sie. »Gestern, als der Konsul sagte, Sie führen auf demselben Schiff mit mir nach Bangkok, fühlte ich heraus, daß er andeuten wollte, daß Sie ein wenig auf mich aufpassen. Ich glaube zu wissen, daß er es Ihnen beigebracht hat, nachdem ich ihn verlassen hatte. Aber, bitte, unterrichten Sie mich nicht darüber, daß ich Unpassendes tue; ich weiß das.«

Sie sprach mit der glänzenden Unbefangenheit einer Frau, die gewohnt ist, Aufmerksamkeit zu erregen, und ihre Art rief Bewunderung in Barthélemys Gesicht hervor.

»Eis und Feuer«, dachte er; aber er sagte:

»Ich habe nur klarmachen wollen, daß Sie mutig sind – und originell!«

»Soll das heißen – gefährlich?« klang es gedehnt.

Er blickte in das stille, dunkle Geheimnis ihrer Augen, die einen Moment in heftigem Gefühl scharf aufleuchten konnten, um im nächsten in Kälte zu erstarren wie nordische Wälder. Und er begriff, daß das Geheimnis ihres Reizes ein Rätsel in ihrem Wesen war, ebenso mächtig wie unergründlich. Er verglich es mit Giocondas Lächeln, das auch zu übersinnlich fein ist, um erklärt werden zu können.

»Es soll bedeuten ...« er zuckte die Achseln, »wie kann ich es ausdrücken? Ich sehe zwei verschiedene Bilder in Ihren Augen. Meist sehe ich Schnee, Eis, Polarnächte!« Er lächelte. »Weniger oft sehe ich Dschungel, unentdeckte Flüsse, Asien, ja – Asien.«

»Dschungel«, wiederholte sie grübelnd. »Vielleicht sehen Sie etwas voraus. Ich beabsichtige, Dschungel und unentdeckte Flüsse zu erforschen. Unmöglich, meinen Sie? Unmöglich ist ein aufreizendes Wort. Irgendwie fühle ich, daß ich zu diesen unbekannten Orten gehöre. Meine Mutter muß das gleiche Gefühl gehabt haben, oder warum nannte sie mich sonst Lhassa?«

»Sie meinen es im Ernst?«

»Mit dem Dschungel? Warum nicht?«

»Sie sind eine Frau; Sie müßten ein anderes Ziel haben!«

»Ziel!« gab sie ärgerlich zurück; das Wort hatte sie aufgestachelt. »Ziel! Darf ein Weib kein anderes Ziel haben, als reizvoll zu sein? Ziel! Immer habe ich einen anderen Lebensinhalt begehrt als bloß zu leben. Ich habe noch nie einen gefunden, und wahrscheinlich werde ich nie einen haben. In meiner Mädchenzeit war mein Ziel, das meine Erzieherin billigte, auf die Universität zu kommen und erfolgreich ins Leben einzutreten. Danach war mein Ziel, zu heiraten. Und dann ...

Mein Lieber, haben Sie jemals über einem Atlas geträumt?« fragte sie plötzlich, und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Ich erinnere mich, wie ich zum erstenmal eine Karte der Welt sah. Es war etwas Aufregendes für mich in diesen Linien, die Wasser- und Luftströmungen darstellten, den kleinen Punkten, die in Wirklichkeit große Städte waren, und den gelben Flecken, die Wüsten waren. Südamerika war geheimnisvoll, Afrika dunkel und furchterregend, wie mein Zimmer, wenn das Licht ausgeschaltet war. Aber da gab es einen Erdteil –« Eine Pause; als sie fortfuhr, hatte ihre Stimme eine tiefe, leidenschaftliche Färbung. »Wenn ich ihn anschaute, fühlte ich mich, wie ein Schmetterling sich fühlen muß, wenn er im Netz gefangen ist.« Sie lächelte. »Einmal trug ich einen Atlas zu meinem Großvater und schlug Asien auf. – – Wissen Sie, wir zwei hausten allein miteinander; ich habe meine Eltern nie gekannt ... Ich sagte ihm, ich würde eines Tages dorthin gehen, und er lachte. Er lachte immer, wenn ich davon sprach, nach Asien zu gehen – bis ich älter wurde und er sich klar wurde, daß mein Wunsch nicht nur kindliche Phantasie war. ›Es ist keine Gegend für eine Frau‹, höre ich ihn jetzt noch sagen. ›Du würdest mit Malaria und zitronengelber Haut zurückkommen.‹

Eines Abends, als ich heimkam, fand ich meinen Großvater im Dunkeln sitzend mit einer Karte, einer zerknitterten Karte von Asien zu seinen Füßen. Sobald ich das Zimmer betrat, wußte ich, daß ich nun ganz allein war. Das war vor zwei Jahren. Ich fühlte es und fühle es noch, daß er, hätte er vor seinem Ende noch sprechen können, mir ein Versprechen erpreßt hätte ... Es war ein schrullenhafter Eigensinn von ihm. Aber vielleicht nicht stärker als der meinige. Ich empfand Asien als etwas, das mich unwiderstehlich anzog. Ich – um es in einem Bild klarzumachen –: Eine Freundin in den Vereinigten Staaten hatte einen Mackaw-Papagei, der an einer Stange im Garten angekettet war. Täglich konnte er das Geschrei der wilden Vögel in den Wäldern hören und antwortete mit kurzen, aufgeregten Rufen, biß an seiner Kette. Eines Abends fand meine Freundin den Mackaw nicht mehr vor; er war davongeflogen.« Sie endete mit einem Achselzucken.

»Ein Mackaw,« sann Barthélemy halblaut, »glänzendes Gefieder.«

»Ein wildes Geschöpf, nie wirklich zähmbar«, fügte sie hinzu. »Ein bunter, eitler Vogel, aber frei, frei wie der Wind ... Ich gab dem Triebe nach, mich aus der alten Sphäre mit ihren abgebrauchten Göttern loszumachen, um andere Welten zu erforschen. So kam ich hierher, allein, abgesehen von Manuel, einem Filipino, der meines Großvaters Diener war, und ich habe ihn nur aus Bequemlichkeit mitgenommen, um Gepäck und andere solche Nebensachen zu besorgen. Zuerst Bangkok, dann Zamboanga und Karachi, lauter Städte mit glanzvollen Namen; allein, frei wie der Mackaw, der seine Ketten zerbrach.«

»Und wie lange bleiben Sie in Bangkok?« forschte er. »Bis Sie den Impuls fühlen, zu fliehen?«

»Ja, Siam. Buddhas aus Blattgold und verschlafene Tempel. Mein äußerer Grund, dorthin zu gehen, ist der Besuch eines Mannes, den ich nie gesehen und der nicht einmal weiß, daß ich komme. Vielleicht wissen Sie etwas von ihm – Dr. Garth? Ich glaube, er war eine Zeitlang Leibarzt des Königs.«

Barthélemy schüttelte den Kopf. »Ich habe in Bangkok wenig Bekannte, besuche dort nur einen alten Kameraden beim Konsulat. Aber erzählen Sie mir mehr von diesem Doktor!«

»Er und Großvater gingen zusammen in Virginia in die Schule. Ich schrieb ihm nicht, daß ich käme, weil ich es liebe, unerwartet zu erscheinen.« Sie lächelte lässig. »Ja, ich habe eine dramatische Ader! Aber verstehen Sie mich nicht falsch; ich werde nicht bei ihm eindringen, sondern ein Hotel aufsuchen. Der Doktor ist einfach eine Erklärung für meine Anwesenheit in Siam, ein Kompromiß, wenn Sie wollen, mit dem Gesetz, das besagt, eine Frau dürfe nicht allein reisen in asiatischen Ländern, wenigstens nicht ohne einen konventionellen Grund. Ich – –«

»Schauen Sie diesen Menschen an!« sagte sie plötzlich dazwischen und deutete auf eine Gestalt, die von einem benachbarten Tisch aufgestanden war. »Sieht er nicht ganz außergewöhnlich aus?«

Der Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit war ein Mann mit einem kurzgestutzten, goldbraunen Vollbart. Er trug einen weißseidenen Anzug und eine blaue Schärpe um seinen Leib geschlungen.

»Verflucht!« rief Barthélemy aus, der weißgekleideten Gestalt nachblickend.

»Er ist recht auffallend, nicht wahr?«

»Auffallend!« Er lachte. »Herrgott, was für eine Ähnlichkeit.«

»Mit wem?« frug sie neugierig.

»Einen Moment lang dachte ich, ich hätte einen Geist gesehen. Genau sein Profil ...« Wieder ein Lachen: »Der Mann, den ich kenne, ist ein ganz besonderer Kerl, ein feiner Schurke mit sehr ungewöhnlichen Händen – –«

»Ich habe seine Hände nicht gesehen. Was war das um seine Taille herum?«

»Ein Slendong, ähnlich einem Sarong, aber schmäler.«

Er lächelte in der Erinnerung. »Nein, er kann es nicht gewesen sein – falls nicht der Teufel einen grimmigen Streich gespielt hat.«

Später in der Nacht, halb im Schlaf, mußte Lhassa Camber nochmals an den Mann denken, dessen merkwürdige Erscheinung ihr Interesse erregt hatte.


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