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Die Riviera.

(1912)

Über den Brenner führt uns der Schnellzug im Monat Februar nach dem Süden. Hinter uns tragen die Berge den dicken, weißen Schneepelz, vor uns stehen sie wie zuckerbestreut. Tirol blieb hinter uns und an der Etsch Verona, so lange eine starke Festung Österreichs, es umfängt uns das Tiefland der Lombardei, das große Schlachtfeld seit alter Zeit, aber auch der ergiebigste Acker und Garten. Noch liegt er grau, hie und da grünt ein Rasenfleck zwischen den zahllosen vom Po abströmenden Bewässerungskanälen, grau stehen die kahlen Maulbeerbäume, grau schlingen sich die Reben zwischen ihnen und den Pappeln und Weiden, die die Kanäle einsäumen, ab und zu dunkelt eine grünliche Oliveninsel und leuchten weiße Häuser und Ortschaften. Weit hinter uns blieb Mailand, Italiens größte Fabrikstadt, südwärts steigt und windet sich eine kühne Gebirgsbahn zwischen den ligurischen Alpen rechts und dem Apennin links auf Dämmen, Viadukten und durch Tunnels, darunter der über 8 Kilometer lange Roncotunnel, und wie sie in Krümmen und Kehren wieder hinabsteigt, kommt uns Genua mit seiner von Industrie lauten Vorstadt Sampierdarena entgegen, und endlich halten wir unten am Meer, nahe dem schiffwimmelnden Hafen. Den umfängt im weiten ansteigenden Halbrund wie ein Riesentheater das »stolze« Genua, Italiens größte Seehandelsstadt, und wir stehen auf der Riviera, die sich ostwärts hinzieht, der aufgehenden Sonne entgegen als Riviera di levante bis Spezia und westwärts der niedergehenden nachfolgt als Riviera di ponente, durch Italien nach Frankreich hinein bis zum Kap Hyres bei Toulon. Die Riviera, das Gestadeland, ist sie unter allen anderen in Europa so genannt, weil sie für die schönste von allen gilt. – Zuvor aber will Genua gesehen und bewundert sein, von unten der aufsteigende Zirkus von Häusern, Villen und Gärten bis zum dunklen Gürtel alter und neuer Festungswerke, von oben, etwa von einer an Stelle der alten Ringmauer angelegten Straße das abflutende Häusermeer und der von Dampfern und Seglern belebte Hafen und rechts und links nach der Ferne verlaufend der von Bergzügen begleitete Küstenstrich. Und es will durchwandert sein in den alten Palaststraßen aus jener großen Zeit, da es als Venedigs Nebenbuhlerin die Meere beherrschte, in den stolzen Renaissancefassaden und Portalen, inneren Marmortreppen und Säulenhöfen, wundervollen Durchblicken von einem Säulenhof zum andern und über Gärten und Meer, in der Kühnheit seiner Baukünstler, die diese Paläste der aufsteigenden Berglehne so schön und nutzreich anzupassen verstanden. Wie feierlich still mußten diese Gassen sein in der Zeit der Doria und Fieschi, als die Edlen sie in Sänften und auf Rossen durchzogen, wo sie heute vom modernen Verkehr erbrausen. Und es will durchwandert sein in den steilen, engen Gassen, wo das Volk lebt und arbeitet und sich freut, wo der Handwerker draußen schafft, die Garküchen prasseln und die Wäsche zum Trocknen von Haus zu Haus hängt, hier ist italienisches Volksleben und doch lange noch nicht so laut und bunt und genußfroh wie etwa in Neapel. Denn der ligurische Genuese, der ligurische Italiener überhaupt, ist ernst, nüchtern, arbeitsam und unternehmend, etwa von der Art seines berühmten Landsmannes, dessen Denkmal uns schön vor dem Bahnhof begrüßte: Christof Kolumbus. Auch die Stadt der Toten will gesehen sein, der große Campo santo draußen vor Genua, von grünen Hügeln halb umfangen, Statuenhallen, Prunkmale der Reichen, weite Felder der Mittleren und Armen mit einfachen Denksteinen und alles das aus dem schönen weißen Marmor von Carrara, der grell die Sonne wiederstrahlt; nicht andachtsvoll und rührend wie ein deutscher Friedhofgarten, in den lebensgroßen Porträtstatuen sogar vielfach abstoßend durch die kleinliche, häßliche Nachbildung der Natur und die anmaßende Schaustellung des Reichtums.

Nun aber lockt uns ein milder, sonniger Morgen zur Wanderung das blaue Meer entlang. Aber der echte Wanderer, der nicht den allbekannten Orten zuläuft und auf berühmte Namen schwört, der im stillen Genusse überall sein Ziel findet, mag ein Fischerdörfchen noch so armselig und weltentlegen, ein Bergnest noch so schwierig auf steinigem Wege zu erklettern sein, der überall stehen bleibt, vorwärts und rückwärts blickt, überall etwas entdeckt, ein solcher Wanderer mag die Riviera nicht in einigen Tagen »machen«; und hat er etwa nur für einen Ausflug Zeit, so tut er dem Nomaden gleich, der sein Zelt anpflöckt, wo es ihm gefällt, und es weiter trägt dahin, wo es ihn lockt. So schlagen wir das unsere zuerst in Nervi auf.

Aus einem Fischerstädtchen hervorgegangen, schmiegt sich die Kurstadt Nervi an den Fuß eines grünen Hügelzuges der Levante und wächst mit Häusern, Olivenhainen, Villen und Hotelpensionen, in Gärten voll Palmen, Zypressen, Aloen, Pfeffer- und Johannesbrotbäumen, Lorbeer und Pinien an seiner Lehne hinauf. Vom schützenden Wall der Berge gedeckt, spürt es den kalten Landwind nicht, der weit draußen aufs Meer niederfällt, ist daher mit seinem gleichmäßig milden Winter- und Frühlingsklima, milder als das von Korfu, Sizilien und Südspanien, ein vielbesuchter Aufenthalt kranker und Erholungsbedürftiger. Ein reizvoller Küstenweg säumt Nervi gegen das Meer hin, die 2 Kilometer lange sogenannte Strandpromenade, über den aus Tonschiefer bestehenden, immer staubfreien Klippen angelegt, daran das Meer sich brandend bäumt oder rauschend an- und abwogt oder leise plätschert, während draußen von Genua her und nach Genua hin die Dampfer und Segler durch den Schimmer gleiten und die Fischerboote wie Raubmöven auf den Fang lauern. Baumhohe Aloen (Agaven), Riesenkandelabern gleich, neigen ihre braunen Schäfte aus dem Bunde der fleischigen, schwertförmigen Blätter, den sie binnen kurzem aus dem steinigen Grunde brechen werden, abgestorben, nachdem sie wenigstens ein Dutzend Jahre auf die einzige Blüte ihres Lebens gewartet haben. Das aber hat sich schon durch Wurzelsprossen reichlich fortgepflanzt. Wie die Eidechsen sonnen sich hier die Menschen auf Bänken an der landwärts hinlaufenden Mauer und lauschen den Stimmen des Meeres und suchen seine wechselnden Farbentöne zu erhaschen und atmen die heilsame, salzgewürzte Luft.

Gegen Osten hin begrenzt eine langgestreckte bergige Halbinsel die Sicht, über deren Kamm die Sonne heraufkommt, die die scheidende Sonne in verklärenden Duft hüllt: die Halbinsel von Porto fino. Immer wieder sucht sie das Auge und folgt ihren feinen Linien, und die Sehnsucht möchte wissen, welches Wunder sich hinter ihr birgt. So ziehen wir ihr entgegen! An ihrem Fuße, Nervi zugewandt, schmiegt sich unter waldigen Hügeln mit Strandföhren und Aleppokiefern das Schifferstädtchen Camogli in die Felsenbucht und, weil der ebene Boden gar so schmal ist, mit Häusern bis zu neun Stockwerken, die wie überall in Ligurien mit Gesimsen, Balustraden, Säulen und anderen Bestandteilen des Palastbaues etwas großtuerisch bemalt sind. Der kleine Hafen ist erfüllt von Segelschiffen; mit ihnen fahren die unternehmenden Männer Camoglis, das viele hundert Schiffskapitäne zählt, nach Amerika und Indien und schaffen dem Städtchen den Wohlstand, der hier nicht auf den Feldern wachsen kann. Das Segelschiff und nicht der Dampfer ist die hohe Schule der Seemannskunst. Solch ein kühner Geist war auch Garibaldi, obschon in Nizza geboren, durch seine Vorfahren doch ein Sohn des ligurischen Strandes, aus Chiavari; halbwegs zwischen Genua und Nervi, im Städtchen Sturla ging er mit seinen 1067 Mann im Mai 1860 zu Schiffe, um in Marsala auf Sizilien zu landen und das freilich morsche Königreich der Bourbonen über den Haufen zu werfen. Es mag ja auch noch viel Langobardenblut in ihnen fließen, was auch so mancher germanische Name beweist, auch der seine. Rührend ist die Heimatliebe dieses Völkchens: den Abend ihres Lebens feiern die Weltfahrer in ihrem Geburtswinkel, und mancher, der in der Fremde reich geworden, schmückt und beschenkt seine Vaterstadt mit einem Haus, einer Schule, einer Kirche.

Nun haben wir auf gewundener Bergstraße das Rückgrat der Halbinsel überschritten, von da oben nach Genua zurück und nach Sestri levante voraus geblickt und sind zwischen Olivenhainen und Landhäusern absteigend unten in Rapallo angelangt. Das liegt tief im Winkel des Golfes, der zwischen der Halbinsel von Porto fino und der von Sestri levante wie ein großer Landsee hereindringt, unter dem von Föhren grünen Walle des ligurischen Apennin, von frischen Winden belebt, die durch Täler den Weg herabfinden; ein Ort der Erquickung, von Deutschen geliebt, weil sie hier doch eine Art von Wald und Wanderwege finden. Wie wandert sich's auch herrlich an mildsonnigen Märztagen hoch über dem Meere ostwärts, Zoagli oder Chiavari zu, oder nach Porto fino die köstliche Straße durch Santa Margherita, so lieblich in die Bucht geschmiegt wie Rapallo, unter mächtigen immergrünen Eichen, ernsten Zypressen, breiten Schirmpinien, zwischen blumenreichen Gärten, daraus Orangenbäume in der Fülle der Goldfrucht leuchten, zuletzt nur zwischen Meer und Felsen, die in Erdbeerbäumen, Lorbeer und Myrte, in Ginster und Baumheide grünen und blühen! Oder der Wanderer sucht, müde des Wogenrauschens und Schauens in die schimmernde Meeresferne, das stille, umschlossene Land, einem leisen Bächlein entgegen, das zwischen Weinreben und Edelkastanien herabkommt, die noch blätterlos sind. Enge, steinige Maultierpfade führen ihn steil hinan und lehren ihn durch mühsames Steigen diese Menschen bewundern, die seit Jahrtausenden durch nimmermüden Fleiß dem schrägen Felsen dieses terrassierte Gartenland abgewonnen haben, darin die Rotkehlchen und Schwarzplättchen lieblich singen. Manchmal freilich hallt ein Schuß, dem Schweigen folgt. Was er bedeutet, sieht er auf dem Markte von Rapallo, wo die armen Sänger in Bündeln als Speise verkauft werden. Mag sich auch der ligurische Italiener vielfach zu seinem Vorteil von seinen südlichen Sprachgenossen, besonders vom Neapolitaner unterscheiden, die Vogelmordlust sitzt auch ihm im Blute. So fleißig er auch seine Oliven beschneidet, im Singvogel ermordet er seinen besten Freund, der die schädlichen Insekten vertilgt. Daher schlägt mancher, verdrossen über den immer wechselnden, zweifelhaften Ertrag seines Olivengartens die alten Bäume nieder und pflanzt Rosen und Nelken, die ihm leichteren Gewinn bringen, oder er sucht in der Fremde sein Glück. Vor den Häusern sitzen überall die Frauen und klöppeln Spitzen, billig zu kaufen und bei den Reisenden beliebt, die hier an der östlichen Riviera vorwiegend Deutsche sind. Freundlich kommt ihnen der geschäftsbeflissene Italiener manchmal sogar mit deutscher Rede entgegen. So ist nun die Riviera di levante: Meer und Gebirge innig vermählt, überall frisches Grün vom Hauch der nahen Flut, manchmal so schmaler Boden zum Wohnen, daß die Häuser hoch emporschießen und die Fischerboote auf die Klippen heraufgezogen werden müssen, selten ein breiter, flacher Strand. Mühsam klimmt, die Ortschaften verbindend, die Landstraße auf und ab, die schon Dante im Fegefeuer schaudernd erwähnt, die aber aussichtsreich ohnegleichen ist. Kurz entschlossen aber hat sich die Eisenbahn den Weg unten durch gesucht in 65 Tunnels, durch die im raschen Vorüberflug das Meer blitzt und manch idyllisches Strandnest einen Augenblick sich sehen läßt. Benutzen wir sie zu einem Ausflug nach Spezia, Italiens Hauptkriegshafen, verlassen wir die Riviera und besuchen wir Carrara, die Marmorstadt. Schon von weitem scheinen die Berge, die apuanischen genannt, an den Abhängen beschneit: das sind die Geröllhalden des weißen Marmors. Eine eigene Bahn zweigt nach Carrara ab. Weißer Marmor überall in Blöcken zur Bearbeitung an Ort und Stelle oder zur Verfrachtung bereit. Steigen wir den Steinbrüchen entgegen, so knirschen und schnarren überall die Sägen, die, vom Wasser bewegt, die Blöcke in Platten zerschneiden, etwa für Tische, Wand- und Kaminbelag. Weiter hinan auf weißen Wegen mit tief eingeschnittenen Geleisen begegnen wir Karren, die die Blöcke herabtragen, langsam gezogen von vielen Ochsenpaaren, die durch vorgespannte einzeln hintereinander gehende Pferde belebt werden. Polternd rollen die mächtigen Werkstücke von der Bruchstelle oben die Geröllhalden herab, bis sie liegen bleiben, um dann unendlich langsam und mühsam mit Walzen und Hebeln auf die Karren geladen zu werden. Sprengschüsse dröhnen, Steinstücke fliegen, es ist eine schwere, gefahrvolle Arbeit, die sich dennoch vom Vater zum Sohne forterbt. Sechstausend Arbeiter schaffen hier, teils oben in den Brüchen, teils unten in den Sägen und Werkstätten. Und so war es schon zur Römerzeit und alle die Jahrhunderte daher. Aus diesen Marmorbergen hat der schöpferische Geist die herrlichen Werke geformt, die uns das Ideal der Menschheit vorhalten, und noch schlummern und warten ihrer viele auf den Weckruf. Auf der ganzen Erde wird der carrarische Marmor begehrt, und so finden sich immer Vertreter aller Völker hier, die Steinbrüche anlegen, die kaufen und verkaufen. Große Summen fließen hier, gilt doch beispielsweise ein Kubikmeter tadellos reinen Statuenmarmors 1600 bis 1800 Lire. Geschrieben im Jahre 1912. So wächst auch der Reichtum der abseits liegenden Gebirgsstadt.

Und wieder sind wir in Genua, hinter uns liegt die Riviera im Osten, ziehen wir der Sonne nach! Viel weiter schweift der westliche Küstenbogen, ein gutes Stück nach Frankreich hinein als Côte d'azur oder Pays du soleil, viel weiter vom Meere ziehen, manchmal in Vorgebirgen herabdringend, die Seealpen dahin und lassen Raum genug für menschliche Ansiedlungen. Während das östliche Gestade alle seine Schönheit enger zusammendrängt, hat dieses sie weithin ausgestreut und einzelne Stellen vor andern reich geschmückt. War jenes ein Strauß, so ist dieses ein Kranzgewinde, darin zwischen Blättern herrliche Blumen leuchten. Solch eine Blume ist Bordighera, die Palmenstadt. Vordem nur ein enges, winkeliges Fischerstädtchen auf einem Gebirgsausläufer, der mit einem Kap ans Meer vorspringt, ist es den fremden Besuchern zuliebe, die hier auch vorwiegend Deutsche sind, aufgelöst und überall grün durchzogen und durchbrochen zum Strande hinabgewachsen, wo es sich wieder in einer langen Gasse zusammenfindet. Überall grüßen uns Palmen, ob wir nun auf der Landstraße oder mit der Bahn heranrollen, Palmen, über fünfzig Arten, bilden Baumgänge und Gärten, und nirgends mehr an der Riviera und in Europa überhaupt nur noch im spanischen Elche gedeihen sie so wie in Bordighera. Vor allem sind es Dattelpalmen, deren Früchte zwar nicht reifen, deren Blätter aber gegen gutes Geld in die Welt gehen, um am Palmsonntag dem christlichen und am Laubhüttenfest dem jüdischen Kult zu dienen. Schade nur, daß die Gestalt des stolzen Baumes unter der gewinnsüchtigen Pflegehand des Menschen so arg leidet, daß sie häufig an den Besen erinnert. – Stehen wir oben vor dem alten Städtchen auf dem Lap Ampeglio, um uns Agaven und Opuntienhecken, zu Füßen die Palmenstadt, und sehen wir ostwärts die Küste hinlaufen über Ospedaletti zum Kap Verde, dahinter San Remo liegt, westwärts in Duft zerfließend an Ventimiglia und Mentone vorüber nach Monako hin, weithin und unbegrenzt ergossen das freie, herrliche Meer, darauf über grünes, blühendes Land die Schneehäupter der Seealpen blicken, so schauen wir ein unvergeßliches Bild. Und wohin wir nun die Schritte lenken, wandeln wir zwischen Blumen; felderweise stehen blühende Nelken und Violen, die Rosen – jetzt im März – noch in Knospen. Manch schattiger Olivenhain mußte ihnen weichen, daher fehlt hier oft das frische Grün des östlichen Gestades, und grau erscheint von weitem mancher Landfleck trotz der Millionen Blumen. Die gehen in ganzen Wagenladungen täglich in die Welt, in leichte, luftige Kisten aus Schilfrohr verpackt, den großen Städten Europas zu und helfen ihre Feste schmücken, die oft so freudelos sind, wie sie geruchlos, weil sie zu schnell an der südlichen Sonne reifen. Allen Blumenzauber aber, dessen die Riviera fähig ist, sammelt sie in einigen Paradiesgärten, die ein Deutscher, Ludwig Winter, auf dem Grunde alter Oliven- und Gestrüpphalden angelegt hat: in den beiden »Wintergärten« bei Bordighera und dem Mortolagarten zwischen Ventimiglia und Mentone, Hier sind die Tropen zu Gaste, unbeschreiblich ist die Fülle, sind die Arten und Abarten der Pflanzen und nicht zuletzt die künstlerische Anlage, die den Wanderer von Genuß zu Genuß führt, von lauschigen Plätzchen stiller Einkehr durch Laubgänge und Lauben, Pergolen, zu freien Aussichten in die Welt.

Noch manche eigenartig schöne Blume schmückt weiterhin das Kranzgewinde der westlichen Riviera: Mentone, Monako, Beaulieu, St. Jean, Villefranche, Nizza, Antibes, Cannes. Nizza ist die Prunkrose, die Stadt der Veste und Vergnügungen, weithin gebreitet an der lichthellen Engelsbai und weit hinauf ins grüne Hinterland verwachsen, über das aus weiter Ferne die Alpen herüberschauen, hier durchschwelgt die internationale Lebewelt den Winter in Theatern, Konzerten, Wettrennen, Taubenschießen, Regatten und Hazardspiel bis in den Karneval hinein, der vierzehn Tage lang mit Maskenzügen, Blumenschlachten, Bällen und Feuerwerken eine glänzende Orgie ist. Dazwischen sausen immerzu die Automobile nach Monte Carlo hin, von der Spielbank in Nizza zur Spielbank dort, zieht sich doch die ganze Riviera entlang die Schnur dieser Tempel des goldenen Kalbes, bald Kurhaus, bald Kasino genannt. Schade nur, daß dieser löbliche Verkehr eine der schönsten Straßen für den Wanderer ungangbar gemacht hat: die Route de la Corniche zwischen Nizza und Monako, hoch über dem Meer. Auch stürmt es oft in dieser von keinem Bergwall geschützten Stadt und treibt den lästigen Kalkstaub. Vertauschen wir sie mit dem stilleren Cannes. Auch das war einmal nur ein Fischerdorf und ist nun ein adeliger Ort, eine Villenstadt mit ungezählten Schlössern in der Umgebung, darunter das des Grafen von Thorane, des Königsleutnants aus Goethes Jugend, hier wohnt im Winter der französische Adel: der Geburt, der Stellung, des Geldes; im Hafen schaukeln seine Lustjachten und die anderer Vornehmer aus aller Welt. Cannes ist das wahre Blumenparadies der Riviera. An Gitterzäunen, Portalen und Veranden klettern fremdartige Schlingpflanzen, über Gartenmauern fallen sie wie farbige Wasserfälle, und wohin das Auge sich wendet, Rosen, Rosen überall. Im April sind sie gekommen. Stolz heben sich wohlbehütete Tropengewächse, aus jeder Ritze aber lugen, jeden Winkel schmücken mit ihren Sträußen die bescheidenen eingeborenen Duftpflanzen: Thymian, Lavendel und Rosmarin. Die Jahreszeiten scheinen aufgehoben, alle Blumen blühen durcheinander, dem einen zur Freude, dem andern zum Vorteil. Besuchen wir nur das landeinwärts höher gelegene Städtchen Grasse. In weiten Feldern begleiten uns Centifolienrosen, Jasmin, Reseda und andere duftreiche Pflanzen, um hier in mehr als dreißig Fabriken in Wohlgerüche verwandelt zu werden, indem sie ihren Duft, ihre Seele, zuerst an Fett, hernach an Alkohol abgeben müssen. Ganze Berge von Blumen wandern in die Tiegel, um nur ein einziges Fläschchen des teuren, von der Mode begehrten Parfüms zu ergeben oder Pomade und Seife zu durchdringen.

Zwei waldgrüne Inseln voll der schmalstämmigen, oft gebeugten, zitterigen Aleppokiefern grüßen zum Palmenstrande von Cannes herüber, so nahe, daß manchmal der Wind ihren Duft bringt: die Lerinischen Inseln. In dem finsteren, festen Schlosse der einen, die näher liegt, büßte in den Tagen Ludwig des Vierzehnten der »Mann mit der eisernen Maske« eine geheimnisvolle Schuld und in neuester Zeit der Marschall Bazaine seinen »Verrat«. Und dort gegen Westen hin, wo die Sonne hinter dem roten Porphyrgebirge der Estrellen glutend ins Meer sinkt, so daß sein dunkler Schattenriß sich scharf vom goldenen Abendhimmel hebt, dort bei Fréjus, dem Forum Julium der Römer, landete 1799, aus Ägypten heimkehrend, der siegreiche Feldherr Bonaparte und bestieg 1814 der gestürzte Kaiser Napoleon ein englisches Schiff nach Elba. Und weiter dann folgen Toulon, Frankreichs Pola, und Marseille, Frankreichs Triest. Dort endet den hyerischen Inseln gegenüber die gepriesene Cote d'azur, die jetzt am köstlichsten ist. Zwar blieb die Sonne nicht so milde wie vor acht Wochen, aber geschäftig eilt ja die Seeluft, zu kühlen, die Platanenalleen haben sich voll belaubt, und länger sind die Tage und die erquickenden Abende. Der Fremdenstrom hat sich verlaufen, die mit Riesenkoffern bepackten Luxusreisenden langweilen sich bereits wo anders, zumeist an den oberitalienischen Seen, die lieblichen Staubaufwirbler der Straßen, die wohltönigen Automobile, sind seltener geworden, freier sind die Wege überall für den beschaulichen Wanderer. Aber ein Gefühl der Sättigung erfüllt ihn und eine seltsame Unruhe. Sind es die Schwalben, die sie brachten? Lange schon sind die Hausschwalben da, viele nur vorüber und weitergezogen, jetzt sausen tirilierend um Türme und Mauern und hoch im Blauen die schwarzen Segler, die Turmschwalben; auch in seiner Heimat. Denn was sind ihren langen sichelscharfen Flügeln Höhen und Weiten! Nachtigallen sind eingezogen, und aus dämmerigen Büschen und Hecken quillt ihr süßer Gesang. Aber so oft der Wanderer ihn hört, fürchtet er, auch den Knall des todbringenden Schießgewehres zu hören, wenigstens auf italienischer Erde. Zuhause aber in seinem Garten, wo weißes Schaumkraut und gelber Hahnenfuß über den grünen Rasen schauen, haben gerade die Kirschbäume ihr weißes Brautkleid angelegt und schwätzt der Star, mit den Flügeln schlagend, vor seinem Nistkasten, den ihm gastfreundliche Hände in die Astgabel der Weide und der Birke gehängt haben. Die lassen ihre Blütenkätzchen wehen und in quellenden Knospen ahnen, wie hellgrün und weich ihre Blätter wallen werden, wie Lockenhaar. Hier aber rascheln ihm die Palmen kalt und hart wie zerschlissenes Blech, düster starren die Zypressen, vom Staube der Straße grau, sowie die Opuntienhecken mit ihren fleischigen, dicken, stacheligen Blattschilden und die Aloen mit ihren Schwertern. Wie warm ihn auch dieses heiter schöne Gestadeland umfing, es war doch die Fremde. Und eines Tages, und wenn ihn auch die Zeit nicht drängt, fliegt er über den Brenner oder durch den Gotthardtunnel, Sehnsucht im Herzen, der ernsten deutschen Heimat zu, – um dann im langen Winter wieder vom Frühling im Süden zu träumen. Das ist nun einmal deutsche Art.


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