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Tunis und Karthago.

(1908 – 1909)

Wenn man von Fiume her auf der »Adria«, dem Dampfer der gleichnamigen ungarischen Schifffahrtsgesellschaft, in die große Zange des tunesischen Golfes hineingleitet, lange schon das Kap Bon links im Rücken, springt rechts das Kap Karthago vor. Von einem schneebedeckten Rücken, scheint es; doch das sind die grell weißen, dicht gedrängten Häuser des Dorfes Sidi Bou Said. Weiter unten schimmert dann auf felsiger Höhe ein gekuppelter Bau, die mächtige Kathedrale des heiligen Ludwig auf der alten Byrsa Karthagos, darunter und umher, schon vom Kap aus, dehnt sich die Stätte der längst entthronten Handelskönigin. Jetzt legt sich auf langer, schmaler Nehrung mit weißen, flachen Häusern, Festungsruinen und Palmen Goletta vor, dort kommt der Lotse an Bord, uns durch den Kanal von Tunis in die Stadt zu geleiten. Durch eine enge Einfahrt zieht langsam das Schiff, zieht eine Stunde lang über 11 Kilometer hin zwischen den niedrigen Dämmen des 100 Meter breiten, fast 7 Meter tiefen Kanals, mitten durch den seichten See, das Haff von Tunis, über dessen Glanz die weißen Möven flattern, in dem die Reiher und Kormorane fischen und wie dicht gestreute Rosenblätter ein Heer Flamingos. Links in der Ferne kommt uns ein Bergzug entgegen, voran der doppelköpfige Bou Kornin, zuletzt der Dschebel Zaghuan, von dem einst Hadrian über 100 Kilometer weit das Trinkwasser nach Karthago führte. Und vor uns steigt langsam Tunis in die Höhe zur alten Kasba, der festen Burg der ehemaligen tunesischen Fürsten, in weißem Glanz sich breit entfaltend, »der weiße Burnus des Propheten«, von Sandsteinhügeln wie von Posten umstanden, darauf hie und da ein Fort. Hinter der Stadt aber breitet sich, von hier aus unsichtbar, der Salzsee Sedschumi aus, der im Sommer eintrocknet, so daß Tunis auf einer Landenge liegt, zwar Knotenpunkt aller Landstraßen und Ziel aller Fahrten im Golf und sicher gegen Angriffe vom offenen Meer aus, aber von diesem auch abgesperrt, während an Karthagos Hafendamm die freie See rollte. Daher der verhältnismäßig geringe Schiffsverkehr mit der Welt, daher auch die zeitweilige Sumpfluft.

Der Stadtteil am Hafen mit geraden, sich rechtwinkelig schneidenden, in seiner Nähe recht dürftigen und unfertigen Gassen könnte einer europäischen Stadt angehören, sähe man nicht so viele braune Männer im Turban und faltigen Burnus und so viele Frauen, denen der schwarze Schleier wie eine Maske am Gesicht liegt mit einem Schlitz für die Augen. Nun aber sammeln sich die allmählich stattlicheren Gassen des französischen Quartiers wie Flüsse zum Strom in der breiten, vornehmen, von immergrünen Fikusbäumen bestandenen, von Hotels und spiegelnden Caferestaurants eingefaßten Avenue Jules Ferry, die sich über den palmenbepflanzten Residenzplatz hinweg in die gleichfalls immergrüne Avenue de France fortsetzt. Hier durchschreiten wir ein altes maurisches Triumphtor, die Porte de France, und stehen in einer anderen Welt: im alten unverfälschten Tunis, in seiner Altstadt Medina. Das ist ein Gewirre von regellos durcheinanderlaufenden geraden und krummen, oft sackartig abschließenden Gassen und Gäßchen, die alle zusammen, von den gleichgearteten Vorstädten Bab Dzazira und Bab Souika rechts und links begleitet, sich an den Fuß der Kasba legen, ihrer einstigen Herrin und Beschützerin. Da werden zuerst in vielen aneinandergedrängten kleinen offenen Läden Nahrungsmittel aller Art feilgehalten, Datteln, Feigen, Bananen, Kürbisse, Käse, Hammelfleisch, und unermüdlich schwingt der Verkäufer, zumeist ein Malteser im roten Fez, den Fliegenwedel darüber. Da bäckt ein sitzendes Männlein im Turban in einemfort Pfannkuchen in siedendem Öl für die Esser auf der Stelle und für die harrenden Austräger; im Häuschen daneben dreht ein Esel die Mühle. Da wieder wird auf der Gasse gekocht, gebraten und geschmaust, ein Bohnengericht und Hammelwürste. In seinem winzigen Käfig klopft der Flickschuster; der Schneider, meist ein Jude, führt das Bügeleisen, und jedes Handwerk läßt sich sehen. Strenge aber schließt sich das Wohnhaus ab und gönnt der Gasse nichts als die verschlossene Tür und vergitterte Fenster. Im arabischen Kaffeehaus und davor hocken und liegen die Muselmanen, Araber, Kabylen, Neger auf Matten am Boden oder auf niederen, teppichbelegten Bänken an der Wand hin, im Gespräch, ins Brettspiel versenkt oder in stundenlanges stummes Hinbrüten. Sorgfältig bereitet der Wirt jedes Kännchen für sich und trägt es an langem Stiele dem Gaste zu. Den neugierigen Fremden scheint keiner zu bemerken, wenn er eintritt; verachten sie doch alle den Ungläubigen. In den breiteren Gassen haben sich auch französische Butiken angesiedelt, wo der Zuave und der Chasseur d'Afrique den entnervenden Absinth trinken, was ihnen der Spahi, der eingeborne Reitersoldat in malerisch bunter Beduinentracht, schon abgelernt hat. Und weiter drängt und schiebt uns hin- und wiederwogend der farben- und gestaltenreiche, von den Rufen der hin und her eilenden Straßenverkäufer laute Menschenstrom, bis die Gassen dunkel werden, weil überdacht, überwölbt, manchmal durch Luken von oben erhellt; beiderseits eine Flucht von Geschäftsläden gleicher Art: das sind die Basargassen, die Suks. Hier bietet der Orient zum Kaufe an, was er nach alter Überlieferung hervorbringt und schätzt und schön findet. Da sind seine Wohlgerüche, das Rosenöl, die märchenbekannte Ambra, da ist Hennapulver zum Rotfärben der Nägel. Da sind die prächtigen Pferdegeschirre, die schön verzierten tiefen Sättel, die eingelegten Waffen, wie sie der beharrliche Muselman heute noch bevorzugt. Da sind, eine lange Halle bunt erfüllend, seine Kleider, der Burnus, der Mantel mit der Kapuze, die den stattlichen Mannesgestalten so viel Würde geben, das manchmal golddurchwirkte Kopftuch und der seidengestickte Haik, der Überwurf für die Frauen und die zuckerhutgleiche, goldverzierte Mütze der Jüdin. Dann seidene Decken mit eingestickten Koranworten in Gold- und Silberfäden. Man glaubt ins vergitterte Frauengemach zu schauen, wo im gedämpften Licht oder beim Schein der zierlichen Lampe emsige, feine Hände sie schufen, hier wieder sind Schuhe aus weichem gelben oder roten Leder, für die Frauen goldgestickt, Metallgefäße zu jeglichem Dienst, eingelegt und getrieben, ferner Schmuck und Teppiche, und alles das in Formen und Farben, die frühere Jahrhunderte ersonnen haben und die gleicherweise in den Oasen der Sahara wie an den Grenzen Chinas und Indiens gelten, soweit Allah die Geschicke der Menschen bestimmt. Wie nahe aber liegt doch dem Österreicher diese fremde, seltsam schöne Welt, nur zwei Tagreisen von Wien; denn in der Tscharschija, dem alten Geschäftsviertel von Sarajewo, umgibt ihn der Orient fast wie hier und auch in Wien selbst in der immerwährenden bosnisch-herzegowinischen Ausstellung mit auserlesenen Erzeugnissen seines Kunstfleißes. Es war einmal!

Da wir ein Reiseandenken erstanden haben, läßt der Verkäufer das überreichte Fünffrankenstück prüfend auf dem Zahlbrett klingen, ob es echt sei. Aber auch wir haben Grund zur Vorsicht, denn oft entstammt nur die Form der Ware dem Orient, sie selbst aber einer deutschen oder französischen Fabrik. Hier ziehen Moslims die Schuhe aus und treten, sie in der Hand tragend, in ihr Bethaus, das sich dem Ungläubigen strenge verschließt, wie die mehrfache, auch deutsche Aufschrift am Tore warnt. Kinderlärm daneben verrät eine Schule. Vielleicht gelingt es uns, einen flüchtigen Blick hineinzuwerfen und zu bemerken, wie die Kinder verschiedenen Alters, die Köpfe bewegend, alle zugleich Koranworte herunterplärren, während der Schulmeister mit der Gerte in der Hand von einem zum anderen die Prüfung vornimmt. Aber auch christliche Kirchen und Schulen, europäische Häuser und Geschäfte hat die neue Zeit hier eingebürgert. So sind wir nun des Schauens satt, von Lärm und Schmutz und Übelgeruch angewidert, unbemerkt oben vor der Kasba angelangt, heute Kaserne der Zuaven, die nachlässig davor Wachdienst halten, in roter, rockähnlicher Pumphose, blauer Jacke, den roten Fes mit blauer Quaste an langer Schnur verwegen auf den Hinterkopf gestülpt. Die Kasba ist verschlossen, doch ein naher Palast des Bey uns zugänglich. Von seinem Dach überblicken wir die Stadt, ein augenblendendes Meer von weißen flachen Dächern, fern unten vom blauen Bande des Golfes gesäumt und drüben von dunkelnden Bergen. Wie mag hier die Abendkühle laben, wenn vom Minaret herab der Muezzin zum Gebete ruft. Aber nicht kühn und kerzenschlank wie in unseren ehemaligen Reichslanden oder in Ägypten springen sie hier auf, als viereckige, wehrhafte Türme stehen sie breit da, ähnlich den italienischen Glockentürmen. Mehr als den zehnten Teil der Bevölkerung des Landes hat Tunis als seine natürliche Hauptstadt an sich gezogen: 186 000, davon 80 000 Mohammedaner, 50 000 Juden, 35 000 Italiener, etwa die Hälfte der in der Landschaft lebenden, nur 15 000 Franzosen, 5000 Malteser, Syrer, Griechen und andere Fremde.

Ein halbe Stunde hinter Tunis landeinwärts steht der Bardo, der nun verfallene einstige Winterpalast des Bey, ein Zeuge verblichener Herrlichkeit. Da ist der Thronsaal mit feiner, zierlicher Filigranstukkatur der Decke, einem Spitzengewebe aus Stein; da ist ein marmorschimmernder Hof, an dessen Säulen aus Karthago der damalige Machthaber die von ihm Gerichteten sofort aufknüpfen ließ. Nun ist die Neuzeit eingezogen, hier im Bardo wurde 1881 der Vertrag beraten, durch den sich Frankreich unter dem Namen eines Protektors zum Herrn des Landes einsetzte. Die Zügel der Politik führt jetzt der französische Residentgeneral, den militärischen Kommandostab der französische Kriegsminister, nur ein Schein der Macht – so auch eine Ehrengarde von 600 Eingeborenen – ist dem Bey geblieben. Um so zäher aber hält sich der Entthronte an diesen Schein und zweimal wöchentlich kommt er in einem von sechs Maultieren gezogenen Wagen mit stattlichem Gefolge von Marsa – nördlich vom Kap Karthago – nach Tunis, um seine Rechte auszuüben. Viel Ersprießliches, ja Großes hat Frankreich, wenn auch in eigennütziger Absicht und auf Kosten des von Natur reichen Landes, für dieses getan, das es völlig verwahrlost übernahm. Es hat ihm eine geordnete Verwaltung gegeben, Bodenbau, Gewerbefleiß und Handel gefördert, Hafen, Straßen, Eisenbahnen und Wasserleitungen gebaut, durch Brunnenbohrung Oasen hervorgerufen, Schulen gegründet und sich noch manches vorgenommen, daß Tunesien vielleicht wieder zur Blüte des stadt- und straßenreichen römischen »Afrika« kommt. Aber noch zählt man heute gegenüber 51 000 Häusern 81 000 Zelte in der dürren Steppe, wo die Trümmer der römischen Wasserleitungen und Berieselungswerke und der Tempel und Theater reichlich umherliegen. Doch hat sich Frankreich damit nicht im entfernten den Dank und die Anerkennung der Eingeborenen erworben, die als Muselmanen sich in Allahs Willen ergeben und andere Zeiten abwarten.

Reich ist dieser Bardo an künstlerischen Fundstücken aus Karthago und den andern Römerstädten der Provinz, die den Garten draußen schmücken und ein vielräumiges Museum füllen. Das Anziehendste in diesem aber ist wohl das vornehme arabische Haus, durch die eigentümliche Schönheit seiner Kunst und des ihm verwandten Gewerbes, durch die zierlichen Bogen, die von Fayence glänzenden Wandflächen, darin kühn und seltsam verschlungene Arabesken, durch die Anmut all der kleinen Gebrauchsgegenstände dem Himmelsstriche angepaßt. Diese Räume lassen feinen Geschmack und Heimbehagen und Traulichkeit nachfühlen und uns einen Blick in diese Volksseele tun, die sich uns gerade so verschließt, wie das Haus. Es ist eine andere Welt als die unsere, mit eigenen Werten, eigener Schönheit, eigenem Glück.

Besuchen wir nun die Stätte Karthagos, das Grab der fast gleichaltrigen Schwester von Tunis, deren Schatten hier überall umgeht. Die elektrische Bahn führt dahin, die die Hauptstadt mit Marsa verbindet. Die Elektrische nach Karthago: Jahrtausende überspannt dieser Gedanke. Mitten durch das Haff saust sie auf dem schmalen Damme des Kanals, vom Byrsahügel hier, auf dem wir stehen, ist die machtvolle Stadt ausgegangen, zuerst südlich und östlich zum Meere hin, dann weithin nordwärts und auch gegen Westen ins Land hinein, so daß sie die doppelbeilförmige Halbinsel fast ausfüllte. Zwei längliche Tümpel am südlichen Strande sind heute der Rest jener beiden Häfen, in denen die erste Handels- und Kriegsflotte der Erde Raum fanden. Drei enge Straßen mit sechsstöckigen Häusern führten da hinab zum Markte, dieselben, die später Scipios Krieger Haus für Haus, Dach für Dach erstürmten. Am Nordfuße aber des Bergfelsens wurde für die Zeit der Gefahr das Trinkwasser in Zisternen gespart. Lange nachher hat Hadrian sie erneut und in die gewaltigen Tonnengewölbe den frischen Quell der Berge hergeleitet. Heute hat sich hier das Dorf Malga aus alten Fundstücken erbaut und eingenistet. Ja, kaum mehr als Gräber und ein ergreifendes Beispiel irdischer Vergänglichkeit hat das punische Karthago hinterlassen, durch keinen die Menschheit fördernden Gedanken hat die harte Beherrscherin und rücksichtslose Ausbeuterin unmündiger Völker den Dank der Nachwelt verdient, und wohl niemand fühlt auf ihrem Grabe wandelnd jene schöne Rührung, zu der Athen ihn erhebt, oder die schauernde Bewunderung, die ihm ihre erbarmungslose Todfeindin Rom abnötigt. Zweimal war dieses Karthago die Nebenbuhlerin der Tiberstadt, aber auch die reiche römische Handelsherrin ist fast spurlos versunken, ist tot. Keine Säulen ragen mehr und grüßen den vorüberfahrenden Schiffer – sie sind in die Moscheen und Paläste ihrer Zerstörer, der Araber, und in die Kirchen der Italiener gewandert – und keine Lehre für die Welt hat das römische Karthago aus sich selbst geschöpft. Am Westabhange des Burghügels, landeinwärts der Gegend zu, wo in der punischen Zeit der unbezwingliche dreifache Mauergürtel mit den gewölbten Hohlräumen für hunderte Elefanten, tausende Pferde und Krieger und alles Kriegsgerät sich spannte, wo ihm entgegen über den Hals der Halbinsel weg Scipio sein Lager schlug, in dieser Gegend birgt sich in den Äckern das arg verstümmelte Amphitheater, der Zirkus in der Nähe läßt sich nur aus einigen Linien des Bodens erraten, im Norden hat ein Odeum noch liegende Säulen und Architrave bewahrt, unten am Strande zerstreuen sich die formlosen Trümmer der Antoninus-Thermen, unterirdisch zieht die Wasserleitung und eine den Thermen benachbarte, modern hergerichtete Zisternengruppe versorgt heute Goletta und Marsa mit Trinkwasser. Doch überall tauchen Mauerreste aus dem welligen Boden auf und überall rührt der Fuß an Steine, die von Menschenhand geformt waren, die verraten, was hier noch schlafen mag. Hier oben aber im Museum schichten sich die Funde aus der punischen, der römischen und der christlichen Vergangenheit. Das ist auch die Stätte, wo, von der untergehenden Vaterstadt umflammt, die letzten Punier, 50 000 von 700 000, des Siegers Schonung erflehten und erhielten. Hier ist auch auf dem Kreuzzuge 1270 Ludwig IX., der heilige, von Frankreich gestorben; eine Kapelle mit seinem Standbild erhebt sich auf dem Platze, auf den Grundmauern eines alten Puniertempels. Hier ragt auch weithin schauend die nach ihm benannte Kathedrale in byzantinisch-maurischer Bauart, ein Kloster daneben erzieht die »weißen Väter«, Missionäre in arabischer Tracht, sowie eines auf dem benachbarten niedrigeren Hügel, der einst den Tempel der Astarte trug, die weiblichen Missionäre für Afrika. Eine Sendbotin des Christentums ist das heutige Karthago und sein Erzbischof das kirchliche Oberhaupt des christlichen Afrika.

Im Hinabschreiten finden wir die Reste der Vandalenkirche. Auch dieses Volk hat hier geherrscht und eine Heimat gesucht. Aber die Sonne Afrikas entkräftete den nordischen Stamm und verwehrte ihm, sich auszuleben und ein Gegengewicht zu schaffen jener vierzehntägigen Plünderung Roms, für die eine Laune der Geschichte den Vandalennamen gebrandmarkt hat; eine Harmlosigkeit gegenüber dem, was Rom – und wahrlich nicht dieses einemal nur – an Karthago getan hat.

Wie die Meereswellen kamen die Völker an diesen Strand: Phönizier, Römer, Vandalen, Araber, Türken, Italiener, Franzosen, die Mehrheit aus Europa, dem dieses Land, ohne Gebirgswall im Norden, sich freiwillig erschließt, das der Dampfer von Palermo in wenigen Stunden erreicht. Daher auch das natürliche Vorrecht Italiens an Tunesien, das alte »Afrika«, dessen Handelsverhältnis und politische Beziehungen zu ihm ins tiefste Altertum zurückreichen, dessen heutige Sprache hier verbreiteter ist als die französische, dessen Bewohner, 76 000 Italiener gegen 24 000 Franzosen, sich bei den Eingebornen größerer Beliebtheit erfreuen als diese, die in ihrer herrischen Selbstüberhebung keine fremde Volksart verstehen wollen.

Da wir aber, heimkehrend, mit Unbehagen die aus dem seichten See aufsteigende Sumpfluft spüren, so müssen wir der alten Stadt die lange schon geplante Trockenlegung dieses lästigen Nachbars wünschen, die Vollendung des Werkes, das vor vielen Jahrhunderten zwei schlammwälzende Flüsse nur halb getan, der östlich mündende Wed Miliana und der jetzt weit nördlich vom Kap Karthago das Meer erreichende Hauptfluß des Landes, Medscherda, der Bagradas der Alten. Ein Plan, dem freilich die französische Militärverwaltung widerstreben mag. Denn durch Austrocknung des Haffes wird Tunis vollends zur Landstadt und gegen Angriffe vom Meer aus ohne neue umfangreiche Befestigungen wehrlos. Unterdessen zieht schon langsam eine andere Stadt seinen Seehandel an sich: das nördliche, Europa nähere und an der geraden Linie Gibraltar – Suez, demnach an der nächsten Straße des Weltverkehrs sowie inmitten der beiden Mittelmeerbecken gelegene Biserta, jetzt schon eine junge, starke Seefestung und ein aufblühender Handelshafen, mag auch die Hauptstraße des Landhandels den Medscherda entlang früher Tunis erreichen. Und wenn dann einmal das französische Biserta – denn der Deckmantel des Protektorats hängt ja wohl bald im historischen Museum – Italien bedrohen und dem englischen Malta die Stirn bieten wird, dann teilt es sich mit Tunis in die Bedeutung des alten Karthago.


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