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Granada.

(1910)

Ein junger Wüstenlöwe, der nach Raub ausgeht, erhob sich der junge Glaube des Islams. In mächtigen Sprüngen über Nordafrika hin, über die Meerenge nach Europa hinüber, legte er seine Pranken auf die spanische Halbinsel. Aus Gallien durch das Schwert der Kranken zurückgescheucht, kehrte er um, wurde seßhaft und heimisch südwärts der Pyrenäen, und es geschah ein Wunder. Der Glaube, der kulturvernichtend aus der Wüste hervorgestürmt war, hier, auf dem durch die Römer bereiteten Boden wurde er der Förderer jeglicher Arbeit und der Begründer einer Kultur, die antike und orientalische Elemente verschmolz, einer eigenartigen Kultur des Wohlstandes, des Geistes, der Menschlichkeit und feinen Sitte, so edel, wie sie das ganze übrige Europa damals nicht aufzuweisen hatte. Aber sie war ein hinter Wällen gehegter Garten. Denn nur wenige Jahre nach jener weltgeschichtlichen Schlacht am Flüßchen Salado, (711) – bisher Jerez de la frontera genannt – in der das von seinem Glauben berauschte Heer Tariks die Scharen der christlichen Goten über den Haufen warf, begann vom rauhen Norden her der Rückstoß der Geschlagenen und ihre nie ermüdenden Versuche, das verlorene Land zurückzugewinnen. Mehr als sieben und ein halbes Jahrhundert wogte, ob auch durch lange Friedenspausen unterbrochen, der Kampf. Aus den durch Tarik für den Kalifen von Damaskus eroberten Landschaften hatte sich unterdessen selbstherrlich das Kalifat von Cordoba gebildet und war – nach 1031 – in Teilreiche zerfallen; wiederholt hatten sich die semitischen Araber durch berberische Afrikaner verstärkt und ergänzt, bis diese die Mehrzahl und Macht besaßen. Aus den Westgoten waren Romanen geworden, christliche Königreiche waren entstanden, Leon, Arragonien, Navarra, Katalonien und Kastilien, hatten sich zusammengefunden, getrennt und wiedergefunden, bis am Ende des Mittelalters bis auf das bald in Kastilien aufgehende Navarra südlich der Pyrenäen nur drei zurückblieben: Portugal, das Mündungsgebiet der westlichen Ströme, von der Natur auf eigene Wege gewiesen, Arragonien und Kastilien. Als sich diese beiden durch die Heirat ihrer Könige Ferdinand und Isabella verbanden, war das Schicksal des Islams auf der Halbinsel entschieden.

Es war am 2. Jänner des Jahres 1492 in der dritten Stunde des Nachmittags zu Granada. Da flatterten von der Alhambra über den Zinnen des Dschafar, jetzt Vela-Turm genannt, die Banner der katholischen Könige und blitzte das Kreuz des Erzbischofs von Toledo. Unten aber vor der Stadt, etwas abwärts von der Stelle, wo der Genil den Darro aufnimmt, stand spanisches Kriegsvolk aufmarschiert, hielten die siegreichen Könige hoch zu Roß. Aus einem der Stadttore kam ein maurischer Zug, voran der König Abu Abdallah, von den Spaniern Boabdil, von seinem Volke von Jugend an As-Soghbi, der Unglückliche, genannt, der letzte Maurenfürst in Spanien, und übergab dem Sieger den Schlüssel seiner Hauptstadt. Und während er die Sierra Nevada hinanritt in die Verbannung und noch einmal seufzend auf die verlorene Heimat zurückblickte, feierten oben in seiner Königsburg, in der Alhambramoschee, die Reyes catolicos ihren Sieg durch den ersten christlichen Gottesdienst. Und wenige Wochen später, am 17. April desselben Jahres, gewährte draußen in Santa Fe, ihrem Standlager während der Belagerung, die Königin Isabella, ihres Sieges froh und in der Hoffnung, neue christliche Untertanen zu gewinnen, dem abenteuerlichen Genuesen, in Spanien Christobal Colon genannt, nach langem Zögern endlich den gewünschten Vertrag und jene drei Schiffe, mit denen er die neue Welt fand. Es war Spaniens Heldenzeitalter. Was war dem Wagemute dieses Volkes unerreichbar! Auch im Mutterlande schritt die Eroberung fort, im alten Königreich Granada. Denn wohl war die morgenländische Völkerwelle abgeflossen, aber nicht ganz, viele Muselmanen aller Stände bekannten sich zum siegreichen Glauben, wurden »Moriscos«, den übrigen wurde feierlich Schonung und Duldung zugesichert. Aber der unduldsame Sieger brach sein Wort und verfolgte mit kirchlichen und weltlichen Dekreten, mit Kerker und Scheiterhaufen den verhaßten Eindringling so lange, bis er durch die letzte Austreibung der Moriscos (1610) den fast neunhundertjährigen Krieg beschloß, – ohne jedoch den Verlust ersetzen zu können. Denn er vertrieb ein Volk der Arbeit, das ihm hierin weit überlegen war, und setzte an die Stelle einer besseren geistigen und sittlichen Kultur die rohe Macht des Stärkeren im Namen einer an sich hohen, von ihm aber tief erniedrigten Religion.

Eine fast unglaubliche Menge von Ansiedelungen hatte das Land in der Maurenzeit besessen, viele davon sind vom Erdboden verschwunden, viele verkümmert, die maurischen Bewässerungsanlagen häufig verfallen; an Stelle ehemaligen Fruchtlandes liegt öde Steppe, Weide für die Kampfstiere der Arena.

Nur Städte, die gewissermaßen die Natur geschaffen hat, bewahrten ihre Blüte, wie beispielsweise Malaga und Cadiz, Handelsplätze seit der Phönizierzeit, und Sevilla, das im fruchtreichen Binnenland und durch die Schiffbarkeit des Guadalquivir zugleich dem Meere nahe liegt.

Gesunken aber ist Cordoba, die Kalifenstadt, die volkreiche, glanzvolle, gelehrte, die reichste Stadt Europas und das Mekka des Abendlandes. In seinen engen Gäßchen, zwischen den bescheidenen Häusern hallt der Schritt und auf seinen Plätzchen wächst das Gras zwischen den Steinen. Aber hoch über seine zerfallenen Mauern am Guadalquivir hebt sich das Wahrzeichen der verwandelten Zeit, steigt der Dom, mitten hineingestellt in den Säulenwald der alten, weltberühmten Moschee, hinausragend über ihr Dach wie die Herrin über die Dienerin. Kein Schicksal aber rührt uns so, wie das Granadas.

Diese Stadt liegt 670 Meter über dem Meere mit dem Blick auf den Nordabhang der Sierra Nevada an der Mündung des Darro in den Genil. Von einem Hügel herabsteigend, dem Albaicin, der die alte maurische Königsburg und die Schlösser des Adels trug, legt sie sich an den Fuß eines andern, des Alhambrahügels mit dem späteren Königssitz, dem der Naßriden. Diese hochbegabten Fürsten arabischen Blutes, die letzten muselmanischen auf spanischer Erde, verstanden es, seit der Mitte des 13. Jahrhunderts durch kluge Staatskunst zwischen den Herrschern Spaniens und Marokkos das Zünglein an der Wage zu bilden, so ihrem kleinen Reiche Gewicht zu verschaffen und es fast zwei und ein halbes Jahrhundert hindurch zum Bollwerk des Islams im Westen und zum Retter islamitischer Kultur zu machen. Achtzehn Tore und eine halbe Million Menschen zählte die Stadt zur Zeit der Eroberung, weil immer durch Flüchtlinge aus den gefallenen Maurenstädten verstärkt. Ein Garten war die kunstvoll bewässerte Vega, ihre süßen, getrockneten Weinbeeren hatten Weltruf wie heute die Malagatrauben.

Einhundertunddreißig Wassermühlen mahlten im Stadtgebiet Weizen und Gerste. Die Häuser, von außen unscheinbar, weißgetüncht, mit spärlichen Gitterfenstern nach der Straße, glichen denen von Pompeji, nur daß ein Hufeisen- oder Spitzbogen die Tür einrahmte.

Keinem fehlte der schattige, grünbepflanzte offene Raum, darin sich – häufig an einem Springbrunnen – die Familie sammelte, um den kleine Gemächer, Alkoven, sich legten; der Raum, wie er jetzt noch als Patio keinem besseren spanischen Hause fehlt und besonders in Sevilla durch Schönheit auffällt. Das ebene Dach trug ein Aussichtstürmchen, Menadhir genannt, wie es heute noch als Mirador gebräuchlich und beispielsweise ein besonderes Kennzeichen von Cadiz ist. Die Kuppeln und Minarets der Moscheen, die Stadttore, die inneren Wände der Häuser schimmerten von farbigen Wandfliesen aus gebranntem, glasiertem Ton, deren matten Metallglanz wiederzufinden sich die heutige spanische Azulejosindustrie bemüht. Kunstvoll geschnitzte Türen mit metallenen Klopfern schlossen die Häuser, ebensolche Decken, bemalt und vergoldet, zierten die Gemächer der Wohlhabenden. Die Wände belebten Tapeten aus gepreßtem Leder mit goldigem Ton, wie sie heute Marokko erzeugt, oder die in den Stuck eingepreßten Arabesken, wie wir sie in den Räumen der Alhambra bewundern. Schränke und Tische mit eingelegten bunten Hölzern, Elfenbein und Schildpatt dienten zum Schmuck und Gebrauch, wie sie noch heute das Kunstgewerbe in Granada für die fremden Besucher erzeugt. Zarten Schmuck aus Gold- und Silberfiligran liebten die Frauen, tauschierte Waffen die Männer; in Seide kleideten sich beide gern. Durch seine Hafenstädte Almeria und Malaga unterhielt das kleine Königreich einen lebhaften Seehandel über das Mittelmeer hin, besonders mit Genua und Pisa, und das Gold, das es sich durch fleißige, kluge Arbeit gewann, ließ die Lage entstehen, die Chemiker Granadas wüßten es herzustellen. In Kanälen, Brunnen und Bädern rauschte das reinste Wasser überall in der Stadt, wie es heute noch unter den hohen Ulmen des Alhambraparkes zum Gesange der Nachtigallen rauscht. In zahlreichen Schulen und Büchereien konnte sich der Geist bilden; es gibt keine Wissenschaft, die Granada nicht rühmlich pflegte, auch durch Frauen. Aus aller Welt kamen die Besucher seiner hohen Schule. Bildung, feine Sitte, ritterliches Wesen sagten dem Granadiner auch die Feinde nach, aber auch Luxus bis in die niederen Schichten und schlauen Geschäftsgeist. Und über diese lebensvolle Stadt, die selbst Cordoba überstrahlte, über dieses »Damaskus des Westens« erhob sich auf langgestrecktem Hügel, weithin sichtbar wie von der untergehenden Sonne verklärt, die »rote Stadt«, Medinat al hamra, die Alhambra, nach der Farbe des Gesteins so genannt. Sie bestand der Länge nach aus drei Teilen: der Festung, – Alcazaba – dem Fürstenschloß – Alcazar – und einer breitliegenden Schar von Beamtenwohnungen und Wirtschaftsgebäuden. Das Ganze gürtete eine durch siebenunddreißig Türme verstärkte Mauer. Wer ahnt heute beim Anblick ihres Verfalles, was sie einst bargen in den Tagen des Glückes und Glanzes, die Wunder alle, die zu preisen die Dichter wetteiferten, wer würde sie überhaupt in dem ganzen festungsgleichen Baue vermuten: die schattenden Gärten mit Lorbeerbäumen, Zypressen, Myrthenhecken, spielenden Wässern und Fischteichen, die schimmernden Prunksäle und heimlichen Gemächer mit manchem Luginsland und üppige Bäder und feierlich stille Gebetsräume? Wie viel davon ist heute nicht mehr zu finden! So räumte Karl V., sonst ein Schätzer maurischer Kunst, einen Teil des Königsschlosses weg für sein eigenes im Renaissancestil, das nie vollendet wurde und nun mit seinem Rustica-Erdgeschoß plump und fremdartig in dieser Umgebung steht; so sprengten die Franzosen 1812 einen Teil der Befestigung. Und dennoch kann man hier tagelang wandeln, schauen und träumen und sich von den vielerfahrenen Wänden Geschichte und Sage erzählen lassen.

Zwei Gegenstände werden sich auch dem flüchtigen Wanderer für immer einprägen: der Comaresturm mit dem Myrthenhof und der Löwenhof mit den ihn umgebenden Räumen.

Herrisch und kraftbewußt steigt dieser massige Turm am Rande der Darroschlucht auf; vom langgestreckten Myrthenhofe, wo gepflegtes Myrthengesträuch ein rechteckiges Wasserbecken einsäumt, gelangt man an einer von dessen Schmalseiten in den »Saal der Gesandten«. Zuerst blenden den Eintretenden die großen Bogenfenster, die nach drei Seiten in die Landschaft blicken lassen, durch so dicke Mauern, daß die neun Fensternischen zu Alkoven werden. Dann hebt sich das Auge staunend zur Höhe einer wundersamen Kuppel, die, aus Lärchenholz geschnitzt, »einem vielfach geschliffenen Diamanten« gleicht. Darauf gleitet es an den breiten hohen Wandflächen hin, die noch durch eine Reihe höher gelegener, kleinerer Fenster Licht empfangen. Oberhalb der bis zur Brusthöhe reichenden Azulejosfelder scheinen Teppiche mit zahllosen bunten Mustern darüber gespannt. Doch nein, die Muster wurden dereinst mit eisernen Formen der noch weichen Wandbekleidung eingedrückt. Je aufmerksamer man sie betrachtet, desto mehr verwandeln sie sich ohne Unterlaß, in immer neuen, unerwarteten Beziehungen schneiden und schlingen und ranken sich diese Linien und stilisierten Pflanzenformen zu immer neuen Gebilden – man hat ihrer 152 gezählt – zugleich phantasievoll und geometrisch genau; Gedichte und Sprüche in der malerischen arabischen Schrift flechten sich willig ein, einer kehrt immer und immer wieder, in wagrechten Friesen und in senkrechten Zierstreifen, der gottergebene Wahlspruch der Naßriden: »Wa la galib ill' allah,« – »Und es ist kein Sieger außer Gott.« heute verblichen, dereinst von Gold und Farben belebt, vornehmlich rot und dunkelblau, war dieser hohe Saal der Ausdruck fürstlicher Pracht und Würde, hier thronte gegenüber dem Eingang der König von Granada und empfing die Gesandten, hier war es, wo der vorletzte der Naßriden, Muley Hassan, im Gefühl seiner Kraft dem Gesandten Kastiliens den Tribut verweigerte mit den stolzen Worten: »Unsere Münze prägt jetzt nur Schwertschneiden und Lanzenspitzen.« Aber der Verrat seiner beiden Söhne brach ihm die Kraft, und mit dem Leben zerfallen, sprach der Erblindete den Wunsch aus, begraben zu sein, wo keines Menschen Fuß hintrete. Treue Diener trugen ihn auf den höchsten Gipfel der Sierra Nevada, der sich bis heute nach ihm Mulhacen nennt. Und wenige Jahre später hielt der ältere der ungetreuen Söhne – Abu Abdallah-Boabdil – in diesem Saale den letzten Rat, der die Übergabe der durch acht Monate belagerten, ausgehungerten Stadt beschloß.

Von ganz entgegengesetzter Art ist der angrenzende Löwenhof mit den ihm angegliederten Räumen, hier ist alles zart und zierlich: die schlanken Säulen, einfach, gepaart und zu dreien, die mannigfaltigen spitzen, zackigen und runden Bogen, die Pavillons, ja selbst die schwarzen Marmorlöwen, die die untere Brunnenschale tragen, sie blicken in ihrer Stilisierung wie drollige Pudel dem Besucher treuherzig entgegen, daß er ihnen unwillkürlich die dicken Köpfe streichelt. Auch ihre klotzigen Beine stören nicht, sie stimmen vielmehr zu dem heiter anmutenden Wesen dieses maurisch-gotischen Mudejarstiles. Hier ist ja auch das Frauenheim, der Harem, darum ehemals völlig abgeschlossen und keineswegs, wie heute, vom Myrthenhofe aus zugänglich. Nur ein heimlicher Gang führte von den im oberen Stockwerk liegenden Frauengemächern dahin auf die zierliche Galerie gegenüber dem Comaresturm. Wie viel neugierige Frauenaugen mögen da, von außen unsichtbar, durch die geschnitzten Holzgitter auf den Myrthenhof hinabgeblickt haben, wo die Gesandten des Auslandes und die Würdenträger des Staates sich zur Audienz anschickten, und wie viel angsterfüllte an jenem letzten Tage! – Drei Säle mit ihren Nebenräumen umlagern den Löwenhof. In dem durch Zackenbogen dreiteiligen Saale der Abencerragen – Beni Serradsch – gerade unter der hohen farbigen Stalaktitenkuppel, zeigt ein Marmorspringbrunnen rotbraune Flecken. Die Sage erklärt sie aus dem Blute des hier von Boabdil hingerichteten stolzen Geschlechtes, dessen Oberhaupt sich schwer an ihm vergangen. Die Königshalle, siebenteilig, durch ihre Stalaktitengewölbe und Zackenbogen einer langen Tropfsteingrotte ähnlich, führt ihren Namen von Deckenbildern, die wohl die Naßridenfürsten darstellen: ein in der vom Körperlichen absehenden islamitischen Malerei gar seltener Gegenstand, vergebens auch suchen wir, was ein Hauptschmuck des römischen und griechischen Hauses war: ein schönes Menschenbild aus Stein oder Metall. Die Kunst der Mauren war, vielleicht vom Islam gehemmt, doch nur in Schmuckformen wahrhaft schöpferisch. Auch der Schwesternsaal – nach zwei riesigen, gleich großen Marmorplatten im Boden so genannt – ist von einer Stalaktitenkuppel gekrönt, sein Arabeskenwandschmuck aber oberhalb des mit Fayencekacheln bekleideten Sockels übertrifft noch den der früher geschauten Räume. Bald erscheint er wie das feinste Spitzengewebe, bald wie Eisblumen auf der Fensterscheibe oder zarte Sternchen des Schnees. Milde, warme Farbentöne ergossen sich einst darüber, als diese Räume noch die Winterwohnung der fürstlichen Famille waren.

Und welche Durchblicke, wenn die zierlich geschnitzte, einst vergoldete Zedernholztür nach dem Löwenhofe sich öffnet, und rückwärts durch das bewunderte Doppelfenster Mirador de Daraja, jetzt nur auf einen Drangen- und Zypressenhof, damals hinüber nach dem villenbedeckten, gartenreichen Albaicin!

Wer – wie der Schreiber dieser Zeilen – das Glück hat, einmal zu besonderer Zeit die Brunnen alle springen zu sehen, der mag wohl, wenn sie so rauschen und rauschen und ihr Wasser in den marmornen Rinnen zwischen grobem, grauem Ries abfließt, mit wachem Rüge träumen. Der mag sehen, wie auf goldsandglitzernden Wegen zwischen Orangenbäumen und Rosen anmutige Frauen wandeln und plaudernd und lachend in den Schwesternsaal eintreten und der Märchenerzählung lauschen und dem Saitenspiel. Der sieht an den Fuß dieser heiteren Menschen sich die weichen, bunten Teppiche des Orients schmiegen, die hellen feinen Kleider um ihre Gestalten fließen, die schwellenden Diwans um zierliche niedere Tische, die kunstreichen Schränke an der Wand, die hohen, figurenbelebten Prunkvasen in den Ecken, die langgeschnäbelten Wasserkrüge in den spruchverzierten Nischen und all den anderen lieben, bequemen Hausrat und die Silberspiegel, darin dieses Glück sich lächelnd gefällt, der fühlt, umweht vom Duft des Weihrauchs und der Blumen, die Schönheit dieses Lebens mit.

Ja, der harte Sieger brach sein Wort und mißbrauchte seine Macht. Er wußte nicht oder wollte es nicht wissen, wie großmütig einst der Moslim als Sieger in Spanien waltete. Wohl hatte er dem Unterlegenen Schonung seines Volkstums, seines Glaubens, seiner Sitten und seines Besitzes zugesagt, bald aber und in unablässiger Folge forderten kirchliche und staatliche Verordnungen das Gegenteil. Er verbrannte dem bildungsbeflissenen Volke seine Büchereien, er verbot ihm die Muttersprache, die gewohnte weite Kleidung, seine ererbten Namen, seine Musikinstrumente, die durch Säulen geteilten Doppelfenster und geschlossenen Haustüren, den Frauen die Schleier und strafte und rächte furchtbar Ungehorsam und Widerstand. Er zerstörte ihm Bäder und Moscheen, schleppte Frauen gefesselt zur Kirche, zwang Tausende zum Übertritt, traute nicht der Ehrlichkeit ihres Glaubenswechsels und verbrannte sie auf den Scheiterhaufen der Inquisition, in Granada, der Stadt, allein in den neun Jahren von 1606 bis 1615 ihrer dreihundert in vier großen Autodafes. Ja, er verpflanzte sie zu Hunderttausenden nach Kastilien und vertrieb sie auch von hier nach Afrika (1610).

Und heute? Man hat das Granada von heute eine lebende Ruine genannt. Sicher ist es nur der Schatten seiner Vergangenheit, mag es auch noch über siebzigtausend Einwohner zählen, in jüngster Zeit durch Rübenzuckererzeugung und Bergbau einigen Aufschwung nehmen und sich mit schönen, von Platanen beschatteten Anlagen – Alamedas und Paseos – schmücken. In den schmutzigen, übelriechenden Gassen der alten Stadt treibt sich Tag und Nacht zahlreiches arbeitsscheues oder arbeitsloses Volk bettelnd herum, immer den Zigarettenstummel im Munde, für Hahnen- und Stierkämpfe begeistert, wo doch schon 844 der Omajade Abderrahman II. jeden Arbeitslosen mit Ausweisung bedrohte und jeden Willigen bei öffentlichen Bauten beschäftigte, für die er ein Viertel der Staatseinkünfte verwendete. Der Albaicin, der »Falknerberg«, einst Adelssitz, ist jetzt der verrufene Berg der Zigeuner – Gitanos –, die Ferdinand der katholische hier zwangsweise ansiedelte, armselig, schmutzig, reich an Höhlenwohnungen zwischen stacheligem Feigenkaktus. Und doch haben die Jahrhunderte orientalischen Lebens ihre Spuren hinterlassen, in Gesicht und Körper der Menschen, besonders der Frauen, in der Anmut beider Geschlechter, in ihrer Sprache, ihren Gesängen, Tänzen und Bräuchen, im Hausbau, besonders sichtbar aber im Straßenleben. Noch heute trägt der Esel den Bäcker mit den Brotkörben, den Wasserverkäufer mit den Schläuchen oder trügen, den Gemüsehändler mit seinem Kram durch die Gassen, trägt Sand und Steine und Holz und alles wie in jeder Stadt des Ostens. Und unverwüstlich grünt und spendet die von den vertriebenen Ungläubigen bewässerte, von braungesengten, dürren Bergzügen im Halbrund umgebene Vega, wie damals blickt die majestätische Sierra Nevada mit weißen Häuptern auf sie nieder und grüßt die im Andenken der Menschheit unsterbliche, durch ihr grausames Schicksal das Herz ergreifende Alhambra.

So hat sich der Sieg am Sieger gerächt. Und wahr bleibt über dem Trauerspiel des Völkerlebens der Wahlspruch der Naßriden: »Es ist kein Sieger außer Gott.«


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