Emmy Ball-Hennings
Märchen am Kamin
Emmy Ball-Hennings

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Felizitas von nirgend her

Am Abend des ersten Feiertages war die Familie Marucci bis auf die ganz kleinen Kinder, die ins Bett geschickt wurden, vollzählig beisammen. Draußen hatte es stark zu regnen begonnen und die Maruccis erwarteten bei solch ungemütlichem Wetter keinen Besuch, hatten daher schon die Türe abgeschlossen, sich schon an den Kamin begeben, um sich von der Regina die übliche Geschichte erzählen zu lassen, die fast ohne Ausnahme zu den abendlichen Unterhaltungen gehörte und ohne die man wohl überhaupt nicht hätte schlafen gehen mögen. Carola hatte für die Männer je ein Glas Wein auf das schmale Kaminsims gestellt, eine Einrichtung, die eigens für diesen Zweck gedacht war. Den Kindern wurde ein Häuflein selbstgebrannter Mandeln in die Hand gegeben, von denen sie während der Erzählung von Zeit zu Zeit eine verzehrten. Am Kaminstein vor dem Feuer hatte man die große Schüssel mit den gerösteten Kastanien hingestellt, sorglich mit einem Tuch zugedeckt, damit sie warm blieben. Meistens wurden die Kastanien zeitig geröstet, weil sie in der großen, durchlöcherten Pfanne, die an der Kette überm Kamin hing, geschüttelt und gerüttelt werden mußten, um das Anbrennen der 68 Kastanien zu vermeiden, aber das Rasseln der Kette störte die Erzählung; und so war alles gut vorherbedacht.

Schon wollte die Regina beginnen, als plötzlich an die Tür geklopft wurde, und herein kam Vezzosa, ein junges, siebzehnjähriges Mädchen vom Nachbargut. Sie war in den großen Radmantel ihres Vaters gehüllt. Die Kapuze hatte sie über die schwarzen Locken gezogen. Der ländliche Wachstuchschirm triefte vor Nässe. Alles lachte: »Oh, ein Eremit zu später Stunde!«

Vezzosa lächelte verlegen: »Ja, um die Erzählung der Regina zu hören, lohnt es sich schon, bei Regenwetter zu kommen. Hoffentlich störe ich nicht?«

»Sogar sehr störst du uns«, antwortete Cecco und betrachtete Vezzosa mit schalkhaftem Blick. Eine der Schwägerinnen half ihr aus dem Mantel, und nun sah man, daß Vezzosa sich ein schönes hellblaues Leinenkleid angezogen hatte, das für die weihnachtliche Zeit eigentlich ein wenig zu leicht war. Doch trug sie über dem Kleid ein rot und blau gestreiftes Flanelljäckchen, das ihr reizend zu Gesicht stand.

Carola fragte: »Hast du dich der Erzählung oder der Großmutter wegen so fein gemacht?«

Vezzosa wurde glühend rot im Gesicht und wußte gar nicht, wo sie hinsehen sollte.

»Aber, Vezzosa, du mußt doch kalt haben. Komm, setz dich zwischen uns«, riefen die jungen Frauen.

»Nein, komm nur zu mir«, rief Cecco, »hier, wo ich sitze, ist's noch gemütlicher als drüben.«

»Laß dich nur nicht verwirren, Vezzosa«, sagte die Großmutter, »nimm du nur Platz, wo es dir gefällt.« 69

»Aber drüben zieht es doch ein wenig zur Türe herein«, gab Cecco sorglich zu bedenken.

»Ja, und wo Cecco sitzt, zieht es gar nicht«, scherzten die Frauen.

»Nun, wenn man noch so jung ist wie Vezzosa und so hübsch angezogen, erkältet man sich nicht so leicht«, meinte die Großmutter, aber die andern schäkerten gleichwohl weiter.

Die Kinder, Frauen und Männer riefen durcheinander: »Vezzosa, setz dich hier, nein, dort.« Doch machte man dies nur, um ein wenig Spaß mit Cecco zu treiben, der Vezzosa gern in seiner Nähe gehabt hätte, die schließlich einen Platz ihm gegenüber fand.

»So. Seid ihr jetzt endlich so weit?« fragte die Großmutter, »ich möchte endlich meine Geschichte beginnen. Sie handelt vom Glück, wenn euch dieses Thema zusagen wird.«

»O ja, erzähle vom Glück, Großmütterchen, darüber kann man nicht genug erfahren.«

»Gut also, ich werde gleich beginnen. Nur bitte ich dich, Carola, vorher noch um ein Glas Orangensaft mit etwas Wasser und Wein vermischt, damit ich mich erquicken kann, wenn's mit dem Glück gelegentlich hapert.«

»Ja, kommt denn das auch vor, daß es mit dem Glück hapert?« fragte Cecco seine Mutter lachend.

»Es wird sich herausstellen, man kann es nicht vorhersagen«, entgegnete die Regina, nahm mit Dank den Orangenwein entgegen und begann nach einem kräftigen Schluck zu erzählen. 70

Felizitas von nirgend her

nach einem Balkanmärchen.

Es war einmal ein junger Großfürst, der sich für sein Leben gern verheiratet hätte, aber unter den vielen Hofdamen, mit denen er auf Bällen und festlichen Anlässen zusammenkam, gab es keine, die ihm gefallen hätte. Es gab aber manches feine Fräulein, das sich heimlich den schönen, liebenswürdigen Großfürsten zum Gatten wünschte, aber das ließ sich keine merken. Es hätte auch wenig geholfen, wenn eine ihm ihre Sympathie zu verstehen gegeben hätte, denn der Fürst wollte nicht. Die meisten Damen nämlich bildeten sich auf ihre Herkunft gar viel ein, und das vertrug der Fürst nicht. Er beurteilte die Menschen nicht nach ihrem äußeren Stande in der Welt, und der Adel der Seele galt ihm mehr als ein vornehmer Name. Dünkel und Hochmut waren ihm verhaßt. Je weniger Aussicht er hatte, zu einer passenden Frau zu kommen, um so eifriger suchte er. Es ist anzunehmen, daß es schon brave Mädchen auch bei Hofe gab, aber man muß sie suchen, wenn man sie finden will. Das Glück kann aber auch kommen, wenn man es nicht sucht. Man muß warten können oder warten lernen.

Der Vater des Fürsten, der alte Herzog, sagte zu seinem Sohne: »Drängle doch nicht so. Die rechte Frau wird zur rechten Zeit schon dasein. Sieh mich an, ich bin doch auch zu einer Frau, zu deiner lieben Mutter, gekommen. Als wir noch kleine Kinder waren, mag der Allwissende schon vorbedacht haben, was zusammengehört oder nicht. Nur Geduld, mein Sohn.«

Aber gerade die Geduld war nicht die Stärke des jungen Fürsten, und von der väterlichen 71 Prophezeiung, daß die Frau von selbst komme, hielt er auch nicht viel. Er plante, dem Glücke Gelegenheit zu geben sich einzustellen, mehr noch, ihm entgegenzueilen. Drum sagte er eines schönen Tages zu seinem Vater:

»Lieber Papa, sei so gut und leihe mir deinen treuen Diener Johann und schenke mir dein kühnes Reitpferd Raschvoran, und wenn es nicht zu unbescheiden ist, hätte ich auch gern etwas Klein- oder Großgeld, je nach deinen Verhältnissen. Damit will ich dann in die weite Welt und werde schon ein Mädchen finden, das auf mich wartet, und sollte sie von nirgend her sein, denn ich frage gar nichts nach der feinen Herkunft. Ich bin aber alt genug, eine Familie zu gründen. Ich will und muß mich verheiraten, oder ich will nicht länger Melchior heißen.« Auf diesen Namen hörte er nämlich manchmal.

»Meinetwegen«, sprach der Vater nachgiebig, »mach, was du willst. Geh nur in die weite Welt. Solltest du ohne Frau heimkommen, kann ich dich auch Adalbert nennen, doch hoffe ich um deinetwillen, daß du Melchior bleiben wirst.«

Damit übergab ihm der Fürst noch mehr als das Gewünschte, während er die wohlgemeinten Ermahnungen als Verschwendung betrachtete und sich diese nur dachte. Beim Abschied rief der Vater den braven Knappen Johann beiseite und sprach zu diesem: »Höre, Johann, nimm für dich den trefflichen Rappen Langsamabersicher, mein Sohn mag auf Raschvoran reiten. Hier ist ein Sack voll Geld. Sieh zu, daß ihr es möglichst bald kreisen laßt. Das hat Geld und Gold gern. Gib acht auf meinen Sohn, so gut du kannst, und ich werde dich mit Vergnügen dafür entlohnen.« 72

Nun gut, die beiden ritten in die weite Welt, durch Wälder und Felder, durch Dörfer und Städte, und wo es ihnen gefiel, blieben sie, solange sie Lust hatten, und wurde es ihnen langweilig, ritten sie weiter. Eines Tages kamen sie an einem Schloß vorbei. Ein hübsches Mädchen guckte gerade zum Fenster hinaus. Es hatte nußbraune Locken, die ein allerliebstes Gesicht einrahmten, und große blaue Sternaugen, die von oben herab, aber doch recht neugierig die beiden Reiter musterten.

»Das ist ja ein goldiges Geschöpf«, sagte der Großfürst zu Johann.

Der antwortete:

»Genau dasselbe, Hoheit, habe ich mir erlaubt auch zu denken.«

Der Großfürst beschloß, dem Grafen einen Besuch abzustatten. Dieser, ein älterer Herr, war froh über die Gesellschaft und lud den Großfürsten und natürlich auch den Knappen Johann für einige Tage zu Gaste ein. Der Großfürst nämlich, der ein Verlangen trug, die Standesunterschiede aufzuheben, gab seinen Knappen als seinen besten Freund aus, so daß man Johann dieselben Höflichkeiten erwies wie dem Großfürsten. Als dieser die junge Grafentochter – es war genau dieselbe, die aus dem Fenster geguckt hatte – näher kennenlernte, verspürte er große Lust, sie zu heiraten. Er wollte sie aber doch vorher noch ein wenig prüfen, ob sie auch nicht stolz sei. Er fragte sie daher, ob sie nicht zufrieden sei, so tapfere, berühmte Ahnen zu haben, die doch in so manchen Schlachten sich höchst siegreich gezeigt hätten. Die kleine 73 Grafentochter, Thekla hieß sie, wußte nicht recht, was die Frage bedeuten sollte, lächelte und sagte nur:

»Ach, die Ahnen liegen ja jetzt still und unauffällig in ihren Särgen, haben Krieg und Sieg längst vergessen. Ich für mein klein Teil frage mehr nach Glück und Frieden.«

Das könnte die Richtige für mich sein, dachte Melchior, aber Johann dachte dasselbe, und als Melchior nach acht Tagen um die Hand der kleinen Gräfin anhielt, hatte sie Hand und Herz schon vergeben und sich heimlich mit Johann verlobt. Als der Großfürst ihn deswegen zur Rede stellte, sagte er nur:

»Hoheit, wenn es sich um Liebe handelt, ist sich jeder selbst der Nächste. Ihr werdet sicherlich auch noch zu Eurem Glücke kommen.«

Aber der Großfürst war verstimmt, daß sein Knappe früher zu einer Braut gekommen war als er, der Sohn des Herzogs; doch merkte er kaum, daß er selbst stolz war und sogar in seinem Stolze verletzt. Er drängte auf Abreise. Johann mußte sich wohl oder übel fügen und die soeben erst gewonnene Braut zurücklassen; doch versprach er, so bald als möglich wiederzukommen. Thekla stand am Fenster und winkte den beiden nach. Melchior aber ritt wie ein Wilder voran, während Johann sich alle zwei Minuten umblickte, um Thekla und das Schloß, das sein Glück barg, möglichst lange im Auge zu behalten.

Es läßt sich nicht flott reiten, wenn man immer rückwärts blickt, während Melchior davonstürmte, als würde er irgendwo dringend erwartet. So kam es, 74 daß die beiden Reiter einander aus den Augen verloren. Als Johann bemerkte, daß sein Großfürst überhaupt nicht mehr zu sehen war, wäre er am liebsten ins Schloß zurückgekehrt, doch hatte er ja dem Herzog versprochen, auf Melchior achtzugeben, und Johann war ein braver, gewissenhafter Mensch. Drum suchte er auch und erkundigte sich überall nach dem Großfürsten, wenn auch zunächst vergeblich. Doch lassen wir ihn einmal suchen und sehen wir lieber zu, wo Melchior geblieben ist.

Beim scharfen Ritt und weil die Sonne sehr heiß schien, ermüdete das Pferd nach einigen Stunden, und als der Fürst an einem schattigen Waldrand einen Brunnen erblickte, hielt er an, damit Raschvoran trinken und ausruhen konnte. Der Fürst stieg also vom Pferde herab, setzte sich an den Brunnenrand, um zu sehen, ob sich hier ein Eimer befinde und ob das Wasser auch rein und klar sei.

Kaum aber hatte er hinabgeblickt, als ihn aus der Tiefe des Brunnens ein Mädchenantlitz anlächelte, das ihn in höchstes Entzücken versetzte. Nein, wie bildschön war dieses Mädchen! Es hatte langes, blondes Haar, das wie helles Gold schimmerte. Wie anmutig das süße Gesicht ihm zulächelte! Der Fürst lächelte wie im Traum befangen zurück und konnte sich an dem bezaubernden Bild nicht satt sehen. Augen, blau wie Kornblumen! Welche Freude, sich in diesen reinen Blick zu versenken! Das Gesicht bewegte sich ein wenig, und jetzt entdeckte der Fürst auch sein eigenes Spiegelbild. Das wundervolle lange Haar schien seine Wange zu streifen. Er war so entzückt, daß er am liebsten hinabgestürzt wäre, um dem Märchenbild, 75 das ihn aus der Tiefe des klaren Brunnens anlächelte, nahe zu sein. Da hörte er plötzlich über sich ein silbernes Lachen. Er sah hinauf und bemerkte nun über sich hoch im Eichbaum, leicht auf einem Ast sich wiegend, ein junges Mädchen. Es war dasselbe, das er auch in der Tiefe des Brunnens erblickt hatte. Sie erschien ihm dort oben beinahe noch schöner.

Sie trug ein Kleid aus zartblauem Batist. Der faltenreiche Rock und die weiten Ärmel waren mit bunten Bändern besetzt. Kleine, rote Feldnelken hatte sie in ihr Haar gesteckt. Das ganze Mädchen kam dem jungen Manne wie eine reizende Sommerblume vor, eine kleine Wunderblüte, die er sich ansah, als habe er noch niemals Blumen gesehen. Als aber das Mädchen hellauf lachte, begann auch Melchior zu lachen. Dann bat er, es möge doch ein wenig herunterkommen zu ihm. Da kletterte sie geschickt vom Baum und setzte sich zutraulich neben ihn auf den Brunnenrand.

Verlegen vor Glück, fragte er: »Sag, woher kommst du, schönes Mädchen?«

»Du hast es ja gesehen. Vom Eichbaum komme ich.«

»Nein, ich meine, woher du stammst und wer du bist.«

»Ach, danach habe ich selbst noch nie gefragt. Ich weiß es nicht. Ich bin von nirgend her.«

»Von nirgend her? Von nirgend her . . . Seltsam, eine solche suche ich gerade . . . Wie aber kann es sein, daß du von nirgend her bist?«

»Weil ich ein Findelkind bin und nicht weiß, wer mich verloren hat. Ich weiß auch nicht, wer mich gefunden hat.« 76

»Melchior heiße ich, schönes Mädchen.«

»Felizitas heiße ich, junger Herr.«

»Sag, Felizitas, wie kommst du nur hierher?«

»Ich bin da und das genügt mir.«

»Sag, Felizitas, weißt du auch, wofür du da bist?«

Der Fürst sah ihr mit tiefem Blick in die Augen.

Sie lachte leise und erwiderte:

»Wer kann das wissen? Mir scheint, du bist neugierig.«

»Ja, du hast recht, Felizitas, ich bin sehr neugierig. Aber erzähle mir doch, bitte, worauf du gewartet hast.«

»Auf nichts, was nicht schon da war. Ich habe auf diesen Sommertag gewartet, und er kam und war da.«

»Ach, Felizitas, ich wäre gern ein Sommertag, immer, mein Leben lang.«

Da sah ihn das Mädchen an und sagte: »Melchior, du bist ein Sommertag.«

Da sagte Melchior: »Willst du meine Frau werden?«

»Ich will.«

Da nahm Melchior seinen goldenen Ring vom Finger und gab ihn dem Mädchen an den Finger der rechten Hand. Das Mädchen aber trug ein schlichtes Ringlein aus grünem Glas, das sie dem Fürsten über den kleinen Finger der rechten Hand streifte, und dann waren sie miteinander verlobt.

Da sagte Melchior mit einer gewissen Zaghaftigkeit: »Felizitas, du mußt wissen, daß ich von hohem Stande bin. Mein Vater ist Herzog, und ich bin ein Großfürst. Du aber bist ein Königskind, weil du so schön und lieb bist. Ich komme mir so gering neben dir vor.« 77

»Sprich nicht so. Wir lieben einander.« So sprach Felizitas und hielt ihr Gesicht nahe dem seinen. Da küßte er sie leise auf den Mund und wußte, daß er immer nur Felizitas lieben würde. Dann sagte er, er wolle sofort zu seinem Vater reiten, um ihm die frohe Botschaft von seiner Verlobung zu überbringen.

»Gut«, sagte Felizitas, »ich werde auf dich warten.« Aber bevor er fortging, gab sie noch seinem braven Pferde zu trinken.

Während dann der Fürst eilends nach Hause ritt, hatte er noch das Glück, unterwegs dem suchenden Johann zu begegnen, der recht zufrieden war, seinen Schützling wieder an der Seite zu haben. Als er hörte, daß Melchior sich inzwischen so gut wie verlobt hatte, rief er voller Freude aus:

»Oh, ich gratuliere. Das Glück trägt sich viel hübscher zu zweien als allein. Bin nur gespannt, was Euer Herr Vater zu unseren Erfolgen sagen wird.«

 

Felizitas blieb singend am Brunnenrand, um auf ihren Bräutigam zu warten. Nach einer guten Weile kam eine Zigeunerin des Weges daher, schlug vor Erstaunen die Hände überm Kopf zusammen und rief bewundernd: »Herrin, wie seid Ihr schön! Worauf wartet Ihr hier?«

»Auf das Glück warte ich. Ich bin die Braut des Großfürsten Melchior, der gleich kommen wird, um mich heimzuholen.«

»Oh, da werdet Ihr also bald eine vornehme Frau sein und schöne Kleider tragen?«

»Nach schönen Kleidern frage ich nicht viel.« 78

»Wirklich nicht? Dann schenkt mir Euer Kleid und ich gebe Euch das meine. Wir wollen uns im Brunnen spiegeln, um zu sehen, wer schöner von uns ist.«

Nun trug aber die Zigeunerin nur ein paar armselige Lumpen an ihrem hageren Leibe, und von Schönheit konnte man bei ihr mit dem besten Willen nicht sprechen; aber Felizitas hatte Mitleid mit ihr und war zum Kleidertausch sofort bereit.

Als nun die beiden nebeneinander am Brunnenrande saßen, um zu sehen, wer schöner sei, gab die böse Zigeunerin dem schönen Mädchen einen Stoß, daß es in den Brunnen fiel und gleich ertrinken mußte. Dann setzte die Zigeunerin sich an den Brunnenrand, und als der Großfürst in Gesellschaft seines Vaters und eines Gefolges von Edelleuten ankam, war der Bräutigam höchst verwundert, statt der schönen Felizitas ein häßliches Mädchen mit dunklem strähnigem Haar vorzufinden. Nur mit dem Kleid stimmte es, es war das hübsche blaue Kleid mit den bunten Bändern, aber das Mädchen selbst, das sah der Fürst ein, war nicht mehr seine Felizitas und konnte es auch nicht werden. Die Zigeunerin aber wurde von allen ehrerbietigst begrüßt, und Melchior schämte sich einzugestehen, daß es nicht die richtige Braut war. Kurz, aber leider nicht gut, die Zigeunerin wurde Fürstin und die Hochzeit wurde mit großem Pomp gefeiert.

 

So. Und jetzt hatte Melchior, was er wollte. Er war verheiratet, aber glücklich war er nicht. Die Frau war launisch und zänkisch und machte ihrem Manne 79 das Leben zur Qual. Wo mochte die schöne Felizitas geblieben sein? Der Fürst wünschte eines Tages zu jenem Brunnen zu gehen, wo er das liebe Mädchen einmal für immer erblickt hatte, doch sagte er nichts von seiner heimlichen Sehnsucht. Er nahm nicht nur seine Frau, sondern auch Johann mit. Dieser ließ, um den Pferden Trinkwasser geben zu können, einen Eimer in den Brunnen hinab, aber als er den Eimer wieder heraufzog, schwamm ein wunderschöner Goldfisch im Wasser, glitzernd und springlebendig. Melchior fand das Goldfischlein so niedlich, daß er beschloß, es mit nach Hause zu nehmen, wo er es in ein mit Wasser gefülltes Glas setzte und täglich sich am Anblick des stummen Tierleins ergötzte. Goldfische sind freilich recht anmutige kleine Lebewesen, aber sonderlich unterhaltsam sind sie nicht, und daher war es um so verwunderlicher, daß Melchior sich stundenlang mit dem Fischlein unterhielt, als wolle er sich mit solchem Spiel über seine unglückliche Ehe hinwegtrösten.

Eines Tages nun wurde die Frau krank, aber kein Arzt war imstande zu sagen, was ihr fehle, obwohl die tüchtigsten Professoren gerufen wurden. Keiner wagte eine Medizin zu verschreiben, weil man nicht wissen konnte, ob die Leidende auch die passende Krankheit dafür hatte. Daher begnügten die Ärzte sich damit, die Patientin zu fragen, ob sie nicht auf irgendeine Speise besonderen Appetit habe. Da wurde gebratener Fasan und Fleischbrühe vorgeschlagen, eisgekühlte Erdbeercreme und Apfelpudding mit Schlagsahne; aber bei so reizvollen Vorschlägen bekamen nur die Ärzte selbst Hunger, 80 während die Kranke zu allem nur den Kopf schüttelte. Schließlich gab sie an, sie habe Appetit auf den Goldfisch, die Art der Zubereitung sei ihr völlig gleichgültig. Ob gebraten, geräuchert oder gesotten, gleich wie, der Goldfisch werde ihr auf alle Fälle munden.

Der Fürst sagte zur Kranken:

»Noch niemals habe ich gehört, daß man Goldfische essen kann.«

»Nun, dann hörst du es jetzt zum ersten Male«, erwiderte die Frau schroff, »es wird noch manches geben, was du zum ersten Male erfahren wirst.«

»Aber, liebe Frau, wie magst du nur den Goldfisch essen? Es kann doch kaum ein schöneres Geschöpf geben als diesen goldigen Goldfisch.«

»Laß mich in Ruhe mit deinem goldigen Goldfisch!« schrie die Frau ihren Mann an.

»Ach, ich wäre ja froh, wenn du mich mit dem goldigen Goldfisch in Ruhe lassen wolltest!«

So wurde hin und her gestritten, und die Diener im Vorzimmer mußten sich die Ohren zuhalten, weil sie die Streitigkeiten nicht anhören mochten.

Da der Fürst sich vom Fischlein nicht trennen wollte, wurde die Frau immer böser mit dem Mann.

»Gib mir den Goldfisch zu essen, oder ich sterbe.« Die Diener dachten bei sich, das letzte sei nicht das schlimmste. Die Ärzte dagegen rieten dem Großfürsten, seiner Gemahlin das Gewünschte servieren zu lassen, und um des lieben Friedens willen gab Melchior nach. Er bat Johann, er möge es übernehmen, das Tierlein schmerzlos zu töten, und um diesen Auftrag auszuführen, ging Johann zu einer Quelle, 81 die nahe dem Garten floß. Schon war das Fischlein abgeschuppt, als eine alte Frau zufällig vorbeikam und Johann fragte, was er dort mache.

»Du siehst ja, ich nehme einen Fisch aus.«

»Ach, schenk mir doch das kleine Herz des Fisches.«

»Meinetwegen, hier hast du es, doch sage niemandem, daß ich es dir gegeben habe. Es wäre möglich, daß es meiner gnädigen Frau nicht recht ist.«

Die alte Frau versprach Stillschweigen und legte das Herz in ihrer Hütte hinter den Herd, damit niemand es sehen sollte. Die Schuppen hatte Johann mit den Flossen in die Quelle geworfen, doch eine der goldigen Schuppen fiel auf die Gartenerde, und als am nächsten Morgen der Fürst zum Fenster hinausblickte, sah er an derselben Stelle, wo die Schuppe hingefallen war, einen herrlich blühenden Apfelbaum, dessen Blätter und Äste einen feinen Goldschimmer zeigten.

Die böse Fürstin fühlte sich an diesem Morgen, da sie den Fisch gegessen hatte, wohler denn je zuvor, und als Melchior sie ans Fenster rief, um ihr den schönen Baum zu zeigen, kam sie gleich herbeigeeilt. Kaum aber hatte sie den Wunderbaum erblickt, als die gute Laune auch schon verflogen war.

»Nein, nein, das ist gar zu grell und gar zu hell. Der Baum muß sofort abgehauen und verbrannt werden.«

»Aber, liebe Frau, siehst du denn nicht, was für ein einzigschöner Baum das ist? Es wäre ein Frevel, ihn zu fällen.«

»Nein, nein, der Baum muß weg, weg, weg!« lamentierte sie, verfiel abermals in Krankheit, und 82 es blieb dem Fürsten nichts anderes übrig, als tiefbetrübten Herzens nachzugeben.

Er bat Johann, das Fällen des Baumes zu beaufsichtigen, und als dieser ihn unter den Axtschlägen ächzen hörte und bald danach stürzen sah, blieb er neben dem Baum stehen, bis die Leute den Wagen geholt hatten, auf dem der Baum fortgefahren werden sollte. Da kam die alte Frau, die das Goldfischherz bekommen hatte, wieder vorbei, sah den herrlichen Blütenbaum am Boden liegen und sagte: »Welch ein Jammer! Gib mir doch ein Zweiglein von diesem wunderbaren Baum.«

»Meinetwegen, hier hast du ein Zweiglein, aber versorge es nur gut, sonst könnten wir beide Unannehmlichkeiten bekommen.«

»O ja, ich werde das Zweiglein schon gut verstecken und werde niemandem sagen, daß du es mir geschenkt hast. Hab herzlichen Dank.«

Daheim aber legte die Frau das Zweiglein zum Herzen, damit nur ja niemand ihre Schätze entdecke.

Als sie aber am nächsten Morgen erwachte, kam hinter dem Herde ein junges Mädchen hervor, das überaus lieblich anzusehen war. Es sagte zur alten Frau: »Fürchte dich nur ja nicht vor mir, gute Frau. Sehr dankbar bin ich dir, weil du das Herz und den Blütenzweig an dich genommen hast, denn ohne dieses würdest du nie von mir gewußt haben. Du hast mir Liebe erwiesen, die ich dir vergelten will, so gut ich's vermag. Darf ich wohl bei dir bleiben als deine Magd?«

»Oh, eine Magd brauche ich nicht. Wenn du aber allein auf der Welt stehst, kannst du als meine Tochter bei mir bleiben, wenn du willst.« 83

»Und ob ich will, Mütterchen, und damit du gleich erfährst, wie dein Kind heißt: Felizitas nennt man mich, und ich will dir alle Arbeit abnehmen, die zu schwer für dich ist.«

So blieb denn Felizitas, die frühere, kleine Fürstenbraut, bei der alten Frau und führte zusammen mit ihr ein recht friedliches Leben.

 

In diesem Sommer war nun auf den herzoglichen Feldern so viel Korn gewachsen, daß man zum Mähen und Garbenbinden viele Burschen und Mädchen gegen gute Bezahlung suchte. Da meldete sich auch Felizitas zum Garbenbinden und Korneinsammeln, denn sie lebte mit der Frau in größter Bescheidenheit und hätte gern einen Notgroschen für den Winter verdient. Ihr goldblondes Haar trug sie unter einem weißen Kopftuch verborgen, und so ging sie jetzt täglich aufs Feld, um für den Fürsten zu arbeiten.

Als nach einigen Wochen das Korn in die Scheunen gebracht war, wurde ein Erntedankfest abgehalten, an dem auch der Fürst sich beteiligte. Weil er das Volk gern erzählen hörte, bat er jeden einzelnen um eine kleine Geschichte. Als aber die Reihe an Felizitas kam, und der Fürst sie aufmerksam betrachtete, wurde sie blaß vor Schreck, senkte die Augen zu Boden und sagte mit leiser Stimme: »Ich weiß nichts, hoher Herr.«

»Oh, du wirst schon etwas wissen. Erzähle nur. Wer bist du, schönes Mädchen, und woher kommst du?«

Da überfiel eine schmerzliche Wehmut das arme Mädchen, und nur mit Mühe vermochte es seine Tränen zurückzudrängen. 84

Dann aber blickte Felizitas dem Fürsten ruhig in die Augen und begann: »Ich bin ein Mädchen von nirgend her. Einmal saß ich nahe einem Brunnen auf einem Eichbaum. Da kam ein vornehmer Jüngling zu mir, der schön wie ein junger Sommertag war und mir sagte, daß er mich liebe. Er gab mir seinen Ring und ich gab ihm den meinen. Dann ist er zu seinem Vater gegangen, um diesem anzuzeigen, daß er mich, seine Braut, gefunden habe. Da ich meinen Freund am Brunnenrande erwartete, kam eine Zigeunerin, die mich um mein Kleid bat. Ich gab es ihr, und sie gab mir ihr Kleid. Dann spiegelten wir uns im Brunnen, weil die Zigeunerin sehen wollte, wer schöner sei, sie oder ich. Plötzlich aber gab sie mir einen Stoß, und ich fiel in den Brunnen und versank. Doch bin ich später durch ein Wunder gerettet worden. Das ist alles.«

»Nicht alles, Felizitas«, sagte Melchior, indem er ihr das Kopftuch löste, so daß ihr die langen, blonden Zöpfe über die Schultern fielen. »Du bist es, Felizitas. Ich habe dich wiedergefunden und werde dich nie wieder verlassen.« Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie vor den Augen der erstaunten Landleute zu seinem Vater, dem er die ganze Begebenheit berichtete. Da wurde die Zigeunerin, die falsche Fürstin, als Zauberin erkannt, die aber vor Schreck und Ärger im selben Augenblick starb, da sie von der Ankunft der Felizitas erfuhr.

Ein Jahr später wurde die Hochzeit jubelnd gefeiert. Die alte Frau, die Felizitas Güte erwiesen hatte, wurde auch zur Hochzeit eingeladen und blieb von da an für immer im Schloß. Johann wurde für seine 85 Treue in den Adelsstand erhoben und vom Herzog mit einem stattlichen Vermögen bedacht, so daß er seine Braut bald heimführen konnte. Da gab es dann zwei glückliche Ehepaare und eines wollte immer glücklicher sein als das andere, aber beim Glück muß auch viel guter Wille dabeisein. Wer große Lust hat, glücklich zu sein, hat meistens Glück mit dem Glück.

 

»So, Kinder, also das wäre die Geschichte«, sagte die Regina. »Wenn sie euch gefallen hat, mögt ihr sie im Gedächtnis behalten, und wenn nicht, dürft ihr sie vergessen.«

»Oh, sie hat uns gefallen, Nonna, aber ob wir sie im Kopf behalten können, wissen wir nicht.«

»Die Felizitas war eine Liebe, weil sie für die brave, alte Frau gearbeitet hat und sie dann nachher mit ins Schloß zu sich nahm.«

»Ja, aber der Fürst Melchior hätte nicht gleich die häßliche Zigeunerin heiraten brauchen.«

»Gewiß«, antwortete die Großmutter, »das war freilich etwas überstürzt, und das ist niemals angebracht, und beim Heiraten schon gar nicht. Aber, Kinder, für heute abend muß ich mich entschuldigen, ich will früh schlafen gehen.« 86

 


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