Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXII
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Die Geschichte von Heikâr dem Weisen.

Dieser Band enthält nach Burtons englischer Übersetzung Erzählungen aus MS. 1723 der Pariser Bibliothek, betitelt: Histoires tirées la plupart des Mille et une Nuits, Supplement Arabe, volume de 742 pages.

Ferner erzählt man, daß in den Tagen des Königs Sanchārîb,Der Sennaherib der Bibel. des Herrn von Assur und Ninive, ein Weiser lebte, Namens Heikâr, der Großwesir jenes Herrschers und sein Kanzler, ein Grande von übergroßem Reichtum und unbegrenztestem Vermögen; und dabei war er klug und weise, ein Philosoph, und begabt mit Wissen, Rat und Erfahrung. Er hatte sechzig Frauen geheiratet, für deren jede er in seinem Palast ein eigenes Gemach gebaut hatte; jedoch hatte er keinen Sohn, den er hätte pflegen können, so daß er deshalb schwer bekümmert war und eines Tages die Sachverständigen, Astrologen und Zauberer, versammelte und ihnen seinen Fall vortrug, sich über seine Unfruchtbarkeit beklagend. Sie antworteten ihm: »Geh' hinein, opfere den Gottheiten, frag' sie um Rat und flehe sie um ihre Huld an; sie werden dir dann vielleicht das Geschenk eines Kindleins gewähren.« Der Weise that, wie sie es ihn geheißen hatten, und brachte Opferspenden und Schlachtopfer vor die Bilder, ihre Hilfe erflehend und sich in Bitte und Gebet demütigend; jedoch ließen sie ihm nie eine Antwort zu teil werden. Da ging er betrübt und enttäuscht fort und zog ganz entmutigt seines Weges, bis er in seiner Demütigung zu Gott, dem Allmächtigen, zurückkehrte und ihm sein Geheimnis anvertraute, indem er ihn in dem Brand seines Herzens um Hilfe anging und mit lauter Stimme rief und sprach: »O Gott Himmels und der Erden, o Schöpfer aller Kreaturen, ich bitte dich, mir einen 6 Sohn zu schenken, daß er meines Alters Trost und mein Erbe werden möge, nachdem er bei meinem Sterben zugegen war, mir die Augen schloß und meinen Leichnam verbrannte.« Da erscholl eine Stimme vom Himmel, welche sprach: »Dieweil du dich zuerst auf Bilder aus Stein verließest und ihnen Schlachtopfer darbrachtest, so sollst du kinderlos bleiben, ohne Söhne und Töchter. Steh' jedoch auf und nimm Nādân, deiner Schwester Kind, zu dir; und, so du diesen Neffen an Sohnes Statt angenommen hast, lehre ihn dein Wissen, deine Bildung und Weisheit und setz' ihn zum Erben nach deinem Tod ein.«

Hierauf nahm der Weise seinen Neffen Nādân, der damals noch jung an Jahren und ein Säugling war, an Sohnes Statt an, ihn zu lehren und zu erziehen; und so überantwortete er ihn acht Ammen und Wärterinnen, ihn zu nähren und aufzuziehen, und sie zogen ihn bei der erlesensten Kost mit leckerster Speise auf und kleideten ihn in Zindel, Scharlach und Karmesin, und er saß auf seidenen Plüschdecken. Als er aber groß ward und ging und aufschoß wie die schlanke Libanonceder, lehrte ihn sein Oheim Anstand, Schreiben und Lesen, Philosophie und alles Wissenswerte.

Bald darauf schaute der König Sanchārîb auf Heikâr und sah, daß er ein Greis geworden war, weshalb er zu ihm sprach: »O du trefflicher Gefährte, hochherziger, edler, einsichtsvoller und scharfsinniger Mann, du Weiser, mein Kanzler, mein Wesir, meiner Geheimnisse Hüter und Ratgeber meines Königreiches, da ich nun sehe, daß du alt und hochbetagt bist und nahe deinem Tod und Heimgang, so sag' mir, wer in meinen Diensten stehen soll nach deinem Hinscheiden?« Heikâr versetzte: »O mein Herr und König, mag dein Haupt ewig und immerdar leben! Es soll sein Nādân, meiner Schwester Sohn, den ich zu mir genommen habe als mein eigen Kind, und den ich aufgezogen und unterwiesen habe in meinem Wissen und meiner Erfahrung von Grund aus.« Da sagte der König: »Bring' ihn her und stell' ihn 7 vor mich, daß ich ihn mir anschaue; und so ich ihn für passend finde, will ich ihn einsetzen an deiner Statt. Du aber geh' dann deines Weges und leg' dein Amt nieder, daß du deine Ruhe nimmst und dein Alter pflegst, den Rest deines Lebens in schönster Ehre verbringend.« Hierauf begab sich Heikâr nach Hause und führte seinen Neffen Nādân vor den König, der ihn betrachtete und das höchste Wohlgefallen an ihm fand. Erfreut über ihn, fragte er dann den Oheim: »Ist dies dein Adoptivsohn, o Heikâr? Ich bitte Gott ihn zu hüten; und, so wie du meinem Vater Sarhādûn vor mir dientest, so soll dieser dein Sohn mir Dienste thun und meine Geschäfte, Bedürfnisse und Werke erledigen, auf daß ich ihn ehre und um deinetwillen befördere.« Da warf sich Heikâr vor des Königs Majestät nieder und sprach: »Mag dein Haupt leben, o mein Herr, ewig und immerdar! Ich bitte dich, die Fittiche deines Geistes über ihn zu spannen, sintemalen er mein Sohn ist, und gnädig seinen Irrtümern gegenüber zu sein, auf daß er dir diene, wie es sich ziemt.« Der König schwur sofort, den Jüngling unter seine nächsten Freunde und angesehensten seiner Vertrauten aufzunehmen, und daß er bei ihm in aller Achtung und Verehrung stehen sollte, worauf Heikâr die königlichen Hände küßte und seinen Herrn segnete. Alsdann nahm er seinen Neffen Nādân mit sich abseits in einen Raum, wo er ihn Nacht und Tag lehrte, ihn mehr mit Weisheit und Gelehrsamkeit als mit Speise und Trank zu erfüllen. Und folgendes war es, das er zu ihm sprach:

»O mein Söhnlein, wenn dir ein Wort zu Ohren kommt, laß es sterben in deinem Herzen und nimmer enthüll' es einem andern, auf daß es nicht eine Kohle werde, die dir die Zunge verbrennt und Schmerzen in deinem Leibe erzeugt und dich in Scham kleidet und dir vor Gott und Menschen Verachtung einträgt.

O mein Söhnlein, wenn du ein Gerücht vernimmst, trag' es nicht weiter, und, so du ein Ding schaust, erzähl' es nicht. 8

O mein Söhnlein, sprich ungezwungen zu deinen Hörern und übereil' dich nicht mit der Antwort.

O mein Söhnlein, begehr' nicht äußere Schönheit, die welkt und verweht, während ein guter Name ewig bleibt.

O mein Söhnlein, laß dich nicht von eines Weibes unzüchtiger Rede bethören, damit dir ihre Fallen nicht auflauern, und du eine Beute ihrer Schlingen wirst und eines schmählichen Todes stirbst.

O mein Söhnlein, trachte nicht nach einem durch Kunst verfälschtem Weib, als da sind Kleider und Schminken, das von Natur frech und unzüchtig ist, und hüte dich ihm in irgend etwas zu folgen und ihm etwas zu geben, das nicht dein eigen ist, ja, vertraue ihm nicht einmal an, was in deiner Hand ist, denn es wird dich in Sünde kleiden, und Gott wird sich wider dich erzürnen.

O mein Söhnlein, sei nicht wie der Mandelbaum, der früher Blätter treibt als jedes andere Gewächs und doch am spätesten Frucht trägt; trachte vielmehr dem Maulbeerbaum gleich zu sein, der von allen Gewächsen zuerst Speise trägt und zuletzt sein Laub bekommt.

O mein Söhnlein, neige dein Haupt vor denen, die unter dir stehen, rede sänftiglich, sei höflich, wandele in den Pfaden der Frömmigkeit, meide Schamlosigkeit und erhebe nicht deine Stimme, wenn du sprichst oder lachst; denn, könnte ein Haus durch lautes Geschrei erbaut werden, so würde der Esel jeden Tag manch ein Haus erbauen.

O mein Söhnlein, besser ist's, Steine mit einem Weisen zu tragen als Wein mit einem Narren zu saufen.

O mein Söhnlein, gieße deinen Wein lieber auf die Gräber der Frommen als daß du ihn mit denen trinkst, die durch ihre Frechheit Anstoß erregen.

O mein Söhnlein, hänge dich an den Weisen, der Gott fürchtet, und strebe nach ihm zu gleichen, und nahe dich nicht dem Narren, damit du nicht ihm gleich wirst und sein närrisches Thun lernst. 9

»O mein Söhnlein, wenn du einen zum Freund oder Gefährten gewinnen möchtest, so erprobe ihn erst, bevor du mit ihm umgehst, und ohne solche Probe rühme ihn weder, noch offenbare jemand deine Gedanken, der nicht klug ist.

O mein Söhnlein, so lange du auf Beinen und Füßen stehst, schreite auf ihnen über die Dornen und tritt einen Weg für deine Kinder und Kindeskinder; und baue dir ein Boot, bevor die See in Wellen und Wogen brandet und dich ertränkt, ehe du eine Arche der Rettung fandest.

O mein Söhnlein, wenn der Reiche eine Schlange ißt, so werden die Leute sagen, er thäte es aus Leckerheit; wenn es aber der Arme thut, so sagt die Welt, es geschähe aus Armut.

O mein Söhnlein, sei zufrieden mit deinem Stand und Gut und begehre nichts von deinem Nächsten.

O mein Söhnlein, halte nicht Nachbarschaft mit dem Thoren und brich nicht Brot mit ihm, freue dich nicht über den Schaden deines Nächsten und, so dir ein Feind Übles thut, vergilt es ihm mit Gutem.

O mein Söhnlein, fürchte den Mann, der Gott nicht fürchtet, und hasse ihn.

O mein Söhnlein, der Narr fällt, wo er einen Fehltritt macht; wenn aber der Weise auch strauchelt, so fällt er nicht, und kommt er zu Boden, so springt er schnell wieder auf, und, so er krank wird, kuriert er sich schnell, während es für des Thoren und Einfältigen Krankheit kein Heilmittel giebt.

O mein Söhnlein, wenn dich ein Geringerer anredet, komm ihm zuvor, indem du ehrerbietig vor ihm stehst, und, lohnt er's dir nicht, so wird dir's der Herr an seiner Statt lohnen.

O mein Söhnlein, karge nicht mit Schlägen an deinem Kind, denn einen Knaben zu schlagen ist wie das Düngen eines Gartens oder das Zubinden eines offenen Beutels oder wie das Anbinden von Vieh und Verschließen der Thür.

O mein Söhnlein, wahre dein Kind vor Gottlosigkeit und 10 erziehe es, bevor es groß geworden ist und dich verachtet, auf daß es dich nicht unter deinesgleichen herabsetzt und dein Haupt auf den Straßen und in den Versammlungen niederbeugt, so daß es heißt, du seist ihm ein Helfer in seinen unrechten Wegen.

O mein Söhnlein, laß kein Wort deinen Lippen entfahren, ohne dein Herz um Rat zu fragen, und erhebe dich nicht zwischen zwei Gegnern, denn aus Worten mit den Bösen kommt Feindschaft, aus Feindschaft entsteht Streit und aus Streit Mord, so dein Zeugnis gefordert wird; nein, fliehe davor und sei in Frieden.

O mein Söhnlein, erheb' dich nicht wider einen Stärkeren, sondern fasse deine Seele in Geduld, Standhaftigkeit und Langmut, und wandle auf den Pfaden der Frömmigkeit, denn nichts ist trefflicher.

O mein Söhnlein, frohlocke nicht über den Tod deines Feindes, denn über ein Kleines bist du sein Nachbar worden.

O mein Söhnlein, kehre ein rauhes Ohr zu dem, der dich verspottet, ehre ihn vielmehr und komme ihm mit dem Gruß des Friedens zuvor.

O mein Söhnlein, wenn die Wasser stillstehen im Strom, wenn der Vogel bis zum Himmel aufsteigen wird, wenn der schwarze Rabe weiß werden wird und Myrrhe süß wie Honig, dann wird der Thor und der Narr begreifen und Rede führen.

O mein Söhnlein, so du weise sein willst, wahre deine Zunge vor Lüge, deine Hand vor Diebstahl und dein Auge vor bösem Blick; dann, und dann allein, wirst du ein Weiser heißen.

O mein Söhnlein, laß dich lieber von einem Weisen mit seinem Stab schlagen, als daß dich ein Narr mit seiner süßesten Salbe salbt.

O mein Söhnlein, sei bescheiden in deiner Jugend Jahren, daß du geehrt werden mögest in deinen alten Tagen.

O mein Söhnlein, erheb' dich nicht wider einen Mann 11 in Amt und Macht und auch nicht wider einen Strom in seiner Gewalt, und übereil' dich nicht mit dem Heiraten; denn, so es dir Wohl einträgt, so lobt dich das Volk doch nicht, und, so es dir Schaden bringt, schmähen sie dich und fluchen dir.

O mein Söhnlein, pfleg' Umgang mit einem, der seine Hand voll hat und wohlversehen, und verkehre mit keinem, dessen Hand der Faust gleicht und leer ist.

O mein Söhnlein, vier Dinge giebt es ohne Beständigkeit: Einen König ohne Heer, einen Wesir verlegen um Rat, Schurkerei unter dem Volk und Tyrannei über die Unterthanen. Vier Dinge ebenfalls bleiben unverborgen: Der Weise und der Narr, der Reiche und der Arme.«

Als Heikâr diese Ermahnungen und Exempel, die er seinem Neffen Nādân erteilte, beendet hatte, war er fest davon überzeugt, daß der Jüngling alle seine Vorschriften beherzigen würde, ohne zu ahnen, daß ihm gerade das Gegenteil davon offenkund werden würde. Nach diesem saß nun der alte Wesir in Frieden daheim und überantwortete dem jungen alle seine Gelder, seine Negersklaven und Favoritinnen, seine Pferde und Kamele, seine Schaf- und Viehherden, und was er sonst der Art besaß. Ebenso ward Befehl und Verbot der Hand des Jünglings überlassen, und er ward von dem König befördert und vorgezogen wie sein mütterlicher Oheim, ja, noch in höherem Grade, während der alte Wesir in Zurückgezogenheit ausruhte und nur von Zeit zu Zeit einmal den König besuchte, um ihm den Salâm zu entbieten und dann stracks wieder heimzukehren. Als aber Nādân sah, daß aller Befehl seiner Hand überantwortet war, verspottete er seinen Oheim öffentlich und erhob seine Nase wider ihn und begann ihn, sobald er sich zeigte, zu schelten, indem er sprach: »Fürwahr, Heikâr ist alt und kindisch geworden und weiß nicht mehr ein Ding vom andern zu unterscheiden.« Obendrein begann er die Sklaven und Sklavinnen zu prügeln, die Rosse und Dromedare zu verkaufen 12 und absichtlich alles Gut seines Oheims zu verschwenden, der ihn, als er diese Unbarmherzigkeit gegen die Sklaven und das Gesinde sah, unverzüglich in Schimpf und Schande von seinem Platz trieb. Außerdem ließ er den König davon benachrichtigen, daß er all sein Hab und Gut wieder an sich nehmen wolle, worauf der König Nādân vor sich befahl und zu ihm sprach: »So lange als Heikâr lebt, soll niemand über sein Gesinde kommandieren und sich mit seinem Gut abgeben.« Auf diese Weise ward des Jünglings Hand von seinem Oheim und all seinem Gut abgehalten, und er hörte auf, bei ihm ein- und auszugehen, ja selbst ihm den Salâm zu entbieten, während Heikâr die Mühe und den Kummer, den er mit Nādân gehabt hatte, bereute und aufs tiefste niedergeschlagen ward. Nun hatte der Jüngling aber einen jüngeren Bruder, Naudân geheißen; und so adoptierte ihn Heikâr an Stelle des andern und pflegte und ehrte ihn mit den höchsten Ehren und vertraute ihm all seine Besitztümer, indem er ihn zum Aufseher seines Haushalts und zu seinem Geschäftsführer machte. Als der ältere Bruder dies sah, ward er von Neid und Eifersucht erfaßt und hob an sich vor allen, die ihn befragten, zu beklagen und seinen Wohlthäter zu verspotten, indem er sprach: »Meiner Mutter Bruder hat mich von seiner Thür vertrieben und mir meinen Bruder vorgezogen; aber, so mir Gott, der Erhabene, die Macht dazu verleiht, will ich ihn ins Todesverderben stürzen.« Hierauf fing er an über die Vernichtung seines Oheims zu brüten, und nach einer langen Weile erhob er sich eines Tages und schrieb einen Brief an Achjasch Abnā Schâh, den Arzt des Königs von Persien und Barbarenland, folgenden Inhalts: »Allen geziemenden Salâm und gebührlichen Gruß von Sanchārîb, dem König von Assur und Ninive, und von seinem Wesir und Kanzler Heikâr an dich, o ruhmreicher König! Und Grüße seien zwischen mir und dir! Sobald dieses Schreiben bei dir eingetroffen ist, erhebe dich eiligst, mir entgegenzuziehen, und laß unser Zusammentreffen sein 13 im Eglantinengrund von Assur und Ninive, auf daß ich dir das Königtum ohne Fehde und Streit überantworte.« Ferner schrieb er noch einen Brief in Heikârs Namen an Pharao, den Herrn von Ägypten, mit folgendem Inhalt: »Grüße zwischen mir und dir, o mächtiger Fürst! Erheb' dich sofort nach Empfang dieses Schreibens und marschiere nach dem Eglantinengrund, damit ich dir das Königreich ohne Schwertstreich und Kampf überantworte.« Nun aber war Nādâns Handschrift der seines Oheims am ähnlichsten. Dann faltete er die beiden Schreiben und siegelte sie mit Heikârs Siegelring, worauf er sie in den Königspalast warf. Hernach ging er und verfaßte einen Brief in des Königs Namen an seinen Oheim mit folgendem Inhalt: »Alle Grüße an meinen Wesir, meinen Kanzler und Hüter meines Geheimnisses, Heikâr. Sofort nach Empfang dieses Schreibens versammle deine Truppen und alle, die mit Waffen und vollständiger Wehr dir unterstehen, und mach' dich auf den Weg mit mir am Donnerstag im Eglantinengrund zusammenzustoßen. Sobald du mich jedoch herankommen siehst, greif' mich zum Schein an, als ob deine Leute meine Gegner wären, und beginn ein Scheingefecht; denn es sind Boten von Pharao, dem König von Ägypten, ausgeschickt, die Stärke unseres Heeres zu erkundschaften. Demzufolge laß sie Furcht vor uns bekommen, da sie unsere Feinde und Hasser sind.« Dann siegelte er den Brief und schickte ihn durch einen der königlichen Pagen zu Heikâr, während er selber die andern Briefe, die er an den Perser und Ägypter gerichtet hatte, vor dem König niederlegte und sie ihm laut vorlas, worauf er ihm ihre Siegel zeigte. Als Sanchārîb ihren Inhalt vernahm, verwunderte er sich mächtig und ergrimmte gewaltig, indem er rief: »Was habe ich Heikâr gethan, daß er solch ein Schreiben an meine Feinde richtet?« Nādân versetzte: »Bekümmere dich nicht, o König, und gräme und erzürne dich nicht; laß uns vielmehr morgen nach dem Eglantinengrund ziehen und uns die Sache ansehen, ob es Wahrheit oder Lüge 14 ist.« Als nun der Donnerstag kam, erhob sich Nādân und zog mit dem König, seinen Wesiren und Offizieren durch die Steppen zum Eglantinengrund. Sobald der König Sanchārîb dort anlangte, sah er Heikâr mit seinem Heer in Schlachtreihe wider ihn geordnet dastehen, der beim Nahen des Königs seinen Truppen befahl, sich zum Angriff in Bewegung zu setzen und zum Gefecht wider die gegenüberstehenden Reihen, die Truppen seines Herrn, bereit zu machen, wie es ihm durch das königliche Schreiben anbefohlen war, ohne zu ahnen, welche Grube ihm von Nādân gegraben war. Wie nun der König dies gewahrte, ward er aufgeregt und bestürzt und ergrimmte gewaltig, während Nādân zu ihm sprach: »Siehst du, o König, was dieser erbärmliche Wicht gethan hat? Erzürne dich jedoch nicht und bekümmere dich auch nicht, sondern kehr' lieber zu deinem Palast zurück, wohin ich dir Heikâr gefesselt und mit Ketten beladen bringen will; ich will auf der Stelle und ohne Mühe deinen Feind von dir abwehren.« Während nun Sanchārîb in grimmigem Zorn über seines alten Wesirs Unterfangen heimkehrte, begab sich Nādân zu seinem Oheim und sprach zu ihm: »In der That, der König war außerordentlich erfreut und dankt dir dafür, daß du nach seinem Geheiß gethan hast, und jetzt schickt er mich, daß du deine Leute ihres Weges ziehen lässest und dich selber vor ihm gebunden und gefesselt einstellst, damit du in solcher Lage von den Sendlingen Pharaos, vor dem und denen unser Herr und König so besorgt ist, gesehen wirst.« Heikâr versetzte: »Ich höre und gehorche,« und ließ sich alsbald die Arme binden und die Füße fesseln, worauf er sich mit seinem Neffen Nādân zur Majestät des Königs begab, den er antraf, wie er die andern, ebenfalls mit dem Siegelring des Wesirs gesiegelten Briefe durchlas. Als Heikâr in den Thronsaal eintrat, warf er sich auf sein Angesicht nieder, während der König zu ihm sprach: »O Heikâr, mein Vicekönig, mein Kanzler, Hüter meines Geheimnisses und Ratgeber meines Königreiches, sag' an, was für Unrecht hab' 15 ich dir angethan, daß du mir's mit solcher gemeinen That lohnst?« Bei diesen Worten zeigte er ihm die beiden Papiere, beschrieben mit seiner Handschrift und gesiegelt mit seinem Siegel. Als Heikâr die Papiere sah, zitterte er an allen Gliedern, und die Zunge versagte ihm für eine Weile, noch fand er Kraft ein Wort zu sprechen, und er war all seiner Vernunft und seiner Sinne beraubt, weshalb er seine Stirn zu Boden senkte und schwieg. Als aber der König diese seine Haltung sah, befahl er, ihm den Kopf außerhalb der Stadt abhauen zu lassen, und Nādân rief laut: »O Heikâr, du Schwarzgesicht, was konnte dir solch ein Streich und Verrat nützen, daß du deinem König solch eine That anthatest?« Nun hieß aber der Schwertmeister Abū Sumeik der Arme, und der König befahl ihm, Heikârs Kopf gegenüber der Hausthür des Wesirs abzuhauen und ihn hundert Ellen weit von seinem Rumpf zu legen. Als Heikâr dies vernahm, warf er sich vor dem König nieder und rief: »Lebe du, o mein König, ewig und immerdar! So du meinen Tod begehrst, geschehe es nach deinem Willen, wiewohl ich weiß, daß ich nichts verbrochen habe, und daß der Missethäter gemäß seiner bösen Natur handelt. Jedoch erbitte ich von meinem Herrn und König und von seiner Güte, daß er dem Schwertmeister verstattet, meinen Leichnam meinem Gesinde zum Begräbnis zu übergeben, und dann mag dein Sklave dein Opfer sein.« Der König befahl dem Kopfabschläger zu thun, wie es Heikâr wünschte, worauf der Mann, begleitet von den königlichen Pagen, Heikâr nahm, dem sie die Oberkleider ausgezogen hatten, und ihn zur Hinrichtung abführte. Als er jedoch sah, daß der Tod ihm nahte, schickte er seiner Frau, Schaghaftînī geheißen, Nachricht hiervon und ließ ihr sagen: »Komm sofort heraus zu mir mit einem Geleit von tausend Mädchen, gekleidet in Scharlach und Zindel, daß sie über mich klagen, ehe ich tot bin; außerdem laß für den Scharfrichter und seine Gesellen eine Tafel anrichten und bring' eine Menge guten Wein, daß sie trinken und 16 lustig sind.« Heikârs Frau befolgte sofort seine Worte, da sie ebenfalls klug, verständig, scharfsinnig, und erfahren war und ein Kompendium von Vorzügen und Kenntnissen. Als nun die Truppen, der Scharfrichter und seine Gesellen zu Heikârs Thür gelangten, fanden sie die Tische mit Wein und kostbaren Speisen besetzt, so daß sie zu essen und trinken begannen, bis sie genug hatten, worauf sie dem Hausherrn dankten. Alsdann nahm Heikâr den Schwertmeister beiseite und sprach zu ihm: »O Abū Sumeik, als der König Sarhādûn, der Vater des Königs Sanchārîb, dich töten lassen wollte, nahm ich dich und verbarg dich an einem Platz, der keinem bekannt war, bis der König dich holen ließ. Außerdem besänftigte ich seinen Zorn Tag für Tag, bis er dich vor sich zu befehlen beliebte, und er freute sich, als ich dich schließlich vor ihn stellte. Gedenke deshalb zu dieser Stunde der Wohlthaten, die ich dir erwies, und ich weiß wohl, daß der König später Reue empfinden und gewaltig über meine Hinrichtung ergrimmen wird, wenn er sieht, daß ich schuldlos bin; bringst du mich dann lebendig vor ihn, so wirst du zu einem der höchsten Ränge erhöht werden. Denn wisse, mein Neffe Nādân hat Verrat an mir geübt und brachte wider mich diesen übeln Beschluß zuwege; und ich wiederhole dir, daß zweifellos mein Herr meinen Untergang bereuen wird. Vernimm auch, daß unter der Schwelle meines Hauses ein Kellerraum ist, von dem niemand etwas weiß: verbirg mich dort unter Mitwissen meiner Frau Schaghaftînī. In meinem Gefängnis hab' ich einen Sklaven, der die Todesstrafe verdient; hol' ihn hervor, kleide ihn in meine Sachen und befiehl deinen Gesellen, wenn sie trunken von Wein sind, ihn hinzurichten, so daß sie nicht wissen, wen sie zum Tode befördert haben. Befiehl ihnen dann, sein Haupt hundert Ellen weit von seinem Leib zu entfernen, und übergieb den Leichnam meinen Sklaven zur Bestattung. So wirst du diesen reichen Schatz an guten Werken bei mir aufhäufen.«

Der Schwertmeister that nach den Worten seines alten 17 Wohlthäters, worauf er sich mit seinen Leuten zurück zum König begab und zu ihm sprach: »Dein Haupt, o König, lebe ewig und immerdar!« Schaghaftînī aber, Heikârs Weib, brachte von nun an ihrem Gatten Speise und Trank hinab in den unterirdischen Raum und versorgte ihn alle Freitage mit hinreichendem Proviant für die folgende Woche, ohne daß jemand etwas davon wußte.

Nicht lange währte es, und da hatte sich das Gerücht durch ganz Assur und Ninive verbreitet, daß Heikâr der Weise von seinem König hingerichtet war; und die Unterthanen in all diesen Landen betrauerten ihn allzumal laut und klagten, Thränen vergießend: »Weh um dich, Heikâr, und weh um den Verlust deiner Weisheit und Kenntnis! Weh über uns um dich und deine Erfahrung! Wo findet man nun deinesgleichen? Wo gleicht dir jemand an Einsicht, Verstand und rechtem Rat, an deiner Stelle zu stehen?«

Und bald begann auch der König Heikârs Schicksal zu betrauern, als ihm die Reue nichts mehr frommte; und so ließ er Nādân vor sich kommen und befahl ihm: »Mach' dich auf, nimm all deine Freunde zu dir und traure und halte die Totenklage ab für deiner Mutter Bruder Heikâr, indem du ihn nach Brauch, ihm und seinem Gedächtnis zu Ehren, betrauerst.« Nādân aber, der Thor, der Einfältige und Hartherzige, verließ den König, um weder bei seines Oheims Haus zu trauern noch zu weinen und klagen, sondern brachte vielmehr liederliche Burschen und Lotterbuben zusammen, mit denen er zu schmausen und zechen anhob. Alsdann nahm er die Favoritinnen und Sklaven seines Oheims zu sich und peitschte sie durch und prügelte sie jämmerlich; ja, er empfand nicht einmal Scham vor dem Weib seines Adoptivvaters, der ihn als ihren Sohn behandelt hatte, sondern drängte sündhaft in sie bei ihm zu ruhen. Heikâr hingegen, der in seinem Kellerraum versteckt lag, pries immerdar Gott den Barmherzigen und dankte ihm für die Errettung seines 18 Lebens, in beständiger Dankbarkeit und unablässigem Gebet sich vor Gott demütigend.

Als sich nun das Gerücht von Heikârs des Weisen Hinrichtung über alle Lande verbreitete, freuten sich allerorten die Könige und frohlockten über König Sanchārîbs Trauer, der bitterlich den Verlust seines Weisen betrauerte. Der König von Ägypten aber wartete auf die passendste Zeit, worauf er sich erhob und an den König von Assur und Ninive ein Schreiben folgenden Inhalts aufsetzte: »Nach geziemenden Salâmen und gebührlichen Grüßen, nach Beglückwünschung und aufrichtigster Verehrung, mit der ich meinen geliebten Bruder, den König Sanchārîb gern auszeichne, möchte ich dir kundthun, daß ich im Begriff stehe ein Haus in der Luft zwischen Himmel und Erde zu erbauen; und ich wünsche, daß du mir einen weisen, erprobten und erfahrenen Mann sendest, der mir beim Bau des Hauses hilft; ebenso soll er mir Antwort erteilen auf alle die Probleme und dunkeln Fragen, die ich ihm vorlegen will, andernfalls du mir den Tribut von Assur und Ninive in natura sowie ihre Steuern für drei Jahre zahlen sollst.« Alsdann beendete er den Brief und siegelte ihn mit seinem Siegelring, worauf er ihn an seine Adresse schickte.

Als das Schreiben bei Sanchārîb eintraf, nahm er es und las es, sowie seine Wesire und die Großen seines Reiches; und alle standen bestürzt und ratlos da, während der König aufs gewaltigste ergrimmte, ohne zu wissen was er thun und wie er verfahren sollte! Er berief jedoch zur selbigen Stunde alle die Scheiche und Senioren, die Ulemā, die Rechtsgelehrten, Naturkundigen, Philosophen, die Zauberer, Astrologen und alle Leute der Art, die sich in seinem Reiche befanden, und ließ den Brief Pharaos in ihrer Gegenwart vorlesen, worauf er sie fragte: »Wer von euch will zum Hof Pharaos, des Herrn von Ägypten, ziehen und Antwort geben auf seine Fragen?« Sie aber erwiderten: »O unser Herr und König, wisse, den Knoten dieser Schwierigkeiten hätte 19 allein dein Wesir Heikâr lösen können; und nun soll niemand anders Antwort geben als Nādân, der Sohn seiner Schwester, den er in all seiner Scharfsinnigkeit und Kenntnis unterwiesen hat. Laß ihn deshalb vor dich kommen, und vielleicht entwirrt er dir eine verwickelte, so schwer aufzulösende Strähne.« Sanchārîb that nach ihrem Geheiß und sprach zu Nādân, als er vor ihm erschien: »Schau dir dies Schreiben an und begreif' seinen Inhalt.« Als aber der Jüngling das Schreiben gelesen hatte, sprach er zum König: »O mein Herr und König, laß diese Leute zufrieden, denn sie haben Unmögliches im Auge; welcher Mann könnte ein Haus auf Luft zwischen Himmel und Erde bauen?« Sobald der König Sanchārîb diese Worte von Nādân vernahm, stieß er einen lauten und heftigen Schrei aus; dann stieg er von seinem Thron hinunter und setzte sich auf Asche, den Verlust Heikârs beweinend und bejammernd, indem er rief: »Weh mir und dem Tag um dich, o Pfleger meiner Stadt und Ratgeber meines Königreiches! Wo soll ich einen finden wie dich, o Heikâr? Wehe nun über mich, o Heikâr, du Retter meines Geheimnisses und Lichtbringer in meinen dunkeln Lagen, wohin soll ich ziehen, dich nun zu finden? Weh mir, daß ich dich erschlug und dich auf eines thörichten Knaben Wort hin tötete! Dem, der mir Heikâr bringen könnte, oder der mir die Botschaft brächte, daß Heikâr noch am Leben ist, gäbe ich mein halbes Gut; ja, mein halbes Reich. Aber wie sollte dies sein? Weh mir, o Heikâr! Glücklich der, der im Leben auf dich schaute, sein Genüge von deinem Bild zu nehmen und sich daran zu stärken! O mein Gram über dich allezeit! O mein Kummer und meine Vorwürfe, daß ich dich übereilt hinrichten ließ und deinen Tod nicht aufschob, bis ich die Folgen solcher Unthat erwog!« Und so weinte und jammerte der König Nacht und Tag. Als nun aber der Schwertmeister seines Herrn Leid und Verlangen nach Heikâr sah und sein Rufen nach ihm hörte, trat er vor ihn und sprach zu ihm, sich vor ihm niederwerfend: »O mein 20 Herr, befiehl deinen Schergen mir das Haupt abzuschlagen.« Der König erwiderte: »Weh dir, was ist deine Sünde?« Der Schwertmeister versetzte: »O mein Herr, so ein Sklave dem Befehl seines Herrn nicht gehorcht, so laß ihn hinrichten; und siehe, ich übertrat deinen Befehl.« Nun sagte der König: »Weh über dich, o Abū Sumeik, worin thatest du meinem Befehl zuwider?« Der Schwertmeister entgegnete: »O mein Herr, du befahlst mir den weisen Heikâr hinzurichten; jedoch wußte ich wohl, daß du bald seinen Tod bedauern würdest, um so mehr, als ihm Unrecht geschehen war; deshalb verließ ich dich und verbarg ihn an einem Platz, den niemand kannte, und köpfte einen seiner Sklaven an seiner Statt. Und zu dieser Stunde ist Heikâr am Leben und wohlauf; und, so du mir's befiehlst, will ich ihn vor dich bringen; du magst mich dann hinrichten lassen oder begnadigen.« Da rief der König: »Weh über dich, o Abū Sumeik, wie darfst du mich zu solcher Stunde verspotten, mich, deinen Herrn?« Der Schwertmeister versetzte jedoch: »Bei deinem Leben und dem Leben deines Haupts, o mein Herr, ich schwöre daß Heikâr lebt und wohlbehalten ist.« Als der König diese Worte von ihm vernahm und sich von der Richtigkeit der Sache überzeugt hielt, flog er vor Freude und war nahe daran vor Jubel in Ohnmacht zu fallen. Er befahl sofort Heikâr vor ihn zu führen und sprach zum Schwertmeister: »O du rechtschaffener Diener, wenn dieses dein Wort wahr ist, so bin ich entschlossen, dich reich zu machen und deinen Rang unter allen meinen Gefährten zu erhöhen.« Mit diesen Worten befahl er dem Schwertmeister in mächtiger Freude Heikâr vor ihn zu führen. Der Mann begab sich sofort zum Haus des Ministers und öffnete den unterirdischen Raum, worauf er zum Insassen desselben hinunterstieg, den er dasitzen und Gott loben und danken sah. Da rief er und sprach: »O Heikâr, der segensreichste Segen ist zu dir gekommen, komm heraus und erfreue dein Herz!« Heikâr entgegnete: »Was ist geschehen?« Da erzählte er ihm die ganze 21 Geschichte, wie es seinem Herrn mit Pharao ergangen war, von Anfang bis zu Ende, worauf er ihn nahm und vor den König führte. Als ihn nun Sanchārîb betrachtete, fand er, daß er wie ein von Entbehrung völlig Verzehrter aussah. Sein Haar war lang gewachsen wie die Zotteln wilder Tiere, seine Nägel waren lang wie Geierkrallen, seine Glieder waren von der langen Zeit, die er in Haft und Dunkelheit zugebracht hatte, abgemagert, und der Staub hatte sich auf ihn niedergesetzt und seine Farbe verändert, die verblichen war und ein aschgraues Aussehen angenommen hatte. Da ward sein Herr über seinen Zustand traurig und, ihm zu Ehren sich erhebend, küßte er ihn und sprach zu ihm, indem er ihn weinend umarmte: »Gelobt sei Gott, der dich mir nach dem Tod wieder zum Leben erweckt und zurückgegeben hat!« Dann beschwichtigte er seinen Kummer und tröstete ihn, indem er ihn unablässig um Verzeihung bat; und, nachdem er dem Schwertmeister Ehrenkleider verliehen und ihm verschwenderisch mit überreichem Gut den schuldigen Lohn abgestattet hatte, machte er sich mit Heikârs Wiederherstellung zu schaffen, der zu ihm sprach: »O mein Herr und König, mag dein Haupt ewig und immerdar leben! Alles Unrecht, das mir widerfuhr, ist das Werk von Dirnensöhnen; ich zog mir einen Palmbaum auf, an welchen ich mich lehnen wollte, doch bog er sich und brachte mich zu Fall. Jetzt jedoch, o mein Herr und Gebieter, wo du geruht hast, mich vor dich zu rufen, mag alles Leid vergehen und der Schmerz von dir weichen!« Sanchārîb entgegnete: »Gesegnet und erhöht sei Gott, der sich deiner erbarmte, und, als er sah und erkannte, daß dir Unrecht geschehen war, dich rettete und vor der Hinrichtung bewahrte! Nun aber begieb dich ins Bad, laß dir den Kopf scheren, beschneide deine Nägel und wechsele deine Sachen; alsdann sitz' vierzig Tage lang ruhig zu Hause, daß deine Gesundheit wiederkehrt, dein Zustand sich aufrichtet, und die Farbe der Gesundheit in dein Gesicht zurückkehrt; dann erst, aber nicht früher, erscheine vor mir.« Hierauf verlieh ihm 22 der König kostbare Ehrenkleider, und Heikâr begab sich, nachdem er seinem Herrn dafür gedankt hatte, in Freude und Fröhlichkeit nach Hause, indem er wiederholentlich rief: »Preis sei Gott, dem Erhabenen!« Und sein Haushalt, seine Freunde und alle, die erfuhren, daß er noch am Leben war, freuten sich mächtig. Nachdem er sich dann nach des Königs Geheiß vierzig Tage lang ausgeruht hatte, legte er seine prächtigsten Kleider an und zog hoch zu Roß, mit seinen Sklaven ihm voran und hinterdrein, die alle fröhlich waren und frohlockten, zu Hof, während sein Neffe Nādân angesichts der Ereignisse von Furcht und Schrecken erfaßt wurde und in seiner Ratlosigkeit nicht ein noch aus wußte. Als nun Heikâr beim König eingetreten war und ihm den Salâm entboten hatte, ließ ihn sein Herr an seiner Seite sitzen und sprach zu ihm: »Mein geliebter Heikâr, schau dir dieses Schreiben an, das mir vom König von Ägypten zuging, nachdem er von deiner Hinrichtung vernommen hatte. Und in der That, sie haben den größten Teil unseres Reiches erobert und das Volk gezüchtigt und in die Flucht geschlagen, indem sie es zwangen aus Furcht vor dem von uns verlangten Tribut in Ägypten Zuflucht zu suchen.« Da nahm der Minister das Schreiben und sprach zum König, nachdem er es gelesen und seinen Inhalt begriffen hatte: »Sei nicht zornig, mein König; ich will in eigener Person nach Ägypten ziehen, will Pharao eine volle und ausreichende Antwort geben, will ihm seine Fragen erklären und dir von ihm allen Tribut bringen, den er von dir verlangt. Überdies will ich alle Unterthanen, die er zum Verlassen dieses Landes gezwungen hat, zurückbringen und will jeden deiner Feinde durch Gottes, des Erhabenen, Hilfe und durch den Segen deiner Majestät demütigen.« Als der König diese Antwort vernahm, freute er sich und sein Herz ward fröhlich; dann beschenkte er Heikâr mit großmütiger Hand und gab dem Schwertmeister noch einmal unzähliges Gut. Der Minister aber sprach nun: »Gewähre mir eine Frist von vierzig Tagen, 23 auf daß ich die Sache erwäge und einen zufriedenstellenden Plan ersinne.« Sobald ihm Sanchārîb die erbetene Frist bewilligt hatte, kehrte er heim und befahl seinen Jägern ihm zwei junge Geier zu fangen; und, als sie ihm dieselben brachten, ließ er Seiler zu sich kommen und befahl ihnen zwei baumwollene Stricke in der Länge von je zweitausend Ellen zu drehen. Ebenso bestellte er Tischler zu sich und befahl ihnen, ihm zwei große Kisten zu machen, worauf er zwei kleine Knaben erwählte, Namens Binūhâl und Tabschālîm. Jeden Tag schlachtete er dann ein Paar Lämmer und nährte damit die Kinder und Geier, und setzte die Knaben auf die Geier, sie fest auf ihren Rücken und die Stricke an die Füße der Vögel bindend. Dann ließ er die Geier nach und nach aufsteigen und gab ihnen von Tag zu Tag zehn Ellen mehr zum Flug frei. um sie desto besser zu lehren und abzurichten; und in kurzer Zeit hatten sie ihre Aufgabe so gut gelernt, daß sie bis zur vollen Länge der Stricke aufstiegen und in den Luftgefilden mit den Knaben auf ihrem Rücken einherflogen, worauf er sie wieder hinabziehen ließ. Als er sah, daß sie hierin vollkommen geübt waren, lehrte er die Knaben laute Schreie ausstoßen, sobald sie die volle Länge der Stricke erreicht hatten, und also rufen: »Sendet uns Steine, Lehm und gelöschten Kalk, ein Haus für König Pharao zu bauen, da wir hier den ganzen Tag müßig stehen.« So übte sie Heikâr unablässig und unterwies sie, bis sie in diesen Sachen so geschickt wurden als es nur sein konnte. Dann verließ er sie und begab sich zum König Sanchārîb, zu dem er sprach: »O mein Herr, die Sache ist vollendet, wie du es nur zu wünschen vermagst; steh' jedoch auf und folge mir, daß ich dir das Wunder zeigen kann.« Da begleiteten der König und seine Höflinge Heikâr zu einem weiten offenen Raum außerhalb der Stadt, worauf er die Geier und die Knaben hierher kommen ließ. Nachdem er sie dann mir den Stricken angebunden hatte, ließ er sie los, daß sie so hoch in den Himmelsraum stiegen, als es die 24 Leinen verstatteten, worauf sie die Worte riefen, die er sie gelehrt hatte. Hernach holte er sie wieder herunter und schickte sie heim. Der König verwunderte sich hierüber samt seinem ganzen Gefolge und sprach zu seinem Wesir, ihn zwischen die Augen küssend und in ein kostbares Ehrenkleid kleidend: »Ziehe hin in Frieden, o mein Geliebter und Stolz meines Reiches, nach dem Land Ägypten, beantworte Pharaos Fragen und meistere ihn durch Gottes, des Erhabenen, Kraft!« Mit diesen Worten verabschiedete er sich von ihm. Heikâr aber nahm seine Truppen und Garden samt den Knaben und Geiern und machte sich auf den Weg nach Ägypten, wo er sich sofort nach seiner Ankunft zum Königspalast begab.

Als die Leute der Residenz vernahmen. daß der König Sanchārîb einen seiner Großen entsandt hatte mit ihrem König Pharao zu sprechen, traten sie ein und benachrichtigten ihren Herrn davon, der eine Anzahl seiner Vertrauten entsandte ihn vorzuführen. Wie nun Heikâr der Weise bei Pharao eintrat, warf er sich vor ihm, wie es sich vor der Majestät schickt, nieder und sprach zu ihm: »O mein Herr, der König Sanchārîb entbietet dir viele Salâme und Grüße und sendet mich einzig und ohne irgend einen andern seiner Diener zu dir, deine Frage zu beantworten und alles, was du verlangst, zu erfüllen; und mir ist geheißen alle deine Wünsche auszurichten. Insbesondere, insofern du zu dem König meinem Herrn nach einem Manne schicktest, dir ein Haus zwischen Himmel und Erde zu bauen, so bin ich mit Gottes, des Erhabenen, Hilfe und bei deiner erhabenen Hochherzigkeit bereit, dir dasselbe zu erbauen, so wie du es wünschest und begehrst. Jedoch soll dies nur unter der Bedingung des dreijährigen Tributs von Ägypten stattfinden, da der Könige Einwilligung die größte Sicherheit gewährt. Wenn du mich meisterst, und meine Hand nicht ausreicht, und ich nicht imstande bin dir zu antworten, dann soll mein Herr dir den Tribut, von dem du sprachst, senden. Bringe ich dir jedoch alles, was du bedarfst, dann sollst du meinem 25 Herrn den Tribut, den du erwähntest und von ihm verlangtest, zahlen.« Pharao verwunderte sich über seine Worte und erstaunte über die Beredsamkeit seiner Zunge und die Süße seiner Rede und fragte: »Mann, wie ist dein Name?« Der Wesir versetzte: »Dein Sklave ist Abīkâm geheißen; und ich bin eine Ameise von den Ameisen unter dem König Sanchārîb.« Da fragte Pharao: »Hatte dein Herr nicht einen an Rang würdigeren als dich, daß er eine Ameise zu mir sandte, mir zu antworten und mit mir Rede zu führen?« Heikâr versetzte: »Ich hoffe demütig zum Allmächtigen, daß ich dich in allem, was in deinem Herzen ist, zufriedenstelle, o mein Herr; denn Gott ist mit dem Schwachen, um den Starken um so mehr zu erstaunen.« Da erteilte Pharao Befehl für seinen Gast Abīkâm ein Zimmer einzuräumen, sowie für die Garden und alle, die mir ihm waren, und sie mit Rationen und Speise und Trank und allem, was sich für eine geziemende Aufnahme schickte, zu versorgen. Nachdem dann die üblichen drei Tage der Gastschaft verstrichen waren, legte der König seine Kleider aus lichtestem Scharlach an; alsdann setzte er sich auf den Thron, und, als nun alle Granden und Wesire, die in dieselbe Farbe gekleidet waren, mit gekreuzten Armen und geschlossenen Beinen dastanden, befahl er, ihm Heikâr, nunmehr Abīkâm geheißen, vorzuführen. Infolgedessen trat er ein und warf sich vor dem König nieder, worauf er sich wieder erhob, des Königs Befehl zu empfangen. Pharao aber sprach zu ihm nach einer langen Pause: »O Abīkâm, wem bin ich gleich, und was mögen diese meine Großen und Minister darstellen?« Der Gesandte erwiderte: »O mein Herr, du gleichst Bel dem Götzen, und deine Häuptlinge gleichen seinen Anbetern.« Da sagte der König: »Gehe nunmehr fort und kehre morgen wieder.« Infolgedessen zog sich Abīkâm zurück, wie ihm geheißen war, und erschien am nächsten Tage wieder vor Pharao, sich niederwerfend und dann vor ihn tretend. Der König aber war diesmal in einen roten Rock von 26 mannigfachen Farben gekleidet, während seine Großen in Weiß gekleidet waren. Und plötzlich fragte er ihn und sprach: »O Abīkâm, wem bin ich gleich, und was mögen diese meine Großen und Wesire darstellen.« Er versetzte: »O mein Herr, du bist wie die Sonne, und deine Edeln gleichen ihren Strahlen.« Da sagte der König: »Kehre jetzt in dein Quartier zurück und komm morgen wieder.« Infolgedessen ging Heikâr wieder fort, während Pharao seinen Leuten befahl, reines Weiß anzulegen, was er gleichfalls that. Nachdem er sich dann auf den Thron gesetzt hatte, befahl er, Abīkâm vor ihn zu bringen, und fragte ihn, sobald er erschien: »Wem gleiche ich, und was mögen diese meine Großen darstellen?« Er erwiderte: »O mein Herr, du gleichst dem Mond und deine Diener und Garden den Sternen, Planeten und Sternbildern.« Da sagte der König: »Geh' fort und komme morgen wieder.« Alsdann befahl er seinen Magnaten, Kleider von verschiedener Farbe und Schattierung anzuziehen, während er selber ein Gewand von rotem Sammet anlegte. Hierauf setzte er sich auf den Thron und befahl Abīkâm vor sich, der darauf eintrat und sich vor dem König niederwarf. Sobald er sich wieder erhoben hatte, fragte ihn der König zum viertenmal: »O Abīkâm, wem gleiche ich, und was mögen diese meine Garden darstellen?« Er erwiderte: »O mein Herr, du bist mir der glückverheißende Monat Neisân,Der April des syrischen Sonnenjahrs. und deine Garden und Granden gleichen der weißen Kamille und ihrer Blüte.« Als Pharao diese Worte vernahm, freute er sich mächtig und sprach: »O Abīkâm, du hast mich zuerst mit Bel dem Götzen, dann mit der Sonne, hierauf mit dem Mond und schließlich mit dem glückverheißenden Monat Neisân und meine Großen mit der Kamille und ihrer Blüte verglichen. Doch sag' mir nun, womit vergleichst du Sanchārîb und seine Großen?« Heikâr versetzte: »Der Himmel verhüte, daß ich meinen Herrn nenne, 27 dieweil du auf deinem Throne sitzest; erheb' dich auf deine Füße, und ich will dir sagen, wem mein Herr gleicht, und was sein Hof darstellt.« Von Erstaunen betroffen von solchem Feuer der Zunge und solch kühner Sprache, erhob sich Pharao von seinem Sitz und sprach, Aug' in Auge mit Heikâr stehend: »Nun sag' mir's, daß ich erfahre, wem dein Herr gleicht, und was seine Großen darstellen.« Da versetzte Heikâr: »Mein Herr gleicht dem Gott des Himmels, und seine Großen stellen Blitz und Donner dar. Wenn es sein Wille ist, so wehen die Winde und fallen die Regen; und, so er gebeut, spielet der Blitz und der Donner brüllt, und auf sein Geheiß verweigerte die Sonne ihr Licht, und Mond und Sterne stünden still in ihren Bahnen. Doch er kann auch dem Sturmwind gebieten, sich zu erheben, und den Wolken niederzubrechen, und der Neisân würde dann sein wie einer, der den Zweig schlägt und der Kamille Blüten verstreut.« Als Pharao diese Worte vernahm, verwunderte er sich über die Maßen; dann aber ergrimmte er gewaltiglich und rief: »O Mann, sag' mir die Wahrheit und laß mich wissen, wer du wirklich und wahrhaftig bist.« – »Ich bin Heikâr,« versetzte er, »der Kanzler des Königs Sanchārîb; und daneben sein Wesir und Ratgeber seines Königreiches und seines Geheimnisses Hüter.« Pharao erwiderte: »Du sprichst die Wahrheit, o Weiser, und diese deine Worte sind wahr; jedoch vernahmen wir, daß Heikâr tot ist, während du hier lebst und dich wohlauf befindest.« Der Wesir entgegnete: »Ja, fürwahr, so war es der Fall, doch gelobt sei Gott, der alle verborgenen Dinge weiß! Mein Herr hatte mich in der That zum Tode verurteilt, indem er den Worten gewisser Verräter Glauben schenkte, jedoch errettete mich mein Herr, und wohl dem, der sich auf den Allmächtigen verläßt!« Alsdann sprach Pharao: »Geh' fort und kehre morgen zu mir zurück und sag' mir etwas, was nie ein Mann vernahm noch ich und meine Großen und irgend einer vom Volk meines Königreiches und meiner Residenz.« Da begab sich Heikâr nach Hause und 28 beschrieb ein Papier mit folgenden Worten: »Von Sanchārîb, dem König von Assur und Ninive, an Pharao, den König von Ägypten. Frieden sei auf dir, o mein Bruder! Da du weißt, daß ein Bruder des andern bedarf, und daß die Könige auf die Hilfe anderer Könige angewiesen sind, so hoffe ich, daß du mir neun Centner Gold leihst, welches ich gebrauche, um damit den Sold und die Gehälter für einige meiner Truppen zu bestreiten und sie mit dem zum Leben erforderlichen zu versehen.« Hierauf faltete er das Schreiben und schickte es am nächsten Tage durch einen Boten an Pharao, der es las und bestürzt ausrief: »Fürwahr, nimmer hörte ich bisher Worte wie diese, und nie hat einer zu uns solche Sprache geführt!« Heikâr versetzte: »So ist's, und es ist gut, wenn du dich als Schuldner dieser Summe an meinen Herrn und König bekennst.« Pharao nahm diese Lösung seiner Aufgabe an und sprach: »O Heikâr, Männer wie du taugen zum Königsdienst, und gesegnet sei Gott, der dich in Weisheit vollkommen machte und mit Philosophie und Wissen zierte! Und nun haben wir nur noch ein Anliegen an dich: daß du uns nämlich ein Haus zwischen Himmel und Erde baust.« Heikâr versetzte: »Ich höre und gehorche; ich will es für dich genau so erbauen, wie du es wünschest und begehrst. Schaff' mir jedoch Kalk, Quadern und Ziegelerde und Werkleute zur Stelle, während ich Architekten und Maurermeister besorge, die dir bauen sollen, was du verlangst.« Infolgedessen beschaffte ihm Pharao alles dies und zog mit seinem Volk zu einer weiten Ebene außerhalb der Stadt, wohin Heikâr und seine Pagen die Knaben und Geier gebracht hatten; und es begleiteten den König alle die Großen seines Reiches und sein Heer insgesamt, um das Wunder zu schauen, das der Gesandte von Assur verrichten wollte. Als sie aber den dazu bestimmten Platz erreichten, holte Heikâr die Geier aus ihren Kästen und band die Knaben auf ihre Rücken, worauf er die Seile an den Füßen der Vögel befestigte. Dann ließ er sie los, worauf sie zum 29 Himmel emporstiegen, bis sie zwischen Himmel und Erde schwebten; und nun riefen die Knaben laut: »Schickt uns die Steine, den Lehm und den gelöschten Kalk herauf, daß wir für den König Pharao ein Haus bauen, denn wir sitzen hier den ganzen Tag müßig.« Alle Anwesenden kamen hierüber in Aufruhr und verwunderten sich und wurden verwirrt; und ebenso verwunderten sich der König und seine Großen, während Heikâr und seine Pagen die Werkleute zu schlagen anhoben und den königlichen Garden zuriefen: »Verseht die Werkleute mit dem, was sie brauchen, und hindert sie nicht am Werk.« Da rief Pharao: »O Heikâr, bist du verrückt? Wer ist denn imstande, diese Materialien so hoch hinaufzuschaffen?« Er entgegnete jedoch dem König: »O mein Herr, wie sollen wir ein Haus in der Luft auf andre Weise bauen? Wäre der König mein Herr hier, so hätte er zwei solcher Häuser an einem einzigen Tage aufgeführt.« Als Pharao dies vernahm, sprach er zu ihm: »Begieb dich in dein Quartier, Heikâr, und ruhe dich für jetzt aus, wo wir in betreff des Hausbaus eine Lehre empfangen haben; morgen jedoch komm zu mir.« Infolgedessen begab sich Heikâr nach Hause und stellte sich am andern Tage in der Frühe vor Pharao, der zu ihm sprach: »O Heikâr, was ist's mit dem Hengst deines Herrn, dessen Stimme, wenn er in Assur und Ninive wiehert, von unsern Stuten hierorts vernommen wird, so daß sie Fehlgeburten machen?« Heikâr verließ hierauf den König und ging nach Hause, wo er eine Katze nahm und, sie anbindend, mächtig durchpeitschte, daß alle Ägypter ihr Geschrei hörten und die Sache vor Pharao brachten. Infolgedessen ließ er Heikâr holen und fragte ihn: »O Heikâr, weshalb peitschtest du diese Katze und schlugst sie so sehr, wo sie nichts als ein einfältiges Tier ist?« Er versetzte: »O mein Herr und König, sie hat mir ein Übel zugefügt, so daß sie vollauf diese Auspeitschung und Hiebe verdient hat.« Nun fragte der König: »Und was hat sie denn gethan?« Heikâr antwortete: »Mein Herr, der König Sanchārîb hatte 30 mir einen schönen Hahn geschenkt, der eine prächtige und laute Stimme hatte und die Stunden der Dunkelheit kannte und sie ansagte. Wie er aber in meinem Hause war, kam diese nichtsnutzige Katze letzte Nacht dorthin und packte ihn und riß ihm den Kopf ab. Wie sie dann zurückkehrte, machte ich mich daran, sie auf diese Weise auszupeitschen und durchzuprügeln.« Da versetzte Pharao: »O Heikâr, in der That, ich sehe, daß du alt und kindisch bist. Zwischen Ägypten und Ninive liegen achthundertundsechzig Parasangen; wie kann diese Katze also diese Strecke in einer Nacht zurückgelegt und deinem Hahn den Kopf abgerissen haben, um dann wieder am Morgen in Ägypten zu sein?« Heikâr entgegnete jedoch: »O mein Herr, wenn zwischen Ägypten und Assur solch eine Strecke liegt, wie kann dann das Wiehern des Hengstes meines Herrn bis zum Nilland schallen, daß es eure Stuten hören und abortieren?« Als Pharao diese Worte erwog, erkannte er, daß ihm der Gesandte eine volle und hinreichende Antwort erteilt hatte; dann aber sprach er zu ihm: »O Heikâr, ich wünsche, daß du mir zwei Stricke aus Sand machst.« Heikâr erwiderte: »Laß mir einen Strick aus deinen Magazinen bringen, daß ich dir einen gleichen drehe.« Als sie dies gethan hatten, begab sich Heikâr hinter den Palast und bohrte zwei runde Löcher gleich der Dicke des Strickes. Dann sammelte er Sand vom Flußbett und that ihn darein, so daß, wenn die Sonne aufstieg und durch den Cylinder schien, der Sand im Sonnenlicht wie Stricke aussah. Alsdann sagte er zu Pharao: »Befiehl deinen Sklaven diese Stricke aufzuheben, und ich will dir so viele, als du wünschest, aus Sand drehen.« Hierauf sprach Pharao: »O Heikâr, wir haben vor unsern Augen einen zerbrochenen Mühlstein; ich verlange von dir, den Riß zu nähen.« Da schaute Heikâr ihn an, und sprach zu Pharao, als er dort einen andern Stein liegen sah: »O mein Herr, ich bin hier ein Fremdling und habe kein Stopfgarn bei mir; heiße jedoch deine Vertrauten unter den Schuhflickern mir aus diesem 31 andern Stein Schusterahle, Nadeln und Schere zu beschaffen, daß ich dir den Sprung in jenem Mühlstein zusammennähe.« Da lachten der König und seine Großen, und er rief: »Gesegnet sei Gott, der dir all diesen Scharfsinn und dieses Wissen verlieh!« Alsdann gestand er, da er sah, daß der Gesandte all seine Fragen beantwortet und seine Aufgaben gelöst hatte, daß er besiegt wäre, und befahl, den Tribut auf drei Jahre zu erheben und ihm denselben zugleich mit der Anleihe, in betreff derer Heikâr geschrieben hatte, zu übergeben, während er selber Heikâr und seinen Garden und Pagen Ehrenkleider verlieh und sie mit Wegzehrung, Proviant und Geld für die Reise versah, indem er zu ihm sprach: »Ziehe hin in Frieden, o Ehre deines Herrn und Ruhm deines Gebieters! Wer wird wie du als Ratgeber für Könige und Sultane gefunden? Entbiete meinen Salâm deinem Herrn dem König Sanchārîb und sprich: »Halt' uns zu gute, was wir an dich sandten, dieweilen Könige mit einer Kleinigkeit von solcher Anerkennung zufrieden sind.« Heikâr nahm alles dies von ihm an, dann aber küßte er die Erde vor ihm und sprach: »Ich wünsche einen Befehl von dir, mein Herr, daß niemand aus Assur und Ninive bei dir im Land Ägypten bleibt, sondern mit mir heimkehrt.« Da schickte Pharao einen Herold aus, alles, wovon Heikâr zu ihm gesprochen hatte, anzukündigen, worauf sich der Gesandte vom König verabschiedete und auf den Weg nach Assur und Ninive machte, eine Menge Schätze und Gelder mit sich führend. Als die Kunde von seiner Ankunft dem König Sanchārîb zu Ohren kam, ritt er in mächtiger Freude hinaus zum Empfang seines Wesirs, und empfing ihn herzlich, indem er ihn küßte und rief: »Willkommen, von Herzen willkommen, mein Vater, meines Reiches Ruhm und Stolz meines Königtums! Heische von mir, was du willst und begehrst, sei es selbst die Hälfte meines Gutes und meiner Herrschaft.« Der Wesir entgegnete: »Lebe, o König, für immerdar! Und so du mich beschenken willst, so verleihe 32 deine Gaben Abū Sumeik dem Schwertmeister, dessen weiser Verzug, gefördert von Gottes, des Erhabenen, Ratschluß mich zu einem zweiten Leben erweckte.« Der König erwiderte: »Dir zu Ehren will ich ihn ehren, mein Geliebter.« Dann fragte er ihn, wie es ihm mit Pharao ergangen wäre und wie er ihm den Tribut und Gelder und Geschenke und Ehrenkleider gegeben hätte, bis er sich zum Schluß nach den Ereignissen und Geheimnissen, welche die Sendung beendeten, erkundigte. Heikâr berichtete ihm alles, worüber Sanchārîb mächtig erfreut war; und, als das Gespräch schloß, sprach er zu ihm: »O Heikâr, nimm dir hiervon alles, was du wünschest und begehrst, denn es ist in deiner Hand.«

Heikâr versetzte jedoch: »Lebe, o König, ewig und immerdar! Ich begehre nichts als deine Sicherheit und deiner Regierung Dauer; was sollte ich mit Geld und dergleichen anfangen? Wenn du mir aber etwas schenken willst, so gieb mir in freier Gabe Nādân, den Sohn meiner Schwester, daß ich ihm sein Vergehen gegen mich lohne; und ich begehre, daß du mir sein Blut schenkst und mir gesetzlich zu eigen giebst.« Sanchārîb entgegnete: »Nimm ihn, denn ich habe ihn dir geschenkt.« Da führte Heikâr seinen Neffen nach Hause und band seine Hände und fesselte seine Füße mit schweren Ketten; dann verabfolgte er ihm eine schwere und qualvolle Züchtigung auf die Sohlen und Waden, den Rücken, Bauch und die Achselgruben, worauf er ihn in ein schwarzes Loch neben dem Abtritt warf und Binuhal zum Wächter über ihn setzte; und er befahl ihm täglich ein Brot und ein wenig Wasser zu geben. Wenn aber der Oheim zu seinem Neffen ging oder von ihm kam, schalt er Nādân und sprach in seiner Weisheit zu ihm:

»O mein Söhnlein, ich behandelte dich mit allem Guten und erwies dir Freundlichkeiten, du aber vergaltest es mir mit Übel, Verrat und Tod.

O mein Söhnlein, es heißt im Sprichwort: »Wer nicht mit seinen Ohren hört, der soll mit seinem Nacken hören.« 33

Fragte dann Nādân: »O mein Oheim, was für einen Grund hast du, auf mich zornig zu sein?« so versetzte Heikâr: »Ich erhob dich zu Ansehen und Ehren und machte dich groß, nachdem ich dir die beste Erziehung gegeben und dich so erzogen hatte, daß du mein Erbe in Wissen, im Rat und weltlichem Gut sein solltest. Du aber suchtest meinen Untergang und mein Verderben und wünschtest mir den Tod; indessen errettete mich der Herr, der wußte, daß mir Unrecht geschah, von deiner Bosheit, denn Gott stärkt das gebrochene Herz und erniedrigt die Neider und Aufgeblasenen.

O mein Söhnlein, du warst wie der Skorpion, der Messing durchbohrt, wenn er es mit seinem Stachel sticht.

O mein Söhnlein, du glichst dem Sadschâlmevogel, der, wenn er im Nest nistet und sich nicht retten kann, die Rebhühner bittet, sich mit ihm ins Verderben zu stürzen.

O mein Söhnlein, du warst wie der Hund, der, wenn er von der Kälte leidet, in des Töpfers Haus kommt, sich am Ofen zu wärmen, und, wenn er sich wärmt, die Leute so anbellt, daß sie ihn schlagen und hinauswerfen müssen, damit er sie nicht nach dem Bellen beißt.

O mein Söhnlein, du thatest wie das Schwein, das mit den Großen ins Bad ging; als es aber herauskam und einen stinkenden Graben fließen sah, lief es und wälzte sich darin.

O mein Söhnlein, du wardst wie der alte geile Ziegenbock, der, wenn er ins Schlachthaus geht, seine Freunde und Vertrauten dazu einladet, und nicht heil davon kommt, sei es, daß es sein oder ihr Leben kostet.

O mein Söhnlein, eine Hand, die weder arbeitet noch pflügt und doch gierig und überschnell ist, die soll man abhauen von ihrer Achselgrube.

O mein Söhnlein, du hast dem Baume nachgeahmt, den man niederschlug, Krone und Ast, worauf er sprach: Wäre das in eurer Hand nicht von mir,Der Axtstiel. ihr hättet es nicht vermocht, mich zu fällen. 34

O mein Söhnlein, du verfuhrst wie die Katze, zu der man sprach: »Laß das Rauben, und wir machen dir Halsbänder von Gold und füttern dich mit Zucker und Mandelkuchen.« Aber die Katze versetzte: »Was mich angeht, so ist mein Handwerk das meines Vaters und meiner Mutter, und ich kann es nimmer vergessen.«

O mein Söhnlein, du bist wie ein Drachen auf einem Brombeerstrauch, und zwischen beiden und dem Wolf ist ein Strom in der Mitte. Als der Wolf dies sah, sprach er: »Ein Unheil auf einem Unheil, und laß ein größeres Unheil beide um Rat fragen.«

O mein Söhnlein, mit zarten Speisen speiste ich dich, und du gabst mir nichts als das dürrste Brot. Von Zucker und den feinsten Weinen gab ich dir zu trinken, während du mir einen Schluck kalten Wassers mißgönntest.

O mein Söhnlein, ich lehrte dich und pflegte dich in sorglichster Pflege und ließ dich wachsen wie die hohe Ceder des Libanon, du aber verklagtest mich und warfst mich durch deine übeln Wege in Fesseln.

O mein Söhnlein, ich hegte die Hoffnung, du solltest mir bauen einen starken Turm, wo ich Zuflucht finden könnte vor meinem Gegner und meine Feinde zu Schanden machen; du aber warst mir ein Gräber, ein Grabschaufler, mich in die Tiefen der Erde zu werfen; indessen hatte mein Herr Erbarmen mit mir.

O mein Söhnlein, ich wollte dir wohl und du lohntest es mir mit Übelwollen und Missethat; weshalb es mein Willen ist, deine Augen auszureißen, deine Zunge abzuhacken und deinen Kopf mit des Schwertes Schärfe abzuhauen, um dich dann zum Fraß der Wölfe zu machen; so will ich Vergeltung üben an deinen Missethaten.«

Hierauf gab Nādân Antwort und sprach zu Heikâr seinem Oheim: »Thu an mir, was deine Güte thun würde, und vergieb mir dann alle meine Verbrechen, denn wo ist einer, der sündigen könnte wie ich, und vergeben wie du? Und 35 nun bitte ich dich, nimm mich in deinen Dienst, laß mich Sklave sein in deinem Haus und deine Pferde bedienen, ihren Mist selbst fortzukehren und deine Schweine zu hüten; denn, wahrlich, ich bin der Missethäter und du der Wohlthäter; ich bin der Sünder und du der Vergeber.«

Heikâr entgegnete jedoch:

»O mein Söhnlein, du gleichst dem Baum, der, wenn auch gepflanzt an der Seite vieler Wasser, doch keine Datteln trug, so daß sein Herr ihn abhauen wollte, als der Baum zu ihm sprach: »Bring mich an eine andere Stätte, wo du mich fällen magst, trag' ich auch dann keine Frucht.« Der Herr aber entgegnete ihm: »Wo du am Wasserrand nie eine Dattel trugst, wie willst du da Frucht tragen an einer andern Stelle?«

O mein Söhnlein, besser ist des Adlers Greisenhaftigkeit als des Raben Jugendhaftigkeit.

O mein Söhnlein, sie sprachen zum Wolf: »Laß die Schafe in Ruhe, daß sie auf der Flucht keinen Staub aufwirbeln, der dir schaden könnte.« Der Wolf sprach jedoch: »Fürwahr, ihr Staub ist ein gutes Augenpulver.«

O mein Söhnlein, sie brachten den Wolf zur Schule, daß er lesen lernte; aber, so sie zu ihm sagten: »Sprich Elif, bâ, tâ, thâ«Die vier ersten Buchstaben des arabischen Alphabets; thâ wird wie das scharfe englische th ausgesprochen. so sprach er: »Lamm, Schaf, Kitz, Geiß, ebenso wie in meinem Bauch.«

O mein Söhnlein, sie kehrten des Esels Haupt zu einem Brett voll Speisen, er aber legte sich nieder und fing an, sich zu wälzen, denn seine Natur kann er gleich andern nicht ändern.

O mein Söhnlein, dessen Wort ist bewährt, der da sprach: »Wenn du einen Knaben gezeugt hast, so nimm es an zu deinem Sohn, und, wenn du einen Sohn erzogen hast, so laß ihn ein Sklave bei dir sein.

O mein Söhnlein, wer Gutes thut, wird mit Gutem 36 belohnt, wer Übles wirkt, dem wird Übles zu teil; denn der Herr lohnt den Menschen nach ihrem Thun.

O mein Söhnlein, was soll ich noch zu dir reden nach diesen Worten? Fürwahr, Gott kennt verborgene Dinge und weiß alle geheimen und versteckten Werke und Wege, und Er wird dir's lohnen und wird zwischen mir und dir richten und walten und dir's nach Verdienst heimzahlen.«

Als Nādân diese Worte von seinem Oheim Heikâr vernahm, begann sein Leib zu schwellen und ward wie ein aufgeblasener Sack, und seine Glieder wurden aufgedunsen, seine Beine, Waden und Seiten spannten sich, bis sein Bauch mit einem Male platzte und zersprang, so daß seine Eingeweide heraussanken, und sein Ende, der Tod, über ihn kam. So kam er um und fuhr nach Dschehannams Feuer, eine schlimme Stätte! Und ebenso steht's in den Büchern geschrieben: »Wer seinem Bruder eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, und wer eine Falle seinem Nachbar setzt, fängt sich selber darin.«

Soviel vernahmen wir von der Geschichte Heikârs des Weisen, und Preis sei Gott ewig und immerdar! Amen.

 


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