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Tausend und eine Nacht. Band XVI
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Ibrāhîm und Dschamîle.

Ferner erzählt man, o glückseliger König, daß El-Hasîb, der Herr von Ägypten, einen Sohn hatte, wie es keinen schönern gab, den er aus Furcht für ihn niemals ausgehen ließ, es sei denn zum Freitagsgebet. Als er nun eines Tages nach dem Gebet die Moschee verließ, kam er an einem alten Mann vorüber, der viele Bücher bei sich hatte; 129 er stieg deshalb von seinem Pferd ab und setzte sich an seine Seite, worauf er die Bücher umkehrte und sie betrachtete, als er mit einem Male in einem derselben das Bild einer Frau erblickte, das fast gesprochen hätte und wie er auf der ganzen Erde kein schöneres Weib gesehen hatte. Seines Verstandes beraubt und mit verwirrten Sinnen, sagte er zum Scheich: »Scheich, verkauf' mir das Bild.« Der Scheich küßte die Erde vor ihm und versetzte: »Mein Herr, es sei umsonst dein.« Da gab er ihm hundert Dinare und nahm das Buch, in dem sich das Bild befand, worauf er es in einem fort ansah und Nacht und Tag darüber weinte, sich der Speise und des Trankes und Schlafes enthaltend. Alsdann sprach er bei sich: »Wenn ich den Buchhändler fragte, wer der Maler dieses Bildes ist, so würde er es mir vielleicht sagen, und, wenn das Original noch am Leben ist, will ich mich zu ihm aufmachen; ist's jedoch nur ein Bild und nichts weiter, so will ich mich nicht weiter um dasselbe grämen und mich nicht mehr um etwas plagen, was keine Wirklichkeit besitzt.«

Neunhundertunddreiundfünfzigste Nacht.

Infolgedessen begab er sich am nächsten Freitag wieder zum Buchhändler, der sich vor ihm erhob, und sprach zu ihm: »Mein Oheim, sag' mir, wer dieses Bild gemalt hat.« Der Buchhändler erwiderte: »Mein Herr, ein Mann aus Bagdad hat es gemalt, dessen Name Abul-Kâsim es-Sandalânī lautet, und der im Viertel El-Karch wohnt; wessen Bild es ist, weiß ich jedoch nicht.« Da verließ ihn der Jüngling, ohne daß er jemand von seinen Hausgenossen etwas hiervon mitgeteilt hätte, und verrichtete das Freitagsgebet, worauf er heimkehrte und einen Ranzen mit Edelsteinen im Werte von dreißigtausend Dinaren und mit Gold anfüllte. Nachdem er dann noch bis zum Morgen gewartet hatte, zog er fort, ohne jemand etwas zu sagen; bald hernach stieß er auf eine Karawane, und, als er in ihr einen Beduinen sah, 130 fragte er ihn: »Mein Oheim, wie weit ist's von hier bis nach Bagdad?« Der Beduine versetzte: »Wo bist du, und wo ist Bagdad! Von hier nach Bagdad ist ein Weg von zwei Monaten.« Da sagte er zu ihm: »Mein Oheim, wenn du mich nach Bagdad bringst, so gebe ich dir hundert Dinare und dieses Pferd unter mir, das einen Wert von tausend Dinaren hat.« Der Beduine entgegnete: »Gott sei Bürge für unsere Worte! Und du sollst heute Nacht bei keinem andern als bei mir einkehren.« Der Jüngling willigte ein und übernachtete bei ihm; bei Anbruch der Morgenröte nahm ihn dann der Beduine und zog mit ihm auf dem nächsten Wege aus Gier nach dem Pferd, das er ihm versprochen hatte, in aller Eile weiter und rastete nicht eher, als bis sie bei den Mauern Bagdads angelangt waren, wo der Beduine rief: »Gelobt sei Gott für wohlbehaltene Ankunft! Mein Herr, dies ist Bagdad.« Da freute sich der Jüngling mächtig und stieg von seinem Pferd ab, das er dem Beduinen nebst den hundert Dinaren schenkte. Hierauf nahm er seinen Ranzen und wanderte weiter, sich nach dem Viertel El-Karch und der Wohnung des Kaufmanns erkundigend; und das Schicksal führte ihn nach einer Gasse mit zehn Häusern, fünf und fünf auf jeder Seite, an deren Ende ein Thor mit zwei Flügeln und einem silbernen Ring zu sehen war. Vor dem Thor standen zwei marmorne Bänke, mit den schönsten Teppichen belegt, auf deren einer ein Mann von respektierlichem und schönem Äußern in feinen Kleidern saß, vor dem fünf Mamluken gleich Monden standen. Als der Jüngling die Gasse sah, erkannte er sie nach den Kennzeichen, die ihm der Buchhändler gegeben hatte, und begrüßte den Mann, der ihm den Salâm erwiderte und, ihn willkommen heißend, ihn einlud Platz zu nehmen, worauf er sich nach seinem Begehr erkundigte. Der Jüngling versetzte: »Ich bin ein fremder Mann und erbitte mir von deiner Güte, mir in dieser Gasse ein Haus zu zeigen, in dem ich wohnen könnte.« Da rief der Mann: »Ghasâle!« worauf ein Mädchen zu ihm 131 herauskam und sagte: »Zu Diensten, mein Herr.« Hierauf sprach er zu ihr: »Nimm einige Diener mit dir mit und geht zu dem und dem Haus, reinigt es, richtet es ein und bringt alles an Geschirr und dergleichen erforderliche für diesen hübschen jungen Mann dorthin.« Da ging die Sklavin fort und that nach seinem Geheiß, worauf der Scheich den Jüngling nahm und ihm das Haus zeigte. Der Jüngling fragte ihn: »Mein Herr, wie teuer ist die Miete für dieses Haus?« Der Scheich versetzte: »O du so hübschen Gesichts, ich nehme von dir, so lange du darin wohnst, keine Miete.« Da dankte ihm der Jüngling, worauf der Scheich ein anderes Mädchen rief, das der Sonne glich, und zu ihm sprach: »Hol' das Schachspiel.« Nachdem sie es gebracht hatte, breitete ein Mamluk das TuchDas Schachbrett wurde hiernach früher durch ein »Tuch« vertreten. aus, und der Scheich fragte den Jüngling: »Willst du mit mir spielen?« Der Jüngling versetzte: »Gern.« Da spielte er mehrere Spiele mit ihm, die der Jüngling jedoch jedesmal gewann, so daß der Alte rief: »Bravo, Jüngling, du bist in der That in allen Tugenden vollkommen; bei Gott, in Bagdad giebt's keinen, der mich schlägt, und du hast mich besiegt!« Als sie nun das Haus eingerichtet und mit allem erforderlichen ausgestattet hatten, übergab er ihm die Schlüssel und sprach zu ihm: »Mein Herr, möchtest du nicht in mein Haus treten und von meinem Brot essen? Wir werden durch deinen Besuch beehrt.« Da willigte der Jüngling ein und folgte ihm; und, als sie bei dem Haus anlangten, sah er, daß es ein schönes, feines Haus war, verziert mit Gold und mit allerlei Bildern, Möbeln und Geräten eingerichtet, wie die Zunge es nicht beschreiben kann. Der Scheich hieß ihn hier willkommen und bestellte das Mahl, worauf sie einen Tisch von der Manufaktur der Stadt Sanā in Jemen brachten, und allerlei seltene Gerichte auftrugen, wie es keine feineren und wohlschmeckenderen giebt. Nachdem der Jüngling sich sattgegessen 132 und sich die Hände gewaschen hatte, besah er sich das Haus und die Einrichtung, als er mit einem Male sah, daß sein Ranzen verschwunden war. Da rief er: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Ich hab' einen Bissen im Wert von einen oder zwei Dirhem gegessen und einen Ranzen mit dreißigtausend Dinaren Inhalt verloren, jedoch suche ich Hilfe bei Gott!« Alsdann schwieg er in großer Kümmernis und vermochte kein Wort zu sprechen.

Neunhundertundvierundfünfzigste Nacht.

Da setzte ihm der Scheich das Schachspiel vor und fragte ihn: »Willst du mit mir spielen?« Der Jüngling erwiderte: »Gern.« Als sie aber spielten, verlor der Jüngling, worauf er »Bravo!« rief, und, sich erhebend, zu spielen aufhörte, so daß der Scheich ihn fragte: »Was fehlt dir, Jüngling?« Er entgegnete: »Ich wünsche meinen Ranzen.« Da erhob er sich und holte den Ranzen mit den Worten: »Hier ist er, mein Herr; möchtest du nun weiter spielen?« Der Jüngling versetzte: »Gern;« und als sie nun wieder spielten, gewann er, worauf der Scheich sagte: »Als du wegen deines Ranzens in Unruhe warst, gewann ich, nachdem ich ihn dir aber wiedergebracht hatte, gewannst du.« Dann hob er von neuem an und sprach: »Mein Sohn, sag' mir, aus welchem Land du bist.« Der Jüngling versetzte: »Aus Ägypten.« Nun fragte der Alte: »Und weshalb kamst du nach Bagdad?« Da holte er das Bild hervor und sagte: »Wisse, mein Oheim, ich bin der Sohn El-Chasîbs, des Herrn von Ägypten, und ich sah dieses Bild, das mir den Verstand raubte, bei einem Buchhändler. Als ich mich nach dem Maler desselben erkundigte, sagte man mir, der Maler sei ein Mann, Namens Abul-Kâsim es-Sandalânī, der in Bagdad im Viertel El-Karch in der Saffrangasse wohne. Da nahm ich etwas Geld zu mir und machte mich allein auf den Weg, ohne jemand davon etwas zu sagen. Und nun wünschte ich, daß du das 133 Maß deiner Güte voll machst und mich zu ihm führst, damit ich ihn frage, weshalb er dieses Bild gemalt hat und wen es darstellt; und, was immer er von mir verlangt, das will ich ihm geben.« Da versetzte der Scheich: »Bei Gott, mein Sohn, ich bin Abul-Kâsim es-Sandalânī, und das ist ein wundersames Ding, wie dich das Schicksal zu mir geführt hat.« Als der Jüngling seine Worte vernahm, erhob er sich und, ihn umarmend, küßte er ihm Haupt und Hände und beschwor ihn: »Um Gott, sag' mir, wessen Bild es ist.« Der Alte versetzte: »Ich höre und gehorche.« Hierauf erhob er sich und öffnete eine Kammer, aus der er eine Anzahl Bücher holte, in die er dasselbe Bild gemalt hatte; dann sagte er zu ihm: »Wisse, mein Sohn, das Original dieses Bildes ist die Tochter meines Oheims, die in Basra lebt, da ihr Vater der Gouverneur von Basra ist; sein Name ist Abul-Leith, und sie heißt Dschamîle.Die Hübsche. Auf der ganzen Erde giebt's kein hübscheres Mädchen als sie, jedoch ist sie männerscheu und kann nicht einmal von Männern in ihrem Zimmer reden hören. Einmal besuchte ich meinen Oheim in der Absicht, daß er mich mit ihr verheiratete, und ließ es mich eine Menge Geld kosten, ohne daß er seine Einwilligung hierzu gab; und, als seine Tochter hiervon erfuhr, erzürnte sie sich und ließ mir unter anderm sagen: »Wenn du Verstand hast, so bleib' nicht länger in dieser Stadt, oder du kommst um, und die Schuld hieran liegt allein bei dir.« Sie ist nämlich eine ganz herzlose Tyrannin. Infolgedessen verließ ich Basra gebrochenen Herzens und malte ihr Bild in Bücher, die ich in alle Lande ausschickte, damit sie in die Hand eines hübschen Jünglings gleich dir fielen, und er es zuwege brächte zu ihr zu gelangen, daß sie sich in ihn verliebte. Auf diese Weise könnte ich dann vielleicht das Versprechen von ihm erhalten, daß er sie mir, nachdem er sie in Besitz bekommen hätte, zeigte, und wär's auch nur für einen Augenblick aus der Ferne.« 134

Als Ibrāhîm, der Sohn des Chasîb, seine Worte vernommen hatte, ließ er sein Haupt eine Weile nachdenklich zu Boden hängen, bis Es-Sandalânī zu ihm sagte: »Mein Sohn, ich sah in Bagdad keinen schöneren als dich, und glaube, sobald sie dich sieht, liebt sie dich. Willst du sie mir also, wenn du mit ihr zusammengekommen bist und sie gewonnen hast, zeigen, und wär's auch nur für einen Augenblick aus der Ferne?« Er versetzte: »Jawohl;« worauf der Scheich erwiderte: »Wenn dem so ist, so bleib bis zu deiner Abreise bei mir.« Der Jüngling versetzte jedoch: »Ich bin nicht imstande hier zu bleiben, denn mein Herz brennt lichterloh vor Liebe.« Da sagte der Scheich: »So gedulde dich wenigstens noch drei Tage, bis ich dir ein Schiff zur Fahrt nach Basra ausgerüstet habe.« Infolgedessen wartete der Jüngling, bis ihm der Scheich das Schiff ausgerüstet und mit allem an Speise, Trank und dergleichen erforderlichen versehen hatte. Nach Verlauf der drei Tage sagte dann der Scheich: »Mach' dich reisefertig, ich habe dir ein Schiff mit allem erforderlichen ausgerüstet; das Schiff ist mein Eigentum, die Schiffer gehören zu meinen Leuten, und auf dem Schiff findest du zur Genüge bis zu deiner Rückkehr; außerdem habe ich den Schiffern befohlen, dich bis zu deiner wohlbehaltenen Heimkehr zu bedienen.« Da erhob sich der Jüngling und stieg, sich vom Scheich verabschiedend, aufs Schiff, worauf er nach Basra abfuhr. Dort angelangt, holte er für die Schiffer hundert Dinare heraus, worauf ihm dieselben erwiderten: »Wir sind von unserem Herrn bezahlt worden.« Er versetzte jedoch: »Nehmt's als Geschenk; ich werde ihm nichts davon sagen.« Da nahmen sie das Geld und segneten ihn, worauf der Jüngling Basra betrat und sich nach der Herberge der Kaufleute erkundigte. Man erwiderte ihm: »Im Chân von Hamadân;« und so wanderte er weiter, bis er zum Bazar gelangte, in welchem sich der Chân befand, während sich aller Blicke wegen seiner ausnehmenden Schönheit und Anmut auf ihn richteten. Nachdem er mit 135 einem Schiffer den Chân betreten hatte, erkundigte er sich nach dem Pförtner, worauf man ihn zu einem alten, respektvollem Scheich führte. Er tauschte mit ihm den Salâm aus und fragte ihn: »Oheim, hast du ein hübsches Zimmer?« Der Scheich versetzte: »Jawohl,« und nahm ihn und den Schiffer mit, worauf er für beide ein hübsches, mit Gold verziertes Zimmer öffnete und sagte: »Jüngling, dieses Zimmer wird für dich passen.« Da zog der Jüngling zwei Dinare heraus und sagte zu ihm: »Nimm dies als Schlüssel-Douceur,« worauf der Alte die beiden Dinare einsteckte, während der Jüngling den Schiffer entließ. Dann trat er in das Zimmer, von dem Pförtner, der bei ihm blieb, bedient, der zu ihm sagte: »Mein Herr, uns ist durch dich Freude widerfahren.« Da gab ihm der Jüngling noch einen Dinar und sagte zu ihm: »Bring' uns dafür Brot, Fleisch, Süßigkeiten und Wein.« Infolgedessen nahm er den Dinar und ging auf den Bazar, wo er das Verlangte für zehn Dirhem einkaufte; dann brachte er es ihm und wollte ihm den Rest herausgeben, der Jüngling versetzte jedoch: »Verwend' es für dich.« Der Pförtner des Châns freute sich mächtig hierüber, der Jüngling aber aß nur ein einziges Rundbrötchen mit etwas Zukost, worauf er zum Pförtner sagte: »Nimm dies für deine Hausleute.« Da nahm es der Pförtner und trug es zu seinen Angehörigen, indem er zu ihnen sprach: »Ich glaube nicht, daß es auf der ganzen Erde einen Großmütigeren und Liebenswürdigeren als diesen Jüngling giebt, der heute bei uns eingekehrt ist. Bleibt er bei uns, so werden wir reich.« Alsdann begab er sich wieder zu Ibrāhîm und traf ihn weinend an; da setzte er sich und knetete ihm die Füße, worauf er sie küßte und zu ihm sprach: »Mein Herr, weshalb weinst du? Gott lasse dich nicht weinen!« Ibrāhîm erwiderte: »Oheim, ich wünschte, wir beide, ich und du, wir tränken heute Nacht zusammen.« Da versetzte der Pförtner: »Ich höre und gehorche.« Alsdann zog er fünf Dinare heraus und reichte sie dem Pförtner mit 136 den Worten: »Kauf' uns dafür Obst und Wein.« Dann gab er ihm noch fünf Dinare und sagte: »Kauf' uns hierfür getrocknete Früchte, Blumen, fünf fette Hühner und bring' mir eine Laute.« Da ging der Pförtner fort und kaufte ihm das verlangte, worauf er zu seinem Weibe sagte: »Mach' uns das Essen zurecht und kläre uns den Wein; richt' es jedoch gut an, denn dieser Jüngling überhäuft uns mit seiner Güte.« Da that seine Frau, wie er es sie geheißen hatte, und machte ihre Sache aufs beste, worauf er es nahm und Ibrāhîm, dem Sohn des Sultans, brachte.

Neunhundertundfünfundfünfzigste Nacht.

Hierauf aßen und tranken sie und waren fröhlich, bis der Jüngling zu weinen anhob und folgende beiden Verse sprach:

»O mein Freund, gäb' ich mein Leben hin,
Mein Geld und Gut, die Welt und was in ihr ist,
Den Garten der Ewigkeit selbst und das Paradies
Für die Stunde der Vereinigung, mein Herz schlösse den Kauf ab.«

Alsdann stöhnte er schwer auf und sank ohnmächtig zu Boden. Der Pförtner beseufzte ihn und sagte zu ihm, als er wieder zu sich kam: »Mein Herr, was macht dich weinen, und wen meinst du mit diesen Versen? Sie ist nichts weiter als Staub vor deinen Füßen.« Da erhob sich der Jüngling und sagte zum Pförtner, indem er ein Paket, den schönsten Frauenanzug enthaltend, hervorholte: »Nimm dies für deinen Harem.« Der Pförtner nahm das Paket und brachte es seiner Frau, worauf sie ihn begleitete und zum Jüngling eintrat. Als sie ihn wieder weinend antraf, sagte sie zu ihm: »Du zerbrichst uns das Herz; sag' uns, welche Schöne du haben willst, und sie soll deine Sklavin sein.« Da versetzte er: »Oheim, wisse, ich bin der Sohn El-Chasîbs, des Herrn von Ägypten, und ich habe mich in Dschamîle, die Tochter Abul-Leiths des Statthalters, verliebt.« Als die Frau des Pförtners dies vernahm, rief sie: »Gott! Gott! o mein Bruder, laß diese Worte, daß sie niemand 137 von uns hört und wir nicht das Leben verlieren; es giebt auf der ganzen Erde keine größere Tyrannin als sie, und niemand darf vor ihr von einem Mann reden, da sie männerscheu ist; kehr' dich deshalb von ihr zu einer andern, mein Sohn.« Als der Jüngling ihre Worte vernahm, weinte er bitterlich, so daß der Pförtner zu ihm sagte: »Ich habe nichts als mein Leben, doch wag' ich es aus Liebe zu dir und will dir einen Plan ausfindig machen, durch den du deinen Wunsch erreichen sollst.« Hierauf verließen ihn beide.

Am nächsten Morgen begab sich Ibrāhîm ins Bad und hatte sich gerade in seinen königlichen Anzug gekleidet, als der Pförtner und seine Frau zu ihm kamen und sagten: »Mein Herr, hier lebt ein buckeliger Schneider, welches der Schneider der Herrin Dschamîle ist. Geh' zu ihm und teil' ihm deine Lage mit, vielleicht wird er dir einen Weg zur Erlangung deines Zieles zeigen.« Da erhob sich der Jüngling und begab sich zum Laden des buckeligen Schneiders, wo er zehn Mamluken gleich Monden gewahrte. Er begrüßte sie, worauf sie ihm erfreut den Salâm erwiderten und ihn einluden Platz zu nehmen; doch waren sie ganz von seiner Schönheit und Anmut verwirrt. Ebenso war der buckelige Schneider bei seinem Anblick von seiner schönen Erscheinung ganz verdutzt; der Jüngling aber sagte nun zu ihm: »Ich wünschte, daß du mir die Tasche nähst.« Da trat der Schneider herzu, nahm einen seidenen Faden und nähte ihm die Tasche zu, die er absichtlich zerrissen hatte. Als er dann seine Arbeit beendet hatte, holte der Jüngling fünf Dinare hervor und gab sie ihm, worauf er zu seinem Zimmer heimkehrte, während der Schneider sprach: »Was habe ich für diesen Jüngling gethan, daß er mir fünf Dinare schenkt?« Hierauf verbrachte er in Gedanken über seine Schönheit und Großmut die Nacht.

Am andern Morgen begab sich Ibrāhîm wieder in den Laden des buckeligen Schneiders und begrüßte ihn, worauf dieser ihm den Salâm erwiderte und ihn aufs höflichste 138 willkommen hieß. Nachdem er sich gesetzt hatte, sagte er zum Buckeligen: »Oheim, nähe mir die Tasche, sie ist schon wieder zerrissen.« Der Buckelige erwiderte: »Auf Kopf und Auge, mein Sohn.« Dann trat er herzu und nähte sie ihm, worauf Ibrāhîm ihm zehn Dinare gab. Verblüfft von seiner Schönheit und Großmut, nahm er das Geld und sagte: »Jüngling, dieses dein Benehmen muß unbedingt einen Grund haben, und sicherlich handelt es sich hier nicht ums Nähen einer Tasche. Sag' mir die Wahrheit, und, solltest du in einen dieser Knaben verliebt sein, so ist, bei Gott, unter ihnen kein schönerer als du, und sie alle sind Staub unter deinen Füßen; siehe, sie stehen dir alle als Sklaven zur Verfügung. Hat's aber eine andere Bewandtnis, so sag' es mir.« Da versetzte er: »Oheim, dies ist kein Ort zum Reden, denn meine Geschichte ist wunderbar und mein Fall seltsam.« Hierauf versetzte der Schneider: »Wenn dem so ist, so laß uns in ein Privatgemach gehen.« Alsdann sprang er auf und faßte ihn bei der Hand, worauf er ihn in ein Zimmer hinter dem Laden führte und zu ihm sagte: »Jüngling, nun erzähl' mir deine Geschichte.« Da erzählte er ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende, worauf der Schneider bestürzt versetzte: »Jüngling, fürchte Gott für dein Leben, denn das Mädchen, von dem du sprichst, ist eine Tyrannin, die männerscheu ist. Hüte deshalb deine Zunge, mein Bruder, oder du stürzest dich ins Verderben.« Als der Jüngling seine Worte vernahm, weinte er bitterlich und rief, indem er sich an den Saum des Schneiders hing: »Hilf mir, Oheim, denn sonst komm ich um; siehe, ich habe mein und meines Vaters und Großvaters Reich verlassen und bin ein einsamer Fremdling in den Landen geworden; ohne sie kann ich es nicht mehr aushalten.« Als nun der Schneider sah, wie es mit ihm stand, erbarmte er sich sein und sagte zu ihm: »Mein Sohn, ich habe nur mein Leben, das aber will ich aus Liebe zu dir aufs Spiel setzen, denn du hast mein Herz verwundet. Morgen will ich dir einen Plan mitteilen, 139 der dein Herz trösten soll.« Da segnete ihn der Jüngling und kehrte zum Chân zurück, wo er die Worte des Buckeligen dem Pförtner mitteilte, der ihm erwiderte: »Er ist sehr gütig gegen dich gewesen.« Am nächsten Morgen zog der Jüngling seine besten Sachen an und nahm einen Beutel voll Dinaren zu sich, worauf er sich zum Buckeligen aufmachte. Nachdem er ihn begrüßt und sich gesetzt hatte, sagte er zu ihm: »Oheim, erfülle nun dein Versprechen.« Da entgegnete der Schneider: »Steh' sofort auf, nimm drei fette Hühner, drei Unzen Kandiszucker und zwei zierliche Krüge; fülle die letzteren mit Wein, nimm auch einen Becher und pack' alles dies in einen Sack. Nach dem Frühgebet steig' dann in ein Boot und sprich zum Fährmann: »Ich will den Strom hinab unterhalb von Basra fahren.« Wenn er dann zu dir sagt: »Ich kann nicht weiter als eine Parasange fahren,« so erwidere ihm: »Wie dir beliebt.« Ist er aber mit dir hinuntergefahren, so mache ihn mit Geld lüstern, bis er dich weiter fährt, und der erste Garten, den du dann gewahren wirst, ist der Garten der Herrin Dschamîle. Steig' hier aus und geh' zu seinem Thor, wo du zwei hohe Stufen mit brokatenem Teppich bedeckt sehen wirst, auf denen ein Buckeliger wie ich sitzt. Klag' ihm deinen Zustand und bitte ihn, vielleicht wird er Mitleid mit dir haben und dich sie sehen lassen, und wäre es auch nur für einen Augenblick aus der Ferne. Dies ist alles, was für dich zu thun in meiner Hand liegt, und, so er kein Mitleid mit dir empfindet, so kommen wir beide um. Das ist mein Rat, und die Sache steht bei Gott, dem Erhabenen.« Da versetzte der Jüngling: »Ich suche bei Gott, dem Erhabenen, Hilfe; was Gott will, geschieht, und es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott!« Hierauf verließ er den buckeligen Schneider und suchte sein Zimmer auf, worauf er alles, wie er es ihn geheißen hatte, in einen zierlichen Beutel steckte. Am nächsten Morgen begab er sich dann an das Ufer des Tigris, und, als er dort einen Fährmann schlafend antraf, weckte er ihn 140 und gab ihm zehn Dinare, indem er zu ihm sprach: »Fahre mich unterhalb von Basra den Strom hinunter.« Als dann der Fährmann zu ihm sagte: »Unter der Bedingung, mein Herr, daß ich dich nicht weiter als eine Parasange fahre; denn wenn ich auch nur um eine Spanne weiter fahre, kostet es mein und dein Leben, –« erwiderte er: »Wie es dir beliebt.« Hierauf nahm der Fährmann ihn ins Boot und fuhr mit ihm den Strom hinab, bis er, als er sich dem Garten näherte, sagte: »Mein Sohn, ich darf nicht weiter als bis hier; denn wenn ich diese Grenze überschreite, kostet es mein und dein Leben.« Da zog Ibrāhîm noch zehn Dinare heraus und gab sie ihm mit den Worten: »Hier hast du Geld deiner Lage aufzuhelfen.« Da schämte sich der Fährmann und sprach: »Ich stelle die Sache Gott, dem Erhabenen, anheim.«

Neunhundertundsechsundfünfzigste Nacht.

Alsdann fuhr er mit ihn weiter, bis sie zum Garten gelangten, wo sich der Jüngling erfreut erhob und aus dem Boot mit einem Satz von der Weite eines Speerwurfs sprang, worauf er sich niederwarf, während der Fährmann umkehrte und sich davonmachte. Dann schritt der Jüngling vorwärts und fand den Garten genau so, wie der Buckelige ihm denselben beschrieben hatte. Er sah auch das Thor offen stehen und gewahrte in der Thorhalle einen elfenbeinernen Thron, auf dem ein hübscher buckeliger Mann in goldgestickten Kleidern saß, der in seiner Hand eine silberne mit Gold verzierte Keule hielt. Da eilte er auf den Buckeligen zu und, sich über seine Hand neigend, küßte er sie, während der Buckelige ihn fragte: »Wer bist du, woher kommst du, und wer hat dich hierher gebracht, mein Sohn?« Der Buckelige war nämlich beim Anblick Ibrāhîms, des Sohnes des El-Chasîb, ganz verwirrt von seiner Anmut. Ibrāhîm versetzte nun: »Oheim, ich bin ein thörichter fremder Knabe.« Alsdann weinte er, daß der Buckelige Mitleid mit ihm 141 verspürte und, ihn zu sich auf seinen Sitz nehmend, ihm die Thränen abwischte und zu ihm sagte: »Sei unbesorgt; wenn du Schulden hast, so bezahle Gott deine Schulden, und, so du in Furcht bist, so gebe dir Gott Frieden!« Da entgegnete Ibrāhîm: »Oheim, ich bin weder in Furcht, noch habe ich Schulden; ich habe mit Gottes Hilfe viel Geld, Gott sei Dank!« Da fragte der Buckelige: »Mein Sohn, was ist dann dein Begehr, daß du dein Leben und deine Schönheit an einer Stätte des Verderbens aufs Spiel setzest?« Nun erzählte er ihm seine Geschichte und trug ihm seine Sache vor, worauf der Buckelige sein Haupt eine Weile zu Boden senkte; dann fragte er: »Hat dich etwa der buckelige Schneider hierher gewiesen?« Ibrāhîm versetzte: »Jawohl.« Da sagte er: »Das ist mein Bruder, und er ist ein gesegneter Mann. Jedoch, mein Sohn, wäre Liebe und Mitleid zu dir nicht in mein Herz eingekehrt, so wäre es um dich, meinen Bruder, den Pförtner des Châns und sein Weib geschehen. Wisse, auf der ganzen Erde giebt's keinen Garten wie diesen, welcher der Garten der Perle heißt; und mein Lebenlang hat ihn niemand anderes betreten als der Sultan, ich und seine Besitzerin Dschamîle. Seit zwanzig Jahren weile ich hier, und niemals sah ich jemand hierher kommen; alle vierzig Tage aber kommt sie zu Schiff hierher und steigt inmitten ihrer Mädchen in einem Kleid aus Atlas an den Strand, dessen Saum zehn Mädchen mit goldenen Haken tragen, bis sie in den Garten getreten ist, ohne daß ich etwas von ihr zu sehen bekäme. Jedoch hab' ich nichts weiter als mein Leben, und das will ich für dich aufs Spiel setzen.« Da küßte der Jüngling ihm die Hand, während der Buckelige zu ihm sagte: »Bleib' bei mir, bis ich dir einen Plan ersonnen habe.« Alsdann faßte er den Jüngling bei der Hand und führte ihn in den Garten, der Ibrāhîm das Paradies zu sein deuchte, denn die Bäume verzweigten sich dort ineinander, die Palmen ragten hoch, die Wasser flossen hoch in den Ufern einher, und die Vögel trillerten ihre 142 verschiedenen Weisen. Der Buckelige führte ihn zu einem Pavillon und sagte zu ihm: »Hier pflegt die Herrin Dschamîle zu sitzen.« Da betrachtete er ihn genau und fand, daß er einer der wunderbarsten Lustplätzchen war, mit allerlei Malereien in Gold und Lazur verziert und mit vier Thüren versehen, zu denen man auf fünf Stufen emporstieg; in ihm aber befand sich ein Wasserbecken, zu dem man auf goldenen, edelsteinbesetzten Stufen hinunterstieg, in dessen Mitte ein goldener Springbrunnen mit großen und kleinen Figuren war, aus deren Mund das Wasser sprang, wobei sie verschiedene Töne von sich gaben, daß jeder, der es hörte, im Paradiese zu sein glaubte. Rings um den Pavillon lief ein Bewässerungskanal, dessen Schöpfeimer aus Silber bestanden, das mit Brokat bekleidet war. Zur Linken des Kanals befand sich ein silbernes Gitter, durch das man auf eine grüne Wiese sehen konnte, auf der sich allerlei wilde Tiere, Gazellen und Hasen befanden, während auf der rechten Seite ein anderes Gitter auf einen freien Plan voll allerlei Vögel ging, die in vielstimmigem Chor, die Hörer bezaubernd, zwitscherten. Als der Jüngling dies sah, geriet er in Entzücken und setzte sich in das Gartenthor, worauf sich der Gärtner an seine Seite setzte und ihn fragte: »Wie gefällt dir mein Garten?« Der Jüngling versetzte: »Er ist das irdische Paradies.« Da lachte der Gärtner und, sich erhebend, ging er fort, um nach einer Weile mit einem Tablett voll Hühner und Wachteln und andern hübschen Speisen nebst Zuckerkonfekt wiederzukommen; indem er das Tablett vor den Jüngling setzte, sagte er zu ihm: »Iß dich satt.« – »Da aß ich,« – so erzählt Ibrāhîm, »bis ich satt war; als mich aber der Gärtner essen sah, rief er erfreut: »Bei Gott, so essen Könige, die Söhne von Königen!« Alsdann fragte er: »Ibrāhîm, was hast du da im Sack bei dir?« Da öffnete ich ihn vor ihm, worauf er versetzte: »Nimm ihn mit, denn er wird dir dienlich sein, wenn die Herrin Dschamîle kommt. Ist sie nämlich gekommen, so kann ich dir nichts zu essen 143 bringen.« Hierauf erhob er sich, und, mich bei der Hand fassend, führte er mich an eine Stelle gegenüber Dschamîles Pavillon, wo er eine Laube machte und zu mir sagte: »Steig' hier hinauf, du kannst sie von hier aus sehen, ohne von ihr gesehen zu werden; das ist der beste Weg, den ich weiß, und auf Gott ruht unser Vertrauen. Wenn sie singt, so trink' zu ihrem Gesang, und, wenn sie fortgeht, so zieh' deines Weges, woher du gekommen bist, so Gott will, wohlbehalten.« Da dankte ihm der Jüngling und wollte ihm die Hand küssen, während er es ihm wehrte. Dann stellte er den Sack in die Laube, die der Gärtner ihm gemacht hatte, worauf dieser zu ihm sagte: »Ibrāhîm, spaziere im Garten und iß von seinen Früchten; morgen aber ist der Tag, an dem deine Herrin kommt.« Da lustwandelte Ibrāhîm im Garten und aß von seinen Früchten, worauf er die Nacht beim Gärtner zubrachte. Als dann der Morgen anbrach und es licht ward und tagte, verrichtete Ibrāhîm das Morgengebet, als der Gärtner mit einem Mal gelb im Gesicht ankam und zu ihm sagte: »Mach' dich auf, mein Sohn und steig' hinauf in die Laube, denn die Mädchen kommen schon, um den Ort zurecht zu machen, und gleich nach ihnen erscheint sie.

Neunhundertundsiebenundfünfzigste Nacht.

Hüte dich zu spucken, dich zu schneuzen oder zu niesen, oder es geht uns beiden ans Leben.« Da erhob sich der Jüngling und stieg hinauf in die Laube, während der Gärtner mit den Worten fortging: »Gott schütze dich, mein Sohn!« Wie nun der Jüngling dasaß, kamen mit einem Mal fünf Mädchen an, wie er keines ihresgleichen gesehen hatte, und betraten den Pavillon, wo sie ihre Sachen auszogen, worauf sie den Pavillon scheuerten, ihn mit Rosenwasser besprengten, mit Aloe und Ambra durchräucherten und mit Brokat belegten. Dann kamen fünf andere Mädchen mit Musikinstrumenten an, inmitten derer sich Dschamîle unter einem Zelt aus rotem Brokat befand, dessen Säume die Mädchen mit 144 goldenen Haken trugen, bis sie in den Pavillon trat, ohne daß der Jüngling weder von ihr noch selbst von ihren Kleidern etwas zu sehen bekommen hätte. Da sprach er bei sich: »Bei Gott, alle meine Mühe ist umsonst gewesen! Jedoch will ich abwarten und sehen, was daraus werden wird.« Hierauf brachten die Mädchen Speise und Trank, und, als sie gegessen und getrunken und sich die Hände gewaschen hatten, stellten sie ihr einen Thron hin, auf den sie sich setzte; dann spielten sie alle die Musikinstrumente und sangen mit entzückender, unvergleichlicher Stimme. Alsdann kam eine alte Aufsichtsdame heraus und klatschte in die Hände und tanzte, während die Mädchen sie herumzerrten, bis mit einem Male der Vorhang gelüftet wurde, worauf Dschamîle lachend herauskam, und Ibrāhîm sie in ihren Schmucksachen und Gewändern sah, mit einer perlen- und juwelenbesetzten Krone auf dem Haupt, einem Perlenhalsband um den Nacken und mit einem Gurt aus chrysolithenen Stäben und Schnüren von Hyazinthen und Perlen um die Taille. Da erhoben sich die Mädchen und küßten, während sie lachte, die Erde vor ihr. »Als ich sie aber sah,« – so erzählt Ibrāhîm, der Sohn des El-Chasîb, – »kam ich von Sinnen; mein Verstand ward betäubt, und meine Gedanken verwirrten sich von ihrem blendenden Liebreiz, wie desgleichen auf der ganzen Erde nicht vorhanden war, so daß ich in Ohnmacht sank. Als ich dann weinenden Auges wieder zu mir kam, sprach ich die beiden Verse:

Ich schaue dich und mag meine Augen nicht schließen,
Auf daß meine Lider mir nicht deinen Anblick verhüllen.
Und wenn ich dich auch schaute mit jedem meiner Blicke,
Meine Augen könnten deine Reize nicht in sich aufnehmen.«

Hierauf sagte die Alte zu den Mädchen: »Nun sollen sich zehn von euch daran machen und tanzen und singen.« Als Ibrāhîm sie erblickte, sprach er bei sich: »Ich wünschte, die Herrin Dschamîle tanzte ebenfalls.« Wie nun die zehn Mädchen ihren Tanz beendet hatten, umringten sie ihre 145 Herrin und sprachen zu ihr: »O Herrin, wir wünschten, du tanztest auch in unserm Kreise, damit unsere Freude hierdurch vollkommen würde, denn wir sahen keinen angenehmeren Tag als den heutigen.« Da sprach Ibrāhîm, der Sohn des El-Chasîb, bei sich: »Zweifellos sind die Pforten des Himmels aufgethan, und Gott hat mein Gebet erhört.« Alsdann küßten ihr die Mädchen die Füße und sprachen zu ihr: »Bei Gott, wir sahen deine Brust nie so fröhlich geschwellt wie heute!« Und so ließen sie nicht nach in ihr die Lust zum Tanzen rege zu machen, bis sie ihre Oberkleider ablegte und nun in einem mit Gold durchwirkten und mit allerlei Edelsteinen besetzten Hemde dastand, aus dem die Brüste wie Granatäpfel hervorstanden, und ein Gesicht entschleierte, das wie der Mond in der Nacht seiner Rundung erstrahlte. Und nun schaute Ibrāhîm Bewegungen, wie er sie in seinem ganzen Leben nicht gesehen hatte; denn sie tanzte in so merkwürdiger Weise und nach so wunderbarer Erfindung, daß sie einen die Perlen in den Bechern vergessen ließ und an auf den Köpfen wackelnde Turbane erinnerte. Und es galt das Dichterwort von ihr:

»Nach ihrem Wunsch ward sie erschaffen, so daß sie im Ebenmaß gebildet ward,
In der Schönheit Form, weder lang noch kurz.
Es ist, als wär' sie aus Perlenwasser erschaffen,
Denn aus jedem ihrer schönen Glieder glitzert ein Mond.«

Oder wie ein anderer sagt:

Ein Tänzer mit einer Gestalt gleich dem Reis des Bân;
Mit seinen Bewegungen raubt er mir fast die Seele;
Kein Fuß kann ruhig bleiben bei seinem Tanz,
Als wär' meines Herzens Feuer unter seinen Füßen.«

»Während ich nun nach ihr schaute,« – so erzählt Ibrāhîm, – »da wendete sie sich plötzlich zu mir hin und gewahrte mich. Sobald sie mich aber erblickte, veränderten sich ihre Züge, und sie sagte zu ihren Mädchen: »Singt, bis ich zu euch zurückkehre.« Alsdann nahm sie ein Messer von 146 der Länge einer halben Elle und kam auf mich zu mit den Worten: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Als sie nahe bei mir war, verlor ich das Bewußtsein; wie sie mich nun aber ansah, fiel ihr das Messer aus der Hand, und sie rief: »Preis sei Ihm, der die Herzen verwandelt!« Hierauf sagte sie zu mir: »Jüngling, sei guter Dinge, denn du bist sicher vor dem, was du befürchtest.« Da begann ich zu weinen, sie aber sprach, indem sie mir mit ihrer Hand die Thränen abwischte: »Jüngling, sag' mir, wer du bist, und wer dich hierher gebracht hat.« Ich küßte nun die Erde vor ihr und erfaßte ihren Saum, worauf sie sagte: »Sei unbesorgt, denn kein andrer Mann als du hat mein Auge erfüllt; sag' mir daher, wer du bist.« Da erzählte ich ihr meine Geschichte von Anfang bis zu Ende, worauf sie verwundert zu mir sagte: »Ich beschwöre dich bei Gott, bist du Ibrāhîm, der Sohn des El-Chasîb?« Ich versetzte: »Jawohl.« Da warf sie sich auf mich und sagte: »Mein Herr, du warst es, um dessentwillen ich die Männer mied, denn, als ich vernahm, daß in Ägypten ein Jüngling lebte, wie es keinen hübscheren in der ganzen Welt gäbe, liebte ich dich nach der Beschreibung und verlor mein Herz an dich, um der bewundernswerten Anmut willen, die du besitzen solltest; und es erging mir in Bezug auf dich, wie der Dichter sagt:

»Mein Ohr verliebte sich früher als mein Aug' in ihn,
Denn zuzeiten verliebt sich das Ohr vor dem Aug'.«

Gelobt sei daher Gott, der mich dein Antlitz schauen ließ! Bei Gott, wäre es ein anderer als du gewesen, so hätte ich den Gärtner, den Pförtner des Châns, den Schneider und, wer bei ihnen seine Zuflucht nahm, kreuzigen lassen. Wie aber soll ich es anstellen, daß du etwas issest, ohne daß es meine Mädchen merken?« Ich erwiderte ihr: »Ich habe für uns zum Essen und Trinken bei mir.« Dann öffnete ich vor ihr den Sack und holte ein Huhn heraus, worauf wir uns gegenseitig die Bissen in den Mund steckten; und als ich 147 sie dies thun sah, wähnte ich, es wäre ein Traum. Hierauf holte ich den Wein hervor, und wir tranken, während die Mädchen sangen; und in dieser Weise verbrachten wir die Zeit vom Morgen bis zum Mittag, worauf sie sich erhob und zu mir sagte: »Steh' jetzt auf, verschaff' dir ein Fahrzeug und erwart' mich an dem und dem Platz, bis ich zu dir komme, denn ich kann es nicht aushalten, von dir getrennt zu sein.« Ich versetzte: »Meine Herrin, ich habe ein eigenes Boot hier, dessen Schiffer in meinem Sold stehen und mich erwarten.« Da erwiderte sie: »Das ist das erwünschte;« alsdann kehrte sie zu ihren Mädchen zurück, –

Neunhundertundachtundfünfzigste Nacht.

und sagte zu ihnen: »Kommt, laßt uns zu unserm Schloß zurückkehren.« Sie entgegneten: »Warum sollen wir denn jetzt heimkehren, wo wir für gewöhnlich doch drei Tage hier zu bleiben pflegen?« Sie erwiderte: »Ich fühle mich schwer bedrückt, als ob ich krank wäre, und ich fürchte es könnte noch schlimmer werden.« Da versetzten sie: »Wir hören und gehorchen,« und zogen ihre Sache an, worauf sie ans Ufer gingen und in den Nachen stiegen. Der Gärtner aber ging nun zu Ibrāhîm, ohne eine Ahnung vom vorgefallenen zu haben, und sagte zu ihm: »Ibrāhîm, du hast kein Glück, ihren Anblick zu genießen, denn sonst pflegt sie hier drei Tage zu verweilen; ich fürchte, sie hat dich gesehen.« Ibrāhîm versetzte: »Weder sie hat mich noch habe ich sie gesehen, denn sie kam gar nicht aus dem Pavillon heraus.« Der Gärtner erwiderte hierauf: »Du sprichst die Wahrheit, mein Sohn, denn, wenn sie dich gesehen hätte, wäre es um uns geschehen gewesen. Bleib' jedoch bei mir, bis sie in der nächsten Woche wiederkommt, und du dich an ihr satt sehen kannst.« Ibrāhîm entgegnete: »Mein Herr, ich habe Geld bei mir und fürchte für dasselbe; außerdem hab' ich auch Leute zu Hause gelassen, und ich fürchte, sie machen sich meine Abwesenheit zu Nutz.« Da versetzte der Gärtner: 148 »Ach, mein Sohn, es fällt mir schwer, mich von dir zu trennen;« und, ihn umarmend, nahm er von ihm Abschied. Hierauf kehrte Ibrāhîm zu dem Chân zurück, in den er eingekehrt war, und suchte den Pförtner auf, von dem er sich all sein Geld geben ließ, während der Pförtner fragte: »Gute Nachricht, so Gott will?« Ibrāhîm versetzte: »Ich habe keinen Weg zu meinem Wunsch gefunden und will zu meinen Angehörigen heimkehren.« Da nahm der Pförtner weinend von ihm Abschied und trug ihm seine Sachen zum Fahrzeug, worauf Ibrāhîm zu der Stelle fuhr, die sie ihm angegeben hatte, und dort auf sie wartete. Als das Dunkel der Nacht hereingebrochen war, kam sie mit einem Male als Krieger verkleidet mit einem Vollbart und einem Gurt um den Leib an, in einer Hand Bogen und Pfeil und in der andern ein blankes Schwert haltend, und fragte: »Bist du Ibrāhîm, der Sohn des El-Chasîb, des Herrn von Ägypten?« – »Als ich« – so erzählt Ibrāhîm, – »es bejahte, sagte sie: »Was bist du für ein Galgenstrick, daß du Königstöchter zu verführen kommst? Steh' auf und steh' dem Sultan Rede.« Da fiel ich in Ohnmacht, und die Schiffer starben vor Furcht in ihrer Haut. Als sie nun aber sah, wie es mit mir stand, riß sie den Bart ab, warf das Schwert fort und nahm den Gurt ab, worauf ich sah, daß es die Herrin Dschamîle war. Da sagte ich zu ihr: »Bei Gott, du hast mir das Herz zerschnitten;« dann befahl ich den Schiffern: »Fahrt schnell;« worauf sie das Segel losmachten und schnell absegelten. Schon nach wenig Tagen gelangten wir nach Bagdad, wo ein Fahrzeug am Ufer hielt; und die Schiffer jenes Fahrzeuges riefen, als sie uns erblickten, unsern Schiffern zu: »He, du da und du da, wir beglückwünschen euch zu eurer wohlbehaltenen Heimkehr.« Hierauf steuerte es auf unser Fahrzeug zu, und nun gewahrten wir, daß sich Abul-Kâsim es-Sandalânī in ihm befand. Sobald er uns erblickte, rief er: »Das ist das erwünschte; zieht fort in Gottes Hut; ich aber habe eine Sache zu erledigen.« Er hatte aber 149 eine Kerze vor sich; und nun sagte er zu mir: »Gelobt sei Gott für deine wohlbehaltene Heimkehr! Hast du dein Anliegen erledigt?« Ich versetzte: »Jawohl.« Da führte er die Kerze nahe an uns, und Dschamîle ward bei seinem Anblick bestürzt und wechselte die Farbe. Als Es-Sandalânī sie jedoch geschaut hatte, sprach er: »Ziehet hin in Gottes Schutz, ich gehe nach Basra in einem Geschäft mit dem Sultan; das Geschenk aber gehört dem Anwesenden.« Hierauf zog er eine Schachtel Konfekt hervor, an das Bendsch gethan war, und warf es in unser Fahrzeug. Als ich dann zu Dschamîle sagte: »Mein Augentrost, iß hiervon,« weinte sie und entgegnete: »Ibrāhîm, weißt du auch, wer das ist?« Ich versetzte: »Ja; es ist der und der.« Da sagte sie: »Es ist mein Vetter von Vaterseite, der zuvor bei meinem Vater um mich anhielt, während ich ihn nicht haben mochte; und nun geht er nach Basra und sagt es gewiß meinem Vater.« Ich erwiderte: »Meine Herrin, ehe er nach Basra kommt, sind wir bereits in Ägypten eingetroffen;« und so wußten wir nicht, was über uns im Verborgenen verhängt war.

Als ich aber etwas vom Konfekt aß, da schlug ich, ehe es noch in meinen Magen gekommen war, leblos mit dem Kopf auf die Erde, bis ich um die Zeit der Morgendämmerung niesen mußte, worauf der Bendsch aus meinen Nasenlöchern flog. Meine Augen öffnend, fand ich mich nackend und zwischen Ruinen liegend, so daß ich mir vors Gesicht schlug und bei mir sprach: »Das ist ein Streich, den mir Es-Sandalânī gespielt hat.« Und ich wußte nicht, wohin ich gehen sollte, da ich außer meinen Hosen nichts anhatte. Ich erhob mich jedoch, hatte aber erst wenige Schritte gethan, als ich mit einem Male den Wâlī nebst einer Schar mit Schwertern und Schilden auf mich zukommen sah. Da fürchtete ich mich und, ein zerfallenes Hammâmbad gewahrend, versteckte ich mich in demselben, wobei mein Fuß über etwas strauchelte. Ich streckte deshalb meine Hand nach dem Gegenstand aus, und da wurde sie mit Blut besudelt, das 150 ich, ohne zu wissen, was es war, an meinen Hosen abwischte. Dann streckte ich meine Hand noch einmal aus, und nun stieß ich mit ihr an einen Toten und hob dessen Haupt auf. Da warf ich es fort und rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« worauf ich mich in einem der Winkel des Bades versteckte. Mit einem Male aber stand der Wâlī auch schon an der Thür des Bades und sagte: »Geht hier hinein und sucht nach.« Da traten zehn Mann mit Fackeln herein, während ich mich in meiner Furcht hinter einer Mauer verbarg, wobei ich den Leichnam betrachtete und gewahrte, daß er einem Mädchen mit einem Antlitz wie der Vollmond gehörte, dessen Kopf auf der einen und dessen Rumpf, der in kostbare Kleider gekleidet war, auf der andern Seite lag. Als ich dies sah, krampfte sich mein Herz zusammen; der Wâlī aber trat herein und sagte: »Sucht die Winkel des Bades ab.« Hierauf kamen sie an den Ort, an dem ich mich befand, und einer von ihnen, der in seiner Hand ein Messer von der Länge einer halben Elle hielt, näherte sich mir und rief, als er mich erblickte: »Preis sei Gott, dem Schöpfer dieses schönen Gesichts! Bursche, woher bist du?« Alsdann packte er mich bei der Hand und sagte: »Bursche, weshalb hast du dieses Mädchen umgebracht?« Ich versetzte: »Bei Gott, ich hab' es nicht gethan; ich weiß nicht, wer ihr Mörder ist, und versteckte mich hier nur aus Furcht vor euch.« Hierauf erzählte ich ihm meine Geschichte und sagte zu ihm: »Um Gott, thu' mir kein Unrecht an, denn ich fürchte für mein Leben.« Er aber nahm mich und führte mich vor den Wâlī, der, sobald er die Blutspur an meiner Hand sah, sagte: »Dies bedarf keines Beweises; schlagt ihm den Kopf ab.«

Neunhundertundneunundfünfzigste Nacht.

Als ich diese Worte von ihm hörte, weinte ich bitterlich und sprach, während mir die Thränen aus den Augen liefen, die beiden Verse: 151

»Wir schreiten die Schritte, die uns vorgeschrieben sind,
Und wem die Schritte vorgeschrieben sind, der muß sie schreiten.
Und wessen Ende in einem Lande verhängt ist,
Der stirbt in keinem andern Lande als ihm.«

Alsdann stieß ich einen schweren Seufzer aus und sank in Ohnmacht, so daß des Henkers Herz Mitleid für mich empfand, und er sprach: »Bei Gott, das ist keines Mörders Gesicht.« Der Wâlī rief jedoch: »Schlagt ihm den Kopf ab,« worauf sie mich aufs Blutleder setzten und mir eine Binde um die Augen legten. Dann packte der Scharfrichter das Schwert und bat den Wâlī um Erlaubnis, und schon war er drauf und dran, mir den Kopf abzuhauen, während ich schrie: »Weh meiner Fremdlingschaft!« als mit einem Male Pferde herangesprengt kamen, und eine Stimme rief: »Laßt ihn! Halt ein, Scharfrichter!« Die Ursache hiervon war aber wunderbar und die Sache ganz merkwürdig. El-Chasîb, der Herr von Ägypten, hatte nämlich seinen Kämmerling mit Geschenken und Raritäten zum Chalifen Hārûn er-Raschîd geschickt und ihm zugleich einen Brief mitgegeben, in dem geschrieben stand: »Mein Sohn ist seit einem Jahre verschwunden, und ich vernahm, daß er in Bagdad ist. Ich wende mich daher an die Huld des Chalifen Gottes mit der Bitte nach ihm Nachforschungen anzustellen und sich Mühe zu geben ihn aufzusuchen und ihn mir mit dem Kämmerling zurückzusenden.« Als der Chalife den Brief gelesen hatte, befahl er dem Wâlī, den Sachverhalt festzustellen, worauf der Wâlī und der Chalife unablässig nach ihm Nachfrage hielten, bis der Wâlī vernahm, daß er sich in Basra befände. Als er dies dem Chalifen mitteilte, schrieb der Chalife einen Brief und gab denselben dem Kämmerling aus Ägypten mit dem Befehl, nach Basra zu reisen und eine Abteilung vom Gefolge des Wesirs mitzunehmen. So war er im Eifer für den Sohn seines Herrn sofort ausgezogen und traf den Jüngling gerade an, wie er vor dem Wâlī auf dem Blutleder kniete. Als nun der Wâlī den 152 Kämmerling erblickte und ihn erkannte, ging er ihm entgegen und erzählte dem Kämmerling, als dieser ihn nach dem Jüngling befragte, die Geschichte, worauf der Kämmerling, ohne daß er in ihm den Sohn des Sultans erkannte, sagte: »Er hat nicht das Gesicht eines Mörders,« und seine Stricke zu lösen befahl. Dann sagte er: »Führt ihn vor mich;« und, als sie dies gethan hatten, sprach er zu ihm: »Erzähl' mir deine Geschichte, Jüngling, und sag' mir, wie dieses ermordete Mädchen zu dir kommt.« In den großen Ängsten nämlich, die der Jüngling auszustehen gehabt hatte, war seine Schönheit völlig geschwunden. Als nun Ibrāhîm den Kämmerling anschaute, erkannte er ihn und entgegnete ihm: »Weh' dir, kennst du mich nicht? Bin ich denn nicht Ibrāhîm, der Sohn deines Herrn? Vielleicht kommst du mich zu suchen?« Da faßte ihn der Kämmerling scharf ins Auge und, als er ihn nun genau erkannte, warf er sich auf seine Füße, so daß der Wâlī angesichts dessen gelb im Gesicht wurde. Der Kämmerling aber fuhr ihn nun an: »Weh' dir, Tyrann, wolltest du den Sohn meines Herrn El-Chasîb, des Herrn von Ägypten, töten?« Da küßte der Wâlī den Saum des Kämmerlings und sagte zu ihm: »Mein Gebieter, woher sollte ich ihn kennen? Wir trafen ihn in diesem Aufzug an und sahen das Mädchen ermordet neben ihm liegen.« Der Kämmerling versetzte jedoch: »Weh' dir! Du passest nicht für dein Amt; dieser Jüngling zählt fünfzehn Jahre und hat bisher keinen Spatz umgebracht, wie sollte er da einen Menschen töten? Warum gabst du ihm denn keine Frist und fragtest ihn aus?« Hierauf riefen der Wâlī und der Kämmerling: »Sucht nach dem Mörder des Mädchens.« Da gingen sie noch einmal ins Bad und fanden den Mörder, worauf sie ihn festnahmen und ihn zum Wâlī in den Chalifenpalast schleppten, der dem Chalifen den Vorfall vortrug. Er-Raschîd erteilte nun Befehl, den Mörder des Mädchens hinzurichten und ließ sich dann den Sohn El-Chasîbs vorführen. Als er vor ihm stand, lächelte ihm 153 Er-Raschîd ins Gesicht und sprach zu ihm: »Erzähl' mir deine Geschichte und dein Abenteuer.« Da erzählte er ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende, worauf der Chalife zornig den Schwertmeister Mesrûr rief und ihm befahl: »Mach' dich sofort auf, fall' über das Haus Abul-Kâsim es-Sandalânīs her und bring' ihn und das Mädchen vor mich.« Da machte sich Mesrûr unverzüglich auf und überfiel sein Haus, wo er das Mädchen mit ihrem eigenen Haar gefesselt und nahe dem Tod fand. Er befreite sie und führte sie und Es-Sandalânī vor Er-Raschîd, der sich über ihre Anmut verwunderte. Dann wendete er sich zu Es-Sandalânī und befahl: »Packt ihn, haut ihm die Hände ab, mit denen er dieses Mädchen schlug, und kreuzigt ihn; sein Geld aber und seine Güter übergebt Ibrāhîm.« Während sie des Chalifen Befehl vollzogen, erschien mit einem Male Abul-Leith, der Gouverneur von Basra und Vater der Herrin Dschamîle, und ging den Chalifen um Hilfe gegen Ibrāhîm, den Sohn des El-Chasîb, des Herrn von Ägypten, an, indem er sich bei ihm beklagte, daß er ihm seine Tochter entführt hätte. Er-Raschîd versetzte: »Er war die Ursache ihrer Befreiung von Folter und Tod.« Dann ließ er El-Chasîbs Sohn vor sich kommen und sagte zu Abul-Leith: »Bist du nicht mit diesem Jüngling, dem Sohn des Sultans von Ägypten, als dem Gemahl deiner Tochter einverstanden?« Er erwiderte: »Ich höre und gehorche Gott und dir, o Fürst der Gläubigen.« Da ließ der Chalife den Kadi und die Zeugen rufen und vermählte das Mädchen mit Ibrāhîm, dem Sohn des El-Chasîb, dem er alles Geld Es-Sandalânīs schenkte, worauf er ihn zur Rückkehr nach seinem Lande ausrüstete. Dort lebte er mit ihr in vollkommenster Freude und Fröhlichkeit, bis der Zerstörer der Freuden und der Trenner der Vereinigungen sie heimsuchte. Preis dem Lebendigen, der nimmer stirbt! 154

 


 


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