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Tausend und eine Nacht. Band IV
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Schluß der Geschichte des Königs Omar en-Noomân und seiner Söhne.

Als der Wesir Dendân seine Geschichte beendet hatte, sagte Dau el-Makân zu ihm: »Ein Mann wie du verdient der Könige Tischgenoß zu sein und ihnen den besten Rat in der Leitung der Staatsgeschäfte zu erteilen.«

Alles dies aber trug sich zu, während sie Konstantinopel belagerten, bis sie nach Verlauf von vier Jahren nach ihrer Heimat verlangten, und die Truppen, überdrüssig der langen 125 Belagerung und des Kämpfens bei Tag und Nacht, murrten. Da befahl der König Dau el-Makân Bahrâm, Rostem und Tarkâsch herbei zu rufen und sprach zu ihnen, sobald sie vor ihm erschienen waren: »Wisset, alle diese Jahre haben wir hier gelegen, ohne unsere Absicht zu erreichen, vielmehr ist unser Kummer und Leid nur gewachsen. Um das Blut des Königs Omar en-Noomân zu rächen, sind wir hierher gekommen, und mein Bruder Scharrkân wurde ermordet, so daß der eine Schmerz verdoppelt wurde, und aus einem Unglück zwei erstanden. Schuld aber an alledem ist allein die alte Zât ed-Dawâhī. Sie ist es, welche den Sultan in seinem eigenen Reiche ermordet und seine Gattin, die Königin Sophia, mit sich genommen hat. Nicht zufrieden hiermit, mußte sie dann noch wider uns ihre List ins Werk setzen und meinem Bruder die Kehle abschneiden. Ich aber habe einen heiligen Eidschwur gethan Blutrache zu nehmen. Was sagt ihr nun hierzu? Erwäget meine Ansprache und erstattet mir Antwort.« Da senkten sie das Haupt und überwiesen die Angelegenheit dem Wesir Dendân, welcher nun vor den König Dau el-Makân trat und also zu ihm sprach: »Wisse, o König der Zeit, ein weiteres Verweilen hierselbst ist nutzlos, und geht mein Rat dahin, daß wir mit Sack und Pack nach der Heimat ziehen und erst wieder nach längerem Verweilen daselbst eine Razzia unter den Götzendienern abhalten.« Der König antwortete: »Dein Rat ist ausgezeichnet, weil sich das Kriegsvolk nach dem Anblick seiner Familien sehnt, und auch ich von Sehnsucht nach meinem Sohne Kân-mā-kân gequält werde und nach meines Bruders Tochter Kudia-fakân, von deren Ergehen ich nichts weiß, da sie in Damaskus lebt.«

Als nun die Truppen diesen Beschluß vernahmen, freuten sie sich und erflehten auf den Wesir Dendân Segen. Der König Dau el-Makân aber befahl dem Herold unter dem Heere auszurufen, daß nach Verlauf von drei Tagen abmarschiert werden sollte. Infolgedessen rüsteten sich alle zum Aufbruch, und am vierten Tage wirbelten die Pauken, die 126 Banner wurden entrollt, der Wesir Dendân zog voran an der Spitze des Heeres und der König ritt inmitten der Truppen, ihm zur Seite der Großkämmerling. So zog das Heer in Eilmärschen Tag und Nacht. bis es nach der Stadt Bagdad gelangte, wo das Volk, ledig aller Sorge und Furcht, sich über ihre Ankunft freute. Hierauf begab sich jeder Emir in seine Wohnung, und der König stieg zum Schloß hinauf und suchte seinen Sohn Kân-mā-kân auf, welcher nunmehr sieben Jahre alt geworden war und bereits die Rosse tummelte.

Nachdem sich dann der König von dem Marsch ausgeruht hatte, begab er sich mit seinem Sohne Kân-mā-kân ins Bad, worauf er sich, von dort zurückgekehrt, auf den Thron des Reiches setzte, während sich der Wesir Dendân vor ihn stellte, und die Emire und Vornehmen des Reiches erschienen, und ihren Platz, des Befehles des Königs gewärtig, einnahmen. Alsdann befahl der König seinen Freund, den Heizer, der ihm während seiner Fremdlingschaft so viel Gutes erwiesen hatte, vorzuführen. Als derselbe nun vor ihn gebracht wurde, und der König ihn auf sich zukommen sah, erhob er sich vor ihm und ließ ihn an seiner Seite Platz nehmen. Der König Dau el-Makân hatte jedoch dem Wesir Dendân zuvor all das Gute, das sein Freund, der Heizer, an ihm gethan hatte, erzählt, so daß er in seinen Augen und den Augen der Emire ein großer Mann war. Der Heizer aber war vom Essen und dem beschaulichen Leben dick und fett geworden und hatte einen Hals wie ein Elefant und einen Bauch wie ein Delphin bekommen. Überdies hatte sein Verstand gelitten, da er niemals sein Haus verlassen hatte, so daß er den König an seinen Abzeichen nicht erkannte. Der König trat nun auf ihn zu, lachte ihm freundlich ins Gesicht, hieß ihn mit den besten Wünschen willkommen und sagte zu ihm: »Wie schnell hast du mich doch vergessen!« Als der Heizer jetzt seinen Blick fest auf ihn richtete und ihn erkannte und seiner Sache gewiß war, erhob er sich vor 127 ihm auf seine Füße und sagte zu ihm: »Mein Freund, wer hat dich zum Sultan gemacht?« Der König Dau el-Makân lachte, der Wesir Dendân aber redete nun zu ihm, erzählte ihm die ganze Geschichte und sagte zu ihm: »Siehe, er war dein Bruder und dein Freund, jetzt aber ist er der Landesherr geworden, und sollst du jetzt von ihm großen Lohn erhalten. Ich rate dir demnach, sagt er zu dir: »Erbitte dir etwas von mir,« so erbitte dir nur etwas großes, da du bei ihm in hohen Ehren stehst.« Da sagte der Heizer: »Ich fürchte, wenn ich mir etwas von ihm erbitte, so wird er es mir nicht gewähren wollen oder nicht zu gewähren vermögen.« Der Wesir entgegnete ihm jedoch: »Sprich nur, alles, was du wünschen magst, wird er dir geben.« Da sagte der Heizer: »Bei Gott, ich muß mir etwas von ihm erbitten, wonach meine Gedanken stehen; alle Nächte träume ich davon und bitte Gott, daß er es mir gewährt.« Der Wesir erwiderte: »Sei guter Dinge, bei Gott, wolltest du dir auch den Statthalterposten von Damaskus an Stelle seines Bruders erbitten, du solltest ihn von ihm erhalten.« Infolgedessen erhob sich der Heizer und weigerte sich wieder zu setzen, als Dau el-Makân ihn durch ein Zeichen dazu aufforderte, indem er sprach: »Gott soll hüten, die Tage, an denen ich in deiner Gegenwart saß, sind nun vorüber.« Der Sultan entgegnete ihm: »Nein, sie sind auch noch jetzt da, sintemalen ich dir mein Leben verdanke; bei Gott, was du auch immer von mir verlangst, ich gewähre es dir. Erbitte dir also etwas von Gott.« Da sagte der Heizer wieder: »Ich fürchte, mein Herr, ich wünsche mir etwas, das du mir nicht gewähren willst oder kannst.« Nun lachte der Sultan und sagte: »Wenn du dir auch mein halbes Königreich erbätest, ich wollte es mit dir teilen; wünsche dir also, was du willst.« Der Heizer blieb jedoch dabei: »Ich fürchte, ich wünsche mir etwas, was du mir nicht gewähren kannst.« Da wurde der Sultan zornig und sagte zu ihm: »Wünsche dir, was du willst.« – »So erbitte ich mir denn,« versetzte der Heizer, 128 »ein königliches Handschreiben, welches mich zum Aufseher über alle Heizer in Jerusalem einsetzt.« Da lachten der Sultan und alle Anwesenden, und der Sultan sagte zu ihm: »Wünsche dir etwas anderes.« Der Heizer aber sagte: »Habe ich es dir nicht gesagt, daß ich fürchte etwas von dir zu erbitten, was du mir nicht gewähren willst oder kannst?« Nun gab ihm der Wesir einen zweiten und dritten Wink, aber jedes Mal sagte er: »Ich erbitte mir von dir, daß du mich zum obersten Mistmann in Jerusalem oder Damaskus machst,« so daß die Anwesenden vor Lachen auf den Rücken fielen, der Wesir ihm aber einen Schlag gab. Da wendete sich der Heizer zum Wesir um und sagte: »Was bist du, daß du mich schlägst, und was ist meine Schuld? Du bist's doch, der zu mir gesagt hat: Wünsche dir etwas großes.« Dann sagte er: »Lasset mich in meine Heimat ziehen.« Wie nun der Sultan merkte, daß er seinen Scherz mit ihnen trieb, sagte er, nachdem er ein wenig gewartet hatte, freundlich zu ihm: »Mein Bruder, erbitte dir etwas großes, meiner Würde entsprechendes.« Da sagte der Heizer: »Ich erbitte mir das Sultanat von Damaskus an Stelle deines Bruders,« und der König stellte ihm sofort die Urkunde aus und befahl seinem Wesir Dendân: »Kein anderer als du soll mit ihm ziehen. Wenn du dann wieder heimkehren willst, so nimm meines Bruders Tochter Kudia-fakân mit dir.« Der Wesir antwortete: »Ich höre und gehorche;« dann nahm er den Heizer mit sich, verließ das Schloß und rüstete sich zur Abreise. Der Sultan Dau el-Makân aber befahl für den Heizer einen neuen Sattel und königliches Geschirr hervorzuholen und sagte zu seinen Emiren: »Wer mich liebt, der mache ihm ein reiches Geschenk.« Hierauf gab ihm der Sultan den Namen Es-Siblchân – der MistfürstInsofern als er früher mit getrocknetem Dünger zu heizen hatte. – und den Beinamen El-Mudschâhid – der Glaubensstreiter. 129

Nachdem dann nach Verlauf eines Monats alle Vorkehrungen getroffen waren, begab sich Es-Siblchân unter dem Geleit des Wesirs Dendân zu Dau el-Makân ins Schloß, um sich von ihm zu verabschieden, und der Sultan erhob sich vor ihm, umarmte ihn, legte ihm ans Herz seine Unterthanen in Gerechtigkeit zu regieren und befahl ihm sich für den nach zwei Jahren zu unternehmenden Glaubenskrieg zu rüsten. Dann nahm er von ihm Abschied, und der König El-Mudschâhid, genannt Es-Siblchân, machte sich auf den Weg, nachdem ihm der König Dau el-Makân noch einmal das Wohl seiner Unterthanen ans Herz gelegt hatte, und ihm die Emire fünftausend Mamluken zum Geschenk gemacht hatten. Hinter ihm ritten die Mamluken, der Großkämmerling aber, Bahrâm, der Emir der Deilamiten, Rostem, der Emir der Türken, und Tarkâsch, der Emir der Araber, stiegen ebenfalls zu Pferd und gaben ihm drei Tage lang das Abschiedsgeleit, worauf sie wieder nach Bagdad heimkehrten, während der Sultan Es-Siblchân mit dem Wesir Dendân ohne Aufenthalt nach Damaskus weiterzog. Daselbst war jedoch schon auf Vogelschwingen die Nachricht davon eingetroffen, daß der König Dau el-Makân über Damaskus einen neuen Herrscher, Namens Es-Siblchân mit dem Ehrennamen El-Mudschâhid, eingesetzt hätte, worauf das Volk sofort ihm zu Ehren die Stadt geschmückt hatte und dann allzumal zu seinem Empfange ihm entgegen gezogen war.

Als er nun in Damaskus seinen Einzug gehalten hatte, stieg er hinauf zur Burg und setzte sich auf den Thron seines Königreiches, während der Wesir Dendân seinen Platz vor ihm einnahm, um ihn mit Rang und Würden der Emire bekannt zu machen, die vor ihm erschienen, ihm die Hände küßten und Segen auf ihn erflehten. Der König Es-Siblchân empfing sie huldvollst, verlieh ihnen Ehrenkleider, machte reiche Geschenke und öffnete die Schatzkammern, aus denen er allen Truppen, Hoch und Gering, Gelder mit vollen 130 Händen austeilen ließ. Dann sprach er Recht und ging daran die Tochter des Sultans Scharrkân, die Herrin Kudia-fakân, auszustatten und bestimmte für sie eine mit Seide ausgeschlagene Sänfte. Ebenso stattete er den Wesir Dendân aus und bot ihm eine Geldsumme als Geschenk an. Der Wesir Dendân lehnte sie jedoch ab, indem er zu ihm sprach: »Der vom König festgesetzte Termin ist jetzt nahe und bedarfst du selber des Geldes, auch könnten wir bald von dir Geld für den Glaubenskrieg oder für irgend einen andern Zweck einfordern.«

Nachdem sich nun der Wesir Dendân zur Abreise gerüstet hatte, stieg der Sultan El-Mudschâhid aufs Pferd, um sich von ihm zu verabschieden, und ließ Kudia-fakân kommen und in die Sänfte einsteigen und gab ihr zehn Sklavinnen zur Bedienung mit. Sobald als dann der Wesir Dendân abgereist war, kehrte der König El-Mudschâhid in sein Königreich zurück, um sich den Staatsgeschäften zu widmen, und befaßte sich mit der Kriegswehr, des Zeitpunkts harrend, in welchem der König Dau el-Makân zu ihm schicken würde.

Soviel, was den Sultan Es-Siblchân anlangt; was nun aber den Wesir Dendân betrifft, so legte er mit Kudia-fakân eine Station nach der andern zurück, bis er nach Verlauf eines Monats in Er-Rahbe anlangte, von wo er dann weiter zog, bis er sich Bagdad näherte und nun Dau el-Makân durch eine Botschaft von seiner Ankunft unterrichtete. Dau el-Makân stieg, sobald er die Nachricht erhalten hatte, aufs Pferd und ritt ihm entgegen. Wie nun der Wesir vor ihm absteigen wollte, beschwor er ihn das zu unterlassen und lenkte sein Roß an seine Seite. Auf seine Frage nach El-Mudschâhid teilte ihm der Wesir mit, daß es ihm gut erginge, und vermeldete ihm die Ankunft Kudia-fakâns, der Tochter seines Bruders Scharrkân. Erfreut sagte der Sultan, sobald er dies vernahm: »Los, und ruhe dich drei Tage lang von der Anstrengung der Reise aus, hernach komm' 131 zu mir.« Der Wesir antwortete: »Freut mich und ehrt mich,« und begab sich in seine Wohnung, während der König ins Schloß zurückkehrte und die Tochter seines Bruders Scharrkân aufsuchte, die nunmehr ein Mädchen von acht Jahren geworden war. Bei ihrem Anblick freute er sich, wiewohl er sich über seinen Bruder bekümmerte, und machte ihr Schmucksachen und herrliche Pretiosen zum Geschenk. Dann befahl er sie in demselben Raum mit ihrem Vetter Kân-mā-kân unterzubringen. Sie aber war das schönste und tapferste Mädchen ihrer Zeit, reich an Einsicht und Verstand und auf die Folgen der Dinge bedacht, während Kân-mā-kân sich durch Großmut und Edelsinn auszeichnete, dabei aber des Ausgangs einer Sache achtlos war.

Im Alter von zehn Jahren begann Kudia-fakân mit ihrem Vetter die Rosse im weiten Feld zu tummeln und die Schwert- und Lanzenkunst zu üben, bis sie beide ihr zwölftes Lebensjahr erreicht hatten, und der König Dau el-Makân alle Vorkehrungen zum Glaubenskrieg getroffen und die Rüstungen beendet hatte. Da geschah es, daß er den Wesir Dendân vor sich kommen ließ und zu ihm sprach: »Wisse, ich habe einen Entschluß gefaßt, den ich dir mitteilen will, und worauf du mir ungesäumt Antwort erteilen sollst.« Der Wesir Dendân fragte: »Was ist es, o König der Zeit?« Dau el-Makân antwortete: »Ich bin entschlossen meinen Sohn Kân-mā-kân zum Sultan einzusetzen, daß ich noch bei Lebzeiten an ihm meine Freude habe und vor ihm in den Streit ziehe, bis mich der Tod erreicht. Was sagst du hierzu?« Da küßte der Wesir Dendân die Erde vor dem König Dau el-Makân und sagte zu ihm: »Wisse, glückseliger König und Herr des rechten Rates, die Absicht deines Herzens ist wohlgemeint, doch ist es in dieser Zeit nicht angänglich, und zwar aus zwei Gründen. Zum ersten ist dein Sohn Kân-mā-kân noch jung an Jahren, und zum andern lebt der Herrscher, der seinen Sohn noch zu Lebzeiten in das Sultanat einsetzt, für gewöhnlich nur noch kurze Zeit. Das 132 ist's, was ich dir zu antworten habe.« Dau el-Makân entgegnete ihm jedoch: »Wisse, mein Wesir, wir wollen ihm den Großkämmerling, der einer von uns geworden ist und zu uns gehört, sintemalen er meine Schwester geheiratet hat und mir wie ein Bruder dadurch geworden ist, zu seinem Vormund bestellen.« Hierauf versetzte der Wesir: »Thu', was dir gut dünkt, wir stehen deines Befehles gewärtig.« Da schickte der König zum Großkämmerling und ließ ihn nebst den Großen des Reiches zu sich entbieten. Sobald dieselben vor ihm erschienen waren, sprach er zu ihnen: »Dies ist mein Sohn Kân-mā-kân, und ihr wisset, daß er bereits der Ritter der Zeit ist, und ihm keiner gleich kommt im Schwerteshieb und Lanzenstoß. Somit setze ich ihn nun zum Sultan über euch ein und bestelle den Großkämmerling zum Reichsverweser an seiner Seite.« Da entgegnete der Kämmerling: »O König der Zeit, ich bin nichts als ein Setzling, gepflanzt von deiner Huld.« Dau el-Makân aber sprach zu ihm: »Mein Großkämmerling, siehe, mein Sohn Kân-mā-kân und die Tochter meines Bruders Kudia-fakân sind Oheimskinder, und so vermähle ich sie mit ihm und nehme die Anwesenden hierauf zu Zeugen.«

Hierauf ließ er zu seinem Sohne eine so große Menge Geld hinüberschaffen, wie es die Zunge nicht beschreiben kann, und besuchte seine Schwester Nushet es-Samân, welcher er hiervon Mitteilung machte. Nushet es-Samân sagte erfreut: »Die beiden sind meine Kinder, und Gott, der Erhabene, er lasse dich noch recht lange für sie am Leben!« Dau el-Makân erwiderte: »Meine Schwester, ich habe mein Verlangen an der Welt gestillt und bin unbesorgt um meines Sohnes willen, doch steht es dir an, daß du auf ihn und seine Mutter dein Auge richtest.« Alsdann legte er dem Kämmerling und Nushet es-Samân Nacht und Tag seinen Sohn und seine Gattin ans Herz und legte sich, des Bechers des Todes gewiß, aufs Kissen, während der Kämmerling sich der Regierung widmete. Nach Verlauf eines Jahres ließ Dau el-Makân 133 seinen Sohn Kân-mā-kân und den Wesir Dendân vor sich kommen, und sprach zu seinem Sohne: »Mein Sohn, wenn ich gestorben bin, so ist dieser Wesir dein Vater; denn, wisse, ich reise nunmehr von der vergänglichen zur ewigen Wohnung und habe all mein Verlangen an der Welt gestillt. Ein Kummer nur ist es noch, der in meinem Herzen verblieben ist, welchen Gott durch deine Hand tilgen wird.« Da fragte ihn sein Sohn: »Und was ist jener Kummer, mein Vater?« Dau el-Makân antwortete: »Mein Sohn, daß ich sterben muß, ohne das Blut deines Großvaters, des Königs Omar en-Noomân, und deines Oheims, des Königs Scharrkân, an einem alten Weib, Zât ed-Dawâhī geheißen, gerächt zu haben. Wenn dir nun Gott Beistand verleiht, so versäume es nicht, die Blutrache zu vollstrecken und die Schmach zu sühnen, hüte dich aber vor der Tücke des alten Weibes und horch' auf die Worte des Wesirs Dendân, der da ist die Säule unseres Reiches seit alter Zeit.« Sein Sohn antwortete ihm: »Ich höre und gehorche,« und seine Augen schwammen ihm in Thränen.

Nach dieser Zeit wurde Dau el-Makân kränker und kränker, und der Kämmerling führte alle Regierungsgeschäfte, sprach Recht, erteilte Befehle und erließ Verbote ein ganzes Jahr lang, während welcher Zeit Dau el-Makân an seiner Krankheit daniederlag. Jahr für Jahr, vier Jahre lang, siechte so Dau el-Makân, an dessen Stelle der Großkämmerling so gut die Regierung führte, daß das Volk des Königreiches mit ihm zufrieden war, und das ganze Land ihn segnete.

Soviel in Bezug auf den Großkämmerling und Dau el-Makân; was nun aber Kân-mā-kân anlangt, so trieb er nichts anderes als daß er die Rosse tummelte und sich mit der Lanze und dem Pfeil übte. Dasselbe that auch Kudia-fakân; am frühen Morgen schon zogen sie beide aus und kehrten erst nachts wieder heim, wo dann Kudia-fakân zu ihrer Mutter ging, während Kân-mā-kân seine Mutter aufsuchte, um sie weinend zu Häupten ihres Vaters sitzen 134 zu finden. Dann pflegte er ihn während der Nacht, sobald aber der Morgen tagte, zog er wieder wie gewöhnlich mit seiner Base aus, während Dau el-Makâns Leiden sich hinzogen, so daß er weinend die Verse sprach:

»Meine Kraft ist verzehrt und meine Zeit verflossen,
Und ich bin nun worden, wie hier du mich schaust.
Am Tag der Ehre war ich geehrt wie keiner im Volk
Und allen voran ereilt' ich mein Ziel.
Nun hab' ich Herrschaft und Ehre verlassen
Und lieg' durchbohrt von Schmach und Schimpf.
Wohl möcht' ich vor meinem Tode meinen Knaben noch schauen,
Wie er hoch als König thront über das Volk an meiner Statt,
Wie er sich stürzt auf den Feind als Rächer des Bluts
Mit kühnem Schwerteshieb und stoßendem Speer.
Ach, der Betrogene bin ich in Schimpf und Ernst,
Wenn nicht mein Herr im Himmel meine Sünde heilt.«

Als er sein Lied beendet hatte, legte er sein Haupt aufs Kissen und entschlief; im Traum aber schaute er jemand, der zu ihm sprach: »Freue dich, denn dein Sohn wird König sein über die Lande, und gehorchen werden ihm die Gläubigen.« Da erwachte er freudig aus seinem Schlaf. Nach einigen Tagen suchte ihn der Tod heim, und das Volk Bagdads ward von großem Leid betroffen, und Hoch und Gering beweinte ihn. Doch die Zeit ging über ihn dahin, als wäre er nie gewesen, und Kân-mā-kâns Lage veränderte sich, indem ihn das Volk Bagdads beiseite schob und ihm und seiner Familie ein besonderes Haus zur Wohnung gab. Als Kân-mā-kâns Mutter solches sah, bekümmerte sie sich über ihr Elend aufs tiefste und sprach: »Es bleibt mir kein anderes Mittel übrig als daß ich den Großkämmerling aufsuche und meine Hoffnung auf die Güte des Allgütigen, Allweisen setze.« Dann erhob sie sich, verließ ihre Wohnung und begab sich zum Hause des Großkämmerlings, der nunmehr Sultan geworden war. Als sie ihn auf seinem Teppich sitzen sah, trat sie bei seiner Gemahlin Nushet es-Samân ein und sprach zu ihr: »Wahrlich, der Tote hat keinen Freund 135 mehr; möge Gott euch niemals die Not kennen lassen, so lange das Schicksal rollt und die Jahre vergehen, und nimmer möget ihr aufhören in Gerechtigkeit über Hoch und Gering zu walten! Gehört haben es deine Ohren, und deine Augen haben es geschaut, wie wir da standen im Königtum, in Ehre, Macht und Besitz, im schönsten Leben und in besten Verhältnissen; nun aber hat die Zeit sich wider uns umgekehrt, und das Schicksal ist feindselig gegen uns daher gezogen. So komme ich nun zu dir deine Güte zu heischen, wo ich einst selber Gutes that; denn, wenn der Mann tot ist, sind die hinterbliebenen Frauen und Töchter der Verachtung anheim gefallen.« Hierauf sprach sie die Verse:

»Unsere Tage hienieden gleichen nur Halteplätzen,
Deren Tränken mit bittern Prüfungen vermischt sind.
Nichts quält mein Herz wie der Verlust edler Gefährten,
Die des Schicksals gestrenger Wandel verschlossen hält.«

Als Nushet es-Samân diese Worte von ihr vernahm und wieder ihres Bruders Dau el-Makân und seines Sohnes Kân-mā-kân gedachte, hieß sie sie näher treten, empfing sie gütig und sprach zu ihr: »Ich bin nunmehr reich und du arm; aber bei Gott, nur darum unterließen wir es, dich aufzusuchen, weil wir dein Herz zu betrüben fürchteten, und du glauben konntest, daß wir dir ein Almosen schenken wollten, zumal da alles, was unser ist, doch nur von deiner und deines Gatten Güte herrührt. Nun aber sei unser Haus dein Haus, und all unser Gut dein Gut.« Hierauf schenkte sie ihr ein prächtiges Kleid und wies ihr eine Wohnung im Schlosse dicht neben ihrem eigenen Gemach an, so daß sie von nun an mit ihrem Sohne Kân-mā-kân bei ihnen ein angenehmes Leben führte. Ebenso schenkte sie Kân-mā-kân königliche Kleidung und bestimmte für ihn und seine Mutter Sklavinnen zur Bedienung. Nach kurzer Zeit erzählte dann Nushet es-Samân ihrem Gemahl den Vorfall mit der Gattin ihres Bruders Dau el-Makân, der darauf zu ihr mit feuchten Augen sagte: »Wenn du die Welt nach 136 deinem Tode schauen willst, so schau nur auf die Welt, wie sie nach dem Tode eines andern ist; ehre daher ihre Wohnung und bereichere ihre Armut.«

 

Hundertundachtunddreißigste Nacht.

Soviel in Bezug auf Nushet es-Samân, ihren Gatten und die Mutter Kân-mā-kâns; was nun aber Kân-mā-kân anlangt und seines Oheims Tochter Kudia-fakân, so wuchsen beide heran und erblühten, bis sie gleich zwei fruchtbeladenen Zweigen oder zwei leuchtenden Monden waren, und ihr Leben fünfzehn Jahre zählte. Kudia-fakân war eins der schönsten verschleierten Mädchen mit lieblichem Angesicht und enger Taille, mit schwerem Gesäß und salsabîlsüßemSalsabîl, eine Quelle im Paradies. Speichel, von schlankem Wuchs und mit Lippen süßer als Edelwein. So hatte sie Gott mit allen Vorzügen ausgestattet, daß sie mit ihrem Wuchse jedes Reis beschämte, daß die Rose von ihren Wangen Gnade erflehte, und ihr Speichel den edelsten Wein beschämte. Sie erfreute Herz und Auge, wie ein Dichter von ihr sagt:

Sie ist so lieblich, und alle ihre Reize sind vollkommen,
Ihre Lider beschämen mit ihrer Schwärze alle Schminke.
In das Herz ihres Anbeters fährt ihrer Blicke Strahl
Wie das Schwert in Alīs, des Fürsten der Gläubigen, Hand.

Ebenso war aber auch Kân-mā-kân von wunderbarer Anmut und alles besiegender Vollkommenheit, so daß er alles an Schönheit übertraf; und die Tapferkeit leuchtete zwischen seinen Augen, stets für ihn zeugend und nimmer wider ihn. So kam es, daß er aller Herzen gewann, und daß, als ihm gar der graue Wangenflaum zu sprossen begann, die Lieder in Menge zu seinem Preis ertönten.

An einem der Feste traf es sich nun einmal, daß Kudia-fakân ausging, um das Fest mit einigen ihrer Verwandten vom Hofe zu feiern. Wie sie so inmitten ihrer Sklavinnen, 137 von Schönheit strahlend, dahin schritt, während die Rosen ihrer Wangen ihr Mal beneideten, und es zwischen ihren Lippen beim Lächeln weiß wie Kamillen blitzte, da fing Kân-mā-kân plötzlich an sich rings um sie zu drehen und seine Blicke auf sie, die ihm wie der leuchtende Mond erschien, loszulassen. Dann stärkte er sein Herz und ließ seine Zunge mit einem Liede los, indem er die beiden Verse sprach:

»Wann wird das Näheherz geheilt sein von den Schmerzen der Trennung?
Wann wird die Vereinigungslippe lachen ob des allzulangen Geschiedenseins?
Ach, daß ich doch wüßte, ob je eine Nacht ich verbringe
Mit der Geliebten, die etwas von meinen Qualen erduldet.«

Als Kudia-fakân dieses Lied von ihm vernahm, tadelte sie ihn streng und verabschiedete sich von ihm, worauf Kân-mā-kân erzürnt wieder nach Bagdad zurückkehrte. Hernach begab sich Kudia-fakân in ihr Schloß und verklagte ihren Vetter Kân-mā-kân bei ihrer Mutter, welche ihr erwiderte: »Meine Tochter, gewiß wollte er dir nichts Böses damit zufügen; ist er nicht eine Waise? Und bei alledem hat er doch auch nichts entehrendes zu dir gesagt. Hüte dich also zu irgend jemand darüber zu sprechen, denn, wenn die Sache dem Sultan zu Ohren kommen sollte, möchte er sein Leben kürzen, seinen Namen auslöschen und seine Spur machen wie den gestrigen Tag und den dahingewandelten Verstorbenen.«

In Bagdad ward jedoch die Liebe Kân-mā-kâns zu Kudia-fakân ruchbar, und das Weibervolk klatschte darüber, während Kân-mā-kâns Brust beklommen und seine Geduld in seines Herzens Unruhe schwach wurde, so daß er seinen Zustand nicht vor den Leuten verbarg und den Kummer seines Herzen offenkund zu machen verlangte.

Hundertundneununddreißigste Nacht.

Als nun auch der Großkämmerling, welchen das Volk, seitdem er Sultan geworden war, König Sāsân nannte, von 138 der Liebe Kân-mā-kâns zu Kudia-fakân vernahm, gereute es ihn, daß er beide zusammen in ein Zimmer gethan hatte; er ging deshalb zu seiner Gattin Nushet es-Samân und sagte zu ihr: »Wer Halfagras und Feuer zusammenbringt, läuft die schlimmste Gefahr, und Männer soll man nicht mit Weibern betrauen, so lange die Augen funkeln und die Gelenke geschmeidig sind. Siehe, Kân-mā-kân, der Sohn deines Bruders, hat nunmehr die Mannesreife erlangt, und deshalb geziemt es sich, ihm den Eintritt zu den Fußspangenträgerinnen zu verwehren; noch nötiger aber ist es, deine Tochter fern von den Männern zu halten, dieweil ein Mädchen wie sie im Harem zu verschließen ist.« Nushet es-Samân antwortete ihm darauf: »Du hast recht, o einsichtsvoller König und vollkommener Held.«

Als nun am nächsten Morgen Kân-mā-kân bei seiner Tante Nushet es-Samân wie gewöhnlich eintrat und ihr den Salâm bot, sagte sie zu ihm, nachdem sie ihm denselben erwidert hatte: »Ich habe mit dir ein Wort zu reden, das ich nicht gern spreche, doch muß ich es dir wider meinen Willen mitteilen.« Da fragte sie Kân-mā-kân: »Und was ist's?« Nushet es-Samân antwortete: »Siehe, der König hat von deiner Liebe zu Kudia-fakân gehört, und befohlen sie von dir zu trennen und in Verschluß zu halten. Wenn du also etwas bedarfst, so will ich es dir hinter der Thür herausschicken, und du sollst nicht nach Kudia-fakân schauen.« Als er diese Worte von ihr vernahm, ging er, ohne einen Laut zu äußern, fort und teilte seiner Mutter die Worte seiner Tante mit. Seine Mutter sagte darauf zu ihm: »Das ist nur dadurch ruchbar geworden, daß du deine Zunge nicht halten konntest, und nun weißt du, daß die Geschichte deiner Liebe zu Kudia-fakân offenkundig geworden ist, und daß es aller Orten bekannt ist, wie du ihr Brot issest und hernach mit ihrer Tochter eine Liebschaft anknüpfst.« Da entgegnete er ihr: »Ich will sie heiraten, denn sie ist meine Base, und ich bin ihrer am würdigsten.« Seine Mutter 139 versetzte jedoch: »Schweig' still, daß die Sache nicht vor den König Sāsân kommt, und du deshalb vom Meer der Trübsal verschlungen wirst. Sie haben uns heute schon kein Nachtessen geschickt, und wären wir, wenn wir in fremdem Lande lebten, an der Qual des Hungers oder der Schande der Bettelei bereits gestorben.«

Als Kân-mā-kân die Worte seiner Mutter vernahm, wuchs der Kummer seines Herzens, und er sprach die Verse:

»Laß ruhn den Tadel, der mich immerdar verfolgt,
Wo mein Herz geschieden ist von ihr, die mich in Fesseln schlug.
Kein Titelchen Geduld heische von mir!
Meine Geduld, beim Gotteshaus, hat mich verlassen.
Dem Tadler, der mir Klugheit befiehlt, gehorch ich nicht,
Hier steh' ich und erhebe vollen Anspruch auf Liebe.
Sie hinderten mich mit Gewalt an einem Besuch der Geliebten,
Und ich, beim Erbarmer, ich sinne nichts Böses;
Höre ich nur ihren Namen, so zittert mein Gebein
Wie Vögel, welche der Sperber jagt.
Sprich zu dem, der meine Liebe tadelt:
Bei Gott, ich will meine Base lieben!«

Als er sein Lied beendet hatte, sprach er dann zu seiner Mutter: »Ich habe keine Stätte mehr bei meiner Tante und diesem Volk und will deshalb das Schloß verlassen und am Ende der Stadt in der Nachbarschaft der Bettler wohnen.« Darauf ging er fort und that, wie er gesagt hatte, doch besuchte seine Mutter regelmäßig das Schloß des Königs Sāsân und holte sich von ihm das nötige zum Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn. Nach einiger Zeit nahm nun Kudia-fakân die Mutter Kân-mā-kâns beiseite und sagte zu ihr: »Weib meines Oheims, wie steht's mit deinem Sohn?« Sie antwortete ihr: »Siehe, sein Auge weint, sein Herz grämt sich, er weiß sich keine Erlösung aus den Banden der Sehnsucht und ist in den Netzen der Liebe zu dir gefangen.« Da weinte Kudia-fakân und sagte zu ihr: »Bei Gott, ich habe ihm nicht aus Abneigung die Freundschaft gekündigt, sondern nur aus Besorgnis um ihn vor seinen Feinden, denn meine 140 Sehnsucht nach ihm ist doppelt so groß als die seinige. Wäre seine Zunge nicht immer so unbedacht, und pochte nicht sein Herz so stark, mein Vater hätte ihm nicht seine Güte entzogen und seine Ausschließung und Absonderung verhängt; doch die Tage der Sterblichen sind dem Wandel unterworfen und Geduld ist in allen Dingen das beste. Der, welcher die Trennung beschlossen hat, kann uns auch wieder in seiner Huld zusammen führen.« Dann sprach sie mit überquellenden Augen die beiden Verse:

»O Sohn meines Ohms, auch ich leide schwer,
Und die Qual meiner Liebe steht deiner nicht nach;
Doch vor der Welt verberg' ich die Schmerzen all,
Wohlan, thu' es auch und verhehle dein Weh.«

Als Kân-mā-kâns Mutter dies von ihr vernahm, dankte sie ihr, worauf Kudia-fakân fort ging, während sie ihrem Sohne Kân-mā-kân Kudia-fakâns Worte mitteilte. Da wuchs sein Verlangen nach ihr, und er erklärte: »Ich tausche sie nicht gegen zweitausend Huris ein;« dann sprach er die beiden Verse:

»Bei Gott, nicht hör' ich auf eines Tadlers Wort!
Ich verriet ein Geheimnis, das ich verbergen gesollt.
Fort ist nun die Geliebte, mit der ich vereint zu werden hoffte,
Und mein Auge ist wach, während sie schlummernd die Nacht verbringt.«

Darauf verstrichen die Tage und Nächte, während er sich wälzte wie auf einer Bratpfanne über glühenden Kohlen, bis er sein siebzehntes Lebensjahr vollendet hatte, und seine Schönheit vollkommen geworden war. Da lag er wieder einmal in einer der Nächte wach und sprach bei sich: »Was sehe ich zu, wie mein Leib dahinschmilzt, und wie lange noch bleibt meines Begehrens Erfüllung versagt? Kein anderer Makel trifft mich als daß ich weder Macht noch Gut besitze, doch bei Gott steht der Hoffnungen Gewähr; so steht es mir an, daß ich mich aus dem Lande trolle, bis ich gestorben bin oder meinen Wunsch erreicht habe.«

Alsdann verließ Kân-mā-kân das Haus, barfuß, in einem 141 Hemd mit kurzen Ärmeln, mit einer sieben Jahre alten Filzkappe auf dem Haupt und mit einem drei Tage alten Gerstenbrot versehen. So wanderte er durch das Dunkel der Nacht, bis er zum Thor Bagdads kam, wo er wartete, bis man dasselbe öffnete. Dann schritt er als erster aus der Stadt hinaus und durchwanderte die Thäler und Wüsten den ganzen Tag über.

Als ihn nun seine Mutter gegen Abend suchte und nicht finden konnte, ward ihr die weite Welt eng, und nichts von all ihren Freuden gewährte ihr Genuß. Sie wartete einen Tag und noch einen und den dritten, bis zehn Tage verstrichen waren, doch vernahm sie keine Kunde von ihm, so daß sie mit beklommener Brust weinte und klagte: »Ach, mein Herzblatt, du hast meine Trübsal wieder lebendig gemacht, indem du mich verließest und von Haus und Heim fortzogst; ach, mein Sohn, aus welchem Lande soll ich dich rufen, und in welcher Stadt herbergst du nun?« Dann sprach sie seufzend die Verse:

»Seit deinem Abschied hab' ich das Leid zu ertragen gelernt,
Wo die Bogen der Trennung ihre Pfeile auf mich entsenden.
Den Sattel schnalltest du um und verließest mich,
Und mit Todesschmerzen ring' ich, während du die sandige Wüste durchziehst.
Durch das Dunkel der Nacht vernahm ich einer Ringeltaube Gegirr,
Ein Klagegegirr war's, und ich sprach zu ihr: Halt' ein.
Bei meinem Leben, wär' ihre Trauer so groß als mein Leid,
Sie trüge keinen Halsring und hätte den Fuß nicht gefärbt.Der Fuß der Ringeltaube ist rot, als wäre er mit Henna gefärbt. In Zeiten der Trauer legen die Frauen den Schmuck ab und unterlassen das Schminken.
Mein trauter Liebling ist von mir geschieden, und nun ich allein bin,
Scheidet Kummer und Gram nicht von mir.«

Darauf verzichtete sie auf Speise und Trank und weinte und klagte immermehr, bis ihr Weinen allerorten kund, und von ihrer Kümmernis unter allem Volk und Land gesprochen wurde, und die Leute riefen: »O Dau el-Makân, wo ist 142 dein Auge? Ach, was ist mit Kân-mā-kân vorgefallen, daß er seine Heimat verließ und von dannen zog, während sein Vater einst die Hungrigen speiste und in Gerechtigkeit und Güte herrschte?«

Hundertundvierzigste Nacht.

Als nun auch der König Sāsân von Kân-mā-kâns Verschwinden durch die großen Emire hörte, indem dieselben in ihm sprachen: »Siehe, er ist unsers Königs Sohn und ein Sproß des Königs Omar en-Noomân, und wir vernahmen, daß er Haus und Heim verlassen hat und in die weite Welt gezogen ist,« erzürnte er sich gewaltig; dann aber gedachte er wieder, wie gütig sein Vater zu ihm gewesen war, und wie er Kân-mā-kân ihm ans Herz gelegt hatte, so daß er bekümmert ward und sprach: »Es ist kein anderer Ausweg, wir müssen in allen Ländern nach ihm suchen lassen.« Dann schickte er den Emir Tarkâsch mit hundert Reitern nach ihm aus, der jedoch nach einer Abwesenheit von zehn Tagen wieder zurückkehrte und sagte: »Ich habe nichts von ihm vernommen und bin auch auf keine Spur von ihm gestoßen.« Da bekümmerte sich der König Sāsân schwer über ihn, und seine Mutter fand in ihrer Ungeduld keine Ruhe mehr. So verstrichen zwanzig Tage. In dieser Zeit aber war nun mit Kân-mā-kân folgendes vorgefallen: Nachdem er niedergeschlagen und ratlos, wohin er sich wenden sollte, von Bagdad fortgezogen war, war er drei Tage lang über Land einsam gewandert, ohne auf einen Fahrenden zu Fuß oder zu Pferd zu stoßen. In Gedanken bei seinen Angehörigen und seiner Heimat, hatte er keinen Schlaf gefunden und immer wach die Zeit verbracht, hatte mit dem Gras auf der Flur seinen Hunger, aus den Bächen seinen Durst gestillt, und wenn es heiß ward, seine Siesta unter den Bäumen gehalten. Dann war er von dem Wege nach einer andern Richtung abgebogen und drei Tage weiter gewandert, bis er am vierten Tage in ein grün bewachsenes, mit hübschen 143 Blumen bestandenes, weites Gelände gekommen war, das soeben aus dem Becher der Wolken nach dem Gegirr der Tauben und Turteltauben getrunken und die Hügel und Fluren mit duftigem Grün bekleidet hatte. Hier gedachte nun Kân-mā-kân wieder seines Vaters und sprach im Übermaß seines Kummers die Verse:

»Ich zog hinaus, doch in meiner Hoffnung lebt eine Wiederkehr,
Wennschon ich nicht weiß, wann ich die Heimat wiederschaue.
In die Ferne trieb mich mein Schicksal hinaus,
Da ich nicht wußte, wie ich seiner Schläge mich wehren sollte.«

Als er seinen Hunger an jenem Gras gestillt, die Waschung vollzogen und das ihm obliegende Gebet gesprochen hatte, setzte er sich nieder, um sich auszuruhen, und verweilte den ganzen Tag über an jenem Ort, bis die Nacht kam, und er entschlief. Bis Mitternacht mochte er so geschlafen haben, da erwachte er und hörte nun eine menschliche Stimme, welche folgende Verse vortrug:

Was ist das Leben ohne den blitzenden Schein aus dem Mund der Geliebten,
Ohne den Anblick des holden Gesichts?
Wahrlich, der Tod ist leichter als die Sprödigkeit einer Geliebten,
Deren Bild mich nicht in der Nacht überschattet.
O der Freude der Zechgenossen, wenn alle beisammen sind,
Und dort der Liebende mit der Geliebten weilt,
Zumal in des Lenzes lachender Blütenzeit,
Wenn Duft um Duft sich im Wettstreit verbreitet.
Auf, du Zecher, und schau, wie die Erde geschmückt ist,
Schau, wie die Wasser sich fröhlich ergießen.

Als Kân-mā-kân diese Verse vernahm, erwachte sein Kummer von neuem, die Thränen flossen über seine Wangen in Strömen und Flammen stiegen lichterloh in seinem Herzen auf. Er erhob sich, um zu sehen, wer die Verse gesprochen hätte; da er jedoch niemand in dem Dunkel der Nacht gewahrte, ward er unruhig und stieg von seinem Platz auf den Boden des Wadis herab, in dem er nun das Flußufer entlang schritt, bis er mit einem Male wieder dieselbe 144 Stimme schwer seufzen und neue Verse vortragen hörte, so daß er, obwohl er niemand sah, erkannte, daß der Sprecher gleich ihm ein Liebender war, dem die Vereinigung mit der Geliebten untersagt war. Er sprach daher bei sich: »Ich möchte mich wohl diesem Mann anschließen, daß jeder dem andern sein Leid klagen kann, und ihn zu meinem Gesellschafter in meiner Fremdlingschaft machen;« dann räusperte er sich und rief: »Holla, du Wandersmann in der dunkeln Nacht, komm heran zu mir und erzähle mir deine Geschichte, vielleicht findest du in mir einen Helfer in deiner Not.« Als der andre diese Worte vernommen hatte, antwortete er ihm: »Holla, du Rufer, der du meine Verse vernahmst, wer bist du unter der Ritterschaft? Bist du ein Mensch oder einer der Dschinn? Steh' geschwind mir Rede und Antwort, bevor dein Verhängnis dir naht. Seit zwanzig Tagen schon durchzog ich diese Steppe ohne ein menschliches Wesen oder eine Stimme zu vernehmen als die deinige.« Als Kân-mā-kân diese Worte vernahm, sprach er bei sich: »Die Geschichte dieses Mannes ist gerade wie die meinige; auch ich wandere nunmehr zwanzig Tage, ohne daß ich irgend eine menschliche Stimme vernahm.« Da hob der andere von neuem an und rief ihm zu: »Gehörst du zu den Dschinn, so zieh in Frieden deines Weges, bist du aber ein Mensch, so wart' eine Weile, bis der Tag anbricht und das Dunkel der Nacht weicht.«

Als nun der Tag anbrach, und Kân-mā-kân nach ihm ausschaute, sah er, daß es ein Beduine war; auf ihn zutretend, sprach er den Salâm, worauf der Beduine ihm den Gruß erwiderte und ihn freundlich und mit Wünschen für sein Wohlergehen empfing; da er jedoch seine Jugend und sein bettelhaftes Äußere gewahrte, sprach er geringschätzig zu ihm: »Junger Mann, aus welchem Volke stammst du her und von welchen Arabern leitest du deine Herkunft ab? Was ist deine Absicht, daß du zur Nacht reisest, wie der Ritter Brauch ist, und Worte im Munde führst, die nur einem hochgemuten Degen zustehen und einem wackern Helden? 145 Nun bist du in meine Hände gefallen, doch habe ich um deiner Halbwüchsigkeit Mitleid mit dir und will dich zu meinem Gefährten und Dienstmann machen.«

Als Kân-mā-kân seine freche Rede vernahm, nachdem er zuvor so schöne Verse gesprochen hatte, und merkte, daß er ihn verächtlich und ungebührlich behandelte, antwortete er ihm in sanftem Ton: »Araberhäuptling, sprich nicht davon, daß ich halbwüchsig bin und dein Dienstmann werden soll, sag' mir lieber, weshalb du in der Nacht die Wüsten durchwanderst und Verse vorträgst, und was dich hierzu bewogen hat.« Da antwortete ihm der Beduine: »Höre, Knabe, ich bin Sabbâh, der Sohn des Rammâh, des Sohnes des Humâm,»Der Schöne, der Sohn des Lanzenmannes, des Sohnes des Löwen,« eine bombastische Renommisterei. bin aus der Sippe der Beduinen Syriens und hab' eine Base, Nadschme geheißen, die jeden, der sie erschaut, in Wonne versetzt. Als mein Vater starb, ward ich in meines Oheims Haus erzogen, doch, da wir beide herangewachsen waren, verschloß er sie vor mir, da er meine Armut sah und mein geringes Gut. Nun tadelten ihn deshalb die Großen unter den Arabern und die Stammeshäupter, daß er sich vor ihnen schämte und einwilligte, sie mit mir zu vermählen; doch legte er mir die Bedingung auf ihm fünfzig Rosse, fünfzig Kamelstuten, zehn Sklaven, zehn Sklavinnen, fünfzig Lasten Weizen und fünfzig Lasten Gerste als Brautgabe zu beschaffen, eine Last, die mich zu schwer drückt und mir als Brautgabe zu hoch ist. So bin ich nun auf der Fahrt von Syrien nach dem Irâk und hab' seit zwanzig Tagen niemand als dich gesehen. Meine Absicht aber ist das Gebiet Bagdads zu betreten und zu schauen, wer von dorten auszieht von den Kaufleuten, daß ich ihrer Spur folge und ihr Gut raube, die Männer erschlage und die Kamele samt den Lasten forttreibe. Wer der Menschen aber bist du?« Kân-mā-kân antwortete: »Meine Geschichte ist der deinigen gleich, nur daß meine Krankheit schlimmer ist als 146 die deinige, weil meine Base eine Königstochter ist, und ihre Sippe sich nicht dem begnügt, was du erwähnt hast, und weil nichts von dem sie zufrieden stellt.« Da entgegnete Sabbâh: »Bist du ein Narr oder aus Liebe verrückt geworden? Wie kann deine Base eine Königstochter sein, wo du nichts von königlicher Art an dir hast? Du bist nichts weiter als ein Bettler.« Kân-mā-kân erwiderte: »Unvergleichlicher Araber, verwundere dich nicht über meine Lage, welche die Wechsel der Zeit so geändert haben. Verlangst du eine Erklärung von mir, so wisse, ich bin Kân-mā-kân, der Sohn des Sultans Dau el-Makân, der da war der Sohn des Königs Omar en-Noomân, des Herrn von Bagdad und Chorasân. Die Zeit war ungerecht gegen mich, und Sultan wurde der König Sāsân; da zog ich heimlich aus Bagdad fort, daß mich die Leute nicht sähen, zog zwanzig Tage durch dieses Land und fand keinen als dich. Deine Geschichte ist der meinigen gleich, und dein Begehren wie das meinige.«

Als Sabbâh dies vernommen hatte, rief er: »O meine Freude! Ich habe nun meinen Wunsch erreicht und heute niemand anders als dich erbeutet. Bist du aus königlichem Blut und in Bettlersgewand, so wird dich ganz sicher deine Sippe nicht verlassen und wird dich, so bald sie von deinem Verbleiben Kunde erhält, mit reichem Geld loskaufen- Kehr' deine Schultern um, mein Bursche, und stapfe vor mir her.« Da entgegnete Kân-mā-kân: »Araberbruder, thu' das nicht, denn meine Sippe wird mich weder für Silber noch Gold kaufen; ich bin ein armer Mann, der weder viel noch wenig sein eigen nennt. Laß also diese Ungebühr und laß mich dein Begleiter sein; komm, laß uns aus dem Irâk ziehen und die Lande durchwandern, bis wir irgendwie Brautpreis und Hochzeitsgabe gewonnen haben und uns dann unserer Basen Kuß und Umarmung erfreuen können.« Als Sabbâh jedoch diese Worte vernahm, ergrimmte er, und seine Zornesflamme loderte hell auf: »Wehe dir,« rief er, »willst du mir 147 widerspenstige Antwort erteilen, gemeinster Hund, der du bist! Kehr' deine Schultern um oder es setzt Hiebe.« Da lächelte Kân-mā-kân und sagte: »Wie werde ich die Schultern umkehren! Wo ist bei dir Gerechtigkeit? Fürchtest du dich nicht vor der Schande unter den Arabern, einen Burschen wie mich in Schimpf und Schanden zu binden, ohne ihn auf dem Kampfplatz erprobt zu haben, und ohne zu wissen, ob er ein Ritter oder Feigling ist?« Sabbâh lachte und sagte: »Gottes Wunder, du bist ein Bürschchen an Jahren, doch in Worten alt und erfahren, weil solche Worte nur von wackern Degen zu kommen pflegen.« Kân-mā-kân entgegnete: »Willst du mich gefangen nehmen und zum Dienstmann machen, so ist es billig, daß du deine Waffen fortwirfst, deine Sachen ablegst und mit mir ringst. Wer von uns beiden zu Boden gerungen wird, der hat sich dem andern zu fügen und kann sein Bursche werden.«

Der Beduine warf nun seine Waffen fort, schürzte seine Säume auf und trat an Kân-mā-kân heran. Wie sie aber einander gepackt hatten und sich zerrten, fand der Beduine, daß Kân-mā-kân ihn aufschnellen ließ, wie das Talent den Dinar; er fand daß seine Beine wie zwei festfundamentierte Minare auf der Erde gewurzelt standen oder wie zwei felsenfeste Berge, und merkte nun, daß er den Kürzeren ziehen würde. Voll Reue darüber, daß er zum Ringen herangetreten war, sprach er bei sich: »Hätte ich ihn doch mit meinen Waffen angefallen!« Kân-mā-kân aber packte ihn mit festem Griff und schüttelte ihn so stark, daß er, im Glauben, die Eingeweide müßten ihm im Leibe zerreißen, schrie: »Halt ein!« Kân-mā-kân kehrte sich jedoch nicht an seine Worte, sondern hob ihn vom Boden auf und ging mit ihm zum Fluß. Da rief Sabbâh: »O Held, was willst du mit mir thun?« Kân-mā-kân antwortete: »Ich will dich in diesen Fluß werfen; derselbe wird dich zum Tigris tragen, der Tigris wird dich zum Isāstrom tragen, der Isāstrom wird dich zum Euphrat tragen und der Euphrat wird dich bei deinem Lande 148 an den Strand werfen, daß dein Volk dich schauen und dich, deine Tapferkeit und die Wahrheit deiner Liebe erkennen kann.« Da schrie Sabbâh »O Ritter des Blachgefilds, thu' keine gemeine That; bei dem Leben deiner Base, der Herrin aller Schönen, laß mich los!« Da setzte ihn Kân-mā-kân auf die Erde; sobald sich aber Sabbâh frei sah, ging er zu seinem Schild und Schwert, nahm beides an sich und ging mit sich zu Rat, ob er sich nicht auf Kân-mā-kân stürzen sollte. Kân-mā-kân erkannte jedoch, was in seiner Seele vorging, und sagte zu ihm: »Ich durchschaue die Gedanken deines Herzens, sintemalen du Schwert und Schild ergriffen hast. Ich meine, du hast nicht die Hand zu langem Ringkampf; säßest du aber hoch zu Roß und tummeltest dich im Kreise umher, mit deinem Schwerte würdest du über mich herfallen. Wohlan, du sollst deinen Wunsch erfüllt haben, daß dein Herz allen Widerspruch aufgiebt. Gieb mir deinen Schild her und berenne mich mit deinem Schwert, sei es daß du mich fällst oder ich dich.« Da warf er ihm den Schild zu, zückte sein Schwert und stürzte sich auf Kân-mā-kân, welcher den Schild mit der Rechten faßte und sich mit ihm deckte, während Sabbâh bei jedem Hieb rief: »Mit diesem Hieb hat's ein Ende.« Kân-mā-kân aber fing jeden Hieb auf, daß es vergebliche Mühe gewesen war, ohne daß er etwas gehabt hätte, um ebenfalls dreinzuhauen. Als jedoch Sabbâh so lange drauf losgehauen hatte, bis seine Hand erlahmte und Kân-mā-kân merkte, daß seine Kraft schwand und sein Mut erschlaffte, stürzte er sich auf ihn, schüttelte ihn und warf ihn zu Boden, worauf er ihm die Hände nach hinten mit dem Schwertgehänge fesselte und ihn an den Füßen zum Fluß schleifte. Da schrie Sabbâh: »Was willst du mit mir thun, o Rittersmann der Zeit und Held auf dem Plan?« Kân-mā-kân antwortete: »Habe ich dir nicht schon gesagt, daß ich dich durch den Fluß zu deinem Volke schicken will, damit sich ihr Herz nicht über dich bekümmert, und du die Hochzeit deiner Base nicht versäumst?« 149 Da weinte Sabbâh in seiner Angst und schrie: »Thu's nicht, o Rittersmann der Zeit, und mache mich zu einem deiner Burschen.« Dann sprach er mit thränenüberströmten Augen die beiden Verse:

»In die weite Welt zog ich von Haus schon lange, lange Zeit,
Ach. daß ich doch wüßte, ob in der Fremde der Tod mir naht!
Sterben werde ich, und mein Volk wird nicht kennen die Stätte, da ich fiel,
In der Fremde muß ich mein Leben lassen, ohne die Geliebte noch einmal zu schauen.«

Da erbarmte sich Kân-mā-kân seiner und ließ ihn los, nachdem er Eid und Gelöbnis von ihm genommen hatte, daß er sein Begleiter auf dem Wege sein wolle und der beste Freund. Als nun Sabbâh Kân-mā-kâns Hand küssen wollte, wehrte dieser es ihm, worauf der Beduine zu seinem Ranzen ging und drei Laibe Gerstenbrot hervorlangte. Dann legte er sie vor Kân-mā-kân nieder, setzte sich zu ihm an das Ufer des Flusses, und beide aßen nun miteinander. Hierauf verrichteten sie die Waschung und das Gebet und setzten sich wieder, um einander zu erzählen, wie die Wechsel der Zeit ihnen mitgespielt hatten. Hierbei fragte Kân-mā-kân den Beduinen: »Wohin willst du wandern?« Sabbâh antwortete: »Ich will deine Heimatsstadt Bagdad aufsuchen und daselbst so lange verbleiben, bis Gott mir zur Hochzeitsgabe verholfen hat.« Kân-mā-kân sagte darauf: »Vorwärts auf den Weg!« So nahm denn der Beduine von ihm Abschied und schlug die Straße nach Bagdad ein, während Kân-mā-kân sitzen blieb und bei sich sprach: »Ach, meine Seele, mit welchem Gesicht sollte ich wohl arm und mittellos heimkehren? Bei Gott, ich will nicht in meiner Hoffnung getäuscht heimkehren und muß, so Gott will, mir Trost verschaffen.« Hierauf trat er an den Fluß heran, verrichtete die Waschung und betete; wie er aber im Gebet sich niedergeworfen hatte, legte er seine Stirn auf die Erde und rief seinen Herrn an, indem er die Worte sprach: »O Gott, der 150 du den Regen hinabsendest und den Wurm im Gestein versorgst, ich bete zu dir, daß du in deiner Allmacht und deiner allgütigen Barmherzigkeit mir mein täglich Brot gewährst.« Dann sprach er den Schlußsalâm, doch beengte ihn jeder Weg.

Wie er nun so da saß und nach rechts und links blickte, kam plötzlich ein Reiter in gebeugter Haltung und mit schlaffen Zügeln dahergesprengt. Da richtete sich Kân-mā-kân auf; und nach einer Weile war der Reiter, der schwerverwundet und in den letzten Zügen war, bei ihm angelangt. Sobald er Kân-mā-kân erblickte, sprach er zu ihm, während die Thränen über seine Wangen wie aus den Mündungen von Wasserschläuchen liefen: »Araberfürst, nimm mich, so lange ich noch lebe, zum Freund an, denn du findest keinen wie mich, und reiche mir etwas Wasser zu trinken, wennschon das Trinken von Wasser für die Wunden nicht gut ist, zumal in der Stunde, wo einen der Odem verläßt. Bleib' ich am Leben, so schenke ich dir so viel, daß deine Armut aufhört, sterbe ich aber, so bist du gesegnet um deiner schönen That willen.« Unter dem Reiter war aber ein Hengst, dessen Schönheit die Menschen bestricken mußte, und dessen Vorzüge die Zunge zu beschreiben nicht imstande ist. Seine Füße waren wie marmorne Pfeiler, für den Tag der Schlacht und des Getümmels geschaffen.

Als Kân-mā-kân diesen Hengst erblickte, packte ihn ein leidenschaftliches Verlangen nach demselben, und er sprach bei sich: »Solchen Hengst wie diesen giebt es in dieser Zeit nirgends mehr.« Dann half er dem Reiter vom Sattel, nahm sich seiner liebevoll an und ließ ihn ein wenig Wasser schlucken. Hierauf wartete er so lange, bis er sich ausgeruht hatte, und redete ihn dann an und fragte ihn: »Wer hat dich so übel zugerichtet?« Der Reiter antwortete: »Ich will dir den wahren Sachverhalt erzählen; wisse, ich bin ein Pferdedieb. Mein ganzes Leben lang habe ich Pferde bei Nacht und Tag geraubt und gestohlen und heiße Ghassân, 151 die Plage jeder Mähre und jedes Hengstes.Pferdediebstahl gilt als ritterliches Handwerk. Da hörte ich von diesem Hengste im Lande Rûm beim Könige Afrīdûn, genannt El-Kātûl – der Mörder – mit dem Beinamen El-Medschnûn – der Verrückte, – und sofort machte ich mich um seinetwillen auf nach Konstantinopel und lauerte ihm auf. Während ich aber auf der Lauer lag, kam mit einem Male eine Alte, die im Lande Rûm in hohen Ehren steht und nichts als Listen und Falsch treibt, Schawâhī geheißen, die Unheilsbringerin, mit diesem Hengst in Begleitung von nur zehn Sklaven an, welche den Hengst zu bedienen hatten. Ihr Reiseziel war Bagdad, wo sie den König Sāsân sprechen wollte, um Frieden und Pardon zu erbitten. Ich folgte ihnen des Hengstes willen auf dem Fuße nach, doch war es mir nicht eher möglich an ihn heranzukommen, weil ihn die Sklaven sorgfältig hüteten, als bis sie in diese Gegend kamen, und ich fürchtete, sie möchten heil in Bagdad einziehen. Während ich mit mir nun zu Rate ging, wie ich den Hengst stehlen könnte, erhob sich plötzlich eine Staubwolke und verrammelte vor ihnen den Horizont. Als sie sich wieder zerteilte, wurde eine Schar von fünfzig Reitern sichtbar, Buschklepper, welche die Kaufleute auf dem Wege abfangen, deren Anführer Kahrdâsch hieß, ein Löwe im Kampf, der die Helden wie Teppiche zu Boden streckt.


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