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Demosthenes auf Abwegen

Ich bin in Monte Carlo mit verschiedenen wunderlichen Käuzen bekannt geworden, und sie haben mir gemeiniglich viel Vergnügen bereitet. Da war Origoni, von dem ich noch einmal erzählen werde; da war Graf Borgacz und da waren eine Menge anderer.

Nicht wenige von ihnen waren Landsleute des Grafen Borgacz und der größte Schwindler unter ihnen war sicherlich Herr Hendrassy Gyula.

Es gab Leute, die flüsterten, daß er ein Spion sei, und ich halte es nicht für ausgeschlossen. Man merkte jedoch nichts vom Spion, wenn man Hendrassy Gyulas Bekanntschaft machte; eher glaubte man, vor dem ungarischen Außenminister oder einem künftigen Doyen der Diplomatie des Donaureiches zu stehen. Hendrassy Gyula war hochgewachsen, dunkel, von einigem Embonpoint, mit einem Mond im ersten Viertel. Außerdem war er verheiratet, hatte eine scharmante Frau und ein bezauberndes Töchterchen von zehn Jahren.

Wovon lebte Hendrassy? Wovon ein solcher Mann lebt? Natürlich von seinen Renten! Wovon sonst? Tja, tja, gewiß, aber …

Natürlich, da war der Umstand, daß Hendrassy vertraulich mit dem Grafen Borgacz verkehrte – wie auch der Verfasser – und dann, daß er die demosthenischeste Suada hatte, die seit dem Hingang dieses Rhetors in Europa erklungen ist. Höchst verdächtig in Monte Carlo.

Sowie nur Herr Hendrassy mit seinem Töchterchen an der Hand gegangen war, beeilte ich mich, das Bombardement auf den Grafen Borgacz zu eröffnen.

»Graf, wer zum Teufel ist dieser Hendrassy? Millionär oder Industrieritter? Kennen Sie ihn?«

Graf Borgacz lächelte in seinen kienrußschwarzen Knebelbart und sah die Palmen an, bevor er antwortete. Wir saßen im Kasinogarten und sahen beide derartig aus, daß man darauf schwören mußte, wir hätten den sich entfernenden Hendrassy soeben angebettelt. Schließlich sagte der Graf:

»Der Hendrassy – was er ist? Ach, was ist man in Monte Carlo? Alles, was sich gerade fügt. Heute Industrieritter, morgen Millionär und übermorgen ausgewiesen. Der Hendrassy ist wie eine Schlange.«

»Ein Hochstapler also, Graf? Das habe ich mir gedacht.«

»Ach, warum so harte Worte? Heute Industrieritter, morgen Millionär. Warten Sie mit Ihrem Urteil bis morgen. Er ist schlau, aber schon sehr schlau.«

»Er hat ein entzückendes kleines Mädchen.«

»Das weiß er. Sieben Monate hat sie seinen Mietzins bezahlt. Der ist schlau! Und eine Zunge! – ich sag' Ihnen!«

»Seinen Mietzins? Was meinen Sie, Graf?«

»Jawohl, sie hat seinen Mietzins bezahlt. Außerdem seine Verköstigung, außerdem der Frau Hendrassy ihre Verköstigung und fünftausend Franken dazu. So einen wie den Hendrassy gibt's nicht in ganz Europa, wenn es sich um solche Sachen handelt.«

»Erzählen Sie doch, Graf!«

»Es war in Mentone, in einem Hotel. Der Wirt war Schweizer, ein dicker Mann, nämlich mit Asthma, und dumm wie die Nacht. Aber eingebildet, ich sag' Ihnen, und härter wie Stein. Klimperl, so war sein Name, und wenn dem Klimperl seine alte Mutter ihn gebeten hätte, ihr einen Taler zu leihen, er hätte gesagt: ›Ach, ach, ach, ach! H–r–r–r … (Das war sein Asthma!) O Gott! nicht heute, nicht heute! Liebe, gute Frau, nicht heute. Vielleicht in einem Monat.‹ – So war der Klimperl aus der Schweiz, und sieben Monate hat der Hendrassy gratis bei ihm gewohnt mit seiner Frau Gemahlin und seinem kleinen Töchterchen.«

»Sieben Monate, Graf!«

»Im ersten Stock, sag' ich Ihnen, drei Zimmer und Badezimmer, und jeden Tag haben sie gegessen, nämlich, und getrunken. Aber sehr gut, sehr gut. Wie sie eine Woche da gewohnt haben, kommt der Klimperl mit seiner Rechnung, er kommt nämlich immer selber und spricht ohne aufzuhören, damit die Gäste seine Rechenfehler nicht merken. Der Hendrassy spielt mit seinem kleinen Töchterchen, es ist entzückend, und es läuft von ihm weg und schlingt die Arme um Klimperl. ›Lieber Onkel, warum kommst du denn so selten zu uns? Magst du die kleine Mimi nicht?‹ Der Klimperl nimmt sie auf den Arm wie einen kleinen Schweizer Käse, nämlich, und sagt: ›Ach, ach, ach! Was für ein kleines Prinzeßchen. Bei Gott! H–r–r–r! Was für ein kleines Prinzeßchen!‹ Hendrassy lacht in seinem Herzen und steckt die Rechnung in eine Tischlade, wie der Klimperl gerade nicht hinsieht. Das kleine Töchterchen plaudert, und er streichelt sie und fängt an, vom Weihnachtsabend zu reden und von Geschenken für die braven Kinder. Hendrassy wartet auf den richtigen Moment und dann fängt er zu reden an. Aber wie ein Großvater, und der Klimperl sieht seinen Bart an und seine vornehme Miene und ist ganz weg vor Ehrfurcht. Eine halbe Stunde redet der Hendrassy, zum Steinerweichen, und dann verabschiedet er den Klimperl, ohne daß er Zeit gefunden hätte, an die Rechnung zu denken.

In einer Woche ist der Klimperl wieder da und alles geht wie das vorige Mal, und das nächste Mal auch. Der einzige Unterschied ist, daß er für die Kleine Bonbons bringt, nämlich. Und so vergeht die ganze Saison. Aber dann kommt der April, der Hendrassy verkühlt sich und kann nicht reden. Was geschieht, nämlich? Der Klimperl präsentiert die Rechnung und redet selbst darüber, zwanzig Minuten. Er wird lebhaft, er wird dringend, und zum Schluß verlangt er sofortige Bezahlung. Zweitausenddreihundert Franken will er von dem Hendrassy haben und schlägt mit der Faust auf den Tisch, zur Bekräftigung. Der Hendrassy sieht zu seinem Entsetzen, daß da nichts hilft. Kein Bart, kein kleines Töchterchen, nichts. Der Klimperl will Geld haben, zweitausenddreihundert Franken, und Hendrassy hat keine hundert. Und der einzige Freund, den er in Mentone hat, ist Oberkellner in Klimperls Hotel. Er denkt nach, während der Klimperl redet und immerfort mit der Hand auf den Tisch schlägt, und dann sagt er:

»Mein Herr, es schmerzt mich wirklich, daß Sie diesen Ton anschlagen. Ich habe für den Augenblick alles verloren, aber morgen reise ich von hier fort nach Ungarn, um Geld zu holen.«

»Reisen! O Gott! H–r–r–r. Was meinen Sie, Herr Hendrassy? Ach, ach, ach! Was sagen Sie, Herr Hendrassy? Glauben Sie, Sie dürfen von zweitausenddreihundertelf Franken und fünfzig Centimes so wegreisen, Herr Hendrassy? O Gott, o Gott!«

»Reisen, mein Herr? Was meinen Sie? Sie bekommen meine sämtlichen Sachen in Verwahrung. Die sind so sicher wie nur etwas zwanzigtausend Franken wert. Was meinen Sie?«

Hendrassy sieht furchtbar aus und weist auf seine Sachen und der Klimperl wird weich. Und nach einer längeren Debatte sperren sie dem Hendrassy seine Sachen in seine Koffer ein, Klimperl bekommt die Schlüssel und der Hendrassy und er haben jeder eine Liste der Sachen. Und am selben Abend reist der Hendrassy ab, um in Ungarn Geld zu beschaffen.

Wo in Ungarn, glauben Sie, nämlich? In Monte Carlo.

Nach Monte Carlo reist der Hendrassy mit seiner Frau Gemahlin und der kleinen Mimi, und sie wohnen in einer billigen Pension am Hafen. Und niemand weiß, wo sie sind, außer einem. Wer glauben Sie, nämlich? Der Oberkellner in dem Klimperl seinem Hotel.

Ah, aber der Hendrassy hat eine Zunge! Ohne Trinkgeld, ohne irgend etwas hat er diesen Oberkellner in sein Garn gelockt, er liebt und verehrt den Hendrassy wie seinen Vater; und jeden Abend, wenn dem Klimperl sein Hotel geschlossen wird, fährt er nach Monte Carlo hinüber, um den Hendrassy in seiner Pension zu besuchen. Und jedesmal, bevor er hinfährt, huscht er in das Zimmer hinauf, wo dem Hendrassy seine Koffer stehen … Wer hat ihm die Duplikatschlüssel zu den Koffern gegeben? Was weiß ich? Aber jeden Abend, wenn der Oberkellner dem Klimperl sein Hotel verläßt, ist er dicker als sonst … Und so vergeht ein Monat, und eines schönen Tages ist der Hendrassy mit der Frau Gemahlin und dem kleinen Töchterchen wieder in Mentone.

»Herr Klimperl! Ich wünsche die Rechnung zu begleichen, bei der Sie so wenig entgegenkommend waren.«

»Wenig entgegenkommend?? O Gott! Ach, ach, ach! So ist es! So ist es, wenn man …«

»Herr Klimperl, ich verbitte mir alle Bemerkungen. Haben Sie die Güte und geben Sie mir die Sachen, die Sie für mich in Verwahrung haben.«

Der Hendrassy und der Klimperl gehen die Sachen holen. Nach zwanzig Minuten kommen sie zu der Frau Gemahlin und dem kleinen Töchterchen zurück; der Hendrassy ist kalt wie ein Rasiermesser, nämlich, und der Klimperl ist blauviolett im Gesicht. Nur mit Mühe gelingt es seiner Frau und dem Oberkellner, ihn zu beruhigen. »Bandit! Räuber!« Das ist alles, was er sagt. »Der Koffer leer, H–r–r–r. O Gott! O Gott! Bandit, Bandit! Geben Sie mir sofort mein Geld, meine zweitausenddreihundert Franken! Ah, ah, ah!« Dreimal müssen Frau Klimperl und der Oberkellner dem Hendrassy mit der Frau Gemahlin und dem kleinen Töchterchen nachlaufen und sie auf ihren Knien bitten, nicht zur Polizei zu gehen. Sechsmal versucht der Klimperl, mit einem Stuhl in der Hand, auf den Hendrassy loszugehen, und es wird Abend, bis er etwas anderes sagen kann, als: »Bandit! O Gott! O Gott! Was für ein Bandit!«

Und der Hendrassy spricht die ganze Zeit zu ihm und seiner Frau mit der Hand auf dem Telephon, bereit, die Polizei anzurufen … Endlich, als es sieben Uhr ist, läßt er sich erweichen und nimmt 5000 Franken für die verschwundenen Sachen entgegen; der Klimperl liegt auf einem Sofa und keucht, nämlich, und sieht ihn an, die Augen wie gestielt …

»Na, und der Kellner, Graf?«

»Der Kellner? Der hat fünfhundert Franken bekommen und ist im Hotel geblieben; mehr als seinen Vater hat er den Hendrassy verehrt; und voriges Jahr hat er das Hotel nach dem Klimperl übernommen.«

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