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Die Balsamierungsgesellschaft » Semper idem«

1

In diesen Tagen strömte der Sonnenschein aus den Schleusen des Himmels wie ein goldener Regen, und das blaue Mittelmeer empfing die Fluten dieser Schleusen wie Danaë Jupiter. Das Kap Miseno und Baia hüllten sich in goldene Nebel, die Insel Procida träumte auf den Wellen wie ein Urweltreptil, das aus dem Bodenschlamm heraufgelockt wurde und in der Sonne eingeschlafen ist; selbst Ischia vergaß, daß es Ibsens Brand entstehen gesehen hatte, und zeigte ein etwas weniger norwegisches Profil.

In diesen Tagen schlief Capri den Schlaf der kleinen grünen Eidechsen, die auf einer Mauer in der Frühlingssonne mit dem Kopf nach unten schlafen. Die alten Fischer, die Generationen von deutschen Malerinnen Modell gestanden hatten, schliefen; die braungebrannten Ruderer schliefen, die tätowierten Arme voll von Sirenen und Ankern; die Pferde auf der Piazza, die von Silberbeschlägen und Pfauenfedern glitzerten, schliefen. Ganz Capri schlief in der Sonne, und an der Tür des Telegraphenamtes war ein Anschlag:

Wegen Sonne geschlossen.

Aber es gab einen Punkt auf Capri, zu dem die Sonne nicht drang. Und trotz alledem schlief man auch dort. Man schlief dort sogar noch fester als an irgendeinem anderen Ort.

Aber es war ein kalter Schlaf.

Denn der Platz, zu dem die Caprisonne nicht drang, war der zypressendunkle Friedhof.

2

Zu der Stunde, wo der Abendhimmel sich hinter einem flamingofarbenen Fächer verbirgt, wo grüne Seide in Ballen aus den oberen Abteilungen des Firmaments fällt, wo ein feiner Holzkohlengeruch in der Luft, die wie gekühlter Wein ist, die Menschen toll macht, zu dieser Stunde versammelten sich die Doktoren von Capri und sagten:

»Illustre Kollegen! Auf diese Insel strömen die Fremdlinge wie die Fliegen, die sich um den Honig scharen. Viele sind arm, einige sind reich. Manche sind vernünftig, die meisten sind verrückt. Die meisten sind stark und gesund, aber ziemlich viele werden gottlob krank.

Ihr wißt, meine Brüder, solange ein Kranker nicht in extremis liegt, ist er das Privateigentum des von ihm gerufenen Arztes. Wenn der Patient Keuchhusten hat und der Arzt Gelenkrheumatismus konstatierte, um so schlimmer für den Patienten! Keiner von uns, meine Brüder, würde es sich in den Sinn kommen lassen, seinem Kollegen in den Arm zu fallen, indem er sich da hineinmischt. Wenn der Patient Masern hat und der Arzt Alkoholvergiftung konstatierte, um so schlimmer für den Patienten! Wer von uns würde sich verlocken lassen, seinen Bruder Lügen zu strafen? Wenn der Patient Starrkrampf hat und der Arzt Kindbettfieber konstatierte, so komme es über das Haupt des Patienten! Sollten wir unserem Bruder ins Gehege gehen und eingreifen? Nie und nimmer! Erst wenn der Patient in extremis liegt, lassen wir uns rufen; wir schreiben eine Rechnung für die Konsultation, und wir attestieren den Todesfall. So ist es gewesen, so möge es verbleiben!

Aber leider werden nicht alle unsere Rechnungen bezahlt. Viele der ausländischen Patienten sterben in augenscheinlicher Armut und werden von allen vergessen außer von uns, die wir sie pflegten und unbeglichene Forderungen an sie haben. So ist es gewesen, aber muß es so bleiben?

Nein. Denn viele der Ausländer, die in dieser unwürdigen Weise verschieden sind, waren – das zeigt sich nach einiger Zeit – verstoßene Söhne reicher Familien. Ihre Familien kümmerten sich nicht um sie, solange sie lebten, aber wenn sie tot sind, erwacht ihr Interesse für sie. Sie würden sie gerne nach Hause überführen lassen, ja, ihre Doktorrechnungen bezahlen, wenn noch etwas von ihnen übrig wäre. Aber nichts von ihnen ist übrig. Da liegt der Fehler! Da liegt unsere Aufgabe!

Kollegen und Brüder! Hiermit gründen wir die Balsamierungsgesellschaft › Semper idem‹. Solange ein Patient nicht tot ist, ist er noch immer das Privateigentum eines einzelnen. Aber wenn er tot ist, treten wir in corpore zusammen, machen ihm eine Karbolsäureinjektion in die Halsader und führen ihn als ein Saldo in unserem gemeinsamen Kontobuch. Denn hiermit ist er einbalsamiert! Wenn seine Verwandten nach ihm fragen, ist er zur Hand, unverändert, semper idem. Und die Balsamierungskosten, die die Angehörigen bezahlen müssen, teilen wir zwischen uns zu gleichen Teilen auf. Lange lebe die Balsamierungsgesellschaft ›Semper idem‹. Sie lebe hoch!«

So sprachen die Verwalter des Lebens und Todes, und vor den Fenstern ragten die Pinien wie erstarrte Rauchsäulen in den Himmel, und auf die weißen Häusermauern zeichnete die Dämmerung blaue Adern, fein wie die Adern an einer Frauenhand.

3

Don Pasquale war seit dreißig Jahren Totengräber und Friedhofswärter in Capri. Dem Aussehen nach erinnerte er am ehesten an eine der Kaktuspflanzen an den Bergabhängen; sein runder Kopf war beinahe ebenso groß wie der Körper; Arme und Beine glichen aufs I-Tüpfelchen den flachen Seitentrieben der Kaktuspflanze. Auch sein Wesen hatte große Ähnlichkeiten mit jenem dornigen und wenig zugänglichen Gewächs. Es gab nicht viele Menschen, die sich rühmen konnten, ihm fünf zusammenhängende Worte entlockt zu haben. Freiwillig machte er nie den Mund auf. Und wenn man einen geringeren Betrag als einen Fünflireschein in seine kaktusähnliche Hand legte, genügte das nicht, um dieses Phänomen hervorzurufen.

Was regte sich in dem kugelrunden Gegenstande, der in Ermangelung eines richtigeren Namens Don Pasquales Kopf genannt werden muß? Das war ein Problem, das nicht viele Menschen auf der Insel interessierte, aber eines schönen Tages für etliche der Einwohner der Insel vitale Bedeutung erlangen sollte – insofern man im Zusammenhang mit einem Totengräber von vitaler Bedeutung reden kann.

» Favorisca, Don Pasquale, führen Sie uns zu Signorina Isotzkis Grab!«

Ein Herr und eine Dame waren auf den Friedhof gekommen. Don Pasquale sah die Banknote an, die man in seine kaktusartige Hand gelegt hatte, und konstatierte, daß es ein Fünflireschein war. Langsam setzte er seine Beine in Bewegung und ging dem nichtkatholischen Teil des Friedhofes zu. Die zwei Besucher hörten ihn in sich hineinmurmeln:

»Isotzki – Isotzki –«

In der Vermutung, daß er den Namen nicht recht verstanden hatte, wiederholte der fremde Herr:

»Ja, Signorina Isotzki – Sie wissen doch, die berühmte polnische Tänzerin! Wo liegt sie?«

Don Pasquale murmelte weiter in sich hinein:

»Isotzki – ja gewiß, Narbe an der Stirne, roter Bart – das ist sie.«

Die Besucher sahen einander erstaunt an. Narbe auf der Stirne, roter Bart – war der Mann verrückt?

»Sie haben wohl nicht verstanden, Don Pasquale. Wir wollen das Grab der berühmten Tänzerin Helena Isotzki besuchen – kein Grab mit einem rotbärtigen, narbigen Mannsbild!«

Don Pasquale wandte den Besuchern ein paar rotgeränderte Augen zu.

»Ich weiß ganz genau, wen Sie meinen – Signorina Isotzki, berühmte polnische Tänzerin –, hier liegt sie.«

Er zeigte eine concession à perpétuité, deren Steinfront ganz richtig die Inschrift Helena Isotzki trug.

Dann nickte er und murmelte noch einmal:

»Narbe auf der Stirne – roter Bart – ja gewiß. Das ist sie.«

Die Besucher verweilten nur ganz kurze Zeit an der Gruft der polnischen Tänzerin. Ein Friedhof kann schon beklemmend genug sein, auch wenn der Totengräber nicht geistesgestört ist, aber ist er es, dann –

4

Hierauf versammelten sich die Doktoren abermals, und Doktor Babuino sagte:

»Illustre Kollegen! Freuen wir uns! Mr. Featherstone, der vor sechs Wochen verschied, hat das Vertrauen gerechtfertigt, das wir ihm durch die Einbalsamierung bewiesen haben. Es hat sich herausgestellt, daß er der Neffe von Lord Shaughnessy ist und den Titel geerbt hätte, wenn er sich nicht in Capri eine Speisenvergiftung zugezogen haben würde, die von unserem illustren Kollegen Doktor Tripaglia als Rückenmarksleiden behandelt wurde. Friede seiner Asche! Das wollen wir sagen, und wir können es aus um so aufrichtigerem Herzen sagen, als besagte Asche auf dem Friedhof ruht, von uns einbalsamiert.

Aber was ist nun zu tun, meine illustren Kollegen? Sollen wir die Verwandten benachrichtigen und eine Rechnung für ärztliche Behandlung und Balsamierung einschicken? Nein, denn wenn wir das tun, riskieren wir, daß die Verwandten die Asche des Verschiedenen ganz einfach nach England holen lassen und unsere so bescheidenen Ansprüche ignorieren. Darum müssen wir einen anderen Ausweg wählen.

Wir lassen den verstorbenen Mr. Featherstone auf eigene Kosten in einen Bleisarg legen. Diesen Bleisarg senden wir mit einem Vertrauensmann, beispielsweise Spediteur Mascalzone, nach England. In England angekommen, übergibt der Spediteur Mascalzone den Sarg den Verwandten des Verblichenen, aber wohlgemerkt, erst nachdem sie sämtliche Kosten für ärztliche Behandlung, Balsamierung und Heimtransport bezahlt haben. Diese Kosten können, niedrig berechnet, auf dreißigtausend Lire veranschlagt werden.

Illustre Kollegen! Der Erfolg ist sicher, unser Lohn ist gewiß. Es lebe die Balsamierungsgesellschaft › Semper idem‹. Sie lebe hoch!«

So sprach Doktor Babuino.

»Die Gesellschaft lebe hoch!« erwiderten die Doktoren Trapaglia, Mazzatore und Ignaro wie aus einem Munde.

Und die Frühlingssonne strömte in Katarakten durch die Wolken hernieder, und das Mittelmeer lag in einem veilchenblauen Nebel da, und die Luft war so köstlich, daß sie alle Patienten der vier Doktoren mit einem Schlage hätte kurieren müssen.

5

Am nächsten Tage erschien der Spediteur Mascalzone mit einem geräumigen Bleisarg auf dem protestantischen Friedhof und wandte sich an Don Pasquale.

»Ich komme, um den Engländer Featherstone abzuholen, der vor sechs Monaten gestorben ist«, sagte er. »Wo liegt er?«

Er unterließ es, Don Pasquale irgendeine Note in die Hand zu drücken. Der Totengräber fixierte ihn aus zwei triefenden Augen und machte keine Miene, seinen Wünschen nachzukommen.

»Nanu, was ist denn?« sagte der Spediteur. »Willst du ihn nicht loswerden? Sonst klagst du immer, daß nicht Platz genug auf dem Friedhof ist!«

Don Pasquales Augen wurden noch röter.

Ausnahmsweise einmal sprach er, ohne daß seine Zunge durch eine Banknote in Bewegung gesetzt wurde.

»Platz! Hier ist auch kein Platz! Da kommen sie daher und sterben hier, und ein Grab wollen sie haben, und aufpassen soll man darauf – und was hat man zum Dank? Kommt denn je wer her und schaut sich nach ihnen um? Ist wer da, der ihnen auch nur einen Kranz oder eine Kerze spendiert? Platz! Madonna! Hier wäre ja nicht einmal für eine ertränkte Katze Platz, wenn nicht – wie hat der Mensch geheißen?«

»Featherstone, Engländer, vor sechs Monaten gestorben«, sagte der Spediteur Mascalzone kurz. Denn von seinen angelsächsischen Kunden hatte er gelernt, daß dies die vornehme Art ist, mit Untergeordneten zu sprechen. »Roter Bart, Narbe an der Stirn.«

»So, so!« wiederholte Don Pasquale zornig und sah nach einer Ecke des Friedhofs. Eine lange Mauer war in Felder geteilt und erinnerte am ehesten an eine Wand in einem Postboxkontor. Feld war neben Feld in horizontalen und vertikalen Reihen; und jedes Feld hatte eine Tür mit Schlüsselloch. Dahinter lagen die Nischen der Toten. Es war das uralte System der Katakomben in moderner Form.

»Was bekomme ich für die Mühe?« knurrte er.

»Fünf Lire«, erwiderte der Spediteur Mascalzone, ohne einen Augenblick zu zögern.

»Fünf Lire! Da kommen sie daher und sterben, und auf das Grab soll man aufpassen, und wenn sie abgeholt werden, kriegt man fünf Lire. Geben Sie mir wenigstens zwanzig.«

»Fünf Lire«, wiederholte der Spediteur Mascalzone. »Du hörst, was ich sage. Es bleibt ohnehin für unsereinen nicht viel übrig, wenn die Doktoren sich das ihrige genommen haben, das wirst du schon wissen.«

»Die Doktoren?«

»Ja, die haben ihn einbalsamiert, und jetzt soll er per Nachnahme nach Hause zu den Verwandten geschickt werden. Fünf Lire, capito.«

Don Pasquale murmelte etwas zwischen den Zähnen und steuerte dann langsam auf die Katakombenmauer zu. Er sah aus wie ein Kaktus, der sich von dem schönen Frühlingswetter zu einem Spaziergang verlocken läßt.

»Kommen Sie mit dem Bleisarg nach«, sagte er zu dem Spediteur Mascalzone. »Ich werde ihn gleich fertig haben.«

Und die Frühlingssonne strömte in Katarakten durch die Wolken hernieder, und das Mittelmeer lag in einem veilchenblauen Nebel da, und die Luft war so köstlich, daß ein Hauch von ihr alle armen Toten zum Leben hätte erwecken müssen.

6

Am folgenden Tage reiste der Spediteur Mascalzone nach England ab, mit vielen Ermahnungen und noch mehr Rechnungen der Doktoren Babuino, Tripaglia, Mazzatore und Ignaro ausgerüstet. Und dann gingen die Tage in Capri ihren sonnenbeschienenen Gang, aber der Spediteur und sein düsterer Reisegefährte zogen mit vielen Beförderungsmitteln durch viele Länder, und endlich kamen sie über den stürmischen Kanal in das regnerische, neblige England. Der Spediteur Mascalzone erschauerte und wünschte sich an das Mittelmeer zurück, und ebenso ging es vielleicht seinem Reisegefährten. Aber wer kümmert sich um die Wünsche eines Toten? Der Spediteur Mascalzone placierte seinen stummen Genossen in ein letztes Beförderungsmittel und langte endlich mit ihm in Shaugnessy Hall an.

Hier wurde er von einem Bedienten empfangen, der eine eiskalte Verkörperung des englischen Klimas war. Er hörte das Anliegen des Spediteurs mit Mißtrauen an und führte ihn zu einem Haushofmeister, im Vergleich zu dem das Wesen des Bedienten warm war wie die Sonne Capris. Der Haushofmeister nahm die Erzählung des Spediteurs Mascalzone mit noch größerem Mißtrauen auf. Dann wurde er endlich zu einem alten Herrn mit schneeweißen Augenbrauen und eisgrauen Koteletten geführt, in dessen Nähe ihm so zumute war wie einem verirrten Forscher in einer Polarlandschaft.

Der Spediteur Mascalzone erzählte seine Geschichte und legte seine Papiere vor. Der alte Herr runzelte die Augenbrauen.

»Hm – John Herbert Featherstone – war ein Tunichtgut, solange er lebte. Jetzt ist er also tot, und Sie sind hier, um den Leichnam zu verkaufen?«

»Nicht verkaufen, Euer Herrlichkeit, nur den illustren Staub überführen, auf daß er in der Nähe seiner Stammväter ruhen möge – die Madonna schenke ihm Frieden!«

»Hm – und diese Papiere da? Dreißigtausend Lire für ärztliche Behandlung, Balsamierung und Heimtransport. Wie nennen Sie das? Mich erinnert es in ungewöhnlich hohem Grade an Leichenplünderung – auf eine neue Fasson, hahaha.«

Der Spediteur Mascalzone erschauerte. Er wußte, daß die Engländer Menschen ohne Nerven, Hirn und Herz sind, aber das übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Er lachte über den Staub seines Neffen! Und er war Lord! Nie mehr würde er, Mascalzone, die Stelle eines Reisemarschalls für verstorbene Engländer übernehmen.

Der alte Herr mit den Koteletten fuhr fort:

»Aber es wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als zu kaufen. Noblesse oblige – eh, what? Dreißigtausend Lire – was macht das in Pfund?«

Er rechnete auf einem Stück Papier, riß einen Scheck aus seinem Scheckbuch und begann darauf zu schreiben. Das Herz des Spediteurs Mascalzone tickte vor Freude heftig. Ziffern tanzten vor seinem geistigen Auge. Vielleicht würde er sich doch auf diesen eigentümlichen Beruf verlegen, als ein neuer Charon, dahingegangene Engländer über jenen Styx zu verfrachten, den man Kanal nennt …

Plötzlich legte der Lord die Feder weg und sah ihn unter gerunzelten Augenbrauen an.

»Das heißt – ich kenne Sie nicht – welche Garantie habe ich, daß es John Herbert Featherstone ist, den Sie mir da verkaufen wollen? Woher weiß ich, daß Sie mir da nicht irgendeinen anderen aufschwatzen?«

»Aber Euer Herrlichkeit!« stammelte der Spediteur. »Sehen Euer Herrlichkeit nicht die Papiere? Die Doktoren haben alles quittiert – ärztliche Behandlung, Balsamierung und Transport, und sie haben alles attestiert. Wie können Euer Herrlichkeit an dem Wort der Doktoren zweifeln?«

Der alte Lord erhob sich von seinem Sitz.

»In meinem Hause bestimme ich«, sagte er mit eiskalter Stimme, »und ich weiß, was ich will. Ich will sehen, was ich bezahle. Wo steht – die Sache?«

Er drückte auf eine Klingel und ließ sich vom Haushofmeister zu dem Platze hinunterführen, wo der verblichene Mr. Featherstone nach der Reise ausruhte. Der Spediteur Mascalzone taumelte ihm verwirrt nach.

7

Zu der Stunde des Tages, wo der Abendhimmel sich hinter einem flamingofarbenen Fächer verbirgt, wo grüne Seide in Ballen aus den oberen Abteilungen des Firmaments fällt, wo ein feiner Holzkohlengeruch in der Luft, die kühl wie Wein ist, und Menschen toll macht, zu dieser Stunde versammelten sich die Doktoren von Capri und sagten:

»Wo steckt der Spediteur Mascalzone? Es ist zehn Tage her, seit er abgereist ist, und noch haben wir nichts von ihm gehört. Sollte ihm ein Eisenbahnunglück passiert sein? Sollte ihm der Sarg von unredlichen Eisenbahnbediensteten gestohlen worden sein? Oder sollte Spediteur Mascalzone unser Vertrauen getäuscht haben und mit dem einkassierten Geld durchgebrannt sein?

Wir wissen es nicht, aber wir wünschen es baldigst zu wissen!«

Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als ein Bote ein gelbes Telegramm abgab. Die Doktoren rissen es auf und lasen:

 

»Sarg von Onkel des Verblichenen geöffnet. Enthält polnische Tänzerin namens Helena Isotzki. Ich gewaltsam hinausbefördert. Jede Bezahlung unter Drohungen und Beschimpfungen verweigert. Befinde mich mit Sarg in London in äußerster Not. Sendet telegraphisch Geld für Heimtransport, für mich und Sarg.

Mascalzone.«

 

Die Doktoren Babuino, Tripaglia, Mazzatore und Ignaro sahen sich stumm an, mit einem Gesichtsausdruck, der zeigte, daß sie einander ausnahmsweise aus einem anderen Grunde konsultierten als dem bevorstehenden Todesfall eines Patienten. Das Resultat der Konsultation war ebenso negativ wie bei jenen Anlässen … Eine polnische Tänzerin! Bezahlung verweigert! War das wahr? Wie war das möglich?

Plötzlich schlug sich Doktor Babuino mit der Hand an die Stirn und rief:

»Ich weiß! Das ist Don Pasquale! Das muß er sein!«

Und indem er den Hut auf den Kopf setzte, rief er:

»Kommt mit mir, illustre Kollegen!«

Sie fanden Don Pasquale auf dem Friedhof. Sie gingen auf ihn zu, und Doktor Babuino rief:

»Das hast du getan! Gestehe! Versuche nicht zu leugnen!«

Don Pasquale sah sie mit rinnenden Augen an, und wieder einmal öffneten sich seine Lippen ohne die Anfeuerung durch eine Banknote.

»Ja! Ich hab's getan! Da kommen sie daher und sterben, und ein Grab wollen sie haben, und aufpassen soll man dafür – und was bekommt man zum Dank? Fünf Lire, wenn sie herkommen, und fünf Lire, wenn sie abgeholt werden! Die Doktoren, die kriegen Geld dafür, daß sie sie herbringen, und dafür, daß sie sie abholen! Aber das Geld für den Sarg haben sie bestimmt nicht bekommen! Platz! Will jemand meinen Platz, so kann er ihn schon haben! Der ist frei!«

Er warf seine Schlüssel hin und sah mit Gleichmut, wie die Doktoren sich derselben bemächtigten.

8

Eine Untersuchung der Katakomben enthüllte seltsame Dinge. Don Pasquale hatte den ganzen nichtkatholischen Friedhof nach seinem eigenen kaktusartigen Kopf geordnet. Die Leute, die nur selten Besuch bekamen und wenig abwarfen, hatte er zu zweien, dreien oder vieren in einen Raum zusammengestopft; alte deutsche Generale mit russischen Juden, unverheiratete Fräuleins mit alten Junggesellen, feine englische Whiskyonkel mit amerikanischen Abstinenzpredigern. Es war eine Verwirrung wie nach einem Erdbeben, eine Verwirrung, die den Engeln des Jüngsten Gerichts so manche Nuß zum Aufknacken geben mußte. Unnötig zu sagen, daß Don Pasquale stehenden Fußes verabschiedet wurde, aber das machte ihm nichts; denn ein paar Wochen später bekam er aus England die Mitteilung, daß Lord Shaugnessy ihm als Anerkennung für den Streich, den er den Doktoren gespielt, eine Pension bis zu seinem Todestage bewilligt hatte.

Ungefähr zur gleichen Zeit langte der ausgemergelte Spediteur Mascalzone in Capri an. Die Doktoren hatten sich wie ein Mann geweigert, einem so unglücklichen Vertreter irgendeine Reiseunterstützung zu schicken; und wenn sie nicht auf Kosten des englischen Staates begraben wurde, so ruht Fräulein Isotzki, bei Lebzeiten berühmte polnische Tänzerin, auf der Eisenbahnstation in Dover. Dorthin gab sie der Spediteur Mascalzone für sein letztes Geld auf, während er selbst so vorsichtig war, England in Folkestone Valet zu sagen.

So entstand und so endete die Balsamierungsgesellschaft » Semper idem«, das erste Exportunternehmen seiner Art. Und die Frühlingssonne strömte weiter durch die weißen Wolken hernieder, und das Mittelmeer lag in veilchenblauem Nebel da, und ganz Capri schlief in der Sonne – die braungebrannten Ruderer schliefen am Hafen, die Jungen schliefen auf der Piazza, die kleinen grünen Eidechsen schliefen auf den Felswänden – ja, und die armen Toten schliefen auf dem Friedhof, wo sie durch die Liquidation der Gesellschaft » Semper idem« für einen Augenblick in ihrem frostigen Schlummer gestört worden waren.

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