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Abdullah, Sohn des Abdullah, Sohn des Mohammed, war durch den Krieg in Tripolis 1910 vom türkischen Joch befreit und der Segnungen der europäischen Kultur teilhaftig geworden.
Im Jahre 1920 bediente er den Lift im Hotel Cavour in Rom. Den ganzen Tag stand er vor der Lifttüre, seine weißen Kannibalenzähne in einem sonnigen Grinsen gefletscht. Den ganzen Tag zog er am Liftseil – hinab, und der Lift ging hinauf; hinauf, und der Lift ging hinab.
Abdullah, Sohn des Abdullah, hielt sich selbst für einen mächtigen Zauberer, denn die Konstruktion des Lifts war ihm heute ebenso unbekannt, wie an dem Tage, an dem er ihn zu bedienen begann. Nichts auf Erden hätte ihn überzeugen können, daß es nicht seine Armesstärke war, die den Lift hinaufführte, wenn er hinunterzog, hinunter, wenn er hinaufzog. – Möglicherweise mit ein klein wenig Hilfe des einen oder anderen bösen Geistes.
Abdullah ben Abdullah machte keinen anderen Unterschied zwischen den Gästen des Hotels, als den, der von ihren Trinkgeldern bedingt wurde. Um diese hervorzulocken, hatte er gelernt in noch zwei Sprachen außer Italienisch danke zu sagen. Sagte er irrtümlicherweise grazie zu einem Gast, von dem er vermutete, daß er ein Engländer sei, dann kam er nach einer kleinen Weile an das Zimmer des Gastes, steckte den Kopf hinein und sagte: thank you.
Einer der Hotelgäste hatte sich jedoch mit Gewalt in Abdullahs Gedankenwelt eingedrängt, insoweit man von einer solchen sprechen konnte. Das war der Kritiker Brüggemeyer.
Brüggemeyer war mit einem Experiment beschäftigt, und bei diesem Experiment spielte Abdullah eine entscheidende Rolle.
Was Brüggemeyer sich sagte, war folgendes:
Der Aufenthalt in diesem Lande hat mir den Glauben an die Ideen geraubt, die ich bis jetzt hatte. Es handelt sich darum, neue Ideen zu finden. Kommt mir eine einzige Idee, so kann ich bis zu meinem Lebensende schreiben. Aber diese Idee muß so einfach als möglich sein. Die einfachsten Ideen haben die größte Tragweite. Meine Idee muß so einfach sein, daß ein Neger sie fassen kann.
Die neue Zeit gehört den Negern. In der Musik dominieren die Negermelodien. In der Bildhauerei hat man Griechenland über Bord geworfen und sich nach Afrika gewandt. Soll die Kritik nicht hinter den anderen Disziplinen zurückbleiben, muß sie Sainte-Beuve und Taine vergessen und ihre Inspiration bei den Söhnen Hams suchen.
Folglich werde ich nicht mehr versuchen, Ideen zu formulieren, während ich Patience lege, sondern während ich mit Abdullah im Lift fahre.
Jedesmal, wenn Brüggemeyer einen Einfall zu haben glaubte, tat er ihn Abdullah, Sohn des Abdullah, kund und beobachtete gespannt sein Antlitz. Aber Abdullah grinste dasselbe unveränderliche Kannibalengrinsen. Keine Falte auf seiner dunklen Stirn deutete an, daß ein Gedanke sich den Weg in sein Hirn gebahnt hatte.
»Abdullah,« sagte Brüggemeyer, »niemand ist besser geeignet als du, in den Fragen der Zeit zu Gericht zu sitzen – denn insoweit deine Intelligenz existiert, ist sie frei von den Fesseln der Tradition. Du siehst klar, wo wir Europäer von ererbten Vorurteilen beirrt werden. Sag' mir also, was du von der Zukunft der Literatur hältst? Glaubst du, daß sich die Entwicklung in realistischer oder in idealistischer Richtung bewegt?«
Abdullah, Sohn des Abdullah, grinste herzlich, aber rätselvoll.
»Ich sehe, daß du, glücklicher Sohn Hams, dir keine Meinung in dieser Frage gebildet hast. Du findest es unnötig, um dessentwillen die schwerbewegliche Maschinerie deines Hirns in Gang zu setzen. Du hast recht. Man kann sich kaum eine gleichgültigere Sache denken. Und heute ist mir etwas eingefallen. Wenn Europa den Mohammedanismus annähme, so würde alle Literatur von selbst verschwinden, denn alle Wahrheit ist im Koran zu finden, und für den Rechtgläubigen sind alle anderen Bücher verderblich. In dem Augenblick, in dem Europa den Mohammedanismus annähme, würde alle Schriftstellerei verbrecherisch und alle literarische Kritik eine Sinekure. Das wäre für mich als Kritiker ideal. Ich habe folglich daran gedacht, in meinem nächsten Artikel in der Revue du Globe den Mohammedanismus zu lancieren. Was hältst du davon, Sohn Hams? Ich warte auf dein Urteil.«
Abdullah antwortete schlicht:
»Mohammed nix wert, Abdullah sein Christ.«
»Du bist Christ?« rief der Kritiker Brüggemeyer entsetzt.
»Ja, Abdullah sein Christ, sein guter Christ, kämpfen für die Christen bei Piave. Töten viele deutsche Heiden!«
Der Kritiker Brüggemeyer schlug sich an die Stirn und rief:
»Gibt es ein Ding zu grotesk, um unmöglich zu sein? Nein. Gibt es eine Handlung, so seltsam, daß Menschen sie nicht zu ihrem täglichen Brot haben? Nein. Ich denke weniger an den Beruf des Meßgewandfabrikanten und Straßenkehrers als an meinen eigenen. Menschen fügen schwarze Buchstaben zu Büchern zusammen und warten gespannt darauf, daß ich andere Buchstaben zusammenfüge und sage, was ich von ihren Büchern denke. Und die Sonne stürzt dem Sternbild des Herkules zu, und unter fernen Himmeln schreiben andere Menschen seltsame Zeichen nach rückwärts. Und Abdullah ist Christ und weigert sich, meine einzige Idee zur Verbesserung dieser Zustände anzuerkennen. Nein, ich gehe Wein trinken.«
Er drückte seinen Borsalino in die Stirn und verließ das Hotel Cavour.
Es kam ihm zum Bewußtsein, daß er nicht besonders viel Geld bei sich hatte. Der Wein war billig, aber der Durst unberechenbar. Er ging in seine Bank – die Banca Industriale an der Piazza Venezia.
Er fand das Lokal in demselben Wirrwarr, wie immer. Kunden, die stundenlang vor den Schaltern gewartet hatten, schlugen rasend auf den Tisch und riefen: »Hören Sie doch! Senta! Senta!« Die Bankbeamten hinter dem Tisch klingelten rasend an den Telephonen, die nie eine Antwort gaben. »Pronto! Pronto!« Mitten auf dem Haupttisch thronte majestätisch und unberührt von dem Lärm eine enorme Katze mit grünen Augen.
»Pronto! Pronto! Pronto!«
»Senta! Senta! Senta!«
Und dann sagt man noch, daß die Italiener das Bankwesen geschaffen haben! Wenn es wahr ist, so sind sie Deisten, die das Geschaffene nachher sich selbst überlassen haben.
»Pronto! Pronto! Pronto!«
»Senta! Senta! Senta!«
Die Katze starrte in den Lärm hinaus, rätselvoll wie eine Sphinx.
Endlich gelang es dem Kritiker Brüggemeyer, die Aufmerksamkeit eines Bankbeamten auf sich zu lenken.
»Mein Name ist Brüggemeyer. Ich wünsche fünfhundert Lire von meinem Konto zu beheben.«
Eine Weile verging. Endlich kam der Beamte zurück.
»Signor, es ist unmöglich für Sie, fünfhundert Lire zu beheben.«
»Warum?«
»Weil Sie nur zweihundertfünfzig Lire guthaben, und die Bank leiht Geld nur gegen Sicherheit.«
Brüggemeyer schlug sich an die Stirn.
»Ich habe nur zweihundertfünfzig Lire gut! Das ist furchtbar! Wie lange reichen zweihundertfünfzig Lire? Nicht einmal eine Woche. Was geschieht dann? Ich verhungere, wenn ich nicht eine Idee habe und schreiben kann. Mein Leben ist auf Ideen aufgebaut, wie Platos System; ich habe keine Ideen mehr, und ich habe nur zweihundertfünfzig Lire zwischen mir und dem Untergang. Das ist furchtbar! Ich bin ein Kamel. Geben Sie mir die zweihundertfünfzig Lire!«
In diesem Augenblick trat eine Pause im Lärm ein, wie im Trinklied in der Traviata. Einige Sekunden hindurch läuteten die Telephone nicht, die Beamten riefen nicht Pronto, und die Kunden riefen nicht Senta. Und mitten in dieser unerklärlichen Stille hörte Brüggemeyer seinen Namen rufen.
»Signor Brüggemeyer!«
Er drehte sich um. Es war ein Beamter am Schalter zehn, der rief und mit einem Papier winkte. Brüggemeyer ging zu ihm hin.
»Mein Name ist Brüggemeyer. Was wünschen Sie mir zu sagen?? Daß ich nicht einmal zweihundertfünfzig Lire guthabe?«
»Signor, ich sah Sie, ich erkannte Sie, und ich rief Sie. Ich will Ihnen sagen, daß Sie zweitausendzweihundertfünfzig Lire guthaben.«
»Sie sahen mich, Sie erkannten mich, und Sie riefen mich. Sie sind ein vortrefflicher Mensch. Aber es tut mir leid, Ihnen zu sagen, daß Sie ein sehr schlechter Bankbeamter sein müssen. Ich habe gerade von einem Kollegen von Ihnen erfahren, wie groß mein Guthaben ist. Es beträgt genau zweihundertfünfzig Lire.«
»Ah, aber das war früher! Jetzt haben Sie zweitausendzweihundertfünfzig Lire!«
»Sagen Sie mir, durch welche Zauberkunst Sie in einem Augenblick mein Vermögen verzehnfacht haben, und ich werde Sie nie vergessen.«
»Aber das ist doch außerordentlich einfach! Gerade jetzt traf von einer Zeitung in Paris eine Anweisung für Sie ein. Ich sah Sie, und ich rief.«
»Von einer Zeitung in Paris! Junger Mann, Zeitungen in Paris schicken kein Geld, wenn man ihnen keine Artikel schickt, und ich habe ihnen leider keine Artikel geschickt. Aber ich sehe dem Untergang mit Fassung entgegen.«
Der junge Bankbeamte reichte beleidigt ein Papier durch die Oeffnung des Schalters.
»Bitte, lesen Sie, Signor!«
Brüggemeyer las:
Banca Industriale Roma.
Bezahlen Sie an Monsieur François Brüggemeyer à conto Revue du Globe £ 2250 (Frcs. 1500) für geleistete literarische Arbeit.
Comptoir National d'Escompte.
Er legte stumm das Papier auf die Platte.
»Was bedeutet das?«
»Daß Sie zweitausendzweihundertfünfzig Lire guthaben, Signor, wie ich Ihnen sagte.«
»Von der Revue du Globe in Paris?«
»Von der Revue du Globe in Paris. Durch das Comptoir d'Escompte.«
»Kennen Sie die Revue du Globe?«
»Nein, Signor. Ich habe nie etwas von ihr gehört.«
»Wenn Sie sie kennen würden, so würden Sie meine Frage verstehen. Und kennen Sie das Comptoir National d'Escompte?«
»Ob ich das Comptoir National d'Escompte kenne! Natürlich!«
»Und ihre Unterschrift ist echt?«
»Ob sie echt ist! Natürlich!«
»In diesem Falle,« sagte Brüggemeyer, »in diesem Falle –«
Er schloß seinen Satz nicht ab.
»Für geleistete literarische Arbeit! Ist das ein Almosen? Ist das eine Unverschämtheit? Was soll das heißen?«
Der junge Beamte wiederholte mit unerschütterlicher Festigkeit:
»Daß Sie zweitausendzwei –«
Brüggemeyer legte sein Gesicht in das skeptischste Voltairelächeln, das er erzielen konnte, und winkte mit der Hand.
»Nein! Das ist eine Falle, um mich ins Gefängnis zu bringen und zu literarischer Zuchthausarbeit zu verurteilen. Geben Sie mir meine zweihundertfünfzig Lire und lassen Sie mich gehen!«
Mit diesem Gelde in seiner Tasche ging er seiner Wege. Einige Schritte vor der Bank hörte er wieder seinen Namen rufen.
»Herr Brüggemeyer!«
Er drehte sich um. Wer rief denn da? Aha, der französische Professor. Wie hieß er doch nur? Ja, – Pelotard. Ein netter Mensch, aber wie konnte er mit Maurice Lebrun verkehren, was er faktisch tat! Es zeigte sich, daß der Schriftsteller Maurice Lebrun auch in den Gedanken des Professors war. Indem er in seinen schwarzen Bart lächelte, sagte er:
»Verzeihen Sie, wenn ich Sie störe. Aber ich habe schon solange nicht mit Ihnen gesprochen. Sie sind vermutlich ebenso fleißig gewesen wie Herr Maurice Lebrun, von dem ich jede Woche eine Novelle in der Revue Lévy lese.«
Brüggemeyer machte das Voltairelächeln, das er in der Bank über sein Gesicht gebreitet hatte, noch voltairianischer.
»Sie nennen das Novellen?«
»Ja, oder sind es Kapitel eines Romans? Ich habe das noch nicht herausbekommen. Herr Lebrun ist sehr verschwiegen in dieser Sache.«
»Sie mißverstehen mich absichtlich. Finden Sie, daß man überhaupt in Verbindung mit Herrn Lebruns Schmierereien von Novellen oder Romanen sprechen kann? Daß sie irgend etwas mit Literatur zu tun haben?«
»Warum nicht!«
»Warum nicht? Grundgütiger Gott! Ich glaubte, Sie wären ein intelligenter Mensch!«
»Darüber überlasse ich Ihnen selbst das Urteil. Aber wenn ich finde, daß Maurice Lebruns Sachen geradesogut Literatur sind, wie andere Bücher, kann ich mich als Stütze für meine Auffassung auf die allerbeste Autorität berufen.«
»Wer sollte das sein?«
»Sie selbst, Herr Brüggemeyer.«
Brüggemeyer starrte ihn an.
»Ich? Ich hätte behauptet, daß Maurice Lebrun Literatur schreibt? Wann das? Wo?«
Der Professor hob den Zeigefinger zu einem Buchhandlungsfenster und sagte, noch immer lächelnd:
»In Ihrem Artikel in der letzten Nummer der Revue du Globe, die dort liegt!«
Brüggemeyers Voltairelächeln verschwand von seinem Gesicht, wie eine Zeichnung von einer Tafel gelöscht wird.
»Meinem Artikel?« –
»Ihrem Artikel!«
»In der letzten Nummer der Revue du Globe?«
»In der letzten Nummer der Revue du Globe.«
»Ich sollte einen Artikel in dieser Nummer haben, und in diesem Artikel hätte ich gesagt, daß Lebrun Literatur schreibt?«
»Sie haben einen Artikel in dieser Nummer, den ich gelesen habe, und darin sagen Sie, daß was Lebrun schreibt, Literatur ist.«
Ohne ein Wort des Abschieds verließ der Kritiker Brüggemeyer seinen Begleiter, und ohne einen Gedanken an sein Voltairelächeln eilte er in die Buchhandlung, wo man ihn kannte. Ohne etwas zu sagen, nahm er die Revue du Globe, warf fünf Lire auf den Ladentisch und eilte wieder hinaus, zum Gasthaus Al Povero Diavolo. Romeo rückte ihm einen Sessel hin, Aristides legte ihm die Speisekarte vor, und der Pikkolo Herkules sog für ihn Wein aus einem neuen Faß. Aber Brüggemeyer riß die Revue auf und las:
Der Professor hatte recht. Die Revue enthielt einen Artikel von ihm. Er war mit einer gesperrt gedruckten Einleitung der Redaktion versehen, in der sie sich und ihren Lesern zu der Erwerbung Brüggemeyers gratulierte, und der Artikel hieß: »Warum nicht Maurice Lebrun?«
Mit Auslassungen und Ueberspringungen las er:
»In Versailles und St. Germain hat man ein Puzzlespiel gelegt. Man hat Figuren verschoben; ein neues Weltbild ist entstanden. Die Menschen starren es an, einige mit Stolz, andere mit Mißvergnügen, andere mit Abscheu. Einige sagen, daß es eine neue Welt bedeute, andere, daß es den Untergang der Welt darstelle. Es ist möglich, daß die Welt untergeht, aber sie wird darum nicht neu.
Die Waffen haben aufgehört zu sprechen; die Musen brauchen nicht länger zu schweigen. Und wovon werden sie reden, wenn sie ihr erzwungenes Schweigen brechen? Von etwas Neuem? Es wäre vermessener, dies als eine neue Welt von Versailles zu erwarten.
Werden wir den Mann – die Frau – den Liebhaber wiedersehen, mit dem ewigen Dreikörperproblem beschäftigt? Wir werden sie wiedersehen, abwechselnd mit der Frau, dem Mann, der Geliebten und anderen noch verwickelteren Kombinationen.
Werden wir die blutige Faustkampfromantik wiedersehen, und die geheimnisvollen Waldabenteuer, in vier Wänden erdichtet? Wir werden sie wiedersehen; ihre Blutigkeit wird vielleicht im Verhältnis zu den Blutverlusten des Krieges vermindert sein, aber ihr Ammenspuk wird im Verhältnis mit dem Aberglauben des Krieges zugenommen haben.
Werden wir die gefühlvollen Märchen wiedersehen, die Legenden, mit sanftem, kindlichem Tonfall von längst erwachsenen Kindern erzählt? Wir werden sie wiedersehen; ihre Anziehungskraft wird durch den Krieg verdoppelt sein.
Werden wir die symbolische Dramatik wiedersehen, wo ein Fenster, das geschlossen wird, eine Replik bedeutet, und ein Licht, das man löscht, mystische Bedeutung hat, wie im griechisch-katholischen Gottesdienst? Wir werden sie wiedersehen. Ihre Anziehungskraft wird durch den Krieg verzehnfacht sein.
Werden wir wieder zu jenen gedruckten, historischen Maskeraden eingeladen werden, wo Pariser skeptische Athener spielen und Pariser Kokotten alexandrinische Hetären? Wir werden wieder zu diesen Maskeraden eingeladen sein. Und werden wir schließlich die Utopien wiedersehen, wo alles mit Elektrizität geht, wo unsere Nachkommen Pillen zu sich nehmen anstatt Speisen und Esperanto sprechen anstatt Französisch? Wir werden es, und möglicherweise wird dies, wenn schon nichts anderes, uns zur Einsicht der Eitelkeit unserer Hoffnung bekehren, wenn wir noch etwas Neues hoffen.
Etwas Neues? Wie sollten wir etwas Neues erwarten können? Ist nicht von Anfang an unsere Gleichung mit Bekannten und Unbekannten gegeben? Besteht nicht die Sprache aus einer begrenzten Anzahl Worten, und entstehen nicht alle Worte unserer Sprache aus vierundzwanzig ewig gleichen Buchstaben? Ja. Es gab einen römischen Kaiser, der im kaiserlichen Wahnsinn das römische Alphabet unzureichend fand und beschloß, daß es um drei Buchstaben vermehrt werden müßte. Ich bezweifle, daß Bücher, mit anderen Alphabeten geschrieben als dem unsern, besser sind als unsere. Was ich sagen will, ist: Seht die Roulette an! Sie hat nur eine begrenzte Anzahl Nummern, kaum größer als die Anzahl der Buchstaben unseres Alphabetes. Von Kombinationen derselben hängt das Spiel ab – und verliert es je sein Interesse? Wird es je langweilig? Nein. – Gehet zur Roulette und lernet, wenn ihr Bücher schreiben wollt!
Bevor dies nicht geschehen, werde ich mich nicht mit Literatur befassen. Bis dahin ziehe ich eine philosophische Abhandlung allen Ehebruchromanen vor; kein historischer Roman kommt für mich an ein Buch über die Funktionen der Leber heran; eine Schilderung des Lebens der Insekten erbaut mich mehr als alle moderne Musik. Ebensogut, wie von imaginärer Wollust, imaginärer Brutalität und imaginärer Frömmigkeit – fast ebensogut kann ich mich hinsetzen und imaginäre Abenteuer lesen. –
Warum nicht ebensogut, wie Herr M., Herr I., Herr K., Herr L. und Herr N. Warum nicht ebensogut Maurice Lebrun? Er hat ja wieder zu schreiben begonnen. Warum nicht ebensogut er?
Ich weiß es nicht!«
Die Uhr war zwölf, als ein Herr in grauem Borsalino auf etwas unsicheren Beinen in den Lift des Hotels Cavour taumelte und zu dem kannibalisch grinsenden Abdullah sagte:
»Abdullah, Sohn des Abdullah, wir sprachen heute vormittag über die Zukunft der Literatur und der Kritik. Du weigertest dich auszusprechen, und wie gewöhnlich, du schlichter Sohn Hams, tatest du recht. Meine Besorgnis war unnötig. Die Zukunft der Kritik ist klar. Nunmehr schreibt man seine Kritik nicht selbst, man bekommt sie gedruckt, signiert und honoriert, ohne einen Finger zu rühren. Was hältst du davon? Wie erklärst du das?«
»Ein böser Geist haben es getan, Signor.«
»Du hast recht!« rief der Kritiker Brüggemeyer. »Das ist die Erklärung. Ein böser Geist hat es getan. Alle gebildeten Menschen glauben heutzutage an böse Geister. Hier hast du zehn Lire.«
Abdullah, Sohn des Abdullah, nahm überwältigt den Zehnlireschein in Empfang und erbot sich, den Kritiker Brüggemeyer die ganze Nacht im Lift hinauf und hinunter zu fahren. Aber der Kritiker Brüggemeyer taumelte vielmehr in sein Zimmer, wo ein Brief auf ihn wartete.
Er trug den Poststempel Tivoli bei Rom vom Tage, und er lautete:
Mein Herr!
Wahrscheinlich haben Sie nicht ohne eine gewisse Verwunderung in der letzten Nummer der »Revue du Globe« einen Artikel gelesen, betitelt »Warum nicht Maurice Lebrun?« Dieser Artikel ist mit Ihrem Namen signiert.
Ein Zufall ließ mich wissen, daß Sie sich im Augenblick nicht zum Schreiben disponiert fühlen. Ich nahm mir daher die Freiheit, in Ihrem Namen gewisse Ansichten in der »Revue du Globe« zum Ausdruck zu bringen. – Ansichten, von denen ich überzeugt bin, daß Sie sie billigen, weil sie von jedem vernünftigen Menschen geteilt werden müssen.
Daß ich sie nicht in meinem Namen aussprach, kommt daher, daß dieser Name nicht so wohlbekannt ist, wie der Ihre. Sie haben vermutlich von der »Revue du Globe« bereite ein ansehnliches Honorar empfangen. Das muß in zwei gleiche Teile geteilt werden. Allerdings haben Sie ja bei dem Artikel keine Mühe gehabt, aber ich sehe ein, daß ich für Ihren Namen bezahlen muß.
In der Hoffnung einer Mitteilung hierüber – ich möchte mir ungern das Gegenteil denken – verbleibe ich mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebener, aber anonymer
P. P.
Adresse: Expedition der Zeitung »Mezzogiorno« z. frdl. Weiterbef.
Der Kritiker Brüggemeyer sah mit einem müden Voltairelächeln in seinen Spiegel und sagte:
»Eine seltsame Form der Erpressung! Wer kann das sein?« –
Der Schriftsteller Maurice Lebrun, der am selben Nachmittage die »Revue du Globe« gelesen hatte, ballte ungefähr gleichzeitig im Hotel Milano seine violetten Hände und rief wütend dem Pantheon davor zu:
»Brüggemeyer ist der, der meine Erzählung geschrieben hat. Er will Geld erpressen! Es kann kein anderer sein!«
Ein paar Tage später las er in der »Revue Lévy« eine neue Erzählung von sich selbst, betitelt: »Eine Parlamentswahl«.