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III.
Literarische Meditationen

Ein violetter Herr saß im Café Faraglia in Rom mit der Nummer einer Zeitschrift in der Hand, in der eine Geschichte von ihm selbst stand, die er nie geschrieben hatte.

Anfangs weigerte er sich, zu glauben, daß das wahr war. Wie ließ sich so etwas denken?

Diese Frage war berechtigt. Nie in der Literaturgeschichte hat sich etwas Aehnliches ereignet. Andere Zeitschriften haben Erzählungen enthalten, die nicht von dem Schriftsteller geschrieben waren, der sie signiert hatte. Aber dann beruhte es darauf, daß der Schriftsteller die Erzählung irgendeinem anderen Schriftsteller ohne dessen Vorwissen gestohlen hatte. Der umgekehrte Fall, daß ein Schriftsteller einem anderen ohne sein Wissen eine Erzählung schenkte, ist so undenkbar, daß man sich an den Kopf greift, um sich zu überzeugen, ob man wach ist.

Ja, man ist wach. Die Sonne scheint auf den Palazzo Venezia, ein rotziger Gassenjunge wünscht mit einem Veilchenbukett ein Geschäft zu machen und will sich nicht abspeisen lassen, die Nummer der Zeitschrift liegt zum Beweis dafür da. Sie enthält das erste Kapitel eines Romans von Maurice Lebrun. Und Maurice Lebrun hat schon seit langer Zeit weder das erste Kapitel noch irgendein anderes Kapitel irgendeines Romans geschrieben.

Nein, ein Kapitel in einem Roman entsteht nicht von selbst, leider! Also muß, falls das Leben kein Traumspiel ist, jemand dabei tätig gewesen sein. Jemand muß hinter diesem Phänomen stehen. Wer ist dieser Jemand? Warum hat er das, was er getan hat, getan? Wie konnte er es tun? Wie ist das möglich gewesen?

Die erste Frage ist unmöglich zu beantworten. Niemand und alle können verdächtigt werden.

Die andere Frage ist wesentlicher. – Warum hat der Betreffende es getan? Vorausgesetzt, daß er nicht verrückt ist, kann man sich kaum mehr als zwei Beweggründe denken. Der eine ist literarische Eitelkeit. Der andere sind dunkle ökonomische Pläne.

Will der Betreffende sich der Methode des Kuckucks bedienen, um berühmt zu werden?

Wünscht er ein Ei in ein fremdes Nest zu legen und sich mit dieser Vaterfreude aus zweiter Hand zu begnügen? Hat man je von einer solchen Vereinigung von Ehrgeiz und Bescheidenheit gehört? Nein.

Oder gehen seine Pläne weiter? Ist die rein literarische Befriedigung nicht genug für ihn? Denkt er Geld aus seinem schmutzigen Vorgehen herauszuschlagen? Das ist eher denkbar, das ist denkbar. Aber die Revue Lévy hat die Order, die Honorare durch Maurice Lebruns Bank in Rom auszuzahlen. Daß sie es bisher nicht getan hat, kommt daher, daß es nichts zu honorieren gab. Aber in der Bank ist nur ein Beamter; das ist der Inhaber selbst, der kennt Maurice Lebrun und bezahlt keinem anderen etwas aus.

Ein dritter Punkt erübrigt: wie ist dies möglich gewesen? Das Manuskript kann maschinengeschrieben gewesen sein, ja, es war sicherlich maschinengeschrieben; aber ein Manuskript, das sind nicht nur soundso viele Seiten auf der Maschine, das ist Stil! Das ist Inhalt! Dies sollte Maurice Lebrun sein! Dies sein unnachahmlicher Stil! Dies sollte der Feder entströmt sein, die Renard Lepin und einunddreißig andere Bücher geschrieben hat! Wer ist der Redakteur, der ein einziges dieser Bücher gelesen hat und sich von dieser erbärmlichen Nachäffung düpieren läßt? Nachäffung! Haha! Und noch einmal Haha! Wer wagt, dies eine Nachäffung zu nennen? Nachäffung wäre ein Ehrentitel für ein solches Produkt. Eine Nachäffung enthält doch immerhin die Andeutung einer Aehnlichkeit. Aber wo ist auch nur der Schatten einer Aehnlichkeit zwischen Maurice Lebrun und diesem? Wo ist Maurice Lebruns Humor? Was ist aus seiner Intrige geworden? Wo bleibt sein Stil?

Nein, daß eine Redaktion wie die Redaktion der Revue Lévy einen Mischmasch wie diesen, ohne Stil, ohne Intrige, ohne Humor, für ein Werk von Maurice Lebrun hält, das ist derart unglaublich, daß man sich wieder an den Kopf greift, um sich zu vergewissern, ob man wach ist.

Eine Sache war zu tun: an die Zeitschrift zu telegraphieren. In Erfahrung zu bringen, wie das Manuskript ihr zugekommen war, woher es abgesandt war, wer es abgesandt hatte, ob der Betreffende den Versuch gemacht hatte, ein Honorar zu erlangen, richtiger gesagt, welche Versuche er gemacht hatte, um zu dem Honorar zu kommen. Genaue Details waren nötig, um diesen Schurken zu fassen, dem nichts heilig war. Ein solches Telegramm würde lang sein; es müßte mit Ueberlegung abgefaßt werden; es würde Geld kosten.

Lebrun erhob sich mit den blutunterlaufenen Augen eines Stieres von dem Trottoirtisch des Café Faraglia. Er mußte in die Bank gehen, bevor er ins Telegraphenamt ging; das kleine Kapital, das er noch besaß, befand sich in einer Bank von entsprechender Größe; Signor Nathan Sinigaglia verwaltete es in seinem Kontor in San Silvestro. Um das Gedränge auf dem Corso zu vermeiden, nahm er die kleinen Parallelgäßchen zu diesem. Er begegnete gigantischen zweiräderigen Karren, die fast den ganzen Zwischenraum zwischen den Häusermauern ausfüllten; blinde, beinlose Bettler appellierten an sein Mitleid und segneten ihn im vorhinein. An einer Stelle hatte man mitten auf der Straße ein Feuer gemacht und kochte sein Mittagessen dabei. Maurice Lebrun war blind und taub für all dies. Seine Gedanken waren von dem Unbekannten ausgefüllt, der in sein Leben eingegriffen hatte. Sein Gesicht war violetter denn je, als er durch den Lärm in San Silvestro in die Bank Sinigaglias taumelte.

Eine majestätische Katze mit grünen Sphinxaugen, das heilige Tier Italiens, thronte auf der Schranke der Bank. Hinter der Schranke war Nathan Sinigaglia mit dem Hoffnungslosesten auf Erden beschäftigt, einem italienischen Telephongespräch.

»Bronto, Signorina, bronto!« rief er ein Mal ums andere, melancholisch schnarrend: »Bronto, bronto!«

Pronto, das in Nathan Sinigaglias Mund zu bronto wurde, bedeutet, ich bin bereit, oder hallo! Es ist das einzige Wort, das von italienischen Telephondrähten befördert wird.

Nathan Sinigaglia hängte mit einem Seufzer den Hörer auf. Selbst die in einförmigen Wüstenwanderungen erprobte Geduld seiner Nation versagte vor diesem.

»Vierzig Minuten, Signor,« sagte er, »stehe ich schon hier und rufe! Bei Abrahams Gott! Was wünschen Sie, Signor!«

»Geld!« sagte Maurice Lebrun. »Wieviel habe ich noch zugute?«

Nathan Sinigaglia schob die Katze weg und schlug in einem Folianten nach.

»Signor, vor einem Monat haben Sie siebentausend Lire bei mir eingelegt. Heute haben Sie noch dreihundert Lire gut.«

»Dreihundert!« wiederholte Maurice Lebrun.

Seine Gesichtsfarbe gestattete ihm nicht zu erbleichen.

»Dreihundert,« bestätigte Nathan Sinigaglia mitleidig. »Wünschen Sie das Ganze zu beheben?«

Maurice Lebrun hatte eine Vision seiner selbst; er hing über einem Abgrund, sich krampfhaft an einer letzten Stütze festklammernd: drei Hundertlirenoten. Wenn auch die weg waren, dann trennte ihn nichts mehr von Ruin, Hunger und Elend. Die Katze fixierte ihn mit ihren funkelnden Pupillen, als wollte sie sagen: das ist dein Schicksal; das ist die Folge, wenn man ausgeschrieben ist! Mit dicker Stimme sagte Maurice Lebrun:

»Geben Sie mir zweihundert!«

Er würde zweihundert Lire beheben und sparen. Ja, jetzt hieß es sparen!

»Zweihundert,« wiederholte Nathan Sinigaglia mit mitleidiger, gutturaler Stimme und schrieb in seinen Folianten. Ein Briefträger unterbrach ihn; er mußte drei rekommandierte Briefe unterschreiben. Dann nahm er zwei cremefarbene Hundertlirenoten und riß an ihnen. In irgendeiner mystischen Weise schienen diese auf dem Geldmarkt verachteten Noten zwischen seinen Fingern Wert zu erhalten. Maurice Lebrun nahm sie aus seiner Hand, und sofort waren es wieder zweihundert Lire. Zweihundert Lire! Und von diesen elenden Lire, die ihn von Ruin, Hunger und Elend trennten, war er gezwungen, zwanzig oder dreißig dafür zu opfern, einen Schurken zu entlarven, der seinen Namen gestohlen hatte und sich nun vermutlich bemühte, dieses gestohlene Gut in Geld umzusetzen – wenn er es nicht schon getan hatte. Wütend drückte er den Hut auf das Seehundshaar und öffnete die Türe, um zu gehen, als ein Ruf ihn zurückhielt.

»Signor! Signor Lebrun!«

Es war Nathan Sinigaglia. Was wollte er?

Nathan Sinigaglia lächelte strahlend einem Brief zu, den er soeben geöffnet hatte.

»Geld für Sie, Signor!«

»Geld für mich?«

»Si, si! Viel Geld!«

»Für mich?«

»Für Sie!«

»Wieviel?«

»Siebentausend Lire!«

»Bitte, sagen Sie das noch einmal!«

»Siebentausendfünfhundert Lire!«

»Für mich?«

»Für Sie!«

Maurice Lebrun fixierte seinen Bankier mit blutunterlaufenen Augen. Von der Schranke erwiderte die Katze seinen Blick aus zwei funkelnden Pupillen, die sagten: Das ist das Schicksal, ich wußte es.

»Darf ich sehen?«

Nathan Sinigaglia reichte ihm ein Papier. Lebrun las:

»Bezahlen Sie an Monsieur Maurice Lebrun siebentausendfünfhundert Lire (fünftausend Franken) Honorar nach Vereinbarung für literarischen Beitrag für die Revue Lévy à conto Revue Lévy, Crédit National Paris.«

Ja, das stand da, schwarz auf weiß. Er träumte nicht, obgleich die Welt, in der er sich seit heute morgen bewegte, mehr und mehr an eine Traumspielwelt zu erinnern begann.

Fünftausend Franken! Gab es da irgendeine Erklärung? Ja, eine einzige. Die Revue Lévy, die das unmögliche Kapitel als von Maurice Lebrun herrührend akzeptiert hatte, hatte Maurice Lebrun dafür umgehend honoriert –!

Der Schurke, der seinen Namen gestohlen, hatte wenigstens das gestohlene Gut nicht zu Geld machen können!

Er hatte die Mühe gehabt, seinen elenden Mischmasch zusammenzuschweißen, das war alles! Er hatte gesät, und ein anderer hatte geerntet!

Aber! –

Aber es gab noch andere Seiten der Sache.

Konzis ausgedrückt, hatte er die Wahl zwischen siebentausend Lire und einem Telegramm.

Hier lagen siebentausend Lire.

Er brauchte siebentausend Lire. Mit siebentausend Lire war er beinahe reich –, gesichert für einen Monat. Er sollte also die siebentausend Lire quittieren.

Aber wenn er es tat, konnte er nicht telegraphieren. Das war die Pointe.

Quittierte er dieses Geld, dann konnte er nicht an die Revue Lévy telegraphieren und fragen, wie das Manuskript ihr zuhanden gekommen sei, woher es abgesandt war und wer es abgesandt hatte. Er konnte nicht fragen, wie eine angesehene Zeitschrift ein solches Erzeugnis annehmen konnte, er konnte nicht um eine Erklärung bitten. Wie eine verantwortliche Redaktion sich dermaßen blamieren konnte, in einem Opus dieser Art, ohne Stil, ohne Intrige, ohne Humor, Aehnlichkeit mit Maurice Lebrun zu finden, ja es dem Publikum als von Maurice Lebrun stammend zu servieren.

Sich für all dies eine Erklärung auszubitten, darauf mußte er verzichten.

Dafür bekam er siebentausend Lire. Sollte er seinen guten Namen für siebentausend Lire opfern? Nie und nimmer!

Nein, er mußte das Geld zurückschicken, direkt zum Telegraphenamt gehen und ein ausführliches Telegramm an die Zeitschrift schicken. Der Elende mußte hopp genommen werden.

Wenn er dann telegraphiert hatte, dann hatte er zweihundertsiebzig Lire als einzige Ressource im Leben übrig. War die Erzählung in der Revue Lévy so miserabel?

Er schlug das Heft auf und überflog die Seiten, mit einem Auge, um sich nicht überwältigen zu lassen. Ah, und ob sie miserabel war! Hie und da waren ja Ansätze zu einer Pointe, aber was wurde daraus? Hier und dort konnte man Versuche zu Stil ahnen, aber im übrigen welche Sprache! Ein paarmal konnte etwas wie ein Schimmer von Humor im Gedankengang aufblitzen, aber – nein, der Schurke mußte entlarvt werden.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Nathan Sinigaglia wollte schließen. Maurice Lebrun wies auf die Wanduhr.

»Aber es ist ja noch nicht fünf Uhr!«

»Nein, nein!« Nathan Sinigaglia nickte schlau zustimmend. »Ein Ritardo! Sie geht zu spät. Damit ich nicht so früh aufmachen muß!«

»Aber Sie schließen zur normalen Zeit?«

»Si, si!«

Monsieur Lebrun schüttelte den Kopf. So wurde man in diesem Lande! So wurden sogar Nathan Sinigaglias Stammesbrüder – – Das war die Sonne! Trägheit, göttliche Trägheit, Arbeitsunlust. – Wer wußte das besser als er. Die Bank sollte geschlossen werden. Es war Samstag. Er hatte zweihundert Lire, um bis Montag damit auszukommen. Was waren zweihundert Lire? Nichts. Schon die längste Zeit hatte er keine frohe Stunde gehabt, nur Kummer und Sorgen.

»Signor Sinigaglia, seien Sie so freundlich und geben Sie mir zweitausend Lire von den siebentausend, die gekommen sind. Schreiben Sie den Rest auf mein Konto.«

»Si, si, Signor.«

Nathan Sinigaglia riß bereits an den cremefarbenen Noten. Die Katze auf dem Tisch fixierte Lebrun mit funkelnden Pupillen, die sagten: Dies wird dein Schicksal, ich wußte es.

An der Via della Vite liegt eine Osteria von unendlich dürftigem Innern, aber mit einem Cesanesewein, der stark genug ist, um Herz und Nieren zu betäuben. Auf einer der wandfesten Bänke saß Maurice Lebrun, in einen leichten angenehmen Rausch versunken. Er suchte ihm Ausdruck zu geben. Ein blinder Greis wurde hereingeführt, um da zu betteln; Lebrun gab ihm zehn Lire. Ein Junge kam herein und rief: » Cald' Arrosti, Cald' Arrosti!« Lebrun kaufte einen Korb voll heißer Kastanien und ließ ihn dem Jungen. Er saß hier mit zweitausend Lire und hatte über fünftausend in der Bank. Und alles auf Grund seiner Novelle, die er nicht geschrieben hatte. Das war so eigentümlich, daß er sich zuweilen fragte, ob er die Novelle nicht vielleicht doch geschrieben hatte. Im Schlaf, es gab ja etwas, das automatische Schrift hieß.

Jemand setzte sich auf die Bank daneben und bestellte Wein. Lebrun sah ihn zerstreut an und erwachte. Es war Professor Pelotard, der Mann, der ihm heute morgen die Revue Lévy gezeigt hatte.

Der Professor war der letzte Mensch, den er gerade in diesem Augenblick zu treffen wünschte.

»Gestatten Sie mir eine bescheidene Frage,« sagte der Professor, nachdem er gegrüßt hatte.

»Und zwar?«

»Eigentlich ist es eine Bagatelle.

»Aber es kam mir vor, daß Sie beinahe erstaunt aussahen, als ich Ihnen die Revue Lévy mit Ihrer Novelle zeigte. Hatte ich recht?«

Lebrun fuhr auf.

»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, von meiner Novelle zu sprechen!«

»Nun gut, das Kapitel Ihres Romanes, also. Was ist es übrigens? Wie soll man es nennen?«

Lebrun sank zusammen. Seine zweitausend Lire, die eben noch sein Herz leicht gemacht hatten, lasteten plötzlich auf ihm.

»Hm, nennen Sie sie, wie Sie wollen, das geht mich nichts an.«

»Sie zeigen eine Gleichgültigkeit gegen die Kinder Ihrer Muse, die eines Spartaners würdig wäre. Ich für meine Person finde Ihre neue Geschichte vortrefflich, ob sie nun eine Novelle oder ein Romankapitel ist. Ich erkenne Sie in jeder Zeile wieder. Ihre Gabe, eine Intrige zu knüpfen, Ihren Humor und Ihren Stil. Ich hoffe, Sie nehmen es nicht übel, daß ich Ihnen mein Urteil sage.«

»Intrige – Humor – Stil.«

Lebrun hatte sich halb aufgerichtet und starrte unter der Seehundsmähne den Professor an. Der Professor war ein Bild erstaunlicher Höflichkeit.

»Habe ich Sie irgendwie verletzt? Ich gebe zu, daß mein Urteil ohne Wert ist, und daß ich vielleicht Ihre Erzählung nicht genügend ger…«

Lebrun schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Schweigen Sie, sprechen Sie nicht davon! Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich gar nicht selbst –, daß nicht ich derjenige bin, der –, daß ich das Opfer einer –, daß ich das, was heute in der Revue Lévy steht, für das Schlechteste halte, das –, das je unter meinem Namen erschienen ist. Da haben Sie meine Ansicht.«

»Sie sind zu bescheiden.«

»In keiner Weise. Ich bin aufrichtig. Uebertreibe ich, so ist es, weil ich diesem – diesem Schund in der Revue Lévy noch zuviel Anerkennung zolle.«

Der Professor strich seinen Bart.

»Sie sind ein ungewöhnlicher Autor! Na, wir können ja über den Anfang uneinig sein, aber ich bin sicher, daß die Fortsetzung mir recht gibt. Darf ich fragen, wann kommt Ihr nächster Beitrag in der Revue Lévy?«

Mit ungeteilter Verblüffung beobachtete er den Effekt seiner letzten Worte. Der Schriftsteller Maurice Lebrun richtete sich zu seiner ganzen Länge auf, wie einer jener furchtbar häßlichen Djinns in Tausendundeiner Nacht, starrte auf den Professor hinab, wie um ihn zu erwürgen, erstickte mit offensichtlicher Anstrengung einen Wortstrom und stürzte ohne weiteres zur Türe hinaus.

Als Lebrun gegen fünf Uhr nachts in sein Hotel zurückkam, fand er auf dem Schreibtisch einen Brief. Er las ihn mit unsicheren Augen. Er war französisch, mit der Maschine geschrieben, und trug den Poststempel Rom vom selben Tage.

Mein Herr!

In der letzten Nummer der Revue Lévy haben Sie vermutlich einen Beitrag gelesen, signiert Maurice Lebrun.

Sie wissen zweifelsohne, daß er nicht von Maurice Lebrun geschrieben ist.

Da mir sowohl Ihr Kontrakt mit Lévy & Cie., wie Ihre, wie ich hoffe vorübergehende, Unfähigkeit zu schreiben bekannt ist, habe ich mir die Freiheit genommen, diesen Beitrag zu liefern, den die Zeitung von Ihnen erwartete, auf den sie sonst vermutlich noch lange hätte warten können und dessen Einsendung für Sie von größter Bedeutung war.

Mit diesen letzten Worten beziehe ich mich auf die fünftausend Franken Honorar, die Sie von der Zeitschrift empfangen haben oder empfangen werden.

Ich habe keinerlei Versuch gemacht, mich in den Besitz dieses Geldes zu setzen. Ich bin der Ansicht, daß das Honorar teilweise Ihnen zukommt, da Ihr Name die Höhe des Honorars bedingt. Aber Sie sind sicher mit mir darin einig, daß die andere Hälfte mir, als dem wirklichen Verfasser des Beitrags, gebührt.

Ich bin also überzeugt, daß Sie mir freundlichst zweitausendfünfhundert Franken (dreitausendfünfhundert Lire) unter der Adresse F. C. Bureau der Zeitung Tempo anweisen. Im entgegengesetzten Falle – aber dieser Möglichkeit widme ich bis auf weiteres keinen Gedanken.

In der Hoffnung auf weitere angenehme literarische Zusammenarbeit

Ihr ergebener
F. C.

Maurice Lebruns Gesicht wurde ultraviolett. Er hob seine geballte Hand gegen den neuen Tag, der über dem Dach des Pantheon graute.

»Elender! So, das glaubst du! Du stiehlst meinen Namen, und jetzt erwartest du, daß ich dir noch Geld dafür bezahlen werde! Na, warte nur! Bitte! Und mir noch drohen! Ja, freilich! Ich bezahle dir nicht einen Sou! Darauf kannst du Gift nehmen! Erpresser!«

Eine Woche später, als Maurice Lebrun an dem internationalen Zeitungsladen in der Via Condotti vorbeiging, sah er eine neue Nummer der Revue Lévy an der Türe hängen. Von einer dunklen Ahnung getrieben kaufte er sie.

Auf der ersten Seite stand:

Eine Partie Bézigue, Kapitel zwei von Maurice Lebruns neuem Roman.

Er las. Es schien eine direkte Fortsetzung der früheren Geschichte zu sein, die man diesmal unter seinem Namen servierte.


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