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XIII. Kapitel.

Abschaffung der Tortur. – Anhänger der Tortur. – Hexenwahn im neunzehnten Jahrhundert. – Ostpreussen. – Russland. – Kaukasien. – Mexiko. – Rheinprovinz. – Exorzismus. – Johannes Perone. – Johann Peter Gury. – Andreas Gassner. – Besessenheit. – Vilmar. – Religiöser Dualismus. – Hexenverfolgung in Indien. – Maximilian Perty. – Hexerei als Geisteskrankheit erklärt. – Urteil eines Juristen über Hexerei.

Die Theresiana trat 1769 in Kraft, also zu einer Zeit, wo Josef II. bereits Mitregent war. Noch vor dem Tode Maria Theresias, schon 1776 wurde die Tortur in Österreich aufgehoben, nachdem Preussen 1754, Baden 1767, Mecklenburg 1769, Sachsen, Braunschweig und Dänemark 1770 damit bereits vorausgegangen waren. In Frankreich fegte erst der Sturmwind von 1789 diese grässliche Peinigung fort, ebenso verschwand sie auch dort, wohin die Waffen Frankreichs für einige Dauer siegreich vordrangen. In Russland wurde die Tortur 1801 aufgehoben, in Bayern und Württemberg 1809, in Hannover erst 1822 und in Gotha sogar erst 1828. Dass mit der Aufhebung der Tortur nicht auch deren gänzliche Beseitigung erfolgte, soll später noch erwiesen werden.

So sehr in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die peinliche Frage im Gerichtsverfahren als Grausamkeit betrachtet wurde, fand sie doch noch in Gelehrtenkreisen, besonders bei Juristen eifrige Anhänger. Der gelehrte Weimarische Amtmann Hieronymus Christoph Meckbach schrieb 1756: »Wir mögen ein Genus tormentorum nehmen, welches wir wollen, so ist solches der Gesundheit schädlich. Bei der Ausspannung auf der Leiter werden dem Inquisiten die Arme aus der Junctur gezogen und, wenn solche nicht recht wieder eingerichtet werden, davon lahm, und entsteht wohl eine Schwindung darauf. Sobald nun einer Schmerzen empfindet, kann er nicht sagen, dass er gesund sei; denn gesund sein und doch Schmerzen haben ist eine Contradictio. Wer ein solches Genus tormentorum erfinden könnte, das keine Schmerzen macht, gleichwohl aber den Inquisiten dadurch zum Geständnis bringen könnte, der würde fürwahr ein grosses Praemium verdienen, und ein solches Mittel könnte alsdann nicht mehr die Marter oder die peinliche Frage genannt werden, sondern müsste alsdann ihm ein ganz anderer Name beigelegt werden. So wenig aber einer longitudinem in mari, und das perpetuum mobile herauszubringen im stande sein wird, so und noch weniger wird einer eine Tortur ohne Schmerzen erfinden und durch solche den Inquisiten zum Geständnis bringen können. Zu dem Hunger braucht man zwar keine Instrumenta, die den Leib äusserlich afficieren und Schmerzen verursachen, dennoch aber macht er viel grössere und längere Schmerzen, als alle andere peinlichen Instrumenta verursachen können und ist der Gesundheit weit schädlicher, ja tötlicher; gleichwohl aber wird der Hunger als eine Tortur gebraucht. Brunnemann hat in seinem Inquisitions-Prozess die Marter des beständigen Wachens für das beste Mittel gehalten, die Inquisition dadurch ohne sonderliche Marter zum Geständnis zu bringen. Ob nun schon das beständige Wachen so grosse Pein nicht verursacht, so würde auch solches kein Mittel sein das Geständnis dadurch herauszubringen. Ein solcher Mensch würde auch endlich in delirium fallen, seiner Sinne beraubt und alsdann dessen Geständnis unbrauchbar sein, mithin dieses Mittel das Geständnis herauszubringen, mehr schädlich als nützlich werden. Denn was wollte man hernach mit einem in die Raserei verfallenen, oder närrisch und albern gewordenen Menschen und dessen Geständnis anfangen?« Diese vernünftigen Gründe vermögen aber den Verfasser nur zu dem Schluss zu bringen, dass die übliche Marterung zwar ein grosses, aber auch nötiges Übel sei. Er gehörte zu den Anhängern der bambergischen Prügel-Tortur, vor der sich, seiner Meinung nach, die Bösewichter am meisten fürchten.

Ähnlich, oder noch strenger äusserte sich über Anwendung der peinlichen Frage noch viele andere Autoren dieser und der vorhergegangenen Zeit, wovon namentlich letztere viele Schriften dieser Art aufzuweisen hat. Besonders sind uns zahlreiche Dissertationen überliefert worden und es will fast scheinen als ob dieses Thema an den deutschen Hochschulen sehr beliebt war. Anderseits wieder sehen wir auch die Behörden eifriger als früher bemüht die Härten der Tortur zu mildern und von Ärzten Gutachten über die Art und das Mass der anzuwendenden Mittel einholen. Indes was der peinlichen Frage im Gerichtsverfahren am meisten hemmend entgegentrat und wohl hauptsächlich zu deren Aufhebung beitrug, war der Umstand, dass der Hexenwahn, wenigstens in den gebildeten Kreisen, so ziemlich verflogen war, wie sich deutlich auch aus einigen angeführten Stellen der Theresiana ergiebt. Dass er aber selbst im neunzehnten Jahrhundert zuweilen noch unheilvoll in Erscheinung trat muss zugegeben werden und es dürfte geeignet sein hier zur Ergänzung des bereits über diesen Gegenstand Mitgeteilten noch einiges aus dem letzten Saeculum anzuführen. Wir würden uns übrigens über den Fortschritt der menschlichen Kultur einer argen Täuschung hingeben, wenn wir annehmen wollten, dass es sich hierbei um einen bereits überwundenen Aberglauben handelt. Wie bereits bemerkt wurde, und wie jeder, der die Tagesereignisse verfolgt, weiss, lebt der Glaube an die Wirkung von Zauberei und Hexentum auch heute noch kräftig, und zwar nicht nur in der grossen, derlei Irrtümern leichter zugänglichen Menge, sondern auch in den Kreisen der sogenannten Intelligenz. Und es ist eine nicht gar zu seltene Erscheinung, dass dieser Glaube im Gedanken-Modekleid der unmittelbaren Gegenwart, oder gar mit einem pseudo-wissenschaftlichen Mäntelchen umhangen im hellen Sonnenschein daherstolziert. Allerdings, aus der Rechtspraxis ist dieser Wahn völlig verschwunden und dürfte wohl auch in Europa selbst in den am wenigsten kultivierten und aufgeklärten Gegenden nicht zu finden sein. Aber es mag hier und dort heute noch vorkommen, was Schindler in seinem »Der Aberglaube des Mittelalters« mitteilt: »Noch im Jahre 1832 wurde in der Gegend von Danzig eine Unglückliche hinausgefahren und auf grausame Art ertränkt; und noch 1854 wurde in meiner Nähe eine alte Frau beerdigt, die im ganzen Dorfe als Hexe galt und der man deshalb die Leichenbegleitung versagte.« Noch im Jahre 1879 wussten Zeitungen aus Russland zu berichten: In dem Wratschewo des Novgoroder Gouvernements ist ein Bauernweib namens Agrafened Ignatiewa von den Einwohnern des genannten Dorfes wegen Verdachts der Hexerei lebendig verbrannt worden. Die Ältesten des Dorfes liessen Tür und Fenster des Hauses, in welchem die vermeintliche Hexe wohnte, mit Brettern verschlagen, hierauf Stroh und Holz um das Haus legen und schliesslich das Haus mit der »Hexe« verbrennen. Das unglückliche Opfer der abergläubischen Bauern wurde im buchstäblichen Sinne des Wortes zu Asche verbrannt. Über hundert Dorfbewohner, darunter der Ortspope, wohnten diesem schrecklichen Schauspiele bei. So geschehen im Jahre 1879.«

Soldan-Hoppe, denen wir dieses Zitat entnehmen, erzählte auch einen ähnlichen Vorfall aus dem russischen Staatsgebiet, wobei auch die Tortur zur Anwendung gelangte: »Über einen Hexenprozess, der in ganz eigenen Formen auf einem entlegenen Gebiet der alten Welt, nämlich in Kaukasien, seit dem Jahre 1874 verlief, brachten die öffentlichen Blätter im Anfang des Jahres 1878 Nachricht, indem derselben damals vor dem Geschworenengericht zu Jekaterinoda zur Verhandlung gekommen war. Im Jahre 1874 entdeckte nämlich das Weib des Ältesten im Aul ihrer Freundin, der Tschass Mertekuloff, dass ihr Mann aufgehört habe sie zu lieben und bat dieselbe um Rat, auf welche Weise sie die Liebe ihres Mannes wieder erwerben könnte. Die mitleidige Tschass Mertekuloff riet ihrer Freundin, sich an die Chakalo Chagutscheff zu wenden, welche eine grosse Zauberin sei und auch ihr gewiss helfen würde. Das tat denn auch die Chodschigan Natyrboff – so hiess die Frau des Ältesten – und die Zauberin gab ihr ein Mittel, aus der Anweisung, dasselbe unter die Speisen ihres Mannes zu mischen. Die Chodschigan Natyrboff scheute sich jedoch dieses Mittel bei ihrem Mann anzuwenden und entdeckte ihrem Manne was sie vorhabe. Der Älteste war empört und erschreckt darüber, dass in seinem Aul Hexen und Zauberinnen vorkommen und beschloss dieses Übel auszurotten. Zu diesem Zweck berief er die angesehensten Leute des Auls zu einer Beratung, trug denselben die Angelegenheit vor und beantragte, die Hexe einem strengen Gericht zu unterwerfen. Vor allen Dingen begaben sich die Richter in die Hütte der Chakalo Chagutscheff und forderten von derselben die Herausgabe ihres Zauberkrauts. Als diese solchem Verlangen nicht nachkommen konnte, wurde sie auf den Hof geführt, mit Ketten an einem Pfahl befestigt und dann in so naher Entfernung von ihr ein Feuer angemacht, dass sie Brandverletzungen davon trug. Da dieses Mittel aber nicht fruchtete, so wurde die Unglückliche in einen Keller geschleppt und dort bewacht. Ein Kosak befreite sie aus diesem Gefängnis nach einiger Zeit. Das war jedoch nur der Anfang der Verfolgungen gegen alle die Personen, welche durch irgend eine Tat den Verdacht erweckt hatten, dass sie im Besitze übernatürlicher Kräfte seien. Diese Personen wurden durch hoch aufflammendes Feuer geführt, um ihre Zauberei unschädlich zu machen. Einen unglücklichen Menschen, welcher als Zauberer bezeichnet war, hängte man so auf, dass er mit den Fussspitzen den Erdboden berührte und geisselte ihn dann mit Dornen. Zum Schluss zwang man ihn noch zwischen zwei Scheiterhaufen zu tanzen. Die meisten der Zauberei Verdächtigen wurden bis zum Einschreiten der Behörden in dumpfen Kellern gefangen gehalten, und der Untersuchungsrichter fand erschlagene Hunde, mit deren Lungen man die Verhafteten gespeist hatte, angeblich, um sie ihrer Zauberkraft zu berauben.«

Das genannte Werk berichtet auch aus Niepolds »Die gegenwärtige Wiederbelebung des Hexenglaubens« von regelrechten Hexenprozessen, die im neunzehnten Jahrhundert in Mexiko stattfanden: Zunächst wurde hier 1860, wie Tylors »Anfänge der Kultur« und nach ihm Peschels »Völkerkunde« berichten, zu Comarago eine Hexe verbrannt. Genaueres wissen wir aber über die Prozedur vom 7. Mai 1874 zu San Juan de Jacobo (einer von Indianern und Mischlingen bewohnten Stadt) im Staate Sinaloa, wo Diega Luga und ihr Sohn Geronimo Porres als Zauberer lebendig verbrannt wurden. Der offizielle Bericht des Richters J. Moreno vom 10. Mai 1874 über die Exekution schliesst mit den Worten: »Der Fall war ein sehr trauriger, Herr Präfekt, aber es war notwendig um den Bosheiten Einhalt zu tun, die zu verschiedenen Zeiten hier vorkamen. Ja trotz der Hinrichtung wurde mir gestern noch berichtet, dass der Angeklagte I. M. Mendoza gesagt habe, wir würden früher oder später noch büssen, was wir getan. Sie sehen hieraus wie wenig diese Leute eingeschüchtert sind; aber ich versäume inzwischen keine Vorsicht. Die Angeklagten Mendoza haben aus Furcht sich geflüchtet; – warum fliehen sie, wenn sie sich nicht schuldig wissen? Denn reine Wäsche bedarf keiner Seife!« Dann folgt die republikanische Schlussformel: Libertad e independencia!

Das interessante Aktenstück ist von Friedrich von Hellwald in Overziers »Deutschen Blättern, Organ für allgemeine Volksbildung,« No. 32, Köln, 8. Aug 1874, veröffentlicht worden. In der Tagespresse, die einem Bericht des »New-York-Herald« aus Mexiko vom 18. Mai folgte, wurden neben dem genannten Weibe und ihrem Sohne noch Jose Maria Binilla und dessen Frau Diega genannt, als schon er vor jenen um des gleichen Verbrechens willen in Jacobo verhaftet, gerichtlich verhört und lebendig verbrannt, weil, wie es in dem Bericht des dortigen Alcade an den Präfekten des Bezirks hiess, erwiesen worden wäre, dass sie einen gewissen Schneider Zacarias behext hätten. Die Bundesregierung zu Mexiko schritt zwar dagegen ein, jedoch zu spät. Ein weiterer Bericht hat dasselbe von einem Mädchen gemeldet, das Hare ausgebrochen hätte, das einem Strohkranz aus dem Wege gegangen wär und alle Häuser vermieden hätte, an denen sich ein Hufeisen als Schloss befand. Mit ihr wurde ihr kleiner Bruder verbrannt. Auch aus der Stadt Concordia wurde dann ein ähnlicher Prozess konstatiert, doch fehlen uns hier offizielle Urkunden.

Das also wären von 1860 an wenigstens fünf mexikanische Hexenprozesse. Ein sechster spielte sich am 20. August 1877 zu San Jacobo ab, an welchem Tage daselbst fünf Hexen verbrannt wurden. Der Alcade Ignacio Castello berichtet darüber an den Distriktpräsidenten: ›– – Der Unterzeichnete hat in Übereinstimmung mit der ganzen Bevölkerung befohlen die Schuldigen zu verhaften und zu verbrennen. Es lebe die Unabhängigkeit und Freiheit!‹«

Immerhin ergiebt sich aus diesen und ähnlichen Meldungen aus näher liegenden Gebieten, dass wenigstens die Staatsmacht diesem Treiben fern steht und höchstens nur irgend eine beschränkte Obrigkeit war, die solchen Gewaltakten, bei der sicherlich auch die Tortur zur Anwendung gelangte, einen Schein legitimen Vorgangs gaben. Man könnte auch im Hinblick auf die betreffenden Länder, die ja zumeist nicht als kulturell gereift gilten, auch etwa behaupten, dass solches schon seit langer, langer Zeit in europäischen Kulturstaaten nicht möglich sei. Das wäre ein Irrtum. Selbst aus deutschem Gebiet weiss Soldan aus einer nicht allzufernen Zeit ähnliches zu erzählen: »Im Ahrthale, Rheinprovinz, trug sich im Herbst 1866 folgendes zu: Eine junge Dame, welche eine Taube bei sich führte, war auf einem Ausflüge in ein Haus eingetreten und hatte sich zur Erfrischung einen Teller voll Trauben reichen lassen. Sie hatte die Trauben bezahlt und war dann im schönen Ahrthale weiter gegangen. Während ihres Aufenthalts im Hause hatte sich aber ein Kalb im Stalle an dem Strick, mit welchem es angebunden war, erwürgt. Da sich nun die Bauern diesen Unglücksfall gar nicht erklären konnten, so gaben sie denselben dem Mädchen schuld, das sich durch die Taube als Hexe erwiesen habe. Schleunigst machten sie daher dem Bürgermeister von ihrer Entdeckung Anzeige, der dem Mädchen auch sofort nachsetzen und es verhaften liess. Damit aber freilich endete der Fall.«

Dieselbe Quelle weiss auch von Verfolgungen und bestialischen Misshandlungen zu berichten, die in Holland, Belgien, Frankreich und England wider der Zauberei und Hexerei beschuldigte Personen um dieselbe Zeit vorgekommen sind. Allerdings ist bei all diesen Missetaten von der Mitwirkung irgend einer Behörde oder obrigkeitlichen Person nicht die Rede, im Gegenteil, die Übeltäter wurden stets vor das Gericht gestellt und mehr oder minder hart bestraft. Der Glaube an Hexen und Zauberer wurzelt eben zu tief, um sich leicht ausrotten zu lassen, wie noch gegenwärtig häufig vorkommende Beispiele erweisen. Auch liegt es sehr nahe für Ereignisse, deren natürliche Ursachen dem schlichten Verstand und dem nur gering ausgebildeten Intellekt nicht leicht begreiflich sind und nicht gemacht werden können, einen übernatürlichen Grund anzunehmen. Vieles von der Schuld ist auch in der konfessionellen Beschränktheit zu finden, die nicht selten von denen genährt wird, die eigentlich für die Aufklärung zu sorgen hätten: von der Geistlichkeit. Aber freilich, deutlicher betrachtet, darf es uns nicht viel Wunder nehmen, dass noch heute, wie hier und da die Zeitungen zu berichten wissen, seitens katholischer Geistlicher Exorzismen vorgenommen werden, Teufelsaustreibungen, und damit der verderbliche Glaube an Hexen und Zauberer, Unholden und anderen Teufelspack genährt wird. Die Kirche, die den Bestand eines persönlichen Teufels, oder gar eine Legion derer annimmt, bleibt sich nur konsequent, wenn sie auch im praktischen Leben den Kampf wider ihn aufnimmt. Und es ist nicht minder gut erklärlich, dass sie diesen Höllenwesen Formen und Ausdrückmittel zuspricht, die allgemein verstanden werden. Mit einem sozusagen philosophischen Teufel hätte das Volk nie was anzufangen gewusst. Es liegt in der Natur und im Organismus der katholischen Kirche, dass ihre Geistlichkeit bei solchen Dingen mehr in den Vordergrund tritt, aber es wäre ein Irrtum sie ausschliesslich für das Gedeihen des Aberglaubens verantwortlich zu machen. Wir haben bei der Erörterung der Hexenprozesse früherer Zeit gesehen, dass diese auch innerhalb der Reformation üppig gediehen und wir weiter unten auch durch ein Beispiel anführen, dass der verderbliche Aberglauben selbst in einem hervorragenden protestantischen Theologen noch in jüngster Zeit einen eifrigen Verfechter finden konnte.

Soldan (II, 340 ff.) führt als Vertreter des Hexenglaubens die Professoren und Jesuiten Johannes Perrone und Johann Peter Gury an, ersterer »einst das Orakel des Papstes Pius IX«. Nachdem er Auszüge aus deren Schriften anführt, fährt er fort: »Dieser von der katholischen Kirche der Gegenwart gehegten und gepflegten Lehre vom Teufel und dessen Dämonen, von der Möglichkeit der Eingehung eines Bundes mit dem Teufel und einer mit teuflischer Hilfe ausgeübten, die Menschen an Leib und Seele schädigende Hexerei, entspricht nur der Magie, welche die katholische Kirche selbst mittelst ihrer Exorzismen ausübt, um die Werke des Fürsten der Finsternis zu zerstören und die Menschen von diabolischen Plagen zu befreien. In dieser Beziehung ist nämlich das katholisch-kirchliche Bewusstsein von dem (unzähligemal ausgesprochenen) Gedanken getragen: »Wenn das, was man in der Kirche von der Wirksamkeit des Teufels und der Dämonen lehrt, nur auf Einbildung oder Täuschung beruhte, so wäre ja die exorzistische Gewalt der Kirche und der von der Kirche aufgestellte ordo exorcistarum ganz unnütz; wozu wären dann also die Exorzismen da?«

Fassen wir nur eine einzige in der zweiten Hälfte dieses (19.) Jahrhunderts erschienene Schrift, nämlich den »Modus invandi. afflictos a daemone« von Andreas Gassner ins Auge, um uns darüber zu unterrichten, wie gegenwärtig die katholische Kirche mit ihrer exorzistischen Gewalt zu dem überlieferten Dämonenglauben steht.

Diese Schrift Soldan Hoppe bemerkten hier: »Wir berichten über dieses Buch nach den sehr ausführlichen Excerpten, welche F. Nippold in seiner Schrift »Die gegenwärtige Belebung des Hexenglaubens« S. 18-35 aus demselben mitgeteilt hat.« ist natürlich mit kirchlicher Autorisierung erschienen. »Mit Gutheissung des hochwürdigen Ordensgenerals der minderen Brüder d. d. Rom 28. Januar 1851« (»was hiermit ausdrücklich bemerkt sein will,« setzt Gassner hinzu) ist im Jahre 1851 in München von dem Definitor Prov. Pater Franz Xaver Lohbauer das Rituale ecclesiasticum ad usum Clericorum ord. S. francisci ref. Prof. Antoniano Bavaricae herausgegeben. Aus diesem Rituale hat Dr. Andreas Gassner zu Salzburg in seinem »Handbuch der Pastoraltheologie« einen Auszug geliefert, und ein Separatabdruck eines einzelnen Abschnittes dieses Handbuches ist es, den Gassner in der kleinen Schrift »Modus invandi afflictos a daemone«, 1869 im Selbstverlage bei Endl & Penker in Salzburg erscheinen liess.

Das Büchlein zerfällt in zehn Abschnitte, von denen der letzte (S. 22-75), der gerade die Hälfte der ganzen Schrift ausmacht, Vorschriften über die Anwendung der Beschwörungsformeln enthält. Vorher werden im zweiten Abschnitt die verschiedenen Gattungen der vom Teufel Angefallenen zusammengestellt und beleuchtet. Gassner unterscheidet unter denselben drei Gruppen: die maleficiati, obsessi und possessi. Die Maleficiati sind entweder an ihren Leibern oder an ihrem Eigentum angezaubert und geschädigt. In ersterer Beziehung ist zu beachten, dass oft der Böse in ihrem (der maleficiati) Körper an einem Gliede eindringt und sie an gewissen Verrichtungen hindert oder ihnen Schmerzen verursacht. Dabei wird noch hinzugefügt: »Wurden vollends gewisse Gegenstände durch diabolischen Einfluss in den Körper des diabolisch Geplagten geschafft, so nennt man dieses maleficium oder veneficium, je nachdem es an sich unschädliche oder schädliche Gegenstände, z. B. Glasscherben, Federn und dergl. sind.«

Repräsentieren die maleficiati den untersten und ersten Grad diabolischer Anfechtung und Schädigung, so bilden die obsessi oder die »Umsessenen« den zweiten Grad. Er sind »solche, in deren Leib ein böser Geist zwar noch nicht vollends eingedrungen ist, deren Leib er nicht ganz in Besitz hat, wozu er aber Anstrengungen gemacht, einem Feinde gleich, der eine Stadt belagert.«

Der höchste Grad ist endlich der der »Besessenen«, der possessi oder auch energumeni. So heissen »solche, in deren Leib ein böser Geist eingedrungen ist und den er in allen oder doch den meisten Gliedern in Besitz hat, und verschiedene eigentümliche Verrichtungen, Bewegungen und Wirkungen verursacht, oder den natürlichen Verrichtungen hinderlich entgegentritt.« – Unter Berufung auf allerlei übel ausgelegte Bibelstellen werden dann die Besessenen noch als acreptitii, benatici und pythonici unterschieden. Ausserdem werden aber auch noch Diejenigen hierher gerechnet, »deren Häuser oder Gemächer von diabolischen Erscheinungen geplagt sind«, sowie ferner (und zwar in lateinischer Diction) diejenigen, »qui Daemoni se subscripserunt, vel eum in vitro aut alio vase inclusum detinent, et ab eo, utut vellent, liberari nequeunt, item, qui habent spiritum incubum vel succubum (!)« – Lateinisch führt nämlich der Verfasser das an, was deutsch er zu sagen sich schämt.

Im dritten Abschnitt handelt Gassner von den Zeichen und Mitteln, um zu erkennen, ob jemand von einem bösen Geist geplagt sei oder nicht! Hierbei werden nun wieder fünf Klassen von maleficiatis unterschieden: Erwachsene, Kinder, Verehelichte, Tiere und andere Gegenstände. Bei Erwachsenen werden sechs hinreichende Zeichen eines maleficii um den sogenannten exorcismus probationis vernehmen zu dürfen aufgezählt: 1. wenn der Geplagte vor Speisen und Getränken, welche heimlich benediziert wurden, mehr Abscheu hat, als vor anderen; 2. wenn er in Gegenwart des heiligen Sakraments und der heil. Reliquien ungewöhnliche Furcht oder Schrecken äussert, nicht hinblicken kann und dergl.; 3. wenn er die Leute ohne vorausgegangene Krankheit wie ein toller Hund anfällt, um sich schlägt, die Heiligen lästert, den Teufel um Hilfe anruft; 4. wenn er Nadeln, Nägel, Glasscherben und dergl. erbricht; 5. wenn aus seinem Munde höllischer Gestank oder Schwefel-Pech-Kohlen- und Russgeruch hervorgeht; 6. wenn sich in seinem Leibe ganz ungewöhnliche Töne, z. B. das Quaken eines Frosches, vernehmen lassen.

Von den behexten Tieren (animalia maleficiata) heisst es, dass hinsichtlich ihrer proportionaliter eadem ferma signa (!) serviunt. Und bei andern Sachen ist es ein sicheres signum maleficii, si sine alia causa non habent suum effectum naturalem, z. B., si per plures horas flores laetis non coagulantur in butyrum; – also wenn der Schwand nicht zu Butter werden will, dann ist die Milch behext!

Wir enthalten uns weiterer Mitteilungen aus dem Buche, in denen nichts anderes als der abergläubische Dämonismus, wie er einst aus dem Heidentum in die christliche Kirche eingedrungen war, unter kirchlicher Approbation und Autorisierung auch noch im neunzehnten Jahrhundert der Kirche gelehrt wird.«

Als Verfechter der Existenz des leibhaften Teufels und des Hexenwahns auf protestantischer Seite, ist aus der jüngsten Zeit hauptsächlich der erwähnte Theologe und Litterarhistoriker August Friedrich Christian Vilmar (1800-1868) zu nennen, einst Professor an der Universität zu Marburg, der Hochschule, die in der Geschichte des Hexenwahns und der Tortur eine bedeutsame Rolle spielte. In seinen 1874 erschienenen Vorlesungen über die Dogmatik lehrte er, wie Soldan angiebt: Es giebt einen Teufel. Allerdings hat der Rationalismus seit Semler diesen Satz bestritten. »Es war dieses aber eine mehr als kindische Unwissenheit in Beziehung auf die ersten Elemente der Kulturgeschichte, indem es bei allen Völkern ohne einige Ausnahmen Dämonen, bei den meisten auch unter einem Haupte giebt.« Dazu kommen die bestimmtesten Aussprüche der heiligen Schrift. »Neben diese göttliche Offenbarung aber stellt sich, denselben folgend, die christliche Erfahrung aller Zeiten, welche eine übermenschliche Finsternismacht aufweist, die in die Seelen hineinzudringen und das Werk der Erlösung in denselben zu stören, die Seelen mit Widerwillen und Hass gegen die Person Christi zu erfüllen sucht, und in den Augenblicken, wo die Macht des Lichts dennoch hereinbricht, ein unaussprechliches Entsetzen erzeugt, welche das Wort Gottes aus dem Herzen zu entfernen und besonders in der Todesstunde sich durch diesen Raub in den Besitz der Seele zu setzen sucht.« Der Teufel ist »ein kosmisches, geschaffenes Wesen, welches mit seiner persönlichen Macht nicht allein die ganze Menschenwelt, sondern auch die Erde selbst umspannt, zwar von Gott verworfen ist, und dereinst definitiv verdammt sein wird, zur Zeit aber noch in einem gewissen Verhältnis zur Himmelswelt steht.«

Der Teufel ist der Versucher der Menschen und die Möglichkeit dieser Versuchung liegt für den Teufel ganz offenbar darin, dass er zwar nicht etwa Allwissenheit besitzt, wohl aber eine geistige Sündenatmosphäre um sich hat, in welcher er jede Bewegung merkt, sie sei, wo sie in der Menschenwelt immer sei: wo noch Sünde vorhanden ist, ist er sensibel für dieselbe (riecht er sie), und ebenso ist er empfindlich für alle die Stellen in der Menschenwelt, welche von der Sünde befreit sind, und durch welche somit seine Atmosphäre verengert wird ...

Der Teufel hat aber auch ein organisiertes Reich gegenüber dem Reiche Gottes; er hat zu seinen Diensten noch eine grosse Schar ihm affiliierter, verwandter Geister Daimones, in ihrer Eigenschaft als den Menschen treibende, besitzende Geister Daimonia genannt. – Durch diese wirkt der Teufel gleichfalls auf die Menschen, und zwar nach der unangreifbaren Erzählung der Evangelien vorzugsweise durch körperliche Besitzung, woher diese Personen auch Besessene heissen. – In den meisten Fällen ist diese (körperliche) Besessenheit zugleich eine Besessenheit der Seele, schreitet, wenn nicht Mittel angewendet werden, welche dem Teufel zu widerstehen geeignet sind, in den Gedankenkreis (Nus) über und bemächtigt sich zuletzt des Pneuma, indem sie den Menschen in den Irrsinn, in den Wahnsinn herabdrückt, so dass die geistigen Mittel alle Anwendbarkeit verlieren und der Teufel die Seele sich gleichsam erobert hat. Gänzliche Blindheit hat diese Zustände, welche noch jetzt überall vorkommen, für Melancholie etc. gehalten; wer aber nur einmal einen Besessenen gesehen hat, ist nicht einen Augenblick in Zweifel über den Grundunterschied, welcher zwischen Besessenen und Wahnsinnigen stattfindet ... Das allgemeinste Zeichen ist beinahe durchgängig das, dass die Besessenen wissen, es sei ein fremder Geist in ihnen. In den letzten drei Jahrhunderten aber ist es besonders häufig, dass angeblich der Geist eines verstorbenen (bösen) Menschen die Besitzung ausübe. Dies ist nichts als Trug des Teufels, aber ungemein täuschend für Unerfahrene. Sodann ist eines der gewissesten Zeichen das, dass sie irgendwelches heilige Wort, zumal den Namen Christi, nicht aussprechen, oder wenn sie an Signum crucis als alte Lutheraner oder Katholiken gewöhnt sind, das Kreuzschlagen entweder nicht vertragen oder wenigstens nicht selbst vollziehen mögen. Dasselbe gilt meistens schon vom Händefalten zum Gebet. Dazu kommen Verfluchungen der Gottesgaben (der Frucht auf dem Felde) und heiliger Gegenstände (und wären es nur die Kirchengebäude), sodann Lästerungen. Dazu gehören dann Blicke, Mienen und Töne (Lachen), welche gehört und gesehen sein wollen, um sie von allen und jeden, auch den grässlichsten Wahnsinnsäusserungen zu unterscheiden und sofort als Blicke, Züge und Töne aus einer Persönlichkeit der Finsternis herauskommend zu erkennen. In vielen, aber bei weitem nicht in allen Fällen, kommt hierzu das Sprechen mit doppeltem Sprachton (den einen führt der Besessene, den andern der Besitzende), das Reden oder wenigstens das Verstehen fremder, wie gelernter Sprachen, Fernwissen, wunderbare Beweglichkeit der Glieder und Unabhängigkeit des Körpers von der natürlichen Schwerkraft ... Hiermit verwandt ist dann die Einwirkung des Teufels auf die Natur zum Schaden der Menschen und die Fähigkeit solcher Menschen, welche sich von Gott lossagen und dem Teufel sich ergeben, auf die Natur einzuwirken, nämlich die Zauberei, welche nach der Schrift, wie nach der Erfahrung nicht in das Gebiet des Wahnglaubens verwiesen werden darf.« Doch genug des Unsinns! Nur mit Betrübnis kann man daran denken, dass dieser gelehrte Herr Professor, der in nichts dem Verfasser des Hexenspiegels und anderen Zeloten nachgiebt, mehr als ein Dutzend Jahre den Lehrstuhl an der genannten Universität einnahm, dass viele seiner Schüler noch jetzt im Dienste der evangelischen Kirche Hessens stehen. »Gleichwohl« bemerkt Soldan treffend, »hat dieselbe (seine Lehre nämlich) keine Früchte getragen, sie hat keine Hexenverfolgungen zum Zwecke der Reinigung der Kirche von den Werkzeugen des Satans herbeigeführt, – weil für diesen Wahnsinn nicht mehr die Justiz und die Folter zur Verfügung stehen.« Immerhin muss zugegeben werden, dass der Glaube an den Teufel und der Hexenwahn, wie sie uns aus Worten und Wirken katholischer Theologen entgegentreten, noch immer einen minder ungünstigen Eindruck zurücklassen, als die gleichartigen Auslassungen des genannten neuzeitlichen protestantischen Theologen, sei es auch nur, weil wir gewohnt sind aus den Kreisen des letzteren mehr von Aufklärung und Wissenschaftlichkeit durchdrungene Äusserungen zu vernehmen.

Nicht selten finden wir die Ansicht vertreten, dass erst mit der Bekehrung der Völker zum Christentum, namentlich der Deutschen, der Glaube an den Teufel und an das Vorhandensein von Hexen und Zauberern in diese Religion eingedrungen sei. Indes, so richtig es auch ist, dass das Christentum bei den Bekehrungen so manchen heidnischen Bräuchen und Anschauungen Zulass gewährte und sie nach Möglichkeit anzupassen suchte: der Dualismus im religiösen Glauben, die Annahme eines sozusagen guten und eines bösen Prinzipes war, wie aus der Schrift zur Genüge zu ersehen ist, dem Judentum vor Christus, und somit auch dem ursprünglichen Christentum keineswegs fremd, obgleich sie sich eigentlich im Widerspruch mit dem reinen Monotheismus befindet. Ob dies schon frühzeitig vorhanden war und von dem ursprünglichen Heidentum herrührte, eine Annahme, die alle Wahrscheinlichkeit für sich hat, oder ob es sich erst später zufolge nachbarlicher Einflüsse geltend machte, braucht uns hier nicht näher zu beschäftigen. Immerhin ist der alte Orient auf die Ausbildung unseres Aberglaubens stark von Einfluss gewesen, namentlich Indien, woher Maximilian Perty in seiner Schrift » Der jetzige Spiritualismus und verwandte Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart« (Leipzig 1877) folgendes mitzuteilen weiss: »In Indien kommen auch in neuester Zeit noch Fälle vor, wo Menschen wegen angeblicher Zauberei gemartert und getötet werden, wie 1872 im Lande der Bheels eine alte Frau, die man in Verdacht hatte, einem Bunniah von Kooshulgurh, namens Fatta, Krankheit angezaubert zu haben. Der Bunniah selbst glaubte, diese Frau habe seine Leber verzehrt. Einige Bheels banden sie, wie sie dieses vermeintlichen Hexen früher sehr allgemein zu tun pflegten, an den Handgelenken an einen Bananenbaum, und schwangen sie, um sie zum Geständnis zu bringen, vier Tage hin und her, bis sie starb, und verbrannten dann ihre Leiche.« Wir finden also hier in einer Bezichtigung der Hexerei die private Anwendung der Tortur, eine Gewalttätigkeit, die wahrscheinlich auch noch in der unmittelbaren Gegenwart dort wie auch anderweits häufiger vorkommen mag, als uns Mitteilungen darüber überliefert werden. Seltsam ist, was derselbe Autor in einer anderen Schrift (»Die mystischen Erscheinungen der menschlichen Natur« Leipzig 1861) gewissermassen zur Entschuldigung der Hexenverfolgungen bemerkt: »Der Hexenprozess hatte in der Tat eine, wenn auch beschränkte Berechtigung. Es mochten viele von den Hexen und Zauberern Freude haben an böser Lust und die Intention, aus Eigennutz oder Rache anderen zu schaden; den wenigsten wird dieses gelungen sein, und so waren die meisten Verbrechen imaginär. Unendlich Grösseres haben ihre Richter verschuldet. – Was in der Vision und ihrer inneren Welt sich begeben, das nahmen die Richter für greifbare Realität.« An einer anderen Stelle wieder bemerkt er im Hinblick auf die zuweilen vorgekommenen Geständnisse der Gemarterten über Zusammenkünfte von Hexen, Gebrauch der Hexensalbe: »Unzählige haben dies getan und nur ein Teil davon war so unglücklich inquiriert zu werden. – Diese imaginären Zusammenkünfte waren ein schlaff-wacher visionärer Zustand, in welchem sich die Betreffenden versetzten und im Geiste mit anderen in gleichem Zustande Befindlichen sich begegneten. Sehr Geübte konnten sich durch den blossen Willen in den Hexenschlaf versetzen, die allermeisten mussten hierfür eine narkotische Salbe unter den Armen und an den Geschlechtsteilen möglichst tief einreiben.«

Treffend konnten Soldan-Hoppe (II, 377) diesen Schlussfolgerungen einer verrannten, auf Irrwege geratenen Wissenschaftlichkeit entgegensetzen: »Wir geben nur zu, dass, wenn der Geist des Menschen fort und fort unter der Macht und dem Eindrucke gewisser Vorstellungen steht (wie das siebenzehnte Jahrhundert von der Vorstellung des Hexenwesens beherrscht war), diese Vorstellungen zu Hallucinationen führen können, in denen er selbst das zu erleben glaubt, was er sich vorher nur gedacht hat, – namentlich wenn der Mensch narkotische Mittel auf sich einwirken lässt; und wir wollen daher gern zugeben, dass unter den Millionen Hexen, die justifiziert worden sind, einzelne sich mit Salben narkotisiert und den Versuch gemacht haben, anderen mit dämonischer Hilfe zu schaden, und dass sie darum auch erlebt zu haben glaubten, was alle Welt den Hexen nachsagte. Aber nur als Ausnahme von der Regel kann dieses angenommen werden. Der Satz Pertys: »Unzählige haben dieses getan« etc. lässt sich aus den Akten der Hexenprozesse nicht erweisen. Die Hexenprozesse bieten eine Erscheinung dar, welche man wohl gerne in Pertys Weise erklären möchte, nämlich die so häufig vorkommende Tatsache, dass Hexen bei der Konfrontation mit anderen, die sie nur, um von der Folter zu kommen, lügenhafter Weise als Mitschuldige bezeichnet hatten, mit dem Ausdrucke vollster subjektiver Wahrhaftigkeit diesen ins Gesicht hinein ihre angeblichen Malefizien vorhalten. Hier zeigt sich ein psychologisches Phänomen, welches durch die Folterqual, durch die Seelenangst, durch die Verzweiflung erzeugt war. Aber die Annahme, dass diese Unglücklichen im Hexentum narkotische Salben gebraucht hätten, ist doch unzulässig. Die Akten der Hexenprozesse bieten für Pertys Hypothese keinen Anhaltepunkt, indem dieselben fast durchweg bei dem Verhafteten das Bewusstsein ihrer Unschuld erkennen lassen, und ausserdem konstatieren dieselben die Tatsache, dass sich die Hexenprozesse überall, wo sie einmal Platz gegriffen hatten, aus sich selbst heraus fortsetzten und mehrten.

Derselbe ist auch gegen diejenigen geltend zu machen, welche die Phantasmen der Hexen aus Geisteszerrüttung herleiten wollen. Ludwig Meyer, Direktor der Irrenanstalt zu Göttingen sagt in einem überaus interessanten Aufsatz über »Die Beziehungen der Geisteskranken zu den Besessenen und Hexen (Westermanns Jahrbuch der Illustrierten Deutschen Monatshefte B. X. S. 258 ff.): ›Es waren wieder – wie bei den Besessenen – Geisteskrankheiten, welche den eigentlichen Typus der Hexen darstellten. Geisteskranke bildeten den Mittelpunkt der Hexenprozesse wie der Teufelsaustreibungen, nur dass bei jenen unverhältnismässig mehr geistig Gesunde in den verderblichen Kreis hineingezogen wurden.‹ Wir können diesen Satz in der Beschränkung zugeben, dass hier und da die Geisteskrankheit einzelner den ersten Anlass zum Beginn einer Hexenverfolgung gegeben hat; wenn indessen dieser Satz zum eigentlichen Erklärungsprinzip des Hexentums erhoben werden soll, so zeigen sich alsbald unlösbare Schwierigkeiten. Oder giebt es denn wirklich eine methodische Raserei, die in tausend Köpfen den gleichen Weg durch tausend fest bestimmte Einzelheiten nimmt? Giebt es einen geistigen Rapport der Wahnsinnigen untereinander, so dass der eine vor Gericht aussagen kann, was und wann der andere gerast habe. Dieses hat auch der abergläubische Le Loyer eingesehen, nur dass freilich diese Einsicht ihn desto mehr an der objektiven Wirklichkeit der Hexerei festhalten liess: »Les sorcières sont interrogées séparemént et à part, et toutes concordamment tombent en mesmes confessions, remarquent les circonstances et dépendances, s'accordent du temps, de l'heure et de la façon sans varier, comme il serait très-difficile qu'elles ne variassent, s'il y avait de la melancholie et fureur en elles. Puis confrontez les ensembles, eiles y persistent.« »Discours et histoires de-s spectres« etc. Paris 1605, p. 136. Giebt es eine Politik der Verrücktheit, welche oft viele Jahre lang den eigenen Irrwahn schlau verbirgt und ableugnet, um ihn erst unter den Schmerzen der Tortur für Wahrheit zu geben? Und warum hat dieser schlaue Irrwahn nur so lange bestanden, bis er zum Scheiterhaufen führte, während er den weit gemächlicheren Tummelpatz in den heutigen Irrenhäusern verschmäht?«

Man braucht übrigens nur die Entstehung der Hexenprozesse und die bei diesen beobachteten Vorgänge im Auge zu behalten, um die Hinfälligkeit dieser Erklärungen zu erkennen. Allerdings war hier Wahnsinn mit im Spiel, aber diese Geisteskrankheit äussert sich bei den Verfolgern und nicht bei den Verfolgten, mögen einzelne Fälle auch hier nicht ausgeschlossen sein. Deutlich lassen die überlieferten Akten der Hexenprozesse erkennen, in welcher Weise den Beschuldigten das Teufelsmärchen mit allen dessen Einzelheiten suggeriert wurde und es wäre selbst nicht erstaunlich, wenn die schlichtsinnigen, erschreckten und eingeschüchterten Beschuldigten selbst an die ihnen zur Last gelegten Missetaten geglaubt hätten. Indes die Tortur mit ihren entsetzlichen Qualen, die Furcht vor ihr, oder die Drohungen noch Schmerzhafteres ausstehen zu müssen, konnten leicht bewirken, dass die bezichtigte Person alles was die verrückten oder bösartigen Gewalthaber ausgesagt haben wollten, zugestand, wie schon früher bemerkt wurde.

Es ist übrigens nicht erstaunlich, dass ein Psychopath die wissenschaftliche Erklärung einer Erscheinung ausschliesslich auf den ihm zunächstliegenden Gebiet sucht und dabei unter Vermeidung der sich sozusagen von selbst aufdrängenden Gründe zu falschen Schlüssen kommt. Ähnliches zeigt sich auch bei Vertretern anderer Wissenschaften in diesem wie in anderen Fällen. Der gelehrte Jurist Rosshirt versucht in seiner Schrift: »Geschichte und System des Deutschen Strafrechts« die Ausbreitung des Hexenglaubens hauptsächlich aus dem von ihm behaupteten Mangel eines geordneten schriftlichen Kriminalverfahrens und aus einem ungewöhnlichen Zustand des Geschlechtsverhältnisses abzuleiten. Andere wieder glaubten diesen betrübenden Vorfällen wieder anderartige, ihnen naheliegende wissenschaftliche Erklärungen geben zu können, von denen wir hier füglich absehen können, uns mit dem Bewusstsein begnügend, dass der Hexenwahn wenn auch nicht gänzlich, so doch ziemlich abgetan ist und kaum jemals wieder so gefährlich in Erscheinung treten könnte wie in vergangenen Tagen.


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