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VIII. Kapitel.

Benedikt Carpzov. – Urteile des Leipziger Schöppstuhls. – Crimina excepta. – Sächsisches Recht. – Anhänger und Gegner des Hexenwahns und der Tortur. – Frölichsburg. – Thomasius. – Einschränkung der Hexenprozesse und der Tortur. – Montesquieu. – Friedrich der Grosse. – Sonnenfels. – Schutzschrift Sonnenfels. – Über die Ausbildung der Tortur. – Aufhebung der Tortur in Genf.

Zu den entschiedensten Anhängern der Tortur gehörte der berühmte Rechtsgelehrte Benedikt Carpzov (1595-1666) zu Leipzig, der von sich rühmen konnte, zwanzigtausend Todesurteile in Hexenprozessen unterschrieben zu haben und dessen Aussprüche von grösster Autorität waren, sowohl bei Juristen, wie auch bei protestantischen Theologen. Sein Hauptwerk ist »Practica nova rerum criminalium Imperialis, Saxonica in tres partes divisa, Viteberg 1635.« Was die Anwendung der Tortur betrifft, so meint er hier (Qu. 125, V. 50 ff.), der Richter habe da unter sorgfältiger Erwägung der Art des Verbrechens völlig nach Gutdünken zu entscheiden. »Dabei rechtfertigt er aber die Bestimmung des sächsischen Rechts, dass bei den schwersten Verbrechern die Tortur zum dritten Mal wiederholt werden könne, durch den Grundsatz, dass bei solchen Verbrechen eben wegen ihres enormen Charakters schärfere Mittel zur Erfindung der Wahrheit anzuwenden seien, und mit der scheusslichen Bemerkung: ›quippe cum et ob atrocitatem criminis quandoque iura transgredi liceat‹. Dieses wendet er dann namentlich auf die Hexerei an, bei welcher der Richter auch noch dazu eine härtere Tortur verhängen könne, zumal da die Hexen durch alle möglichen Teufelsmittel sich gegen die Qualen der Tortur zu schützen wüssten. Zur Verhängung der zweiten und dritten Tortur sollten freilich neue Indizien ermittelt werden. Mit welcher Leichtfertigkeit und Grausamkeit seines Denkens aber Carpzov auch diese Bestimmung zu umgehen und ein fortgesetztes Foltern zu rechtfertigen wusste, hat v. Wächter in dem Beitrag zur deutschen Geschichte S. 299, nachgewiesen« (Soldan II, 213).

Von welchen Anschauungen Carpzov beherrscht wurde, ist am besten aus einigen Anführungen aus seinen Schriften und Urteilen zu ersehen. So heisst es in einem Urteil: »Weil aus den Akten so viel zu befinden, dass der Teufel auf der Tortur der Margarethe Sparrwitz so hart zugesetzt, dass sie, als sie kaum eine halbe Stunde an der Leiter gespannt, mit grossem Geschrei Tods verfahren und ihr Haupt gesenkt, dass man gesehen, dass sie der Teufel inwendig im Leib umgebracht, inmassen denn auch daraus abzunehmen ist, dass es mit ihr nicht richtig gewesen, weil sie bei der Tortur gar nichts geantwortet: so wird ihr toter Körper unter dem Galgen durch den Abdecker billig vergraben.« In den von Carpzov zusammengestellten Urteilen des leipziger Schöppenstuhl kommen überhaupt die seltsamsten Dinge vor. So heisst es z. B. No. XXI von einer Beschuldigten: »Wenn sie mit ihrem Buhlen (dem Buhlteufel Lucas) zu schaffen gehabt, hätte sie weisse Elben und derselben allzeit zehn bekommen, so gelebt, spitzige Schnäbel und schwarze Köpfe gehabt, und wie die jungen Raben hin und wieder gekrochen, welche sie zur Zauberei gebraucht, ihr Buhle ihr auch etliche gebracht, ehe sie mit ihm gebuhlt. Sie hat auch der Matthes Güntherin Kind ein bös Gesicht gemacht, indem sie es angesehen und angehaucht, dazu sie die Worte gebraucht: ›Ich wollte, dass Du blind wärst‹; welches ihr Buhle Lucas ihr also geheissen, und sie es in ihres Buhlen Lucas und des Teufels Namen tun müssen. Ferner habe sie auch die weissen Elben mit schwarzen Köpfen in den Branntwein getan und darin zergehen lassen, dieselben auch klein gerieben in Kuchen gebacken und solches auf ihres Buhlen Lucas Befehl, welcher gesagt, wenn sie zu jemand Feindschaft hätte, sollte sie demselben die Kuchen oder Branntwein beibringen, darauf er an Gliedern und Leib übel wurde geplagt und gemartert werden. Hierüber hat Inquesitin bekannt, dass sie auf des Pfarrherrn von Rotenschirmbach Acker mit ihrem Messer einen Ring gemacht und drei Elben da hinein versteckt und vergraben, zu dem Ende, dass, wer darüber ginge, lahm werden und Reissen in den Gliedern überkommen sollte, welches dem vorgenannten Pfarrherrn von Rotenschirmbach gegolten, weil er sie auf der Kanzel öffentlich für eine Zauberin ausgeschrieen.« Wir ersehen daraus, was eben durch die peinliche Frage zum Geständnis gebracht werden konnte, und welcher Unsinn in den Schädeln der gelehrten und beamteten Herren jener Zeit sein heilloses Wesen trieb. In einem anderen Urteil, Nr. XVI heisst es V. R. W. – Von Rechts Wegen. »Hat die Gefangene W. Brosii Bärschen seinen Jungen begossen, daran derselbe blind worden – – – und endlich, als man ihr Gnade zugesagt, freiwillig bekannt, dass sie zu dem Guss die Worte gesagt: ›Der Junge soll verblinden in Teufels Namen etc.‹ – – Da ihr euch nun eigentlich erkundigt hättet oder nochmals erkundigen würdet, dass der Junge bald nach empfangenen Guss blind worden, und die Gefangene würde auf ihren getanen Bekenntnis vor Gericht freiwillig verharren, oder des sonsten, wie recht überwiesen: so möchte sie von wegen solcher begangenen und bekannten Zauberei, nach Gelegenheit dieses Falls, weil ihr von euch Gnade versprochen, und über ihr gütliches Bekenntnis mit der Tortur wider sie verfahren worden, mit dem Schwert vom Leben zum Tode gestraft werden.« Hier finden wir wieder mittelst Lüge und Trug seitens des Richters eine arme Gequälte veranlasst worden, den behaupteten Unsinn einzuräumen, um dann, der versprochenen »Gnade« teilhaft, enthauptet zu werden.

Für Carpzov galt der inquisitorische Prozess mit summarischen Verfahren als der richtige »Processus inquisitorius an hodie sit remedium ordinarium (Part. III Qu. 103 n. 50) Inquisitorius vero est processus, quando nullo existente accusatore judex per viam inquisitionis summarie et sublato (quod dicitur) velo, absque longo litis sufflamine procedit etc. (N. 18)«. Soldan bemerkt von Carpzov (II, 211): »Durch ihn besonders fixierte sich die Wissenschaft der bisher schon im geistlichen Gerichtswesen und in der weltlichen Praxis einheimische Grundsatz, dass bei schwerere und verborgene Verbrechen der Richter nicht verbunden sei, sich an den strengen Gang des ordnungsmässigen Beweisverfahrens zu halten. Seit den geistlichen Formeln »simpliciter et de piano« und »absque strepitu et figura judicii« war die Sache längst dagewesen; ohne sie hätte der Hexenprozess niemals eine so furchtbare Ausbreitung gewinnen können. Kurz vor Carpzov hatte besonders Torreblanca diese Lehre umständlich vorgetragen. Die Behandlung der sogenannten crimina exepta war es gerade, wogegen Spee seinen Hauptangriff gerichtet hatte, und nun bewies Carpzov wieder, wie z. B. in der Zauberei das corpus delicti nur in der Vermutung vorzuliegen brauche und wie die leichtesten Indizien zur Tortur und endlichen Verurteilung ausreichen. Carpzov schwamm also ganz mit dem Strome, und darum trug ihn der Strom empor, während der widerstrebende Spee unter den Wellen begraben und vergessen wurde.« In einer Fussnote wird hierzu bemerkt: »Part. III Quaest. 107, n. 72 wird als erstes Erfordernis des Inquisitionprozesses festgestellt«, »ut ante omnia de ipso facto constet«. Qu. 108 n. 4, 5 wird abermals auf Erhebung des Tatbestands gedrungen, ehe die Spezialuntersuchung beginnen könne. Qu. 108 n. 26 ist der Grundsatz aufgestellt: ›quod delinquenti confesso aut convicto poena mortis irroganda non sit, antequam de corpore delicti et veritate criminis comissi liquide et certo per testes vel per evidentiam facti constet.‹ Dies kommt aber den Hexen nicht zu gute, denn: ›limitatur haec regula ... in delictis occultis et difficilis probationis, ut in haeresi, sortilegio etc. de quorum corpore sufficit constare per conjecturas et certa indicia; ... quod enim in occultis delictis, et quae sunt difficilis probationis, praesumtiva et conjecturato probatio habeatur pro plena et concludenti probatione, generaliter et communiter receptum est‹. Qu. 108 n. 33. Weiter wird Bodins Satz gebilligt: »in hoc super alia omnia tam turpi, tam horrendo et detestando crimine, in quo tam difficiles sunt probationes tamque abdita scelera, ut e millenis vix unus merito supplicio affici possit, nil necesse esse, religiose quenquam haerere regulis procedendi, sed extra ordinem oportere fieri illius judicium diversa a ceteris criminibus ratione«. Qu. 122 n. 60. – Nach demselben Grundsatz beantwortet dann Carpzov auch die Frage nach Anwendung der Tortur. Im allgemeinen, meint er (Qu. 25 n. 50 ff.), habe der Richter über dieselbe unter gewissenhafter Erwägung der Art des Verbrechens und der vorliegenden Umstände ganz nach seinem Ermessen zu entscheiden. Dabei rechtfertigt er aber die Bestimmung des sächsischen Rechts, das bei den schwersten Verbrechen die Tortur zum dritten mal wiederholt werden könne, durch den Grundsatz, dass bei solchen Verbrechen, eben wegen ihres enormen Charakters, schärfere Mittel zur Erfindung der Wahrheit anzuwenden seien ...«

Die angeführten Proben dürften genügen, um ein Bild von Carpzov's Jurisprudenz zu geben, die, wie bemerkt, bei vielen und lange Zeit massgebend und vorbildlich war. Es ist dies umso mehr zu beklagen, als der Einfluss der Rechtskundigen immer bedeutsamer wurde und in dieser Sache bald den der Theologen übertraf. Als Anhänger und Gegner des Hexenwesens und der Tortur kommen überhaupt nur Männer der Kirche und Männer des Rechts in Betracht. Allerdings treten auch Ärzte für oder wider die Sache auf – es sei nur an Weier erinnert – indess war ihr Einfluss im allgemeinen nicht so gross, wie der der andern; auch mochte es sehr leicht sein, einen Arzt, der diesem Unsinn gegenüber trat, als Teufelsbündler in Verruf zu bringen, wie es nur zu oft geschehen ist. Die meisten aber waren selbst vom Hexenwahn angesteckt und voll von Aberglauben, denn es pflegten, wie Weier bemerkte, »die ungelehrten Schlingel in der Medizin und Chirurgie jr. unwissenheit und fehler dem verzauberten oder veruntrewen und den Heiligen zuzuschreiben.« Auch bei den Juristen war es übrigens nicht besser, wohl schlimmer sogar, und wie Carpzov selbst gingen sie von der Annahme des Vorhandenseins von Teufelsmacht und Hexenwesen, von Zaubereruntrieben und sonst dergleichen Unsinn aus, so dass schliesslich die strenge Stellungsnahme der meisten von ihnen sehr begreiflich ist. So manche mögen auch von Beispielen gewarnt, es für besser gefunden haben sich dem zur Geltung gelangten Wahn anzuschliessen, sich nicht der Gefahr auszusetzen, ihre Stellung und vielleicht mehr noch für Recht und Wahrheit einzusetzen, Tatsachen, die wir heutzutage genug oft betrachten können, um nicht anzunehmen, dass es in früheren Tagen nicht ebenso gewesen. Und wieder Erfahrungen aus Zeit und Zeiten bekunden uns, dass der der Überlegung entstammte Eifer für eine Sache in der Regel noch viel fanatischer aufzutreten pflegt als der Fanatismus selbst. Auch darf nicht vergessen werden, dass das Hexenwesen für viele eine ganz ergiebige Einnahmsquelle war, auf die sie nicht so leicht verzichten mochten, wie aus vielen Beispielen genugsam sich ergiebt. Ziehen wir noch ferner in Betracht, dass der Hexenwahn der katholischen und auch der reformierten Kirche als Machtmittel nur zu gelegen kam, so ist es leicht erklärlich, dass er selbst in den gebildeteren Kreisen Deutschlands und anderer Länder nur zu eifrige Anhänger fand. Endlich ist auch zu bedenken, dass dieser Wahn ein recht bequemes Mittel war, die Missgunst und das Rachegefühl zu befriedigen, ein Mittel, von dem selbst im Volke ein ausgiebiger Gebrauch gemacht wurde, oder vielmehr, mit dem ein ausgiebiger Missbrauch getrieben wurde.

Ähnliche Ansichten wie bei Carpzov finden wir später auch bei dem Innsbrucker Professor der Rechte Joh. Christoph Frölich von Frölichsburg (1657-1729), der gleichfalls der Meinung ist, dass bei Zauberei auch schon geringe Anzeichen, besonders das Gerücht, zur Einleitung des Prozesses und Vornahme der Tortur genügten. Als die bedeutendste und einflussreichste Stimme, die sich wider Hexenwahn und Tortur erhob, ist aus dem siebzehnten Jahrhundert Balthasar Bekker (1634-1698) zu nennen, ein niederländischer reformierter Theologe, dessen »De betoverde Wereld« 1691 erschien und zunächst den Erfolg hatte, dass der Verfasser seines Amtes als Pastor zu Amsterdam entsetzt wurde. In diesem Werke, das bald fast in allen europäischen Sprachen übersetzt wurde, leugnete er entschieden, wie bis dahin noch keiner es getan hatte, die Macht des Teufels und dergleichen. »Ich will beweisen, dass der Teufel kein Reich, das gegen Gott, noch unter Gott angestellet, noch wider das Christentum oder davon unterschieden, noch weniger darinnen, weder in dem meisten, noch in dem geringsten hat, noch haben kann,« ruft er II. Kapitel 34. § 4 aus.

Noch wirksamer und bedeutender für die Sache der Gerechtigkeit und der Vernunft, besonders was die Einschränkung der Folter betrifft, war, bald nach Bekker, der berühmte deutsche Rechtsgelehrte und Professor erst zu Leipzig, dann zu Halle, Christian Thomasius, (1655-1728), der, beiläufig bemerkt, auch zuerst seine Vorlesungen auf der Universität in deutscher Sprache hielt. Anfangs war er selbst ein Anhänger der Hexenprozesse und der Folterung. Er selbst schreibt darüber, mit Bezeichnung auf einen Fall, wo er als Referent der Juristenfakultät die Vornahme der Tortur beantragt hatte, was jedoch von seinen Kollegen abgelehnt wurde. »Dieser gegenwärtige Casus wurde auch Anno 1694 in unsere Fakultät geschickt im Monat September und war ich damals mit der gemeinen Meinung von dem Hexenwesen so eingenommen, dass ich dafür geschworen hätte, die in der Carpzovii Praxi criminali befindlichen Aussagen der armen Gemarterten, oder mit der Marter doch bedrohten Hexen bewiesen den mit den armen Leuten pacta machenden und mit den Menschen buhlenden, auch mit den Hexen Elben zeugenden und sie durch die Luft auf den Blocksberg führenden Teufel überflüssig, und könnte kein vernünftiger Mensch an der Wahrheit dieses Vorgebens zweifeln. Warum? Ich hatte es so gehört und gelesen und der Sache nicht ferner nachgedacht, auch keine grosse Gelegenheit gehabt, der Sache weiter nachzudenken. Dieses waren die ersten Hexenakten, die mir zeitlebens waren unter die Hände gekommen, und also exerpierte ich dieselben mit desto grösserem Fleiss und Attention ...

Nachdem ich den bisher erzählten Extract ex actis ad referendum verfertigt, bemühte ich mich zur Überlegung und Abfassung meines voti, des Carpzovii criminalia, ingleichen den Malleum maleficarum, Torrelbancam, Bodinum, Delrio, und was ich für Autores de magia mehr in meiner wenigen Bibliothek antraf, zu konsuliren, und da fiel mir freilich nach dieser Männer ihren Lehren der Ausschlag dahin dass die Inquisitin, wo nicht mit der Schärfe, doch zum wenigsten mit massiger Pein wegen der beschuldigten Hexerei anzugreifen wäre. Und dachte ich dannenhero mit diesen meinem voto in der Fakultät Ehre einzulegen. Aber meine Herren Kollegen waren ganz anderer Meinung, und musste ich dannenhero das Conclusum facultatis auf folgende Art entwerfen:

Dass wider Barbaren Labarentzin in Ermangelung anderer Indizien ferner nichts vorzunehmen, sondern sie ist nunmehr nach geleisteten Urpheden der gefänglichen Haft zu erlassen, jedoch seynd diese Acta wohl zu verwahren, und ist auf ihr Leben und Wandel fleissig Acht zu geben. Sie ist auch die auf diesen Prozess ergangenen Unkosten nach vorhergegangener Liquidation und richterlicher Ermässigung zu erstatten schuldig. V. R. W. Nun verdrosse es mich aber nicht wenig, dass bei diesem ersten mir unter die Hände geratenen Hexenprozess mein Votum nicht hatte wollen attendiert werden; aber dieser Verdruss war nicht sowohl gegen den damaligen Herrn Ordinarium und meine übrigen Herren Kollegen, als wider mich selbst gerichtet. Denn da ich allbereit in der Ausarbeitung meiner deutschen Logik gelehrt hatte, dass ein weiser Mann die beiden Haupt-Präjudicia menschlicher Auctorität und der Übereilung meiden müsste, verdross es mich auf mich selbst, dass mein Votum auf nichts als die Auctorität obiger, und zwar offenbar grösstenteils parteiischer, unvernünftiger Männer und auf deren übereilte und unzulängliche rationes sich gründete, fürnehmlich darauf, dass die justifizierte Hexe es der Inquisitin in die Augen gesagt, dass sie von ihr hexen lernen und umgetauft worden, auch bei ihrer Aussage bis in ihren Tod beständig verharrt wäre. Ja, es verdross mich noch mehr auf mich, dass ich, sobald ich die rationes contrarias meiner Herren Kollegen nur hörte, alsbald von deren Wichtigkeit convincieret wurde und nichts darauf antworten konnte.«

So wurde aus einem Saulus ein Paulus, und zwar ein nicht minder eifriger als es der Hauptgründer des Christentums war. Zwar glaubte auch Thomasius an die Existenz des Teufels, aber er leugnete »hinwiederum, dass Hexen und Zauberer gewisse Verträge mit dem Teufel aufrichten sollen und bin vielmehr versichert, dass alles, was diesfalls geglaubet wird, nichts anders als eine Fabel sei, so aus dem Juden-, Heiden- und Papsttum zusammengelesen, durch höchst unbillige Hexenprozesse aber, die sogar bei den Protestierenden (d. h. Protestanten) eine Zeithero gebräuchlich gewesen bestätigt werden.« Selbstverständlich fehlte es auch Thomasius nicht an Gegnern, zumal er die Streitbarsten der Streitbaren, Juristen und Theologen, ausdrücklich angegriffen hatte. Doch der Geist einer neuen Zeit liess seine Schwingenrauschen bereits vernehmen: Die Hexenprozesse verfielen der Lächerlichkeit und damit fand auch die Tortur ihre Haupteinschränkung. Ganz verbannt wollte freilich auch Thomasius die Folter nicht aus der Rechtspflege wissen, aber es traten dieser bald von anderer Seite zahlreiche und kräftige Gegner auf, besonders im achtzehnten Jahrhundert und besonders auch in Frankreich, England und anderen Ländern. Der berühmte Montesquieu (1689-1755) schreibt über die Tortur: »Tant d'habiles gens, et tant de beaux génies ont écrit contre l'usage de la torture, que je n'ose parler après eux. J'allais dire qu'elle pourrait convenir dans les gouvernements despotiques, où tout ce qui inspire la crainte entre dans les ressorts du gouvernement; j'allais dire, que les esclaves chez les Grecs et chez les Romains ... mais j'entend la voix de la nature qui crie contre moi.«

Friedrich der Grosse widmet dieser Sache folgende treffliche Bemerkung in seiner Abhandlung sur les raisons d'établier et abroger les loix: »Qu'on me pardonne si je me recrie contre la question. J'ose prendre le partie de l'humanité contre un usage honteur à des Chrétiens et à des peuples policés, et, j'ose ajouter, contre un usage aussi cruel qu'inutile.«

Als den bemerkenswertesten Gegner der Tortur im achtzehnten Jahrhundert haben wir den wiener Professor der Staatswissenschaften und Hofrat Josef von Sonnenfels (1732-1817) zu betrachten, dessen Bemühungen es auch zu verdanken ist, dass in Maria Theresia schliesslich Zweifel über die Zulässigkeit der von ihr in der sogenannten »Theresiana« – von der bald ausführlich die Rede sein soll – angeordneten Folterungen aufstiegen. Sie liess eine Kommission zusammentreten, die sich mit dieser Frage beschäftigen sollte und sich auch für die Beibehaltung der Tortur aussprach, Sonnenfels ausgenommen, der seinen Widerspruch in einem Votum seperatum kleidete, welcher 1775 veröffentlicht wurde, wie es scheint ohne Hinzutun des Verfassers von einem seiner Bekannten. »Über die Abschaffung der Tortur« betitelt sich diese kleine Schrift, in der es heisst: »Eine Reihe trauriger Erfahrungen hat den Zweifeln, welche schon in verflossenen, und mehr noch in gegenwärtigen Zeiten gegen die Folter, oder die sogenannte strenge Frage aufgeworfen worden, ein neues Ansehen erteilt und die allerhöchste Verordnung veranlasst, bei den Länderstellen und Gerichten in Überlegung zu nehmen

I. Ob die peinliche Frage nicht ganz aufzuheben?

II. Bei welchen Verbrechen dieselbe etwann beizubehalten? Und was

III. In dem Falle der Aufhebung an ihre Stelle zu setzen sein möge?

Ich sehe also zum Teil denjenigen Wunsch in Erfüllung gehen, den ich mir neulich zu dem Fusse des Trones erlaubt habe; und diese Verordnung setzt mich als Rat in das Recht ein, das dem Lehrer zweifelhaft gemacht werden sollte, die Gründe mit bescheidener Freimütigkeit vorzutragen, welche bei einer Frage von solcher Wichtigkeit, die Entscheidung bis hierher, wenigstens ungewiss machen konnten ... Um dem Vorwurf keinen Platz zu geben, dass die Widersacher der Folter beständig nur das Herz angreifen, weil sie gegen den Verstand zu kurz fallen dürften, begebe ich euch aller Vorteile, welche mir die Empfindung zur Erregung des Mitleids für die leidende Menschheit leihen würde, und behandle diese Frage mit der kalten Gleichgiltigkeit eines Rechtsgelehrten, der seine Blicke von den Zuckungen der Gepeinigten abwendet, sein Ohr vor ihren Wimmern verschliesst, und bei dieser ganzen Untersuchung mehr nicht als eine Streitfrage vor sich sieht ...« Sonnenfels ist, begreiflicherweise, für die Aufhebung der Tortur, glaubt jedoch, dass sie bei einem zweifellosen Verbrecher zur Herbeiführung des Geständnisses seiner Mitschuldigen noch angewandt werden konnte, wobei aber jene zweifellose Feststellung nicht durch die Folter selbst herbeigeführt worden sein darf. An stelle der Tortur wünscht er eine genaue, sorgfältige Untersuchung gesetzt zu sehen, die über Schuld oder Unschuld Klarheit bringen müsste.

In einer an die Kaiserin Maria Theresia gerichtete Schutzschrift sagt Sonnenfels: »Eure K. K. Apostol. Majestät geruhten durch Dekret vom 22. August allergnädigst zu verordnen, dass ich künftig in meinen Sätzen die peinliche Frage und Todesstrafe nicht mehr berühren sollte. Die Grundsätze meines Lehramtes sowohl, als meines Herzens, haben mir von jeher die Folgsamkeit gegen die Gesetze zur unverletzbaren Pflicht gemacht, und jeder Ausspruch, der den geheiligten Namen Eurer Majestät an der Stirne trägt, ist mir ein Gesetz.

Aber diese Pflicht, von der ich nicht weniger auf dem Lehrstuhl als in meinen Schriften stets mit aller Wärme des Gefühls gesprochen, die ich bei meinen Zuhörern immer zur Grundlage der gesellschaftlichen Rechtschaffenheit gemacht, und von ihnen gleichsam als das Unterscheidungszeichen der Sonnenfelsischen Schule gefordert habe, diese Folgsamkeit streitet gänzlich wohl mit der Freiheit einer ehrbietigen Vorstellung, zu welcher ich mich vor dem Throne Eurer Majestät durch mehr als einen Beweggrund berechtigt glaube.

Die allerhöchste Verordnung enthält nicht bloss einen Befehl an mich, sie schliesst zugleich über einen mir zur Schuld gelegten Ungehorsam, und einen nicht nur ungereimten, sondern anstössigen Satz, als die Veranlassung des Befehls, einen Verweis in sich, den es mir weniger empfindlich sein würde, empfangen, als verdient zu haben.

Die eigentlichen Worte, auf die ich ziele, sind: Es sei vorgekommen, dass noch immerfort einige Sätze aus den politischen Wissenschaften, welche den publizierten höchsten Gesetzen schnurstracks zuwiderlaufen und in sich selbst anstössig sind, als z. B. Sätze, worin die Tortur verworfen, und andere, worin alle Todesstrafen gegen alle göttliche und menschliche Gesetze gemissbilligt werden, ungeachtet solche schon vor einigen Jahren geahndet und abgeändert worden, dennoch gelehrt und gedruckt werden.

Ich habe also nach dem Inhalt dieser Stelle

I. Sätze, die den publizierten höchsten Gesetzen schnurstracks zuwiderlaufen,

II. Sätze, die in sich selbst anstössig sind, gewagt; ich habe

III. Die Tortur und alle Todesstrafen gegen alle göttliche und menschliche Rechte gemissbilligt und dieses

IV. Ungeachtet diese Sätze vor einigen Jahren geahndet und abgeändert worden.

Es kann mir nicht gleichgiltig sein, in den Augen Eurer Majestät als ein unbiegsamer Untertan und unbedachtsamer Lehrer zu erscheinen. Es kann mir auch nicht gleichgiltig sein, als ein solcher in den Augen der Nachwelt zu erscheinen, die, wenn sie einst dem merkwürdigen Zeitpunkt der Regierung Theresiens ihre Aufmerksamkeit widmen und, unter andern wichtigen Begebenheiten, die Vorschreitung der Wissenschaft und des Geschmacks betrachten wird, vielleicht auch einen Blick auf diejenigen werfen dürfte, deren sich die Fürstin als der Werkzeuge dieser Veränderung bedient hat. Und ich halte meine Hoffnung, unter diesen mitgenannt zu werden, und meinen Wunsch nicht ganz geheim, meinen Namen ohne Vorwurf auf diese Zeiten hinüberzubringen.«

Sonnenfels versucht ferner sich ausführlich zu rechtfertigen und schreibt dann gegen Schluss: »Später um ein Jahr als mein Lehrbuch erschien das von Hofrat von Martini auf Ew. Majestät Befehl entworfene Iuscivitatis, welches von der Tortur folgende Lehre enthält: Hinc tortura generatim remedium veri eliciendi ineptum est, adeoque etiam illicitum (§ 158). Dieser Satz, mit so unverkleideter Freimütigkeit er ausgedrückt ist, ward nicht als Hindernis angesehen, ein Buch, das die Ausländer mit nicht weniger Beifall aufnahmen, als es unter uns fand, zum Vorlehrbuch des allgemeinen Staatsrechts allen Lehrstühlen der K. Erbländer anzuweisen.

Wenn ich daher dem Heiligtume der erhabenen Absichten Ew. Majestät näher zu treten, und die Zukunft durch das Licht der Mutmassung aufzuklären wagen darf, so deucht mich, ich sehe Ew. Majestät mit dem Entschlusse beschäftigt, die Folter einst aus einem Gesetzbuch zu verweisen, dessen notwendige Strenge der grenzenlosen Güte Ihres Herzens so viel Überwindung gekostet hat. Und diese, Ihren Lehrern anbefohlene Freimütigkeit ist gleichsam die Vorbereitung der Denkungsart zu einer Veränderung, der sich zur Zeit noch geheime Umstände entgegensträuben mögen.

Ich danke Theresien, und meine Mutmassung wird zur Gewissheit; und ich fühle mich in dem Entschlusse bestätigt, neben meiner Verantwortung nun noch für die seufzende Menschheit das Wort zu nehmen und die Beschleunigung dieser Veränderung herbeizuwünschen. Sie schreit nicht über Ungerechtigkeit; sie dringt nicht ungestüm gerade auf die Abschaffung eines lange üblichen Verfahrens; sie nimmt nicht den Bösewicht in ihren Schutz; sie zittert nur für den Unschuldigen, den die Marter, den schon der Anblick, schon der Gedanke der Marter sich um das Leben zu lügen zwingt, da den Bösewicht so oft seine starke Sehnen der verwirkten Strafe entziehen. Sie fleht um mehr nicht als ihre Sachführer zu hören und das Gewicht ihrer Gründe auf die Wagschale der Untersuchung zu legen.

So viel berühmte Namen aller Zeiten, ein Grotius, ein Montesquieu, ein gekrönter Friedrich, ein Beccaria, das Verfahren des alten Roms, die Nachfolge mehrerer Gesetzgeber unsers Jahrhunderts, und der Beifall, womit Europa sie gekrönt; so viele, wo nicht unwiderlegbare, wenigstens noch unwiderlegte Schriften dieser letzten Jahre, sollen diese nicht zum mindesten einen gegründeten Zweifel erwecken, und nach dem ewigen Gesetze der Religion und Sittenlehre der Ausübung so lange Stillstand gebieten, bis die Sache von einer oder der andern Seite entschieden ist?

Nie war eine Frage wichtiger, um selbst unter dem Vorsitze des geheiligten Ansehens der Regenten behandelt zu werden. Es ist hier um keine müssige Grübelei, nicht um eine eitle Schulfrage zu tun, bei der es gleichviel sein mag, welche Partei ergriffen werde: Häufig vergossenes Blut der Unschuld kann die Folge der vielleicht irrig gewählten Meinung sein. Die Welt, die ihren Blick sorgfältig auf die bewunderte Fürstin heftet, wird aus ihrem Mund willig die Entscheidung eines Zweifels annehmen, der beinahe nur darum noch im Zweifel zu sein scheint, weil Gründen und Ansehen immer noch das Gesetzbuch Theresiens entgegengestellt werden kann.

Allerdurchl. Monarchin! Ich habe die ehrfurchtsvolle Zuversicht, Ew. Majestät bei dem geheiligten Namen der Unschuld, und bei der Fühlbarkeit Ihres Herzens, das stets die bescheidene Zufluchtstätte der Unschuld ist, zu beschwören:

Geruhen Sie zur Erörterung der beiden Sätze eine Untersuchung anzuordnen, wobei die Vertreter der Folter und Todesstrafe, wer sie immer sind, ihre Gründe vorlegen, und dasselbe dann auch mir erlaubt sein möge. Das Ziel dieser Untersuchung sei kein anderes, als die Wahrheit, die Überführung auf einer oder der andern Seite, und die Beruhigung Ew. Majestät. Es sei daher aus den Schriften, worinnen die Sache behandelt wird, wie aus dem mündlichen Vortrag alle Spitzigkeit, alle Hartnäckigkeit, aller Hass verbannt. Derjenige, der in seiner Meinung zu kurz fällt, teilt immer den Ruhm mit dem Sieger, weil er zur Aufklärung einer so wichtigen Streitfrage mitgewirkt hat ...«

Über die Ausbildung der Tortur bemerkt er in dem genannten Schriftchen:

»Die Unterdrückung, die Religionswut, die Mordsucht, die Raubbegierde, die in der Wahl der Mittel niemals zärtlich sind, haben den Gebrauch dieser gräulichen Erfindung erweitert. Sie waren scharfsinnig die Dauer der Schmerzen zu verlängern, sie empfindlicher, unwiderstehlicher zu machen. Sie waren unerschöpflich derselben Arten zu vervielfältigen. Man hafte seinen Blick auf die Martern, durch welche in den Frühzeiten der Kirche die Verfolgung versuchte die Standhaftigkeit der Gläubigen zu erschüttern und sie zum Abfall zu nötigen! Der nach Gold, nach Blut dürstende Eroberer von Peru verfiel darauf einen unglücklichen Inka an der Seite seines Lieblings auf glühende Kohlen hinzustrecken, um den Ort zu erfahren, wo seine Schätze aufbewahrt sind. Das waren die Urbilder, denen die Richterstühle nachher ihre Untersuchungsart abgeborgt haben; aber sie hofften den Schandflecken einer so abscheuwürdigen Herkunft durch den Nutzen zu verlöschen, welchen das gemeine Wohl daraus schöpfen würde.«

Interessant ist auch folgende Stelle: »Die tragische Geschichte, welche in Genf die Veranlassung gewesen, dass die Folter auf beständig abgeschafft worden, ist bekannt. Ein junger Mensch vom Lande kam abends in die Stadt, seine Schwester aufzusuchen, die daselbst diente. Da es zu spät war um sie zu finden, und der Landfremdling hier wenig Bescheid wusste, lagerte er sich unter einer Laube, nahe bei den Kaufbuden, wo er die Nacht hinbringen konnte. Er entschlief. Ein Soldat, der sonst schon mehrmal gestohlen hatte, erbrach eben in dieser Zeit und Gegend ein Warenlager und fing an es auszuplündern. Bevor er aber zu Ende kommen konnte, hörte er die Nachtrunde in der Nähe. Er suchte daher noch zu entfliehen ehe sie ihn wahrnahm. Aber indem es ihm natürlich schien, dass sie die begangene Gewalttat beobachten, und daher den Täter nachspüren würden, fällt ihm unglücklicher Weise der Schlafende ins Gesicht, welches ihn auf den Anschlag bringt, den Verdacht des verübten Raubes von sich auf diesen Unschuldigen zu wälzen. In dieser Absicht nun schleicht er dem sorglos Schlafenden die Schlüssel unbemerkt in die Tasche und wird unsichtbar. Die Runde kommt jetzt herbei; sie sieht die eröffnete Bude; sie findet den durch ihr Gelärm geweckten und auffahrenden Jüngling, den in einem unbekannten Ort alles schrecken musste: sie ergreift ihn für den Täter. Die bei ihm gefundenen Schlüssel, die bestätigte Tat, der Ort, wo man ihn getroffen – alles legt wider ihn Zeugnis ab. Die Verwirrung seiner Antwort, als er wegen der Schlüssel befragt wurde, vollendet die Vermutung. Er wird nun auf die Folter gebracht und gesteht sich sogleich zum Täter. Das Todesurteil wird auch an ihn vollstreckt. Der wahre Täter setzt inzwischen seine Räuberei nicht aus, bis er endlich über einer Tat angehalten worden. Hier gestand er unter mehreren Übeltaten auch jenen Diebstahl und zugleich die Umstände, wie sie erzählt sind. Die Stadt Genf ist Zeuge dieses Falles und noch tragen die Richter, welche an dem Spruch teilgehabt, den Hass des Volkes.«

Noch liessen sich zahlreiche Stimmen für und wider Hexenwahn und Tortur anführen, doch mag es mit dem bereits Gegebenem sein Bewenden haben. Wir ersehen zur Genüge daraus wie schwer sich Gedanken Bahn brechen, die einer späteren Zeit als selbstverständlich galten, und dass selbst in dieser das, was man stolz wähnt nunmehr längst überwunden zu haben, genau betrachtet, noch fortlebt und fortwirkt, oft in ungeschwächter Kraft und Macht und nur in der Form von dem vielbelächelten Einst fast bedeutungslos unterschieden.


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