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Kapitel VII

Besuch in Straßburg

»Der Weg ist begonnen, vollende die Reise,
Dein Los ist gefallen, verfolge die Weise.«

(Goethe, Sprüche.)

»Das Meer flutet immer,
Das Land behält s nimmer.«

(Goethe, ebenda.)

Das heurige Sommerfest war in der Chronik des Sesenheimer Pfarrhauses ein Höhepunkt gewesen. Die Anwesenheit des jungen Genies, das Märchen, die Atmosphäre von Übermut und Leidenschaft, die über allem schwebte, war von den Gästen als etwas ganz besonders Feiertägliches empfunden worden. Die Schölls hatten in Straßburg Wunderdinge davon erzählt. Nun brannten Verwandte und Bekannte darauf, den interessanten jungen Freund der Brions kennenzulernen und in ihr Haus zu ziehen. Da ohnedies längst ein Besuch der Brions in Straßburg geplant war, erließen die Schölls eine dringende Einladung nach der anderen für die Sesenheimerinnen. Aber die Mutter konnte sich, namentlich während der ländlichen Sommerarbeiten, schwer vom Haushalt trennen. Und von Friederike wußte man, daß sie das Stadtleben nicht liebe. Gerade sie aber betrieb diesmal die kleine Reise. Sophie war glücklich in der Aussicht, einmal selbständig daheim die Wirtschaft zu führen. Ihre poetische Phase war vorbei. Dem Buchengedicht fehlte noch immer der Schlußvers. Als nun noch die Schulmeisterin versprach, nach dem Rechten zu sehen, wurde nur noch die Roggenernte abgewartet. Und dann ging's nach Straßburg. Das Sälmel war außer sich vor Freude. Sie verlangte, es solle eine Überraschung sein für Goethe, schalt Friederike, die sich dem widersetzte »hausbacken« und »nüchtern« und stellte mit ihren gewaltigen Vorbereitungen das Haus auf den Kopf. In Friederike war eine stille, strömende Glückseligkeit, die keines Lärmens bedurfte.

Straßburg war schon etwas versengt und verstaubt, als die Brions dort aus dem Postwagen stiegen, der sie durchs Tor und tief in die Stadt hinein fuhr. Seit jenem Einzugstage waren sie nicht mehr in Straßburg gewesen. Friederike dachte daran. War das nicht Jahre her?

Heute war hier Alltag. Planwagen rüttelten über das Pflaster, die der Stadt Mehl und Stroh hereinbrachten. Die Madams, ihre bäurische Magd mit dem Korb auf dem Kopf hinter sich, gingen auf die Nasch- und Obstmärkte einkaufen. Am Staden keiften die Fischweiber und die Waschschiffweiber miteinander. Nur der Paradeplatz mit seinen, die Häuser entlang im Quadrat gepflanzten grünen Schirmen der Linden, hatte etwas friedvoll Erfrischendes. Da, am Posthof stiegen sie aus.

»Der Goethe ist da und die Kusinen«, flüsterte das Sälmel aufgeregt. Es gab ein großes Hin-und-her-Umarmen. Auch der junge Freund ging nicht leer aus. Friederike küßte ihn sogar vor allen Leuten herzlich auf den Mund. Er lachte glückselig. »Mein Mädchen.« Sogleich aber nahm er eine gesetzte Miene an. Er grüßte respektvoll in einen Wagen hinein, der vorbeifuhr.

»Wer war's?« wollte das Sälmel wissen.

»Die Baronin von Oberkirch«, erwiderte die Mutter statt seiner. »Man kennt die Livree.«

»Die? Das ist ja wohl eine Gelehrte?« Sie hatte sich umgedreht und nach ihrer ungenierten Art Goethe am Arm gepackt.

»Sie schreibt über das Elsaß«, sagte er ein wenig zurechtweisend. Ihre laute Art schien ihn zu ärgern. Und als sie sich jetzt nach einem der beiden Reisesäcke bückte, um sie sich mit einem »Hoppla« aufzuladen, trat er rasch dazwischen und winkte den Aufwärter seines Rosthauses herbei, den er herbestellt hatte. Friederike sah, daß ihm das Blut ins Gesicht gestiegen war. Sie las einen leichten Unmut über der Schwester auffälliges Gebaren in seinen Augen.

Der Bursche tat die beiden schweren und großen gestickten Taschen in seinen Karren und befestigte sich die vielen Schachteln und Kartons mit einem Strick an Brust und Rücken. Er verzog dabei ein wenig geringschätzig das Gesicht.

Frau Brion sah ihn streng an. Sie zog den Geldbeutel. »Was guckt Er? Hat Er noch kein Frauenzimmergepäck gesehen?«

In ihrem Arger gab sie ihm überreichlich. Sie wehrte Goethes Börse ab. »O nein, lieber Freund, in Straßburg bin ich mehr zu Hause als Sie.«

Die Verstimmung schwand nicht so schnell. Goethe bot der Mutter den Arm, die in ihrem langen, grauen Reisekragen, das Spitzentuch über dem gepuderten Haar, würdig und gelassen einherschritt. Die Mädchen gingen voran. Die beiden Sesenheimerinnen trugen wie immer ihre deutsche Tracht, dazu große Strohhüte. Die Schlupfenhaube war zu Haus geblieben. Ein Zugeständnis an die Stadt sollte wohl auch der große, rot und schwarze Stofffächer bedeuten, den Salome beständig wie ein Spielwerk auf und zu warf, daß es nur so klapperte. Die älteste Kusine nahm ihn ihr endlich aus der Hand: »Weißt, wir Bürgermaidele hier in Straßburg machen das nicht auf der Straße. Das machen nur Standespersonen, die im Wagen sitzen.«

»Ach so!« sagte das Sälmel verdrießlich. »Wir sind euch hier wohl nicht gut genug?« Sie zog einen bitterbösen Mund.

Der Weg war nur kurz. Es wurde nicht viel gesprochen.

Vor der Tür verabschiedete sich Goethe. Er küßte allen die Hand. Friederikens hielt er fest und lange. »Meines Riekchens liebes Gesicht hier in den steinernen engen Gassen!« Es lag Zärtlichkeit und eine gewisse Angst in seiner Stimme.

Friederike lächelte ihn an. »Es ist das alte Riekchen doch. Ich hab' dir halt das Sesenheim mit hier hereingebracht in deine Stadt!« Aber etwas Nachdenkliches in ihres Liebsten Zügen verwischte sich nicht.

Endlich riß er sich los. Am Nachmittag wollte er kommen und sie abholen. Sie mußten zusammen die Stadt ansehen. Und seine Wohnung wollte er ihr zeigen. Und seine Freunde sollte sie auch allmählich kennenlernen, Er war jetzt ganz in seine gewöhnliche Lebhaftigkeit gefallen. Und machte ein recht verdutztes Gesicht, als die älteste Kusine ein wenig trocken bemerkte: »Über den heutigen Nachmittag sei leider schon bestimmt.« Die Mutter habe für sich und ihre Gäste eine Einladung zu Verwandten genommen. Aber sie hoffe bestimmt, den Herrn Studiosus recht oft bei sich zu sehen.

Er verneigte sich. Friederike spürte, daß er nur schwer seinen Zorn herunterschluckte. »Da ist nun freilich nichts zu machen,« sagte sie begütigend, »aber am Ende ist es recht klug, daß wir unsere schönen Vorsätze nicht gleich alle am ersten Tage ausführen? Es ist so hübsch, sich auf etwas zu freuen.«

Ihre Stimme beruhigte ihn. Er lächelte dankbar auf sie herunter. Dann ging er. Friederike sah ihm nach. Seine Erscheinung, der Stadt angepaßt, hatte etwas Ungewohntes für sie. Sein Haar war steifer geordnet und stärker gepudert als in Ensisheim; statt der Stulpenstiefel trug er weißseidene Strümpfe und Schnallenschuhe; den dreieckigen Hut hielt er wie einen Zierat in der Hand. Sein biberbrauner Tuchrock über den hellen Kniehosen war von tadellosem Schnitt. So ging er in gepflegter Haltung die Straße hinauf. Nicht stutzerhaft, aber doch nicht mehr der Sesenheimer Waldkamerad!

Auch die Mutter hatte ihm nachgesehen. »Es gefällt mir an dem Goethe,« sagte sie, »daß er sich nach der Mode kleidet und nicht den Genialischen macht, wie das die jungen Studiosen jetzt so gerne tun.«

Friederike schwieg. Sie wußte es aufs neue, daß sie diesen Mann lieben mußte, wie und in welcher Gestalt auch er sich ihr zeigen mochte. Und in ihre helle Jugend fiel dabei zum erstenmal eine Ahnung künftiger Schmerzen.

Heute aber war er noch da. War noch bei ihr.

Heute war noch Glück! Sie machte eine Bewegung mit beiden Händen, als schiebe sie Beengendes von sich weg.

*

Es war ein großer Gegensatz zwischen dem heiteren, regellosen Leben bei den Brions und dem streng geordneten, etwas düsteren Hause Schöll. Die Frau, eine Genferin, hielt streng auf französische Etikette. Beim Kirchgang ebenso wie im gesellschaftlichen Kreise. Das hatte zur Folge, daß die Tochter manches Unschuldige heimlich taten, von dem sie wußten, die Mutter würde es nicht erlauben. Der Syndikus aber, ein schwerer jähzorniger Mann, war in Manier und Anschauung noch nicht aus dem deutschen Mittelalter herausgekommen. Er aß gern, trank viel, und jeder Zwang war ihm zuwider. So gab es oft Streit in der Familie und verdrießliche Gesichter. Die jungen Sesenheimerinnen freilich hatten ihr sorgloses Lachen mitgebracht in die steifen Stuben, in denen kein Stuhl gerückt, keine Seidenfranse der tiefgenischten Fenstervorhänge verschoben werden durfte. In den Kaminvasen des Salons standen die künstlichen Blumen auf Draht einen Tag wie den andern unter ihrem Glassturz, der Kronleuchter war mit Gaze verhängt, die Sessel hatten gleichfalls Sommertoilette gemacht. Kam Besuch, so wurden von den Sesseln, die man brauchte, die Überzüge rasch abgenommen. In die Wohnstuben drang kein Fremder.

Das war keine günstige Umwelt für zwei Liebende, die bisher an die grüne Weite von Anger und Wald gewohnt waren; die in die Stimmen und Bilder der Natur versenkt, oft in stundenlangem Schweigen miteinander glücklich gewesen sind. Hier galt es, steif auf zerbrechlichen goldenen Stühlchen im Salon sitzen, während die Tante sich mit einer Handarbeit an den Kamin setzte. Hatte sie nicht Zeit, wurde ein anderer Ehrenwacht hineingeschickt. Frau Scholl hatte es unerhört gefunden, einen jungen Mann mit einem jungen Mädchen allein zu lassen. Zwar machte die junge Welt Spaziergänge und Ausflüge, aber auch die dienten nur einer salonartigen Geselligkeit. Jeanne, das älteste Schöllmädchen, sah in der Natur nichts als eine Gelegenheit, sich in hübscher Toilette in besuchten Kaffeegärten zu zeigen. Margret, die jüngere, hätte wohl gern einem Vogel gelauscht, eine Blume bewundert, aber sie war durch die Schwester verschüchtert. Deren Ehrgeiz war es, sich mit einer Eskorte junger Leute zu zeigen. Marx und Weyland sowie Gottlieb mußten ihre Kavaliere spielen, soweit es Examen, Beruf und Landarbeiten erlaubten. Der schöne, gut gekleidete junge Frankfurter war ihr eine willkommene Beute.

Der aber ließ sich nicht so gutwillig einspannen. Er, der sich in Sesenheim gegen den gemütlichen kleinen Familienklatsch so nachsichtig bewiesen hatte, ließ hier deutlich erkennen, wie sehr ihn, den Fremden, diese persönlichen Gespräche – unvermeidlich bei einem engen, vertrauten Kreise – langweilten. Er zeigte sich verdrießlich, launisch, schweigsam, spielte mit seiner Uhr, zupfte an den Spitzenmanschetten, gab kurze, unfreundliche Antworten. Und stand zuletzt vom Stuhle auf, mit Weyland oder Friederike ein Einzelgespräch zu beginnen. Kurz, benahm sich so ungezogen, daß die Kusinen, die mit dem glänzenden Gesellschafter geprahlt hatten, vor Verdruß vergehen wollten.

Friederike mußte heimlich lachen, wenn sie ihn so sah. Wußte sie doch, daß es nur die Ungeduld des Liebenden war, die ihn so entstellte. Mit Weyland heckte sie allerhand unschuldige Intrigen aus, die diesen leidigen Zustand bessern sollten. Gottlieb, der erst mitgetan hatte, zog sich mehr und mehr von solchen Zusammenkünften zurück. Es tat ihm weh, Friederike und Goethe beieinander zu sehen.

Friederike verstand es die ärgerlich Auseinanderstrebenden durch eine gemeinsame Beschäftigung recht vergnügt zusammenzuhalten. Sie schlug Schreibspiele vor. Unter den schattigen Platanen des »Bäckerhiesel« rückte man ein paar Tische zusammen, stellte Bänke davor, der Wirt brachte ein altes Schulheft seines Sohnes, dessen leere Blätter man benutzte. Und bald waren alle Wangen gerötet. Jeder lächelte befriedigt vor sich hin, einem Wort entgegen, das ihm einfiel und ihm witzig schien, wohlgelungenen Verschen, das er zu aufgegebenen Reimen dichten, einem Bildchen, das er aus einzelnen Figuren zusammenziehen mußte. Goethe, der auflebte, sobald er zu tun bekam, war jetzt der lebhafteste. Sein Stift flog über das Papier. Und über die gebeugten Köpfe hinüber sandte er Blick um Blick zu Frederikens Augen, abbittend, reumütig, dann aber strahlend.

Das Verschen, das er mit einiger Willkür aus den aufgegebenen Reimworten »Eile – Weile«, »frei – bei« gemacht hatte, lautete:

»Erst sitzt er eine Weile,
Die Stirn von Wolken frei;
Auf einmal kommt in Eile
Sein ganz Gesicht der Eule
Verzerrtem Ernste bei.
Ihr fraget, was das sei?
Lieb' oder Langeweile?
Ach, sie sind's alle zwei.«

Eine Art Sündenbekenntnis an Friederike.

Der Launenhafte besserte sich auch wirklich. Bei Tee-Einladungen zu den Schöllschen Verwandten und Freunden entzückte er die soliden Bürgerfamilien durch seine artige Höflichkeit und seine netten Geschichtchen. Wollten sie die Spiele sehen, die man in Sesenheim trieb und von denen sie soviel gehört hatten, verstand er es, allerlei Lustiges zusammenzubringen. Im Kartenspiel, bei den älteren Personen, tat er gleichfalls sein Bestes. Manchmal sandte er dabei einen Blick zu Friederike hinüber, der ihr die schmeichelnde Versicherung gab: »All' diese Langeweile dulde ich für dich.«

Sie litt mit ihm. Und stärker als er. Sah sie doch hinter der hohen Stirn Gedanken auf den Augenblick der Erlösung warten.

Sie sann auf Befreiung.

An bestimmten Wochentagen versammelte sich die Straßburger Gesellschaft immer in aller Morgenfrühe auf dem Broglie, um dort die Morgenmusik zu hören, eine Stunde auf und ab zu promenieren, mit Bekannten zu plaudern, sich zu zeigen. Die Schöllschen Damen fehlten niemals. Marx, Gottlieb, Weyland, Goethe waren hinbeordert. Auf einmal gab Friederike das verabredete Zeichen mit der Hand. Weyland nahm Goethe am Arm und entwich mit ihm durch die Pforte des Eisengitters, das den Platz umschloß, wahrend Friederike durch eine entgegengesetzte Tür davonging, nachdem sie der Tante von einer kleinen Besorgung gesprochen hatte, die sie rasch zu erledigen habe. Ruhig ging sie am französischen Komödienhaus vorbei, draußen aber kehrte sie wieder um. Und es dauerte nicht lange, so traf sie auf die zwei. Sie lachten sich an. Tiefblauer Himmel über den schmalen, buntgestrichenen Häusern mit den braunroten Giebelstirnen. Aus ihren zwei bis drei Etagen übereinanderstehenden, offenen Mansardenfensterchen schienen sie dankbar emporzuatmen. Aus den Brunnen quoll silberner Strahl, die Mägde schöpften am Trog und schwatzten. Unter den schwarzen Bandhauben sahen ihre Gesichter freundlich und jung aus. Alles schien Wohlsein und ohne Beschwerde. Auch Friederike atmete leicht. Die Aufregungen der letzten Zeit, die sie schweigend trug, auch vor sich selbst nicht eingestand, hatten ihr oft den Atem stocken lassen; nun schlug das Herz ihr froh. Mit lieblich geöffneten Lippen ging sie neben den Männern her, die zueinander sprachen. Und doch eigentlich nur für sie. Straßburgs Vergangenheit stand auf zwischen ihnen, von dem Poeten heraufbeschworen. Das Ringen von Alemannen und Franken um das ehemalige Keltenland; Legenden, Siegfried jagt in den Vogesen, Gottfried von Straßburg erlebt hier neu die alte Mär von Tristan und Isolde; die frommen Gestalten der protestantischen »Gottesfreunde« erheben sich vor Friederikes Einbildungskraft. Ist das noch dieselbe Stadt, die sie seit ihrer Kindheit kennt? Durch die sie ging, um Einkäufe zu machen, den und jenen zu besuchen und mit ihm über Haus und Familie Nachrichten zu tauschen? Dies die Straßen, durch die sie Sonntags mit den Kusinen zog, um Bekannte zu treffen?

Sie begriff es nicht. Alles war geweitet und wichtig, was man sonst hier übersehen hatte; alles früher Wichtige ganz klein geworden.

»Und nun gehen wir zu mir«, rief Goethe lustig. Unmerklich hatte er sie auf den Fischmarkt hingeführt. Friederike stand unschlüssig am alten, reichverzierten Brunnentempel, sah das Wasser in den Steintrog fließen und netzte ihre Hände in dem Strahl. Sie sah zu den Fenstern empor, hinter denen ihr Liebster hauste. Dann fragend auf Weyland. »Wenn Tante Schöll es erfährt, werden wir beide tüchtig gescholten.«

Aber Goethe war schon vorangesprungen, ein wenig Ordnung schaffen droben. So stiegen sie denn gehorsam die steile, knackende Treppe hinan, bis in den zweiten Stock. Friederike blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, sah liebevoll das helle, viereckige Stübchen mit der Blumentapete, den Alkoven mit dem Bett, die grüne Bettdecke, den wohlbekannten braunen Arbeitsrock am Ständer, dann wieder auf der Kommode allerlei feine Sächelchen, in denen die Sonne blitzte. Goethe hatte auf den ovalen Tisch eine Flasche Wein gestellt mit drei Gläsern, holte Biskuits aus dem Schrank, gemalte Teller. Alles in glücklichster Bewegung. Friederike hielt am Stehpult die wohlgespitzten Gänsefedern in der Hand. Sie betrachtete Silhouetten und Kupfer an der Wand, die in ihren Rähmchen einander die Wimpern zuwendeten. Goethe nannte ihr die Namen. Die meisten hatte Friederike schon gehört. Aber so wie etwas Fernes, viel zu Hohes, das nur irgendwo am Himmel leuchtete.

Weyland machte sie aufmerksam auf die Flaschen und Retorten in der Wandnische. Goethes chemische Experimente. Dicke schweinslederne Bände lagen auf einem Stuhl neben der Kommode, altertümlicher Druck. Sätze, die sie nicht verstand. Ein Hängeschränkchen war da voll Steine, Käfer und andere Naturalien, die in Kästchen mit Aufschriften ruhten.

»Was Sie alles tun!«

»Vieles, aber vorerst noch nicht viel.« Sein Blick ging ins Ferne.

Wo war er? Fühlte er sie gar nicht jetzt?

Sie kam sich plötzlich ausgeschlossen und verstoßen vor.

Bald brach sie auf. Weyland begleitete sie nach dem Broglie zurück. Sie war sehr still.

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