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Cuivre poli

»Nichts ist untrüglicher als der Schein.«

Max Liebermann.

 

Cuivre poli ist eine Legierung von Kupfer und Zink, vielfach mit ungewöhnlich hohem Kupfergehalt. Die französische Bezeichnung trifft insofern nicht ganz zu, als es sich nicht sowohl um poliertes, als vielmehr auf der Schleifmaschine geschliffenes Messing handelt. Leuchter, Kirchengeräte aus Cuivre poli wurden schon in der Renaissancezeit hergestellt, – jetzt, in den achtziger und neunziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts überflutete die Cuivre-poli-Herrlichkeit, meist nach Renaissancemustern hergestellt, im Renaissancemietshaus die Eß- und Wohnzimmer eines Bürgertums, das, kaum und nur eben bescheidenster Lebensführung entwachsen, auf eine gewisse Repräsentationspflicht angewiesen zu sein wähnte.

Das also ist Cuivre poli.

Im Jahre 1896 hat Alfred Lichtwark im Vorraum von Menzels Atelier, einem Berliner Zimmer mit dem Fenster in der Ecke, zu warten. Er sieht sich um und erblickt »eine Hängelampe mit wilder Berliner Ornamentik in Cuivre poli, die unter der Kuppel sehr sichtbar noch die Preisauszeichnung trägt«. Cuivre poli wird so zu einem Symbol. Wofür? Für die Kultur einer Zeit, die sich den guten Geschmack leisten kann, ihn um der lieben Repräsentation willen zur Schau tragen muß, und – ihn nicht findet.

 

Etwa zwanzig Jahre früher, bevor die Cuivre-poli-Hängelampe mit dem unabgewaschenen Preisvermerk in Berlin in Menzels Vorraum prangte, hatte Makart sich sein »berühmtes« Atelier in Wien eingerichtet. Da war denn alles Erdenkbare von Ritterrüstungen zu antiken Plastiken, von gotischen Truhen zu geschnitzten Stühlen, von Musikinstrumenten zu venezianischen Gläsern zusammengetragen. Vor indischen Seidenschals und flandrischen Gobelins in italienischem Bronzekübel das Makartbukett. »Unter einem Baldachin, der auf zwei spätrömisch gewundenen Säulen ruhte, stand die Armatur eines Geharnischten. In einem Spinde altitalienischer Arbeit prunkte eine Sammlung gold- und perlenbesetzter orientalischer Hauben.« Dazwischen Tierskelette, Mumien, Oleanderbäume – ja, da konnten einem die Augen über so viel künstlerischen Geschmack aufgehen.

Einer griff sich bei alledem an die Stirn: Alfred Lichtwark. Ueber die so sehr verschieden gearteten und doch in letzter Hinsicht das gleiche aussagenden Räumlichkeiten bei einem Menzel und einem Makart blickte er hinaus auf das Atelier als solches. Er überlegte: was der Künstler unserer Zeit für seine Arbeit braucht, ist ein Wohnzimmer mit gutem Licht. Nun fehlt es aber unseren Wohnräumen an jedweder zweckdienlichen Beleuchtung. So verfiel man darauf, Ateliers mit Oberlicht zu bauen, – eine Einrichtung außerhalb aller Lebensrealität. »Es hat bewirkt, daß der Künstler Generationen lang nicht nur von der Natur, sondern vom Leben losgelöst arbeitete.«

Das ist auch » Cuivre poli«: das vom Leben des Tages, von den Bedürfnissen des Gebrauchs und der Hantierung Losgelöste.

Zugleich baut man dann Museen mit hohen Hallenräumen und stellt die niedere gotische Truhe, das trauliche mittelalterliche Hausgerät, in den aufgähnenden, den verschlingenden Raum.

 

Der neue Renaissancestil war nach der Handelskrise von 1873 bis 1879 aufgekommen, jetzt, da die Wohlhabenheit weiter Kreise des Bürgertums in entschiedenem Aufstieg begriffen war. Jahrzehnte zuvor aber hatte es in Fragen einer geschmackvollen und zweckdienlichen Lebensführung schon bedenklich gekriselt.

In seiner Landtagsrede über die Handwerkerfrage vom 18. Oktober 1849 war Bismarck auf die Eleganz der Berliner Bürgerwohnungen eingegangen und hatte gemeint: »Abgesehen von der Vorliebe der Berliner für oberflächliche und unsolide Eleganz möchte ich daraus eher schließen, daß diese Möbel durch die Magazine bis zu einem solchen Preise hinabgedrückt werden, daß sie selbst dem Unvermögenden erschwingbar erscheinen.« Etwas Wahres muß daran gewesen sein, und hier schon sieht man die Verbindung der äußerlichen Pracht mit dem inneren Notbehelf; das geschnitzte Ornament an Kästen aus zu frischem Holz; die Renaissancesäule am Bücherschrank, die sich mit der Tür in den Scharnieren dreht. Immer spielt hier Zweierlei durcheinander: man ist praktisch und billig auf Kosten des konstruktiven Gedankens, und andererseits, man opfert den Zweck und das Bedürfnis der Fassade und den Ornamenten auf.

Das gilt vom Haus nicht anders als vom Schrank.

Lichtwark spricht von einer »Protzperiode« im Berliner Häuserbau und macht vor dem Bau der Germania von Kaiser und von Großheim kopfschüttelnd halt. Die Träger im ersten Stock bestehen abwechselnd aus Granitsäulen und Hermen. Die menschliche Figur erscheint demgemäß so groß wie die Säule. Nun aber tragen die Hermen auf ihrem Haupt die riesigen Säulen des zweiten und dritten Stocks, auf denen im vierten Stock wieder vollrunde Figuren stehen – »das kommt dabei heraus, wenn nicht gebaut, sondern gezeichnet wird, wenn nicht bei der Architektur, sondern beim Ornament angefangen wird.« Und Lichtwark durchschreitet weiter die Berliner Straßen und hat ein Aergernis an diesen unorganischen Balkonen, die immer wieder für den Blick von der Straße aus die Säulen überschneiden.

Selbst in dieser unorganischen Periode: wenn der Hausbau auch nicht die Inneneinrichtung bedingt – so verführt er sie doch. Statt des Zwecks auch hier, rein künstlerisch gesehen, der Begriff. Ein Begriff, der sich aus alter Gewöhnung und Ueberlieferung und neuen Repräsentationsgelüsten höchst wunderlich mischt. So der Tisch-Sofa-Begriff, der der Gemütlichkeit der Biedermeier-Einrichtung entstammt (Hängelampe darüber) und nun, ängstlich beibehalten, in der Renaissance-Einrichtung zu Raumentstellung, Unbequemlichkeit, Zwecklosigkeit wird.

Man verfolgt, wie das » Cuivre poli«, in unserem umfassenden Sinn genommen, aus scheinbar ganz anders gearteten Anfängen entsteht. Mit der Legierung von Zink und Kupfer hat das freilich nichts zu tun.

Im Jahre 1850 schreibt Bismarck aus Schönhausen an seine Frau, das Haus in dem benachbarten Scharteucke sei immer mehr Putzkästchen geworden: einen neuen Erker habe man herausgebrochen; »die Tafel und alles, wo Platz ist, mit Nips, Marmor-Vasen überladen, und all den kleinen Spielereien, an denen kinderlose Leute Abwechselung zu suchen pflegen; ich wollte nicht Mariechens kleinen Finger für die ganze reizende Bagage missen; aber Du, Du liebst Nips?« Aus den Nippes ist » Cuivre poli« innerlich geboren worden; das ist das eine.

Gabriele Reuter erzählt von einem Schreibtisch, den ein junger Tischler als sein Meisterstück für ihren Vater angefertigt habe. Aus herrlichem gemaserten italienischen Nußbaum, mit Rosenholz eingelegt. Ein Gebäude, von geschnitzten Girlanden aus feinem Blätterwerk und Früchten umschlungen, mit überraschenden Geheimfächern, die sich beim Druck auf eine Knospe auftun, – das Ganze ein Zylinderbüro. Das ist das zweite.

Das dritte sind dann die Möbelmagazine, von denen Bismarck in seiner Landtagsrede sprach, die auf die Preise drücken und derart das Kunststück fertigbringen, daß ein Möbel nach etwas aussieht und möglichst unsolide gearbeitet ist.

Das sind die Anfänge. Die Zeit des » Cuivre poli« ist nunmehr aber vorüber, und Lichtwark steht betrachtend vor Möbeln, die Künstler aus den Anregungen eines neuen Kunstwillens in bewußter Abkehr vom Muschelstil geschaffen haben, Möbel eines Berlepsch und Obrist, und entdeckt an ihnen die Unarten, die Unzweckmäßigkeiten des – » Cuivre poli«. Das macht: Zeit muß zuvor gefunden, bevor ein neuer gesunder Stil entstehen kann.

Aber » Cuivre poli« bedeutete ja nicht nur ein So oder Anders des Häuserbaus, der Wohnungseinrichtungen. Als Symbol für einen Lebensstil stand das Wort.

Als ein sehr Wacher geht Theodor Fontane durch seine Zeit, die Zeit des » Cuivre poli«. Er bekennt, jedesmal eine wohlige Empfindung zu verspüren, wenn er in ein Zimmer trete, das ein Verwachsensein mit dem Bewohner und nicht mit dem Tapezierer zeige; ist sich bewußt, daß seine kleine »Schneiderwohnung« das einzig Richtige für ihn sei, und seine alte Erbuhr, in ein Zimmer mit Stuckposaunenengeln gestellt, ein Unding wäre. Er notiert das Wort des Berliner Baumeisters, das denn freilich für die ganze Zeitspanne Motto sein könnte: »Der Stil wird angeputzt.« Ihm ist es gleichgültig, ob er sich auf einem Brüsseler Teppich à 20 £ oder auf einer Diele mit Klaffritzen erfreue; auf die Unabhängigkeit ohne Dürftigkeit komme es an. Er blickt auf das » Cuivre poli«-Publikum Berlins: »Ursprünglich« Landessterilität, halbhundertjähriges, aller Liebe und Frauenanmut entkleidetes Sanssoucitum, dazu ein mehr oder weniger berechtigter Geistesdünkel haben hier ein merkwürdiges Geschlecht erzeugt, das selbst in seinen Spitzen im türkischen Zelt einen sehr untürkischen Kaffee aus einer abgestoßenen Tasse trinkt und, mit einem in allen Regenbogenfarben schillernden, hier und da noch Eireste tragenden Neusilberlöffel umrührend, das Gefühl hege, einen Feiertag gelebt zu haben. So ist es in allem. Dieser Kaffee kann auch ein Artikel von Max Ring sein. Das Schlechteste ist gerade gut genug.«

Bei Nietzsche heißt es in Hinblick auf dieselbe Erscheinung, daß Kultur noch etwas anderes sein könne als Dekoration des Lebens. »Aller Schmuck versteckt das Geschmückte.«

Und Zarathustra betrachtet diese kleinen Häuser und befragt seine Seele. Nahm wohl ein blödes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Und diese Stuben und Kammern: können Männer da aus- und eingehen?

 

Beim Universitätsjubiläum in Heidelberg im Jahre 1886 wurde dem damaligen Kronprinzen an der Festtafel das Eis in Gestalt einer Büste Kaiser Wilhelms I. vorgesetzt; ihn aber gelüstete es nicht, seinem Vater das Ohr in effigie abzuschneiden, und so ließ er das Prunkgericht vorübergehen.

Die Zeit des » Cuivre poli« ist auch die Zeit der Hochblüte des Kitsches.

Wir sind patriotisch und stellen Kaiserporträts aus zusammengeklebten Briefmarken her. Wir setzen die Königin Luise in Porzellan, nach Richters Oelgemälde gefertigt, auf den Sims. Wir erhalten den Grafen Zeppelin als Modebild und Empfehlung für den »tadellos« sitzenden Gehrock zugesandt. Wir trinken unser Bier aus einem Bismarckkopf, und der Schädel klappt auf.

Schämen wir uns, sentimental zu sein? Wir können uns das erlauben, nach so viel militärischen Großtaten. Die Brautschuhe lassen wir nach der Hochzeit galvanisch verkupfern; jetzt prangen sie in der Servante. An der Wand hängt Thorwaldsens »Wer kauft Liebesgötter?« aus Stearin. Wir haben Bergschuhe zum Andenken mitgebracht mit Alpenansicht auf der Sohle.

Wir sind spaßig und besitzen einen Revolver, der an der Wand hängt und ein Thermometer ist. In der Ecke steht die Schildkröte aus Zinkguß: tritt ihr auf den Kopf, und die Schale wird sich heben, und das sandgefüllte Innere lädt dich ein. Unser Tintenzeug hat die Form eines Opernguckers. Auf unserm Schreibtisch steht die Modedame mit Cul, und siehe, ihr geräumiges Hinterkastell dient den Streichhölzern zum Heim.

Wir sind praktisch und haben im Kamin Scheite, aus denen Gas brennt und die zu erglühen scheinen. Die Waffentrophäen im Eßzimmer sind aus Papiermaché. Der Homerkopf auf dem Regal ist aus Elfenbeinmasse. Wir verschenken Aepfel, die wahrhaft nutzbringend sind; denn sie sind aus Seife.

In dieser Zeit zeichnet Th. Th. Heine sein Bild aus dem Familienleben: »Schmücke dein Heim«: alles bis hinab zum Nachtgeschirr wird mit Goldbronze übergangen. In dieser Zeit hebt das mahnende Hochzeitscarmen an: »Vasen schenkte Onkel Pinkus. Er sagt Bronze, ich sag' Zinkguß.«

Das ist die sich in Eilzugstempo vollziehende, im Wesen des Gegenstandes, im Charakter der Zeit begründete Wandlung: » Cuivre poli« wird zu Zinkguß.

Die Annonce preist: »Makart Bouquets, In Natur, Bronze, farbig und mit Blumen durchstellt, reizende Neuheiten, großartige Auswahl, enorm billig.«

Ueber die gesamte deutsche Produktion sprach Reuleaux sein » Cheap and nasty«, und Fontane feierte ihn deshalb als eine Art Wahrheitsmärtyrer.

 

Lichtwark sah es mit an: In der Akademie zu Berlin ist Festsitzung (1896), der Kaiser wohnt der Feier bei. Spalier der Akademieschüler und der Korpsstudenten. Die Senatoren in ihren roten Prachtmänteln steigen langsam und bedächtig die grauen Stufen hinab, um – sich alsbald in ihre Droschken zweiter Klasse zu flüchten.

Aber es geht weiter, und Lichtwark fährt fort: »Nicht alle können sich das leisten. Auf einen wartete hinter einer der Riesensäulen eine unansehnliche Berliner Köchin mit seinem Schlapphut und Lodenmantel, und ich sah, wie aus dem feierlichen Senator mit majestätischem weißen Kopf im Handumdrehen ein Jägerianer wurde.«

Ein seltsamer Zug der Zeit. Das Bürgertum will, die höhere Beamtenschaft muß repräsentieren, noch stehen die Ausgaben dafür nicht mit dem Budget in Einklang, noch sind sie aus den Gehältern nicht aufzubringen, demgemäß tritt eine beinahe galant zu nennende Teilung ein. Die Perlenkette um den Hals der Hausfrau, ihr Collier sind echt, ihr Kleid ist kostbar, selbst die Dessous sind beinahe ganz aus Seide. In ihrer Gesamterscheinung ist (bis auf ein paar verbilligende Kniffe) kaum ein Betrug. Der Mann, zumal der Beamte, aber spart an seinem Anzug. Er trägt Röllchen und Gummikragen; über dem Jägerhemd den Serviteur; den »gelöteten« Schlips mit der Schnalle hinten und der hochrutscht; zum Abendanzug Hemden, die vorn nicht zu öffnen sind. Sie führt den seidenen, er den Gloria-Regenschirm.

In Göttingen hat es sich ereignet. Die Korpsstudenten hatten andere Studenten, weil sie »Röllchen« trugen, angepöbelt. Der hervorragende Rechtslehrer Ludwig von Bar brachte die Angelegenheit im Senat zur Sprache, und hier nun erwies es sich, daß sämtliche Professoren auch Röllchen trugen. »Daraufhin« wurden die Korpsstudenten streng bestraft.

Wie sagte doch Max Liebermann? »Nichts ist untrüglicher als der Schein.«

 

Schon im Jahre 1851 schrieb Bismarck aus Frankfurt an seine Frau: »Sie kann Tee draußen machen, wenn auch der Kessel Anstands halber vor Dir kocht.« Im Grunde ist die ganze » Cuivre poli«-Misere in diesem einen Wort. Denn das besagt es: Man hat nicht den Sinn für Komfort, noch weniger für Repräsentation. Drum täuscht man beides vor.

Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der spätere Reichskanzler, der wenigen Echten einer, ist (1878) als Kongreßmitglied zu den Majestäten nach Sanssouci geladen: »In Sanssouci erst Händewaschen in einem langen Saal. Der Kongreß fand zwar viele Waschbecken, aber nur ein einziges porzellanenes Gefäß, das nicht zum Waschen bestimmt war. Um dieses gruppierte sich Europa.« Und der Fürst ist (1894) nach Schloß Friedrichshof befohlen, die Kaiserin Friedrich führte ihn selbst in sein Zimmer. »Ein großes Zimmer mit breitem Himmelbett, daran eine Toilette und darauffolgend ein Bade- und Waschzimmer. Alles sehr hübsch, stilvoll und bequem. Nur daß die Handgriffe für warmes und kaltes Wasser an der Badewanne so stilvoll sind, daß ich sie heute nur mit Mühe aufmachte und kaum wieder zubrachte.« Das ist denn abermals » Cuivre poli« in alter, zugleich neuer Erscheinungsform.

Lichtwark hat etwas dagegen, daß der Bürger im neuen Weinrestaurant von Aschinger in Berlin seine Rinderbrust (sechs oder zehn Mark ohne Wein gibt er nicht fürs Essen aus) in einem Onyxsaal verzehrt. Sieht man schärfer zu, so gewahrt man, daß die Stilentgleisungen mit anwachsendem Ausgabe-Etat nicht etwa ab-, sondern zunehmen. Die Rinderbrust in Onyxsälen ist bürgerlich; Schloß Neu-Babelsberg aber in seiner geradezu phantastischen Stillosigkeit ist wahrhaft kaiserlich. Hier betritt man die gotische Eingangshalle, und die Sitzbänke sind aus Kien, und in die gotische Täfelung sind Rundmedaillons aus Porzellan eingelassen; hier grüßen Eulen mit Petroleumlampenglocken; hier drohen Zinkguß-Riesenkandelaber in Uebermenschengröße; hier ist eine Etagere aus Texas-Stierhörnern mit ausgestopftem Fuchskopf, und hoch oben trägt das ganze eine Krone; hier findet sich der Wandschirm, halb gemalt und halb gestickt, mit einem süßen Mädchenkopf, und die Augen sind gen Himmel aufgeschlagen, und das ist die »Musik«; hier stehen Schreibtische und muten wie gotische Begräbnisstätten jedweder Arbeitsmöglichkeit an, – es sind aber nicht die Einzelheiten, es ist das Durcheinander aller erdenklichen Stile und Stilwidrigkeiten, das hier kaiserlich Fanfare bläst.

 

» Cuivre poli« –: man möchte, daß es nach etwas aussieht, ohne sich das Aussehn allzu viel kosten zu lassen. Gips ist billiger als Marmor.

» Cuivre poli« –: noch steckt die alte preußische Sparsamkeit im Blute, noch wartet die Droschke zweiter Klasse. Muß man der neuen Zeit zuliebe den Frack zum 4-Uhr-Mittagessen anziehen? Wohl denn; man tut es; und dreht vorher die Röllchen um.

» Cuivre poli« –: man begreift es, wenn in dieser ganzen Periode von 1850 bis 1890 und darüber hinaus auf preußischen Bahnen trotz wachsenden Wohlstandes die Benutzung der zweiten Klasse dauernd zurückgeht. Schlimm genug, daß man zu Hause standesgemäß leben muß. Auf Reisen kennt dich keiner.


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