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Geselligkeit

I.

Noch weht es wie ein Hauch verklingender geistiger Geselligkeit in diese Zeit hinüber. Es ist das eigentliche Bürgertum, das nunmehr seine gesellschaftliche Sendung begreift.

Zu Berlin, Potsdamer Straße 20, stand das Haus. Platanen, Birken und Fichten beschatteten die Fassade. In dem großen Mittelsaal des Erdgeschosses, der neben dem Garten vornehmlich gesellschaftlichen Zwecken diente, war ererbter Hausrat zur Aufstellung gebracht. Schwere Bufette und steife Sofas längs der Wände. Hohe Spiegel in farbigen, goldgefaßten und geschnitzten Rahmen.

Die hier ihre Gäste willkommen hieß, Frau Lina Duncker, die Gemahlin des Verlagsbuchhändlers und Besitzers der demokratischen Volkszeitung Franz Duncker, war gewiß nicht durch ungewöhnliche geistige Fähigkeiten ausgezeichnet. Eine kluge und interessierte Frau mit wachem Sinn für Freundschaft. Ein zierliches Figürchen, – von den grünlich grauen, etwas schief eingestellten Augen unter dem mattbraunen, glattgescheitelten Haar soll ein fremdartiger Reiz ausgegangen sein.

Wie anders geartet die Menschen, wie anders gerichtet die Interessen sein mochten, auch die Geselligkeit im Dunckerschen Hause hatte die Erbschaft der Romantik angetreten. Von der Mauerstraße 36, wo der Witwer Rahels, Varnhagen von Ense, die politisch Mißvergnügten, aber auch die Weltkundigen und Weltgebildeten, auch die jungen Talente um seinen Teetisch versammelte, war der Weg zur Potsdamer Straße 20 gewiß nicht weit, und es waren genügend derer, die ihn fanden. Ohne doch bei den Dunckers zu bleiben, die sie bei Varnhagen gewesen waren! In diesem großen Saal der Potsdamer Straße wehte eine andere Luft. Hier erörterte man mit Vertrauen und Frische die politischen Fragen, hier war etwas von aufbegehrendem demokratischen Gemeinschaftsgefühl, während man sich drüben bei Varnhagen der Medisance und Spottsucht hingegeben hatte. Hier Zukunftsgläubigkeit, dort die Klage um das Verlorene. Nicht unmöglich, daß ein Besucher, der noch eben ein neuerschienenes Buch in Varnhagens wohnlichem Arbeitszimmer verhöhnt hatte, hier bei den Dunckers die guten Eigenschaften daran entdeckte.

Im Dunckerschen Hause traf Gottfried Keller die Fanny Lewald und ihren Adolph Stahr wieder, von denen er sich nur allzugern bei Varnhagen verabschiedet hatte. Vehse, der Skandallüsterne, und Bernstein stellten sich hier gleichsam in politischer Zugehörigkeit ein, Ludwig Pietsch wurde als talentierter Zeichner, der wohl eben seine ersten Kritiken schrieb, willkommen geheißen, Palleske und Widmann durften nicht fehlen. Bogumil Goltz, der Verfasser des »Buchs der Kindheit«, setzte das Gewicht seiner originellen Persönlichkeit ein, tauchten Arnold Ruge und Waldeck auf, so steuerte die Unterhaltung energischer ins politische Staubecken. Dazu die weitverzweigte Dunckersche Verwandtschaft! Die in ihr verkörperten menschlichen und politischen Gegensätze verliehen den Gesprächen innere Spannung.

Aber es war doch eben eine sehr bürgerliche Geselligkeit, die in dem Hause der Potsdamer Straße ihr Wesen trieb. Die Einladungen ergingen nicht mehr, wie bei Varnhagen, zum Tee, man kam in den frühen Abendstunden zusammen und hielt auf einfache, aber schmackhafte Kost. Frau Lina Duncker hatte ihren »Gutenachtsager«, der seines Amtes zwischen 10 und 10½ Uhr waltete. Die bürgerlichen Pflichten warteten, es hieß am andern Morgen früh aufstehen.

Dies Berliner Bürgertum war arbeitsam und fleißig; auch herrschte, und nicht nur bei den Dunckers, Demokratie gemildert durch Reserveleutnanttum.

Nur einer, der in diesem Dunckerschen Kreise sehr häufig weilte und doch ein Fremder blieb – er blickte über dies Bürgertum hinaus und hatte auch geheime Zusammenkünfte mit Bismarck – Ferdinand Lassalle.

Es fügte sich, daß hinter dem Dunckerschen Garten ein schmaler Weg abbog, der zwischen alten Gartenzäunen hindurchführte, über die in Frühlingstagen Dorngestrüpp und Fliederdolden und Fruchtbaumblütenzweige hingen. Nicht selten geschah es, daß sich die gesamte, bei den Dunckers versammelte Gesellschaft, vom Gutenachtsager vertrieben, auf diesen schmalen Weg begab. Der führte nach: Bellevuestraße 13.

 

In der Bellevuestraße 13 hatte Ferdinand Lassalle sein Junggesellenwigwam aufgeschlagen. Man denkt an Makarts Wiener Atelier – nur eben ins bescheiden Berlinische übertragen –, wenn man sich die Einrichtung dieser Wohnräume vergegenwärtigt. In dieser späten Abendstunde sind die Gaskronen angezündet, im tollen Wechsel fällt ihr Licht auf Trophäen orientalischer Waffen, auf Kupferstiche mit den Hauptszenen aus der französischen Revolution, auf Gipsbüsten, auf Ueberreste antiken Marmors. Ein Unterscheidungsvermögen zwischen Echtem und Unechtem besteht offenbar nicht.

Die bürgerliche Gesellschaft ist es, die hier einkehrt. Aber sie tut es, um auf ein paar Stunden ihre Bürgerlichkeit zu vergessen. Vielleicht ist in diesen Räumen noch ein Hauch von einem Parfüm zu spüren, das die bürgerlichen Frauen befremdet und – weckt. Mit Weinen guter Jahrgänge wird hier nicht sparsam umgegangen. Wenn Ludmilla Assing, Varnhagens Nichte, die nachmalige Herausgeberin seiner Tagebücher, die spät zu Ehe-Phantastik Erwachte, diese Räume betritt, dann hat sie sich vorher einigermaßen herausfordernd angeputzt: Lassalle hat es ihrem Herzen angetan; Lassalle, die Vorahnung ihres Bersagliere-Leutnants.

Wer immer aus dem Varnhagenschen und Dunckerschen Kreis Ohr hatte für besonderen Ruf, der fand sich in diesen Lassalleschen Wohnräumen ein. Hans von Bülow, Lothar Bucher, Ernst und Hedwig Dohm sitzen hier wohl auf bevorzugten Polstern. Wenn Fürst Pückler-Muskau hier weilt – ist es nicht, als legte ein zeitloses Dandytum die Hand in andere fein behandschuhte Hand – über Barrieren geschichtlicher Entwicklung hinweg?

Was ist Politik? Lassalle hat den Fuß verletzt und muß auf dem Ruhebett liegen. Der preußische Schlachtendichter Christian Friedrich Scherenberg hat das Tischchen nahe an das Lager des Ruhenden gerückt, die Kerze brennt, Scherenberg liest seine vaterländischen Verse, der Revolutionär klatscht Beifall.

Was ist Bürgerlichkeit? Heinrich Brugsch, der Aegyptologe, der spätere Brugsch-Pascha, hat Haschisch frisch aus Persien bezogen, Lassalle läßt die langen türkischen Pfeifen herumreichen, er selbst geht vom einen zum andern, die Haschisch-Kügelchen hineinzulegen, die Freunde aus der Mauer- und Potsdamer Straße erleben ihren orgiastischen Rausch ...

Was ist Bildung? Lassalle hat der einen oder anderen befehlshaberisch in die Augen geblickt – spürt sie die Dämonie der Suggestion? Lösen sich ihr die Glieder? Nun aber ist man näher an den Tisch gerückt, es schließt sich der Kreis, Fingerspitze rührt an Fingerspitze – beginnt der Tisch sich zu bewegen?

Sehr weit dahinten liegen nun die Tage der Romantik. Wo aber geistige Geselligkeit und zumal in der hart arbeitenden, auf wachen Verstand gestellten, sich zur Großstadt ausräkelnden preußischen Residenz auflebt, da ist noch immer etwas von Romantik, und hätte sie den bittern Abstieg von Kaspar David Friedrich zu Makart zurückgelegt.

 

Inzwischen hatte auch die Stunde, in geistiger Geselligkeit aufzuleben, für das preußische Beamtentum geschlagen. Das Berliner Haus Friedrichstraße 242 sollte dies bescheidene Wunder erfahren. Die Mansardenwohnung hier war es, in der Franz und Klara Kugler eine neue Jugend um sich scharten.

Eine Mansardenwohnung, – das aber machte für diese kunstkluge Familie einen Vorzug aus. Durch frei ins Zimmer gestellte Efeuwände hatte man die durch die Dachfenster entstandenen Vorsprünge zu Nischen erweitert und abgeschlossen, – so hatte diese geheimrätliche gute Stube ihre Lauben, in denen man sich in ein vertrauliches Zwiegespräch einlassen konnte. Wurden diese Lauben gelegentlich zu unerlaubten Heimlichkeiten mißbraucht? In dieser freundlich sittigen Umgebung, inmitten dieser Jugend der Storm und Geibel, Heyse und Fontane, an die sich der weitere Kreis der Drake, Otto Gildemeister, Jakob Burckhardt, Roquette, Felix Dahn, Wilhelm Lübke schloß, ist das kaum anzunehmen. Und doch ist es just das Kuglersche Haus gewesen, in dem Storm sowohl wie Fontane ihrer »Zweideutigkeiten« halber zur Rechenschaft gezogen wurden ...

Sollte Jugend auch hier aufbegehrt haben, so fand sie in Frau Klara, der jüngsten der Hitzigschen Töchter, einer einst vielgepriesenen Schönheit, die Sänftigerin. Das »Lächeln der stillen Anmut« hatte ihr das Geibelsche Widmungsgedicht nachgerühmt, auch die inzwischen Gealterte und zur Frau Geheimrätin Gewordene mag sich die stille Anmut bewahrt haben. Von Franz Kugler, dem Gatten, zeichnet Fontane das Bild: »Immer artig, immer maßvoll, immer die Tragweite seiner Worte erwägend, kam in seinem Wesen etwas spezifisch Geheimrätliches, etwas altfränkisch Goethisches zum Ausdruck.« Aber der Geheimrat setzte sich, war der Kreis der Freunde versammelt, an das Klavier, über dem eine gute Kopie des Heiligen Franziskus von Murillo hing, und spielte in rascher Folge wechselnde Lieder.

Man führte Stücke auf, sogar vom Hausherrn selbstverfaßte, die jungen Freunde lasen vor. Kunst, in dieser geheimrätlichen Temperierung, war eine Art Schutzwehr gegen das Leben geworden. Die Frauen fertigten dabei ihre Handarbeit, die Kinder versteckten sich hinter den Efeuwänden, um nicht ins Bett geschickt zu werden, Luise Kugler hatte ihr Skizzenbuch zur Hand, die Profillinien der Freunde einzufangen, ganz so wie Wilhelm Hensel bei den Mendelssohns, wie Ludmilla Assing bei Varnhagen das Amt der zeichnerischen Chronisten ausgeübt hatten. An Kritik gebrach es nicht. Auch die ging gewohnheitsgemäß von Luise Kugler aus, und es konnte geschehen, daß Geibel, von ihren Glossen arg betroffen, aus seinem Sessel auffuhr, mit zornigem hanseatischen Fluch das Zimmer verließ, die Tür kräftig hinter sich ins Schloß warf.

War die Reihe des Vorlesens an Storm gekommen, so bedurfte das einiger Vorbereitung. Die Tür wurde abgeriegelt, damit der etwa eintretende Diener nicht störe. Der Docht der Lampe wurde hinabgeschraubt. In solchem Dämmer begann Storm mit seltsam singender Stimme vorzulesen – das Gedicht rief etwa die Kleine, die auf ihren Pantöffelchen im Mondlicht mutterseelenallein durch die Gassen klippt und klappt –, es folgten Gespenstergeschichten, und Theodor Storm hatte den Gruselblick.

 

Die geistige Berliner Geselligkeit hielt sich weiterhin innerhalb des Dezernats der schönen Künste. War Geheimrat Kugler für dies Ressort Referent gewesen, so war Herr von Olfers mit seiner Dienstwohnung in der Cantianstraße – die Familie siedelte nach seinem Tode nach der Margarethenstraße Nr. 7 über – Generaldirektor der Königlichen Museen.

Die Dienstwohnung lag in einem malerischen Winkel von Alt-Berlin. In ihr der »gelbe Saal«, der freilich nur ein unregelmäßig gebautes Berliner Zimmer war, aber ein Zimmer mit traulichen Ecken und Winkeln. Wurde hier der Tee gereicht, so hatten die Besucher auch an dem zierlich bemalten Service ihre Freude: Marie von Olfers, die Tochter des Hauses, war durchaus künstlerisch begabt, sie malte und dichtete, und diese anmutige Doppelbegabung kam, ganz im Sinne der Zeit, dem Hausgerät zugute.

Von den Frauen, Hedwig, der Mutter, Marie, der Tochter, ging der seelische Zauber dieser Geselligkeit aus, v. Olfers selbst, der Generaldirektor der Königlichen Museen, schien vielleicht mehr durch sein Amt als seine Persönlichkeit dazu berufen, künstlerisch gestimmte Besucher seiner Häuslichkeit zuzuführen. Kein Wunder denn auch, daß die Getreuen des »Gelben Saals«, zu denen Herman Grimm und Julius Rodenberg, Treitschke und der Chronist dieser Geselligkeit, Ernst von Wildenbruch, gehörten, nach dem Tode des Herrn von Olfers der Witwe in ihre neue Wohnung in der Margarethenstraße folgten. Auch bei den Olfers wurde vorgelesen; auch hier geschah es, daß sich die Tochter ans Klavier setzte; es wurden sogar von ihr verfaßte dramatische Gelegenheitsdichtungen aufgeführt.

Hedwig von Olfers war die Tochter jenes Friedrich August von Staegemann, der sich unter den Sängern der Freiheitskriege einen Namen gemacht, bereits auch schon in seinem Hause geistig geweckte Geselligkeit gepflegt hatte. Künstlerische und gesellige Veranlagung war ihr also als gutes Erbteil zugefallen – »Genialität des Seins« hat ihr Ernst von Wildenbruch nachgerühmt, hat auch ihre Eigenart in diesem »Mit jedem Tage Neugeborenwerden« zu erkennen geglaubt. Also Eine, die sich nicht an das vergängliche Werk verschwendete. Sich, wie Rahel – wenn auch in sehr viel geringerem Maße –, selber lebte. Und damit ihren Freunden.

Ueberraschende Beobachtungsgabe neben nicht minder in Erstaunen setzender Weltfremdheit waren weitere Kennzeichen, die Wildenbruch für diese Frau suchte, eine Frau, zu der man aufschaute, über die man im nächsten Augenblick herzlich lachen mochte. Eine Kind gebliebene Weise – kein Zweifel, daß sie als eine späte Verkörperin des Frauenideals vergangener Jahrzehnte durch ihren gelben Saal und ihr bescheidenes Witwenheim ging. Nicht anders Marie, die Tochter. Auch um sie blieb zeit ihres langen Lebens ein Hauch des Deutschtums aus der Zeit der Freiheitskriege, aus ihren blauen Augen blickte das Kind-Weib.

Von Hedwig von Olfers sagte Wildenbruch, sie habe die Titulaturen ihrer Gäste wohl kaum je gekannt, – eine Bemerkung, charakteristisch vielleicht für diese Frau, gewiß und in sehr viel höherem Maße für die Zeit. Denn der Titel war dieser Epoche bereits wichtiger geworden als der Geist. Bei den Olfers aber war, auch wenn man keine Titel nannte, das Geheimrätliche die stillschweigende Voraussetzung.

 

Nicht viel anders bei den Rodenbergs, bei denen freilich die Mitarbeiterschaft an der »Deutschen Rundschau« eine Geheimratswürde neben und über der staatlich verliehenen bedeutete. Zu letzter Blüte geistiger Geselligkeit fand man sich hier in dem gemeinsamen Interesse an einer Zeitschrift zusammen, die in den siebziger und achtziger Jahren wie keine andere zuvor oder nachher die Kultur Deutschlands spiegelte. In liberalem Geiste! Die Namen der Eduard Lasker und Ludwig Bamberger, der Scherer, Herman Grimm, Erich Schmidt, der Brahm und Schlenther, der Auerbach, Heyse, Wildenbruch bezeichnen diesen Kreis.

Die Wohnung lag im dritten Stock des Hauses Margarethenstraße 1, ein Teil der Fenster ging auf die Matthäikirche und ihr grünes Rondell hinaus. Die Räumlichkeiten waren bei gesteigerter Zahl der Gäste eng. Das Vorderzimmer in seiner gelben Tapete, über der ein seltsamer Falbel aus blauem Stoff unter der Decke hinlief, wurde durch den Hain von Blattpflanzen vor den Fenstern enger, heimlicher. Ueber dem Sofa alte Familienbilder, dazwischen die von Gottfried Keller gemalte, der Hausfrau zugeeignete Landschaft. Gegenüber der Flügel, an der Flügelwand die ausdrucksvollen von Vilma Parlaghi gemalten Porträts des Ehepaares. Ein Museum der Andenken, dies Wohnzimmer in der Margarethenstraße.

Man hat Julius Rodenberg einen Dankbaren genannt, – er war es wirklich. Dazu einer, der bescheiden zurückzutreten wußte, dem es genug war, ungenannte, vielleicht auch unanerkannte Hilfe zu leisten. Eine Zuschauernatur, die aber im Bedarfsfall zugriff. Den Träumen seiner durchaus nicht unpolitisch eingestellten Jugend hatte die Zeit und das aufblühende Kaiserreich Erfüllung über das Maß des für möglich Erachteten hinaus gebracht. Ein in Andacht Beschenkter. So sehr schien er der in sich Gefriedete zu sein, daß auch die ihm Nahestehenden kaum von seinem Temperament wußten.

Ihm zur Seite Frau Justine. In ihren Adern das rasche Blut der südlichen Heimat, der sie nicht nur in Auswahl der Gerichte, die sie ihren Gästen vorsetzte, treu blieb. Ein bewegliches Figürchen, eine Quecksilbernatur, immer bereit, das Wort an sich zu reißen, rasch zur Begeisterung, rasch auch zum Zorn. Daneben freilich auch eine kluge und wohl überlegende Strategin der ins Auge gefaßten Geselligkeit.

In diesem gelben Zimmer hatte Joachims Geige geklungen, und vielleicht hatte sich ein leise vibrierender Hall aus diesen Saiten nie wieder aus dem Raum verloren.

In diesen Räumen war Geselligkeit Bekennertum. Hinter das, was abgelaufene Jahrzehnte »Ideal« genannt hatten, war von der Zeit bereits mehr als nur ein Fragezeichen gesetzt worden. Der Liberalismus war von Bismarck, die wohlklingende Epigonendichtung vom aufkommenden Naturalismus diskreditiert worden. Im Kreis der Rodenbergs blieb man den Jugendidealen treu. Hier sah man deshalb auch die Schatten in der Physiognomie des Kanzlers. Hier eiferte man noch gegen Gerhart Hauptmann, als der Dichter längst aufgehört hatte, literarischer Revolutionär zu sein. Zu nationalliberaler Parteinahme, zu dem Realismus einer Marie Ebner, eines Theodor Fontane stand das Bekenntnis. (An dem befreundeten Paul Heyse war man bereits etwas irre geworden). Mehr als das Geheimrätliche, bezeichnete ein gemäßigt Parlamentarisches den Kreis. Ein Oberhaus der schönen Künste und der gepflegten Wissenschaft hatte sich in dieser Geselligkeit aufgetan.

Und doch geschah es, daß der Schlag der Stunde auch in diesen Gemächern vernehmbar wurde.

Es war in den Tagen, da die Angelegenheit von Zabern die Gemüter beunruhigte. Ein Bescheidener, ein Zuwartender, ein Dankbarer war Julius Rodenberg zeit seines Lebens gewesen, – hier nun flammte er auf. Und geißelte den Geist, der aufkam, und den er Ungeist nannte. Es war, als wäre etwas Prophetisches über den alten Mann gekommen, er sah den Zusammenbruch nahe und das Ende seiner Zeit.

Diese letzte geistige Geselligkeit fand sich bereits zeitlos in einer Zeit, die ihr aus sich keine Nahrung mehr brachte.

II.

Zu der alltäglichen Geselligkeit wurde man »zu einem Löffel Suppe« eingeladen. Die Redewendung ist charakteristisch. Man bekannte sich damit zu einer Bescheidenheit, die man nicht gar so ungern beibehalten hätte, von der man aber wußte, daß sie nun nicht mehr zeitgemäß war. Indem man sich zu ihr bekannte, konnte man zwanglos an dem kulinarisch Gebotenen dartun, wie herrlich weit man es in repräsentativer Geselligkeit gebracht! Metaphorisch: der »Teller Suppe« war etwas wie ein Spiegel, in dem das gutbürgerliche Filet zu Entrecote, Sauce béarnaise zu werden schien.

Wie sehr enthüllt sich in kleinen Einzelzügen das innere Wesen einer Zeit! Hohenlohe hat es (1844) notiert, daß ihm der Prinz von Preußen sagte, er freue sich besonders – die Anführungszeichen stehen auch bei dem hellsichtigen Hohenlohe – »da man Sie mitunter zu einem Löffel Suppe bitten kann«. Es bürgerte durch die gesamte Gesellschaft vom Thron bis – ja freilich bis in die Proletarierkammer.

Bei Bismarck selbst sah der »Löffel Suppe« oft genug erstaunlich aus. Wieder ist Hohenlohe Gewährsmann: auf dem Tisch stehen (1871) Teetassen und Bierflaschen, auch Heringe und Austern sind da. Bismarck selbst vertilgt eine Unzahl Austern, auch Heringe und Schinken, und trinkt dazu Bier mit Sodawasser. Noch im Jahre 1878 ist das Menu bei Bismarck seltsam genug geblieben: es gibt Suppe, dann Aal, dann kalten Fisch, dann Krevetten, darauf Hummer, dann Rauchfleisch, dann wieder rohen Schinken, endlich Braten und Mehlspeise. »Alles geeignet, den Magen gründlich zu verderben.« – Gewiß nicht ohne weiteres ein kultureller Maßstab, und doch! Ausländer mögen das Land, bei dessen Reichskanzler man derart speiste, als einigermaßen barbarisch empfunden haben.

Man besaß bis in die höchsten Kreise hinauf nicht die Geschmacksbildung, die der neuen Wohlhabenheit entsprochen hätte. So wurde der Löffel Suppe zu wahlloser Häufung von Gerichten.

Wie es um die alltägliche Geselligkeit bestellt war, schildert Fontane in einem Brief aus dem Jahre 1869, wobei denn immer noch an »besseren Durchschnitt« zu denken ist, denn unter den Gästen sind auch die Maler Eschke und Scherres, der Kunsthistoriker Lübke. Es fehlt denn auch nicht an geistiger Regsamkeit; Laune, Schlagfertigkeit, »Abwesenheit aller Tuerei« stehen auf der Plus-Seite. Das Manko sieht Fontane in ästhetischer Hinsicht. Es gibt jenen »berühmten« Salat, von dem ein Löffel drei Mann tötet. Zwanzig Damen sind zugegen, deren Schönheit insgesamt nicht ¼ Engländerin aufwiegt. Ihr Lachen wird zu laokoontischen Verrenkungen. Ihre Vergnügtheit zu Mundaufreißen. »Solche Gesellschaften gibt es nur in Deutschland, und in Deutschland auch nur wieder in Berlin.«

Woran es dieser alltäglichen bürgerlichen Geselligkeit zutiefst gebrach? Fontane antwortet in einem Brief aus dem Jahre 1884: »Der Bourgeois versteht nicht zu geben.« Sie laden zu Gänsebraten mit Zeltinger und nachfolgender Baisertorte ein, und setzen die Miene der Beglückenden auf.

Das ist es wieder: die bürgerliche Bescheidenheit ist verloren gegangen, die bürgerliche Wohlhabenheit findet den ihr entsprechenden Lebensstil nicht, traut sich nicht einmal, von ihrer Wohlhabenheit Gebrauch zu machen. Putzt die alte Bescheidenheit, sie verleugnend, auf. »Bitte, zu einem Teller Suppe.«

 

Die Zwangsgeselligkeit zeigt das eigentliche Gesicht der Zeit. Man hat Einladungen erhalten, es muß wieder eingeladen werden. Jeder Beamtenkreis hat seine Pflichtronde. Man ißt sich in jedem Ministerium, in jedem Regiment allwinterlich einmal um die Zahl der Eßtische herum. Dabei ist Abwechselung, ein Mehr oder Minder der zu bietenden kulinarischen Genüsse verpönt. Es wiederholt sich ständig, daß der Oberst den jungen Offizier rüffelt, dessen Frau sich erdreistet hat, ein Gericht über das vorgeschriebene Maß hinaus zu bieten.

»Abfütterungen« werden diese Gesellschaften volkstümlich benannt.

Da sich die »Abfütterung« wirtschaftlich billiger stellt, wenn man zu einem Abend dreißig Gäste lädt, als je zehn zu drei Bewirtungen, kommen die »großen« Gesellschaften auf. Folge davon: es fehlt an Stühlen, Tischen, an Service und Silber. Diesen Umstand, dem zunächst ein gegenseitiges Ausborgen abgeholfen hat, macht sich das Unternehmertum zunutze. Die »Tafelverleihinstitute« schießen wie Pilze aus dem Asphalt der Großstädte auf, – nur die naturgeschichtlich falschen Vergleiche sind die kulturgeschichtlich richtigen. Diese Tafelinstitute helfen zunächst bei den »großen« Festen aus. Man ergänzt durch sie die eigenen Bestände. Sehr bald aber erweist es sich als bequemer, schließlich auch einheitlicher, das eigene Geschirr und das eigene Silber in den Schränken zu halten und nur die Institute aussorgen zu lassen. Man kocht ja auch nicht mehr selber, der Stadtkoch bringt die halbfertigen Speisen und wärmt sie in der Küche auf. Nimmt man hinzu, daß Wohn- und Speisezimmer zum Teil ausgeräumt werden mußten, die Zahl der Gäste unterzubringen, – was ist von individueller Gastlichkeit übriggeblieben? Was haben die vielen menschlich von denen, die sie zu sich baten? Erschöpfende Antwort: Nichts.

Bismarck (1858): »Heut esse ich bei Rechberg, dem alten Metternich zu Ehren. Das Leben wäre um vieles angenehmer, wenn die Vergnügungen nicht wären.«

In dieser Geselligkeit wird der »Müde«, sein Gähnen gewaltsam Unterdrückende, zu ständigem Kostgänger.

Es ist hier mehr als ein Verlorengehen eines Lebensstils. Oder vielmehr: weil er verlorengeht wird Geselligkeit zur Fratze.

 

Liest man aus dieser Zeit die Schilderungen der Hoffestlichkeiten, die ihre betulichen Chronisten in einem Pietsch, in einem Fedor von Zobeltitz fanden, so wähnt man sich vor dem Schaufenster eines Schneiderateliers. Wie einst Fouqué in seinen Romanen seine Ritter aus ihren Pferden heraus charakterisierte, so gewinnen diese Chronisten aus der Garderobe ihre Wesensschau: »Die Kaiserin, die von dem Großherzog von Baden, der preußische Ulanenuniform trug, geführt wurde, erschien in einer lichtblauen, leicht ins Grünliche spielenden Atlasrobe, die reich mit Brillanten geschmückt war, dazu einen breiten goldenen Gürtel, Kollier und Halsschmuck und die Dekoration des Schwarzen Adlerordens. Der Kaiser führte die Prinzessin Heinrich in weißlich-gelbem, mit Goldstickereien verziertem und mit Buketts aus Margueriten geschmücktem Atlas« usf. (1894). Ja, wäre in diesen Damentoiletten auch nur im geringsten individuelle Geschmacksneigung zum Ausdruck gekommen! Sie waren aber Uniform wie die der Herren.

Das militärische Gepräge bestimmte das Bild. Fürstinnen trugen gelegentlich auch die Farben ihrer Regimenter.

Unterhaltung: »Die Unterhaltung streifte selbstverständlich vielfach das bevorstehende große Kostümfest bei Hofe, da konnte die Komtesse Harrach ein bedächtiges Wörtlein mitreden, deren Vater das Kostüm für die Herrscherin entworfen hat und in seiner Wohnung im ehemaligen Wrangelschen Palais am Pariser Platz häufig von den Mitgliedern der Hofgesellschaft in künstlerischen Fragen aufgesucht wird. Dieses Kostümfest bietet immer wieder neuen Unterhaltungsstoff« (v. Zobeltitz).

Aber 1862: »Ich saß zwischen zwei Hofdamen, Gräfin Brandenburg und Gräfin Schwerin. Neben letzterer saß Feldmarschall Wrangel, der gegen das Dessert zu immer heiterer und lärmender wurde. Diese Stimmung wurde auch unter der ziemlich gemischten Gesellschaft in den anderen Sälen immer vorherrschender.« (Fürst Hohenlohe).

Gesellschaftskultur –?

 

Die Landarbeiter, Flickschuster und Handwerker – wovon sie sich in dieser Zeit unterhalten, wenn sie sich irgendwie gesellig zusammenfinden? Rehbein hat darauf Antwort gegeben. Zumeist erzählen sie einander – Kriegsgeschichten.


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