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Vorwort

In jedem gesunden Kinde steckt ein gut Stück Robinsonsehnsucht. Sie ist der letzte, kulturgezähmte Rest uralter Wanderlust, uralten Abenteuerdranges der Menschheit. Wie wir uns immer wieder in Pfeil und Bogen uralte Waffen verfertigen, im Spiele Hütten bauen oder Höhlen als Schlupfwinkel wählen, wie es uns immer wieder zum Tiere zieht, es zu liebkosen und uns gefügig zu machen, so überfällt uns eines Tages quälende Robinsonsehnsucht, und mit blanken Augen und roten Wangen verschlingen wir dann alles, was sie zu stillen uns verheißt. Unsterblicher Robinson, unsterblicher Lederstrumpf, roter Freibeuter, Peter Simpel und wie ihr euch sonst noch nennt, die ihr alle etwas von einem Don Quichotte habt und Väter einer so langen und manchmal auch recht langweiligen Reihe von Nachtretern geworden seid … wie jedes echte Kind hab ich euch immer von neuem gelesen, bis ich euch fast auswendig konnte, und bis ich eines Tages in meines lieben Vaters Bücherschrank auf andre Helden und andre Abenteuer traf, Helden von Fleisch und Blut, wirkliche Menschen, nicht nur am Schreibtisch erdachte Gestalten, und Abenteuer, die wirklich erlebt, in Not und Tod, nicht nur zur Spannung naiver Leser ersonnen. Da standen in großmächtigen, altertümlichen Lederbänden mit roten und schwarzen Schildern auf dem goldgepreßten, dicken Rücken die Entdeckungsreisen des Kapitän Cook, sechs stattliche Bände, daneben die Reisen von Wallis, von Byron, von Carteret, von Meares, Portlock … Reisen und Abenteuer in der Südsee, an den unwirtlichen Küsten Nordamerikas, unter braunen, nackten Wilden und Indianern. Ein Buch immer spannender als das andere, immer schöner, immer seltsamer. Was waren das für unvergeßliche Stunden des Lesens und Träumens. Das blaue Südmeer lag vor meinen Blicken, von weißer Brandung umgischt tauchten Koralleninseln daraus empor, mit rauschenden Palmenhainen voll seltsam bunter Vögel. Von Eiland zu Eiland zogen in flinken Kanus mit Mattensegeln die braunen Kanaken und kämpften in Panzern und Helmen mit Haifischzahnspeeren und sangen melodisch und sprangen zur Trommel …

Sie sind Zauberer, diese großen Entdecker, voran, allen weit voran James Cook, der einem ganzen Zeitalter den Stempel seines Naturempfindens aufprägte. Eine Weltanschauung ward aus diesen Entdeckungsfahrten geboren, eine Naturphilosophie, die in Seumes Worten »Seht, wir Wilden sind doch beßre Menschen« gipfelte, die in Rousseaus Werken ihr »Zurück zur Natur« predigte. Auch unsre Zeit, durch soviel Blut und Grauen gegangen, hat diese Sehnsucht wieder, hat nach all der Übersättigung mit raffinierter Kultur diesen gesunden Hunger nach natürlicheren Verhältnissen. Darum gerade wird ihr die Kost, die hier geboten, besonders munden, werden diese uns überlieferten Erzählungen der Entdecker wie ein erfrischender Trunk nach ermüdender Wanderung wirken. Zumal die Jugend wird sie, des bin ich gewiß, mit Jubel begrüßen: ist doch der Robinson und all das andre in ihnen gleichsam beschlossen. Aus diesen Reisen und Abenteuern sind jene ersonnenen Geschichten ja erst geboren.

Aber nicht nur dem angenehmen Zeitvertreib müßiger Stunden vermögen sie zu dienen: es läßt sich aus ihnen auch unendlich viel lernen – nicht nur Erd- und Völkerkunde, auch Kulturgeschichte. Kein Geringerer als Schiller schrieb unter ihrem Eindruck die weithin weisenden Worte: »Die Entdeckungen, welche unsere europäischen Seefahrer in fernen Meeren und auf entlegenen Küsten gemacht haben, geben uns ein ebenso lehrreiches als unterhaltendes Schauspiel. Sie zeigen uns Völkerschaften, die auf den mannigfaltigsten Stufen der Bildung um uns herum gelagert sind, wie Kinder verschiedenen Alters um einen Erwachsenen herumstehen und durch ihr Beispiel ihm in Erinnerung bringen, was er selbst vormals gewesen, und wovon er ausgegangen ist. Eine weise Hand scheint uns diese rohen Völkerstämme bis auf den Zeitpunkt aufgespart zu haben, wo wir in unserer eigenen Kultur weit genug würden fortgeschritten sein, um von dieser Entdeckung eine nützliche Anwendung auf uns selbst zu machen und den verlorenen Anfang unseres Geschlechts aus diesem Spiegel wiederherzustellen.« Ich möchte mir wohl wünschen, daß meine jungen Leser bei wiederholter Lektüre auch auf solche Dinge ein wenig achtgäben.

Angriff der Tahitier auf den »Delphin«

In noch frischem Erinnern aus doch schon so fernen Jugendtagen habe ich gemeint, den Erzählungen jenen eigenen Reiz, jenen Schmetterlingsflügelstaub belassen zu sollen, der in der bisweilen etwas altmodischen Sprache der zeitgenössischen Übersetzer liegt – u. a. eines Georg Forster, dessen »Ansichten vom Niederrhein« mit Recht ja noch heute als klassische Prosa gelten – und nur nach heutigem Sprachgebrauch völlig Veraltetes geändert. Und freilich das köstlich barocke Deutsch Groebens, dessen »Guineische Reisebeschreibung« vor rund 20 Jahren wieder entdeckt zu haben ich mich rühmen darf, habe ich wohl oder übel in die Sprache unsrer Tage übertragen müssen; aber auch so dürfte dieses in seiner humorvollen Eigenart einzig dastehende Reisewerk der Wirkung gewiß sein. Gestrichen habe ich nur weniges, das, was mir für den erwünschten Leserkreis zu langweilig oder sonstwie ungeeignet erschien: astronomische, nautische Berechnungen und dgl.

Ich will mir schließlich noch wünschen, daß meine jungen Leser an dem von Sturtevants Künstlerhand dem Buche beigegebenen Bilderschmuck so viel Freude haben, wie ich sie empfinde. Der Künstler hat mit bewunderungswürdigem Geschick hier malerische Wirkung mit wissenschaftlicher Genauigkeit zu paaren verstanden. Alle Völkertypen, alle Gerätschaften sind nach Originalaufnahmen und Gegenständen des Berliner Völkerkundemuseums und meiner eigenen Sammlungen gezeichnet, und so dürfte dieser Bilderschmuck in seiner Art etwas Besonderes darstellen.

Dr. Adolf Heilborn.


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