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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Mönche und Pilger.

Während der Zeit von 47 Tagen, die ich, durch die Macht der Verhältnisse gezwungen, in Schigatse verweilte, hatte ich Gelegenheit, zahlreiche Besuche im Kloster zu machen, interessante Einzelheiten zu zeichnen und zu photographieren, mich mit dem täglichen Leben und den Gewohnheiten der Mönche vertraut zu machen, bei Studien und Rezitationsübungen zugegen zu sein und mich immer mehr in der hierarchischen Metropole einzuleben. Mit einem oder zwei Begleitern pflegte ich nach Taschi-lunpo hinaufzureiten und in seinen dunkeln Grabkapellen und Tempelsälen den ganzen Tag zuzubringen. Erst in der Dämmerung wurde ich von einigen meiner Leute mit Pferden wieder abgeholt. Von diesen Besuchen will ich erst noch einige Eindrücke festhalten, ehe wir wieder aufbrechen, um auf der Weiterreise neuen Schicksalen entgegenzugehen.

Am 14. Februar saß ich auf dem obersten der westlichen Altane und zeichnete eine Skizze der Fassade des östlichen Grabes, aber die Pilger, die sich gerade zu den religiösen Spielen, die an diesem Tage stattfinden sollten, versammelten, zeigten sich so neugierig, daß ich die Arbeit abbrechen und sie auf eine ruhigere Gelegenheit verschieben mußte. Statt dessen ging ich auf die mit einem Geländer versehene Dachplattform vor dem Labrang hinauf und stellte unten an der hinaufführenden Leiter Wachen aus, um die Leute am Mitkommen zu verhindern. Dort oben fällt der Blick auf eine Menge zylinderförmiger Gestelle, die ein paar Meter hoch sind; teils mit schwarzem und weißem Stoffe überzogen, teils mit faltigen Draperien von verschiedener Länge und Farbe überkleidet, sehen sie Unterröcken sehr ähnlich (Abb. 141). Zwischen ihnen ragen vergoldete Dreizacke, Fahnenstangen und andere heilige Symbole in die Luft, die die Tempel vor den Dämonen schützen. Während ich eine perspektivische Skizze der Fassaden der drei mittelsten Grabkapellen zeichnete, stellte sich der Oberintendant von Taschi-lunpo, der die Aufsicht über die Verproviantierung, das Reinigungswesen, die Beleuchtung usw. hat, bei mir ein, ließ Teppiche und Kissen legen und setzte uns den üblichen Imbiß vor. Es ist ein alter Lama, der nach vorbereitenden Studien im Kloster Tösang-ling schon 30 Jahre in Taschi-lunpo dient.

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141. Grabkapelle zweier Taschi-Lamas. Auf dem Dach des davorliegenden Hauses Zieraten zur Beschwörung der bösen Geister.

Von unserem Aussichtspunkt aus sehen wir mehrere kleinere, vergoldete Kupferdächer in chinesischem Stil, die vor den Grabfassaden liegen und sich ohne jeden vermittelnden Übergang direkt aus den flachen Dächern erheben. Unter jedem Dach befindet sich irgendeine bedeutendere Götterstatue in einem Tempelsaal.

Ich ging auf dem Dache umher und genoß die wunderbare Aussicht über die Tempelstadt und ihren Wald von Dachornamenten und kam dabei an einen Platz, wo mehrere Gruppen priesterlicher Schneider mit einem Eifer und einer Hast, als gelte es ihr Leben, bunte Zeugstücke zusammennähten. Hätte man sie ohne die klösterliche Umgebung und die wehenden Symbole gesehen, so würde man geglaubt haben, daß es sich um Gewänder zu einem Ballett oder Kostümfest handle. O nein, die Götterbilder waren es, die neue Seidenkleider haben und wegen des fünfundzwanzigsten Geburtstags des Taschi-Lama mit neuen Draperien und Standarten umgeben werden mußten. Die geistlichen Ritter von der Nadel saßen im vollen Sonnenschein, nähten, plauderten miteinander und schienen sich sehr behaglich zu fühlen. Sie baten mich ungeniert um Geld zu Tee und erhielten auch eine Handvoll Rupien.

Unter dem Platz, wo ich den Taschi-Lama bei den Spielen zuerst erblickte, liegt eine offene Galerie, ein Säulengang (Abb. 142) mit Aussicht über den Hof; die Säulen sind von Holz, nach oben hin mit rotem und nach unten mit weißem Stoff umwunden. Diese Galerie ist sehr malerisch, vom Hause aus gesehen besonders der Platz, wo die Statuen der vier Geisterkönige stehen (Abb. 144). Die Säulen heben sich dunkel gegen den hellen Hintergrund des offenen Hofes ab, und zwischen ihnen bewegte sich gerade eine Staffage, die das Bild nicht verdarb, nämlich rotgekleidete Mönche und Pilger in bunten Gewändern.

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142. Inneres der großen roten Galerie von Taschi-lunpo. Skizze des Verfassers.

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144. Die große rote Galerie von Taschi-lunpo von außen. Skizze des Verfassers.

Gerade jetzt wurde auf dem Hofe ein religiöses Spiel aufgeführt. An der nördlichen kurzen Querseite des Hofes stand unter dem ersten Altan ein Thronaltar. An seinen beiden Seiten saßen Mönche in gelben Kaftanen. Zwei ebenfalls gelbgekleidete Lamas traten barhäuptig vor den Altar und blieben in vorgebeugter Haltung regungslos stehen. Dann schritten drei Lamas in roten Togen und gelben Zipfelmützen langsam über den Hof, führten unter gellenden Rufen seltsame Armbewegungen aus und nahmen die Mützen ab, aber nur um sie mit mystischen Gesten sofort wieder aufzusetzen. Diese Zeremonie wurde solange fortgesetzt, daß wir dem Beispiel der meisten Pilger folgten und die Geistlichkeit ihrem Schicksal überließen.

Am nächsten Tag ging eine andere Zeremonie vor sich, über deren Bedeutung ich leider keine ganz zuverlässige Aufklärung erhalten konnte. Auf dem gelbseidenen Thron an der Querseite des Hofes hatte der Taschi-Lama in vollem päpstlichem Ornat Platz genommen, als zwei Mönche in roten Gewändern und mit hohen, roten, helmähnlichen Kopfbedeckungen an ihn herantraten (Abb. 145). Nachdem sie Seine Heiligkeit begrüßt hatten, ging der eine nach den elf Stufen der steinernen Treppe und stellte sich auf die unterste Stufe, und nun begannen sie eine höchst eigentümliche Konversation. Der Lama auf der Treppenstufe ruft etwas, wahrscheinlich ein Zitat aus den heiligen Schriften, oder stellt vielleicht auch eine Frage, schlägt die Hände klatschend zusammen, daß es auf dem Hofe widerhallt, und macht dann mit der rechten Hand eine Gebärde, als ob er dem anderen Mönche irgend etwas direkt an den Kopf schleudern wolle. Dieser antwortet sofort ebenso laut und klatscht ebenso in die Hände. Dann und wann wirft der Taschi-Lama selbst ein Wort hinein. Lobsang Tsering, der mich begleitete, sagte, diese Zeremonie sei eine Art Doktordisputation, und die beiden disputierenden Mönche erlangten, wenn sie die Prüfung bestanden hätten, einen höheren Grad in der priesterlichen Rangskala.

siehe Bildunterschrift

145. Der Taschi-Lama bei einer religiösen Disputation auf dem Festspielhof in Taschi-lunpo. Skizze des Verfassers.

Links unten sitzen auf dem Teppich des Hofes sechs Lamas in gelber Tracht. Zwischen den Säulen ist die Galerie gedrängt voll von rotgekleideten Lamas niederen Ranges, aber vor ihnen sitzen vornehmere Mönche in roten, reich mit Gold gestickten Kaftanen. Unmittelbar an der rechten Seite des Taschi-Lama hat Lobsang Tsundo Gjamtso seinen Platz. Die dunkelroten und strohgelben Farben sind in dem schmutziggrauen Ton des Hofes von kräftiger Wirkung.

Jetzt tritt eine Menge dienender Brüder ein; sie stellen auf dem offenen Platz vor dem Taschi-Lama lange Reihen kleiner Tische auf, die im Handumdrehen mit Schalen voll getrockneter Früchte, Backwerk und Mandarinen besetzt werden. Dann beginnt ein Festmahl zu Ehren der Promotion. Sobald die Tische und Schalen leer sind, werden sie ebenso schnell, wie sie gebracht worden waren, hinausgetragen, und nun erscheint eine feierliche Prozession von Mönchen mit Teekannen – eine Art Teezeremonie beginnt, weniger kompliziert, aber ebenso vornehm wie die in Japan. Vor den Thron des Taschi-Lama stellen sich zwei hochgestellte Priester und bleiben dort, ein wenig nach vorn gebeugt, so regungslos stehen, daß sie an die am Altar betenden Geistlichen unserer Kirchen erinnern. Ihre Aufgabe ist es, Seiner Heiligkeit Tee zu servieren. Der erste Mönch der Prozession trägt eine Kanne von massivem Gold, die ihm der eine der beiden vor dem Thron stehenden Priester abnimmt, um die Tasse des Taschi-Lama zu füllen. Die übrigen Mönche der Prozession tragen silberne Kannen, deren jede 900 Mark wert ist und aus denen allen den anderen, nicht inkarnierten Mönchen eingeschenkt wird. Jeder Mönch trägt seine eigene Holztasse in den Falten seiner Toga stets bei sich, und wenn der Einschenkende mit der Kanne kommt, hält er ihm nur die Tasse hin.

Während der Zeremonie fahren die beiden Kandidaten unausgesetzt fort, zu disputieren und in die Hände zu klatschen. Nachdem er drei Stunden lang mit gekreuzten Beinen so unbeweglich wie eine Buddhastatue dagesessen, steigt Seine Heiligkeit vom Thron herab und schreitet langsam, auf zwei Mönche gestützt, die Steintreppe hinauf, die mit einem schmalen, bunten Läufer belegt worden ist; denn der Taschi-Lama darf die unreine Erde mit seinen heiligen Sohlen nicht direkt berühren. Hinter ihm geht ein Mönch, der ihm einen gewaltigen gelbseidenen Sonnenschirm mit herabhängenden Fransen über den Kopf hält. Man fühlt unwillkürlich, daß der kleine Mann im päpstlichen Ornat und der gelben Mitra, der unter allgemeinem Schweigen zwischen den Säulen der Galerie im Dunkel verschwindet, wirklich ein Heiliger und einer der Mächtigsten der Erde ist. Er geht nun nach seinem Gemach im Labrang hinauf, wo er sich persönlichem Frieden in der Stille hingeben kann, bis irgendeine neue Zeremonie ihn wieder zur Erfüllung kirchlicher Pflichten hinausruft (Abb. 143).

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143. Der Taschi-Lama kehrt von einer Zeremonie nach dem Labrang zurück.

Der ganze Hof schien finster geworden zu sein, nachdem er fortgegangen war. Die Mönche, die sich eben noch so still verhalten hatten, begannen zu plaudern und zu lachen, die jüngeren spielten und rangen miteinander, und schmutzige Novizen mit nackten Armen verjagten mit Gerten zwei räudige Hunde, die sich auf dem heiligen Platze eingeschlichen hatten.

Es war jedoch nicht nur die Abwesenheit des Taschi-Lama, die den Hof verfinsterte; Wolken gelben Staubes wurden vom Weststurm über Taschi-lunpo hingejagt. Alle Wimpel, Fenstergehänge und Markisen und die langen weißen Fahnen an den Fahnenstangen begannen zu flattern und zu klatschen, und der Klang von tausend Tempelglocken verschmolz in einen einzigen Ton, der die Luft erfüllte und einer Hymne gleich zu den Wohnstätten der Götter emporzusteigen schien. Denn an allen Ecken, Vorsprüngen und Dachleisten hängen Messingglocken, an deren Klöppel eine Feder befestigt ist, so daß auch ein unbedeutender Wind Töne aus dem Erz hervorzulocken vermag. Beim Durchwandern der Labyrinthe Taschi-lunpos lauscht man gern diesem großen Glockenspiel der Winde.

Ein Lama aus Ladak, der seit fünf Jahren in Taschi-lunpo studierte, erzählte mir, das Kloster habe vier verschiedene Grade gelehrter Priester. Wenn es in einer Familie mehrere Söhne gibt, muß sich stets einer von ihnen dem Klosterleben widmen. Um ausgenommen zu werden, muß er erst das Klostergelübde ablegen und sich verpflichten, keusch und enthaltsam zu leben, nicht zu trinken, zu stehlen, zu töten usw. Er wird dann Novize bei der Brüderschaft der gelben Mönche. Nach diesen vorbereitenden Studien erlangt er den ersten Grad als Priester, der Getsul heißt und ihm die Pflicht auferlegt, gewisse heilige Schriften zu studieren und am Unterricht teilzunehmen, den ein Kanpo-Lama erteilt. Es ist auch seine Pflicht, sich bestimmten dienstlichen Verrichtungen zu unterziehen, höheren Mönchen mit Tee aufzuwarten, Holz und Wasser zu tragen, das Reinigen der Tempel zu besorgen, die Opferschalen zu füllen, die Dochte der Butterlampen geradezuschneiden und dergleichen mehr. Der nächste Grad, Gelong, zerfällt in drei Abteilungen: Ringding, Riktschen und Katschen, von denen erst der letzte seinem Inhaber die Berechtigung verleiht, sich als Lehrer zu betätigen. Dann folgt der Grad Kanpo-Lama oder Abt, und schließlich der Jungtschen, der der nächste zum Pantschen Rinpotsche ist.

Ein Getsul-Lama muß eine Abgabe von 20 Rupien bezahlen, um zum Rang eines Ringding-Lama erhöht zu werden; das ist also nur eine Geldfrage, und der Grad kann einen Monat nach seinem Eintritt ins Kloster erworben werden, kann aber auch, wenn der Lama mittellos ist, mehrere Jahre dauern. Ein Ringding-Lama muß eine ganze Menge Schriften studieren und zahlt, um Riktschen-Lama zu werden, wieder 50 oder 60 Rupien, um Katschen zu werden aber 300. Einem anderen Gewährsmann zufolge werden der Ringding und der Riktschen noch zum Getsulgrad und nur der Katschen zum Gelonggrad gerechnet. In diesen Graden wird es ihm jedoch leichter, die nötigen Mittel aufzutreiben, denn jetzt hat er Gelegenheit, den Priesterberuf unter dem Volke auszuüben. Um zum Kanpo-Lama befördert zu werden, bezahlt man nichts, sondern diese Ernennung erfolgt durch den Taschi-Lama; sie ist verhältnismäßig selten, und es ist große Gelehrsamkeit dazu erforderlich. Der Ernannte erhält ein Zeugnis, das mit dem Siegel des Taschi-Lama versehen ist. Zur Erlangung des Jungtschengrades muß man die heiligen Bücher vollständig beherrschen, und ein Konklave hoher Mönche reicht Vorschläge zur Verleihung der Würde ein.

Gegenwärtig gibt es in Taschi-lunpo 3800 Mönche. Während der Festtage steigt ihre Zahl jedoch auf fünftausend, weil dann viele aus benachbarten Tempeln hierher kommen. Von den 3800 sollen 2600 dem Getsulgrad und 1200 dem Gelonggrad angehören. Die Gelong-Lamas brauchen sich nicht mit weltlichen Arbeiten zu befassen, sondern haben nur den Tempeldienst zu besorgen und beim Gottesdienst mitzuwirken. Den Kanpograd haben jetzt nur vier in Taschi-lunpo und den Jungtschen nur zwei, einer aus der Provinz Tschang und einer aus Kanum in Beschar, dem Kloster, wo der Ungar Alexander Csoma de Körös vor einigen 80 Jahren als Mönch lebte, um die Urkunden des Lamaismus zu studieren. Dieser Jungtschen-Lama, der Lotsaba heißt, ist Abt des Klosters Kanum und dreier anderen Klöster am Satledsch. Er kam als neunjähriger Knabe nach Taschi-lunpo und lebt hier seit 29 Jahren. Er sehnt sich nach seiner Heimat, aber der Taschi-Lama will ihn nicht eher dorthin reisen lassen, als bis der Dalai-Lama nach Lhasa zurückgekehrt ist.

Unter den 3800 Mönchen sind im ganzen 400 aus Ladak und anderen Ländern im westlichen Himalaja; einige wenige sind Mongolen, die übrigen Tibeter. Die Kirchenmusik besorgen 240 Mönche, und das Tanzen wird von 60 ausgeführt. Sie tanzen nur zweimal im Jahr. Während der Zwischenzeiten liegen die wertvollen Kostüme in versiegelten Kisten in einer Rüstkammer, die »Ngakang« heißt. Da sie nur sehr geringer Abnutzung ausgesetzt sind, halten sie Hunderte von Jahren.

Das eben geschilderte Disputationsfest galt der Erlangung des Katschengrades, dessen Promotion nur während des Neujahrsfestes stattfindet; an diesem werden jährlich 18 Lamas vom Getsul zum Gelong promoviert. Die Zeremonie dauert drei Tage; am ersten Tage werden zwei vormittags und zwei nachmittags promoviert, am zweiten Tage sechs und am dritten Tage acht. –

Am 16. Februar ritt ich wieder zum Kloster hinauf, um Portale abzuzeichnen und den Taschi-Lama zu photographieren, der mir am Morgen hatte sagen lassen, daß es ihm passen würde, wenn ich Zeit hätte. Das Wetter war auch das beste, das man sich wünschen konnte, windstill und klar. Auf der obersten Plattform, vor dem Eingang des östlichen Grabes, ist ein breiter, offener Platz, auf dem starkes Gedränge herrschte. Besonders interessierte es mich, einen endlosen Zug von Nonnen zu sehen, die aus benachbarten Tempeln gekommen waren, um zum neuen Jahre den Segen des Taschi-Lama zu erbitten. Alle Altersstufen waren vertreten, von alten runzligen Weibern bis zu ganz jungen Mädchen. Schrecklich häßlich und schmutzig waren sie alle, in ihrer ganzen Reihe konnte ich nur zwei entdecken, die leidlich hübsch waren. Sie hatten kurzgeschnittenes Haar, und ihre Kostüme glichen denen der Mönche; einige hätte man für Männer gehalten, wenn man nicht das Gegenteil gewußt hätte. Jedoch trugen sie, im Gegensatz zu den Mönchen, kleine gelbe Zipfelmützen mit aufgekremptem Rand, der auf der unteren Seite rot war.

Über die Höfe, Plattformen, Dächer und Treppen sah man auch Lamas und Pilger kommen (Abb. 147), die heraufzogen, um den heiligen Segen zu empfangen; die andächtig und geduldig wartenden Massen, die hier Queue bildeten, machten einen tiefen Eindruck auf den Zuschauer. Für mich jedoch bedeutete ihre Anwesenheit, daß mir eine längere Wartezeit bevorstand, und ich ging deshalb nach dem Grab des Großlamas, dessen prachtvolles Portal ich abzeichnete. Ich war kaum fertig, als Tsaktserkan erschien, um zu melden, daß Seine Heiligkeit mich erwarte; wir eilten deshalb die Treppen wieder hinauf und an den gewöhnlichen Gruppen roter Mönche vorbei, die überall umherstreifen und sehr wenig zu tun zu haben scheinen. Auf dem großen Hof traf man wieder Vorbereitungen zur Feier des Disputationsfestes.

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147. Pilger in einem Portal in Taschi-lunpo.

Diesmal begleitete mich nur Muhamed Isa. Der Taschi-Lama empfing mich in demselben halboffenen Raum wie das letztemal. Er war ebenso bezaubernd wie damals und lenkte das Gespräch wieder auf ferne Länder, weit fort von diesem so hermetisch verschlossenen Tibet. Diesmal sprach er indessen hauptsächlich von Agra, Benares, Peschawar, Afghanistan und dem Weg von Herat nach dem Khaiberpasse. »Was liegt westlich von Jarkent?« fragte er.

»Pamir und Turkestan.«

»Und westlich davon?«

»Das Kaspische Meer, das von großen Dampfern befahren wird.«

»Und westlich vom Kaspischen Meere?«

»Kaukasien.«

»Und wohin kommt man, wenn man immerfort nach Westen weitergeht?«

»Nach dem Schwarzen Meer, der Türkei, Rußland, Österreich, Deutschland, Frankreich und dann nach England, das draußen im Weltmeer liegt.«

»Und was gibt es westlich von diesem Weltmeer?«

»Amerika, und darauf wieder ein Weltmeer und dann Japan, China und wieder Tibet.«

»Die Welt ist unendlich groß«, sagte er nachdenklich und nickte mir freundlich lächelnd zu.

Ich bat ihn, nach Schweden zu kommen, wo ich sein Cicerone sein wolle. Da lächelte er wieder: er möchte gern nach Schweden und nach London reisen, aber hohe, teuere Pflichten hielten ihn beständig an Taschi-lunpos Klostermauern gefesselt.

Nach dem Tee und dem Imbiß ging er wie ein gewöhnlicher Mensch in seinem Zimmer umher und bat mich, die Kamera aufzustellen. In dem von der Sonne beschienenen Teil des Gemaches wurde ein gelber Teppich ausgebreitet und ein Stuhl daraufgesetzt. Leider hatte er nicht sein bezauberndes Lächeln, als die drei Platten ausgenommen wurden, sondern sah ernst aus (Abb. 146, 194) – vielleicht dachte er darüber nach, ob es wohl gefährlich sein könne, sich inmitten seiner eigenen Klosterstadt von einem Ungläubigen abkonterfeien zu lassen. Ein langer junger Lama mit angenehmem Gesicht verstand sich auch aufs Photographieren und machte ein paar Aufnahmen von mir für den Taschi-Lama. Er hatte selbst eine Dunkelkammer, wo wir unsere Platten entwickeln sollten – lamaistische Tempel eignen sich vorzüglich zu Dunkelkammern!

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146. Seine Heiligkeit der Pantschen Rinpotsche oder Taschi-Lama.

siehe Bildunterschrift

194. Seine Heiligkeit der Pantschen Rinpotsche oder Taschi-Lama.

Dann nahmen wir unsere Plätze wieder ein, und der Taschi-Lama erkundigte sich, wie mir das Reiterspiel gestern gefallen habe; ich antwortete, daß ich einen solchen Spaß noch nicht erlebt hätte; er selbst hatte diese weltlichen Vergnügungen noch nie besucht, denn er war an diesem Tage stets durch seine religiösen Pflichten in Anspruch genommen. Nun machte er ein Zeichen, worauf einige Mönche sein Ehrengeschenk für mich hereinbrachten: zwei Stück des kirschroten Wollstoffes, der in Gyangtse gewebt wird, einige Abschnitte goldgewirktes Zeug aus China, zwei Kupferschalen mit silbernem Rand und eine vergoldete Untertasse nebst einem ebensolchen Deckel zu einer Porzellantasse. Eigenhändig gab er mir dann ein vergoldetes, in rot und gelbe Seide gekleidetes Götterbild und ein großes hellgelbes »Kadach«. Die Figur, die er mir gab, war ein sitzender Buddha mit blauem Haar, einer Krone und einer Schale in den Händen, aus der eine Pflanze aufkeimte; er nannte es Tsepagmed. Es ist dies die Form des Amitabha Buddha, die Amitayus oder »derjenige, der ein unermeßlich langes Leben besitzt«, genannt wird. Es ist bezeichnend, daß der Taschi-Lama mir gerade dieses Götterbild gab. Denn er ist selber eine Inkarnation des Amitabha, und er ist allmächtig. Durch das Bild des Tsepagmed wollte er mir also gleichsam ein Unterpfand geben, daß mir noch ein langes Leben bevorstehe. Das aber begriff ich damals noch nicht; erst als ich in Grünwedels »Mythologie« blätterte, erkannte ich die Bedeutung des Geschenks.

Dieses Mal dauerte die Audienz zwei und eine halbe Stunde. Und es war das letztemal, daß ich den Taschi-Lama von Angesicht zu Angesicht sah. Denn nachher traten allerlei politische Komplikationen ein, die ihm – nicht mir – gefährlich werden konnten, und ich hielt es daher für meine Pflicht, ihn nicht durch neue Besuche, die den Argwohn der Chinesen hätten erregen können, irgendwelchen Unannehmlichkeiten auszusetzen. Aber es schmerzte mich, wochenlang in seiner Nähe zu sein, zu wissen, daß er täglich von seinem kleinen Klosterfenster aus mein weißes Zelt sah, und ihn doch nicht besuchen und mit ihm reden zu dürfen. Denn er war eine jener seltenen, feinen und edlen Persönlichkeiten, die andern das eigene Leben wertvoller und inhaltsreicher erscheinen lassen. Ja, die Erinnerung an den Taschi-Lama wird mich begleiten, solange ich lebe. Seine Freundschaft kennt kein Falsch, sein Schild ist fleckenlos und sonnenhell, in Treue und Demut sucht er die Wahrheit und weiß, daß er durch tugendhaften, pflichtgetreuen Lebenswandel eine würdige Freistatt ist für den Geist des mächtigen Amitabha.

Der Taschi-Lama war sechs Jahre alt, als ihn das Schicksal zum Papst in Taschi-lunpo berief, einer Würde, die er bei meinem Besuch schon 19 Jahre bekleidete. Er soll in Tagbo im Lande Gongbo geboren sein. Wie der Papst in Rom, ist auch er, trotz seines großen religiösen Einflusses, ein Gefangener im tibetischen Vatikan und führt ein nur durch religiöse Vorschriften geregeltes Leben, da jeder Tag des Jahres seine bestimmten kirchlichen Verrichtungen und Geschäfte hat. So hatte er zum Beispiel am 20. Februar in Begleitung der ganzen höheren Geistlichkeit vor den Gräbern aller seiner Vorgänger das Knie zu beugen. Als ich fragte, wo er selbst beigesetzt werden würde, wenn es dem Amitabha gefiele, sich in einem neuen Taschi-Lama zu reinkarnieren, erhielt ich die Antwort, daß man ihm eine ebenso prachtvolle Grabkapelle bauen werde wie den früheren und daß ein Konklave hochgestellter Priester über den Platz zu entscheiden habe. Entweder werde das sechste Mausoleum auf der Westseite der schon vorhandenen erbaut werden, also mit ihnen in einer Reihe liegen, oder man werde vor den ersten fünf eine neue Reihe beginnen.

Eines Tages erhielten auch alle meine lamaistischen Begleiter Zutritt bei Seiner Heiligkeit. Es war vorher vereinbart worden, daß sie keine größeren Tempelabgaben als drei Rupien pro Mann zahlen sollten. Natürlich bezahlte ich für sie, und sie versicherten mir nachher, daß der heilige Segen ihnen für den ganzen Rest ihres Lebens nützlich sein werde.

Über die Zahl der Pilger, die jährlich nach Taschi-lunpo strömen, Auskunft zu erhalten, gelang mir nicht. Fragte ich danach, so lachte man und antwortete mir, sie seien so zahlreich, daß es ganz unmöglich sei, sie zu zählen. Vornehme und wohlhabende Pilger bezahlen gut, andere eine kleine Silbermünze oder einen Beutel mit Tsamba oder mit Reis, andere kommen haufenweise im Gefolge irgendeines wohlhabenden Häuptlings der für sie alle zahlt. Ist der Zulauf zu groß, so werden sie von den höheren Mönchen durch Handauflegen gesegnet; erscheinen sie in geringerer Anzahl, so empfangen sie den Segen vom Taschi-Lama selbst, aber nicht mit der Hand, sondern mit einem Stabe, der mit gelbem Seidenzeug umwickelt ist. Mit seiner Hand segnet er bloß vornehme Leute und Mönche.

Unter den Pilgern sah man sowohl Laien als Geistliche. Ich sprach schon von den Nonnen, die, Queue bildend, auf den Segen warteten. Vierhundert Nonnen waren aus benachbarten Klöstern angelangt. Während ihres Aufenthaltes erhalten sie freie Wohnung im Tschini-tschikang, einem Gebäude in Taschi-lunpo, freie Beköstigung und außerdem bei der Abreise ein kleines Geldgeschenk. Sie stellen sich nicht alljährlich ein, in diesem Jahre aber kamen sie am zweiten Tag des Festes und brachen am 18. Februar wieder auf.

Wir sahen auch Novizen aus anderen Klöstern, die zu gewissen Zeiten mit Tee bewirtet wurden; sie mußten sich jedoch damit begnügen, vor der Küche auf der Straße zu sitzen, wo sie die enge Gasse füllten, so daß man kaum durchkommen konnte.

Man findet unter den Pilgern auch wandernde Lamas. Eines Tages machte ich von einem solchen, der weit und breit herumgekommen war, eine Zeichnung. Um den Hals trug er seinen Rosenkranz, ein Muschelhalsband und ein »Gao« mit einem Götterbild, das ihm der Taschi-Lama geschenkt hatte. Vor nicht langer Zeit hatte er die Kniefallwanderung um alle Klöster von Lhasa ausgeführt, und eben hatte er dieselbe, den Göttern wohlgefällige Tat um Taschi-lunpo herum vollbracht. Er bewegt sich dabei in der Richtung des Uhrzeigers und mißt die Länge des Weges um das Kloster mit der Länge seines eigenen Körpers. Er faltet die Hände vor der Stirn, fällt auf die Knie, legt sich dann der Länge nach auf den Weg, streckt beide Arme nach vorn, kratzt ein Zeichen in die Erde, steht auf, geht bis an das Zeichen, fällt dort wieder auf die Knie und setzt diese Prozedur so lange fort, bis er um das Kloster herumgelangt ist. Ein solches Umwandern Taschi-lunpos erfordert einen ganzen Tag, will er aber auch in die Gassen hinein und auch um alle Grabkapellen und Tempel herum, so verbringt er mit dieser religiösen Gymnastik drei Tage. Täglich sahen wir ganze Reihen sowohl geistlicher als weltlicher Pilger, die auf diese Weise ganz Taschi-lunpo und alle seine Götter umkreisten. Ich fragte mehrere von ihnen, wievielmal sie bei einer Umkreisung der Mauer der Länge nach auf die Erde fielen, aber sie wußten es nicht; denn, sagten sie, wir beten die ganze Zeit: » Om mani padme hum«, jede Niederwerfung bedeutet zwanzig Manis, wir können daher die Zahl der Kniefälle nicht auch noch zählen. Viele von ihnen gehen mehrere Male um die Mauer herum.

Jener wandernde Lama gehörte zu einer Brüderschaft von neun Mönchen, die uns manchmal in unserem Garten besuchten, vor den Zelten saßen, ihre Gebetmühlen drehten und sangen (Abb. 152). Sie hatten freie Wohnung in einem Gebäude Taschi-lunpos, das Hamdung hieß. Ein anderes Mitglied war der siebzigjährige Tensin aus Amdo; er hatte vier Monate gebraucht, um von dort nach Taschi-lunpo zu gehen. Alle waren des Festes wegen gekommen und wollten über Lhasa und Naktschu nach Hause zurückkehren.

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152. Bettelnder Lama. Skizze des Verfassers.

Die Abgaben der Pilger sind eine der Haupteinnahmequellen Taschi-lunpos. Aber das Kloster besitzt auch bedeutende Landgüter und Herden, und gewisse Mönche, die die wirtschaftlichen Angelegenheiten besorgen und den Ertrag verwalten, treiben sowohl mit der Umgegend wie mit Nepal Handel. Der Ertrag von ganz Tschang fällt an Taschi-lunpo, das infolgedessen ziemlich reich ist. Ein jeder der 3800 Mönche erhält, ohne Unterschied des Grades, jährlich 15 Rupien und lebt natürlich kostenlos im Kloster.

Eine andere große Einkommenquelle ist der Verkauf von Amuletten, Talismanen und Reliquien, Götterbildern aus Metall oder Terrakotta, religiösen Malereien (Tankas), Räucherspänen und dergleichen. Auch für kleine unbedeutende, beinahe wertlose Tongötter oder Papierstreifen mit symbolischen Figuren, die die Pilger als Talismane um den Hals tragen, werden die Priester recht gut bezahlt, wenn der Taschi-Lama diese Dinge gebührenderweise gesegnet hat.

Am 21. Februar verbrachte ich beinahe den ganzen Tag in Teilen des Klosters, die ich noch nicht gesehen hatte. Wir wanderten durch enge, gewundene Korridore und Gassen in tiefem Schatten zwischen hohen, weißabgeputzten Steinhäusern, in deren Innern die Mönche ihre Zellen haben. Eines der Häuser bewohnten ausschließlich studierende Mönche aus den Gegenden um Leh, Spittok und Tikse herum. Wir traten denn auch in die kleinen, dunkeln Verschlüge hinein, wo kaum mehr Raum war als in meinem Zelt. An der einen Längswand hat das Bett seinen Platz: eine rotbezogene Matratze, ein Kopfkissen und eine Filzdecke. Im übrigen besteht die Einrichtung aus einigen Kisten mit Büchern, Kleidungsstücken und religiösen Gegenständen. Heilige Schriften liegen aufgeschlagen. Ein paar Beutel enthalten Tsamba und Salz. Ein kleiner Altar mit einigen Götterstatuen, Opfergefäßen und brennenden Butterlampen – das ist alles. Hier ist es dunkel, kühl, feucht und muffig, nichts weniger als gemütlich, eher wie in einem Gefängnis. Aber hier verlebt der seine Tage, der sein Leben der Kirche geweiht hat und höher steht, als andere Menschen. Mönche niederen Grades wohnen zu zweien oder dreien in einer Zelle, Gelongs haben eine Zelle für sich; die höchsten Prälaten jedoch besitzen viel elegantere und geräumigere Wohnungen.

Jeder Mönch erhält täglich drei Schalen Tsamba und nimmt seine Mahlzeiten in seiner Zelle ein, wohin ihm auch dreimal am Tage Tee gebracht wird (Abb. 150). Doch wird ihnen auch während des Gottesdienstes Tee gereicht, in den Tempelsälen, in den Vorlesungssälen und auf dem großen Hofe. Keine religiöse Handlung scheint so heilig zu sein, daß sie nicht zu beliebiger Zeit durch ein Schälchen Tee unterbrochen werden könnte.

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150. Lama mit Teekanne. Skizze des Verfassers.

Eines Tages beobachtete ich von der roten Säulengalerie (Kabung) herab den Hof voller Lamas, die in kleinen Gruppen saßen und nur enge Durchgänge freiließen, durch die Novizen mit den heißen silbernen und kupfernen Teekannen gingen und das mit Butter angerührte, suppenähnliche Getränk anboten. Allem Anschein nach ein gemeinsamer » Five o'clock tea« nach irgendeinem Gottesdienst! Aber einen gewissen religiösen Anstrich hatte der Teeklatsch doch, denn bisweilen sangen sie gemeinschaftlich eine feierliche, monotone Hymne, die in dem engen, widerhallenden Hofe wunderbar schön und ergreifend klang. Am 4. März wimmelte es auf dem Hof und anderen Plätzen innerhalb der Mauern Taschi-lunpos von Weibern (Abb. 149) – es war der letzte Tag, an dem ihnen das Gebiet des Klosters offenstand; vor dem nächsten Losarfest werden sie hier nicht wieder zugelassen.

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149. Pilgerin aus Nam-tso. Skizze des Verfassers.

Der junge Mönch, der als Reisebegleiter des Taschi-Lama in Indien Gelegenheit zur Erlernung des Photographierens gehabt, hatte seine Dunkelkammer neben seiner großen eleganten Zelle. Auch ich konnte einige meiner Platten dort entwickeln. Er bat mich, ja recht oft zu kommen, um ihm Anweisungen zu geben. Er hatte massive Tische, bequeme Diwans und schwere, vornehme Draperien in seinem Salon, der abends durch Öllampen erleuchtet wurde. Dort konnten wir stundenlang sitzen und plaudern. Plötzlich war er auf den Gedanken verfallen, Englisch zu lernen. Wir begannen mit den Zahlworten, die er mit tibetischen Schriftzeichen aufschrieb; nachdem er sie auswendig gelernt hatte, fragte er nach anderen gewöhnlicheren Worten und Begriffen. Sehr bedeutende Fortschritte machte er indessen während der wenigen Lektionen, die ich ihm erteilte, gerade nicht.

Wenn man durch die Straßen der Klosterstadt wandert, muß man sich vorsehen, denn die Steinplatten, über die seit Jahrhunderten Tausende von Mönchen und Pilgern hinschritten, sind blank von der Abnutzung und tückisch. Gewöhnlich herrscht lebhafter Verkehr, besonders an den Festtagen (Abb. 153). Mönche kommen und gehen, stehen in plaudernden Gruppen an Straßenecken und in den Portalen, gehen zum Gottesdienst, kommen von dort zurück oder sind auf dem Weg, um ihre Brüder in ihren Zellen zu besuchen. Andere tragen neugenähte Standarten und Seidenvorhänge von der Schneiderwerkstatt in die mystische Dämmerung der Götter hinein, während andere wieder Wasserkannen schleppen, um die Messingschalen auf den Altartischen zu füllen oder zum selben Zweck Säcke mit Mehl und Reis tragen. Man begegnet kleinen Eselkarawanen, die die Vorratskammern des Klosters zu füllen kommen, wo der Umsatz sehr lebhaft ist – es ist ja auch eine Familie von 3800 Mitgliedern zu versorgen. Und dann haben wir wieder Pilger, die nur umherstreifen, zu den Göttern hineingucken, ihre Gebetmühlen schwingen und ihr ewiges » Om mani padme hum« murmeln. Hier und dort längs der Mauern sitzen Bettler, die ihre Holzschalen ausstrecken, damit der Wanderer etwas hineinlege, sei es auch nur eine Fingerspitze voll Tsamba. Man findet täglich dieselben abgezehrten und zerlumpten Bettler an derselben Straßenecke, wo sie in demselben bittenden und klagenden Ton die Barmherzigkeit der Vorübergehenden anrufen. In den schmalen Gassen, wo die großen, in die Mauern eingebauten Gebetmühlen in langen Reihen stehen und von den Passanten gedreht werden, sitzen viel Arme, eine lebende Mahnung an die Törichten, die glauben, daß das Drehen der Gebetmühlen allein ein genügendes Verdienst auf dem Wege nach den Wohnungen der Seligen sei. In einem besonderen kleinen Raum stehen zwei kolossale, zylinderförmige Gebetmühlen, vor denen sich stets eine Menge Leute ansammelt, Mönche, Pilger, Kaufleute, Arbeiter, Bummler und Bettler. Eine solche Gebetmaschine enthält kilometerlange dünne Papierstreifen, die mit Gebeten bedruckt sind, und Schicht auf Schicht rollt um die Achse des Zylinders. Am Zylinder befinden sich Kurbeln, mit denen die Achse in Drehung versetzt wird. Eine einzige Umdrehung, und Millionen Gebete steigen gleichzeitig zu den Ohren der Götter empor!

siehe Bildunterschrift

153. Straße mit Lamas in Taschi-lunpo.


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