Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Muster-Geschäftsreisende

Er stand in der Thüre eines Coupés zweiter Klasse mit der feinsten Pelzmütze auf dem Kopf, Ringen an der Hand und gelben Schuhen an den Füßen, in elegantem Reiseanzug, mit hübschem, wohlgefälligem Gesicht, einer goldenen Uhrkette, die auf seinem behaglichen Bäuchlein hing, lachenden Mundes und mit einem Kneifer auf der Nase, in einem Reisemantel, der länger war, als der längste Schlafrock, auf seinen runden, drallen Beinen – wie gesagt, er stand in der Coupéthüre und blickte in die Welt hinaus, als wenn sie ihm gehörte und er auf seinen Verwalter wartete, um ihm Ordre zu erteilen, das Sonnenlicht ein wenig mehr aufzuschrauben oder einige kühlende Winde loszulassen.

Wie er da so steht, erblickt er auf dem Perron einen kleinen, bleichen Mann in schwarzem, etwas verschlissenem Überzieher und einem Cylinderhut, der neuer und moderner hätte sein können und es wohl auch einmal gewesen war. Über der ganzen Erscheinung des kleinen Mannes lag eine Bescheidenheit, als wenn er noch kein Frühstück gegessen hätte, eine Schüchternheit, als wenn er den Stationsvorsteher um Entschuldigung bitten wollte, daß er überhaupt da wäre.

Der Herr in der Coupéthür riß seine Augen auf, streckte mit großartiger Gebärde seine ringgeschmückte Hand vor und sagte mit großer Freundlichkeit:

»Ah, zum Teufel, bist du es wirklich?«

Der bleiche Schüchterne gab zu, daß er es sei.

»Willst du auch mit dem Zug mit, so steig' ein! Ach, es ist wahr, du hast wohl...? Hast du dritter, so kaufe ich das Zuschlagsbillet, damit wir ein bißchen plaudern können!«

»Danke! ich habe schon ›zweiter‹,« sagte der Bescheidene mit kleidsamer Prunklosigkeit und stieg mit ein Paar Beinen hinauf, die ein Menschenfresser seinem Knecht geschenkt haben würde.

»Lieber, alter Schulkamerad!« sagte der elegante Herr und umfaßte ihn, sodaß sein eigener Reisemantel und die Überzieher-Reste des Bleichen in allen Säumen krachten.

»Guten Tag, lieber Hans!« brachte nun der kleine Bleiche vor und sah den Freund mit wohlwollendem Interesse an. »Wie ist es dir denn in all der Zeit ergangen? Gut, wie ich sehe! Habe zwanzig Jahre nichts von dir gehört!«

» Magnifique, liebster Bruder! Reise für Carlin & Carlquist in Göteborg, Manufakturwaren. Ohne Konkurrenz, siehst du, absolut ohne Konkurrenzmöglichkeit. Prima Waren und solche Preise, daß ein einigermaßen reeller Käufer die Nacht, nachdem ich bei ihm gewesen, nicht schlafen kann, denn er vermag sich des Gefühls nicht zu erwehren, daß er einen Mitmenschen ausgeraubt hat. Größere Geschäfte schließe ich meist bei einer kleinen Champagnerkneiperei ab, und am Tage darauf läuten sie unaufhörlich am Telephon an und fragen, ›ob es möglich ist? Ob in der Kopie kein Fehler steht?‹ – Dann antworte ich: ›Na zum Teufel, natürlich ist es möglich; aber nur für Carlin & Carlquist im ganzen Weltall!‹

»Aber du siehst so bleich und erfroren aus, mein Junge! Da nimm meine Decke! Hast du schon so etwas einmal gesehen? Kostet ihre runden hundertundfünfundzwanzig netto, du! Nein, die ist nicht von Carlin & Carlquist, das ist ein Andenken, lieber Freund! Es war nachts in einem Schnellzug durch Vestergötland. Nichts sagte sie, und nichts sagte ich. Du fragst: ›Welche sie?‹ Mein Gott, das junge engelschöne Weib, mit dem ich ganz allein in einem Coupé fuhr. Na also, sie sagte nichts, und ich sagte nichts während einer Ewigkeit, Gott weiß, ob es nicht zwanzig Minuten waren. Da sah ich, daß ich auf sie Eindruck zu machen begann, und leitete ein Gespräch ein. Intelligentes Frauenzimmer. Unsere Seelen flossen ineinander, und vor Tagesanbruch hatten sich auch unsere Herzen gefunden. Als man die Deckenlampen ausblies, lag sie in meinen Armen, bleich und außer sich vor Gemütsbewegung infolge meiner brennenden Küsse. Als ich aber von der Zukunft und einem kleinen bezaubernden Heim in einem kleinen Städtchen sprach, zog eine dunkle Wolke über ihre Wangen, und sie vertraute mir an, daß sie seit vier Jahren verheiratet wäre. – Schändlich! sagst du, – Ja, wenn es ein anderer Mann gewesen wäre, Freundchen; aber ich weiß, daß die Weiber mir absolut nicht widerstehen können! Weiß der Teufel, woran das liegt! Muß wohl in der Frauennatur selbst liegen! Genug, als wir schieden, wollte sie mir durchaus diese Plüschdecke zur Erinnerung geben. Fühle selbst! Feinster echter Seidenplüsch! Sie sagte, es wäre für sie ein so wehmütig holdes Gefühl, zu wissen, daß ihr Liebling im Zuge auf dieser Decke läge und schliefe, die früher ihre eigene kleine Elfengestalt umschloß. Groß und prächtig ist sie, volle zwei Meter in jeder Dimension. – Die Frau? – Ah, pah, die Decke natürlich! Ich fragte sie, ob es keine Hoffnung gäbe, daß er bald sein trauriges Dasein schließe! ... Wer?

... Der Mann natürlich! Aber da verfiel sie in Weinkrämpfe und sagte, er hätte vorige Woche seine Lebensversicherung erhöht, ohne Prämienaufschlag!

»Willst du eine feine Cigarre haben? Trinkst du Cognak? Bist du in einer Unfallversicherung? Ich habe nämlich auch eine Agentur für eine schweizerische Aktiengesellschaft, von der ich zu behaupten wage, daß sie die großartigste Institution in ihrer Art auf der ganzen Erde ist. Denke an die Sache! Hier hast du den Prospekt!

»Ob mein Leben nicht beschwerlich ist? fragst du. Na mag sein; aber ich nehme es so unbeschreiblich leicht. Ich habe etwas Vermögen, siehst du. Als ich zu Carlin & Carlquist kam, hatten sie einen kleinen Speicherraum und zwei Keller in einer kleinen Gasse. Nun haben sie sechs riesige Speicherräume an der Hafenstraße und zwei große Verkaufsläden. ›Ach, wenn Carlin die Hälfte von Herrn Lieblings Fähigkeiten hätte‹ sagte die Frau des einen Chefs zu mir und seufzte, als ich eines Tages bei ihnen zu Mittag war. Sie ist verteufelt verliebt in mich, siehst du, armer Kerl; aber man hat seine Prinzipien, und dann ist sie sechsundvierzig, die alte Hexe.

»Ob ich, wie andere meines Berufs, nicht Unhöflichkeiten und Verdrießlichkeiten ausgesetzt bin? fragst du. Selten bei meinem Wesen und meinem Aussehen. Ich habe so eine Art diesen Detailisten-Jagdhunden gegenüber, siehst du, daß ich allen imponiere, bei denen ich nur eine Minute hineinsehe. ›Unhöflichkeiten‹! Ja, gewiß: einmal ist es mir passiert. Ich machte ein paar Attacken, und dann sagte der Grobian: ›Geh'n Sie zum Teufel! Meine Frau liegt im Sterben!‹ ›Ich, Herr Gott‹ sagte ich. ›Ich darf wohl nicht fragen, was der Gnädigsten fehlt?‹– ›Diphtheritis im letzten Stadium. Sie werden vielleicht angesteckt; ich komme gerade von ihrem Krankenbett! Seien Sie so gut und machen Sie, daß Sie hinauskommen!‹ schrie er mit Thränen in den Augen. – Na, ich hatte ein kleines Verhältnis mit einer verdammt hübschen Modistin am Platz, womit ich zwei Tage herumbringen konnte, und dann trug ich in meiner Brieftasche ein famoses Diphtheritis-Rezept aus meiner grünen Jugend, wo ich in einem Nest den Apothekerlehrling spielte. Na, um eine lange Geschichte kurz zu machen: am Abend des dritten Tages saßen die Frau und er und ich bei einem kleinen, feinen, von mir bestellten Souper im Rathaustunnel in ihrem Krähwinkel. ›Und nun zum Geschäft, Herr Großhändler‹ rief ich, als der Käse und der Portwein aufgetragen wurde. Na, du kannst mir glauben, er kaufte!

»Ob ich niemals daran gedacht habe, mich zu verheiraten? – Ja, sobald ich mich selbständig mache. Jetzt ginge es garnicht! Ein Teil der Geschäfte wird ja von Frauen betrieben, in andern ist die Meinung der Frau ausschlaggebend. Jetzt kaufen sie von mir wie toll, wäre ich verheiratet – gute Nacht!

»Was Teufel glotzt du da auf das Hundevieh auf dem Perron hin? Das ist ja garnichts! Nein, du hättest meinen Carnot sehen sollen, den ich im Frühling vierundneunzig an einen englischen Lord verkaufte, und zwar für siebenhundert Pfund Sterling! Das war ein kluger Kerl! ... Wer? ... Der Hund natürlich. Einmal kam ich nach Cimbrishamn gleichzeitig mit dem Reisenden von Hasselbach. Ich wollte am Morgen ausschlafen und sagte zu Carnot, er solle ›den Kerl da‹ nicht aus seinem Zimmer herauslassen, bevor ich es ihm geboten. Ich fürchtete, er könnte ausgehen und sich einige Ordres ergaunern. Als ich so um elf Uhr in den Korridor hinauskomme, steht Carnot vor der Thüre meines Konkurrenten und zeigt dem Hotelwirt, zwei Kellnern, drei Mädchen, zwei Hausdienern, einem Schutzmann und etlichen Fremden, sowie auch einigen Schnittwarenhändlern der Stadt, mit denen ich Geschäfte machen wollte, die Zähne. Die letzteren lud ich sogleich zu einem kleinen Frühstück ein, und erst als wir unten an der Treppe verschwunden waren, ließ Carnot den von Hasselbach hinaus. Beim Kaffee kam der Schutzmann und sagte mir, ich müßte Strafe zahlen wegen meines gefährlichen Hundes. › Mein Hund?‹ sagte ich. ›Ich habe niemals einen Hund besessen!‹ – ›Das werden wir gleich sehen‹ sagte der Schutzmann und ließ Carnot hinein. Da rief ich Carnot auf französisch, was in Cimbrishamn kein Mensch versteht, zu, er solle fremd mit mir thun. Und das liebe Tier knurrte mich an und fuhr so wütend auf mich los, daß die Buffettmamsell, die mich bis zum Wahnsinn liebte, für mein Leben zitterte.

»Eines Morgens, als ich von Herrljunga abreiste, wurde er im Zimmer eingesperrt und mußte dableiben, während ich nach Boraas fuhr. Als ich dorthin kam, telephonierten sie vom Hotel und fragten, was sie mit Carnot anfangen sollten. ›Stellen Sie ihn ans Telephon und halten Sie ihm das Höhrrohr ans Ohr!‹ sagte ich. Nachdem wir uns begrüßt hatten, sagte ich zu ihm deutlich und bestimmt: ›Ich bin in Boraas, mein Junge, und nun ›latsche‹ du hübsch hierher; aber geh' erst auf mein Zimmer und hole meine Zigarrenspitze, die ich auf dem Nachttisch vergessen habe!‹ Am Nachmittag kommt Carnot richtig mit der Cigarrenspitze im Maule in Boraas an.

»Ja, das war ein Hund!

»Aber da sitze ich nun und rede nur von mir! Wie geht es dir denn, alter Kamerad? Worauf hast du dich denn eigentlich geworfen? Du solltest ja Pastor werden, und schwarz und glattrasiert bist du ja, so daß es nicht unwahrscheinlich ist, daß du deine Absicht erreicht hast; aber fetter bist du darum nicht geworden!«

»Ja, ich bin Pastor geworden,« sagte der Bleiche schüchtern.

»Na, hast du eine eigene Pfarre bekommen? Du bist doch wohl wenigstens Hilfspastor?«

»Ja, das wurde ich auch, aber damit ist es nun vorbei!«

»Ach, Herrje! Armer, armer, lieber Freund! Und ich Schafskopf sitze hier und versuche, einmal ums andere dich mit der Cognakflasche zu verführen! Denn natürlich das Trinken hat dich soweit gebracht? Was bleibt einem auch in der Einsamkeit auf dem Lande! Aber zum Teufel, konntest du dich nicht wenigstens am Sonntag beherrschen?«

»Das scheint fast so. Es war nämlich etwas, was ich an einem Sonntag machte, was mich für immer von meinem Hilfspastorenposten trennte!«

»Bist du verrückt, Mensch! Was um Himmelswillen machtest du denn? Schlugst du dem Glöckner den Schädel ein? Sangst du ein Trinklied in der Kirche oder küßtest du die Frau eines Gemeindemitgliedes?«

»Nein, ich hielt nur Probepredigt um die Dompropstei und ...«

»Was ... was ... na und ...«

»Ja, es ging gut, ich bekam die Stelle!«

»Ach ... Deixel ...! Das muß doch in den Blättern gestanden haben! Das kommt davon, wenn man in der Regel nichts Andres, als die Witzblätter liest! Höre, da will ich dir und deiner lieben Dompropstin einen Dienst für mehrere hundert Kronen im Jahr leisten. Ihr sollt eure Sachen von Carlin & Carlquist beziehen! Wir verkaufen ja eigentlich nicht an Privatpersonen, aber bei dir machen wir schon einmal eine Ausnahme ... Portièren, die nicht ihresgleichen haben an Pracht und Billigkeit, Möbelstoffe, die dir fünfundzwanzig Jahre halten. Kann dir auch sogar Weine verschaffen! Warum sollst du dich von einem andern angaunern lassen! Und dann bekommst du durch mich eine feine Versicherung bei der Schweizer Aktiengesellschaft... Mußt du hier aussteigen? So! Na, habe mich sehr gefreut, dich zu sehen! Grüße deine Dompropstin und gieb ihr diesen Preiskourant. Alles Primaware und zu den billigsten Preisen!«


 << zurück weiter >>