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Künstlerleben

Waldemar Sterns Kampf um das Glück war kurz und leicht gewesen. Daß er in seinen Studienjahren ein bischen hungern mußte, daß sein eleganter Anzug oft der einzige war, den er besaß, hatte ja nicht so viel zu bedeuten, da die Lehrer nur Worte des Lobes hatten, da seine Akademiekollegen seine Arbeiten bewunderten, da die Frauen ihm entgegenlächelten, da seine Seele elastisch war, und die Welt groß und voller »Motive«.

Dann kamen die Stipendien, die herrlichen Auslandsreisen in Länder mit andrer Sonne und andrer Luft und andern Typen, Wanderungen in den Tempeln der Kunst, Siege in den Salons und Gold in der Börse.

Und dann kam sie, die kleine Zauberin, das verwöhnte Mädchen, das von einem kleinen Kapital lebte und zu seinem Vergnügen allerhand Kleinigkeiten malte, während sie selbst sich einbildete, daß sie in tiefer Armut säße und sich Alles versagte, aber Schritt für Schritt sich zur Stellung einer großen Künstlerin emporarbeitete.

Ach, wie zärtlich und behutsam nahm er nicht Pinsel und Palette aus ihrer Hand und die großen Gedanken aus ihrem Köpfchen!

Sie durfte nicht den heißen Kampf um die Erringung der vollendeten Technik zu Ende kämpfen. Sie wollte so gerne Malerin werden – nun gut, das sollte sie auch, aber nur mit dem Auge, dem Herzen und Gefühl, nicht mit den häßlichen Farben, die so schwer gehorchen wollten.

Sie wollten ein Kompagniegeschäft bilden, eine Kunstfirma, »Julie und Waldemar«, und sie sollte freilich helfen dürfen, aber nur dadurch, daß sie ihm Rat erteilte und ihn kritisierte, ihm Anregungen und Ideen gab, davon sprach, was ihre schönen Augen in der Natur und in Menschengesichtern sahen, was er nicht zu sehen vermochte, und was ihr Herz empfand, wenn sie vor seinen Werken stand.

So verbrachten sie denn ein Schmetterlingsleben an sonnigem Tag, und als sie dessen überdrüssig wurden, Schmetterlinge zu sein, fand er immer in seiner Tasche Gold genug, damit sie als glückliche, sorgenlose Menschen auftreten konnten. Er malte, was er wollte, und bestimmte selbst seine Preise.

Beide standen ganz allein in der Welt, ohne Eltern und Geschwister. Niemand störte die Harmonie ihres Zusammenlebens.

Dann kam der dritte Mensch in ihren Kreis und brachte, nach kurzen Stunden der Unruhe und Qual, einen neuen, breiten, lichten Strom von Glück in ihre Herzen hinein.

Nun kehrten sie in ihre schwedische Heimat zurück, als »Familienvater« mußte Stern doch irgendwo festen Fuß fassen.

Die heimischen Zeitungen ergingen sich in Lobpreisungen, und die Kunstfreunde, die sich durchaus nicht rar machten mit Bestellungen, wurden ganz verblüfft, wenn sie Stern so mit Arbeit überhäuft fanden, daß sie ein halbes Jahr und länger auf ein »Geburtstagsporträt« warten mußten.

Die beiden Glücklichen wurden beneidet und hatten viele »Freunde«, denen freilich auch die Regung des Neides nicht fehlte. Es war ein frohes Leben, und wenn die Sonne daheim nicht mehr so ganz den rechten Schein hatte oder die Wolken die richtige Farbe oder die Menschen die entsprechende Stimmung, dann packte man ein und fuhr in die große, weite, frohe Welt hinaus.

Jahr um Jahr verging, der kleine Marko – so hieß ihr Sohn – bekam ein Schwesterchen, und da es daheim in den Frühlingstagen zur Welt kam, nannte man es Viola.

Gold kam hinein und floß hinaus, und an Vermögen war eigentlich nichts weiter da, als das kleine ursprüngliche Kapital der Mutter. Das durfte niemals angerührt werden.

Dann mußte man ruhiger leben um der Kinder willen. Denn sie mußten ja zum ordentlichem Schulgang angehalten werden; man ließ sich in der Reichshauptstadt nieder, malte teure Porträts und reiste im Sommer, wenn die Kinder Ferien hatten, statt wie früher, zu Weihnachten in den fernen, schönen, sonnigen Süden.

Ach, das wurde zwar warm und oft unerträglich; aber das Gesindel, dessen Bilder man malte, mußte das Elend bezahlen!

Anfangs schien man auch dazu bereit zu sein. Sie kamen einer nach dem andern und feilschten nicht, obgleich ihnen ihre Börse leid that.

Hm, was wollte das sagen? Professor Stern hatte nach Verlauf einiger Jahre sicherlich noch vollauf so viel zu thun, begann aber mit Unruhe zu bemerken, daß er das eine Bild nach dem andern zur richtigen Zeit fertigzustellen vermochte.

Er war ja nun meist daheim, und man brauchte sich nicht mehr gerade in Reih und Glied aufzustellen, meinten die Besteller.

Stern wurde nervös und begann sich kostbar zu machen. Er refüsierte »Gesichter«, die ihm nicht gefielen; er beschloß, zwei Monate »indisponiert« zu werden, um zu sehen, wie das der Welt imponierte, und wollte man in drei Monaten von ihm ein Porträt haben, dann sagte er immer »sechs«.

Aber das hätte er nicht thun sollen; er wurde seltener als früher aufgesucht und sah eines Tages in dem Atelier eines jüngeren Kollegen eine »Visage«, die er versprochen hatte »möglicher Weise im Frühling vorzunehmen«.

Sein Herz krampfte sich in Angst zusammen. Was lag denn da in der Luft, in dieser schlechten dicken, nebligen Winterluft ohne Winter?

Ach, die Popularität ist ein launisch Ding, das Publikum wechselt seine Günstlinge, wie ein Kind seine Spielsachen; er begann allmählich zu fühlen, daß seine beste Zeit vorüber war.

Die Zeitungen sagten noch immer, »unser großer Künstler«, jeder Gutsbesitzer, der ihm vorgestellt wurde, fühlte sich sichtlich sehr geschmeichelt, die Kunstvereine des Auslandes waren artig und aufmerksam, und römische Marquis, excentrische Prinzen und abgesetzte Präsidenten südamerikanischer Republiken in Paris sandten ihm Neujahrskarten.

Als aber der Sommer kam, und man endlich aus dem dumpfen Heim zu den alten, bekannten, herrlichen, lockenden Plätzen draußen in der weiten Welt hinausfliegen sollte – da waren nicht die Mittel dazu da.

Man mietete also Sommerlogis in einem kleinen Ostseebade, erklärte, daß es im Süden zu warm wäre und es Thorheit sei, das eigene Land nicht zu kennen.

Im Winter war Professor Stern gewissenhaft auf allen Diners und Soupers, zu denen er kommen konnte, leitete mit reichen Kaufleuten und Rentiers Gespräche über Kunst ein und berührte selbst in seiner Weise die Porträtfrage.

Einige kamen, »saßen« und bezahlten, andre fragten gradezu, was es kostete, noch andre antworteten ausweichend, und andre hatten bereits ein Porträt, das von dem »jungen, talentvollen Maler X. gemalt sei, den der Herr Professor wohl kannte.«

Er begann verstimmt zu werden.

Die Sorge legte drückend ihre schwere Hand auf sein Talent. Stern fing an, Handwerkergefühle vor seiner Staffelei zu bekommen, Empfindungen, die in verhängnisvoller Weise denen glichen, die den Holzhauer vor einer Klafter Holz überkommen.

Seine Erfolge in der Jugend waren zu leicht errungen, um jene tiefe, innige und hingebungsvolle Liebe zur Kunst zu erzeugen, die in jenen schweren Kämpfen und bitteren Enttäuschungen, bis das Glück kommt, zu entstehen pflegt. Er hatte sich nicht in genügendem Maße die Kunst selbst als Ziel gesetzt, sondern darin meist nur ein Mittel gesehen zu einer angenehmen Existenz, einem Leben in Sonnenschein, mit einem Goldstrom in der Tasche.

Nun beim Niedergang begann er seine Ideale zu putzen, hielt es plötzlich für nötig, die Fahne aufzupflanzen, und warf eine Hotelbesitzerin hinaus, die ein »nettes Porträt für 200 Kronen in sechs Wochen« haben wollte.

Und dann schloß er sich ein und malte ein großes Gemälde für die große Kunstausstellung: »Heiliger Abend«. Ein Glockenstuhl, schwingende Glocken, Gräber, Meer, ein Boot auf dem Wasser und eine trauergebeugte Frau auf einer Kirchhofsbank. Preis 4500 Mark.

Ein Kritiker sagte: »Der hochgeschätzte Künstler hat hier ein Werk zustande gebracht, das an seine ersten prächtigen Arbeiten erinnert,« ein andrer: »Die Routine und meisterhafte Technik kann man nicht verkennen; aber das Kolorit und die Stimmung zeugen gewissermaßen von abnehmender Schöpferkraft, die seit langer Zeit keine neuen Eindrücke draußen in den Weltstädten aus den lebendigen Quellen der Kunst gesogen hat.«

Aber die übrigen Kritiker waren gemütlich und freundlich und schworen darauf, daß Professor Stern als schaffender Künstler niemals höher gestanden hätte, als gerade jetzt.

Schließlich bot ein Mehlgroßhändler fünfzehnhundert Mark für das Bild und bekam es.

Man wechselte die Wohnung und bezog eine billigere.

Er mußte eines Tages seinem geliebten Weibchen sagen, daß er kein Geld habe, als sie ihn um ein einfaches Soireekleid bat, und dabei fiel ihm ein, daß er einmal für teures Geld auf drei Tage einen kleinen Dampfer gemietet hatte, damit sie für sich allein eine Rheinfahrt machen konnten. Er, der Farbenkünstler, dem die vollendetste Zeichnung nur als ein unheimlich, grinsendes Skelett erschien, stand eines Tages in ziemlich abgenutzter Kleidung im Wartezimmer des Herausgebers einer illustrierten Zeitschrift. Und er, der Gourmand und Weinkenner, kaufte auf dem Heimwege beim Kolonialwarenhändler eine Flasche Sherry, um daheim das »Glück« zu feiern, daß er die gesuchte Anstellung erhalten hätte.

Arm in Arm gingen sie, er und sie, ein wenig gebeugt, ein wenig grau, mit zahlreichen Runzeln und Fältchen um die wehmütig blickenden Augen, in Mänteln von etwas veraltetem Schnitt, und guckten durch die Fenster in die vornehmen Restaurants hinein und fuhren zusammen, wenn sie Bekannte an den Tischen sahen. Manchmal gingen sie auch selbst hinein, mußten das zweifelhafte Vergnügen aber mit erhöhter Sparsamkeit daheim an den eigenen Bedürfnissen und denen der Kinder büßen.

Ja, die Kinder!

Sie waren nun zu groß und verständig, um noch weiter danach zu fragen, warum man es nicht mehr so hatte wie früher, aber sie sperrten voll Erstaunen die Augen auf, wenn Vater und Mutter in ihren Gesprächen ihr früheres Leben schilderten, das so froh und so glänzend gewesen war.

Dann mußten sie die Köchin entlassen und an deren Stelle ein junges Mädchen nehmen, und Mama mußte noch mit zweiundvierzig Jahren kochen lernen.

Am selben Tage kam aber als Entschädigung der Christus-Orden vom König von Portugal.

Sterns Augen begannen schwach zu werden, und der junge Mensch, der die illustrierte Zeitschrift redigierte, bat ihn, ihn, den Professor Waldemar Stern, freundlichst einige Figuren auf dem neuesten Vollbilde umzuzeichnen.

Mittags, als der Sohn, der nun Gymnasiast und großer Ästhetiker war, zu der sehr einfachen Tafel nach Hause kam, rief er plötzlich: »Ich war im Vorbeigehen im Kunstsalon und sah das neue Gemälde ›Einsam im Leben‹ von Berghold. Nein so ein herrliches Weib habe ich noch niemals gemalt gesehen!«

Da funkelte es in Stern's Augen auf, wie eine Erinnerung an alte Zeit, und eine große, klare Thräne schlich sich aus seinen Augenwinkeln hervor.


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