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Eine Enttäuschung

Herr Emil Land fühlte sich körperlich und seelisch besonders wohl. Er hatte sich für einen Monat von allen Geschäften frei gemacht und wollte sich amüsieren. Die Geschäfte gingen so gut, daß er ohne Bedenken zweitausend Mark auf Reisen mitnehmen konnte, die ausgegeben werden durften.

Er war noch jung, nur siebenunddreißig Jahre alt und konnte das Leben noch in vollen Zügen genießen. Seine Zähne waren wohlerhalten, er war frisch und stark, Junggeselle und nicht verlobt, aber mit viel Sinn für weibliche Schönheit. Er trug neue, elegant sitzende Kleider und hatte einen zweiten solchen Anzug in seinem Koffer. Er hatte gut gefrühstückt und am Abend vorher gebadet. Seine Stiefel drückten ihn nicht und sahen doch elegant aus. Er hatte ein reines Gewissen und sah sehr nett aus, ohne eigentlich schön zu sein.

Für einen solchen Mann ist es ein Vergnügen, hinauszureisen und sich ein wenig auszulüften.

Er war auch sehr zufrieden mit sich selbst und der Welt, als er in den Eisenbahnzug einstieg, der ihn nach dem Norden führen sollte, und hätte er nicht den Staub im Waggon gefürchtet, der sich auf seinen feinen Reiseanzug legte, dann hätte er das seltene Bild eines völlig zufriedenen, glücklichen und sorgenlosen Mannes gewährt.

Aber er war noch keine fünfzig Kilometer gefahren, so war er schon weniger zufrieden. Ahnungen begannen in seinem Innern aufzusteigen, daß es auf der Erde, ja in seinem eigenen Coups noch glücklichere Menschen gab als ihn. Da saß nämlich ein junges, schönes Paar in fast ebenso feinen Kleidern, wie er selbst, blühend vor Gesundheit, im Lenz des Lebens, glücklich und offenbar in inniger Liebe verbunden.

Emil Land seufzte. Er reiste allein und hätte gern diese da oder eine ähnliche als Frau mitgehabt, denn ein so entzückendes Geschöpf hatte er noch nicht gesehen.

Seine Gefühle, die für gewöhnlich sich recht ruhig verhielten, steigerten sich jetzt rasch, da er an nichts Anderes zu denken hatte. Nach fünfundfünfzig Kilometern war er auf den andern Herrn neidisch, nach sechzig haßte er ihn, nach siebzig leitete er ein Gespräch ein, nach achtzig nahm er seine Karte vor und meinte, es sähe danach aus, daß sie eine weitere Strecke zusammenreisen würden und daher ...

Der fremde Herr, der nur gebrochen deutsch sprach, sagte, er hieße Louis Regard, und stellte die Dame als seine Schwester Mademoiselle Josephine vor.

Seine »Schwester«! »Mademoiselle«! Emil Land war gutherzig und nicht nachtragend. Sein Haß verschwand und machte einer Sympathie Platz, die sich mit jedem Kilometer steigerte.

Mademoiselle Josephine war eine reizende Reisegefährtin, lebhaft und interessant, ohne alle Prüderie, die unsere Mädchen so reizend macht, wenn man mit ihnen in Gesellschaft verkehrt, die einen aber zur Verzweiflung bringen kann, wenn man sie auf Reisen trifft, wo die Zeit beschränkt ist.

Als sie hundert Kilometer gefahren waren, liebte Emil Monsieur Regard wie einen Bruder und beschloß, zu sterben oder sein Schwager zu werden.

Wenn es nötig sein sollte, würde er um weitere zweitausend Mark nach Hause schreiben und ihnen bis an's Ende der Welt folgen.

Man behauptet, daß es keinen vollkommen glücklichen Menschen geben könne; aber während mehrerer Stunden war Emil ein solcher Mensch.

Es gab Augenblicke, da er gewünscht hätte, Mademoiselle Josephine wäre etwas weniger vornehm zurückhaltend gewesen, denn, trotz all ihrer Lebhaftigkeit und Offenherzigkeit, war sie doch so, daß Herrn Emil Land die zärtlichen Worte im Halse stecken blieben, wenn er die weicheren Gefühlssaiten berühren wollte; aber war sie nur erst die Seine, dann würde er über diese noble Art, die Leute von sich fern zu halten, noch viel stolzer sein.

In einem andern Augenblick lieh er Monsieur Louis siebenhundert »Francs«. Emil war in seinen Freundeskreisen dafür bekannt, daß er solche kleinen Dienste nicht gern leistete. Aber es ist ein Unterschied, ob ein alter, bekannter Trottel daherkommt und Geld leihen will, oder ein feiner, junger Franzose mit solch einer Schwester die Summe in »Francs« haben will. Und es ist ein Unterschied, ob der Borger sich schüchtern und verlegen in's Kontor schleicht und einem das Geheimnis seines Herzens anvertraut, als wenn es sich um einen Kindesmord handelte, oder mit blitzenden Brillantringen an den Fingern vor einem sitzt und von der Sache als einer Bagatelle spricht, einer Verlegenheit, die dadurch entstanden ist, daß man schneller abreisen mußte, als man erwartet hatte, so daß der Bankier nicht die richtige Adresse hatte.

Und es gab noch andere Augenblicke, da Emils Herz nahe daran war, vor Liebe zu brechen, da er es ganz unmöglich fand, in seiner Brust diesen – Ocean seiner Liebe, diesen Vesuv seines Verlangens zu verschließen.

Und schließlich kam ein Augenblick, da er infolge der Zerstreutheit des lieben Louis im Eisenbahnrestaurant für drei bezahlen mußte.

Sie blieben ein und einen halben Tag an einem dieser Nordlandsplätze, die der liebe Gott in strahlender Sonnenlaune geschaffen zu haben scheint. Aber auch hier verstand es Mademoiselle Josephine, ihn durch entzückende Schamhaftigkeit daran zu verhindern, ihr sein Herz zu öffnen.

Statt dessen durfte er vier Flaschen Pommery öffnen lassen.

Am Tage schwamm Emil Land in einem Meer von Staub, Rauch, Liebe und moussierenden Weinen, in den Nächten stand er ohne Rock und Weste und mit offenem Hemd am Fenster, damit der Nachtwind seine heiße Brust kühlen sollte. Dabei seufzte er »Seelenfängerin!«

Unterwegs hatte er schon einen Sprachführer gekauft, um zu sehen, ob es leichter sein würde, in ihrer eigenen Muttersprache zum Bekenntnis zu schreiten; aber da stand nur von Hotels, Eisenbahn, Besuch in Läden und dergleichen.

So versuchte er es denn mit der Augensprache, mit solchem Erfolge, daß Josephine mit wahrnehmbarem Erschrecken rief: »Mein Gott, Sie haben sich wohl beim Baden erkältet! Sie sehen ja aus, als wollten Sie sterben!«

Am Abend darauf wurden seine Gefühle übermächtig, und über seine Lippen brach eine brausende Flut von Worten hervor, die einen Teil von dem verrieten, was er für sie empfand. Das schien jedoch mehr, als genügend zu sein, denn Mademoiselle Josephine wurde von solch verschämter Verwirrung ergriffen und konnte nichts weiter sagen, als daß sie es für unmöglich hielte, daß sie etwas mehr, als Freunde, für einander werden könnten.

Nachdem er in glühenden Farben seine Liebe geschildert, fiel ihm der praktische Sinn der Franzosen ein, und er begann, seine Vermögens- und Geschäftsverhältnisse in einer Weise darzustellen, die zu seinem Unglück hätte werden können, wenn daheim ein Steuerkommissionsmitglied etwas davon gehört hätte.

Sie lauschte seinen Vertraulichkeiten mit feuchten Augen, sagte aber, sie dürfte seinen verlockenden Anerbietungen nicht Gehör schenken.

Sie »dürfte« nicht? Hätte sie denn einem Andern Treue gelobt? Er wäre kein Gentleman, wenn er nicht zurücktreten wollte, sobald er erkennen würde, daß er nicht mehr ihr Herz besäße; andernfalls erbot Land sich, ihn aufzusuchen und ihn totzuschießen!

Da sagte sie, er kenne eben nicht ihr Leben und ihre Verhältnisse.

Worauf Herr Land sehr fein antwortete, daß er auch die Sonne nicht näher kenne oder den Himmel und die kleinen Engel, aber sie doch von Herzen lieb hätte.

Als er dann aber zum Angriff überging und sie in seine Arme schloß, ließ sie sich allerdings einigemal küssen, riß sich dann aber in holder Verwirrung los, versprach, sich am nächsten Tage näher zu erklären, und eilte aus dem Garten des Hotels, wo diese Scene stattgefunden hatte, auf ihr Zimmer.

Herr Emil Land lag in Liebe und Schmerz und Leid bis drei Uhr morgens wach. Als er dann endlich einschlief, forderte die Natur ihr Recht, und er schlief bis neun Uhr.

Da erhielt er ein kleines Billet, das ihn benachrichtigte, die geliebte Reisegefährtin wäre mit dem Frühzuge um fünf Uhr abgereist, dankte ihm für angenehme Gesellschaft und drückte die Vermutung aus, daß sie sich kaum im Leben wiedersehen würden.

Es kann wohl für die Stärke seiner Gefühle Zeugnis ablegen, daß Emil Land in diesem Augenblick seinen siebenhundert Francs keinen Gedanken widmete.

Er kam als enttäuschter Mann nach Hause sicherlich reicher an Erfahrung, aber mit großen Flecken auf den hellen Sommeranzügen, nicht erst zu reden von dem gebrochenen Herzen.

Alles, was die Mädchen und Mütter daheim auch für ihn thaten, war vergebens. Ebensogut hätten sie mit dem Pumpenschwengel kokettieren oder mit einem Porzellanhündchen flüstern können.

Im folgenden Jahr trieb es ihn wieder hinaus, nicht gerade das Verlangen, sich zu amüsieren, sondern die geheime Hoffnung, Mademoiselle Josephine wiederzusehen.

Und seine Hoffnung sollte sich erfüllen!

Nicht in einem Eisenbahnwagen, nicht in einem eleganten Badeort, nicht in einem Theater, oder auf der Straße, sondern zuerst auf einem Zirkusprogramm als Schulreiterin und dann im Zirkus selbst.

»Geliebte! Dein Beruf war also der Grund, weshalb du nicht die Meine werden wolltest! Du schämtest dich deiner Lebensstellung und flohst aus zarter Rücksichtnahme! O, ich werde dich besitzen, ob du nun am Trapez arbeitest oder auf einem Seil unter dem Dache wie eine Fliege auf- und abgehst!«

So sprach Emil Land zu sich selbst.

Nicht einmal jetzt dachte er an seine siebenhundert Francs, wiewohl er Monsieur Louis Legard in einem Clown erkannt hatte, so daß die Wiedererlangung der Summe nicht gerade im Gebiet der Unmöglichkeit gelegen hatte.

Aber war Monsieur Louis wirklich ihr Bruder?

Im Theater und Zirkus nimmt man es bisweilen nicht so genau mit der Verwandtschaft...

Herr Land war durch Leiden und Unglück geläutert, er stürzte nicht auf die Geliebte zu, um sie in seine Arme zu schließen, er machte sich vielmehr mit einem der Stallmeister bekannt, lud ihn zum Mittag ein und machte ihn betrunken.

Und dann fragte er:

»Ist Monsieur Louis Mademoiselle Josephinen's Bruder?

»Ja.«

»Ist ... ist Mademoiselle Josephine ein tadelloses, korrektes Weib?«

»O ja, eine feine Dame.«

»Weiß man von ihr ... hat sie ... hm ... jemals ein galantes Abenteuer gehabt?«

»Niemals!«

Alles Blut strömte Herrn Land zum Herzen. Die Geliebte! Mit seinem Bilde im Herzen hielt sie sich allen Andern fern! Mit Jubel in der Stimme fragte er weiter:

»Man weiß nicht, warum Mademoiselle Josephine so kalt gegen Männer ist?«

»Ach, Monsieur! Sie ist, wie ich schon sagte, eine feine Dame, die sich nicht kompromittiert. Seit fünf Jahren ist sie glücklich mit dem Schulreiter Martin verheiratet und hat ein entzückendes kleines Baby. Sie wissen doch, daß sie Madame Martin heißt? Mademoiselle Josephine ist nur ihr Künstlername. Ist Ihnen nicht wohl, Monsieur? Wollen wir vielleicht gehen?«

Herr Emil Land fuhr sofort nach Hause ohne seine Geliebte wiedergesehen zu haben, und war drei Wochen später mit der Tochter eines Stadtrats in seiner Vaterstadt verlobt.


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