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Der Droschkenkutscher

Der Gymnasial-Hilfslehrer Ernst Wallner hatte sich sehr früh und »aus Liebe« verheiratet, bevor noch ein Heller von seinen Studentenschulden bezahlt war, und mit dem ärmsten Mädchen, das er finden konnte.

Das war herrlich – eine Zeitlang; denn es ist wirklich ganz entzückend, jung und frisch und voll Glut zu sein, ohne Fettbildung am Herzen und ohne Verkalkung in den Adern, und dann diejenige in seine Arme schließen zu können, die man am meisten von allem auf Erden liebt, und von ihr als einer der besten Männer der Zeit betrachtet zu werden, der nur ein wenig »Glück« braucht, um auch ein »großer Mann« zu sein. Mag er auch schmalbrüstig sein, und sie eine Kartoffelnase haben und leicht »verstimmbar« sein, sie bleibt doch das »beste und holdeste Weib« und er ein »Mustermann«.

Aber nun hatte Ernst Wallner genug von dem »Festmahle«, wie er da zwischen seinen alten rumpligen Möbeln mit schmutzigen Überzügen umherging, deren »Besitzerin« nach dem Konkurse und dem »Ankauf« durch gute Freunde und der Aufhebung der Gütergemeinschaft Frau Elise Wallner war. Er ging mit Manschetten umher, die sorgfältig mit der Papierschere »beschnitten« waren, in »umgewendeten« Kleidern mit Brusttaschen außen auf beiden Seiten, damit die Leute nicht recht wissen sollten, wie es mit seinem Rock stände. Er trug in seltsamer Weise geflickte Stiefel und gab fünf Privatstunden am Tage.

Sowohl er, als Frau Elise waren zu ehrenhaft, einander in der Not zu hassen und die Ehe an sich unglücklich zu machen; sie lebten ruhig und still, wie zwei hungernde Schiffbrüchige auf einem Boot; aber beide erkannten, daß es »anders« vielleicht hätte besser für sie werden können.

Und als dann ihre Tochter zwanzig Jahre alt war, schön, wie knospende Apfelblüten, und gewachsen, wie eine Nymphe, freundlich und hold und mit klarem Kopf – wer wird sich wundern, daß sie ihr ein besseres Los gönnten, als sich selbst? Wer wird es erstaunlich finden, daß ihre Mutter sie vor armen Männern fast mehr warnte, als vor der Sünde?

Aber Thora Wallner hatte das jugendliche, dumme, warme Herz ihrer Eltern geerbt, und darum schenkte sie es natürlich dem ärmsten Manne, den sie auf dieser Erde traf, dem Sohn eines Hilfspfarrers in dem Dorfe, wo der Gymnasiallehrer in einer Hütte seine Sommerwohnung zu mieten pflegte. Der junge Mann war damals Student der Philosophie und hatte bereits bei der Sparkasse der Gemeinde eine Anleihe mit der Unterschrift seines Vaters und des Pastors gemacht.

Thora sah die Not und die Sorge daheim, sie sah die verhärmten Züge der Mutter und den elenden Anzug des Vaters; aber sie sah auch Axel Thorens flotte Gestalt, seine leuchtenden dunklen Augen und wallenden Haare, und da wurde sie eigensinnig und verdrießlich, eilte über Berge und Thäler, sprang über Gatter und Zäune und ruhte in den starken Jünglingsarmen und ließ sich von jugendfrischen Lippen küssen.

Aber dann kam ein Sommer, in dem sie all das Herrliche nicht sah, da Axel an einem andern Ende des Landes eine Stelle als Hauslehrer hatte, und da selbst die fünfzig Mark, die die Sommerwohnung kostete, für den armen Papa zu viel wurden, da Mama so beängstigend hustete und Papa weinte und sie ihre Wohnung in der Stadt gegen eine noch kleinere in einem Vorort vertauschen mußten.

Und in dem darauffolgenden Herbst wurden in dem feinsten Hause der Hauptstraße der Stadt in der Parterre-Etage große Fenster ausgehauen und Ladentische hineingesetzt, und in den großen Schaufenstern Decken, Teppiche und Gardinen ausgestellt und in einem eine Figur, die so fein drapiert war mit Seide, Samt und Spitzen, wie man es noch nicht einmal bei der Landrätin gesehen hatte.

Und Besitzer all dieser Herrlichkeiten war der Kaufmann Willgott Andersson, der kam, Thora Wallner sah und sich besiegt fühlte.

Er war den ganzen Winter hinter ihr her, er verkaufte an Frau Wallner einen Plüschmantel für 40 Mark, der besser war, als ihn die Frau Rektorin für 80 Mark gekauft hatte, weil »sie es war«, und als der Frühling kam, legte er Thora sein Putz- und Modewaren-Magazin, sowie seine eigene kleine gestutzte und keineswegs unansehnliche Persönlichkeit zu Füßen.

Mama hustete schlimmer, als je. Bruder Gustav war neulich aus seinem Posten als Bahnassistent an einer kleinen Station Knall und Fall entlassen – es war wohl etwas bei der Kasse nicht in Ordnung – und wenn Besuch kam, mußte Thoras Shawl »zufällig« immer so auf die Ecke des Sofas in Papas Zimmer hingeworfen liegen, daß man nicht die Spuren der Füße des Familienversorgers sah, die da dreißig Jahre beim Mittagsschläfchen geruht hatten.

»Ich will dich nicht zwingen, Kind!« sagte eines Tages der Gymnasiallehrer Wallner und strich mild über Thoras glänzendes, braunes Haar hin, »aber – hast du die Einkommen-Steuereinschätzung in der Zeitung gesehen?«

Das hatte sie. Da stand eine Zeile: »Großkaufmann W. Andersson... 12000«

Zwölftausend Mark im Jahr, das war Reichtum in dem Städtchen, und Axel Thoren mußte noch drei Semester studieren.

Aber es ging nicht so schnell. Thora Wallner hatte ein kleines, aufrührerisches Herzchen, das dagegen kämpfte, so sehr es vermochte; aber schließlich es ging doch, und nach einem Kampf von einem Jahr wurde aus dem Lager des Anderssonschen Magazins das prächtigste Brautkleid genommen, das vorhanden war. – – –

Axel Thoren hatte begonnen Trinker zu werden. Na, das wäre er vielleicht auch sonst geworden; es giebt viele junge Männer, denen das passiert.

Und als der alte Dompropst in der Kirche gerade las: »Darum thue Gott danken für solche eine Gattin...« und Mama hustete und weinte und Papa sich vor Rührung die Nase schnob und Thora erbleichte, sodaß ihr Schwesterchen unwillkürlich die Arme nach ihr ausstreckte – gerade da schaufelte ein mächtiger Propeller den Axel Thoren über das Atlantische Meer nach dem freien Amerika, da er wohl eine dunkle Ahnung hatte, daß sein Vaterland ein bißchen eng werden würde für ihn und das Ehepaar Andersson.

Nun sagt man oft, daß man »drüben« besser »fortkommen« könne, als in der Heimat; aber keine Regel ohne Ausnahme. Willgott Anderssons Geschäfte daheim gingen vortrefflich, die Axel Thorens im neuen Erdteil so schlecht, wie möglich.

Die Anderssonschen Eheleute bekamen Söhne und Töchter, die Taufe ihres vierten Kindes war eines dieser Feste, die man in kleinen Städten nicht so bald vergißt.

An diesem Tage war auch Axel Thoren in festlicher Galakleidung und feiner, als je, denn gerade, als die kleinste Andersson im gestickten Tragkleidchen mit Seide darunter in die Kirche getragen wurde, wo der Dompropst ihrer wartete, zog Thoren als Unteroffizier in der Uniform des königlichen Gardekorps unter klingendem Spiel von tausenden von Menschen bewundert, mit der Wachtparade über den Schloßplatz zum Königsschloß, nachdem Amerika sich als nicht passend für seine Begabung erwiesen hatte.

Willgott Andersson ging es ökonomisch zu gut, und er war seelisch zu eng, um eine Frau wirklich unglücklich zu machen. Die Zeit verging, und Thora lebte dahin. Ihr Herz blutete anfangs, verblutete aber nicht; sie vergaß niemals ihre Jugendliebe; aber diese wuchs tiefer und tiefer ins Herz hinein, und die Wunde vernarbte, wie eingeschnittene Namen in weißen Birkenrinden, wenn die Witterung hilft und Jahre vergehen.

Und sie half den Ihrigen, so gut sie konnte, und nahm seine Gewohnheiten an und ließ bisweilen ein wenig ihr Gold klingen. –

Und an einem Sommerabend stampfte sie mit ihren zierlichen Lackschuhen ebenso ungeduldig den Boden im Vestibül des Grand Hotel in Stockholm, wie ihr Mann mit seinen Promenadenschuhen, als der bestellte Mietswagen nicht kam, mit dem sie hinausfahren wollten, um im Freien zu soupieren. Und sie rief zornig: »Nehmen wir einfach eine Droschke!«

Das thaten sie.

Es war schön und gemütlich draußen, das Essen in dem eleganten Restaurant vorzüglich, der Champagner gut gekühlt, das widerspänstige Herz längst gebändigt, und das Leben lag gleichförmig, wie ein Schachbrett vor Herrn Willgott Andersson und Frau.

In dieser Stimmung bekam der Droschkenkutscher ein weit besseres Trinkgeld, als es sonst üblich war.

Man fuhr zur Stadt zurück und hielt spät am Abend vor der Opernterrasse. Eine halbe Stunde dort oben mit dem Blick auf den Strom ist so schön, und ein bißchen schwärmen schadet nichts, wenn man einmal auf 18&nbsp;000 Mark Jahreseinkommen eingeschätzt ist, wie es Herr Willgott Andersson nun war.

»Hm – ich habe kein Geld mehr. Wir müssen's dem Oberkellner sagen... oder hast du vielleicht...?« sagte Herr Andersson, als sie am Hotel ausstiegen.

Ja, Frau Willgott Andersson, geb. Wallner, hatte so viel Geld bei sich, daß sie den Kutscher bezahlen und ihm auch ein Trinkgeld geben konnte.

Als sie aber mit einem freundlichen »Bitte sehr!« ihm die Münzen hinaufreichte und ihm dabei zugleich ins Gesicht sah, entfuhr ein erstickter Schrei ihren Lippen, und sie wäre beinahe auf dem Trottoir umgesunken, wenn ihr Mann nicht schnell den Arm um ihren Leib gelegt hätte.

»Was ist dir, Thora?«

»Ach, mir ist plötzlich so schlecht... komm, gehen wir hinein!«

Herr Willgott Andersson sah im Hineingehen erstaunt der Droschke nach, die plötzlich in rasender Schnelligkeit davonsauste, sodaß der Schutzmann an der Ecke dem Kutscher warnend drohte.

***

An einem auf den Strom hinausgehenden Fenster des Hotels saß Frau Willgott Andersson sehr bleich, mit wunderlich großen, starren Augen, als wenn sie in weite Ferne blickte. Sie fror, trotz des schwülen Sommerabends, und meinte, eine Tasse Thee würde ihr gut thun.

Aber in dem engen, schmutzigen Hof des Droschkenstalls stand ein Kutscher gegen die Droschke Nr. 407 gelehnt und hielt die Hand vor die Augen und wurde von konvulsivischem Weinen durchschüttelt, während einige blanke Thaler auf dem Kissen und dem Fußbrett des Bocks lagen und im Mondschein blinkten.

Aber da nahm der Futterinspektor ein Blatt vom Mund und sagte in der stillen Nacht:

»Na, weeßte, Axle, bei dich is det Dillirium nu aber ooch schon im höchsten Jrade ausgebrochen! Du willst vielleicht, daß 'n andrer ooch deene Kutsche nimmt? Ik segg' dir, Axle, nimm dir in acht, du alter Fuselfritze, daß du nich ooch hier an die Luft fliegst, wie beim Regiment! Ein Kerl, der heult! Pfui Deiwel, dat is der Suff, lieber Thoren!«


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