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VII.
Abendsonne.


Die verzweifelten Bitten und glänzenden Anerbietungen, mit denen der schon recht alte und gebrechliche Gastwirth Lindberg das Herz Mariens zu rühren suchte, als sie ihm ihren bestimmten Entschluß mittheilte, daß sie aus ihrer Stelle auszutreten wünschte, wollten gar kein Ende nehmen. Schließlich, als garnichts anderes half, erbot er sich – puh – kurz und gut – das ganze »Goldne Roß« unter günstigen Abzahlungsbedingungen zu einem bescheidenen Preise an sie zu verkaufen.

Aber Marie blieb unerbittlich. Hauptmann Malm konnte nicht gut zum »Direktor«, wie man in den Großstädten sagt, des alten Restaurants gemacht werden, in dem er einmal seine monopolisirte Ecke gehabt hatte und dessen vornehmster Gast er gewesen war. Und ihm ihr Wort zu brechen, daran dachte sie ebenso wenig, als wenn sie ihn von ganzem Herzen geliebt hätte. Nein, nein, nun wollte sie Ruhe haben, nun wollte sie um jeden Preis ein Ende machen und für immer von dem »Goldnen Roß« scheiden. Als die Abonnenten ihren Beschluß erfuhren, verbreitete sich unter ihnen eine gewisse Verstimmung. Sie hatte keinen von ihnen begünstigt und darum war sie bei allen sehr beliebt. Sie meinten, es würde hinter dem Büffett leer werden, wer auch ihren Platz einnehmen möge, und sie hatten düstere Ahnungen, daß das Essen, sowie die Ordnung im Lokal, sehr viel schlechter werden würde, sobald sie erst fort wäre. Der Wirth im »Rathhause« jubelte, rieb sich die Hände, nahm tief seinen Hut ab und verneigte sich lachend, als er Marie auf der Straße begegnete, und konnte gar kein Ende finden, zu erzählen, was für ein vortreffliches Frauenzimmer sie wäre, – nun – da sie seinen Konkurrenten verlassen wollte.

Wo wollte Marie eigentlich hin? Das wußte niemand, und sie sagte auch nichts darüber, sondern nur, daß sie zum Frühjahr oder bestimmter am 1. April, fortwollte, »gerade dann, wenn die Erntezeit – puh – puh – für mich Armen beginnen soll – denn ich wohne hier ja – kurz und gut – beinahe auf dem Lande«, klagte der alte Lindberg.

Hauptmann Malm kam und ging, wie früher. Einen Augenblick hatte er daran gedacht, während ihrer »stillen Verlobungszeit« im »Rathhause« zu essen, aber dann fiel ihm wieder ein, daß er 53 Jahre alt wäre und nicht mehr Zeit übrig hätte, sich auf solche feinfühlige Entsagungen einzulassen, daß er während mehrerer Monate nur ausnahmsweise das schöne, prächtige Weib sehen sollte, das versprochen hatte, die Seinige zu werden.

»Warum können wir nicht schon früher Hochzeit machen?« hatte er gefragt, nicht mit der Ungeduld eines feurigen Liebhabers, sondern mit der Sehnsucht des Müden, zur Ruhe zu kommen.

»Ich hatte gedacht, wir könnten ein kleines nettes Landgut kaufen oder pachten, weit von hier, und dergleichen pflegt man ja immer im März zu übernehmen. Wir sollten vielleicht nun bald unsere Wahl treffen, dann alles in Stand setzen lassen und uns eine kleine Wohnungs-Einrichtung anschaffen, oder was meinst Du dazu?«

Er wurde über das ganze Gesicht roth und schlug die Augen nieder.

»Du bestimmst und ordnest alles, als wäre ich ein Kind, Marie. Aber Du bist klug und gut, thu' nur, was Du willst!«

Sie hatte noch mehr, als das, gethan. Sie hatte durch eine auswärtige Agentur, auf deren Verschwiegenheit sie sich verlassen konnte, aus Malm's Konkurs-Akten alle seine Gläubiger ermitteln und ihnen eine geringe Summe für all' seine Schuldscheine bieten lassen. Die Bürgen waren überrascht; nur einige glaubten, einen ökonomischen Aufschwung des alten Malm zu wittern, und begehrten 25 %. Die Uebrigen verkauften ihre Papiere für eine wahre Spottsumme. Als die Anderen aber in bestimmter Weise davon in Kenntniß gesetzt wurden, daß ein höheres Angebot nicht gemacht werden könnte und daß derjenige, der den Namen des Hauptmanns Malm wieder zu rehabilitiren wünschte, nicht in der Lage wäre, mehr als eine ganz geringe Summe dafür zu opfern, traten auch sie schließlich ihre werthlosen Papiere ab. Auf diese Weise wurde Hauptmann Malm ein schuldenfreier Mann, ohne selbst eine Ahnung davon zu haben.

Kurz nach Weihnachten bat Marie um einige Tage Urlaub und reiste dann fort. Kein Mensch bemerkte, daß auch Hauptmann Malm in den Tagen der Abwesenheit Mariens nicht im »Goldnen Roß« erschien. Einige Stationen von Naalköping entfernt trafen sie sich und dann fuhren sie zusammen hinaus in die Welt, um sich ein passendes Nestchen zu suchen. Marie hatte annoncirt und mit verschiedenen Leuten über die Sache korrespondirt, aber sie hatten bis zu dieser Reise noch niemals Gelegenheit gehabt, in völliger Ruhe ihre Gedanken über dieses Thema austauschen zu können. »Ah, guten Tag, Malm! Bist Du ausgeflogen und machst Reisen?« fragte eine helle, starke Stimme an einer Station am Coupéfenster.

Es war ein alter Kamerad vom Kadettenhause, der nun Oberstlieutenant eines Dragonerregiments war und den er seit vielen Jahren nicht gesehen hatte.

Er fuhr in derselben Richtung ein paar Stationen mit und verließ das Coupé in der vollen Ueberzeugung, daß der einst so flotte und geistvolle Malm jetzt ein sehr langweiliger Kerl geworden wäre.

Als sie sich abends an der Thüre von Mariens Hotelzimmer gute Nacht sagten, umarmte und küßte er sie. Es geschah dies erst zum zweiten Male seit der »Erklärung«. Auch das erste Mal war es unterwegs geschehen, gerade wie jetzt. Zwar hatte er sich ihr an einem ungewöhnlich stillen und öden Winterabend im »Goldnen Roß« mit einer Liebkosung nähern wollen, als sie sich allein wußten, aber da war sie ihm lachend ausgewichen und hatte gesagt: »Respekt vor der Kassirerin! Nicht in diesem Lokal, Herr Hauptmann!« Nun schien es ihr dagegen so schön und beruhigend, einen Augenblick ihren Kopf an seine breite Brust zu lehnen.

Es war für sie beide etwas so Neues und Pikantes, beim Frühstückstisch am nächsten Morgen in einem kleinen Zimmerchen hinter dem großen Speisesaal einander gegenüberzusitzen. Es lag keine Spur von dem Rausch Verliebter in den frohen Blicken, mit denen Malm Marie betrachtete; er war vielmehr der ruhige und kritische Beobachter, der sich an der weichen Anmuth ihrer Bewegungen, ihrem angenehmen, gesetzten Wesen und ihrem hübschen, frischen Gesicht, das noch in der vollen Hochsommerpracht des Lebens strahlte, erfreute. Womit hatte er wohl verdient, daß all' dieses sein Eigen werden sollte, – dies behagliche Heim, das sie ihm unzweifelhaft bereiten würde, und all' das Geld? Ganz philosophisch antwortete er sich selbst: dergleichen kauft man sich nicht; bekommt man es nicht geschenkt, dann erhält man es überhaupt nicht.

Aber dann nahmen seine Gedanken plötzlich eine andere Richtung, und diese mußte nicht gerade angenehmster Art sein, denn die Falte auf seiner Stirn grub sich immer tiefer ein, und schließlich mußte es heraus.

»Es fällt mir schwer, Dich daran zu erinnern, Marie; aber – hm – wenn wir nun die kleine Besitzung dort am Klar-Elf, die wir von all' den Offerten in erster Reihe in Aussicht genommen haben, pachten oder kaufen, dann – dann – darf mein Name nicht auf dem Kontrakt stehen – Du weißt ja –«

Ihr ganzes Gesicht leuchtete auf, und sie sah ihn mit lachendem Blick an.

»Ich denke doch, daß Hauptmann Malm's Name auf dem Kaufkontrakt seines zukünftigen Heims stehen darf!«

»Aber mein Konkurs –«

Sie sprang vom Tisch auf, eilte in ihr Zimmer hinauf und kam mit ihrer kleinen, zierlichen Reisetasche in der Hand wieder herunter.

»Ich war auf das, was Du soeben sagtest, vorbereitet. Sieh hier!«

Er durchflog mit erstauntem Blick all' seine Schuldscheine und schien gleichsam im Kopf nachzurechnen.

»Ja, es sind alle, ich weiß es.«

»Aber Marie, wie ist das zugegangen?«

Sie senkte den Kopf.

»Leider nicht so, wie sowohl Du, als ich es gern gesehen hätte. Ich mußte an unsere Zukunft denken und glaubte daher nicht die Mittel zu haben, für all' die Papiere da mehr, als armselige 1500 Kronen zu bezahlen. Ich hätte ebenso gern 37 000 dafür gegeben und sie »al pari« gekauft; aber wenigstens ist doch Dein Name jetzt frei und darf wohl auf dem Kontrakt stehen, Adolf! Denn Du sollst unsere Geschäfte führen, wenn wir unser eigenes Heim beziehen. Ich kann mich Dir wohl anvertrauen? Du hast Lehrgeld genug bezahlt.«

Er stützte die Ellenbogen schwer auf den Tisch und verbarg sein Gesicht einen Augenblick in den Händen.

»Zweifle niemals an meiner innigen Dankbarkeit, Marie. Aber Du begreifst wohl, daß es für einen Mann ein demüthigendes Gefühl sein muß, so für sich sorgen zu lassen. – Warum thust Du das eigentlich?«

»Habe ich es Dir nicht bereits gesagt? Darum, weil ich so müde war, weil kein Anderer es thut, und weil Du ein Mann geworden bist, ein Mann, bei dem ich mich so ruhig und sicher fühlen werde.«

»Aber ich werde bei Dir zu einem Gnadenbrodempfänger.«

»Welche Uebertreibung! Wenn wir unsere einfache Wohnung eingerichtet haben, wird die Rente des Restes meines kleinen Kapitals nicht für zwei Personen zum Lebensunterhalt hinreichen. Dann kommt der Herr Hauptmann und unterhält uns mit seiner Pension.«

»Die ist nicht groß, Marie.«

»Sie beträgt, wenn ich nicht irre, 2240 Kronen, nicht wahr?«

»Auf Heller und Pfennig! Du bist ein merkwürdiges Frauenzimmer, Marie!«

»Ich bin eine praktische Wirthschafterin, weiter nichts; aber Du weißt auch, daß ich ebenso fleckenrein bin wie irgend eine Hauptmannsfrau der ganzen schwedischen Armee«, sagte sie und fuhr mit der Hand liebkosend durch sein eisgraues, struppiges Haar.

Er ergriff ihre runde, weiße und wohlgeformte Hand und drückte gerührt einen langen Kuß darauf.

Sie entschieden sich für die kleine Besitzung am Klar-Elf, ein einfaches, aber schmuckes kleines Heim, mit etwas Landwirthschaft dabei, das groß genug für sie war. Alles war hübsch eingerichtet und gut im Stande. Da es mit allem äußeren Inventar nicht theurer zu stehen kam, als auf 10 000 Kronen, kauften sie es, anstatt es zu pachten, um das Bewußtsein zu haben, daß sie wirklich unter ihrem eigenen Dach wohnten. Der Lehnsmann des Kirchdorfs war als Zeuge bei der Kontraktunterzeichnung zugegen, das Handgeld wurde baar erlegt und Hauptmann Malm versprach mit einem unbeschreiblichen Ausdruck der Solvenz in seinem ganzen Wesen, den Rest bei der Uebernahme, Ende April, entweder in baarem Gelde oder mit einem Check auf eine einzelne Bank in Smaaland zu entrichten.

Seine Tischkameraden im »Goldnen Roß« hätten ihn, den »alten, ruinirten armen Kerl« nur sehen sollen, wie er diese stolzen Worte sprach.

Es war bei der Vorstellung ein wenig flüchtig zugegangen; der Lehnsmann redete Marie daher »Frau Hauptmann« an. Sie lachte und warf ihrem Bräutigam einen Blick zu, den dieser dahin übersetzte: Laß' ihn bei der Meinung.

Zwei Tage später stand Marie, wie gewöhnlich, ruhig und sicher am Büffett des »Goldnen Rosses« und am nächsten Tisch saß Hauptmann Malm und verzehrte sein Frühstück. Sie hatten nicht einen Blick eines heimlichen Einverständnisses, nicht ein Lächeln für einander.

Aber um die Mittagszeit, als Redaktionssekretär Malmen, der immer stolz darauf war, daß er alles wußte, sowohl das, was sich für die »Post« eignete, als auch das, was dort nicht hineinkam, zum Büffett hintrat und dort ein Glas Bier bezahlte, dachte Marie daran, was diese Zierde des Journalistenstandes nicht wußte.

»Ich glaube wirklich, Fräulein Marie, Sie lachen mir gerade in's Gesicht.«

»Nehmen Sie es mir nicht übel. Ich mußte gerade an etwas sehr Komisches denken.«

Noch am 31. März war es für ganz Naalköping ein Geheimniß, wo Fräulein Marie vom »Goldnen Roß« hinwollte. An diesem Tage geschah es, daß jetzige und frühere Abonnenten des Lokales ein Abschiedsfest arrangirten, bei dem ein schönes Collier mit dazu passendem Armband, das auf Grund einer Subskription unter den Gästen gekauft war, dem gefeierten Gegenstande überreicht werden sollte.

»Meine Verhältnisse erlauben mir nicht, mehr als einen Fünfer zu geben«, sagte Hauptmann Malm, als die Subskriptionsliste zu ihm kam.

Um 5 Uhr nachmittags am 31. März rechnete Fräulein Marie ihre Kasse und die Getränke zum letzten Male ab. Der alte Lindberg, der sie übernahm, da die »Neue« noch nicht gekommen war, wischte sich »kurz und gut« die Augen und war beim Rechnen durchaus nicht bei der Sache. »Es stimmt schon, wie es all' die vierzehn Jahre gestimmt hat«, meinte er.

Mit einem eigenthümlichen Gefühl trat Marie hinter dem Büffett hervor. Nun war sie für immer ein freier Mensch. Sie war allein in dem Raume, blieb eine halbe Minute stehen und sah, sah nur auf ihren alten Platz hin, der für sie soviel Arbeit, soviel Selbstüberwindung, manche Demüthigung und manchen erfreulichen Sieg bedeutete. Wir Menschen sind solche Sklaven der Gewohnheit, daß sie in diesem Augenblick fast ebenso viel Unruhe und Leere, als Freude empfand.

Wie, wenn es nun nicht gut abliefe! Wenn sie eines Tages einsähe, daß sie lieber noch ein Weilchen hätte hier bleiben, oder auch einsam von hier hätte fortgehen sollen!

Sie warf mit kurzer Bewegung den Kopf zurück und eilte die Treppe hinauf, um sich zum letzten Mal in ihrer engen kleinen Kammer anzukleiden. Keine Angst, kein Bedenken mehr! Sie wollte und mußte ihr eigenes Heim, Ruhe und Frieden und stilles Glück haben, bevor sie zu alt wurde, es zu genießen, und während sie ihr schwarzes, schweres Moirékleid anzog, wie nicht viele Hauptmannsfrauen im Ort eines hatten, und die goldene Uhr mit der massiven Kette umhing und eine Rose in das schöne Haar und eine andere an die Brust steckte, eilten ihre Gedanken zum freundlichen Ufer des Klar-Elf hin und dem kleinen hellrosafarbenen Hause mit Veranda nach dem Wasser zu, diesem Hause, in dem sie sich ihr Nest bereitet hatten.

Eine Weile später drückte sie mit einigem Herzklopfen auf den Thürdrücker zum großen Saale im zweiten Stock. Hier war der größere Theil der besseren männlichen Gesellschaft von Naalköping versammelt, sogar einige, die nur selten »ausgingen« und fast alle die »Abonnenten«, die sie vor vierzehn Jahren so neugierig gemustert hatten, als sie schüchtern und verzagt mit klopfendem Herzen die Treppe des »Goldnen Rosses« emporstieg.

Ja, der Sieg Mariens war ein vollständiger, die Aufrechterhaltung ihrer persönlichen Würde war vollkommen geglückt. Niemals hatte sie das besser eingesehen, als in diesem Augenblicke, wo sich alle voll Eifer freundlich und achtungsvoll um sie schaarten. Es machte dabei nichts aus, daß sie unter so vielen Männern die einzige Frau war. Sie wußte und fühlte, daß keine junge Dame in Naalköping in diesem Kreise mehr geachtet war, als die Marie vom »Goldnen Roß«, und ihre Wangen färbten sich purpurroth, und es wurde ihr um's Herz so warm, so warm.

Da blickte sie ihn an, der sich mehr im Hintergrunde gehalten und geglaubt hatte, daß dieser Abend für ihn sehr schwer und theilweise sogar demüthigend werden würde; aber nun freute er sich über den Ton, der bei dieser Festlichkeit von vorn herein angeschlagen wurde, und sah sie mit warmen Blicken an, in denen das Bedauern lag, daß er ihr nicht zehn Jahre seines Lebens mehr geben konnte; aber sein altes Herz thaute doch bei dem Gedanken auf, daß dieses Weib, das dort so schön, stark, klug, selbständig und doch herzensgut vor ihm stand, in drei Wochen die Seine werden würde.

Wenn einer der Anwesenden eine Ahnung gehabt hätte, daß sie gleichzeitig auch ein Abschiedsfest für Hauptmann Adolf Malm feierten! Es wurden Hochs ausgebracht und Reden gehalten. Oberlehrer Berg, der nun ein sehr ernster Familienvater und die Stütze des Konsistoriums war, hielt die Rede, welche zu dem Collier und dem Armband gehörte. Der alte Lindberg wollte auch seinem Bedauern und seiner Dankbarkeit Ausdruck geben – puh – kurz und gut; aber es drohte schrecklich lang zu werden, denn der alte Gastwirth stammelte und weinte die ganze Zeit.

Marie und Malm hatten eine kleine Taschenspielerei verabredet. Sie wollten während des Festes, ohne daß es jemand bemerkte, die Verlobungsringe wechseln. Das war ihre Idee. Als die Lustigkeit bedeutend gestiegen war, und man in zerstreuten Gruppen plaudernd herumstand, trafen sich ihre Blicke, und dann traten sie rasch zum Tisch hin, wechselten schnell und gewandt ihre Ringe über demselben, mitten im Lärm und Gelächter. Schnell zog Marie den Handschuh auf die linke Hand, und übrigens hatte man für den Rest des Abends auch anderes zu thun, als nach dem linken Ringfinger des Hauptmanns Malm zu sehen.

Um 11 Uhr sollte der Fuhrmann Nielsson mit seiner besten Droschke Marie abholen, um sie nach der zwei Meilen entfernten Station der Hauptbahn zu fahren, wo sie den Nachtzug besteigen wollte. Niemand hatte in Erfahrung zu bringen vermocht, wohin sie wollte. Um Punkt 11 Uhr hielt Fuhrmann Nielsson selbst unten an der Treppe des »Goldnen Rosses«. Der letzte Abschiedstoast wurde ausgebracht. Marie und ihre Koffer wurden in den Wagen hineingepackt, und dann ging es davon, während das Quartett von Naalköping, das auch vorher im Laufe des Abends sich nicht geschont hatte, mit einem letzten »Lebewohl« einfiel.

Niemand hatte bemerkt, daß Hauptmann Malm bereits eine halbe Stunde vorher das »Goldne Roß« verlassen hatte, und niemand wußte, daß er ein paar Kilometer vor der Nielsson'schen Droschke demselben Ziel entgegenkutschirte.

Ganz dicht bei Kraakeby, das an der Hauptbahn selbst liegt, hatte Mariens Bruder eine Handelsgärtnerei und ein behagliches Heim. Dort wohnte sie während der Zeit ihres Aufgebots, und dorthin fuhr auch Hauptmann Malm. Er wohnte im Gasthof zu Kraakeby, wanderte jeden Morgen hinaus und verweilte dort den ganzen Tag unter Rosen und Veilchen bei seiner Marie. Dort wurde auch in aller Stille die einfache Hochzeit gefeiert, und dann fuhren sie – die praktische Marie hatte Rundreisebillets gekauft und ihre Sachen als Frachtgut vorausgeschickt – zu ihrem Heim am Ufer des Klar-Elf hin.

Sie hatten sich keine jugendlich überspannten Hoffnungen von ihrem Glück gemacht. Sie hatten einander nicht durch das verschönernde Prisma einer berauschenden Liebe gesehen und daher erfuhren sie mehr Freude, als Betrübniß, als ihre Augen sich gegenseitig völlig für ihre Charaktere und Eigenschaften öffneten.

Ihr hatte bisweilen gebangt, wenn sie an den Mann gedacht hatte, der leichtsinnig und thöricht den größten und schönsten Theil seines Lebens vergeudet hatte, und fürchtete, er würde sich nicht durch die stille Freude an sein Heim binden lassen, oder würde von unbefriedigter Sehnsucht verzehrt werden.

Aber Hauptmann Malm hatte ausgetobt, er war müde geworden und hatte nur zu deutlich die Unzuverlässigkeit der Freunde erkannt, sodaß er den Frieden und die Ruhe des stillen Heims in vollen Zügen genoß. Er wurde jünger, frischer und froher. Unter dem grauen Haar blühte das Gesicht wieder auf, mit dem er noch mit 45 Jahren für Frauen gefährlich gewesen war.

Auch er seinerseits hatte trotz all' seiner Dankbarkeit und trotz seiner wachsenden Zärtlichkeit für die Einsame, die ihm, dem Einsamen, ihre Hand gereicht hatte, vor dieser Ehe gewisse Besorgnisse gehegt, er hatte gefürchtet, daß dieses Mädchen, welches in seiner Stellung so gewissenhaft und feinfühlig erschienen war, doch als Frau eines gebildeten Mannes es nicht ganz würde vermeiden können, ihn durch irgend etwas abzustoßen, was disharmonisch gegen seine Auffassung und seine Gewohnheiten abstechen würde.

Aber das geschah niemals! Ein Mann in ähnlicher Lage vermag solche Steine des Anstoßes in der Ehe weniger zu vermeiden.

Bei ihm hilft weder Bücherbildung, noch eine schöne Charakterentwickelung, noch große Liebe, noch das beste Herz. Hat ihm in den ersten zwanzig Lebensjahren die Atmosphäre eines gebildeten Familienheims mit seiner Pünktlichkeit und seiner Rücksichtnahme gefehlt, so wird er später in der Ehe mit einer wirklich feinen und noblen Frau bisweilen unwillkürlich durch kleine, für unbewaffnete Augen und für Fernerstehende unbemerkbare Reste einer Rohheit der Form oder einer Derbheit des Wesens zurückstoßen, die glücklicher Weise weder die Liebe zu vermindern, noch das Glück zu vernichten brauchen, die aber doch verletzen. Aber bei einer braven und begabten Frau verhält es sich anders. Mit ihrer größeren Geschmeidigkeit und Empfindlichkeit, ihrer feineren Auffassung und ihrem sichereren Instinkt, sowie in Folge der Eigenthümlichkeit, daß »ihr Charakter in ihrem Herzen sitzt«, vermag sie die äußerste Grenze der Feinheit, Rücksichtnahme und Zuverlässigkeit einzig und allein auf dem Wege des Gefühls und der Beobachtung zu erreichen, selbst dann, wenn ihr eine ordentliche Erziehung in der Kindheit gefehlt hat.

Der Betrieb des kleinen Gutes und die hausmütterlichen Arbeiten gaben ihm und ihr genügend zu thun, um zu verhindern, daß ihr Glück welk und ihr Heim zu eng würde. Der gute Hauptmann war übrigens hinsichtlich der Arbeit sehr genügsam. Er wußte in verständiger Weise in dieser Richtung auch mit dem Kleinsten auszukommen. Während des ersten Winters hatte er gut einen Monat damit zu thun, eine neue Einrichtung des Kuhstalls für sechs Kühe zu entwerfen und die Zeichnungen dafür zu machen. Und er war doch tüchtig dahinter und verzehrte seine Mahlzeiten mit dem guten Appetit und Gewissen eines redlichen Arbeiters, und Marie sah zu, ertheilte Rathschläge und war glücklich.

In demselben Winter bekamen wir einen neuen Kriegsminister. Es war ein alter Kamerad Adolf Malm's aus der Kadettenzeit, ein begabter Mann, aber an Intelligenz ihm doch weit unterlegen, der während der Studienzeit immer gleichsam drei Schritte hinter ihm her marschirt war. Malm wurde nachdenklich, als er von der Ernennung las. Ohne alle Selbstüberhebung mußte er sich doch eingestehen, wie sehr er selbst alle Aussichten gehabt hatte, diesen Mann zu überholen, der nun über der ganzen Armee stand, in der er selbst es nicht über den gewissen Rang hinausgebracht hatte, der allen, die nicht gerade ganz unfähig sind, zugänglich ist. Trotz dieser Ueberzeugung lächelte er doch gutmüthig, ergriff wieder die Bleifeder und begann an seiner Zeichnung zu ändern und zu verbessern. Es gab ein Gebiet, auf dem sie beide sich in ihren Interessen begegneten, aber auf dem sie fast Neulinge waren: die werthvollere Litteratur.

Seine oberflächliche Genußsucht und seine Fähigkeit, die Zeit todtzuschlagen, ohne direkt etwas vorzunehmen, ihre Armuth und ihr arbeitsames Leben, hatten keinem von ihnen gestattet, an den Schätzen der Schönen Litteratur mehr als zu nippen. Nun holten sie das Versäumte nach und hatten die Empfindung, als wären sie in eine neue Welt eingetreten, und es machte ihnen Vergnügen, sich gegenseitig abwechselnd laut vorzulesen. Ihre Kenntnisse aus der vierten Klasse des Instituts waren verblaßt, und sie sah ein, daß es für ihn peinlich sein mußte, seine Frau Fremdwörter unrichtig aussprechen zu hören. Wenn sie daher zu einem solchen kam, über dessen Aussprache sie sich nicht ganz klar war, reichte sie ihm das Buch mit einem schönen, kindlichen Blick hin und fragte demüthig: »Wie wird das ausgesprochen?« Die Lücken ihrer elementaren Bildung trugen im Gegentheil gerade zu ihrem Glück bei: er brauchte ja so nothwendig ein Gebiet, auf dem er der absolut Ueberlegene war. Es entsteht keine rechte Harmonie in einer Ehe, wenn der eine Theil in allem etwas voraus hat, am wenigsten, wenn dieses die Frau ist.

Für ihre Herzen verflossen die ersten zwei Jahre des ehelichen Lebens in völlig umgekehrter Reihenfolge, als dies sonst üblich zu sein pflegt. Die meisten Ehen, in denen die persönliche Neigung das erste Wort gesprochen hat, die mit berauschendem Glück und stürmischem Gefühlsleben beginnen, vergehen unter wechselndem Regen und Sonnenschein, mit entschwundenen Illusionen und mit der Entdeckung, daß der »Mitengel« auch nur ein Mensch ist, um, falls beide Gatten tüchtige und brave Leute sind, mit einer innigen und warmen Zuneigung zu endigen, die vielleicht viel mehr werth ist, als der frühere Gefühlsüberschwang.

Ihre Neigung für einander war ruhig, ihre Blicke waren klar und offen, ihre Kritik jederzeit wach, ihre Bedenken zahlreich, und keiner von ihnen hatte einen Augenblick den Andern für etwas anderes gehalten, als für einen Menschen. Steine des Anstoßes fanden auch sie, und sie fühlten nicht in jedem Augenblicke ihr Glück gleich lebhaft; aber im ganzen genommen wuchsen sie gegenseitig in den Augen des Andern in demselben Maße, wie die Zärtlichkeit in ihren Herzen, und an dem Tage, da sich ihre Köpfe zusammen über ein kleines, rothes Gesichtchen herabbeugten, in dessen Zügen nur wenig Aehnlichkeit mit Hauptmann Malm, aber um so mehr mit ihr, die einmal Marie vom »Goldnen Roß« geheißen hatte, wahrzunehmen war, waren ihre Gefühle nahezu dieselben, wie bei zwei jungen Menschen, die von den allerzärtlichsten Gefühlen einander in die Arme getrieben wurden. Dann legte sie behutsam das Kleine in den Korbwagen neben dem Bett zurück, schlang beide Arme um den Hals ihres Mannes, zag seinen grauen Kopf an ihre Brust herab und flüsterte:

»Nun schäme ich mich nicht mehr darüber, daß ich es war, die sich Dir anbot! Nun fühle ich, daß Du niemals, niemals bereuen wirst –«

Seine Stimme war nicht ganz klar, als er sie zur Antwort küßte und sagte:

»Barmherziger Gott, womit habe ich nur verdient, daß Du mir so viel Glück schenktest!«

Aber eine Weile später, als er an ihrem Bett, mit ihrer Hand in der seinigen, gesessen hatte und den Blick von ihrem Gesicht zu dem des Kindes gleiten ließ, bildete sich zwischen seinen Augenbrauen gleichsam ein schwacher Schatten jener tiefen, düsteren Falte, die dort immer während der Tage der Demüthigung und des Leides sichtbar gewesen war.

Marie sah ihn forschend an und strich liebkosend über seine breite, braune Hand hin.

»Du bist mir doch wohl nicht böse, daß der Junge mir ähnelt?«

»Ach nein, Marie! Möchte er Dir nur auch an Herz und Charakter gleichen! Aber ich warf einen Blick in die Zukunft, ich berechnete etwas, was nicht ganz aufgehen wollte. Fünfundfünfzig und zwanzig! Siehst Du, Marie! Weiße Haare hier und ein kleiner, zahnloser Mund dort! Nein, das will nicht zusammenpassen. Ich werde wohl niemals meinen Jungen als Mann zu sehen bekommen, niemals die weiße Mütze auf seinem Kopfe sehen. Du armes, kleines Herbstkind – –«

Sie klopfte sanft seine Hand und antwortete mild:

»Die Abendsonne, wie schön sie auch ist, kann nicht alles das zum Reifen bringen, was der lange warme Sommertag vermag; aber darum laß uns doch Gott danken, daß er uns ihn gegönnt hat!«

»Ja, das will ich, und wenn ich einmal nicht mehr da bin, wenn er in die Welt hinaus tritt, dann hoffe ich doch, daß er Dich in der vollen Kraft des Lebens behalten wird, so klug und so stark, wie heute, und daß Du ihn für uns beide lieben wirst. Dann, Marie, bringe ihm, von dem ich hoffe, daß Du ihn mit 20 Jahren zu einem tüchtigen Kerl gemacht haben wirst, einen warmen und innigen Gruß von dem, den Du mit 54 dazu machtest! Ich ging mit düsteren Plänen umher, als Du mir Deine Hand reichtest. – Erzähle ihm, falls ich es nicht selbst zu thun vermag, daß Du seinem Vater ebenso, wie ihm selbst, das Leben geschenkt hast. Dann wird er Dich um so mehr lieben!«

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