Friedrich Hebbel
Judith
Friedrich Hebbel

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Fünfter Akt

Abend. Das erleuchtete Zelt des Holofernes. Hinten ein Vorhang, der das Schlafgemach verdeckt

Holofernes. Hauptleute. Kämmerer

Holofernes
(zu einem der Hauptleute)
Du hast gekundschaftet? Wie steht es in der Stadt?

Der Hauptmann
Es ist, als ob sich alle darin selbst begraben hätten. Diejenigen, welche die Tore bewachen, sind wie aus dem Grabe emporgestiegen. Auf einen legte ich an; doch bevor ich noch abdrückte, fiel er schon von selbst tot zu Boden.

Holofernes
Also Sieg ohne Krieg. Wär' ich jünger, so mißfiele mir's. Da glaubt' ich, mein Leben zu stehlen, wenn ich's mir nicht täglich neu erkämpfte; was mir geschenkt wurde, meinte ich gar nicht zu besitzen.

Der Hauptmann
Priester sieht man stumm und ernsthaft durch die Gassen schleichen. Lange weiße Gewänder, wie bei uns die Toten tragen. Hohle Augen, die den Himmel zu durchbohren suchen. Krampf in den Fingern, wenn sie die Hände falten.

Holofernes
Daß man mir solche Priester nicht tötet! Die Verzweiflung in ihrem Gesicht ist mein Bundesgenosse.

Der Hauptmann
Wenn sie jetzt zum Himmel emporschauen, so gilt es nicht dem Gott, den sie dort suchen, es gilt einer Regenwolke. Aber die Sonne zehrt die dünnen Wolken auf, die einen Tropfen der Erquickung versprechen, und auf die zerspringenden Lippen fällt ihr heißer Strahl. Dann ballen sich Hände, dann rollen Augen, dann zerstoßen sich Köpfe an den Mauern, daß Blut und Gehirn fließt!

Holofernes
Wir sahen das öfter!
(Lachend)
Haben wir doch selbst eine Hungersnot erlebt, wo der eine scheu zurückwich, wenn der andere ihn küssen wollte, aus bloßer Furcht vor einem Biß in die Backe. Hallo, bereitet das Mahl, laßt uns lustig sein!
(Es geschieht)
Ist nicht morgen der fünfte Tag?

Der Hauptmann
Ja.

Holofernes
Da wird sich's entscheiden! Übergibt sich Bethulien, wie diese Ebräerin verkündigte, kommt sie von selbst herangekrochen, die halsstarrige Stadt, und legt sich mir zu Füßen –

Der Hauptmann
Holofernes zweifelt?

Holofernes
An allem, was er nicht befehlen kann. Aber geschieht's, wie das Weib verhieß, wird mir aufgemacht, ohne daß ich mit dem Schwerte anzuklopfen brauche, dann –

Der Hauptmann
Dann?

Holofernes
Dann bekommen wir einen neuen Herrn. Wahrlich, ich habe geschworen, daß der Gott Israels, wenn er mir einen Gefallen tut, auch mein Gott sein soll, und bei allen, die schon meine Götter sind, beim Bel zu Babel und beim großen Baal, ich werd's halten! Hier, diesen Becher mit Wein bring' ich ihm dar, dem Je – Je –
(zum Kämmerer)
wie sagtest du doch, daß er heiße?

Kämmerer
Jehova.

Holofernes
Laß dir das Opfer gefallen, Jehova. Ein Mann bringt's dir, und ein solcher, der es nicht nötig hätte.

Der Hauptmann
Und wenn Bethulien sich nicht ergibt?

Holofernes
Schwur gegen Schwur. Dann lass' ich den Jehova auspeitschen, und die Stadt – doch ich will meinem Zorn nicht schon jetzt die Grenze abmessen! Es heißt den Blitz schulmeistern. Was macht die Ebräerin?

Der Hauptmann
Oh, sie ist schön. Aber sie ist auch spröde!

Holofernes
Hast du sie versucht?
(Der Hauptmann schweigt verlegen. Holofernes mit wildem Blick)
Du wagtest das, und wußtest, daß sie mir wohlgefällt? Nimm das, Hund!
(Er haut ihn nieder)
Schafft ihn weg und führt mir das Weib her. Es ist eine Schande, daß sie unberührt unter uns Assyriern einhergeht! –
(Der Körper wird fortgeschafft)
Weib ist Weib, und doch bildet man sich ein, es sei ein Unterschied. Freilich fühlt ein Mann nirgends so sehr, wieviel er wert ist, als an Weibesbrust. Ha, wenn sie seiner Umarmung entgegenzittern, im Kampf zwischen Wollust und Schamgefühl; wenn sie Miene machen, als ob sie fliehen wollten, und dann mit einmal, von ihrer Natur übermannt, an seinen Hals fliegen, wenn ihr letztes bißchen Selbständigkeit und Bewußtsein sich aufrafft und sie, da sie nicht mehr trotzen können, zum freiwilligen Entgegenkommen antreibt; wenn dann, durch verräterische Küsse in jedem Blutstropfen geweckt, ihre Begierde mit der Begierde des Mannes in die Wette läuft und sie ihn auffordern, wo sie Widerstand leisten sollten – ja, das ist Leben, da erfährt man's, warum die Götter sich die Mühe gaben, Menschen zu machen; da hat man ein Genügen, ein überfließendes Maß! Und vollends, wenn ihre kleine Seele noch den Moment zuvor von Haß und feigem Groll erfüllt war, wenn das Auge, das jetzt in Wonne bricht, sich finster schloß, als der Überwinder hereintrat, wenn die Hand, die jetzt schmeichelnd drückt, ihm gern Gift in den Wein gemischt hätte! Das ist ein Triumph, wie keiner mehr, und den hab' ich schon oft gefeiert. Auch diese Judith – zwar ist ihr Blick freundlich, und ihre Wangen lächeln wie Sonnenschein; aber in ihrem Herzen wohnt niemand als ihr Gott, und den will ich jetzt vertreiben! In meinen Jugendtagen hab' ich wohl, wenn ich einem Feind begegnete, statt mein eignes Schwert zu ziehen, ihm das seinige aus der Hand gewunden und ihn damit niedergehauen. So will ich auch diese vernichten; sie soll vor mir vergehen durch ihr eignes Gefühl, durch die Treulosigkeit ihrer Sinne!
(Judith tritt mit Mirza ein)

Judith
Du hast befohlen, hoher Herr, und deine Magd gehorcht.

Holofernes
Setze dich, Judith, und iß und trink, denn du hast Gnade vor mir gefunden.

Judith
Das will ich, Herr, ich will fröhlich sein, denn ich bin mein Lebelang nicht so geehrt worden!

Holofernes
Warum zögerst du?

Judith
(schaudernd, indem sie auf das frische Blut deutet)
Herr, ich bin ein Weib.

Holofernes
Betrachte es recht, dies Blut. Es muß deiner Eitelkeit schmeicheln; denn es ist geflossen, weil es für dich entzündet war.

Judith
Wehe!

Holofernes
(zu dem Kämmerer)
Andere Teppiche her!
(Zu den Hauptleuten)
Entfernt euch!
(Die Teppiche werden gebracht. Die Hauptleute gehen ab)

Judith
(für sich)
Mein Haar sträubt sich, aber doch dank' ich dir, Gott, daß du mir den Entsetzlichen auch in dieser Gestalt zeigtest. Den Mörder kann ich leichter morden.

Holofernes
Nun laß dich nieder. Du bist blaß geworden, dein Busen fliegt. Bin ich dir schrecklich?

Judith
Herr, du warst freundlich gegen mich!

Holofernes
Sei aufrichtig, Weib!

Judith
Herr, du müßtest mich verachten, wenn ich –

Holofernes
Nun?

Judith
Wenn ich dich lieben könnte.

Holofernes
Weib, du wagst viel. Vergib. Du wagst nichts. Solch ein Wort hört' ich noch nicht. Nimm die goldne Kette für dies Wort.

Judith
(verlegen)
Herr, ich verstehe dich nicht!

Holofernes
Wehe dir, wenn du mich verstündest! Der Leu blickt ein Kind, das ihn verwegen an der Mähne zupft, weil es ihn nicht kennt, mit Freundlichkeit an. Wollte das Kind, nachdem es groß und klug geworden, dasselbe versuchen, der Leu würde es zerreißen. Setz' dich zu mir; wir wollen plaudern. Sag' mir: was dachtest du, als du zuerst vernahmst, daß ich mit Heeresmacht dein Vaterland bedrohte?

Judith
Ich dachte nichts.

Holofernes
Weib, man denkt an manches, wenn man von Holofernes hört.

Judith
Ich dachte an den Gott meiner Väter.

Holofernes
Und fluchtest mir?

Judith
Nein, ich hoffte, mein Gott werde es tun.

Holofernes
Gib mir den ersten Kuß.
(Er küßt sie)

Judith
(für sich)
Oh, warum bin ich Weib!

Holofernes
Und als du nun das Rollen meiner Wagen hörtest und das Stampfen meiner Kamele und das Klirren meiner Schwerter, was dachtest du da?

Judith
Ich dachte, du wärest nicht der einzige Mann in der Welt, und aus Israel würde einer hervorgehen, der dir gleich sei.

Holofernes
Als du nun aber sahest, daß mein Name allein hinreichte, dein Volk in den Staub zu werfen, daß euer Gott das Wundertun vergaß, und daß eure Männer sich Weiberkleider wünschten –

Judith
Da rief ich pfui und verhüllte mein Angesicht, sobald ich einen Mann erblickte, und wenn ich beten wollte, so empörten sich meine Gedanken gegen mich selbst und zerfleischten sich untereinander und ringelten sich wie Schlangen um das Bild meines Gottes herum. Oh, seit ich das empfand, schaudere ich vor meiner eigenen Brust; sie kommt mir vor wie eine Höhle, in die die Sonne hineinscheint, und die dennoch in heimlichen Winkeln das schlimmste Gewürm beherbergt.

Holofernes
(betrachtet sie von der Seite)
Wie sie glüht! Sie erinnert mich an eine Feuerkugel, die ich einst in dunkler Nacht am Himmel aufsteigen sah. Sei mir willkommen, Wollust, an den Flammen des Hasses ausgekocht! Küsse mich, Judith!
(Sie tut's)
Ihre Lippen bohren sich ein wie Blutigel und sind doch kalt. Trink Wein, Judith. Im Wein ist alles, was uns fehlt!

Judith
(trinkt, nachdem ihr Mirza eingeschenkt hat)
Ja, im Wein ist Mut, Mut!

Holofernes
Also Mut bedarfst du, um mit mir an meiner Tafel zu sitzen, um meine Blicke auszuhalten und meinen Küssen entgegenzukommen? Armes Geschöpf!

Judith
O du –
(Sich fassend)
Vergib.
(Sie weint)

Holofernes
Judith, ich schaue in dein Herz hinein. Du hassest mich. Gib mir deine Hand und erzähle mir von deinem Haß!

Judith
Meine Hand? O Hohn, der die Axt an die Wurzeln meiner Menschheit legt!

Holofernes
Wahrlich, wahrlich, dies Weib ist begehrenswert!

Judith
Spring auf, mein Herz! Halte nichts mehr zurück!
(Sie richtet sich auf)
Ja, ich hasse dich, ich verfluche dich, und ich muß es dir sagen; du mußt wissen, wie ich dich hasse, wie ich dich verfluche, wenn ich nicht wahnsinnig werden soll! Nun töte mich!

Holofernes
Dich töten? Morgen vielleicht! Heute – heute noch nicht!

Judith
(für sich)
Wie ist mir auf einmal so leicht! Nun darf ich's tun!

Kämmerer
(tritt ein)
Herr, ein Ebräer harret draußen vor dem Zelt. Er bittet dringend, vor dich gelassen zu werden. Dinge von höchster Wichtigkeit – – –

Holofernes
(erhebt sich)
Vom Feind? Führ' ich herein!
(Zu Judith)
Ob sie sich ergeben wollen? Dann nenne mir doch schnell die Namen deiner Vettern und Freunde! Die will ich verschonen!

Ephraim
(stürzt ihm zu Füßen)
Herr, sicherst du mir mein Leben?

Holofernes
Ich sichre es dir!

Ephraim
Wohlan!
(Nähert sich ihm, zieht rasch sein Schwert und haut nach ihm. Holofernes weicht aus)

Kämmerer
(tritt hastig herein)
Schurk', ich will dir zeigen, wie man Männer niederhaut!
(Will Ephraim niederhauen)

Holofernes
Halt!

Ephraim
(will sich selbst in sein Schwert stürzen)
Das sah Judith! Ewige Schande über mich!

Holofernes
(verhindert ihn)
Untersteh dich's nicht zum zweitenmal! Willst du mir das Halten meines Worts unmöglich machen? Ich sicherte dir dein Leben, ich muß dich also auch gegen dich selbst schützen! Ergreift ihn! Ist nicht mein Lieblingsaffe verreckt? Steckt ihn in dessen Käfig und lehrt ihn die Kunststücke seines schnurrigen Vorgängers. Der Mensch ist eine Merkwürdigkeit, er ist der einzige, der sich berühmen kann, nach dem Holofernes gehauen zu haben und mit heiler Haut davongekommen zu sein. Ich will ihn bei Hofe zeigen!
(Kämmerer mit Ephraim ab. Zu Judith)
Gibt's viele Schlangen in Bethulien?

Judith
Nein, aber manchen Rasenden.

Holofernes
Den Holofernes töten; auslöschen den Blitz, der mit dem Weltbrande droht; eine Unsterblichkeit im Keim erdrücken, einen kühnen Anfang zum großmaulichten Prahler machen, indem man ihn um sein Ende verkürzt, – oh, das mag verlockend sein! Das heißt eingreifen in die Zügel des Geschicks! Dazu könnt' ich mich selbst verführen lassen, wenn ich nicht wäre, der ich bin! Aber das Große auf kleine Weise tun wollen, dem Löwen erst ein Netz aus seinem eignen Edelmut spinnen und ihm dann mit dem Mord auf den Leib rücken, die Tat wagen und die Gefahr feig und klug vorher abkaufen: nicht wahr, Judith, das heißt Götter machen aus Dreck; dazu wirst du doch pfui sagen müssen, und wenn's dein bester Freund gegen deinen ärgsten Feind versucht?

Judith
Du bist groß, und andere sind klein.
(Leise)
Gott meiner Väter, schütze mich vor mir selbst, daß ich nicht verehren muß, was ich verabscheue! Er ist ein Mann.

Holofernes
(zum Kämmerer)
Bereite mir das Lager!
(Kämmerer ab)
Siehe, Weib, diese meine Arme sind bis an den Ellenbogen in Blut getaucht, jeder meiner Gedanken gebiert Greuel und Verwüstung, mein Wort ist Tod; die Welt kommt mir jämmerlich vor, mir deucht, ich bin geboren, sie zu zerstören, damit was Besseres kommen kann. Die Menschen verfluchen mich, aber ihr Fluch haftet nicht an meiner Seele, sie rührt ihre Schwingen und schüttelt ihn ab wie ein Nichts; ich muß also wohl im Recht sein. "Oh, Holofernes, du weißt nicht, wie das tut!" ächzte einmal einer, den ich auf glühendem Rost braten ließ. "Ich weiß das wirklich nicht", sagte ich und legte mich an seine Seite. Bewundere das nicht, es war eine Torheit.

Judith
(für sich)
Hör' auf, hör' auf! Ich muß ihn morden, wenn ich nicht vor ihm knien soll.

Holofernes
Kraft! Kraft! Das ist's. Er komme, der sich mir entgegenstellt, der mich darniederwirft. Ich sehne mich nach ihm! Es ist öde, nichts ehren können als sich selbst. Er mag mich im Mörser zerstampfen und, wenn's ihm so gefällt, mit dem Brei das Loch ausfüllen, das ich in die Welt riß. Ich bohre tiefer und immer tiefer mit meinem Schwert; wenn das Zetergeschrei den Retter nicht weckt, so ist keiner da. Der Orkan durchsaust die Lüfte, er will seinen Bruder kennen lernen. Aber die Eichen, die ihm zu trotzen scheinen, entwurzelt er, die Türme stürzt er um, und den Erdball hebt er aus den Angeln. Da wird's ihm klar, daß es seinesgleichen nicht gibt, und vor Ekel schläft er ein. Ob Nebukadnezar mein Bruder ist? Mein Herr ist er ganz gewiß. Vielleicht wirft er meinen Kopf noch einmal den Hunden vor. Wohl bekomm' ihnen die Speise. Vielleicht füttre ich mit seinen Eingeweiden noch einmal die Tiger Assyriens. Dann – ja, dann weiß ich, daß ich das Maß der Menschheit bin, und eine Ewigkeit hindurch stehe ich vor ihrem schwindelnden Auge als unerreichbare, schreckenumgürtete Gottheit! Oh, der letzte Moment, der letzte! wäre er doch schon da! "Kommt her, alle, denen ich wehe tat," ruf' ich aus, "ihr, die ich verstümmelte, ihr, denen ich die Weiber aus den Armen und die Töchter von der Seite riß, kommt und ersinnt Qualen für mich! Zapft mir mein Blut ab und laßt mich's trinken, schneidet mir Fleisch aus den Lenden und gebt mir's zu essen!" Und wenn sie das Ärgste mir getan zu haben glauben und ich ihnen doch noch etwas Ärgeres nenne und sie freundlich bitte, es mir nicht zu versagen, wenn sie mit grausendem Erstaunen umherstehen und ich sie, trotz all meiner Pein, in Tod und Wahnsinn hineinlächle: dann donnre ich ihnen zu: "Kniet nieder, denn ich bin euer Gott", und schließe Lippen und Augen und sterbe still und geheim.

Judith
(zitternd)
Und wenn der Himmel seinen Blitz nach dir wirft, um dich zu zerschmettern?

Holofernes
Dann reck' ich die Hand aus, als ob ich selbst es ihm geböte, und der Todesstrahl umkleidet mich mit düstrer Majestät.

Judith
Ungeheuer! Grauenvoll! Meine Empfindungen und Gedanken fliegen durcheinander wie dürre Blätter. Mensch, entsetzlicher, du drängst dich zwischen mich und meinen Gott! Ich muß beten in diesem Augenblick und kann's nicht!

Holofernes
Stürz' hin und bete mich an!

Judith
Dich? Ha, nun wird's wieder hell um mich! Und ich sage dir, so groß du bist: kein Geschöpf auf Erden ist so schwach und klein, daß es dich nicht vernichten könnte, wenn der Herr unser Gott es gebeut! Weißt du, wem Gewalt über dich gegeben ist? Dem, den du am meisten verachtest! Auch Goliath, der Riese, ragte hoch vor allem Volk empor und zerdrückte unsre Männer in seinen ehernen Händen, daß ihr Blut, wie aus hohlen Röhren, über sein Haupt weg, gen Himmel sprang. Aber als das Maß seiner Frevel voll war, da hatte der Herr nicht nötig, ihm einen Bruder zu erschaffen; er winkte dem Hirtenknaben David, und dieser erschlug ihn im Spiel! Nieder mit dir, nieder mit dir; sonst kommt der Tod über Nacht und streckt dich hin!

Holofernes
Ja, ja, wenn ich aus meinem linken Bein den Knochen machte, über den das rechte stolpern müßte, ehe der Ameisenhaufe zu meinen Füßen zerstampft würde, dann gefiele ich dir! Und wenn ich, sobald mich hungerte, in mein eignes Fleisch hineinbisse und den Arm, mit dem ich das Schwert führe, stückweise in den Magen zurückschickte, aus dem er kam, dann würden mich selbst die Schafe für einen frommen Nachbar erklären. Oh, zeig' mir doch das Feuer, das sich selbst ausgießt! Findest du's nicht? So zeig' mir das, das sich selbst ernährt! Findest du's auch nicht? So sag' mir: steht dem Holz, das es verzehrt, der Richterspruch über das Feuer zu? Du schweigst? Lache, lache! Du hast ein Recht dazu! Wie könnte ein Weib das begreifen!

Judith
Lerne das Weib achten! Es steht vor dir, um dich zu ermorden! Und es sagt dir das!

Holofernes
Und es sagt mir das, um sich die Tat unmöglich zu machen! O Feigheit, die sich für Größe hält! Also das war's? Da muß ich mich vor dir schützen! Hallo!
(Hauptmann erscheint)
Morgen wird Bethulien gestürmt! Und übermorgen mache ich einen neuen König!

Hauptmann
Aus dem, der zuerst hineindringt! Ha!

Judith
Du kennst kein ebräisch Weib! Du kennst nur Kreaturen, die sich in ihrer tiefsten Erniedrigung am glücklichsten fühlen.

Holofernes
Komm, Judith, ich will dich kennen lernen! Sträube dich immerhin noch ein wenig, ich will dir selbst sagen, wie lange. Noch einen Becher!
(Er trinkt)
Nun stell' das Sträuben ein, es ist genug! –
(Zum Kämmerer)
Fort mit dir! Und wer mich in dieser Nacht stört, den kostet's den Kopf!
(Er führt Judith mit Gewalt ab)

Judith
(im Abgehen)
Ich muß – ich will – pfui über mich in Zeit und Ewigkeit, wenn ich nicht kann!

Kämmerer
(zu Mirza)
Du willst hierbleiben?

Mirza
Ich muß meiner Gebieterin warten!

Kämmerer
Warum bist du nicht ein Weib wie Judith? Dann könnt' ich ebenso glücklich sein wie mein Herr!

Mirza
Warum bist du nicht ein Mann wie Holofernes?

Kämmerer
Ich bin, der ich bin, damit Holofernes seine Bequemlichkeit habe. Damit der große Held sich nicht selbst die Speisen aufzutragen und den Wein einzuschenken braucht. Damit er einen hat, der ihn zu Bett bringt, wenn er betrunken ist. Nun aber gib auch du mir Antwort. Wozu sind die häßlichen Weiber in der Welt?

Mirza
Damit ein Narr sie verspotten kann.

Kämmerer
Jawohl, und damit man ihnen bei Licht ins Gesicht speie, wenn man das Unglück hatte, sie im Dunkeln zu küssen. Holofernes hat einmal ein Weib, das zur ungelegenen Zeit vor ihn trat, niedergehauen, weil er es nicht schön genug fand. Der trifft immer das Rechte. Verkriech dich in eine Ecke, ebräische Spinne, und sei still!
(Er geht ab)

Mirza
(allein)
Still! Ja, still! Ich glaube, dort
(sie deutet auf das Schlafgemach)
wird jemand ermordet; ich weiß nicht, ob Holofernes oder Judith! Still! still! Ich stand einmal an einem Wasser und sah, wie ein Mensch darin ertrank. Die Angst trieb mich, ihm nachzuspringen; die Angst hielt mich wieder zurück. Da schrie ich, so laut ich konnte, und ich schrie nur, um sein Schreien nicht zu hören. So red' ich jetzt! O Judith! Judith! Als du zum Holofernes kamst und ihm mit einer Verstellung, die ich nicht faßte, dein Volk in die Hände zu liefern versprachst, da hielt ich dich einen Augenblick für eine Verräterin. Ich tat dir unrecht, und ich fühlte es gleich. Oh, möchte ich dir auch jetzt unrecht tun! Möchten deine halben Worte, deine Blicke und Gebärden mich auch jetzt täuschen, wie damals! Ich habe keinen Mut, ich fürchte mich sehr; aber nicht die Furcht spricht jetzt aus mir, nicht die Angst vor dem Mißlingen. Ein Weib soll Männer gebären; nimmermehr soll sie Männer töten!
(Judith stürzt, mit aufgelöstem Haar, schwankend herein. Ein zweiter Vorhang wird zurückgeschlagen. Man sieht den Holofernes schlafen. Zu seinen Häupten hängt sein Schwert)

Judith
Es ist hier zu hell, zu hell! Lösch' die Lichter, Mirza, sie sind unverschämt!

Mirza
(aufjauchzend)
Sie lebt, und er lebt! –
(Zu Judith)
Wie ist dir, Judith? Deine Wangen glühen, als wollte das Blut herausspringen! Dein Auge blickt scheu!

Judith
Sieh mich nicht an, Mädchen! Niemand soll mich ansehen!
(Sie schwankt)

Mirza
Lehne dich an mich, du schwankst!

Judith
Wie, ich wäre so schwach? Fort von mir! Ich kann stehen, oh, ich kann noch mehr als stehen, ich kann unendlich viel mehr!

Mirza
Komm, laß uns fliehen von hier!

Judith
Was? Bist du in seinem Solde? Daß er mich mit sich fortzerrte, daß er mich zu sich riß auf sein schändliches Lager, daß er meine Seele erstickte, alles dies duldest du? Und nun ich mich bezahlt machen will für die Vernichtung, die ich in seinen Armen empfand, nun ich mich rächen will für den rohen Griff in meine Menschheit hinein, nun ich mit seinem Herzblut die entehrenden Küsse, die noch auf meinen Lippen brennen, abwaschen will, nun errötest du nicht, mich fortzuziehen?

Mirza
Unglückliche, was sinnst du?

Judith
Elendes Geschöpf, das weißt du nicht? Das sagt dir dein Herz nicht? Mord sinne ich! –
(Da Mirza zurücktritt)
Gibt's denn noch eine Wahl? – Sag' mir das, Mirza. Ich wähle den Mord nicht, wenn ich – Was red' ich da! Sprich kein Wort mehr, Magd! Die Welt dreht sich um mich.

Mirza
Komm!

Judith
Nimmermehr! Ich will dir deine Pflicht lehren! Sieh, Mirza, ich bin ein Weib! Oh, ich sollte das jetzt nicht fühlen! Höre mich und tu, warum ich dich bitte. Wenn meine Kraft mich verlassen, wenn ich ohnmächtig hinsinken sollte, dann bespritz' mich nicht mit Wasser. Das hilft nicht. Ruf mir ins Ohr: "Du bist eine Hure!" Dann spring' ich auf, vielleicht pack' ich dich und will dich würgen. Dann erschrick nicht, sondern ruf mir zu: "Holofernes hat dich zur Hure gemacht, und Holofernes lebt noch!" Oh, Mirza, dann werd' ich ein Held sein, ein Held wie Holofernes!

Mirza
Deine Gedanken wachsen über dich hinaus!

Judith
Du verstehst mich nicht! Aber du mußt, du sollst mich verstehen. Mirza, du bist ein Mädchen. Laß mich hineinleuchten in das Heiligtum deiner Mädchenseele. Ein Mädchen ist ein törichtes Wesen, das vor seinen eigenen Träumen zittert, weil ein Traum es tödlich verletzen kann, und das doch nur von der Hoffnung lebt, nicht ewig ein Mädchen zu bleiben. Für ein Mädchen gibt es keinen größeren Moment als den, wo es aufhört, eins zu sein, und jede Wallung des Bluts, die es vorher bekämpfte, jeder Seufzer, den es erstickte, erhöht den Wert des Opfers, das es in jenem Moment zu bringen hat. Es bringt sein Alles – ist es ein zu stolzes Verlangen, wenn es durch sein Alles Entzücken und Seligkeit einflößen will? Mirza, hörst du mich?

Mirza
Wie sollt' ich dich nicht hören!

Judith
Nun denk' es dir in seiner ganzen nackten Entsetzlichkeit, nun mal' es dir aus bis zu dem Punkt, wo die Scham sich mit aufgehobenen Händen zwischen dich und deine Vorstellungen wirft, und wo du eine Welt verfluchst, in der das Ungeheuerste möglich ist!

Mirza
Was denn? Was soll ich mir ausmalen?

Judith
Was du dir ausmalen sollst? Dich selbst in deiner tiefsten Erniedrigung – den Augenblick, wo du an Leib und Seel' ausgekeltert wirst, um an die Stelle des gemißbrauchten Weins zu treten und einen gemeinen Rausch mit einem noch gemeineren schließen zu helfen, – wo die einschlafende Begier von deinen eigenen Lippen so viel Feuer borgt, als sie braucht, um an deinem Heiligsten den Mord zu vollziehen, – wo deine Sinne selbst, wie betrunken gemachte Sklaven, die ihren Herrn nicht mehr kennen, gegen dich aufstehen, – wo du anfängst, dein ganzes voriges Leben, all dein Denken und Empfinden, für eine bloße hochmütige Träumerei zu halten und deine Schande für dein wahres Sein!

Mirza
Wohl mir, daß ich nicht schön bin!

Judith
Das übersah ich, als ich hierher kam. Aber, wie sichtbar trat es mir entgegen, als ich
(sie zeigt auf die Kammer)
dort einging, als mein erster Blick auf das bereitete Lager fiel. Auf die Knie warf ich mich nieder vor dem Gräßlichen und stöhnte: "Verschone mich!" Hätte er auf den Angstschrei meiner Seele gehört, nimmer, nimmer würd' ich ihn – – doch, seine Antwort war, daß er mir das Brusttuch abriß und meine Brüste pries. In die Lippen biß ich ihn, als er mich küßte. "Mäßige deine Glut! Du gehst zu weit!" hohnlachte er und – oh, mein Bewußtsein wollte mich verlassen, ich war nur noch ein Krampf, da blinkte mir was Glänzendes ins Auge. Es war sein Schwert. An dies Schwert klammerten sich meine schwindelnden Gedanken an, und hab' ich in meiner Entwürdigung das Recht des Daseins eingebüßt: mit diesem Schwert will ich's mit wiedererkämpfen! Bete für mich! Jetzt tu' ich's!
(Sie stürzt in die Kammer und langt das Schwert herunter)

Mirza
Er schläft!

Judith
Ja, Mirza, er schläft! Darf ich ihn töten, wenn er schläft?

Mirza
Und kannst du ihn töten, wenn er wacht?

Judith
Er schläft ruhig, er ahnt nicht, daß der Mord sein eignes Schwert wider ihn zückt. Er schläft ruhig – ha, feiges Weib, was dich empören sollte, macht dich mitleidig? Dieser ruhige Schlaf nach einer solchen Stunde, ist er nicht der ärgste Frevel? Bin ich denn ein Wurm, daß man mich zertreten und, als ob nichts geschehen wäre, ruhig einschlafen darf? Ich bin kein Wurm.
(Sie zieht das Schwert aus der Scheide)
Er lächelt. Ich kenn' es, dies Höllenlächeln; so lächelte er, als er mich zu sich niederzog, als er – – Töt' ihn, Judith, er entehrt dich zum zweitenmal in seinem Traum, sein Schlaf ist nichts als ein hündisches Wiederkäuen deiner Schmach. Er regt sich. Willst du zögern, bis die wieder hungrige Begier ihn weckt, bis er dich abermals ergreift und –
(Sie haut Holofernes Haupt herunter)
Siehst du, Mirza, da liegt sein Haupt! Ha, Holofernes, achtest du mich jetzt?

Mirza
(wird ohnmächtig)
Halte mich!

Judith
(von Schauern geschüttelt)
Sie wird ohnmächtig – ist denn meine Tat ein Greuel, daß sie dieser hier das Blut in den Adern erstarren macht und sie wie tot danieder wirft?
(Heftig)
Wach' auf aus deiner Ohnmacht, Törin, deine Ohnmacht klagt mich an, und das duld' ich nicht!

Mirza
(erwachend)
Wirf doch ein Tuch darüber!

Judith
Sei stark, Mirza, ich flehe dich, sei stark! Jeder deiner Schauer kostet mich einen Teil meiner selbst; dies dein Zurückschwindeln, dies grausame Abwenden deiner Blicke, dies Erblassen deines Gesichts könnte mir einreden, ich habe das Unmenschliche getan, und dann müßt' ich ja mich selbst ...
(Sie greift nach dem Schwert. Mirza wirft sich ihr an die Brust)
Juble, mein Herz, Mirza kann mich noch umarmen! Aber weh mir, sie flüchtet sich wohl nur an meine Brust, weil sie den Toten nicht ansehen kann, weil sie vor der zweiten Ohnmacht zittert. Oder kostet dich die Umarmung die zweite Ohnmacht?
(Stößt sie von sich)

Mirza
Du tust mir weh! und dir noch mehr!

Judith
(faßt ihre Hand, sanft)
Nicht wahr, Mirza, wenn's ein Greuel wäre, wenn ich wirklich gefrevelt hätte, du würdest mich das ja nicht fühlen lassen; du würdest ja – und wollt' ich selbst über mich zu Gericht sitzen und mich verdammen – freundlich zu mir sagen: "Du tust dir unrecht, es war eine Heldentat!"
(Mirza schweigt)
Ha! bild' dir nur nicht ein, daß ich schon als Bettlerin vor dir stehe, daß ich mich schon verdammt habe und von dir die Begnadigung erwarte. Es ist eine Heldentat; denn jener war Holofernes, und ich – ich bin ein Ding wie du! Es ist mehr als eine Heldentat; ich möchte den Helden sehen, den seine größte Tat nur halb soviel gekostet hat wie mich die meinige.

Mirza
Du sprachst von Rache. Eins muß ich dich fragen. Warum kamst du im Glanz deiner Schönheit in dies Heidenlager? Hättest du es nie betreten, du hättest nichts zu rächen gehabt!

Judith
Warum ich kam? Das Elend meines Volks peitschte mich hierher, die dräuende Hungersnot, der Gedanke an jene Mutter, die sich ihren Puls aufriß, um ihr verschmachtendes Kind zu tränken. Oh, nun bin ich wieder mit mir ausgesöhnt. Dies alles hatt' ich über mich selbst vergessen!

Mirza
Du hattest es vergessen. Das also war's nicht, was dich trieb, als du deine Hand in Blut tauchtest!

Judith
(langsam, vernichtet)
Nein – nein – du hast recht – das war's nicht – nichts trieb mich als der Gedanke an mich selbst. Oh, hier ist ein Wirbel! Mein Volk ist erlöst; doch wenn ein Stein den Holofernes zerschmettert hätte – es wäre dem Stein mehr Dank schuldig als jetzt mir! Dank? Wer will den? Aber jetzt muß ich meine Tat allein tragen, und sie zermalmt mich!

Mirza
Holofernes hat dich umarmt. Wenn du ihm einen Sohn gebierst: was willst du antworten, wenn er dich nach seinem Vater fragt?

Judith
Oh, Mirza, ich muß sterben, und ich will's. Ha! ich will durch das schlafende Lager eilen, ich will das Haupt des Holofernes emporheben, ich will meinen Mord ausschreien, daß Tausende aufstehen und mich in Stücke zerreißen!
(Will fort)

Mirza
(ruhig)
Dann zerreißen sie auch mich.

Judith
(bleibt stehen)
Was soll ich tun! Mein Hirn löst sich in Rauch auf, mein Herz ist wie eine Todeswunde. Und doch kann ich nichts denken als mich selbst. Wär' das doch anders! Ich fühl' mich wie ein Auge, das nach innen gerichtet ist. Und wie ich mich so scharf betrachte, werd' ich kleiner, immer kleiner, noch kleiner; ich muß aufhören, sonst verschwind' ich ganz ins Nichts.

Mirza
(aufhorchend)
Gott, man kommt!

Judith
(verwirrt)
Ruhig! ruhig! Es kann niemand kommen! Ich hab' die Welt ins Herz gestochen,
(lachend)
und ich traf sie gut! Sie soll wohl stehenbleiben! Was Gott nur dazu sagt, wenn er morgen früh herunterschaut und sieht, daß die Sonne nicht mehr gehen kann und daß die Sterne lahm geworden sind. Ob er strafen wird? O nein, ich bin ja die einzige, die noch lebt; wo käme wieder Leben her? wie könnt' er mich töten?

Mirza
Judith!

Judith
Au, mein Name tut mir weh!

Mirza
Judith!

Judith
(unwillig)
Laß mich schlafen! Träume sind Träume! Ist's nicht lächerlich? Ich könnte jetzt weinen! Hätt' ich nur einen, der mir sagte, warum.

Mirza
Es ist aus mit ihr! Judith, du bist ein Kind!

Judith
Jawohl, Gottlob! Denk' dir nur, das wußt' ich nicht mehr; ich hatte mich ordentlich in die Vernunft hineingespielt, wie in einen Kerker, und es war hinter mir zugefallen, schrecklich, fest, wie eine eherne Tür!
(Lachend)
Nicht wahr, ich bin morgen noch nicht alt, und übermorgen auch noch nicht! Komm, wir wollen wieder spielen, aber was Besseres. Eben war ich ein böses Weib, das einen umgebracht hatte! Hu! Sag' mir, was ich nun sein soll!

Mirza
(abgewandt)
Gott! Sie wird wahnsinnig.

Judith
Sag' mir, was ich sein soll! Schnell! Schnell! Sonst werd' ich wieder, was ich war.

Mirza
(deutet auf Holofernes)
Sieh!

Judith
Meinst du, daß ich's nicht mehr weiß? O doch! doch! Ich bettle ja bloß um den Wahnsinn, aber es dämmert nur hin und wieder ein wenig in mir, finster wird's nicht. In meinem Kopf sind tausend Maulwurfslöcher, doch sie sind alle für meinen großen, dicken Verstand zu klein, er sucht umsonst, hineinzukriechen.

Mirza
(in höchster Angst)
Der Morgen ist nicht mehr fern; sie martern mich und dich zu Tode, wenn sie uns hier finden; sie reißen uns Glied nach Glied ab.

Judith
Glaubst du wirklich, daß man sterben kann? Ich weiß wohl, daß alle das glauben und daß man's glauben soll. Sonst glaubt' ich's auch; jetzt scheint mir der Tod ein Unding, eine Unmöglichkeit. Sterben! Ha! Was jetzt in mir nagt, wird ewig nagen; das ist nicht wie Zahnweh oder ein Fieber, es ist schon eins mit mir selbst, und es reicht aus für immer. Oh, man lernt was im Schmerz.
(Sie deutet auf Holofernes)
Auch der ist nicht tot! Wer weiß, ob nicht er es ist, der mir dies alles sagt, ob er sich nicht dadurch an mir rächt, daß er meinen schaudernden Geist mit dem Geheimnis seiner Unsterblichkeit bekannt macht!

Mirza
Judith, hab' Erbarmen und komm!

Judith
Ja, ja, ich bitte dich, Mirza, sag' du mir immer, was ich tun soll; ich hab' eine Angst, noch selbst etwas zu tun.

Mirza
So folge mir.

Judith
Ach, du mußt aber das Wichtigste nicht vergessen. Steck' den Kopf dort in den Sack, den lass' ich hier nicht zurück. Du willst nicht? Dann geh' ich keinen Schritt!
(Mirza tut's mit Schaudern)
Sieh, der Kopf ist mein Eigentum, den muß ich mitbringen, damit man mir's in Bethulien glaubt, daß ich – – weh, weh, man wird mich rühmen und preisen, wenn ich's nun verkünde, und noch einmal wehe, mir ist, als hätt' ich auch daran vorher gedacht!

Mirza
(will gehen)
Jetzt?

Judith
Mir wird's hell. Hör', Mirza, ich will sagen, du hast's getan!

Mirza
Ich?

Judith
Ja, Mirza! Ich will sagen, mir sei in der Stunde der Entscheidung der Mut abtrünnig geworden, aber über dich sei der Geist des Herrn gekommen und du habest dein Volk von seinem größten Widersacher erlöst. Dann wird man mich verachten, wie ein Werkzeug, das der Herr verworfen hat, und dir wird Preis und Lobgesang in Israel.

Mirza
Nimmermehr.

Judith
Oh, du hast recht! Es war Feigheit. Ihr Jubelruf, ihr Zimbelklang und Paukenschall wird mich zerschmettern, und dann hab' ich meinen Lohn. Komm!
(Beide ab)


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