Friedrich Hebbel
Judith
Friedrich Hebbel

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Dritter Akt

Gemach der Judith

Judith in schlechten Kleidern, mit Asche bestreut, sitzt zusammengekauert da.

Mirza
(tritt ein und betrachtet sie)
So sitzt sie nun schon drei Tage und drei Nächte. Sie ißt nicht, sie trinkt nicht, sie spricht nicht. Sie seufzt und wehklagt nicht einmal. "Das Haus brennt!" schrie ich ihr gestern abend zu und stellte mich, als hätt' ich den Kopf verloren. Sie veränderte keine Miene und blieb sitzen. Ich glaube, sie will, daß man sie in einen Sarg packen, den Deckel über sie nageln und sie forttragen soll. Sie hört alles, was ich hier rede, und doch sagt sie nichts dazu. Judith, soll ich den Totengräber bestellen?
(Judith winkt ihr mit der Hand, fortzugehen)
Ich gehe, aber nur, um gleich wiederzukommen. Ich vergesse den Feind und alle Not über dich. Wenn einer den Bogen auf mich anlegte, ich würd's nicht bemerken, solange ich dich dort lebendig-tot sitzen sehe. Erst hattest du so viel Mut, daß die Männer sich schämten, und nun – Ephraim hatte recht; er sagte: "Sie fordert sich selbst heraus, um ihre Furcht zu vergessen."
(Ab)

Judith
(stürzt auf die Knie)
Gott, Gott! Mir ist, als müßt' ich dich am Zipfel fassen, wie einen, der mich auf ewig zu verlassen droht! Ich wollte nicht beten, aber ich muß beten, wie ich Odem schöpfen muß, wenn ich nicht ersticken soll! Gott! Gott! Warum neigst du dich nicht auf mich herab? Ich bin ja zu schwach, um zu dir emporzuklimmen! Sieh, hier lieg' ich, wie außer der Welt und außer der Zeit; ich harre mit Angst eines Winkes von dir, der mich aufstehn und handeln heißt! Mit Frohlocken sah ich's, als die Gefahr uns nahe trat; denn mir war sie nichts als ein Zeichen, daß du dich unter deinen Auserwählten verherrlichen wollest. Mit schaudernder Wonne erkannt' ich, daß das, was mich erhob, alle andere zu Boden warf; denn mir kam es vor, als ob dein Finger gnadenvoll auf mich deutete, als ob dein Triumph von mir ausgehen sollte! Mit Entzücken sah ich's, daß jener, dem ich das große Werk abtreten wollte, um in Demut das höchste Opfer zu bringen, sich davor feig und zitternd wie ein Wurm in dem Schlamm seiner Armseligkeit verkroch. "Du bist's, du bist's!" rief ich mir zu und warf mich vor dir nieder und schwur mir mit einem teuren Eid, niemals wiederaufzustehen, oder erst dann, wenn du mir den Weg gezeigt, der zum Herzen des Holofernes führt. Ich lauschte in mich selbst hinein, weil ich glaubte, ein Blitz der Vernichtung müsse aus meiner Seele hervorspringen; ich horchte in die Welt hinaus, weil ich dachte: "Ein Held hat dich überflüssig gemacht"; aber in mir und außer mir bleibt's dunkel. Nur ein Gedanke kam mir, nur einer, mit dem ich spielte und der immer wiederkehrt; doch der kam nicht von dir. Oder kam er von dir? –
(Sie springt auf)
Er kam von dir! Der Weg zu meiner Tat geht durch die Sünde! Dank, Dank dir, Herr! Du machst mein Auge hell. Vor dir wird das Unreine rein; wenn du zwischen mich und meine Tat eine Sünde stellst: wer bin ich, daß ich mit dir darüber hadern, daß ich mich dir entziehen sollte! Ist nicht meine Tat so viel wert, als sie mich kostet? Darf ich meine Ehre, meinen unbefleckten Leib mehr lieben wie dich? Oh, es löst sich in mir wie ein Knoten. Du machtest mich schön; jetzt weiß ich, wozu. Du versagtest mir ein Kind; jetzt fühl' ich, warum, und freu' mich, daß ich mein eigen Selbst nicht doppelt zu lieben hab'. Was ich sonst für Fluch hielt, erscheint mir nun wie Segen! –
(Sie tritt vor einen Spiegel)
Sei mir gegrüßt, mein Bild! Schämt euch, Wangen, daß ihr noch nicht glüht; ist der Weg zwischen euch und dem Herzen so weit? Augen, ich lob' euch, ihr habt Feuer getrunken und seid berauscht! Armer Mund, dir nehm' ich's nicht übel, daß du bleich bist; du sollst das Entsetzen küssen.
(Sie tritt vom Spiegel weg)
Holofernes, dieses alles ist dein; ich habe keinen Teil mehr daran; ich hab' mich tief in mein Innerstes zusammengezogen. Nimm's, aber zittre, wenn du es hast; ich werde in einer Stunde, wo du's nicht denkst, aus mir herausfahren, wie ein Schwert aus der Scheide, und mich mit deinem Leben bezahlt machen! Muß ich dich küssen, so will ich mir einbilden, es geschieht mit vergifteten Lippen; wenn ich dich umarme, will ich denken, daß ich dich erwürge. Gott, laß ihn Greuel begehen unter meinen Augen, blutige Greuel, aber schütze mich, daß ich nichts Gutes von ihm sehe!

Mirza
(kommt)
Riefst du mich, Judith?

Judith
Nein, ja; Mirza, du sollst mich schmücken.

Mirza
Willst du nicht essen?

Judith
Nein, ich will geschmückt sein.

Mirza
Iß, Judith. Ich kann's nicht länger aushalten!

Judith
Du?

Mirza
Sieh, als du gar nicht essen und trinken wolltest, da schwur ich: "Dann will ich auch nicht!" Ich tat's, um dich zu zwingen; wenn du nicht Mitleid mit dir selbst hattest, so solltest du's mit mir haben. Ich sagte es dir, aber du hast's wohl nicht gehört. Es sind nun drei Tage.

Judith
Ich wollt', ich wäre so viel Liebe wert.

Mirza
Laß uns essen und trinken. Es wird bald zum letztenmal sein, wenigstens das Trinken. Die Röhren zum Brunnen sind abgehauen; auch zu den kleinen Brunnen an der Mauer kann niemand mehr kommen, denn sie werden von den Kriegsleuten bewacht. Doch sind schon welche hinausgegangen, die sich lieber töten lassen als noch länger dursten wollten. Von einem sagt man, daß er, schon durchstoßen, sterbend zum Brunnen kroch, um sich noch einmal zu letzen; aber eh' er das Wasser, das er schon in der Hand hielt, an die Lippen brachte, gab er den Geist auf. Keiner versah sich dieser Grausamkeit vom Feind; darum ward der Wassermangel in der Stadt gleich so allgemein. Wer auch noch ein wenig hat, hält's geheim wie einen Schatz.

Judith
Oh, greulich, statt des Lebens, das man nicht nehmen kann, die Bedingung des Lebens zu nehmen! Schlagt tot, sengt und brennt, aber raubt dem Menschen nicht mitten im Überfluß der Natur seine Notdurft! Oh, ich habe schon zu lange gesäumt!

Mirza
Mir hat Ephraim Wasser für dich gebracht. Du magst die Größe seiner Liebe daran erkennen. Seinem eignen Bruder hat er's versagt!

Judith
Pfui! Dieser Mensch gehört zu denen, die sogar dann sündigen, wenn sie etwas Gutes tun wollen!

Mirza
Das gefiel mir auch nicht, aber dennoch bist du zu hart gegen ihn.

Judith
Nein, sag' ich dir, nein! Jedes Weib hat ein Recht, von jedem Mann zu verlangen, daß er ein Held sei. Ist dir nicht, wenn du einen siehst, als sähst du, was du sein möchtest, sein solltest? Ein Mann mag dem andern seine Feigheit vergeben, nimmer ein Weib. Verzeihst du's der Stütze, daß sie bricht? Kaum kannst du verzeihen, daß du der Stütze bedarfst!

Mirza
Konntest du's denn erwarten, daß Ephraim deinem Befehl gehorchen werde?

Judith
Von einem, der Hand an sich selbst gelegt, der dadurch sein Leben herrenlos gemacht hatte, durfte ich's erwarten. Ich schlug an ihn wie an einen Kiesel, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn behalten oder wegwerfen soll; hätt' er einen Funken gegeben – der Funke wäre in mein Herz hineingesprungen; jetzt tret' ich den schnöden Stein mit Füßen!

Mirza
Wie aber sollt' er's ausführen?

Judith
Der Schütz, welcher frägt, wie er schießen soll, wird nicht treffen. Ziel – Auge – Hand – da ist's!
(Mit einem Blick gen Himmel)
Oh, ich sah's über der Welt schweben wie eine Taube, die ein Nest sucht zum Brüten, und die erste Seele, die in der Erstarrung erglühend aufging, mußte den Erlösungsgedanken empfangen. Doch, Mirza, geh und iß; dann schmücke mich!

Mirza
Ich warte so lange, als du wartest!

Judith
Du siehst mich so traurig an. Nun, ich geh' mit dir! Aber nachher nimm all deinen Witz zusammen und schmücke mich, wie zur Hochzeit. Lächle nicht! Meine Schönheit ist jetzt meine Pflicht!
(Geht ab)


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