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Erste Szene

Einsamer schwedischer Bauernhof im Schnee. Rechts das kleine Wohnhaus, links Scheuer mit geschlossenem Tor. – Nacht, Mondschein, ausgestirnter Himmel. – Der Bauer mit einer Laterne und Schiffer Frederik treten aus der Tür des Wohnhauses. – Überall aus der Ferne Hundegebell.

Frederik

Was soll man tun? Das ist 'ne Not, wahrhaftig.

Bauer

In Bohus gab's ein solches Weib.

Frederik

Nach Bohus
sind gut vier Meilen. Nein. Ich muß zurück.
Da schick' ich lieber einen Maat nach Marstrand.

Bauer

Vielleicht ist alles schon vorüber, wenn
du heimkommst; und die Frau hat dir
inzwischen schon den ersten Sohn geboren.

Frederik

Mag sein. Daß meine Galeasse noch
festsitzt im Eis, auf eine Art ist's gut.
Ein Kindbett und auf hoher See, Gott straf' mich.

Bauer

Nach Schottland hast du Ladung?

Frederik

Ja, nach Leith.
Längst sollt' ich wiederum zu Marstrand sein
mit Rückfracht. Doch der Winter will dies Jahr
nicht weichen, wie es scheint. – He, was ist das?

Bauer

Du meinst den Fjord. Die See brüllt unterm Eise.

Frederik

Still!

Bauer

I, du meinst die Hunde, Frederik.
Das macht der Vollmond, der die Köter ärgert.

Frederik

Gefröre nicht der Hauch an meinem Bart,
sagt' ich, 'ne Mücke summt in meinem Ohre.
Leb wohl!

Bauer

Leb wohl!

Frederik

Wie's zischt! Hörst du das nicht?

Bauer

Nein! Doch wer kommt dort in den Hof, so spät noch?

Der Fischkrämer Torarin kommt, seinen beladenen Handschlitten selbst ziehend.

Torarin

Gut Freund. Fisch! Fisch! Ich bringe frischen Seefisch.
Kauft Seefisch vom Fischhändler Torarin!
Der Mai steht vor der Tür – und solche Kälte.

Bauer

Du wagst dich aus dem Loche, Torarin!?

Torarin

Das tu' ich. Denk daran, was für ein Tag ist.

Bauer

Petrus Martyr, der siebzehnte nach Ostern.

Torarin

Und Pfarrer Arnes neunzigster Geburtstag.

Bauer

Richtig. Davon ist viel die Rede.
Ja. Du bleibst bei uns zur Nacht?

Torarin

Nein, ich muß weiter.
Den Lachs, den Dorsch verlangt's nach Pfarrer Arne.
Seit fünfzehn Jahren hab' ich diese Nacht
nie anderwärts verschlafen als im Pfarrhof.

Frederik

Hätt' man's so dick wie mancher Pfarrherr doch,
es täte nicht mehr not, mit Wind und Wetter
und groben Seen sich herumzubalgen.

Torarin

Still! Hört Ihr das?

Frederik

Schon lange, ja. Was ist es?

Torarin

Es zischt.

Bauer

Die Gänse sind's im Gänsestall.

Torarin

Das wäre! Fragt mich jemand, sag' ich ihm:
die alte Schlange zischt im Paradiese.

Bauer

Wie sieht's zu Marstrand aus?

Torarin

Die Straßen wimmeln
von Kriegsvolk, schottischen Knechten, die der König
Johann entlohnt hat. Wenn sie nüchtern sind,
mag's gut sein. Völlerei und Spiel und Trunk
reibt viele auf, bringt manchen an den Galgen.

Frederik

Erst gestern strichen welche um mein Schiff.
Sie fragten um Gelegenheit nach Schottland.

Torarin

Wenn nicht das Eis bald bricht, nicht bald die See
sie mitnimmt, bleibt der letzte Heller Sold
zu Marstrand in den Hafenschenken sitzen.
Doch s! s! s! – was ist es, das so zischt?

Bauer

Die Scherenschleifer meint Ihr in der Scheune?

Torarin

Habt Ihr hier Scherenschleifer?

Bauer

Freilich: drei!

Torarin

Was mögt Ihr sonst noch haben auf dem Hofe!

Anne, die Tochter des Bauern, tritt aus der Tür.

Anne

Guten Abend, Vater Torarin.

Torarin

Viel Dank auch.
Und Gott soll Euch beschützen, Jungfrau Anne.
Doch was ist's mit den Schleifern, habt Ihr hier
so viele Scheren stumpf geschnitzelt, Jungfrau?

Anne

Sie schleifen Messer, sind wie aus der Erde
gestiegen; bleib doch bei uns, bis sie fort sind.

Torarin

Man denkt sich so das Seine. Schlimme Zeit.
Solang das Korn nicht sprießt, ist Satan mächtig.
Werwölfe gehen um. Die Sonne steht
im Stier. Der blutige Saturn bedrängt sie.
Mein Niftel hustet Blut. Ihr wißt, sie hat
das Gnadenbrot im Pfarrhaus. Ich muß zusehn.
Und dabei gibt's ein Fest: ganz Bohuslän
kommt morgen auf die Beine. – Gott sei bei uns.

Die Flügel des Scheunentors werden von innen aufgestoßen. Auf der Tenne sieht man einen Lichtstumpen auf einem Schleifstein. Sir Archie, Sir Douglas und Sir Donald kommen mit langen Messern aus der Scheune. Es sind drei lange Strolche mit berußten Gesichtern. Ihr Betragen, von Trunk und Strapazen überreizt, ist wild und unheimlich.

Sir Archie

Der Teufel hol' mich! Heiß! mir brennt der Schlund,
das Maul ist mir voll Galle. Bringt mir etwas
zu saufen! Wo sind Leute? Wirtschaft! He!
seid ihr vom Haus? Wir wollen trinken. Wo
gibt's Branntwein? sonst, bei Gott, ich fresse Schnee!
Ihr seht's: ich fresse Schnee! –

Er kauert sich nieder und tut es.

Gott sei mir gnädig.

Sir Douglas

Sir Archie, gebt mir einen Lappen, gebt
mir Euer Sacktuch, denn ich blute wie
ein Schwein! Der Hund, Sir Donald, hat
mich in die Hand geschnitten. Hole dich
die schwarze Pest, Sir Donald! Mögest du
für jeden abgeschnittnen Hals, für jede
durchstochne Gurgel einen Richter finden!
Seid ihr vom Haus, ihr braven Leute, he?
Du siehst, der Schnee wird schwarz. Ich schlachte Hühner.
Bringt mir 'nen Zipfel alter Leinwand! Rasch!

Sir Donald

kommt mit drei langen Messern in den Händen

Sperrt doch das Maul auf, Leute! Wie bekommt
man hier für Geld und gute Worte etwas,
die Gurgel zu befeuchten? Feuchte Gurgeln
sind allzeit fröhlich. Deshalb singen wir.
Wir singen, weil wir trinken. Vice versa:
wir müssen saufen, weil wir singen. Hölle
und Henkersknecht, mir flirrt es vor den Augen.
Ist's hier nun heiß? ist's kalt? Ist's Nacht? ist's Tag?
Sind wir in Schottland oder Schweden? He!
Sir Archie! Eure Uhr! Wieviel ist wohl ...
die Geographie?

Sir Douglas

Hol die Laterne aus
der Scheune! denn, der Himmel weiß, ich sehe
hier nicht mehr Fratzen und Gesichter als
am Schleifstein. Ist der Herr Herrgott vielleicht
ein Scherenschleifer und die Welt sein Schleifstein,
dann soll sich fürderhin kein Astronom
den Kopf zerbrechen. Flechtet mich aufs Rad,
wenn nicht die Sterne Feuerfunken sind,
die Stahl und Stein ins Dunkel bläst. Hilf Gott!
Mein Hirn friert ein, ich habe blaue Finger.
Ein blutender Scherenschleifer, Herrgott, Astronom
am Kreuz, am Schleifstein, an der Wirtshaustreppe
bittet um Gnade, Essigschwamm und Leinewand,
um seine Finger zu verbinden.

Zu Anne

Heilige Jungfrau,
errette meiner armen Mutter Sohn.

Anne

Gebt her. Hier ist mein Sacktuch. Nehmt es. So!

Sir Douglas

Pfui Teufel, wir sind Schurken. Diese Leute
sind Lämmer. Alle Leute hierzuland
sind brav wie Schöpse. Sela! Doch was tun?
Der Metzger hat sein Handwerk! und kein Mensch
lebt nur von Bohnen. Wären keine Metzger,
so wären keine Scherenschleifer. Not
ist Not! Mundraub ist Mundraub. Sela!
Um Gottes willen, schenkt uns etwas Branntwein!

Torarin

Was treibt Ihr für ein Handwerk?

Sir Douglas

Fragt die andern.
Ich war ein Lump von Kindheit an. Sir Archie,
Ihr wurdet es ein wenig später. Wir
traten als Hühnerdiebe in die Welt,
zu drein auf einmal. Wir sind Drillinge.
Ein Hai im Sund hat uns gelaicht.

Sir Donald

Er lügt.
Mein Vater war ein Schneider. Deshalb kam
ich mit der Nadel auf die Welt. He, Jungfrau,
he! wie gefällt Euch das? Mir scheint, wir passen
wie Nadel und Zeug zusammen. Gott verzeih' mir's,
ich bin ein armer Sünder, und ich will –
ist hier ein Pfarrer in der Nähe? – will
zur Beichte gehn.

Sir Douglas

rüttelt Sir Archie, richtet ihn auf

Sir Archie, auf! Er will
das Stück von dem erfrornen Knaben spielen.
Er meint, er hocke auf dem Schaugerüst
und rühre eine Pöbelschar zu Tränen.
Macht Ihr hier Tauwind? wen beweint Ihr? wollt Ihr
den dickvereisten Sund aufschmelzen? was?
oder den losgebundnen Satan samt
der Hölle unter Wasser setzen?

Sir Donald

Auf!
Auf, auf, auf, auf, Sir Archie! Hier ist Branntwein.

Der Knecht hat ihn gebracht.

Lallt nicht und bruddelt wie ein kleines Kind!
Eure Mutter weiß nicht, wie's Euch geht. Sie liegt
im Sarg und wird sich nicht im Grabe wenden.
Macht euch Bewegung, los!

Sir Donald macht einen sogenannten Bock. Mit einem elastischen Ruck springt Sir Archie unvermittelt auf und überspringt breitbeinig Sir Donald. Er macht dann selbst den Bock, und Sir Douglas überspringt ihn. Sir Donald, dann Sir Douglas und so fort, nach dem bekannten Zirkusscherz.

Sir Douglas

während des Springens

Ihr seht, wir sind
ein lustiges Kleeblatt, sind Luftspringer: Hecht,
Iltis und Marder zubenannt. Mein Bruder
hat weißes Haar und rote Augen. Und wir fressen
lebendige Kaninchen, wenn's drauf ankommt.
Ich selber bin ein Messerschlucker. Dieser
ein Messerwerfer, der ein Messerschmied. –
Wie weit ist's zur Pfarrei? Wo ist 'ne Kirchweih,
ein Markt, wo sich drei arme Jungens, drei
Joculatores, einen Bissen Brot
redlich verdienen können?

Sir Archie

Wie weit ist es
zu Pfarrer Arne? zur Pfarrei, he, du da?

Torarin

Ich weiß nicht! Wenn Ihr mich fragt: ich bin fremd hier.

Sir Donald

Wir wollen beichten, wollen unsre Sünden
bekennen und die heilige Kommunion
empfangen. Straf' mich Gott, wenn es nicht wahr ist.
Wo geht's hinaus nach Pfarrer Arnes Pfarrhof?

Bauer

Wo geht's hinaus: das ist jetzt leicht gefragt.
Die Wege weit und breit verschneit, der Pfarrhof
im Schnee verweht, beinahe bis zum Rauchfang.
Und, Männer, wenn ich recht euch raten soll,
so laßt den Pfarrer Arne aus dem Spiele.
Wolfshunde hält er! Knechte! Und sein Schwert,
das mannslang ist und blank, weiß er zu brauchen.

Sir Douglas

Ein Mann nach unserm Herzen.

Sir Donald

macht den Genossen Zeichen

Können wir
in deinem Stadel übernachten, Wirt?

Bauer

Das könnt ihr.

Sir Donald

Und was sind wir dafür schuldig?

Bauer

Nicht Unfug anzustiften, weiter nichts.

Sir Donald

Kreuzbraver Wirt. Kommt, Jungens, in die Scheune!

Alle drei verbeugen sich mit komischer Gravität.

Sir Douglas

Hecht, Marder, Iltis wünschen gute Nacht.

Sir Donald

He, holla, laßt den Fuchsbau uns verrammeln.

Er schließt das Scheunentor, hinter dem er mit seinen Genossen verschwindet. Man hört ein wildes Gelächter, gleich darauf betrunkenes Grölen und das Zischen des Schleifsteins.

Torarin

Wisch dir die Augen, Torarin. Was war das?

Frederik

Spuk!

Torarin

Es war kein Spuk. Was tu' ich nun
zuerst?

Anne

Um Gott! Sie kommen wieder.

Torarin

Geh' ich zuerst zum jungen Arnesohn
oder zum alten Pfarrer nach Solberga?
Denn hier tut Warnung not. Gleichviel! Nur vorwärts.

Frederik

Wir haben einen Weg, ich gehe mit dir.


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