Wilhelm Hauff
Gedichte
Wilhelm Hauff

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Den abgehenden Brüdern im Herbst 1823

(Weise: Sind wir vereint zu guter Stunde)

              Vom Himmel ist der Geist entsprossen,
Der unser Herz zum Höchsten hebt,
Der auf die scheidenden Genossen
Noch einmal segnend niederschwebt.
Es schwebt um euch in alle Lande
Der Bruderliebe mildes Licht,
Denn ewig sind des Geistes Bande,
Wenn auch die Zeit die Form zerbricht.

Und feiernd zu dem Bundesmahle
Naht der Erinnrung schönes Bild;
Sie neigt die volle Opferschale,
Daß reich ihr Opfer niederquillt,
Und wie der Strom die grünen Hügel
Auf klarer Welle freundlich zeigt,
Zeigt sie der Freude goldnen Spiegel,
Wenn sie die volle Schale neigt.

Das Tal, das uns so oft gesehen
An seines Stromes grünem Strand,
Und alle Täler, alle Höhen
Aus unsrer Jugend Zauberland,
Und alle Freuden, alle Leiden,
Noch einmal kehren sie zurück,
Noch einmal wollen sie entgleiten
Vor unsrer Brüder trunknem Blick.

Doch was in jener heil'gen Stunde
Begeisternd eure Brust durchdrang,
Als mächtig aus der Brüder Munde
Der wogende Gesang erklang,
Als ihr den Brüdern schwuret Treue,
Des hohen Zweckes euch bewußt,
Das steige heut mit neuer Weihe
Hernieder in der Brüder Brust!

O nennt's nicht Wahn, was euch durchbebte,
Was uns den Busen mächtig füllt,
Der Geist, der feiernd euch umschwebte,
War nicht der Träume Luftgebild;
Jetzt, in der letzten Feierstunde,
Wo Herz an Herz sich fester drückt,
Strahlt euch aus jedem Aug die Kunde:
Es ist kein Traum, was uns beglückt!

Und was wir feiernd jetzt gesungen,
Es war ein ernstes Abschiedswort;
Denn, sind die Töne bald verklungen,
Es lebt der Geist der Töne fort:
»Für Freiheit, Gott und deutsche Ehre,
Für unser liebes Vaterland!«
Dies sei des Bundes letzte Lehre,
Der letzte Druck der Bruderhand.

 


 


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