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Erstes Kapitel.

Der Morgen brach über der nach San José führenden Landstraße an. Die langen Linien der staubigen Ebene traten mit der zunehmenden Helle immer deutlicher hervor. Zu beiden Seiten breiteten sich Weizen- und Haferfelder aus und dampften erwachend zum Himmel. Im Osten und Süden erloschen die Sterne vor dem anbrechenden Tage; nur am westlichen Horizonte, zwischen den bewaldeten Hügeln der Cañada del Raimondo, über welchen die Nacht noch zu lagern schien, blitzten und blinkten noch einige der Himmelslichter. Dorthin richteten mehrere niedrig fliegende Nachtvögel ihren schwerfälligen Flug, dorthin eilte auch hinkenden Schrittes ein grauer Coyote Coyote = Präriewolf ( Canis latrans). Anm. d. Uebers., welchen der Morgen überrascht hatte, und nach derselben Richtung hin ging – gleich dem grauen Gesellen den Schutz der fernen Hügel suchend – ein einsamer Wanderer, unter dessen Füßen der tiefe, von der taulosen Nacht nicht gebändigte Straßenstaub hoch aufwirbelte.

Eine Weile hielten die beiden – Mensch und Tier – welche in Haltung und Ausdruck eine wunderliche Verwandtschaft zeigten, gleichen Schritt. Der Coyote hatte dieselbe Ähnlichkeit mit seinem civilisierten, harmlosen Bruder, dem Hunde, welche der Tramp Tramp könnte etwa mit Bummler, Strolch, Landstreicher, wie mit Fußgänger und Wanderer übersetzt werden. Da aber keine dieser Bezeichnungen der Bedeutung des Wortes ganz und unter allen Umständen entspricht, so behalten wir dasselbe hin und wieder bei. Anm. d. Uebers. mit einem gewöhnlichen Fußgänger hatte; aber beide zeigten die charakteristischen Merkmale müßiger, halb und halb außer dem Gesetze stehender Landstreicher. Der schlottrige Paßgang und die scheue Art und Weise des Coyoten wiederholte sich in dem schleppenden Schritte und den vorsichtigen Seitenblicken des Menschen. Beide waren jung und kräftig, aber beide trugen dasselbe schlaffe Wesen, dieselbe Abneigung gegen wirklich energische körperliche Anstrengungen zur Schau. So mochten sie, ohne es zu wissen, vielleicht eine Viertelstunde hintereinander hergegangen sein, als die schärferen Instinkte des Tieres es vor der Berührung mit einer gewaltthätigen Civilisation warnten und es bestimmten, im scharfen Winkel rechts abzubiegen, was gerade fünf Minuten vor dem Augenblicke geschah, da das Gebell von Hunden den Menschen veranlaßte, nach links auszuweichen, um nicht in eine bewohnte Ansiedelung zu geraten, welche dicht vor ihm lag.

Der Pfad, den er einschlug, führte ihn geradeswegs zu einem der kleinen Bäche, welche aus der Cañada hervorbrechen, um unter der Junihitze der Ebene zu verschwinden. Die Ufer des Rinnsals waren dicht mit Weiden und Erlen bestanden und machten dasselbe zu einem laubenartig überdachten gangbaren Pfade, welcher sich durch den dichten Wald und das Unterholz hinzog. Der Mann verfolgte ihn, allem Anschein nach ohne Ziel und Zweck, blieb zwar von Zeit zu Zeit stehen, um den einen oder anderen Gegenstand zu betrachten, aber er that dies gleichsam mechanisch, als käme es ihm eigentlich nur darauf an, seine müßigen Stunden hinzubringen, und wenn er eine Brotrinde, die er aus der Tasche gezogen hatte, dann und wann in einen der vielen kleinen Wassertümpel tauchte, so schien auch diese Handlung mehr aus der hergebrachten Zusammengehörigkeit von Brot und Wasser hervorzugehen, als aus dem Bedürfnisse, seinen Hunger zu stillen. Endlich erreichte er eine kleine muldenförmige Bodeneinsenkung am Abhange des Hügels, welche mit köstlich duftendem, wildem Klee bewachsen war. Hier legte er sich im Schatten eines Maganitastrauches zum Schlafen nieder, und die Art und Weise, wie er seine Vorbereitungen dazu traf, verriet deutlich, daß ihm die Gewohnheiten jener Menschenklasse, welche trockene, sternenhelle Nächte zu ihren Wanderungen zu wählen pflegt, um die heißen Tagesstunden schlafend, oder wenigstens seitab von der Straße im Schatten liegend, zuzubringen, seit lange vertraut waren.

Inzwischen war es heller geworden, und nach und nach traten die Formen und Umrisse der erwähnten Besitzung deutlich hervor. Eine Straße, welche man durch den parkähnlichen Wald gehauen und sorgfältig von den ungeheuren Farnkrautbüscheln gereinigt hatte, die eine Eigentümlichkeit der Gegend sind, führte nach dem Eingange zu der Cañada. Von hier aus stieg sanft eine breite Terrasse empor, deren Rasengrund nur durch ungeheure Blumenbeete von unbeschreiblicher Farbenpracht und Ueppigkeit unterbrochen wurde, hinter denen wiederum höhere Büsche und Schlingpflanzen die Säulen, die Veranda, ja so ziemlich die ganze langgestreckte Façade eines großen Gebäudes verhüllten. Aber die Zartheit des blumendurchflochtenen Laubwerkes, das sich daran emporrankte und hier und da selbst bis unter das Dach hinaufkletterte, die blendende Pracht der Farben und die Massenhaftigkeit des tropischen Pflanzenwuchses beeinträchtigten keineswegs den Eindruck der Größe und Würde des Bauwerkes. Dieser Eindruck beruhte zum Teil darauf, daß die ursprüngliche Casa – ein umfängliches, mit einem dicken Mantel von dunklem Rotholz umkleidetes Backsteingebäude, welches noch aus der Zeit der ersten Besitzergreifung des Landes durch die Spanier herstammte – unberührt geblieben war, und noch seinen Patio, d. h. den von niedrigen Galerien umgebenen inneren Hof, besaß. Allerdings hatte man später neue Teile, viel umfänglicher als der ursprüngliche Kern, angebaut, aber man hatte dieselben nicht als Flügel angefügt, sondern das Gebäude an jeder Seite, der Länge nach, vergrößert, so daß aus dem anfänglichen streng geschlossenen Quadrat ein langes Viereck von etwas unbestimmten Linien entstanden war.

Hielt nun aber der Patio den Charakter der alten spanischen Abgeschlossenheit fest, so war dagegen die breite säulengetragene Veranda an der südlichen Seite des Gebäudes eine Konzession an den amerikanischen Geschmack. Ihre Breite verlieh den inneren Zimmern dieser Abteilung die Kühle und den tiefen Schatten, welche bei den dünneren Umfassungsmauern des neuen Anbaues verloren gegangen wären, und hüllte sie in eine Dämmerung, in welche nur die brennend roten, vom Dache herabhängenden Kardinalblumen, der gelbe Sonnenschein der an den Säulen emporrankenden Jasminblüten und die wellenartigen Hügel der Heliotropen, die den Fuß der Veranda wie ein purpurnes Meer umgaben, Licht und Farbe brachten. An keiner anderen Stelle zeigte sich der Blütenreichtum dieses Himmelsstriches in so überquellender Fülle wie hier. Selbst die kastilianischen Rosen, welche wie Weinranken an der Ostseite emporkletterten, die Fuchsias, die im Patio eine baumartige Größe erreichten, und die riesenhaften Passionsblumen, welche die niedrige westliche Mauer überzogen und aus tausend Mündern ihre geheimnisvolle Geschichte erzählten, verblichen gegen die Glut und Pracht der südlichen Veranda.

Als die Sonne am Himmel emporstieg, schien der zuerst von ihrem Strahle berührte östliche Teil des Hauses zu erwachen. Einige sich dehnende Arbeiter und Diener zeigten sich am Eingange des Patio, und im Garten und in den Ställen war es schon früher lebendig geworden. Die Südfront schien sich überhaupt gar nicht zur Ruhe begeben zu haben, denn in dem großen Saale brannten noch die Lichter – ein Präsentierbrett mit Gläsern stand in der Veranda in der Nähe einer der weiten, offenen Glasthüren, und etwas weiterhin lag, wie ein welkes Blatt, ein halb geöffneter gelber Fächer. Von der mit Kies bestreuten Terrasse her schallte, vermischt mit den Tönen sprechender und lachender Stimmen, das Geräusch rollender Räder und ein Char-a-bancs mit verhüllten Gestalten, die sich, um den direkten Strahlen des heraufsteigenden Tagesgestirnes auszuweichen, tief niederbeugten, entfernte sich schnell.

Als der Wagen davonrollte, traten vier Männer, die Augen mit den Händen beschattend, aus einer der Glasthüren auf die Veranda. Der eine war noch im Abendanzuge, der zweite trug die Uniform eines Kapitäns der Artillerie; die beiden anderen hatten bereits die Gesellschaftskleider abgelegt, und der ältere von ihnen hatte sie gegen ein Kostüm aus jenem groben, geköperten Stoffe vertauscht, den englische Touristen im Auslande – mit Rücksicht auf dessen vielleicht blühende, ihrer Meinung nach aber doch zurückgebliebene Industrie – zu tragen pflegen.

Letzterer blickte der Sonne herzhaft ins Gesicht und bemerkte mit stark schottischem Accent, daß der Morgen außerordentlich klar und auch nicht eine Spur von Nebel oder Dunst zu entdecken sei. Der junge Mann im Gesellschaftsanzuge stimmte ihm lebhaft bei und sprach in sehr markiert französisch-englischem Idiom die Bemerkung aus, daß man hier begreifen lerne, wie das Bett eine Beleidigung für jede höhere Natur, gleichzeitig aber eine Undankbarkeit gegen die liebenswürdige Wirtin sei, welche ihren Gästen diesen entzückenden Garten und diese Promenadenwege zur Verfügung stelle, und daß es sicherlich nichts Schöneres in der Welt geben könne, als den auf Pflanzen und Gräsern blitzenden Tau und den Morgengesang der Vögel.

Bei diesem Punkte hielt der andere junge Mann es für seine Pflicht, den Sprecher auf die Thatsache aufmerksam zu machen, daß in Kalifornien niemals Tau falle und daß in diesem Teile des Landes kein Vogel singe. Der junge Fremde nahm diese Belehrung mit ebenso großem Bedauern über die Thatsache, wie über seine eigene Unwissenheit auf – aber er fand den Morgen dessenungeachtet so wunderschön, daß sein liebenswürdiger Freund, der Herr Kapitän, vielleicht nicht abgeneigt war, einen weitern Spaziergang zu Fuße mit ihm zu machen.

Unglücklicherweise war der liebenswürdige Herr Kapitän dazu nicht geneigt, sondern behauptete, daß – selbst wenn er der Gefahr entginge, durch die überseeischen Jäger, welche die Gegend unsicher machten, als seltener kalifornischer Vogel angesehen und totgeschossen zu werden, er doch, falls er sich in Uniform auf der Straße sehen ließe, von allen Vorübergehenden angehalten und gefragt werden würde, zu welcher Kunstreitergesellschaft er gehöre und wo sich sein Cirkus befinde – und daß er sich unter diesen Umständen darauf beschränken müsse, um das Haus herum zu schlendern und zu warten, bis sein Wagen bereit sei.

So schwer es nun auch Monsieur Garnier fiel, sich von so angenehmer Gesellschaft zu trennen, so sah er doch ein, daß es auch für ihn notwendig sei, sich zurückzuziehen, um die Kleider zu wechseln, und so glitt er in demselben Augenblicke durch die Glasthür in das Haus zurück, als der junge Offizier, anscheinend unbefangen, die Veranda verließ und sich den buschigen Anlagen des Gartens zuwendete.

»Sie beobachten einander seit einigen Stunden, und ich bin wirklich neugierig, zu erfahren, was sie vorhaben,« sagte der junge Mann, welcher zurückgeblieben war.

»Was meinen Sie damit?« fragte der Schotte bedächtig.

»Nun das ist doch klar wie Sonnenschein,« entgegnete der jüngere. »Kapitän Carroll und Garnier sind einer so gespannt wie der andere, zu wissen, was sein Nebenbuhler diesen Morgen thut oder zu thun beabsichtigt.«

»Warum gehen sie dann aber auseinander,« fragte der Schotte.

»Reine Spiegelfechterei. Garnier beobachtet Carroll durch sein Fenster und Carroll weiß das recht gut.«

»Ah!« rief der Schotte in gutmütigem Tone. »Es wird also Händel geben? Hoffentlich wird die Sache nicht ernst und wir haben es nicht noch vor dem Frühstück mit Revolver und Bowiemesser zu thun?«

»Nein,« lachte der andere, »nein. Um Maruja Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich sagen, daß sie ihren Anbetern gewöhnlich den Kopf viel zu sehr verdreht, um sie besonders kampflustig zu machen. Ich sehe, Sie verstehen mich nicht, denn Sie sind hier noch fremd, und so will ich, der ich stehender Gast des Hauses bin, Ihnen die Sache erklären. Die beiden sind in Maruja verliebt, oder, was eigentlich noch schlimmer ist, sie sind beide fest überzeugt, von ihr geliebt zu werden.«

»Aber Miß Maruja ist ja wohl die älteste Tochter unserer Wirtin,« sagte der Schotte, »und soviel ich aus den Reden einer der jungen Damen verstanden habe, ist der Kapitän in der entschiedenen Absicht von seinem Fort hierher gekommen, der jüngeren Schwester, der Schönheit Miß Amita den Hof zu machen.«

»Möglich. Aber das hindert Maruja nicht, mit ihm zu kokettieren.«

»Irren Sie sich da nicht, Mr. Raymond? Ich erinnere mich nicht, je ein zurückhaltenderes, bescheideneres, sittsameres junges Mädchen gesehen zu haben, als Maruja.«

»Das ist Ihre Meinung, weil sie zwei Walzer überschlug, um sich mit Ihnen zu unterhalten, wobei sie Ihnen das Reden überließ und sich mit dem Zuhören begnügte.«

Die frische Gesichtsfarbe des älteren Mannes war für einen Augenblick noch lebhafter geworden, aber er faßte sich sogleich wieder und sagte mit gutmütigem Lachen:

»Kann sein, kann sein. Sie ist allerdings eine vortreffliche Zuhörerin.«

»Sie sind nicht der erste, welcher das sagt. Banquier Stanton, Ihr Freund, der nie von etwas anderem spricht, als von Minen und Aktien, behauptet, sie sei die einzige Frau, mit der man sich unterhalten könne, und dabei sind wir alle imstande zu beschwören, daß sie die ganze Zeit, während sie bei Tische neben ihm saß, keine zwei Worte gesagt hat. Aber sie blickte ihn an, als ob sie spräche – und das ist es, was Männer, Frauen und Kinder für sie einnimmt, denn sie ist klug genug, sich nie den Anschein zu geben, als erwiese sie damit jemand eine Gunst, als ließe sie sich zu jemand herab. Ich kenne keine junge Dame, welche anspruchsloser erschiene und dabei mehr erreichte. So zum Beispiel kann man sie kaum hübsch nennen und –«

»Warten Sie 'mal ein bißchen – Sie sind mir zu rasch, junger Freund! Ich möchte ihr die Schönheit doch nicht absprechen,« entgegnete der Schotte freundlich aber bedächtig.

»Gestern hätten Sie es noch ohne Bedenken gethan,« fuhr der junge Mann fort. »Aber sie ist imstande – ohne daß ich mir damit einen anmaßenden Vergleich erlauben will – denselben Eindruck hervorzubringen, wie das schönste Mädchen. Keiner will es glauben, und jeder macht die Erfahrung.«

»Sie übertreiben, Mr. Raymond, und man sollte fast glauben, Sie als stehender Gast des Hauses –«

»O, natürlich habe auch ich mir die Finger verbrannt und es ist mir gegangen wie allen anderen,« lachte der junge Mann mit unverstellter Offenheit. »Es ist jetzt zwei Jahre her.«

»Ich begreife – Sie konnten damals noch nicht heiraten.«

»Bitte um Verzeihung – es passierte mir gerade, weil ich heiraten konnte.«

»Nun?« fragte der Schotte, indem er ihn verwundert ansah.

»Nun, Maruja ist eine reiche Erbin und ich bin nur Bergwerksingenieur,« fuhr der junge Mann fort.

»Aber mein lieber junger Freund, ich glaubte, in Ihrem Vaterlande –«

»In meinem Vaterlande, ja. Aber wir stehen hier auf einem Stück altspanischen Bodens. Diese Ländereien wurden den Vorfahren unserer Wirtin, Doña Maria Saltonstall, von Karl V. verliehen. Sehen Sie sich nur um. Die Veranda und der Holzmantel um die alte Casa sind das Werk des ehemaligen Kapitäns eines Walfischfahrers aus Salem, den sie geheiratet hatte. Aber das ist auch das einzige Amerikanische hier. Das Innere des Hauses, sowie das Leben, das sich in und um den alten Patio abspinnt, ist spanisch. Die Verwandten der Doña, die Estudillos und Guitierrez haben auf den Yankeekapitän, obgleich er die Besitzung so verbesserte, daß sie den vierzigfachen Wert bekam, immer mit Geringschätzung herabgeblickt, und widersetzen sich, seit seinem Tode, jeder ferneren Vermischung mit fremden Elementen. Allerdings würde sich Maruja, wenn sie sich einmal ordentlich verliebte, durch ihre Verwandten nicht groß stören lassen, denn obgleich nach ihrer ganzen Lebensauffassung wie in Gestalt und Anmut Spanierin, ist doch genug von dem Blute des ketzerischen Schiffskapitäns in ihre Adern übergegangen, um allen Gesetzen und Autoritäten zum Trotz einer großen Leidenschaft zu folgen. Söhne sind in der Familie nicht, und so ist sie die einzige Erbin dieser Besitzung, denn dem heimischen Brauche gemäß werden die jüngeren Schwestern aus dem übrigen Vermögen der Familie, das sehr bedeutend ist, entschädigt.«

»Miß Amita wäre also für den Kapitän eine gute Partie?«

»Die er möglicherweise um Marujas willen in die Schanze schlägt, denn die hübsche Amita hat spanisches Blut genug in den Adern, um eine, wenn auch nur momentane Abschweifung, niemals zu verzeihen.«

Ein gewisses Etwas in Mr. Raymonds Tone brachte den Schotten auf die Vermutung, daß er aus eigener schlimmer Erfahrung spreche. Wie wäre es auch sonst gekommen, daß es diesem angenehmen, gut erzogenen jungen Manne, welcher alle Aussicht hatte, in seinem Fache eine Größe zu werden, und welcher im Hause offenbar als gern gesehener Gast verkehrte, nicht gelungen war, seinen Vorteil wahrzunehmen.

»Aber wie geht es zu, daß unsere Wirtin, wenn sie der Verheiratung ihrer Töchter mit Amerikanern entgegen ist, die jungen Damen der Gefahr des Umganges mit unseren Landsleuten aussetzt?« fragte der ältere Mann. »Die Mädchen scheinen mir doch alle in Amerika üblichen Freiheiten zu genießen.«

»Vielleicht sind sie gerade deshalb um so weniger geneigt, diese Freiheiten um des ersten besten willen aufzugeben. Außerdem spielt – zwar unsichtbar aber deshalb nur um so wirksamer – die alte spanische Dueña noch eine Rolle in der Familie. Es ist nämlich Thatsache, daß jeder, welcher anfängt, sich für irgend ein Wesen, außer für Maruja, zu interessieren, von Pereo den Laufpaß empfängt.«

»Wie, von dem Tafeldecker? Von jenem indianerartig aussehenden alten Burschen? Von einem Menschen, der nichts ist als ein Diener?«

»Verzeihung – er ist Haushofmeister, ein alter vertrauter Diener, welcher eine Art verwandtschaftlicher Stellung einnimmt. Gewöhnlich glaubt der Betreffende nicht, was ihm der Mann sagt – wendet er sich aber an die Herrin des Hauses, so ist diese unwohl – bekanntlich hat sie eine sehr schwache Gesundheit – und ist das arme Opfer gar wahnsinnig genug, Maruja zu seiner Vertrauten zu machen, so bekommt es vollends den Gnadenstoß.«

»Wieso?«

»Weil dies stets damit endigt, daß der Thor seine junge Liebe auf sie überträgt, und – mit dem gewöhnlichen Erfolg.«

»Glauben Sie denn, daß unser Freund, der Kapitän, seinen Abschied von dem vertrauten Majordomo bereits erhalten hat?«

»O, in diesem Falle wird es nicht nötig sein,« entgegnete der andere trocken.

»Hm! Aber sehen Sie, der Kapitän ist eben hinter jenen Büschen verschwunden – und dort huscht der Franzose durch die Myrtensträucher! Wie ist er denn dahin gekommen? Und da, alle Wetter, haben wir ja auch unsere junge Dame!«

»Ja, es ist Maruja!« entgegnete Raymond mit veränderter Stimme.

Das junge Mädchen hatte sich, von Säule zu Säule gleitend und hinter jeder einen Moment anhaltend, als ob sie nach einer besonderen Blume suche, im Schutze des Veranda-Geländers so leise genähert, daß sich die beiden Männer von einer unbehaglichen Empfindung ergriffen fühlten. Maruja gab weder durch Blick noch Miene zu erkennen, ob sie von ihrem Dasein wisse oder nicht, sondern schien durch ihre Beschäftigung oder ihre Gedanken dergestalt in Anspruch genommen, daß beide, demselben instinktiven Antriebe folgend, näher ans Fenster traten und lautlos warteten, ob sie vorübergehen oder ihre Anwesenheit bemerken werde.

In der Entfernung von wenigen Schritten stand sie still, um eine Blume in ihrem Gürtel zu befestigen. Eine schmächtige, jugendliche kaum entwickelte Gestalt in blaßgelbem Kleide. Das volle Oval ihres Gesichtes, die gerade Linie ihres Rückens, die noch beinahe knabenhaften Umrisse der Hüften, die kinderhafte Kleinheit ihrer Füße und Hände, alles dies drückte frische, harmlose, liebenswürdige, unberührte Jugend aus – nichts weiter.

Sich selbst vergessend drückte der ältere Mann den jüngeren in scherzhafter Empörung gegen die Mauer.

»Na, mein junger Herr,« flüsterte er mit um so stärkerem schottischem Accent, je mehr er sich ereiferte, »na, sehen Sie sich mal dies unschuldige Kind ordentlich an. Schämen Sie sich nicht, von solchem reinen, jungen Wesen gesprochen zu haben, als ob sie eine Circe wäre? Ich begreife nicht, Mann, wo Sie an diesem jungen Dinge, das aussieht als liefe es noch mit den Milchzähnchen herum, den Pferdefuß herausfinden wollen. Das soll eine Kokette sein? Diese bescheiden niedergeschlagenen Augen sollen nach Männern angeln? Schämen Sie sich bis ins Herz hinein, Mr. Raymond. Sie denkt an ihr Frühstück, anstatt, wie Sie vermuten, an ihre Courmacher. Sprechen Sie noch ein einziges ihre Reinheit anzweifelndes Wort und ich werde zum Verräter und liefere Sie ihr aus. Haben Sie denn gar keinen Respekt vor Unschuld und Jugend!«

»Lassen Sie mich los,« flüsterte Raymond. »Ich sage Ihnen dann, wie alt sie ist. Still, sie sieht uns.«

Die beiden Männer richteten sich auf. Maruja hatte die Augen allerdings zu dem Fenster erhoben, und es waren wundervolle Augen, die noch von etwas mehr als ihrer eigenen Schönheit sprachen. Sie waren inmitten einer dunkelbrünetten Umgebung so blau wie der Himmel über ihnen – aber sie zeigten noch eine andere Eigentümlichkeit. Unter den dunklen Augenlidern der Mutter blitzte siegreich und unwiderstehlich die Seele des ehemaligen Walfischjägers hervor.

Maruja lächelte den beiden Männern in kindlich-mädchenhafter Art einen Gruß zu, indem sie den Kopf in eigentümlicher Weise über die Blumen neigte, die sie in der Hand trug. Der geradlinige Mund wurde plötzlich, indem er sich öffnete und die weißen Zähne sichtbar werden ließ, seltsam schön, und dies Lächeln erleuchtete noch, nachdem es schon vorübergeflogen, gleich einem Sonnenstrahle das ganze Gesicht. Dann ging sie weiter. In demselben Augenblicke kam Garnier zum Vorschein und näherte sich ihr.

»Kommen Sie, junger Mann; lassen Sie uns einen Spaziergang machen,« sagte der Schotte, indem er Raymonds Arm faßte. »Wir wollen Monsieur Garnier nicht in seinem Vergnügen stören.«

»Nein; aber ich fürchte sie wird es thun. Sehen Sie, Mr. Buchanan, sie hat ihm ihre Blumen gegeben, um sie ins Haus zu tragen, während sie hier den Kapitän erwartet.«

»Kommen Sie, Sie Spötter,« sagte Mr. Buchanan gutlaunig, indem er seinen Arm in den des jungen Mannes legte und ihn von der Veranda nach der großen Allee hinzog. »Sparen Sie sich alle weiteren Beobachtungen bis zum Frühstück auf.«


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