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Fünftes Kapitel

Die ganze ganze Nacht hindurch hatte Jack Hamlin in der Magnolia-Schenke gesessen, die auf dem Wege nach der Zweigbahn lag, und sich seinem anstrengenden Beruf gewidmet. Um zu Bett zu gehen, war es noch zu früh am Tage, und so reckte und streckte er denn seine Glieder nach dem langen Sitzen und suchte sich mit einem wilden Ritt durch den Wald auf den Schlaf vorzubereiten, wie das seine Gewohnheit war. Ueberdies hatten die Karten ihm Glück gebracht und in solchen Fällen pflegte er sich aus der Gesellschaft der Kameraden in die Einsamkeit zurückzuziehen, um alle thörichten Streitigkeiten mit den im Spiel unerfahrenen Neulingen zu vermeiden. Selbst bei Raufereien war Jack sehr wählerisch und ließ sich nicht gern durch allerlei kleine Scharmützel den Appetit auf einen richtigen Faustkampf verderben.

Er galoppierte gerade aus dem Wald auf die Landstraße hinaus, als ein Wagen rasch an ihm vorbeirollte, in dem ein Mann und eine Frau saßen. Die Frau war zwar dicht verschleiert, und der Mann über und über mit Staub bedeckt, aber die Abneigung hat scharfe Augen und Hamlin bedurfte nur dieses flüchtigen Moments, um Van Loo zu erkennen. Der Sachverhalt ließ sich leicht durchschauen: der aufgewirbelte Staub, die rasende Eile, die frühe Stunde, welche vermuten ließ, daß die Fahrt schon die ganze Nacht hindurch gedauert habe. Dazu die beiden gesenkten Häupter, die abgewandten Gesichter – kein Zweifel, es handelte sich um eine Entführungsgeschichte. Moralische Bedenken hatte Jack Hamlin nicht, aber als Sportliebhaber hielt er auf die Ehre der Profession. Er war überzeugt, daß der feige Van Loo eine Niederträchtigkeit beging, mochte nun die Entführte eine Schauspielerin oder ein unschuldiges Mädchen sein. Zu Abenteuern fühlte sich Jack immer aufgelegt, und Van Loo einen Possen zu spielen, war ganz nach seinem Sinn, die Frau kam dabei nicht in Betracht. Mit wahrer Herzensfreude wandte er daher sein Pferd und trabte hinter den Flüchtlingen drein.

Das Ziel ihrer Fahrt war offenbar die Magnolia-Schenke, wo sie entweder die Pferde wechseln, oder auf die Postkutsche warten wollten, die in einer Stunde abfuhr. Dies zu verhindern lag zunächst in Hamlins Absicht, und somit konnte er nichts Besseres thun, als umzukehren. Von Zeit zu Zeit brachte ihn sein schnellfüßiges Roß immer wieder dicht in ihre Nähe, wodurch sie jedesmal zu noch rasenderer Eile angetrieben wurden. Dann zog er plötzlich die Zügel an, bevor man ihn noch erkennen konnte, lachte leise vor sich hin und ließ den Hufschlag seines flüchtigen Tieres verhallen. So trieb er seine Kurzweil, bis die ersten Häuser der Stadt auftauchten, worauf er dem Pferde wieder die Sporen gab und mit so wilder Hast dahinflog, als könne er es nicht mehr regieren. Zweimal sprengte er vor dem Wagen auf der Landstraße vorüber, so daß dieser langsamer fahren mußte. Als es zum zweitenmal geschah, verlor Van Loo die Geduld und holte so kräftig mit der Peitsche aus, daß die Schnur den Hals von Hamlins Pferd leicht berührte. Sofort lüftete Hamlin den Hut mit ernster Miene und trabte auf die Schenke zu, wo er sich gerade in dem Augenblick aus dem Sattel schwang, als der Wagen vorfuhr. Mit der ihm eigenen Dreistigkeit half er sogar der bestürzten und aufgeregten Frau beim aussteigen und öffnete ihr die Thüre zum Wirtshaus. Bei dieser Gelegenheit verschob sich ihr Schleier zufällig und Jack erkannte die schöne Dame, welche man ihm in San Francisco als die Gattin Georg Barkers bezeichnet hatte, eines der drei Teilhaber, an deren glücklichem Goldfund er vor fünf Jahren so regen Anteil genommen. Ein Grund mehr wie ihm schien, um Barkers willen bei dieser Angelegenheit ein Wort mitzureden, obgleich er nicht begriff, weshalb ein Mann, dem seine Frau davonlaufen wollte, sie nicht ruhig ihrer Wege gehen ließ. Freilich hatte Jack Hamlin für seine Person dergleichen Erfahrungen bei dem schönen Geschlecht noch nicht gemacht.

Als Van Loo vom Wagen sprang und eben Frau Barker ins Wirtshaus folgen wollte, legte ihm Jack seine Hand leicht auf die Schulter: »Sie werden jetzt Zeit genug haben,« sagte er.

»Zeit – wozu?« fragte Van Loo zornig.

»Mich um Entschuldigung zu bitten, daß Sie mein Pferd mit der Peitsche geschlagen haben,« erwiderte Jack freundlich. »In Gegenwart einer Frau wollten wir keinen Streit anfangen.«

»Zu Albernheiten habe ich jetzt nicht Zeit,« sagte Van Loo und suchte an ihm vorbeizukommen.

Noch immer verbindlich lächelnd hatte Jack ruhig Van Loo beim Handgelenk gefaßt. »Ah, Sie haben es also mit Fleiß gethan und wünschen mir Satisfaktion zu geben?«

Van Loo wurde blaß; er wußte, in welchem Rufe Hamlin als Schütze stand. Doch die Verzweiflung gab ihm Mut: »Sie sehen, in welcher Lage ich mich befinde,« sagte er rasch. »Ich bin in großer Eile und habe eine Dame bei mir. Kein Ehrenmann würde –«

»O bitte, bitte. Sie thun mir unrecht,« unterbrach ihn Jack mit gekränkter Miene. »Wenn Sie so eilig sind, will ich gern warten. Sie haben jetzt nicht Zeit mir Rede zu stehen, sagen Sie? Gut, so will ich Sie und die Dame mit Vergnügen bis zur nächsten Station begleiten. Natürlich in gehöriger Entfernung,« fügte er lächelnd hinzu, »und ohne der Dame beschwerlich zu fallen, in der ich die Gattin eines meiner alten Freunde wiedererkannt habe. Noch geselliger würde es freilich sein, wenn wir uns unterwegs über dies und jenes zusammen unterhielten, damit die Dame nicht in Angst gerät. Vielleicht könnte ich Ihnen sogar von Nutzen sein. Falls nämlich ihr Gatte uns auf der Landstraße einholen sollte, würde ich mir jedenfalls das Vorrecht nicht nehmen lassen, den ersten Schuß auf Sie abzufeuern. – Heda, Bursche,« rief er dem Stallknecht zu, »wasche einmal meinem Pancho den Schaum vom Munde, damit ich fortreiten kann, wenn der Wagen abfährt.« Er ließ nun Van Loos Handgelenk los und schlenkerte gemächlich fort, während jener rasch in der Thüre des Wirtshauses verschwand.

Frau Barker sogleich aufzusuchen kam jedoch Van Loo nicht in den Sinn. Er hatte während der Fahrt reichlich Gelegenheit gehabt, die Nervenschwäche und den Jähzorn der aufgeregten Dame kennen zu lernen und einzusehen, welche Thorheit es gewesen war, sie mitzunehmen und sich dadurch die Flucht außer Landes auf so gefährliche Weise zu erschweren. Jetzt war er auf einen andern Einfall geraten. Seinen Zweck, sie durch ihre Flucht mit ihm zu kompromittieren, hatte er bereits erreicht, doch wußten bis jetzt nur wenige darum. Wenn er sie nun dem schwachen, verliebten Ehegatten zurückließe, so würde dieser sie ohne Zweifel wieder aufnehmen, um den öffentlichen Skandal zu vermeiden, und sicherlich auch davon abstehen, ihn wegen seiner finanziellen Uebergriffe verfolgen zu lassen. Zwanzigtausend Dollars von Frau Barkers Geld kamen ja gar nicht in Betracht im Vergleich zu dem Aergernis, falls ihre Flucht bekannt würde. Da er aus dem gefälschten Brief keinen Gewinn hatte ziehen können, brauchte er von dieser Seite nichts zu fürchten; Barkers Einfluß bei der Bank und bei Demorest war groß genug, um es ihm leicht zu machen, auch diese Sache zu vertuschen. Hamlin war also jetzt der einzige, der sein Entkommen hinderte; aber selbst er würde ihm schwerlich nachsetzen, wenn Frau Barker zurückblieb. Jedenfalls konnte Van Loo ihm dann leichter entschlüpfen.

Ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, hatte Van Loo, ohne es zu wollen, das Schenkzimmer betreten. Nun er aber einmal da war, gedachte er sich mit einem Glase Branntwein zu stärken. Während er trank, bemerkte er, daß das Zimmer voll roher Gesellen war, die wie Grubenarbeiter oder Packknechte aussahen; einige Mexikaner befanden sich darunter, auch mehrere Kanaken oder Australier. Zwei Männer, die auffallender gekleidet waren als die übrigen, aber doch auf gleicher Stufe mit ihnen zu stehen schienen, standen in einer Ecke, so daß sie ihm den Rücken zukehrten. Da bei seinem Eintritt plötzlich alle schwiegen, vermutete er nicht ohne Grund, daß er der Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen sei und sie seinem Streit mit Hamlin vom Fenster aus zugesehen hätten. Plötzlich wandte sich einer jener Männer um und kam auf ihn zu. Mit Bestürzung erkannte Van Loo, daß es Steptoe war – Steptoe, den er seit fünf Jahren gestern zum erstenmal im Hof des Boomville-Hotels wiedergesehen hatte, wo er ihm glücklich ausgewichen war. Unwillkürlich sprang er auf, um den Rückzug anzutreten. Es war bereits zu spät, aber was schadete das? Der Branntwein hatte ihm für den Augenblick alle Angst vertrieben.

»Sie werden sich doch nicht etwa von dem lumpigen Kartenspieler da ins Bockshorn jagen lassen,« sagte Steptoe mit frecher Vertraulichkeit.

»Ich habe eine Dame bei mir und keine Zeit zu verlieren,« gab Van Loo rasch zur Antwort. »Das weiß der Mensch, sonst hätte er schwerlich gewagt –«

»Hören Sie 'mal,« unterbrach ihn Steptoe ohne weiteres, »ich bin Ihnen zwar nicht besonders grün, wie Sie wissen, aber ich und die andern Herren hier,« er sah sich im Zimmer um, »sind auch auf Jack Hamlin nicht gerade gut zu sprechen. Wenn Sie nichts dagegen haben, helfen wir Ihnen aus der Patsche. Wie mir scheint, möchten Sie gern mit dem Frauenzimmer so schnell wie möglich das Weite suchen, weil Sie fürchten, man wird Ihnen über kurz oder lang auf den Fersen sein. Nicht wahr, da liegt der Hase im Pfeffer? – Na, wenn Sie zur Abfahrt bereit sind und uns einen Wink geben, wollen wir Jack von allen Seiten umringen und ihn in die Enge treiben. Sprengt er aber doch hinter Ihnen drein, so soll er ein paar Kugeln mit auf den Weg bekommen. Wie steht's Jungens – seid ihr's zufrieden?«

Die Burschen ließen ein beifälliges Gemurmel hören und einige zogen sogleich den Revolver aus dem Gürtel. Die Hilfe wäre Van Loo nur allzu erwünscht gekommen, aber daß ihm der Plan zerstört wurde, Frau Barker zurückzulassen, dämpfte seine Freude. Zögernd stammelte er: »Großen Dank! Je schneller wir fort können, um so besser. Uebrigens würde ich die Dame gern dem ritterlichen Schutz der Herren anvertrauen – sie nur auf ein paar Stunden hier lassen, bis ich meinen Freunden Mitteilung gemacht habe und zurückkehre, um jenem Schurken einen tüchtigen Denkzettel zu geben!«

Steptoe pfiff leise vor sich hin und sah dabei Van Loo an, dessen Absicht er auf der Stelle durchschaute. Aber dieser Ausgang war nicht nach Steptoes Geschmack, der seine guten Gründe hatte, weshalb ihm daran lag, Frau Barker ein für allemal aus dem Bereich ihres Gatten zu entfernen. »Es wird wohl besser sein, wenn Sie die Frau mitnehmen,« sagte er mit grimmigem Lächeln und fügte dann in leisem, spöttischem Tone hinzu: »Die Jungens haben sehr edle Grundsätze, wissen Sie; es würde ihnen nicht gefallen, wollten Sie die Frau hier lassen.«

»Dann,« sagte Van Loo, dem ein neuer, verzweifelter Rettungsweg einfiel, »hätten Sie vielleicht die Güte, uns Sattelpferde zu verschaffen, statt des Wagens. Wir kämen damit rascher von der Stelle, und falls wir verfolgt würden und mir ein Unglück zustieße, könnte sie wenigstens der Rache ihrer Verfolger entfliehen.«

Damit war Steptoe einverstanden; ihm kam es nur darauf an, daß das schuldige Paar die Flucht zusammen und in Gegenwart von Zeugen fortsetzte. Durch Van Loos heldenhafte Opferwilligkeit ließ er sich jedoch nicht täuschen. »Nun gut,« sagte er hämisch, »das soll geschehen, und eins von euch beiden wird ohne Zweifel entkommen. Die Reitpferde sollen an der Hinterthür warten, während der Wagen vor dem Hause hält; dann wird Jack auch auf der Vorderseite bleiben – wo die Jungens ihn fassen können.«

Aber Jack Hamlin war sich ganz ebenso klar über Van Loos Methoden und über sein eigenes Verhältnis zu Steptoes roher Bande, wie Steptoe selbst. Ueberdies stand ihm auch noch eine zwar kleine, ihm aber treu ergebene Schar von Anhängern zur Verfügung. Sämtliche Kellner und Stallknechte des Hotels wären für ihn durchs Feuer gegangen. So erfuhr er denn gleich bei der ersten Erkundigung, daß der Wagen nicht weiter fahren sollte, daß aber zwei Pferde für Van Loo und Frau Barker bereit stünden; sogar ein Damensattel sei herbeigeschafft worden. Auf diese Nachricht hin begab sich Jack Hamlin mit seiner gewöhnlichen Dreistigkeit sofort in die Wirtsstube, trat zum Schenktisch, lehnte sich mit dem Rücken daran und schaute sorglos in die finstern Gesichter rings um ihn her. »Hört, Jungens,« sagte er, und seine weißen Zähne blitzten, »in ein paar Minuten wollen meine Freunde abfahren, und ich begleite sie zu Pferde. Doch zuvor scheint es mir recht und billig, daß ich ein paar Gläser Schnaps für sämtliche Anwesende zahle – ohne Rücksicht auf etwaige Vorurteile oder unfreundliche Gesinnung, die sie gegen mich haben. Wer mich kennt, weiß auch, daß ich gewöhnlich mit dabei bin, wo es lustig hergeht. Aber es ist ein schlechtes Spiel, wenn der eine lacht und der andere weint. Drum mein' ich, weil mir das Glück diesmal hier am Ort günstig gewesen ist, so wird's keinem was schaden, daß ich etwas als Schmerzensgeld davon zurücklasse. Also, ihr Herren, thut mir den Gefallen und laßt meine Freunde im Wagen hoch leben, so oft und so lange ihr wollt.« Zum Schluß dieser Rede warf Hamlin lächelnd zwei Goldstücke auf den Tisch.

Er hatte sich nicht verrechnet. Die Männer, welche ihm noch einen Augenblick zuvor auf Steptoes Geheiß bereitwillig zu Leibe gegangen wären, nahmen mit Vergnügen den gebotenen Freitrunk an, der sie zu nichts verpflichtete. Daß auch Steptoe und Van Loo sich nicht davon ausschließen konnten, um mit ihren Genossen zusammenzuhalten, machte die Lage der Dinge noch interessanter. Van Loo kam übrigens dieser Zwischenfall sehr gelegen; er benutzte ihn, um mehr in die Nähe der Thüre zu gelangen, die nach dem hinteren Ausgang des Hotels führte, während die andern sich um den Schenktisch drängten. Hamlin beobachtete das alles mit sichtlichem Wohlgefallen.

Die Gesundheit wurde unter allgemeinem Beifall getrunken, dann folgten noch viele andere Toaste. Steptoe und Van Loo, die sich wohl hüteten, ein Glas über den Durst zu trinken, fragten sich beide, ob Hamlin wohl die Absicht habe, die Bande betrunken zu machen, damit sie im entscheidenden Moment nicht mehr imstande sei, handelnd einzugreifen, und Steptoe lächelte überlegen, da er wohl wußte, welche Masse Alkohol die Burschen vertragen konnten. Plötzlich wurde jedoch die Aufmerksamkeit aller durch ein neues Ereignis abgelenkt. Auf der Straße entstand Lärm, eine Wolke roten Staubes kam herangewirbelt, und abermals hielt ein Fuhrwerk vor der Thür. Aber das war kein erbärmlicher Einspänner mit einem abgetriebenen Gaul, sondern ein prächtiges Viergespann feuriger Rosse, die eine leichte Postchaise zogen, in welcher ein einziger Herr saß. Nicht nur die Leute, die draußen vor dem Wirtshaus herumlungerten, auch die Stallknechte und die gaffende Menge drinnen im Schenkzimmer erkannten den Fahrgast auf der Stelle – es war James Stacy, der Millionär, der berühmte Bankier. Daß er in zwei Stunden eine Strecke zurückgelegt hatte, die halb so weit war wie die Entfernung von Boomville, zu der man die ganze Nacht brauchte, wußte niemand als er allein. Bevor jedoch noch irgend jemand seinem Staunen Ausdruck geben konnte, hatte Stacy bereits dem dienstfertig herbeieilenden Wirt einen Brief zugeworfen; dann nahm er die Zügel wieder zur Hand, und fort ging es, nach der Eisenbahnstation, die noch eine halbe Meile entfernt war.

»Wahrhaftig, der Herrscher der Welt scheint Eile zu haben,« ließ sich einer der Gaffer vernehmen, der auf der Thürschwelle stand; »da wird's wohl bald irgendwo einen großen Krach geben.«

»Vermutlich fährt er sich krumm und lahm, damit's bei ihm nicht zu 'nem Krach kommt,« sagte Steptoe. »Die Bank hat ihr famoses Börsenspiel mit dem Weizen-Trust noch nicht verwinden können. Alle Effekten, die sie in Händen hielt, sind gestern in Sacramento zusammengepurzelt. Leute wie ich und ihr werden sich wohl hüten, ihr Geld zu solchen Kunststücken herzuleihen. So etwas versucht auch nur einer wie Stacy, dem der Hochmutsteufel den Kopf verdreht. Aber, beim Himmel, jetzt wird er's schon büßen müssen!«

Der laute, triumphierende Ton, in dem er sprach, bewies, daß er in seinem grimmigen Haß gegen den Millionär sowohl Van Loo als Hamlin ganz vergessen hatte, was diesen beiden nicht entging. Van Loo arbeitete sich noch weiter nach der Thür hin und Steptoe fuhr fort: »Seit ihm vor fünf Jahren der große Goldfund auf dem Kieferberg glückte, ist ihm der Kamm so geschwollen, daß im Lande nicht mehr Raum genug für ihn ist. Aber merkt auf meine Worte, ihr Herren: die Zeit wird bald kommen, wo er froh ist, sich mit hacken und schürfen so viel zu verdienen, daß er von der Hand in den Mund leben kann. Und das ist noch viel zu gut für ihn und sein ganzes Gelichter.«

Steptoe kehrte zum Schenktisch zurück, aber plötzlich fuhr er zusammen: »Wo ist Van Loo?« fragte er Jack in rauhem Ton.

»Wird wohl gegangen sein um sein Mädchen zu holen. Die Zeit ist ihm zu kostbar, um sie hier mit Possen totzuschlagen.«

Steptoe schaute Jack mit argwöhnischen Blicken an; aber schon im nächsten Augenblick gerieten alle – sogar Jack – in Aufregung. Sie sahen nämlich Frau Barker auf der Veranda an den Fenstern vorbei nach dem noch immer wartenden Wagen hineilen. »Verflucht!« flüsterte Steptoe wütend dem Mann neben ihm zu.

»Sagt ihr: › nicht dort – an der Hinterthür‹!« Doch ehe die Botschaft noch ausgerichtet werden konnte, sahen sie Frau Barker allein im Einspänner rasch davonfahren. Steptoe kehrte wieder ins Zimmer zurück, aber auch Jack war verschwunden.

Er war in der Verwirrung, welche Frau Barkers Erscheinen verursacht hatte, unbemerkt nach der Hinterthür geschlüpft und hatte seinen Argwohn bestätigt gefunden. Dort stand nur noch das Reitpferd mit dem Damensattel. Als Van Loo das Schenkzimmer verließ, hatte er sofort das andere Pferd bestiegen, die Flucht ergriffen und seine Begleiterin ihrem Schicksal überlassen. Jack sprang ohne Besinnen in den Sattel und sprengte ihm nach. Nicht lange, so erblickte er den Flüchtling von weitem und hörte hinter sich die halb zornigen, halb spöttischen Zurufe der am Wirtshaus versammelten Menge. Als er den Gipfel des Hügels erreichte, sah er zu seiner Verwunderung auf der andern Straße Frau Barkers Gefährt, das mit Windeseile in der Richtung des Bahnhofs davonrollte. Befriedigt schmunzelnd stieg Hamlin ab. Er warf den lästigen Damensattel fort, schwang sich als guter Reitersmann wieder auf den Rücken des Pferdes, steckte die Kniee in die losen Gurten und sprengte in wildem Galopp dahin. Als Van Loo bei der nächsten Poststation vom Pferde sprang und eben in die Kutsche nach Marysville einsteigen wollte, die schon zur Abfahrt bereit stand, fühlte er plötzlich, wie sich ihm Hamlins weiche Hand auf die Schulter legte.

»Ich wußte doch, daß ich noch reichlich Zeit hätte,« sagte Jack. »Natürlich wäre ich schon früher hier gewesen und würde Sie unterwegs eingeholt haben, hätten Sie nicht das beste Pferd und den einzigen Sattel genommen.«

Van Loo schrak zurück; doch hier galt es zu handeln. Mit dem Mut der Verzweiflung winkte er Jack beiseite, wo die andern Fahrgäste ihn nicht hören konnten und fragte zähneknirschend: »Warum verfolgen Sie mich? Zu welchem Zweck sind Sie hier?«

»Ich dachte,« erwiderte Hamlin trocken, »Sie wollten mir das Vergnügen machen, mir für die Beleidigung von vorhin Satisfaktion zu geben.«

»Und wenn ich Sie um Entschuldigung bitte – was dann?« lautete die rasche Antwort.

Hamlin sah ihn ruhig an. »Es war auch die Rede davon, wenn ich mich recht erinnere, daß jene Dame die Gattin eines meiner Freunde ist.«

»Aber ich habe sie dort gelassen. Ihr Mann kann sie ohne Schande zurücknehmen; es weiß niemand um ihre Flucht außer ich und Sie. Wenn Sie mich totschießen, wird es den guten Ruf der Dame nicht retten, sondern nur den Skandal weit und breit ausposaunen. Für das was Sie für gut fanden als persönliche Beleidigung zu betrachten, habe ich mich bei Ihnen entschuldigt und falls Sie mich nicht kalten Blutes, ohne Zeugen, ermorden wollen, werde ich den Leuten den wahren Grund unseres Streites nicht verschweigen – das sage ich Ihnen zum voraus. Glauben Sie mir, wenn Sie mich hier aufhalten und mir die Möglichkeit rauben fortzukommen, so will ich Dinge ans Tageslicht bringen und ein Aufsehen machen, das für Ihren Freund noch weit ärgerlicher sein wird.«

Hamlin sah Van Loo forschend an: Leuten dieses Schlages war er bisher noch nicht begegnet. Was er sagte, hatte wirklich einiges für sich; der Mensch war doch schlauer, als Hamlin ihm auf den ersten Blick zugetraut hatte; er interessierte und belustigte ihn. Aber auch als Mann von Welt sah Jack ein, daß Van Loo mit seinen Behauptungen vielleicht nicht unrecht hatte. So steckte er denn die Hände in die Taschen und sagte mit ernster Miene: »Heraus mit der Sprache! Was führen Sie im Schilde?«

Van Loo hatte unterdessen in seiner Todesangst einen neuen Rettungsweg erdacht. Steptoe war zum Teil schuld an seiner verzweifelten Lage; daß Jack diesem nicht freundlich gesinnt war, wußte er. Nun waren ihm aber gewisse Geheimnisse Steptoes zu Ohren gekommen, die für Jack ohne Zweifel große Wichtigkeit hatten. Warum sollte er nicht versuchen, sich diesen mächtigen Freibeuter und halben Banditen zum Freunde zu machen? –

»Es dürfte für Sie nicht ohne Interesse sein, was man gegen Ihren Schützling im Schilde führt,« sagte er mit scharfer Betonung.

Hamlin zog die Hände aus den Taschen, drehte sich auf dem Absatz um und sagte: »Kommen Sie hinein!«

»Ich muß mit dieser Post fort!« rief Van Loo außer sich – »Sie wissen was sonst geschieht!«

»Kommen Sie nur,« entgegnete Jack unbeirrt. »Wenn mir Ihre Mitteilungen genügen, will ich Sie eine Stunde früher nach der nächsten Station schaffen, als die Postkutsche dort eintrifft.«

»Wollen Sie es beschwören?« fragte Van Loo unentschlossen.

»Ich habe es gesagt,« versetzte Jack. »Kommen Sie!«

Darauf folgte Van Loo ihm in das Hotel zur Post.


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