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Viertes Kapitel

Als Philipp Demorest die Postkutsche verlassen hatte, trat er in die Schmiede, das einzige Haus, das am Wege lag, und bat um die Erlaubnis, Mantel und Reisetasche einstweilen hier in Verwahrung zu geben, bis sie ihm nachgeschickt werden könnten; er beabsichtige nach Hymettus hinüber zu wandern. Der Schmied verwunderte sich höchlich, daß der so städtisch und vornehm aussehende Herr lieber acht Meilen Englische M. = ca. 1,8 kmzu Fuß gehen wollte, statt zu fahren; er versuchte es ihm auszureden und bot ihm seinen eigenen Einspänner an. Demorest aber nahm ruhig den Reisemantel ab, zog seinen Rock aus, den er sich über den Arm hing, versicherte gutmütig, daß er die Strecke in ein paar Stunden zurücklegen und sein Ziel noch rechtzeitig zum Abendessen erreichen werde und schickte sich an, die Fußwanderung zu beginnen.

»An Ihrer Stelle würde ich mich darauf nicht so fest verlassen,« brummte der Schmied; »wer weiß, ob Sie auch nur ein Zimmer finden. Die dort oben sind ein gar hochmütiges Gelichter; für jemand der ohne Gepäck, wie ein armer Reisender, des Wegs kommt, werden sie sich schwerlich außer Atem setzen.«

Lachend erwiderte Demorest, er wolle es darauf ankommen lassen; dann griff er nach seinem Knotenstock und drückte dem Schmied ein Goldstück in die Hand, welches dieser jedoch rasch und energisch zurückwies. Demorest wurde rot und bat um Entschuldigung; er merkte, daß er seine europäischen Reisegewohnheiten noch nicht abgelegt hatte und ein ernstes Lächeln flog über seine Züge, als er nicht ohne ein gewisses patriotisches Hochgefühl erwiderte: »So danke ich Ihnen denn bestens – besonders auch weil Sie mich daran erinnert haben, daß ich wieder unter meinen Landsleuten bin.«

Hierauf schritt er rasch vorwärts. Die Luft, die von den Gipfeln herwehte, war frisch und kühl, nur die Kiefern strömten noch die Hitze aus, die sie tagsüber eingesogen hatten. Manchmal kam er mitten durch eine warme Luftschicht, die der Wald auszuatmen schien, während der Bergwind dem Wanderer Kopf und Brust umfächelte. Der balsamische Duft berauschte ihn wieder wie in früheren Tagen und er fühlte, daß die Hoffnungslosigkeit und Schwermut, die ihn fünf Jahre lang bedrückt hatte, seit er zum letztenmal diesen Wohlgeruch geatmet, ihm gleich einer unbequemen Last von den Schultern fiel. In der Landschaft war nur wenig verändert; zwar die Straße kam ihm etwas breiter und der Staub tiefer vor, aber die hohen Kiefern bestanden den Berghang noch immer in Reih und Glied; es zeigte sich keine Lücke in ihrer endlosen, dichten Masse. Hier war die Stelle, wo an jenem ereignisreichen Morgen die Postkutsche an ihnen vorüberfuhr, als sie aus ihrem Lagerleben in die civilisierte Welt eintraten; etwas weiter zurück lag der Platz, wo Jack Hamlin ihm das grausige Andenken an den Raubversuch in ihrer Hütte in die Hand gedrückt hatte. Mit förmlich abergläubischer Sorgfalt bewahrte er es seitdem noch immer auf, weil er die Absicht hatte, eines Tages zurückzukehren und es auf dem Boden, wo die alte Hütte gestanden, samt allen Erinnerungen an die Frevelthat zu begraben. Im Weiterschreiten empfand er den belebenden Einfluß der wohlbekannten Gegend; rascher strömte ihm das Blut durch die Adern, sein Gang ward elastisch, wie in jenen Tagen des harten und hoffnungslosen Ringens nach dem Glück. Damals war er lustig heimgekehrt von der allwöchentlichen Wanderung nach Boomville, beladen mit den dürftigen Vorräten, die er für seinen mageren Erwerb eingehandelt, oder sich mit dem geringen Kredit verschafft hatte, den er besaß. Zu jener Zeit füllte ihr lebensvolles Bild sein Herz noch mit Glauben und Hoffnung. Für die Jugend und die Liebe war ja alles erreichbar – bis eines Tages das höhnische Schicksal ihm mit der einen Hand den lang ersehnten Reichtum bescheerte, und ihm mit der andern das Mädchen entriß, das er liebte. Jahrelang hatte er Ruhe und Vergessen gesucht, aber vergebens, auch jetzt, bei der Rückkunft, zeigte ihm sein grausames Verhängnis wieder jene schönen Träume seiner Jugend, die mit der wiederkehrenden Lebenskraft aufs neue in ihm erwacht waren.

Er beschleunigte seine Schritte, als wollte er ihnen entrinnen und war froh, daß er durch ein paar vorüberfahrende Gesellschaftswagen voll schön geputzter Menschen, die offenbar zu den Gästen von Hymettus gehörten, zerstreut und auf andere Gedanken gebracht wurde. Das waren die ersten Zeichen des Umschwungs, auf die er stieß. Bei ihrem Anblick mußte er an die Wanderer denken, denen er sonst auf jener Straße begegnet war: an den Zug der bepackten Maultiere, an die Chinesen, die in langer Reihe hinter einander marschierten und ihre Körbe auf Stangen trugen; an das Indianerweib mit dem Säugling auf dem Rücken, an die umherziehenden wegemüden Erzschürfer. Sie pflegten Halt zu machen und freundliche Grüße zu tauschen, während die Leute im Wagen ihn jetzt mit frecher Neugier oder unverhohlener Verachtung betrachteten. Unwillkürlich fiel ihm die Warnung des Schmiedes wieder ein und er mußte lächeln über die Wandlung der Dinge. Doch der Zwischenfall fesselte ihn nicht lange; bald versank er wieder in sein früheres Sinnen. Das Gesicht eines jungen Mädchens im Wagen hatte ihn durch eine gewisse Aehnlichkeit lebhaft an seine verlorene Geliebte erinnert. So hatte er sie einmal in der Fünften Avenue von New York vorbeifahren sehen – bequem zurückgelehnt und eingehüllt in kostbare Spitzen – eine zarte, bleiche, vornehme Gestalt, deren Augen plötzlich aufleuchteten, als sie seiner ansichtig wurde. Er mußte wieder daran denken, wie lange und vergeblich er umhergereist war, ihren letzten Ruheplatz auf Erden zu suchen, wie alle seine Bemühungen ihn zu finden durch ihre noch lebenden Verwandten vereitelt worden waren, die einen unversöhnlichen Haß auf ihn geworfen hatten, weil sie glaubten, ihre hoffnungslose Leidenschaft sei schuld an der zehrenden Krankheit gewesen, der sie zum Opfer gefallen war. Die wenigen frostigen Zeilen, mit denen man ihm den letzten Brief an sie zurückgeschickt hatte, konnte er noch auswendig. Sie enthielten die Anzeige ihres Todes und sprachen zugleich die Erwartung aus, daß die Belästigungen seinerseits nun aufhören würden. Die Unmöglichkeit, irgend etwas Näheres über das Ende ihres Lebens zu erfahren, hatte ihn schon manchmal auf einen ganz wunderbaren Gedanken gebracht. Er suchte diesen jedoch stets zu verscheuchen, da er ihn für einen Vorläufer des Wahnsinns hielt, in welchem ein so unausgesetztes Brüten über denselben Gegenstand leicht enden konnte. Und gerade jetzt kehrte diese Wahnidee wieder zurück – sie erfüllte ihn sogar mit jugendlicher Hoffnungskraft, während ihn viele tausend Meilen von dem Orte trennten, wo die Geliebte im Todesschlummer ruhte.

Das kurze Dämmerlicht im Gebirge schwand jetzt vor dem Glanz des aufgehenden Mondes. Demorest versuchte an seine beiden Teilhaber zu denken, mit denen er nach den langen Jahren der Trennung in Hymettus wieder zusammentreffen sollte.

Hymettus! – Er kam eben aus einer Villa bei Athen, welche diesen klassischen Namen trug und hatte seinem neugierigen Reisegefährten nur die Wahrheit gesagt. Wie sonderbar, daß man das neue Haus danach getauft hatte – wer mochte wohl auf den Einfall gekommen sein? – Die großartige Natur vor ihm zeigte nicht die mindeste Verwandtschaft mit der sanften, den Sinnen schmeichelnden Anmut des Landes, das er vor kurzem verlassen hatte. Diese riesigen Waldbäume, die majestätisch in den Himmel emporragten, waren kein Aufenthalt für Faune und Dryaden. – Als er endlich die Höhe erklommen hatte und die Gipfel des Black-Spur-Gebirges vor sich sah, hinter denen die Sierras wie ein blasses, geisterhaftes Gewölk auftauchten, da dachte er nicht mehr an den Olymp. Doch überraschte ihn im nächsten Moment, als er sich rechts wandte, der Anblick einer Tempelfassade mit dorischen Säulen, die vom Mondlicht erhellt, in der Umrahmung des dunkeln Waldes sichtbar wurde. Beim Näherkommen erkannte er, daß es das neue hölzerne Postgebäude einer Ortschaft war, deren Häuser jetzt in undeutlichen Umrissen erschienen. Vergebens bemühte er sich, das alte Landschaftsbild wiederzuerkennen; die dunkeln Schatten und der ungewisse Mondschein trugen noch dazu bei, ihn zu verwirren. Statt des steilen, aber geraden Fußsteigs, der ehemals zu seiner Hütte führte, wand sich jetzt eine breite, wohlerhaltene Fahrstraße allmählich in die Höhe. Eine Zeitlang schritt er aufs Geratewohl vorwärts; dann sah er bei einer Biegung des Weges plötzlich den Kamm des Berges vor sich liegen, den ein Strahlenkranz von Lichtern krönte, welcher sich über einer langen Reihe heller Fenster erhob. Von ihrer alten Niederlassung auf dem Kieferberg war nichts mehr übrig geblieben, sogar die Roßkastanien waren verschwunden, samt dem duftenden Ceanothusgebüsch im Vordergrund – und von dem großen Kiefernhain sah man keine Spur mehr.

Schon auf der Straße fing es an lebendig zu werden; auch unterschied Demorest einzelne Gestalten, die sich auf einer baumlosen, mit ein paar trübseligen Marmorvasen und Gipsstatuen verzierten steifen Terrasse langsam hin und her bewegten, wo früher der Bergabhang mit den vorspringenden, mächtigen Quarzschichten gewesen war. Jetzt trat Demorest durch ein Thor und befand sich bald auf dem breiten Fahrweg, der zur Hotelveranda führte. Einige Spaziergängerinnen, die in Tücher und Pelzwerk gehüllt, dem scharfen Bergwind Trotz boten, huschten an ihm vorüber. Er hatte den Rock wieder angezogen, aber seine Stiefel waren mit rotem Staub bedeckt, und als er die Stufen hinaufstieg, konnte er nicht umhin, zu bemerken, daß die Gäste ihn mit geringschätzigen Blicken ansahen, und die Diener ihn argwöhnisch betrachteten. Einer der letzteren näherte sich ihm eben mit unverschämter Gebärde, als ein Herr aus dem Vorzimmer herzugestürzt kam, den Kellner beiseite schob, Demorests beide Hände ergriff und ihn auf Armeslänge festhielt.

»Willkommen, Demorest, lieber Junge!«

»Bist du's, Stacy, alter Freund?«

»Aber, wo ist dein Gefährt? Ich habe die Stallknechte und Laufjungen sämtlich ans Thor geschickt, ob sie dich nicht kommen hörten. Und wo ist Barker? Sobald er entdeckte, daß du die Eisenbahn verschmäht hattest – seine Eisenbahn, weißt du – ist er dir entgegen, nach Boomville, auf und davon getrabt.«

Demorest erklärte mit kurzen Worten, daß er zu Fuß auf der alten Straße gekommen sei und Banker vermutlich verfehlt habe. Inzwischen hatten die Kellner dem zärtlichen Empfang des staubbedeckten Fremden durch den großen Finanzmann mit offenem Munde zugesehen und waren herbeigeeilt, um ihm Stiefel und Beinkleider mit ihren Bürsten und Tüchern zu bearbeiten, bis Stacy sie abermals fortjagte: »Macht, daß ihr fortkommt, alle miteinander! – Nun geh' mit mir, Phil; das Haus ist ganz besetzt, aber ich habe vom Direktor die Wohnzimmer einer Dame für dich herrichten lassen. Als du telegraphiertest, du wolltest hier mit uns zusammentreffen, hatten wir keine andere Wahl. Eigentlich wohnt Frau Van Loo darin, da sie aber mit den Ihrigen gestern rasch nach Marysville abgeholt worden ist, kannst du die Zimmer diese Nacht benutzen.«

»Aber, ich weiß doch nicht – –« wandte Demorest ein.

»Unsinn,« rief Stacy und zog ihn mit sich fort; »wir bezahlen eben dafür. Verlaß dich darauf, die ehrenwerte Dame wird nichts dagegen haben, die Entschädigung einzustecken – sie wäre sonst nicht Van Loos Mutter. Komm' nur mit!«

Mit gewohnter Energie drängte Stacy den zögernden Demorest vorwärts; von dem höflich beflissenen Direktor geführt, schritten sie durch den Korridor nach den fein möblierten Wohnräumen, zu welchen auch ein Badezimmer gehörte, dessen Thür Stacy sogleich öffnete.

»Da! Spüle dir den Staub ab. Bis du fertig bist muß Barker wieder zurück sein, dann wollen wir uns das Abendessen schmecken lassen. Es wird drin im Nebenzimmer aufgetragen.«

»Was macht denn Barker, der liebe Junge,« fragte Demorest angelegentlich, während er auf der Schwelle stehen blieb. »Sage mir doch, geht es ihm gut, und ist er glücklich?«

»Es geht ihm wie uns andern auch,« gab Stacy in etwas trockenem Ton zur Antwort. »Laß das nur jetzt; du wirst ihn ja bald selber sehen.«

Nun schloß sich die Thür. Als Demorest sein Bad genommen hatte und nicht der kleinste Flecken des roten Straßenstaubes mehr an ihm sichtbar war, fand er Stacy am Fenster des größeren Wohnzimmers sitzen. Auf dem Mitteltisch war zum Abendessen gedeckt und ein helles Feuer brannte in dem Marmorkamin, der sich zwischen zwei Spiegelfenstern befand, durch welche man die Umrisse des Black-Spur-Gebirges in der Ferne gewahrte. Als Stacy sein Gesicht jetzt Demorest zuwandte, konnte dieser bei dem gedämpften Lampenlicht und dem Schein des flackernden Feuers die Züge seines alten Freundes und Teilhabers nach Herzenslust mustern. Sie waren noch eben so scharf und kraftvoll wie früher. Augen und Nasenflügel verrieten vielleicht einen noch rastloseren Thätigkeitstrieb, während die Linien des Mundes zwischen dem kurzgeschnittenen Kinn- und Schnurbart ihm etwas Nachdenklicheres und Verschlosseneres gaben. Als er zuerst aufsah, zeigte seine breite niedere Stirn ein paar tiefe Furchen, und etwas von der alten Kampflust sprach wieder aus seinen Blicken; doch veränderte sich sein Ausdruck rasch, sobald er Demorests ansichtig wurde; er blieb sitzen und brach in ein herzhaftes Lachen aus:

»Ha! Jetzt gleichst du doch nicht mehr einem wandernden Apachen, wie bei deiner Ankunft! Ich dachte wirklich die Kellner würden dich an die Luft setzen. Aber gehörig verbrannt bist du; meiner Treu, du siehst braun aus wie ein europäischer Kupferpfennig. Na, Glückauf alter Junge, und willkommen daheim!«

Demorest schlang den Arm um seines Freundes Hals, hielt dessen erhobene Hand fest und sah lächelnd auf ihn nieder. »Und nun erzähle mir von Barker!«

»Ach was, hol' ihn der Henker! Er ist noch ebenso unerschütterlich, unveränderlich und kindisch jung wie er je gewesen. Und verteufeltes Glück hat er; tanzt nur so am Abgrund hin und kommt aus jeder Gefahr mit heiler Haut davon. Schrullen hat er übrig und genug, daß man ihn ins Irrenhaus sperren könnte, aber die Leute lassen ihn lieber draußen, damit er ihnen helfen kann, wenn Not an Mann ist. Er traut allen Menschen, bis sie sich zuletzt selbst für Tugendspiegel halten und über ihn herfallen! Und ein Weib hat er, das sich lauter Narrheiten einbildet und wenn sie ihn am Ende selber am Narrenseil führt, soll mich's nicht wundern.«

»Hör' auf, Jim,« rief Demorest und hielt seinem Freunde den Mund zu. »Ich weiß, dir ist die Heirat stets ein Stein des Anstoßes gewesen, nur weil der alte Carter ein gutes Geschäft dabei gemacht hat. Das Glück aber, das für Barker darin lag, hast du nie in Betracht gezogen. Er hat das Mädchen wirklich lieb gehabt. Und, nicht wahr, er ist doch auch jetzt noch glücklich?« fügte er rasch hinzu, als er Stacy ärgerlich brummen hörte.

»So glücklich wie ein Mann sein kann, der mit dem Kind und der Wärterin hier ist, während seine Frau, die sich in San Francisco den Hof machen läßt, ihr Geld – und Gott weiß was sonst – an einen glattzüngigen, anrüchigen Spekulanten wegwirft.«

»Beklagt er sich darüber?« fragte Demorest.

»Bewahre! Der Narr vertraut ihr.«

Demorest lachte. »Das nenne ich Glück! Wir wollen es ihm nicht mißgönnen, hörst du, Jim! Aber ist es denn wahr, daß seine Geschäfte wieder so gut gehen?«

»Er hat dies Hotel, und die Eisenbahn gebaut. Jetzt gehört beides der Bank. Sobald das Unternehmen geglückt war, wollte er nichts mehr damit zu schaffen haben. Er sagte, er wäre weder Hotelwirt noch Ingenieur und zog sein Geld heraus, um etwas Neues anzufangen. – Aber da kommt er endlich,« fügte Stacy hinzu, als ein Reiter den Fahrweg herauf sprengte. »Nun kannst du ihn selber fragen. Ihr beide, du und er, vertragt euch stets am besten ohne mich, das weißt du ja.«

Schon im nächsten Augenblick stürmte Barker ins Zimmer herein, und in der ersten, ungestümen Freude der Begrüßung, fand Demorest den jüngeren Kameraden nur wenig verändert. »Aber Barker, lieber Junge, du siehst ja keine Stunde älter aus als an dem Tage – weißt du noch – wie du nach Boomville hinüber gingst, um deine Aktien zu versilbern, und dann zurückkamst und zu uns hereinstürmtest, gerade wie heute, mit der Ankündigung, daß du am Bettelstab wärest.«

»Jawohl« lachte Barker, »und die ganze Zeit über verstecktet ihr beide eure Trumpfkarten im Aermel – nämlich den großen Goldfund.«

»Und du Georg, mein Junge,« rief Demorest, der Barkers beide Hände gefaßt hielt und sie herzhaft schüttelte, »du hattest uns einen Sequenz aufzuweisen – deine Verlobung mit Kitty, weißt du?«

Die Röte wich plötzlich aus Barkers Wangen, während das fröhliche Lächeln noch um seinen Mund spielte; einen Moment wandte er den Kopf nach dem Fenster hin, während die beiden andern fast unwillkürlich einen bedeutsamen Blick tauschten. Aber ebenso rasch sah Barker wieder Demorest mit leuchtenden Augen an und rief eifrig: »Ja, die liebe Kitty! Morgen sollst du sie sehen, und den Kleinen auch!«

Nun fielen sie mit einem Appetit wie in früheren Tagen über die Speisen her; sie plauderten lebhaft und laut zusammen, sprachen alle zu gleicher Zeit und waren guten Mutes wie vor Alters. Alle Erinnerungen ihres damaligen Lebens wurden bis ins Kleinste aufgefrischt; die Kämpfe, Hoffnungen und Enttäuschungen, die sie durchgemacht, mit ungestümem Eifer besprochen; unbedeutende Ereignisse behandelten sie wie die Schulknaben mit größter Wichtigkeit und redeten mit geheimnisvollen Mienen von ihrem Losungs- und Erkennungszeichen. Ueber abgedroschene Witze wollten sie sich ausschütten vor Lachen, und die abgeschmacktesten Spitznamen und Redensarten gewährten ihnen einen wahren Hochgenuß. Sie quälten sich unsäglich, wenn ihnen verschiedene Personen und Daten nicht sogleich einfielen, oder sie sich auf irgend eine Meilenzahl und die Ausgaben ihres gemeinsamen Haushalts nicht recht besinnen konnten. Wunderbar! der sonst so zerstreute Demorest erinnerte sich noch genau an die Farbe eines gewissen Hemdes, das er einem Hausierer für den und den Preis abgekauft, und wie sehr die Kameraden ihn darum beneidet hatten. Stacy, der berühmte Bankier, wußte die Tage anzugeben, an denen sie ihren Brodbedarf oder süßen Fladen zu backen pflegten; ja, der flüchtige, gedankenlose Barker besann sich mit unerhörter Genauigkeit auf den vollständigen Namen des Indianerweibes, das ihnen bei der Wäsche zur Hand ging, wofür er durch schallenden Beifall belohnt wurde. Widerwillig rissen sie sich endlich von den alten Geschichten los, als fühlten sie, daß die Vergangenheit ihnen ein für allemal sicher war, während ihre vollständige Uebereinstimmung in der Gegenwart zweifelhaft erschien. Nur zögernd und allmählich begannen sie von ihren späteren Erlebnissen zu erzählen, aber nicht aus freiem Antrieb und mit weit weniger Offenherzigkeit. Barker forderte meist Stacy, oder Stacy Barker auf, er solle Demorest dies oder jenes mitteilen, wovon dieser noch nichts wußte, wobei es meist nicht ohne gutmütige Neckereien und scherzhaften Einspruch abging. »Erzähle doch Demorest, wie du den Kupferring gesprengt hast,« rief Barker begeistert.

»Sag' du ihm lieber, wie du aus purer Dummheit der Grubengesellschaft ihr Besitztum abgekauft hast, und dadurch zum Herrn der Eisenbahn geworden bist,« lautete Stacys Erwiderung.

Bald danach ward die Tafel aufgehoben, und zur Verwunderung der Kellner, welche mit abdecken beschäftigt waren, zündeten sich die Herren ganz gewöhnliche Holzpfeifen an, für die Barker mit sinnigem Vorbedacht gesorgt hatte; dann setzten sie sich ganz von selbst genau wie in früherer Zeit um den Kamin. Durch die Fenster an beiden Seiten desselben blickten sie auf das nämliche Landschaftsbild wie damals durch die offene Hüttenthür: unten dehnte sich meilenweit das Thal, im Hintergrund ragte der schattenhafte Umriß des Black-Spur-Gebirges, und in noch weiterer Ferne schwebte hoch über dem Kamm die bleiche Schneelinie.

Auch jetzt schwiegen sie eine Weile still, und wieder wie damals war es Barker, der in seiner unbezähmbaren Lebhaftigkeit zuerst das Wort ergriff: »Aber Stacy hat dir ja noch gar nichts von Frau Hornburg, seiner schönen Freundin erzählt! Denke dir, er ist der Vormund einer der reizendsten Frauen Kaliforniens, die aber auch ebenso edelmütig und hochherzig ist wie schön. Stacy verwaltet ihr Vermögen und schützt sie zugleich vor der Roheit ihres Gatten. Ist das nicht brav und ritterlich von ihm?«

Darüber brachen die beiden andern in ein so schallendes Gelächter aus, daß Barker die Augen verwundert aufriß und sie vorwurfsvoll und entrüstet anstarrte. Es war ja sein vollster Ernst. Während des ganzen Ritts von Boomville herüber hatte er an Stacys Bewunderung für Frau Hornburg gedacht, ja, merkwürdigerweise hatte ihm gerade seine Unterredung mit ihr diesen Gedanken eingeflößt. Es war dies höchst charakteristisch für seine Natur. Gerade weil er, Barker, so große Sympathie für sie empfand, war er überzeugt, Stacy müsse die nämlichen Gefühle hegen, die sie ohne Zweifel teilte. Und daß sein alter Freund sich seine glänzende Stellung und das Verhältnis eines Beschützers, in dem er zu ihr stand, nicht zu nutze machte, um Einfluß über sie zu erlangen – was ihm bei ihrer offenen Natur ein Leichtes sein mußte – war das etwa kein Edelmut? Wenn selbst er – ein verheirateter Mann und Kittys Gatte – von ihrem Liebreiz so eingenommen war, wievielmehr mußte das bei Stacy, dem Junggesellen, der Fall sein.

Barker war vollkommen überzeugt, daß er hiervon nicht nur mehr verstand als Stacy, sondern auch als Demorest, der sich zu sehr in seine eigene Gedankenwelt vertiefte. Er hatte übrigens durchaus nicht das Gefühl, als bringe er ein großmütiges Opfer, wenn er sich die Möglichkeit nahm, Frau Hornburg zu lieben; ja er hielt sich deshalb nicht einmal für besonders tugendhaft. Von dem Tage an, als Stacy die schöne Frau zum erstenmal sah, glaubte Barker zu entdecken, daß sein Freund eine Neigung für sie gefaßt habe – auch Kitty war ja derselben Ansicht – und es erschien ihm fast als eine Schicksalsfügung, daß er nun wußte, wie er seinem alten Teilhaber helfen könne, sein Glück zu gründen. Es war ja undenkbar, daß Stacy nicht im stande sein sollte, die Frau aus ihren schimpflichen Banden zu erlösen, oder daß sie ihre Einwilligung versagen, und taub sein würde gegen seine (Barkers) Gründe und Bitten. In seinem unzerstörbaren Optimismus bildete er sich jetzt ein, Stacy lache nur aus Verlegenheit, und Demorest, weil er von dem wahren Stand der Dinge nicht unterrichtet sei. Demorest hatte übrigens bemerkt – was Barker entgangen war, daß Stacys Gelächter nicht ganz unbefangen und natürlich klang, und er dabei Barker mit sehr scharfen Blicken musterte. Da nun Stacy gerade von einem Boten, der ein Telegramm aus Boomville brachte, hinausgerufen wurde, benutzte Barker seine augenblickliche Abwesenheit auf der Stelle.

»Ich möchte dich bitten, Philipp,« sagte er, seinen Stuhl dichter an Demorest heranziehend, »die Sache ernstlich zu überlegen und Stacy, der sich weit mehr für Frau Hornburg interessiert als er zugeben will, nach Kräften zuzureden, daß er etwas von der Energie, mit der er seine Geschäfte betreibt, auch auf seine Herzensangelegenheit verwendet. Sie ist eine ganz entzückende Frau, die in jeder Beziehung für ihn paßt, und er läßt sich durch falsche Ehrbegriffe und thörichten Stolz abhalten, auf sie einzuwirken, daß sie Schritte thut, um sich von ihrem unerträglichen Gatten zu befreien. Wenn sie jemand gefunden hat, der ihr besser gefällt und sie glücklicher machen würde, so braucht sie doch nicht gerade deshalb um so mehr an dem rohen Kerl festzuhalten, von dem ganz Kalifornien sie gern geschieden sähe. Ich für mein Teil habe wenigstens für derartige Gründe nicht das geringste Verständnis; was sagst du dazu?«

Demorest sah lächelnd, wie seines Gefährten Wangen glühten und seine Augen leuchteten: »Es kommt darauf an, von welcher Seite man die Sache betrachtet,« erwiderte er. »Aber offen gestanden, alter Junge, ich glaubte zwar dich schon von den verschiedensten Seiten zu kennen, jedoch als Ehestifter bist du mir ganz neu. Ueberlegen werde ich es mir jedenfalls, auch will ich suchen, Näheres über deine Göttin zu erfahren, die euch beide verzaubert zu haben scheint. Was sagt denn aber Frau Kitty zu deiner Bewunderung?«

Barkers Stirn umwölkte sich, wurde aber sogleich wieder hell. »O, Kitty und Frau Hornburg sind ein Herz und eine Seele, gerade so befreundet wie wir, weißt du. Sogar tolle Streiche machen sie zusammen.« Er hielt inne und errötete, weil ihm dies Wort entfahren war.

Demorest hatte seine wechselnde Stimmung wohl bemerkt; aber mehr noch fiel ihm der halb ungläubige, halb argwöhnische Blick auf, mit dem Stacy, welcher eben wieder eintrat und diese Antwort gehört hatte, den nichts ahnenden Barker betrachtete.

»Ich wußte ja gar nicht, daß Frau Barker und Frau Hornburg so gute Freundinnen sind,« sagte er trocken, nachdem er wieder Platz genommen hatte. Gleich darauf nahm aber sein Gesicht eine so düstere Miene an, daß Demorest lachend meinte:

»Mir ist's doch recht lieb, Jim, daß ich keine Finanzgröße ersten Ranges bin; es wäre mir unausstehlich, wenn man mich jeden Augenblick bei meinen Privatangelegenheiten oder in meinen Erholungsstunden stören könnte. Was für gefährliche Purzelbäume haben denn die Aktien wieder einmal geschlagen, daß du solch' ein Gesicht machst?«

Stacy sah rasch in die Höhe und sagte kurz auflachend: »Ich fürchte, du würdest nicht klüger daraus werden, wollte ich's dir auch sagen. Ein berittener Eilbote ist eben mit Nachrichten aus New York gekommen. Weißt du noch, als wir an unserm letzten Abend hier in der Hütte beisammen saßen, und Barker vorschlug, wir sollten ein Zeichen, oder Losungswort verabreden, womit wir einander von den fernsten Enden der Erde zur Hilfe herbeirufen könnten in Not und Gefahr? Stelle dir einmal vor, ich hätte einen Geschäftsfreund in Europa und einen andern in New York. Das war die Losung, die mir der Bote brachte.«

»Hoffentlich keine wichtigere als unsere,« bemerkte Demorest.

Stacy schüttelte lachend den Kopf; doch wollte die Unterhaltung nicht mehr recht in Fluß kommen. Auf die ausgelassene Lustigkeit, mit der sie den Abend begonnen hatten, war ein Rückschlag gefolgt, von dem sie sich nicht wieder erholen konnten. Schweigend saßen sie da und schauten bald ins Feuer, bald nach der dunkeln Masse des Black-Spur-Gebirges. Die Stimmen der Spaziergänger auf der Veranda, die dann und wann zu ihnen heraufschallten, verstummten zuletzt, auch die schweren Hausthüren wurden geräuschvoll geschlossen. Plötzlich stand Barker auf:

»Verzeiht, Kameraden, aber ich muß jetzt meinem kleinen ›Sta‹ Gute Nacht sagen und sehen ob ihm auch nichts fehlt. Ich habe ihn seit meiner Rückkehr noch gar nicht begrüßt. Aber morgen sollst du ihn sehen, Phil, wenn Kitty kommt. Wollte ich wagen, ihn dir zu zeigen, ehe sie ihn für präsentabel erklärt, es ginge mir ans Leben.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Bleibt nicht etwa auf, um mich zu erwarten. Manchmal läßt mich der kleine Kerl nicht wieder los. Gerade als dächte er, nun Kitty fort ist, daß ich alles bin, was er hat. Aber morgen stehe ich in der Frühe auf, um nach euch zu sehen. Du und Stacy, ihr habt gewiß noch eine Masse Geschäftliches mit einander zu verhandeln, da werdet ihr mich nicht vermissen. Ich will euch daher lieber gleich Gute Nacht sagen.« Mit seiner alten Herzlichkeit schüttelte er ihnen lachend die Hand und verließ das Zimmer; es wurde düsterer darin, nachdem er fort war. Daß Barker zuerst einen Ort verließ, wo seine Gegenwart Mensch oder Tier erfreute, war noch nie dagewesen. Es fiel beiden Freunden auf. »Wenn das nicht wäre, würde ich finden, daß der liebe Junge ganz unverändert ist,« äußerte Demorest, als sich die Thür geschlossen hatte. »Nur schien er mir heute abend etwas unruhig im Gemüt.«

»Das wundert mich nicht. Es liegen ihm zwei Frauen am Herzen – als ob eine nicht schon übrig genug wäre.«

»Mir ist die Sachlage nicht recht« klar. Du sagst, er hat ein thörichtes Weib, und diese andere –«

»Ach, laß das jetzt ruhen,« unterbrach ihn Stacy, indem er aufstand und seine Pfeife hinlegte. »Reden wir lieber von Geschäften; das andere Zeug hat keine Eile.«

»Ach ja,« sagte Demorest und lehnte sich müde in den Stuhl zurück, »die Geschäfte hatte ich ganz vergessen. Auch muß ich dir noch Glück wünschen, Jim. Sogar in New York spricht man viel von dir. Alle Welt sagt, daß du der Mann bist, der das ganze Finanzwesen am Stillen Ozean jetzt in Händen hält. Und ich wüßte auch niemand,« fuhr er mit einem liebevollen Blick auf seinen alten Teilhaber fort, »der durch Rechtschaffenheit, Geradheit und Mut besser geeignet wäre, eine solche Verantwortlichkeit zu tragen, als du.«

»Ich wollte nur,« sagte Stacy und blickte Demorest nachdenklich an, »daß nicht auch fast eine Million von deinem Gelde zu den Finanzen am Stillen Ozean gehörte, die ich in Händen halte.«

»Weshalb denn,« fragte Demorest lächelnd, »ich bin ja ganz zufrieden damit.«

»Aber ich nicht. Entweder hast du keinen Grund zufrieden zu sein, oder ich bin ein Dummkopf, der seinen Beruf verfehlt hat. Als du mir Auftrag gabst, deine Weizen-Trust-Anteilscheine zu verkaufen, wußte ich nicht recht, was ich thun sollte. Ich kenne dich als einen vorsichtigen Mann, der genug von Geschäften versteht, um sich weder durch seine eigenen Neigungen, noch durch die Ansichten anderer Leute bestimmen zu lassen, zu denen er kein felsenfestes Vertrauen hat. Deshalb nahm ich an, du hättest einen heimlichen Wink erhalten; aber die Sache blieb mir unverständlich. Als dein Vertrauensmann durfte ich mich aber durch dich nicht irre machen lassen und mußte mehr Wert auf mein eigenes Urteil legen, als auf das deinige. Meinst du nicht auch?«

»Deine Logik ist unanfechtbar, alter Freund,« sagte Demorest belustigt, »aber deine Prämissen leuchten mir nicht ein. Wann habe ich dir Auftrag gegeben, meine Anteilscheine zu verkaufen?«

»Vor zwei Tagen. Du schriebst mir gleich nachdem du angekommen warst.«

»Ich habe dir seit meiner Rückkehr noch gar nicht geschrieben, sondern nur telegraphisch angefragt, wo wir uns treffen könnten, und deine Botschaft erhalten, ihr würdet mich hier erwarten.«

»Aus San Francisco hättest du mir nicht geschrieben?«

»Bewahre!«

Stacy sah seinen Freund mit besorgter Miene an. Hatte er den Verstand verloren? Es waren ihm verschiedene Fälle bekannt, in denen schwermütiges Brüten über einer fixen Idee, Gedächtnisschwäche erzeugt hatte. Ohne ein Wort zu sagen, zog er mehrere Briefe aus seiner inneren Rocktasche, wählte einen derselben und reichte ihn Demorest.

Dieser betrachtete das Schreiben, wandte es hin und her, las den Inhalt und sagte dann in ernstem Ton: »Hierbei ist irgend etwas nicht in Ordnung. Die Schrift gleicht zwar der meinigen, aber der Brief stammt nicht von mir – ich habe ihn jetzt zum erstenmal in der Hand.«

Stacy trat rasch an seine Seite. »Also ist es eine Fälschung!«

»Das müßte sich beweisen lassen.« Demorest, der zwar sehr ernst, aber doch weniger erregt war, als sein Gefährte, nahm am Schreibtisch Platz und griff nach Papier und Feder. »Nun diktiere mir einmal den Brief,« sagte er.

Stacy that es, und Demorest schrieb:

»›Lieber Jim!

Gleich nach Empfang des Gegenwärtigen, verkaufe meine Weizen-Trust-Anteilscheine um jeden Preis der geboten wird. Nach den Geschäftskonjunkturen in New York zu urteilen –‹«

»Halt!« unterbrach ihn Demorest.

»Was giebt's,« fragte Stacy ungeduldig.

»Aber liebster Jim,« erwiderte Demorest in komischem Klageton, »hast du wohl je erlebt, daß ich mich eines Ausdrucks wie ›Geschäfts-Konjunkturen‹ bediente?«

»Laß mich doch erst zu Ende lesen,« sagte Stacy, dem diese Wortklauberei in solchem Moment wie kleinliche Pedanterie vorkam.

»›Nach den Geschäfts-Konjunkturen in New-York zu urteilen,‹« fuhr Stacy fort »›und infolge von privaten Ratschlägen, die mir zu teil wurden, scheint mir dies das klügste zu sein, ehe man vielleicht zu viele Haare lassen muß. Möchte dich mal wiedersehen und das gute alte Nest am Kieferberg. Grüße Barker von mir. Was ist denn die neuste Dummheit, die der gute alte Junge ausgeheckt hat? –

Dein
Phil. Demorest.‹«

Als Demorest fertig war, legte er sein eben beschriebenes Blatt neben den Brief, welchen Stacy erhalten hatte. Beide Schriftstücke glichen einander und waren doch wesentlich verschieden. Nur die Unterschrift schien ganz dieselbe zu sein.

»Bei Fälschungen kommt dieser Irrtum häufig vor,« sagte Demorest. »Der Betrüger vergißt immer, daß der Namenszug doch auch mit der Schrift des Textes übereinstimmen muß.«

Stacy schien diese Worte kaum zu hören; offenbar bedurfte er keiner weiteren Beweise. Sein Gesicht war aschgrau geworden und er preßte die Lippen so fest zusammen, daß sein dichter Bart sie ganz bedeckte, während er unverwandt zum Fenster hinaus starrte. Teilnehmend, und jetzt zum erstenmal ernstlich besorgt, legte ihm Demorest leise die Hand auf die Schulter.

»Sage mir, Jim, bringt dir das großen Schaden – abgesehen von meinem Verlust? Den lasse nur ganz aus dem Kopf.«

»Ich weiß noch nicht,« erwiderte Stacy langsam. »Das ist das Schlimmste. Auch kann ich's nicht erfahren, bis ich herausbekomme, wer dahinter steckt. Weiß irgend jemand etwas von unserer Geschäftsverbindung?«

»Kein Mensch.«

»Nicht etwa ein vertrauter Freund – besinne dich!«

»Nein; niemand.«

»Weiß auch keiner um deine Geheimnisse? Vielleicht irgend eine – Frau? – Du mußt die Frage entschuldigen, Phil,« fügte er hinzu, als er bemerkte, welchen eigentümlichen Ausdruck Demorests Züge annahmen – »doch hier handelt sich's um Geschäfte.«

»Ich weiß,« erwiderte jener, »aber das verstehst du nicht. Ihr Weltmänner sagt immer: ›Cherchez la femme‹, wenn ihr mit eurer Weisheit zu Ende seid. Betrachte den Brief doch einmal genau,« fuhr er lebhafter fort. »Es ist ja klar, daß ihn ein kaufmännisch gebildeter Mann geschrieben hat. Redewendungen wie ›Empfang des Gegenwärtigen‹, ›Geschäfts-Konjunkturen‹ und dergleichen, gebraucht keiner, der nicht zur Handelswelt gehört – ich am allerwenigsten. Ferner ist der Stil höchst nachlässig, und zwar mit allem Vorbedacht, um einen unbefangenen, vertraulichen Ton anzuschlagen – eine Absicht, die man auf den ersten Blick durchschaut. Das ist aber ganz und gar nicht meine Art an dich zu schreiben. Was endlich die Aeußerung über Barker betrifft, so kann sie recht wohl von jemand stammen, der meine Briefe gelesen hat, ohne das geringste Verständnis für meine Gefühle. So ist denn die Reihe zu fragen jetzt an mir: Hat irgend jemand meine Briefe an dich zu Gesicht bekommen?«

»Keine Seele. Ich halte sie in meinem Schreibtisch verschlossen und mache mir nur Notizen über deine geschäftlichen Anordnungen, die ich meinen Beamten mitteile. Deine Briefe bekommen sie nie zu sehen.«

»Aber sie können beobachten, wie du die Notizen machst?«

»Das wohl; doch wäre keiner von ihnen im stande dies gefälschte Schriftstück abzufassen; auch würden sie niemals Gelegenheit haben, Nutzen daraus zu ziehen.«

»Und kann sich auch keine Frau Einblick in meine Briefe und deine Geheimnisse verschafft haben? – Glaube mir, lieber Jim, daß ich nicht etwa Gleiches mit Gleichem vergelten will – mir scheint jedoch, als spräche aus dem gefälschten Brief die Schlauheit und Beschränktheit eines Weibes. Im ersten Augenblick führt Weiberlist stets zum Ziele, aber bei näherer Prüfung durchschaut man sie leicht.«

Auch Stacys Gesicht nahm jetzt einen verächtlichen Ausdruck an, wie vorhin Demorests Züge. »Hältst du mich für einen Narren, der seine Geschäftsgeheimnisse Frauenzimmern anvertraut?« fragte er in geringschätzigem Ton.

»Gut, dann erwäge nur noch eins. Daß nach meiner Ansicht der Fälscher kaufmännisch gebildet ist, weder mich noch Barker genau kennt und meine Schreibweise schlecht nachgeahmt hat, habe ich bereits erwähnt. Dazu kommt noch, daß der Mensch entweder ein Feigling ist, oder noch andere Zwecke verfolgt, außer dem Plan, sich zu bereichern. Er hätte ja mit seiner Kunst durch die bloße gefälschte Unterschrift auf einem Wechsel oder einer Zahlungsanweisung den zwanzigfachen Betrag aus deiner Bank entnehmen können. Das wird dir wohl auch schon eingefallen sein. Nun sage mir aber, Jim, wie hoch beläuft sich mein Geldverlust infolge der Fälschung?«

»Der ist nicht groß; wenn man bedenkt, daß Papiere, welche plötzlich in solcher Menge auf den Markt kommen, gewöhnlich fallen, hast du einen recht guten Preis für deine Aktien erhalten. Ich wies meinen Makler an, langsam, und nur in kleinen Partien zu verkaufen, weil ich eine Panik fürchtete. Aber der eigentliche Schaden besteht darin, daß ich keine Kontrolle mehr über das Papier habe.«

»War denn mein Anteil bedeutend genug, um das zu bewirken?«

»Nein, aber ich besaß selbst die meisten Aktien und wir beide zusammen beherrschten den Markt.«

»Und du hast ausverkauft, trotz deiner Zweifel?«

»Eben deshalb,« erwiderte Stacy, seinem Gefährten fest ins Auge blickend. »Unsereiner darf keine Zweifel haben. Mir blieb nur die Wahl, deinem Brief keine Folge zu leisten und deine wie meine Aktien zu behalten – oder zu thun was ich gethan habe. Zwar hätte ich mich nach beiden Seiten decken können, wenn ich nur deine Papiere verkaufte, aber das ist nicht meine Art. Für einen Börsenmann, der an der Spitze der Geschäfte bleiben will, giebt es keinen Mittelweg. Wer nicht mit aller Entschiedenheit auftritt, wird niemals große Macht, oder einen großen Erfolg erringen.«

Demorest lächelte. »Und die andere Möglichkeit – einen vollkommenen Ruin – hast du auch ins Auge gefaßt?«

»Gewiß,« lautete Stacys Antwort. »Bei deiner Rückkehr mußtest du mich entweder als Bettler wiederfinden, oder so wie ich jetzt bin. Einen Zwischenzustand gab es für mich nicht. Uebrigens hat das nichts mit der Fälschung zu thun – wenn sie nicht etwa gerade darauf berechnet war,« fügte er mit grimmigem Lächeln hinzu. »Doch still! Barker kommt zurück!« –

Rasche Schritte näherten sich auf dem Korridor, und schon im nächsten Augenblick erschien Barkers strahlendes Gesicht in der geöffneten Zimmerthür. Alle Bedenklichkeit und Verzagtheit von vorhin war aus seinen Mienen verschwunden; sein unzerstörbarer Frohsinn hatte einen mächtigen Rückschlag bewirkt und ihm das alte, offene und unbefangene Wesen zurückgegeben.

»Na, ich mußte doch noch 'mal wiederkommen und euch Gute Nacht sagen,« begann er lachenden Mundes. »›Sta‹ und ich, wir haben zusammen die schönsten Kriegstänze ausgeführt, aber endlich ist er eingeschlafen. Da kam mir's doch unrecht vor, euch beide gleich am ersten Abend allein zu lassen. Mir fiel ein, daß ich ja auch ein Geschäft zu besprechen hätte und folglich mit von der Partie sein könnte. Der Abend ist noch längst nicht zu Ende,« fuhr er munter fort; »wir müssen wenigstens aufbleiben, bis wir die Schneelinie verschwinden sehen, wie in alter Zeit. Aber hört einmal,« unterbrach er sich plötzlich, während er von einem zum andern blickte, »ihr habt die Sache schon gründlich betrieben, wie mir scheint. Ihr seht genau so aus wie an dem Abend als das Stauwasser des Flußarms in unsere Hütte drang. Was ist denn los?«

»Gar nichts,« beeilte sich Demorest rasch zu erwidern, als er Stacys ungeduldige Blicke gewahrte. »Wo Geschäfte verhandelt werden, geht es immer ernsthaft zu; das hast du dir wohl noch nicht klar gemacht, lieber Junge?«

»Da kannst du recht haben,« entgegnete Barker lustig. »Wenn ich von Geschäften reden will, lacht mich alle Welt aus. Vielleicht erheitert es euch jetzt auch ein wenig, wenn ich ein Wort mit drein rede. Hernach könnt ihr thun was ihr wollt. Bitte, reiche mir 'ne Pfeife.«

Demorest schob ihm die Pfeife hin und Barker stopfte sie sich, während er fortfuhr: »Ich war nämlich gestern in Sacramento und sprach in Van Loos Zweiggeschäft vor, weil man mir gesagt hatte, ich würde ihn dort finden. Ich wollte einmal mit ihm über Kittys Kapitalanlage sprechen, bei der mir nicht alles in Richtigkeit zu sein scheint. Van Loo traf ich nicht, aber während ich in seinem Bureau wartete, hörte ich die Kommis sagen, die Weizen-Trust-Aktien seien stark im Preise gesunken und würden massenhaft verkauft. Man schien auch zu glauben, daß sie aus irgend einem Grunde noch weiter heruntergehen müßten. Da ich nun wußte, daß dies dein Lieblingspapier ist, und auch Phil viel darin angelegt hat, stahl ich mich hinaus, ging zu einem Makler und beauftragte ihn, alles aufzukaufen, was er bekommen könnte. Wahrhaftig, ich erschrak nicht wenig, als ich erfuhr, wieviel ich mir aufgeladen hatte, und daß ich nicht Geld genug besaß, das Sicherheits-Depositum zu zahlen. Doch ich wußte, Demorest war hier, und verließ mich darauf, daß er mir aushelfen würde.« Barker hielt inne, wurde rot, und fuhr dann fort: »Uebrigens brauche ich wohl gar keine Hilfe, denn das Geschäft war kaum abgeschlossen, da kamen Van Loos Kommis hereingestürzt, um alles aufzukaufen. Sie schlugen mir vor, sie wollten die Aktien übernehmen und das Depositum zahlen.«

»Und was thatest du?« fragten seine Zuhörer in atemloser Spannung, wie mit einem Munde.

Barker wurde bald rot, bald blaß und starrte sie abwechselnd an: »Ich gab's nicht wieder her,« stammelte er endlich. »Seht 'mal, Jungens – –«

Sie packten ihn bei beiden Armen. »Wieviel hast du denn?« riefen sie und schüttelten ihn, als könnten sie dadurch die Antwort beschleunigen.

»Einen ganzen Haufen,« sagte Barker, »wirklich eine schauderhafte Masse. Mindestens für 50 000 Dollars sollte ich meinen.«

Zu seinem unbeschreiblichen Staunen und Entzücken fielen ihm beide Männer abwechselnd um den Hals und zerrten ihn vor Freude hierhin und dorthin. Ihm ging vor Lachen der Atem aus; »was soll denn das alles heißen?« keuchte er endlich.

Stacy berichtete nun kurz, was geschehen war und legte Barker den Brief und das Diktat vor; aber er las nur das gefälschte Schriftstück.

»O Stacy!« rief er, »wie konntest du – einer der drei Teilhaber vom Kieferberg – dich so betrügen lassen! Siehst du denn nicht, daß es zwar Phils Handschrift ist, aber nicht aus Phils Seele kommt!«

»Hast du etwa eine Ahnung, von wem es ist?« fragte Stacy.

Barker machte große Augen. »Nicht die geringste. Es muß ein Mensch sein, der uns genau kennt. Aber ich weiß niemand, der ein solcher Schurke wäre.«

»Woher wusstest du denn, daß Demorest die Aktien besaß?«

»Aus einem seiner Briefe, in dem er mir riet, auch welche zu kaufen. Aber Kitty brauchte damals gerade Geld und deshalb befolgte ich den Rat nicht.«

»Ja, ich weiß,« fiel Demorest ein. »Aber es war doch auch kein Geheimnis. Die Papiere wurden natürlich in den Büchern auf meinen Namen umgeschrieben, so daß jedermann ihn lesen konnte.«

»Keineswegs,« entgegnete Stacy rasch. »Du warst einer der ursprünglichen Aktionäre; eine Uebertragung hatte nicht stattgefunden und die Bücher sowohl als die Aktien der Gesellschaft waren in meinen Händen.«

»Aber deine Kommis wußten doch darum,« meinte Demorest.

Stacy schwieg eine Weile, dann sagte er: »Hat irgend jemand den fraglichen Brief zu sehen bekommen, Barker?«

»Kein Mensch außer mir und Kitty.«

»Kann sie nicht davon gesprochen haben?«

»Bewahre. Wie käme sie dazu? Und mit wem sollte sie davon reden?« Er hielt plötzlich inne, lachte dann aber hell auf und sagte: »Nein, nein, ganz gewiß nicht.«

»Natürlich haben alle Leute erfahren, daß du die Aktien in Sacramento erworben hast.«

»Gewiß. Ich sagte dir ja schon, daß Van Loos Kommis gekommen sind, um sie mir abzukaufen.«

»Richtig, richtig! Die müssen also wohl darum gewußt haben,« sagte Stacy voll Ingrimm. »Na, Jungens,« fuhr er mit plötzlicher Lebhaftigkeit fort, »ich für mein Teil gehe jetzt zu Bett, denn morgen muß ich schon bei Sonnenaufgang munter sein, um den Frühzug nach Frisco zu benutzen. Wir wollen diesem Ding zusammen auf die Spur kommen, denn mir scheint, es betrifft uns alle drei gleichermaßen, wir sind wieder Teilhaber, wie in früheren Tagen.« Er sah die andern mit bedeutsamen Blicken an und fuhr lachend fort: »Es ist gerade, als hätte ich das Signal oder Losungswort ausgegeben, wie Barker damals wollte – laßt uns jedenfalls Zusammenhalten. Dein richtiger Instinkt hat uns diesmal gerettet, alter Junge,« sagte er, Barkers Hand schüttelnd. »Hol' mich der Henker, wenn du nicht manchmal besser dabei fährst als andere Leute, die die Weisheit mit Löffeln gegessen haben. Nur wünschte ich, er käme dir auch sonst im Leben zu statten, wo es sich nicht um Geldgeschäfte handelt,« fügte er in leiserem Ton hinzu. »Phil, ich muß noch ein Wort mit dir reden, ehe wir uns trennen. Vielleicht werde ich dich bitten, mir nachzukommen.«

»Aber ich – was kann ich denn thun!« rief Barker eifrig. »Ihr dürft mich nicht so beiseite schieben.«

»Du hast schon reichlich genug für uns gethan, lieber Junge,« sagte Stacy, ihm die Hand auf die Schulter legend. »Vielleicht ist jetzt die Reihe an uns, dir von Nutzen zu sein. Sei brav und leg' dich schlafen. Ich will dir Nachricht geben, sobald es an der Zeit ist.«

Dem Widerspruch Barkers und allen Abschiedsworten machte er rasch ein Ende, indem er ihn mit väterlichem Wohlwollen zur Thür hinausschob. Dann trat Stacy ins Zimmer zurück.

»Er ist der beste Mensch von der Welt,« sagte er zu Demorest gewendet, in ruhigem Ton. »Zwar hat er uns aus der Klemme geholfen, aber wir dürfen ihm doch im Augenblick nicht allzusehr vertrauen – uns nicht einmal den Anschein geben, als thäten wir es.«

»Unsinn, Stacy!« rief Demorest ärgerlich. »Du gehst wirklich zu weit mit deinen Vorurteilen. Auf seine Frau kannst du doch unmöglich einen Verdacht haben?«

»Was kümmert mich seine Frau!« rief Stacy in hellem Zorn. »Laß sie nur ganz aus dem Spiel. Mein Argwohn betrifft Van Loo. Ich wußte Van Loo müsse dahinter stecken; er wollte dabei im Trüben fischen und nun ist er uns entschlüpft.«

»Aber wieso denn?« fragte Demorest erstaunt.

»Wieso?« wiederholte Stacy ungeduldig. »Du hast doch gehört, was Barker erzählte! Aus Dummheit, Angst, oder dem Wunsch den niedrigsten Preis zu erzielen, hat Van Loo es versäumt, die Aktien rechtzeitig aufzukaufen. Wäre ihm das geglückt, so hätten wir die Fälschung an die Oeffentlichkeit bringen können. Die Welt brauchte nur zu erfahren, daß er oder seine Genossen Gewinn daraus zogen, ja, es hätte nur des Beweises seiner Beteiligung bedurft, um ihm ein längeres Verbleiben in Kalifornien unmöglich zu machen. – Das ist aber nun alles vorbei,« fuhr Stacy fort und sah seinen Freund mit durchdringenden Blicken an. »Weißt du, wie der Fall jetzt liegt?«

»Nun,« erwiderte Demorest, etwas betroffen von dem scharfen Ton der Frage, »mir scheint, wir haben zwar die Gewalt über ihn verloren, aber doch die Kontrolle über die Aktien behalten.«

»So? meinst du? – Ich will dir einmal sagen, wie die Sache steht und welchen Preis wir dafür bezahlen,« versetzte Stacy mit Nachdruck, während er die Arme unterschlug und Demorest fest ins Auge sah: »Wir beide, du und ich – jedermann als alte Freunde und frühere Teilhaber bekannt – haben plötzlich unsern ganzen Aktienvorrat auf den Markt geworfen, wodurch, wie gewöhnlich, der Preis an der Börse gesunken ist. Ein anderer alter Freund und früherer Teilhaber hat die Papiere aufgekauft, und der Preis ist gestiegen. Ein sehr verbreiteter, gemeiner Kunstgriff; weder James Stacy, noch Stacys Bank würde sich jemals dergleichen unwürdiger Kniffe bedienen.«

»Aber man braucht ja bloß die Fälschung öffentlich bekannt zu machen, ohne eine persönliche Anklage gegen Van Loo vorzubringen.«

»Ich bitte dich Phil – welcher Mensch würde uns wohl glauben und nicht die Geschichte von Freund Barker, der als Bote der Vorsehung gesandt worden, um uns vor Verlust zu bewahren, für die reinste Erfindung halten? – In ganz Kalifornien, vom Kap Mendicino bis nach Los Angeles würde man sich vor Lachen darüber ausschütten, das versichere ich dir! Nein, wir müssen die bittere Pille herunterschlucken und uns den Ruf eines unehrlichen Börsenspiels mit dem Weizen-Trust gefallen lassen. Das Vertrauen in diesen Trust ist für den Augenblick so gut wie verloren. – Nun weißt du, warum ich nicht wollte, daß der arme Barker etwas davon erführe, oder sich bei dem Aufspüren des Fälschers irgendwie beteiligen sollte.«

»Es würde ihm das Herz brechen, wenn er es wüßte,« sagte Demorest.

»Sehr wahr; und damit er nicht ferner Gefahr läuft, daß ihm das Herz gebrochen wird, gedenke ich den Fälscher zu entdecken,« erwiderte Stacy entschlossen. »Gute Nacht, Phil! Wenn ich dich brauche, telegraphiere ich, und dann komm schnell!« Noch einmal schüttelte er Demorest die Hand und überließ ihn dann seinen Gedanken.

Durch die erste freudige Erregung beim Wiedersehen mit seinen früheren Teilhabern und die darauf folgende Entdeckung des gefälschten Briefes, war Demorest eine Zeit lang von seinem alten Herzenskummer abgelenkt worden. Kaum sah er sich aber wieder allein, als er mit Entsetzen inne ward, daß sein Interesse an den Ereignissen der Gegenwart sich mehr und mehr verflüchtigte, und sie ihn nicht tiefer berührten als die alten Geschichten, über die sie bei Tische miteinander gelacht hatten. Ja selbst seine Aufregung über die Fälschung und deren Folgen, schien ihm kein wirklich lebhaftes Gefühl, sondern bewegte ihn nur matt und schattenhaft, wie die Erinnerung an den Raubversuch in der alten Hütte, auf dem nämlichen Platz. Wahrlich, er schämte sich der Selbstsucht, mit der er noch immer an der Vergangenheit hing, die sich so fest an sein ganzes Wesen gekettet hatte, daß sie ihm sogar die Fähigkeit nahm, ein rein menschliches Mitgefühl mit seinen Kameraden zu empfinden. Selbst Barker, an dessen Brautwerbung und Hochzeit er so regen Anteil genommen hatte, weil dabei seine eigenen Jugendgefühle, die ihm zur Entschuldigung seines selbstsüchtigen Kummers dienten, aufs neue erwacht waren – selbst dieser treue Freund interessierte ihn nur oberflächlich, so daß die Andeutungen über sein eheliches Unglück ihm kaum die Seele erregten. Nein, länger wollte er nicht der Sklave der Vergangenheit bleiben und sich fortwährend von der Erinnerung täuschen lassen, wie es ihm erst wieder vor wenigen Stunden geschehen war! – Er trat ans Fenster; ach, vor ihm lag dieselbe Aussicht, die er in seinen Träumen geschaut, in die sich die Gebilde seiner Phantasie verwoben hatten. Dort die unwandelbaren Umrisse der Berge, hier die mächtigen Kieferstämme. Das alles war unverändert geblieben; die ewige Beständigkeit der Natur ergriff ihn mit neuer Gewalt! – Er wandte sich ab und suchte sein Schlafzimmer auf. Hier kam ihm plötzlich der Gedanke, daß die Mutter seines heimlichen Feindes, Van Loo, gegen den er nur ein unbestimmtes Gefühl der Abneigung hegte – wenige Menschen sind imstande, Personen wirklich zu hassen, die sie nicht kennen – dies Zimmer noch vor kurzem bewohnt hatte. Es war ihm ohnehin widerwärtig, hier als Eindringling zu erscheinen und er empfand es als eine förmliche Ironie des Schicksals, daß er in dem Bette schlafen sollte, welches die Mutter des Mannes inne gehabt hatte, den er für den Verfasser des gefälschten Briefes hielt. Mit trübem Lächeln sah er sich in dem Raume um. Die Einrichtung war hübsch; obgleich sie natürlich das wenig charakteristische Gepräge eines Hotelzimmers trug, erinnerten doch gewisse Kennzeichen, die von weiblichem Einfluß nicht zu trennen sind, unwillkürlich an seine Bewohnerin. Wo ein Mann die Pantoffeln, oder den vergessenen Kragen umhergeworfen hätte, stand ein Glas mit noch unverwelkten Blumen; auf der kalten Marmorplatte des Toilettentisches lagen zierlich gestickte Schutzdeckchen, und auf dem Kaminsims stand ein Photographienhalter in Fächerform. Mechanisch trat er herzu und betrachtete ihn mit zerstreuten Blicken; da begann ihm plötzlich das Herz heftig zu schlagen: Er sah vor sich das Porträt des geliebten Mädchens, das der Inhalt seines Lebens gewesen war!

Rasch warf er einen Blick im Zimmer umher, als erwarte er halb und halb das Original in seiner Nähe auftauchen zu sehen; dann griff er hastig nach der Photographie und eilte damit ans Licht. Kein Zweifel – sie war es – so hatte sie seine Träume umschwebt, so hatte er sie lebendig im Gedächtnis getragen! Er sah ihre holden Augen, aber die süße, zaghafte Befangenheit war daraus verschwunden. Die vornehme Erscheinung im Gesellschaftsanzug zeigte noch dieselbe reizvolle Anmut, doch war die Gestalt stärker und voller geworden. Sollte es nur eine wunderbare Aehnlichkeit sein, die seine allzu leichtgläubigen Sinne täuschte? Er drehte das Bild um. Nein, dort auf der Rückseite, in ihren eigenen kindlichen Schriftzügen, die ihm so lieb und vertraut waren, stand ihr Vor- und Zuname und das Datum. Sie war es ohne alle Frage.

Wie kam das Bild hierher? Hatten die Van Loos sie gekannt? Es war in Venedig aufgenommen, die Adresse des Photographen stand darauf. Ihm fiel ein, daß die Van Loos Ausländer waren und viele Reisen gemacht hatten; sie konnten 1858 mit ihr in Italien zusammengetroffen sein; das war die Jahreszahl, die in ihrer Handschrift darauf stand; sie war auch neben der Adresse des Photographen gedruckt – 1858.

Plötzlich legte er das Bild hin, zog mit zitternden Händen seine Brieftasche heraus, öffnete dieselbe und legte seinen letzten Brief an sie, der mit der grausamen Nachricht ihres Todes an ihn zurückgekommen war, vor sich auf den Tisch. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und faltete den Brief auseinander – er trug die Jahreszahl 1856! – Die Photographie mußte zwei Jahre nach ihrem angeblichen Tode ausgenommen worden sein! –

Wieder und wieder betrachtete er sie mit unverwandten, angstvollen Blicken. Nur mühsam bezwang er ein heftiges Verlangen, auf der Stelle Barker oder Stacy herbeizurufen; er unterließ es nur, weil er sich sagte, daß sie ihm doch nicht helfen könnten. Nun schwankte er hin und her zwischen seiner Herzensfreude und einer neuen Furcht, die jetzt zum erstenmal in ihm aufdämmerte: Wenn ihre Verwandten ihm auch die Todesnachricht aus teuflischer Bosheit hatten zukommen lassen, warum hatte denn sie ihn niemals ausgesucht? Weder Krankheit noch Furcht, noch ein zwingendes Verbot konnte sie daran gehindert haben, denn es lag nichts als Jugendlust und Jugendkraft in diesen schönen Zügen, dieser herrlichen Gestalt. Er war ja nicht aus der Welt verschwunden; viele Menschen kannten ihn, auch mußte sein wunderbares Glück ihr unfehlbar zu Ohren gekommen sein. War es denkbar, daß er alle die langen kummervollen Jahre Leid um sie getragen hatte, nur um schließlich zu entdecken, daß er von ihr verlassen, vergessen, vielleicht betrogen worden war? Zum erstenmal fühlte er den Stachel der Eifersucht in seiner Seele. Sollten etwa die seltsamen, wechselnden Gefühle, die ihn den Tag über bestürmt hatten, die Vorboten einer Krisis in seinem Geistesleben gewesen sein? Jedenfalls hatte der plötzliche Umschwung ihn aus seiner Apathie aufgerüttelt; seine Thatkraft war wieder erwacht, wenn auch unter Schmerzen. Es galt jetzt ein Rätsel zu lösen, ein Geheimnis aufzudecken, ein altes Vergehen ans Licht zu bringen, einen Feind, ja vielleicht eine treulose Geliebte zur Rechenschaft zu ziehen. Er durfte nicht den Verstand verlieren, wenn er auch seine Liebe opfern mußte.

Rasch steckte er die Photographie in den Fächer auf dem Kaminsims zurück und verwahrte den Brief wieder sorgfältig in der Brieftasche – dies Andenken aus der Vergangenheit war zu einem Beweis der Treulosigkeit geworden. Mechanisch begann er sich auszukleiden; er fühlte sich jetzt ganz ruhig, es war wie eine seltsame Erleichterung über ihn gekommen. So ging er zu Bett und schlief fest und traumlos, wie er seit seiner Kinderzeit nicht mehr geschlafen hatte.

Das ganze Hotel lag jetzt im Schlummer, und wie allnächtlich begann die Natur langsam und ohne Widerstand davon Besitz zu nehmen. Der Bergwind kam von den fernen Gipfeln herangesaust auf den schwachen Bau, rüttelte an den großen Glasscheiben und ließ seinen Kiefern- und Tannenduft durch alle Ritzen und Spalten wehen. Die Teppiche in den Korridoren und der großen Halle wogten auf dem Boden hin und her, vom Winde bewegt; auf Treppen und Gängen tönte es wie das Rauschen der Fichten, und ein feuchter Laubgeruch durchzog den Speisesaal. Zwischen den plumpen Gipsstatuen auf den Terrassen und der großen Veranda schlängelte sich allerlei Getier. Oben in der knarrenden Kuppel kreischten die Nachtvögel, aber sie schossen mit dunkeln Fittigen an den Schlafstubenfenstern vorbei. Schwieg der Wind, so hauchte der Wald überall seine balsamischen Wohlgerüche aus; selbst die gespenstischen Baumstümpfe auf dem entwaldeten Abhang hinter dem Hotel schienen sich neu zu beleben – der scharfe Duft ihres schwellenden Saftes prickelte den Schläfern drinnen in Augen und Nase.

Vielleicht war dies auch die Ursache, weshalb Barker plötzlich erwachte und das Kind neben sich im Bettchen: »Mama, Mama!« rufen hörte. Er nahm den Kleinen in seine Arme, beruhigte ihn mit dem Versprechen, daß die Mama am Morgen wiederkommen würde und zeigte ihm den schwachen Dämmerschein, welcher die geisterbleichen Sierras schon rosig umflutete. Er fiel nicht senkrecht herab, sondern glitt sekundenlang an den Hängen des Kiefergebirges dahin und schimmerte durch die Bäume gleich einem feurigen Wagen. Der Kleine sagte, es wäre das Licht von Mamas Kutsche, in der sie nach Hause käme und freute sich darüber mit dem Vater, der ihn in dieser Vorstellung bestärkte. Unter traulichem Geflüster schlummerten beide wieder ein, während der Vater – in so vielen Dingen selbst noch ein Kind – das kleine, zarte Händchen fest umschlossen hielt.

Sie ahnten nicht, daß draußen in der Nacht, jenseits der Zweigbahn, die Frau und Mutter schreckensbleich und zagend neben dem Genossen ihrer Schuld saß, mit dem sie weiter und weiter hinabfuhr in den Abgrund des Verderbens. Ebensowenig wußten sie, daß während die Vögel ihr Morgenlied anstimmten, ein Reitersmann sorglos den Bergpfad herabgetrabt kam. Er sah dem staubbedeckten Wagen, der an ihm vorbeisauste, mit verwunderten Blicken nach und stieß vor Ueberraschung einen langgezogenen Pfiff aus. Dann wandte er sein Pferd auf der Stelle um und galoppierte lustig hinter dem Fuhrwerk drein.


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