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Zweites Kapitel

Als Barker in die Außenwerke von Stacys Finanzfestung zurückkam, sah er die im Halbkreis liegenden Kassentische mit den Messinggeländern und den schützenden Drahtgittern, hinter denen die vornehmen Kommis arbeiteten. Er mußte wieder über die Stellung des Mannes nachdenken, den er soeben verlassen hatte und konnte kaum sein Verlangen bezähmen, noch einmal umzukehren. Nicht etwa, daß er die Absicht gehabt hätte, den alten Kameraden von neuem mit seiner Bitte zu bestürmen, im Gegenteil, ihn beschlich ein Gefühl, als sei er selbst unbillig und eigennützig gewesen, dem Manne gegenüber, der sich mit dieser Schutzwehr umgab und gewissermaßen gezwungen war, sich dahinter zu verschanzen. Bei jeder andern Natur außer der seinigen wäre das absonderlich erschienen, er aber hätte nichts lieber gethan, als zu Stacy zu gehen, um ihm sein Mitgefühl auszusprechen. Den Kommis war bei den Leuten, die eine Unterredung mit dem Prinzipal nachsuchten, dies sorgenvolle Aussehen, sowohl vor wie nach derselben, etwas ganz Alltägliches. Sie flüsterten einander mit schlauem Lächeln zu, daß der junge, lebhafte Fremde ins Pech geraten sei, wie andere seines Schlages auch. Als sie aber den Ausdruck freundlicher Nachsicht in seinen Blicken bemerkten, der fast wie mitleidige Ueberlegenheit aussah, ward ihnen die Sache unerklärlich. Barker besaß von Natur die seltene Fähigkeit, kleine Flegeleien vollständig zu übersehen, was für die Betreffenden empfindlicher ist, als künstliche Gleichgültigkeit. Nach kurzem Zögern schritt er ganz unbefangen durch die polierten Flügelthüren auf die windige Straße hinaus. Sturm und Regen erfrischten ihn; bald war der Bankier und die abschlägige Antwort vergessen; er lächelte vor sich hin und dachte im Weitergehen nur an seinen früheren Kameraden und vergangene Zeiten. Damals hatte Stacy ihre alte Hütte niedergebrannt, damit kein schlechtes Gesindel darin Hausen sollte – derselbe Stacy, der jetzt verdammt war, seinem Gefühl Zwang anzuthun und zur bloßen Maschine zu werden. Demorest und Stacy hatten dem jüngsten Teilhaber nie etwas über den nächtlichen Raubversuch mitgeteilt; Barker war daher im Dunkeln geblieben, was Stacy eigentlich zu jener That vermocht hatte; sie erschien ihm wie eine köstliche Offenbarung seiner innersten Natur. Während er mit Wind und Regen kämpfte, erinnerte er sich auch daran, daß Stacy, der doch seine Heirat lange nicht mit solcher Freude begrüßt hatte wie Demorest, eines Tages Van Loo scharf zurechtwies, als dieser einen dummen Witz über seine allzu große Jugend machte. Sogar für Stacys Abneigung gegen die Verwandten seiner Frau fand er hinreichende Entschuldigung: der Freund kannte sie ja nicht wie er sie kannte. Barker, der schon als Kind Vater und Mutter verloren, war den Angehörigen seiner Frau, den einzigen, die er je besessen, gleich mit vollster Liebe und rückhaltlosem Vertrauen entgegengekommen.

Endlich hatte er sein Hotel erreicht. Es war die neueste Schöpfung einer fieberhaften Bauthätigkeit, welche in fünf Jahren ganze Stadtteile mit großen Prachtgebäuden bedeckt hatte, von denen eins immer riesenhafter und glänzender ausgestattet war als das andere, und die zu den städtischen Bedürfnissen in gar keinem Verhältnis standen. Barker erkannte darin einen Beweis für den festen Glauben, den man in die Zukunft der kalifornischen Hauptstadt setzte, welcher sich ihm sonst nirgends kundgethan hatte. Als er in die mit Fresken geschmückte Vorhalle des Hotels trat, erinnerte sie ihn unwillkürlich durch ihren Prunk und Reichtum an das Bankhaus, von dem er eben herkam, obgleich er nicht wußte, daß die Bank in der That sowohl das Kapital als die ursprünglichen Entwürfe für den überladenen Prachtbau geliefert hatte. Die goldgeschmückten Schenkstuben mit den blitzenden Spiegeln, die mit türkischen Teppichen belegten Salons, die reichen Divans und vergoldeten Tische, der ungeheure Speisesaal mit den Porphyrsäulen und den allegorischen Darstellungen an Decke und Wänden – das alles hatte sein jugendliches Staunen erregt, ohne ihn jedoch in seinem richtigen Gefühl für geschmackvolle Einfachheit zu beirren. Jetzt verstand er auch, was es zu bedeuten hatte: es war das in Umlauf gesetzte Gold des Bankhauses. Selbst das Klappern der Schüsseln im Speisezimmer klang ihm wie Geldgeklimper in den Ohren.

Um schneller zu seinen Gemächern zu kommen, durchschritt er eins der kleineren Gastzimmer, das man gemeinhin als ›Salon zum Courschneiden‹ bezeichnete. Dort saßen meist in den Fensternischen, auf Stühlen und Ruhesesseln, acht bis zehn Paare, welche von den schweren Vorhängen halb verhüllt wurden. Es waren jedoch nicht etwa unverheiratete junge Leute beiderlei Geschlechts, die sich hier zusammenfanden, sondern meistens Frauen, die in dem Hotel wohnten und den Besuch von Ehemännern empfingen, deren Gattinnen sich vielleicht auf Reisen befanden. Daß die Frauen meist die gesuchtesten Toiletten, die Männer dagegen ihren Alltagsanzug trugen, ließ auf einen formloseren Verkehr und ungewöhnliche gesellschaftliche Verhältnisse schließen. Barker hatte nie auf das müßige Geschwätz geachtet, das über die Angelegenheiten dieser Leute im Schwange war; die angeborene Achtung vor den Geheimnissen anderer, ist ja von der Herzenseinfalt ebenso unzertrennlich wie von der höchsten Bildung. Auch jetzt warf er beim Gang durch das Zimmer kaum einen Blick auf die verschiedenen Paare und gewahrte deshalb nicht einmal, daß eine auffallend schöne Frau, obgleich von verschiedenen Bewunderern umgeben, doch die Augen ganz absichtlich zu ihm emporschlug, als er an ihr vorbeikam. Offenbar suchte sie seine Aufmerksamkeit zu erregen. In sich versunken schritt er weiter, bis er plötzlich an einem der letzten Fenster das ihm wohlbekannte Kleid seiner eigenen Gattin zu Gesicht bekam und stehen blieb.

»Ach, du bist es,« rief Frau Barker mit halb nervösem, halb ärgerlichem Lachen. »Ich glaubte, du würdest mindestens den halben Nachmittag bei deinem alten Teilhaber bleiben, da ihr euch seit drei Jahren nicht wiedergesehen habt.«

Sie hatte das wirklich gedacht, daran war kein Zweifel; aber ebenso sicher war es auch, daß sie die Unterhaltung mit ihrem Gefährten – einem hübschen, stattlichen Herrn – nun nicht länger fortsetzen konnte. »Erlauben Sie, Kapitän Heath, daß ich Ihnen meinen Mann vorstelle,« warf sie leicht hin, indem sie sich von ihrem Sitz erhob und ihr Kleid glatt strich. Der Kapitän war auch aufgestanden und verbeugte sich etwas unsicher, Barker streckte ihm ganz treuherzig die Hand hin. »Ich fand Stacy beschäftigt,« sagte er zu seiner Frau; »aber er kommt heute abend hierher zu Tische.«

»Reden Sie von Jim Stacy, dem Bankier?« fragte Kapitän Heath, der sich jetzt behaglicher zu fühlen schien. »Ich glaube, in ganz Kalifornien ist niemand so mit Geschäften überhäuft wie er. Ich habe gesehen, wie die Leute vor seiner Thür Queue standen, wie in früheren Zeiten vor dem Postschalter. Länger als fünf Minuten ist er für niemand zu sprechen. Also Sie sind sein Teilhaber gewesen?« fügte er mit einem verwunderten Blick auf den noch jugendlichen Barker hinzu.

Seine Frau übernahm es, die Frage zu beantworten. »O ja, und sie waren immer die besten Freunde; er machte mich oft schrecklich eifersüchtig.« Ohne den zärtlichen Einspruch in Barkers Blicken oder des Kapitäns Lachen zu beachten, sah sie sich nach diesen Worten wie gelangweilt im Zimmer um, als wollte sie alle weitere Unterhaltung den Männern überlassen. Kapitän Heath mochte ihr jetzt wohl ebenso im Wege sein, wie es ihr Gatte noch vor wenigen Minuten gewesen war. Wie sie so zwischen ihnen stand und die Spitze ihres zierlichen Schuhs nachlässig über die Linien des Teppichmusters gleiten ließ, sah sie hübscher aus als je in ihren Mädchentagen. Ihre zarte Gestalt hatte sich zu größerer Fülle entfaltet. Von der erkünstelten Strenge, unter der Kitty Carter die angeborene jungfräuliche Sprödigkeit zu verbergen pflegte, als sie noch in ihres Vaters Hotel in Boomville bei Tische aufwartete, war keine Spur mehr vorhanden. Sie empfand die Macht ihrer Persönlichkeit mit Wohlgefallen, ihr Blick war freier, aber nicht so offen, wie in jenen Tagen, und ihre Kleidung ungleich reicher und modischer. Aber Barkers treues Herz erinnerte sich oft voll Zärtlichkeit an das einfache Kattunkleid und die Manchetten von peinlichster Sauberkeit, die sie trug, wenn sie ihm mit leichtem Erröten die Kaffeetasse reichte, wobei auch ihm alles Blut bis in die Schläfen stieg.

Kapitän Heath hatte eben angefangen sich für den jungen Ehemann zu interessieren, aber Frau Barkers Gleichgültigkeit kam seinem Taktgefühl zu Hilfe und er empfahl sich. Sie bat ihn nicht zu bleiben, denn nachdem sie verkündet hatte, daß ihr Gatte der Busenfreund des Millionärs sei, und damit seine Vornehmheit über allen Zweifel erhaben war, lag ihr gar nichts daran, daß der Kapitän sich zu Barker um seiner selbst willen hingezogen fühlen sollte. Sobald er fort war, wandte sie sich zu ihrem Mann, deutete auf die Gruppe, an der dieser eben vorbeigegangen und sagte in anzüglichem Ton:

»Dort sitzt das schreckliche Weib und starrt die ganze Zeit nach dir hin. Ich möchte nur wissen, was du an ihr zu bewundern findest?«

Barkers sogenannte Bewunderung hatte sich auf ein paar höfliche Worte beschränkt, als er in der ungeheuern Karavanserei zufällig mit jener Frau in Berührung kam, deren ungewöhnliche Erscheinung ihm auffallen mußte. Im Augenblick war er in Gedanken noch zu sehr mit seinem Besuch bei Stacy beschäftigt, um eine Erwiderung auf die Bemerkung seiner Gattin zu finden, die er vielleicht nicht einmal ganz verstand. Sonderbar, daß ihm jetzt an Kitty so vieles unverständlich blieb; sicherlich war das aber seine Schuld. Sie schien jedoch nach Frauenart gar keine Antwort zu erwarten, denn während sie jetzt in ihre Zimmer hinaufstiegen, sagte sie vorwurfsvoll: »Weshalb erzählst du mir denn nicht, wie es bei Stacy war! Hat er dir das Geld gegeben?«

Zu meinem Leidwesen muß ich gestehen, daß Barker – sonst die Wahrheitsliebe und Offenherzigkeit in Person – seine Frau häufig belog. Vielleicht glaubte er, das sei nicht schlimmer, als wenn er sich selbst belöge, aber ihm wurde recht jämmerlich zu Mute, so oft die Lüge ihm zum Bewußtsein kam. »Es war unnötig, liebes Herz,« sagte er, »Stacy rät mir, einige meiner Wertpapiere zu verkaufen. Du glaubst gar nicht, wie schrecklich viel er zu thun hat.«

Frau Barker warf die hübschen Lippen auf. »Man braucht nicht viel Zeit, um einem Freund zehntausend Dollars zu leihen,« sagte sie. »Aber ich habe es ja immer gesagt! Du hast mir die Ohren vollgesungen mit Lobeserhebungen über deine wunderbaren Teilhaber, und nun du zum erstenmal einen von ihnen bittest, dir einen Gefallen zu thun, sagt er dir, du sollst deine Papiere verkaufen. Und er weiß doch so sicher wie zweimal zwei vier ist, daß sie jetzt fast nichts wert sind.«

»Aber liebes Herz, begreifst du denn nicht –« begann Barker.

Sie sah sehr hübsch aus in ihrer Entrüstung. »Der arme Henry ist verantwortlich für den Grubenkauf,« unterbrach sie ihn, »und du hast ihm dein Wort gegeben.«

»Ich werde es auch halten; das thue ich stets,« erwiderte Barker sehr gelassen und mit dem seltsamen Gesichtsausdruck, den sich schon Stacy nicht hatte erklären können. Kitty, die ihren Mann vielleicht besser kannte, sagte jetzt mit völlig veränderter Stimme:

»Aber wie willst du das denn machen, Georg?«

»Wenn mir ein paar tausend fehlen, werde ich deinen Vater darum bitten.«

Sie schwieg einen Augenblick. »Vater wird jetzt von so vielen Seiten bestürmt. Warum giebst du nicht einfach die ganze Geschichte auf?«

»Ich habe deinem Vetter Henry mein Wort gegeben.«

»Ja, aber nur dein Wort. Einen geschriebenen Vertrag habt ihr nicht. Du könntest nicht einmal darauf bestehen, daß er ihn erfüllt.«

Barker sah sie mit großen Augen verwundert an. Ganz so hatte Stacy gesprochen! Und es war doch ihr eigener Vetter.

»Uebrigens könnte er ja die Gruben auch an jemand anderes verkaufen,« fuhr Kitty unbeirrt fort. »Er hatte noch ein zweites Angebot; aber deins sagte ihm am meisten zu. Also sei kein Narr.«

Sie waren jetzt in ihren Gemächern angelangt. Mit der ihm eigentümlichen Lebhaftigkeit hatte sich Barker sofort die ganze Sache aus dem Kopf geschlagen; er eilte ins Schlafzimmer und schritt lächelnd auf ein Bettchen zu, das in der Ecke stand. »Aber er ist ja nicht da!« rief er gleich darauf voll Bestürzung.

»Denkst du etwa, ich soll ihn mit in den Salon hinunter nehmen, wenn ich Besuch empfange?« fragte seine Frau in etwas gereiztem Ton. »Ich habe ihn mit der Wärterin in die Vorhalle hinunter geschickt, wo er mit den andern Kindern spielen kann.«

Ein Schatten flog über Barkers Züge. Wenn er nach Hause kam, rechnete er stets darauf, gleich das Kind zu sehen, da er sich mit der völlig unbegründeten Vorstellung schmeichelte, daß der Kleine ein besonderes Verständnis für ihn habe. Auch hatte er, nach Väterart, kein rechtes Vertrauen zu dem Gesundheitszustand fremder Kinder, deren Lebensverhältnisse er nicht kannte und die jedenfalls nicht die ausnahmsweisen Vorzüge genossen, deren sich sein Söhnchen erfreute. »Ich will gehen und ihn holen,« sagte er.

Frau Barker war etwas abgespannt auf einen Stuhl gesunken. »Du hast mir noch gar nichts von der Unterredung mit deinem lieben Stacy erzählt,« meinte sie. »Wenn du nur gleich wieder nach dem Kinde laufen wolltest, so wäre es unterhaltender für mich gewesen, ich hätte Kapitän Heath gebeten, noch dazubleiben.«

»Ja so – Stacy,« sagte Barker, setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand. »Weißt du, mein Herz, er war gerade sehr beschäftigt, und in sein innerstes Privatbureau eingeschlossen wie die Agatkugel in einem Satz japanischer Schachteln. Aber,« fuhr er mit leuchtenden Blicken fort, »im übrigen noch ganz der liebe alte Jim Stacy vom Kieferberg, wie ich ihn damals gekannt habe. Die ganze alte Zeit wurde mir wieder lebendig. Weißt du noch, Schatz, wie ich um dich anhielt, weil ich glaubte, ich sei plötzlich reich geworden? Am nämlichen Tage hatte ich die Parzelle für die Jungens gekauft, und als ich wieder zu ihnen kam, hatten sie gerade den großen Goldfund gethan. Ich erinnere mich gut, daß ich mich nicht getraute, ihnen etwas von meiner Verlobung zu sagen – aber sie errieten es ganz von selbst – der liebe gute Stacy zu allererst.«

»O ja,« entgegnete Frau Barker, »und hoffentlich hat dein Freund Stacy auch nicht vergessen, daß du ohne mein Zureden die Parzelle um ein Haar wieder aufgegeben hättest, als sich herausstellte, daß du gar nicht reich warst. Damit du sie behalten könntest, habe ich damals meinen eigenen Vater betrogen und mir oft Gewissensbisse darüber gemacht, obgleich ich mir nichts merken ließ.« Während sie so sprach, ließ sie die Diamantspange an ihrem hübschen Arm mechanisch durch die Finger gleiten.

»Aber liebste Kitty,« rief Barker, ihr zärtlich die Hand drückend, »ich hatte ja einen Wechsel unterschrieben. Du sagtest noch, das genügte um den Kauf zu sichern; ich sollte warten bis der Verfalltag käme, und die Parzelle erst aufgeben, wenn sich dann fände, daß ich nicht bezahlen könne. Deinen Vater hast du ganz und gar nicht betrogen,« fügte er mit großem Ernst hinzu, »denn ich würde ihm alles gesagt haben.«

»Freilich, wenn du es so ansiehst, hat es nichts auf sich,« erwiderte sie; »ich meine nur, man sollte den Leuten das ins Gedächtnis rufen, wenn sie umhergehen und erzählen, Papa hätte dich mit seinen Hotelprojekten um dein Geld gebracht.«

»Wer untersteht sich, so was zu sagen!« fuhr Barker entrüstet auf.

Seine Frau warf ihren hübschen Kopf stolz zurück.

»Wenn sie es nicht sagen, so steht es ihnen doch im Gesicht geschrieben. Auch halte ich es für den Grund von Stacys abschlägiger Antwort.«

»Aber er hat keine Silbe davon gesagt, Kitty!«

»Ereifre dich nur nicht unnütz, Georg,« meinte seine Frau beschwichtigend. »Geh' jetzt lieber und hole den Kleinen; du brennst doch vor Ungeduld danach, und es wird wohl Zeit sein, daß Nora wieder heraufkommt.«

Unter andern Umständen würde sich Barker jedenfalls erst auf Erklärungen eingelassen haben, aber augenblicklich hatte er ein zu starkes Gefühl, daß zwischen ihnen ein Mißverständnis obwalte, und er wünschte das häusliche Zwiegespräch möglichst abzukürzen. So stand er denn auf, gab seiner Frau die Hand und ging; doch war ihm nicht recht behaglich zu Mute. »Es ist unrecht von mir, daß ich, kaum nach Hause gekommen, gleich wieder fortgehe,« murmelte er in vorwurfsvollem Selbstgespräch, »aber ich glaube, sie sehnt sich ebenso sehr nach dem Kleinen wie ich und will es nur nicht eingestehen – so sind die Frauen!«

In der unteren Halle pflegten die Kindermädchen mit Vorliebe ihren Spaziergang zu machen. Barker fand sie alle an einem Ende versammelt, wo ein großes Fenster auf die Montgomery-Straße ging. Aber Nora, die irländische Wärterin, war nicht unter ihnen. Suchend durchwanderte er mehrere Korridore und da er sie noch immer nicht fand, schritt er endlich verstimmt und etwas besorgt durch den langen Saal, wo er vorhin seine Frau angetroffen hatte, um auf diese Weise wieder in seine Zimmer zu gelangen. Der Saal war jetzt leer; der letzte Gast hatte ihn verlassen – selbst das Courmachen war auf bestimmte Stunden beschränkt. So mußte es denn Barker auffallen, daß sich hinter den schweren Vorhängen in einer der Fensternischen, ein sanftes Gemurmel vernehmen ließ. Es kam von einer leisen, wohltönenden Frauenstimme und klang ganz rührend in seiner Zärtlichkeit. Gleich darauf folgte ein zufriedenes Kinderlallen und Glucksen, und dann ein deutliches Jauchzen.

Barker schritt sogleich nach der Richtung hin, und als er jetzt an dem Vorhang stand, bot sich ihm ein seltsames Schauspiel dar.

Ganz wie bezaubert und in den Anblick ihres Schatzes versunken, saß dort in einem Lehnsessel das ›schreckliche Weib‹, auf das ihn seine Frau erst vor kurzem aufmerksam gemacht hatte, und in ihrem Schoß ruhte ein Kindlein – Kittys unantastbares Söhnchen! Der Kleine griff mit den Fingerchen nach der feinen, von Juwelen blitzenden Halskette, welche die Frau in ihrer schlanken, mit Ringen geschmückten Hand hielt und verführerisch hin und her tanzen ließ. Des Kindes Augen leuchteten vor Entzücken, als wollte es die innige Liebe erwidern, die ihm aus dem schönen Gesicht entgegenstrahlte, das sich zu ihm herabbeugte.

Bei Barkers plötzlichem Erscheinen schaute sie auf und ihre Wangen röteten sich, doch bewahrte sie ihre ruhige Fassung.

»Bitte schelten Sie das Mädchen nicht,« sagte sie; »verklagen Sie es auch nicht bei Ihrer Gemahlin. Ich allein bin schuld. Es kam mir vor, als ob Kind und Wärterin einander schrecklich langweilten; da habe ich mir den kleinen Burschen ein Weilchen geborgt, um mit ihm zu spielen. Wenigstens habe ich ihn nicht zum weinen gebracht; nicht wahr, Herzchen?« Sie sagte das mit so süßem Wohllaut und sah den Kleinen so zärtlich an, daß auch der Vater sich davon im Innersten bewegt fühlte. Jetzt löste sie leise die kleinen Finger von ihrem Halsband und fuhr fort: »Sehen Sie wohl; es ist keineswegs unser Geschlecht allein, auf das der Glanz der Juwelen seinen verführerischen Reiz übt.«

Barker war überrascht. Der madonnengleiche Ausdruck, den ihre Züge noch soeben getragen, war verschwunden; nur die Weltdame blickte jetzt lachend zu ihm auf. Doch fragte er zögernd und nicht ohne Rührung: »Haben Sie – je – ein Kind gehabt, Frau Hornburg?« Er hatte eine unbestimmte Vorstellung, daß man sie für eine Witwe hielt, und glaubte in seiner Herzenseinfalt, das weibliche Geschlecht bestehe teils aus Jungfrauen, teils aus verheirateten Tugendspiegeln.

»Nein,« lautete ihre kurze Antwort. »Vielleicht würden mich die Kinder dann weniger entzücken,« fügte sie lachend hinzu. »Es mag wohl ein ähnliches Gefühl sein, wie es Junggesellen für andrer Leute Ehefrauen haben. Aber ich weiß, Sie schmachten danach, mir Ihr Bübchen fortzunehmen. Da haben Sie es! Schämen Sie sich nur nicht vor mir, den Kleinen selber zu tragen; Sie würden das doch mit der größten Freude thun, wenn ich nicht da wäre.«

Als Barker sich zu dem Kinde niederbeugte, um es aus dem seidenweichen Nest zu nehmen, in dem es so behaglich lag, war es ihm, als fühle er den Hauch von Frau Hornburgs mutwilligem Lachen in seinen krausen Locken. Mit väterlichem Stolz hob er seinen Erstgeborenen geschickt empor, aber der kluge Schelm, der sich nicht ohne Widerstand aus seiner wohligen Ruhe bringen lassen wollte, griff mit einem Händchen in des Vaters Haar, während das andere Frau Hornburgs braune Flechten festhielt, so daß sich ihre beiden Köpfe berühren mußten. Sie waren gerade in dieser komischen Stellung, als die Wärterin eintrat.

»Es ist alles in Ordnung, Nora,« sagte Frau Hornburg und machte sich lachend von dem Kinde los. »Herr Barker hat selbst den Kleinen geholt, und versprochen, uns nicht bei deiner Gebieterin zu verklagen.« Nora, die mit weiblichem Scharfblick die Lage der Dinge zu durchschauen glaubte, fand dies sehr begreiflich und blieb ärgerlicherweise in rücksichtsvoller Entfernung stehen. »Geh' nur mit Papa, Herzchen,« fuhr Frau Hornburg fort, indem sie den ferneren Liebesbeweisen des Kindes beharrlich auswich. »Ihr Herr will den Kleinen lieber selbst hinauftragen, Nora.«

»Aber,« fragte Barker hartnäckig, »nicht wahr, Sie haben Kinder lieb und finden, daß er ein prächtiges Bürschchen für sein Alter ist?« Er zögerte zu gehen, in der Hoffnung, der frühere Ausdruck werde noch einmal ihr Gesicht verklären.

»Jawohl,« erwiderte Frau Hornburg, bemüht, ihre losen Flechten wieder zu ordnen; »er ist so weich und kugelrund; aber er hat einen ausgesprochenen Sinn für Schmuck und Edelsteine. Sie sollten wirklich Ihrer Gemahlin ein Halsband wie meines kaufen, das würde alle beide erfreuen, Mutter und Kind.«

Sie war aufgestanden und schritt langsam der Thüre zu. Als sie sich noch einmal umwandte, um dem Kleinen eine Kußhand zuzuwerfen, strebte er so gewaltsam von des Vaters Arm zu ihr hin, daß es Barker und Nora kaum mit vereinten Kräften gelang, ihn festzuhalten.

Oben fand Barker seine Frau mit anderen Gedanken beschäftigt als vorhin. Sie nahm sogleich Noras Hilfe in Anspruch, um ihre schönste Toilette für die Mittagsgesellschaft in Ordnung zu bringen. »Aber, weshalb willst du dir so viele Unbequemlichkeiten machen?« fragte der Gatte in seiner Einfalt. »Wir lassen uns doch natürlich ein Privatzimmer geben, damit wir ganz unter uns sind und von alten Zeiten plaudern können. Da ist jedes Kleid gut genug. Und weißt du, was am allerschönsten wäre?« fuhr er freudestrahlend über seinen glücklichen Gedanken fort; »wenn du das hübsche lila Kleid anziehen wolltest, das du so oft in Boomville getragen hast. Das wäre ganz famos, und gerade wie in alter Zeit. Ich weiß genau, wo das Kleid ist – habe es selbst in einen der Koffer gepackt – weil ich es durchaus mitnehmen wollte – ich kann es dir gleich – –«

Aber die spöttische Miene seiner Frau ließ ihn nicht weiter reden.

»Hast du dir wirklich im Ernst eingebildet, Georg,« sagte sie, »ich würde zugeben, daß Herr Stacy sich mit uns allein in ein Zimmer einschließt und folglich sein Besuch vollständig weggeworfen wäre? – Am liebsten säßest du wohl in Schlafrock und Pantoffeln dabei? – Da weiß ich besser, was wir Herrn Stacy, dem großen Finanzmann schuldig sind, und wenn er zehnmal dein alter Teilhaber gewesen ist; aber ich weiß auch, was er uns zu verdanken hat! Nein, wir speisen im großen Eßsaal, vor aller Welt, und womöglich dicht bei den Peterburys, die immer so vornehm thun mit ihren Freunden aus dem Osten. Jenes schreckliche Weib gehört auch zu ihnen – da wirst du doch wohl zufrieden sein. Du kannst trotzdem von alten Zeiten reden nach Herzenslust; je mehr und je lauter du es thust, desto bester. Ich zweifle nur, daß er viel Gefallen daran findet.«

»Aber unser Junge,« warf Barker ein. »Stacy hat das größte Verlangen, ihn zu sehen – und wir können ihn doch nicht mit ins Speisezimmer herunterbringen – das heißt, warum eigentlich nicht?« Seine Miene erhellte sich.

»Nach Tische,« versetzte Kitty in strengem Ton, »führen wir unsern Gast erst durch die großen Empfangssäle; dann kann Herr Stacy mit uns heraufkommen und den Jungen in seinem Bettchen sehen; früher unter keiner Bedingung. Und nun, Georg, thu' mir den Gefallen und trage nur heute einmal keinen Klappkragen; geh' auch zum Friseur, laß dir das Haar schneiden und die Locken glatt kämmen. Vor allem aber sag' ihm, ich beschwöre dich, er soll dir den Schnurrbart mit Gummi, Wachs oder irgend etwas bearbeiten und in die Höhe drehen, wie Kapitän Heath ihn trägt; kein Mensch läßt seinen Bart jetzt über den Mund herabhängen wie Ringellocken. Ich muß es schon so wie so immer mit anhören, daß die Leute über deine Unerfahrenheit reden, da brauchst du wenigstens nicht noch so auszusehen, als wäre ich mit einem hübschen Schuljungen davongelaufen. Wenn man obendrein bedenkt, wie groß das Kind schon ist – man muß sich ja wahrlich schämen! – Und noch eins, Georg: Sitze mir nicht mit offenem Munde gegenüber und strahle nicht vor Entzücken oder schütte dich aus vor Lachen so oft ich mich mit jemand unterhalte und etwas Komisches sage. Sieh mich auch nicht so verliebt an vor den Leuten, wenn ich zufällig im Gespräch deinen Namen nenne, wie vorhin, als ich dich Kapitän Heath vorstellte. Es macht sich wirklich zu abgeschmackt!«

Alle diese Ermahnungen seiner Ehegattin nahm Barker mit der gutmütigsten Freundlichkeit entgegen und gelobte aufrichtig, sich zu bessern. Er stellte auch eine strenge Selbstprüfung an und ging ganz ernstlich mit seinen Fehlern ins Gericht, als er später nachdenklich am Fenster saß. Mit der einen Hand hielt er das dicke Fäustchen des Kleinen umfaßt, dessen Bettchen neben ihm stand, und den Blick richtete er unwillkürlich ins Weite, wie einsame Menschen pflegen. In der fernen Bai und im Hafen lagen die Handelsschiffe aus dem Süden, von den Wellen mit gelblichem Schaum bespritzt. Der Regen floß in Strömen. Wie Kleingewehrfeuer prasselten die schweren Tropfen auf das Steinpflaster; vereinzelte Fußgänger mit schräg gehaltenen Schirmen und angeklatschten Regenmänteln kämpften gegen das Unwetter. Barker konnte die ganze leere Montgomery-Straße hinuntersehen, bis nach dem Hügel, auf dem der längst nicht mehr gebrauchte optische Telegraph stand. Sie erschien ihm verlassener als der meilenlange Kamm des Kieferberges, in dessen Wipfeln der Nachtwind sein wildes Sturmlied zu singen pflegte. Dort hatte er sich nie so einsam gefühlt. – Jawohl, Kitty hatte recht, wenn sie ihm seine allzu große Jugendlichkeit und seinen Optimismus vorwarf. Aber war er nicht ebenso berechtigt er selbst zu bleiben? Auch die höchste Herzenseinfalt hat ihren Egoismus, und Barker, der die Art und Weise anderer Leute bereitwillig gelten ließ, wollte auch seine Eigentümlichkeit nicht aufgeben. Aus seiner Liebe zu Kitty machte er sich keinen Vorwurf; er wußte ja, daß sie besser und liebenswerter war als sie selbst ahnen mochte. Aber er sah ein, daß es sie ärgerte, und ihr einen unangenehmen Eindruck machte, wenn er seine Gefühle vor der Welt zeigte. Das war ihre Eigenheit, es gehörte zu ihrem Wesen – er hätte sie gar nicht anders haben wollen, so wenig wie er sein eigenstes Selbst verleugnen mochte. Bei all ihrem Thun zeigte sich stets ihr praktischer Sinn, ihr klarer, gesunder Menschenverstand; und doch hatte sie sich mit der irrigen Vorstellung gequält, daß sie ihren Vater betrogen habe! Das arme Ding! Und sie hatte sich Kummer darüber gemacht, daß die dummen Leute sagten, ihr Vater hätte ihn eigennützigerweise zu Spekulationen verleitet. Als ob er, Barker, das nicht zu allererst entdeckt haben würde! Für seine Ansichten und Handlungen war doch außer ihm selber kein Mensch verantwortlich – nicht einmal die liebe Kitty! Es wurde ihm ungewöhnlich ernsthaft zu Mute bei diesen Betrachtungen, und als das Kind endlich die Augen öffnete, sich halb schläfrig, halb verdrießlich aufrichtete und die liebkosende Hand fortstieß, kam Barker sich noch einsamer vor als sonst. Obendrein kränkte es ihn ein wenig, daß der Kleine gleich darauf die Hände nach Nora ausstreckte, die doch bloß ein Mietling war und ihm nicht einmal so viel Liebe entgegenbrachte wie Frau Hornburg, die eitle Weltdame, gezeigt hatte.

Später, als Kitty hereinkam und sehr hübsch aussah in ihrer prachtvollen Abendtoilette, stürmten auch wieder die verschiedenartigsten Gefühle auf ihn ein. Er wußte, daß jenes Stadium in ihrem Eheleben vorüber war, wo sie sich nur geputzt hatte um ihm zu gefallen. Jetzt galt ihr das Gebot der Mode, oder der Wunsch eine andere Frau auszustechen, mehr als die Befriedigung seines Geschmackes; er nahm ihr das auch gar nicht übel. Aber es überraschte ihn doch, zu sehen, daß ihr Anzug einem Kleid der Frau Hornburg nachgeahmt war und obendrein einem ihrer auffallendsten. Es stand Kitty auch nicht besonders gut, denn was jenem blühenden Weibe zum Schmuck diente, paßte nicht zu den spröden Formen und der etwas herben Schönheit der jungen Frau.

Doch Barker vergaß dies alles, sobald sich Stacy im feinsten Gesellschaftsanzug und tadelloser Haltung mit geschäftsmäßiger Pünktlichkeit eingestellt hatte. Es kam ihm vor, als mache sein alter Teilhaber ein etwas erstauntes Gesicht bei der Mitteilung, daß sie im großen Eßsaal speisen sollten; auch sah er, wie Stacy die schön geputzte Kitty mit scharfen Blicken musterte; er mochte wohl erraten, daß dies ihre Wahl sei, und ihren Beweggrund verstehen. Der junge Ehemann war überhaupt in etwas ängstlicher Spannung, was wohl Stacy von seiner Frau denken würde. Er fühlte sehr gut, daß sie weder im Wesen noch in ihrem Aeußern, der alten Kitty glich, die Stacy gekannt hatte. Daß der Freund sie damals nicht zu würdigen wußte und ihre jetzige Erscheinung dem Geschmack des gewiegten Weltmanns besser zusagen könne, daran dachte seine harmlose Seele nicht. So sah er denn mit einer Art schüchterner Freude, wie Stacy mit ihr zu sympathisieren schien, sich ihrer Laune anpaßte und sogar ihren halb scherzhaften, halb ernsten Bemerkungen über seine, Barkers Unerfahrenheit und Einfalt beistimmte. Er war froh, daß die beiden Freundschaft schlossen, selbst auf diese Art. Stacy würde nun endlich verstehen, wie allerliebst sie in ihrem neckischen Eigenwillen war, und Kitty würde nicht länger an der Treue seines alten Kameraden zweifeln. Mit aufrichtiger Befriedigung folgte er ihnen in den Speisesaal, den Kitty unter vertraulichem Geplauder, am Arm seines Gastes betrat. Nur daß ihr Benehmen nicht ganz frei von Absichtlichkeit war, beunruhigte ihn einigermaßen.

Beim Eintritt der kleinen Gesellschaft entstand eine plötzliche Bewegung im Saal. Alle Köpfe wandten sich nach dem großen Finanzmann hin, als würden sie magnetisch angezogen. Von Tisch zu Tisch flüsterte man sich seinen Namen zu, ja manche Gäste waren keck genug, sich auf ihren Stühlen umzudrehen, während er bei ihnen vorbeikam. Frau Barker zeigte sich sehr gesprächig in ihrer Aufregung; sie sah rosig und hübsch aus; Stacy hatte eine würdevolle Miene angenommen. Nur Barker behielt seine natürliche Unbefangenheit.

Im Verlauf des Mittagsessens fand Barker wenig Gelegenheit, mit seinem früheren Teilhaber von alten Erinnerungen zu reden. Er erfuhr nur, daß Stacy einen Brief von Demorest erhalten habe, der seine baldige Heimkehr aus Europa ankündigte. Seine Briefe waren noch immer traurig – darin stimmten beide überein. Dabei sah Stacy zum erstenmal an diesem Tage Barker mit jenem Blick an, den er vom Kieferberg her genau kannte.

»Glaubst du, daß es derselbe alte Kummer ist, der ihn noch immer quält?« fragte Barker im Ton inniger Teilnahme.

»Jawohl, ohne Zweifel,« erwiderte Stacy mit ebenso tiefem Gefühl. – Kitty spitzte die hübschen Ohren; ihres Gatten stets reges Mitleid war für sie nichts Neues, aber daß der kalte, praktische Stacy sich durch irgend etwas rühren ließ, reizte ihre Neugier.

»Und du meinst, er ist nie darüber hinweggekommen?« fuhr Barker fort.

»Die einzige Möglichkeit, die sich ihm bot, hat er von der Hand gewiesen,« entgegnet« Stacy mit Nachdruck. »Statt allein nach Europa zu reisen und seiner Schwermut nachzuhängen, hätte er in mein Geschäft treten sollen; das würde ihn zu einem andern Menschen gemacht haben.«

»Aber er wäre nicht Demorest geblieben;« fiel Barker rasch ein.

»Was sind denn das für schrecklich geheimnisvolle Andeutungen?« fragte Frau Barker ungeduldig. »Ist Demorest krank?«

Beide Männer schwiegen, wie aus alter gemeinsamer Gewohnheit. Endlich sagte Stacy: »Nein!« in einem Ton, der alles weitere Fragen abschnitt. Barker war ihm dankbar dafür, ja er wurde einen Augenblick seiner Kitty abtrünnig.

Frau Barker hatte mit Wonne beobachtet, wie am Nebentisch die Aufmerksamkeit sich auf sie lenkte und sogar Frau Hornburg von Zeit zu Zeit zu Stacy hinüberschaute. Daß aber diese Dame offenbar auf den Bankier einen ebenso tiefen Eindruck machte, überraschte sie außerordentlich. Seine kalten Züge wurden warm, sein kritischer Blick milde, er fragte nach ihrem Namen. Kitty gab mit geläufiger Zunge Auskunft; sie war offenbar falsch unterrichtet, und jedenfalls voreingenommen.

»Ich weiß wie die Sachen stehen,« entgegnete Stacy mit großer Bestimmtheit. »Ihr Mann war der schlechteste Kerl unter der Sonne. Nachdem er ihr das Leben mit ihm unerträglich gemacht hatte, verließ er sie, damit sie ohne ihn an ihrem guten Ruf Schiffbruch leiden sollte. Sie hätte sich längst von ihm scheiden lassen können, aber sie will nicht.«

»Das ist wohl der Grund, weshalb sie für euch Männer so anziehend ist?« fragte Frau Barker spöttisch.

»Ich sehe sie heute zum erstenmal,« fuhr Stacy in ruhigem Geschäftston fort, »obgleich mir und zwei andern Herren die Verwaltung ihres Vermögens obliegt; wir haben es den Klauen ihres Gatten entrissen. Man sagte mir, sie sei schön – und das ist sie auch.«

Barker, der sich über diesen Beweis einer menschlichen Schwäche bei Stacy freute, warf seiner Frau einen verständnisvollen Blick zu. Aber sie sah beharrlich nach der andern Seite und die Augen des jungen Ehemanns, die noch vor innerer Befriedigung strahlten, begegneten Frau Hornburgs Blicken. Diese wandte sich errötend ab, was den leichtgläubigen Barker ohne weiteres überzeugte, daß sie Stacys Bewunderung erwidere. Jugendliche Zukunftsträume umgaukelten ihn, wie in früherer Zeit: er sah Stacy glücklich mit der schönen Frau vereinigt, und erst als das Mittagsmahl zu Ende war, kehrte er wieder in die Gegenwart zurück. Stacy bot nun Frau Barker den Arm und führte sie, wie es die Sitte heischte, durch den großen Salon. Später besuchte er auch den Kleinen im oberen Stock und nahm dann rasch Abschied. Jedoch nicht bevor er Barker ganz nach alter Weise die Hand geschüttelt und gesagt hatte: »Komm an welchem Tag du willst auf die Bank; wir frühstücken dann zusammen und plaudern von Philipp Demorest.« Dies beglückte Barker so sehr, als hätte er ihn zu sich bestellt um ihm die Bitte zu gewähren, die er ihm am Morgen abgeschlagen. Aber seine Frau faßte die Einladung anders auf.

»Du glaubst doch nicht wirklich, daß er dich auffordert ihn zu besuchen, um mit dir von Demorest und seinem albernen Geheimnis zu reden?« meinte sie verächtlich.

»Vielleicht auch noch von andern Dingen,« versetzte Barker, der froh war, daß sie nicht nach dem Geheimnis fragte.

»Ebensogut hätte er auch hier frühstücken können, um nicht bloß über sie zu sprechen, sondern sie auch zu sehen,« sagte Kitty sich abwendend.

 

Inzwischen hatte sich Stacy in sein Klubhaus begeben, das in einer der nächsten Straßen lag. Dort erregte sein Erscheinen das gleiche Interesse wie im Hotel, nur daß die Klubgenossen kein Hehl daraus machten. »Haben Sie schon die große Neuigkeit gehört?« fragten wohl ein Dutzend Stimmen auf einmal. Stacy wußte nichts davon; er hatte auswärts gespeist.

»Der Bau der Zweigbahn, dieser niederträchtige Schwindel, ist in der gesetzgebenden Versammlung durchgegangen.«

Stacy mußte sogleich an Barkers lächerliche Zuversicht und deren Gründe denken. »Sind Sie denn so sicher, daß es Schwindel ist?« fragte er mit großer Gelassenheit.

Bei dieser kühlen Aeußerung des Mannes, der am meisten gegen das Unternehmen geeifert hatte, entstand eine Totenstille.

»Aber,« nahm endlich einer der Herren zögernd das Wort, »die Bahn führt doch nirgends hin und hat nicht den geringsten Zweck.«

»Damit ist noch nicht gesagt, daß sie nicht einen Zweck haben und irgend wohin führen wird, nun sie thatsächlich zu stande kommt,« entgegnete Stacy, das Gespräch abbrechend. Er begab sich ruhig in das Lesezimmer; aber schon im nächsten Augenblick verließ er es wieder durch die Seitenthür. Rasch erreichte er auf einer andern Treppe die Vorhalle und betrat gleich darauf wieder das Hotel. Sofort ließ er Barker herunterrufen, legte ihm die Hand auf den Arm und sagte in der alten herrischen Art:

»Laß dir, ohne den geringsten Aufschub, einen schriftlichen Vertrag über deinen Erwerb des Gebiets der Excelsior-Gruben ausfertigen!« Barker lachte. »Ist bereits geschehen. Habe ihn diesen Nachmittag erhalten.«

»So weißt du es also schon?« rief Stacy überrascht.

»Ich weiß nur,« sagte Barker errötend, »daß du sagtest, ich könnte noch zurücktreten, wenn ich nicht unterschrieben hätte, und Kitty war derselben Meinung. Da kam es mir ganz erbärmlich vor, einen andern an sein Wort zu binden, wenn der Handel so unsicher ist. Kurz und gut – aber du darfst nicht böse werden, altes Haus – ich wollte die Sache schwarz auf weiß haben, damit es ganz außer Frage wäre, daß ich mein Versprechen halten muß.« Er sagte das in vollstem Ernst und mit großer Treuherzigkeit. »Du wirst mich wohl für ganz einfältig halten,« fügte er betrübt hinzu.

Stacy biß sich auf die Lippen. »Lassen wir das auf sich beruhen. Aber wenn du in unser Zweiggeschäft kommst, Barker, glaube ich, daß du das Geld für den Grubenkauf ohne alle Schwierigkeit erheben kannst. Gute Nacht, alter Junge!«

Wenige Augenblicke später war er wieder im Klubhaus – kein Mensch wußte, daß er es überhaupt verlassen hatte. Im Rauchzimmer fand er die Herren noch in eifrigem Gespräch über die neue Eisenbahn. Jemand äußerte gerade: »Man sollte die Linie verlängern und sie am Kieferberg vorbei bis nach Boomville führen, dann wäre alles in Ordnung.«

»Das ist auch meine Meinung,« sagte Stacy mit beifälligem Kopfnicken.


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