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Erstes Kapitel.

Drei Jahre später

Ein starker Südwestwind rüttelte an den Fenstern und Thüren von ›Stacys Bank‹ in San Francisco. Die feingekleideten Angestellten hinter den spiegelblanken Mahagoni-Zahltischen konnten die draußen vorübereilenden Fußgänger nur durch einen Regenschleier wahrnehmen. Stacys neues Bankhaus wurde immer nur mit dem Beinamen ›palastähnlich‹ in der Presse erwähnt, seitdem der begeisterte Berichterstatter von dem Bankett heimgekehrt war, das bei der Eröffnung in den reichgeschmückten Vorstandssälen stattgefunden hatte. Von einem schlichten Bergmann, der als Deponent gekommen war, erzählte man sich, er sei durch die Pracht und Herrlichkeit der Einrichtung so überwältigt worden, daß ihn im letzten Augenblick der Mut verließ, sein Anliegen vorzubringen. Er hatte dem vornehmen Kassier gegenüber rasch eine Entschuldigung gestammelt, und war mit seiner alten gemsledernen Tasche voll Goldstaub, nach der unscheinbaren Münze um die Ecke geflohen, wo er seinen Schatz in Verwahrung gab.

Vielleicht war es ein ähnliches Gefühl, in das sich jedoch eine unverhohlene Bewunderung mischte, mit welchem ein Fremder von höherem Stande, an jenem regnerischen Morgen das Bankhaus betrat. Nach einigem Zögern reichte er seine Visitenkarte dem wichtig dreinschauenden Kassenboten, einem Neger. Die Karte wurde vor ihm her erst durch verschiedene Thüren getragen, die sich geräuschlos öffneten und schlossen, und dann durch die mit schweren Teppichen belegten Gänge, bis sie zuletzt in das innerste Heiligtum gelangte, in das Privatbureau des Herrn James Stacy, vor welchen der Diener sie ehrfurchtsvoll niederlegte. Der Bankier war nicht allein. Neben ihm stand erwartungsvoll, in gesucht höflicher Haltung, ein tadellos gekleideter junger Mann, während Stacy offenbar eine Nota für ihn aufsetzte. Mit einer Neugier, die man einem anscheinend so wohlerzogenen Herrn kaum zugetraut hätte, schielte der Fremde verstohlen nach der Karte hin; Stacy dagegen warf keinen Blick darauf, bis er mit Schreiben fertig war.

»Hier,« sagte er in kurzem Geschäftston, »Sie können Ihren Leuten zu wissen thun, daß wenn wir bei ihren neuen Zahlungsanweisungen unser Limitum überschreiten, wir dafür auch größere Sicherheit verlangen. Das Goldwaschen ist nicht mehr so ergiebig wie vor drei Jahren, als die Bergleute noch mit Freuden bereit waren der Gesellschaft ihr gutes Geld für Abgaben zu zahlen. Jetzt ist ihnen diese Spekulation verleidet; das sollten sich die Herren klar machen, damit sie selbst nicht länger auf so ungewisse Einkünfte spekulieren.« Stacy überreichte dem Fremden das Papier; dieser nahm es mit höflicher Verbeugung in Empfang und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.

Jetzt erst griff der Bankier nach der Visitenkarte, las den Namen, befahl dem Boten, den Herrn hereinzuführen und wandte sich zugleich mit den Worten an seinen Besucher: »Sie kennen ihn ja auch, Van Loo; es ist Georg Barker.«

»Gewiß,« erwiderte Van Loo unterwürfig und blieb zögernd an der Thür stehen. »So viel ich weiß – war er einer Ihrer Angestellten auf dem ›Kieferberg‹.«

»Unsinn! Er war mein Teilhaber. Und Sie müssen auch seither in Boomville mit ihm verkehrt haben. Freilich! Er hat ja vierzig Stück von Ihren Stammaktien zu 110 durch Sie erhalten, die etwa 80 wert waren. Bei diesem Geschäft muß ein gewisser Jemand Geld genug verdient haben, um den Käufer nicht so bald zu vergessen.«

»Ich sprach nur von seiner gesellschaftlichen Stellung,« versetzte Van Loo mit etwas verlegenem Lächeln. »Wie Sie wissen hat er ein Mädchen geheiratet – des Gastwirts Tochter, die mit bei Tische aufwartete. Als nun meine Mutter und meine Schwester zu mir zogen, um mir den Hausstand in Boomville zu führen, konnte ich unmöglich noch weiter mit ihm verkehren, weil er natürlich nur selten ohne seine Frau ausging.«

»Jawohl,« versetzte Stacy in trockenem Ton, »ich glaube, Sie waren mit seiner Heirat nicht einverstanden. Es ist mir nur lieb, daß der bewußte Aktienhandel nicht der Grund ist, weshalb Sie seinen Umgang meiden.«

»Bewahre,« sagte Van Loo. »Ich empfehle mich Ihnen.«

Aber unglücklicherweise stieß er schon im ersten Hausgang auf Barker, der ihn mit einem Ausruf ungeheuchelter Freude begrüßte, welche um so aufrichtiger war, weil er sich in der glänzenden Umgebung etwas fremd und unbehaglich fühlte. Auch Van Loo äußerte das größte Entzücken über die Begegnung; er schien ganz untröstlich, daß ihn eine andere Verabredung schleunigst fortrief. »Aber Ihr früherer Teilhaber wartet drinnen schon auf Sie,« fügte er lächelnd hinzu. »Er hat soeben Ihre Karte erhalten, und ich will das Wiedersehen nicht verzögern. Habe mich sehr gefreut, Sie so gesund und munter zu sehen. Leben Sie wohl! Leben Sie wohl!«

Durch diese Worte ermutigt, zögerte Barker nicht länger, sondern eilte mit dem alten Ungestüm nach dem Zimmer des Freundes. Stacy, der bereits wieder in andere Geschäfte vertieft war, saß mit dem Rücken nach der Thür, und Barker hatte ihm schon die Arme um den Hals geschlungen, bevor der überraschte und halb erzürnte Mann in die Höhe schaute. Als er jedoch in Barkers lachende graue Augen sah, erwiderte er rasch die Liebkosung, machte sich sanft von ihm los und stand auf, um die Thür des inneren Bureaus zu schließen. Sodann drückte er Barker auf einen Lehnstuhl nieder, ganz wie in früheren Zeiten, wenn er seine Gefühlsaufwallung beschwichtigen wollte. Jawohl, es war noch der alte Stacy; nur hatte er es für wohlanständiger gehalten, sich den braunen Vollbart abzuscheren und seine kräftigen Glieder in Kleider von streng modischem Schnitt zu zwängen, deren dunkle Farben ihm ein ernstes Ansehen verliehen.

»Höre 'mal, alter Junge,« begann er, und dabei funkelte es ganz wie damals in seinen scharfblickenden Augen, »während der Bankstunden gestatte ich meinen jungen Leuten keine Indianertänze. Bitte, denke daran, daß wir hier nicht auf dem Kieferberg sind.«

»Wo nur das Black-Spur-Gebirge und die Schneelinie der Sierra uns zusahen,« fiel Barker begeistert ein; »und wo der nächste Mensch, dessen Stimme zu uns herauf drang in gerader Linie etwa eine Viertelmeile entfernt war, und wenn man den Bergpfad ging, über eine Meile.«

»Und was man hörte war gewöhnlich ein Fluch,« sagte Stacy. »Aber jetzt bist du in San Francisco. Wo abgestiegen?« Er nahm einen Bleistift, hielt ihn über ein Notizblatt und wartete auf die Antwort.

»Im Brook-Haus. Dort ist's –«

»Halt! Brook-Haus,« wiederholte er im Niederschreiben. »Und auf wie lange?«

»O, ein paar Tage. Weißt du, Kitty –«

Stacy hemmte seinen Redefluß durch eine Bewegung mit dem Bleistift in der Luft, und notierte dann: »Ein paar Tage. – Deine Frau auch da?«

»Jawohl, und o Stacy, unser Junge! – Nein, höre mir zu,« fuhr er lachend fort und schob den abwinkenden Bleistift beiseite; »ich sage dir, er ist der, reizendste, klügste, kleine Kerl, den es auf Erden giebt. Weißt du, wie wir ihn taufen lassen werden? – Stacy Demorest Barker soll er heißen. Nicht wahr, das sind gute Namen, und sie verewigen unsere alte Freundschaft.«

Stacy nahm den Bleistift wieder zur Hand, schrieb: »Frau und Kind. S. D. B.« und lehnte sich dann in den Stuhl zurück. »Höre, Barker,« sagte er kurz, »ich komme heute abend, Punkt 7.30, um mit euch zu speisen. Dann wollen wir vom Kieferberg reden, von Frau und Kind und S. D. B. Aber hier bin ich nur Geschäftsmann. Hast du vielleicht geschäftlich mit mir zu thun?«

Barker lachte vergnügt; Stacys Notizen hatten ihm Spaß gemacht. Doch jetzt raffte er sich zusammen und sagte mit fröhlicher Zuversicht: »Natürlich! Nur deshalb bin ich hier. Ich habe ja gar nichts anderes im Kopf als Geldgeschäfte. An allem bin ich beteiligt; und du bist mein Bankier. Weißt du, ich habe mein Konto bei deinem Zweiggeschäft in Marysville stehen. Eigentlich habe ich dir's gar nicht sagen wollen; es versteht sich ja ganz von selbst, daß ich mich an keinen andern wende, solange du eine Bank hast, mit Wechseln, Dividenden und was sonst noch dazu gehört. Mir war's als müßtest du das schon wissen, alter Freund. Ich wollte nämlich weder mit einem Bankier zu thun haben, noch mit einer Bank, sondern nur mit Jim Stacy, meinem alten Teilhaber.«

»Sag' einmal, Barker,« versetzte Stacy kurz, »um wieviel hast du dein Guthaben überschritten?«

Bei dieser direkten Frage stieg Barker das rasche Blut ins Gesicht, doch er lächelte schon wieder, als er sagte: »Ich bin gar nicht sicher, daß ich es überhaupt überschritten habe.«

»Aber ich weiß es.«

»Ja siehst du, Jim, ich bin eben ganz überladen mit Aktien und Anteilscheinen,« erwiderte Barker vergnügt.

»Von denen du nicht ein Stück ohne Verlust verkaufen könntest. Vor drei Jahren, Barker, sind dir dreihunderttausend Dollars in San Francisco gutgeschrieben worden.«

Barker schmunzelte wohlgefällig bei der Erinnerung. »Jawohl, ich weiß noch, am liebsten hätte ich mir alles auf einen Wechsel auszahlen lassen, um mir's 'mal ordentlich anzusehen.«

»In Zeit von drei Jahren hast du die ganze Summe aus der Bank gezogen – das ist eine schlimme Geschichte.«

»Woher weißt du denn das?« fragte Barker strahlend vor Bewunderung über die Allwissenheit seines alten Kameraden.

»Woher ich das weiß?« entgegnete Stacy; »weil ich dich kenne, und mir auch die Sorte von Leuten nicht unbekannt ist, die dir dein Geld abgenommen haben.«

»Ja, aber Stacy,« sagte Barker, »ich habe es doch nur in Aktien und Pfandbriefen angelegt, wie alle andern Menschen auch, und bin immer nur dem besten Rat gefolgt. Van Loo ist zum Beispiel mein Ratgeber gewesen – der Mann war ja eben hier; er ist zum Direktor der Reichs-Grubengesellschaft ernannt worden. Und Carter, der Vater meiner lieben Kitty. Als man mir anbot, für 50 000 Dollars West-Extensions zu kaufen und ich zuerst unschlüssig war, hat er mir gesagt, du wärest auch dabei beteiligt – da zögerte ich natürlich nicht länger mit dem Ankauf.«

»Ja, aber wir haben nicht den Preis bezahlt, den er forderte.«

»Einerlei,« rief Barker lebhaft; »jedenfalls habt ihr die Papiere verkauft wie ich sie bezahlt habe. Als ich nämlich hörte, daß du, mein alter Teilhaber, mit bei dem Unternehmen wärst, wollte ich die Aktien nur von deiner Bank kaufen und bekam sie zu 110. Wären sie damals nicht so viel wert gewesen, so hättet ihr sie doch nicht zu dem Preise verkauft, und wir sind nicht schuld daran, ich und du, daß sie eine Woche später auf 60 heruntergingen – siehst du wohl?«

Stacys Blick war hart geworden; er sah seinem früheren Teilhaber einen Augenblick forschend ins Gesicht, aber aus Barkers treuherzigen Augen sprach nicht die mindeste Ironie. Im Gegenteil, ein Schatten von Trauer flog jetzt durch seine Züge. »Nein, sagte er nachdenklich, »soviel ich weiß, bin ich nie leichtsinnig mit dem Gelde umgegangen, habe auch nicht darauf bestanden, meine eigenen Gedanken auszuführen – nur in einem Fall, ja, da war ich verschwenderisch, das gebe ich zu. Es handelte sich um meinen alten Plan, weißt du, auf dem Platz, wo damals unsere alte Hütte gestanden hat, eine Zuflucht für arme Bergleute und Goldgräber zu bauen, die dort ein unentgeltliches Unterkommen fänden, bis das Glück ihnen hold wäre. Ich hatte schon 20 000 Dollars ausgegeben, und würde noch mehr dabei eingebüßt haben, wenn nicht Carter – Kittys Vater – der ein furchtbar kluger alter Mann ist – mich überredet hätte, eine Art Zweighotel seines Gasthauses in Boomville daraus zu machen, wo man arme Burschen, die wenig Mittel haben, für die Hälfte, oder ein Viertel des gewöhnlichen Preises aufnehmen könnte – ohne daß die andern darum wüßten, versteht sich, um ihren Stolz nicht zu verletzen. Ein famoser Gedanke, nicht wahr? Der Gewinn sollte dem Hotel zugute kommen.«

»Und wie ging's damit?« fragte Stacy, als Barker schwieg.

»Es haben sich keine Gäste eingestellt,« sagte Barker, »aber,« fuhr er eifrig fort, »das beweist nur, daß es nicht so schlimm mit den Leuten stand, wie ich dachte. Nur sind die andern auch ausgeblieben.«

»Und du hast deine 20 000 Dollars verloren,« bemerkte Stacy in trockenem Ton.

»Fünfzigtausend,« verbesserte Barker; »das neue Hotel mußte doch natürlich größer sein als das alte. Ich glaube, Carter hat sich nur darauf eingelassen, damit ich nicht um mein Geld kommen sollte.«

»Und doch war er schuld, daß du 50 000 verlorst, statt 20 000; denn vermutlich hat er selbst nichts hineingesteckt.«

»Er hat der Sache seine Zeit und seine Erfahrung gewidmet,« erwiderte Barker unbefangen.

»Die würde ich nicht auf dreißigtausend Dollars anschlagen,« meinte Stacy. »Aber aus alledem ergiebt sich noch nicht, welches Geschäft dich heute zu mir führt.«

»Richtig,« rief Barker vergnügt; »es ist wirklich etwas Geschäftliches, aber im alten Stil, weißt du, nur zwischen uns Teilhabern – deshalb komme ich auch zu dir, Jim, nicht zum ›Bankier‹. Es betrifft uns einmal wieder alle drei – auch Demorest – denn eine frühere Aeußerung von ihm hat mich eigentlich dazu veranlaßt. Natürlich weißt du, daß die Excelsior-Grubengesellschaft das Geschäft am Kieferberg und der Umgegend ganz aufgegeben hat, weil es nichts einbrachte.«

»Jawohl; und die Gesellschaft bezahlt jetzt gar keine Dividenden mehr. Dir kann das nicht unbekannt sein; du bist ja selbst im Besitz von fünfzigtausend ihrer Stammaktien.«

Barker lachte. »Höre nur, was ich dir sage: Es stellte sich heraus, daß ich ihre ganzen Betriebsanlagen, samt allen Gruben im Black-Spur-Gebirge für zehntausend Dollars erwerben konnte.«

»Himmlische Güte! Du denkst doch nicht etwa daran, ihr Geschäft fortzuführen!« rief Stacy entsetzt.

»Bewahre,« versetzte Barker höchlichst belustigt. »Mir fiel aber ein, daß Demorest einmal in der guten alten Zeit gesagt hat, ein Grubenbau koste fast ebensoviel wie eine Eisenbahn – das Landvermessen, Nivellieren, und die Maschinen, weißt du. Und die Gegend ist wie geschaffen für eine Eisenbahnanlage.«

»Aber wozu in aller Welt sollte man wohl eine Eisenbahn von Black-Spur nach dem Kieferberg bauen?«

»Wozu? – Liegt denn nicht Black-Spur an der Linie der neuen Zweigbahn, über die jetzt gerade in der gesetzgebenden Versammlung beraten wird?«

»Ein niederträchtiges Schwindelunternehmen ohne Gleichen, das bei der Beratung gewiß durchfallen wird,« sagte Stacy mit Bestimmtheit.

»Man behauptet, gerade deshalb würde der Antrag Erfolg haben,« gab Barker ruhig zur Antwort. »Watsons Bank soll stark beteiligt sein und kein Mittel unversucht lassen, damit die Sache rechtskräftig wird. Nun dachte ich, weil das deine Konkurrenten sind, sollten wir bei der Gelegenheit auch etwas Gutes und Wertvolles herausschlagen – was der ganzen Gegend von Black-Spur zum Nutzen gereicht, weißt du.«

»Und zu diesem Geschäft wolltest du dir meinen Rat holen?« platzte Stacy heraus.

»Nein,« versetzte Barker; »vielleicht hätte ich's thun sollen; aber jetzt ist's damit zu spät. Ich habe mein Wort gegeben, den Handel abzuschließen und kann nicht mehr zurück. Aber die zehntausend Dollars habe ich nicht, und deshalb komme ich zu dir.«

Stacy lehnte sich langsam in seinen Stuhl zurück und steckte beide Hände in die Tasche. »Keinen Cent gebe ich dir, Barker, keinen einzigen Cent.«

»Ich verlange das Geld nicht vom Bankier,« sagte Barker lächelnd, »sonst hätte ich mir's ja auf der Bank holen können. Aber da dies eine Sache unter uns ist, so bitte ich dich darum, Stacy, als meinen alten Teilhaber.«

»Und ich antworte dir, nicht nur als dein alter Teilhaber, sondern auch als der Teilhaber von hundert andern Leuten, die ein noch größeres Recht haben als du, etwas von mir zu verlangen. Meine Antwort lautet: ›Nicht einen Cent!‹«

Barker war bleich geworden; er sah ihn mit halb geöffnetem Munde und erstaunter Miene an. Seine Hände noch tiefer in die Taschen versenkend, stellte Stacy sich vor ihn hin.

»Weißt du was,« sagte er; »es ist hohe Zeit, daß du mich verstehen lernst und dich selber. Als wir vor drei Jahren durch Zufall, oder sagen wir, nach gemeinsamer Uebereinkunft, unsern Vertrag auflösten, fingen wir das Leben von neuem an, jeder auf seine eigene Faust. Du hast dich in diesen drei Jahren, teils aus Thorheit, teils weil du schlechtem Rat gefolgt bist, in hoffnungslose Unternehmungen verstrickt, was nie hätte geschehen können, wären wir Teilhaber geblieben. Um dir aus der Verlegenheit herauszuhelfen, wendest du dich jetzt an mich und meine neuen Teilhaber, welche die Sache gar nichts angeht.«

»Deine neuen Teilhaber?« stammelte Barker.

»Jawohl, meine neuen Teilhaber – jeder der einen Anteil, ein Interesse oder eine Einlage auch nur im Betrag eines Dollars bei dieser Bank hat, ist mein Teilhaber – auch du bist es, weil du deine Wertpapiere in meiner Filiale liegen hast; ich schütze dich hierdurch recht eigentlich vor dir selber.«

»Aber du hast doch Privatmittel, du hast doch eigenes Geld.«

»Nicht um damit zu spekulieren wie du es wünschest; meine Stellung verbietet mir das. Schon um des Beispiels und Präcedenzfalles willen, darf ich es nicht auf thörichte Dinge verschwenden, wie du zu erwarten scheinst. Ich bin eine seelenlose Maschine. Das Kapital, das ich verwalte, ist mir und meinem Verstande anvertraut; Herz und Gefühl haben nichts damit zu schaffen. Daher ist meine Antwort: ›Nicht einen Cent!‹«

Barkers Gesicht hatte einen älteren Ausdruck angenommen, aber seine Farbe war zurückgekehrt. Jetzt fand er auch sein strahlendes Lächeln wieder, und aus seinem Wesen sprach eine liebevolle Nachsicht, die Stacy sich nicht erklären konnte.

»Ich glaube du hast recht, alter Junge,« sagte er, dem Bankier die Hand hinstreckend. »Ich hätte mich früher mit dir bereden sollen; aber wie gesagt, jetzt ist es zu spät; ich habe mein Wort gegeben.«

»Dein Wort?« fragte Stacy. »Hast du denn keine schriftliche Abmachung?«

»Nein. Mein Wort genügte ihnen.« Er errötete, als sei er sich einer großen Schwachheit bewußt.

»Aber das ist ebenso ungesetzlich wie ungeschäftsmäßig. Du könntest nicht einmal die Grubengesellschaft anhalten, den Vertrag zu erfüllen, wenn sie noch zurücktreten wollte.«

»Das wird sie nicht thun,« sagte Barker einfach. »Uebrigens habe ich den Leuten auch nicht direkt mein Wort gegeben. Ein Vetter meiner Frau, Henry Spring, der Makler ist, hat den Kauf vermittelt; er verdient etwas dabei, die Gesellschaft zahlt ihm Kommissionsgebühren. Da kann ich ihn doch nicht im Stich lassen. – Was sagtest du eben?«

Stacy hatte die Zähne zusammengebissen und tief aufgestöhnt. »Nichts,« erwiderte er kurz; »außer, daß ich – wie schon verabredet – heute abend zu Tisch in dein Hotel komme; aber nichts mehr von Geschäften. Davon habe ich genug mit andern zu thun; auch jetzt warten schon ein paar Leute auf mich, draußen im Bureau.«

Barker stand sogleich auf. Mit zärtlich besorgter Miene und dem alten liebevollen Lächeln legte er Stacy vertraulich die Hand auf die Schulter. »Es ist wirklich zu gut von dir,« sagte er; »du hast mir und meinen Thorheiten so viel von deiner wertvollen Zeit geschenkt, und bist so offen gegen mich gewesen. Es mag dir sauer genug ankommen, daß du nicht Jim Stacy sein darfst, und nur eine Maschine bist. Um mich mache dir keine Sorgen. Ich verkaufe einfach ein paar von meinen West-Extension-Aktien und bringe die Sache ins reine. Das ist ganz in der Ordnung – aber du thust mir leid, alter Junge.« Sein Blick schweifte über die Zimmerwände mit dem kostbaren Holzgetäfel. »Das ist wohl der Preis, den du für alle diese Pracht zahlen mußt?«

Ehe Stacy noch antworten konnte, ließ sich ein Herr, der ihn sprechen wollte, zum zweitenmal melden; Barker schüttelte dem Freunde rasch die Hand, lächelte ihm ermutigend zu und trat in die Vorhalle hinaus. Nach seinem Gefühl trug er ganz allein die Schuld, daß die Unterredung keine erfreulichere Wendung genommen hatte. Stacys neuer Besucher bekam jedoch den Eindruck, als sei der Bankier in keiner sehr rosigen Stimmung. Er selbst war ärgerlich, daß man ihn bei seinem dringenden Geschäft hatte warten lassen, und nachdem er Stacy den Fall auseinandergesetzt hatte, sagte er in gereiztem Ton: »Mir scheint, Sie folgen mir gar nicht. Können Sie mir denn keinen Vorschlag machen?«

»Halten Sie sich doch an einen der Herren von Ihrem Direktorium,« erwiderte Stacy zerstreut. »Kapitän Drummond zum Beispiel ist ja Ihr alter Freund. Sie waren Kameraden im mexikanischen Krieg, wenn ich nicht irre.«

»Da käme ich an den Rechten,« versetzte jener voll Bitterkeit. »Alle seine Interessen liegen auf entgegengesetzter Seite. Wo es sich um ein derartiges Geschäft handelt, nimmt man selbst auf den eigenen Bruder keine Rücksicht. Glauben Sie etwa, er würde einen sicheren Vorteil aus den Händen lassen, weil er und ich bei Cerro Gordo Seite an Seite gefochten haben? Das ist ja der reinste Blödsinn, und ich muß gestehen, Sie sind der letzte Mensch, von dem ich dergleichen erwartet hätte. Wenn Sie mir keinen Rat geben können, weil es gegen das Interesse Ihrer Bank ist, so brauchen Sie es bloß zu sagen.« Trotzdem sich Stacy hiergegen sofort eifrig verwahrte, nahm der Besucher doch ein paar Minuten später die Ueberzeugung mit fort, daß des Bankiers Lauheit ihren Grund in irgend einem feindlichen Einfluß haben müsse. Auch die übrigen Leute, welche mit diesem oder jenem Anliegen kamen, wurden schnell abgefertigt, und nach Ablauf einer Stunde war Stacy wieder allein.

Aber er schien sich nicht sehr behaglich zu fühlen. Nachdem er ganz mechanisch ein paar Notizen gemacht hatte, stand er plötzlich auf, öffnete eine kleine Schublade im Schreibtisch und nahm einen Brief heraus, der noch im Umschlag steckte und eine ausländische Postmarke trug. Er überflog ihn hastig, bis sein Blick zuletzt auf dem letzten Absatz haften blieb.

»Ich hoffe,« schrieb der Briefsteller, »daß du dich selbst im Drang deiner umfangreichen Geschäfte manchmal nach Barker umsehen wirst. Nicht etwa, daß ich glaubte, der liebe alte Junge könnte je auf falsche Wege geraten – ihn leitet sein unbewußtes Gefühl, und ich wünsche oft, ich wäre meiner selbst so sicher wie seines richtigen Instinkts. Ich fürchte, wir sind immer zu sehr geneigt gewesen, statt sein wundervolles Vertrauen und seine Herzenseinfalt zu unserm und seinem Besten wirklich zu verstehen, sie nur zu dulden, und uns darüber zu belustigen. Mit seiner Heirat warst Du nicht einverstanden; Du meintest, er ließe sich von einem thörichten Mädchen, das ihm nicht ebenbürtig war, und ihrem gewissenlosen Vater allzusehr ausbeuten. Aber frage dich einmal, ob er in andern Verhältnissen glücklicher gewesen wäre, und sein schönes, selbstloses Leben führen könnte, hätte er so gehandelt wie Du es für klüger hieltest? Wenn er Gedichte machte, die so poetisch wären wie feine Thaten, würde ihn jedermann anstaunen; aber wer schätzt ihn jetzt nach seinem wahren Wert?«

Stacy lächelte ingrimmig und schrieb auf sein Notizblatt: »Daß er zehntausend Dollars verlangt, ist das neueste!« –

»Deshalb bitte ich Dich, Jim,« fuhr der Schreiber fort, »sieh Dich zuweilen nach ihm um! Thu' es um seinetwillen, um Deinetwillen und aus Freundschaft für

Philipp Demorest.«

Stacy steckte den Brief wieder in den Umschlag, warf ihn ärgerlich beiseite und fuhr in seinen Berechnungen fort. Plötzlich unterbrach er sich jedoch in dieser Beschäftigung, legte den Brief in die Schublade zurück und klingelte mit einer Glocke, die vor ihm stand. »Herr North soll zu mir kommen,« gebot er dem schwarzen Diener. Wenige Augenblicke darauf, trat sein erster Buchhalter zur Thür herein.

»Nehmen Sie das Hauptbuch unserer Filiale und schlagen Sie Herrn Georg Barkers Konto auf.«

»Der Herr ist soeben erst fortgegangen,« sagte North und versuchte seinem Prinzipal gegenüber eine vertrauliche Miene anzunehmen.

»Das weiß ich,« erwiderte Stacy kalt, ohne aufzublicken.

»Er hat sich in letzter Zeit an unsinnigen Spekulationen beteiligt,« fuhr North fort.

»Ich habe verlangt sein Konto zu sehen, nicht Ihre Meinung zu hören,« lautete Stacys kurze Entgegnung.

Der Buchhalter entfernte sich, etwas beschämt, aber noch immer neugierig, und kehrte bald darauf mit einem Hauptbuch zurück, das er dem Prinzipal vorlegte. Als Stacy die Liste von Barkers Wertpapieren überblickte, glaubte er, eine Zusammenstellung aller zweifelhaften Unternehmungen des letzten Jahres vor sich zu sehen. Mit dem Finger auf die West-Extension-Aktien deutend, sagte er: »Herr Barker wird einige von diesen Papieren verkaufen wollen. Wie hoch stehen sie jetzt?«

»Sechzig.«

»Es wäre mir unlieb, wenn Herr Barker die Papiere an die Börse brächte. Kaufen Sie sie unter der Hand von ihm für siebzig. Die zehntausend Dollars werden ihm gutgeschrieben. Benachrichtigen Sie unsere Zweigbank sofort; man soll von dem Handel nichts verlauten lassen.«

»Sehr wohl,« erwiderte North. Im Begriff sich zurückzuziehen, blieb er jedoch zögernd an der Thür stehen und versuchte nochmals einen vertraulichen Ton anzuschlagen. »Ich habe immer geglaubt, daß West-Extension wieder in die Höhe gehen würde,« sagte er mit schlauer Miene.

Stacy, dem es vielleicht ganz gelegen kam, auf solche Weise zu erfahren, was sich sein Untergebener für Gedanken gemacht hatte, schaute ihn an und erwiderte trocken: »Dann rate ich Ihnen, behalten Sie auch diese Meinung für sich.«

Die Wirkung dieser Worte hatte er übrigens, so klug er war, nicht vorausgesehen. Obgleich North eine Vertrauensstellung einnahm, war er doch nur ein Mensch. Sobald er hinaus ins Bureau kam, winkte er einen der dort herumstehenden Makler zu sich heran und flüsterte ihm verstohlen zu: »Ich will zwei Aktien von West-Extension nehmen, wenn Sie sie mir billig verschaffen.«

Der Makler ward aufmerksam. »Jawohl; aber sagen Sie, giebt es 'was Neues?« fragte er eifrig.

»Glauben Sie, ich werde unsere Bankgeschäfte ausplaudern?« erwiderte North in strengem Ton. »Wollen Sie meinen Auftrag nicht erfüllen, so lassen Sie es bleiben!«

Nachdem er so seinem Groll über die Zurechtweisung, die er vom Prinzipal erhalten, Luft gemacht hatte, indem er sie an einen Untergebenen weitergab, eilte North fort, um Stacys Befehl auszuführen. Er war überzeugt, daß er mit großem Scharfsinn die wahre Ursache der seltsamen Handlungsweise des Bankiers durchschaut, und Nutzen daraus gezogen hatte. Als er jedoch in der Hoffnung noch weitere Aufklärung zu erhalten, in Stacys Privatbureau zurückkehrte, war der Prinzipal mit einer andern Finanzgröße in eifrigem Zwiegespräch und hatte offenbar die ganze Angelegenheit vergessen.


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