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Prolog zur Eröffnung der Festspiele auf der Luisenburg

am 15. Juli 1914

Der Berggeist steigt von den Felsen herunter auf die Bühne. Erscheinung eines Einsiedlers von unbestimmtem Alter.
Er spricht:

Von wildgetürmten Hochthrons Gipfelsitz,
Granitne Trümmer Zickzack überklimmend,
Geschliffener Gletschertische schwankem Rund
Vorbei, durch Klötze, Würfel, Spalten, Höhlen,
Gezwängt, geduckt und bäuchlings und im Sprung
Den Fuß gestemmt auf grauer Felsgesichter
Versteinte Runzelfratzen, Stuf' um Stufe
Hinunter stieg ich aus dem Fichtendunkel
Zu dieser Bühne heiter luft'gem Kreis
Und grüß' euch Menschenvolk der Dörfer, Städte,
Als Herr und Meister dieses Zauberwalds.

Aus tausend Augen seh' ich mich erforscht
Nach Art und Wesen, Alter, Zeit und Ziel,
Der Menschlein erste Frag' und letzt', als wüßte
Von euch ein jeder zwischen Wieg' und Grab
Auch nur des eigenen Weges ganz Bescheid.
Als diese Felsenschlüfte wurden, ward
Auch ich, der gleichen Schöpfungsstund' entstammt,
Wie sie, im donnernd blitzumzuckten Kreißen
Der schwangern Erde vor Äonen Zeiten,
Und wie aus diesem moosdurchwucherten
Gestein, zernagt von Regen, Sturm und Schnee,
Von hitziger Glut und eisigem Frost gesprengt,
Dereinst entbundene Kräfte sich dem Lichte
Entgegen ringen gleich befreiten Seelchen,
So läuft auch meine Uhr im gleichen Takt
Und Schlag einst ab. 's ist noch ein Weilchen Zeit! ...

Hört ihr in blauer Höh' zu euren Häupten,
Geheimnistief und fremd, das Raunen, Rauschen
Der Fichtenwipfel, gleich einer dunklen Stimme,
Die euch Kunde trüg' aus unbekannten Fernen?
Hört ihr die Stimme, wie sie singt und singt?
Ist's Sehnsucht, die so singt? Wer deutet's euch?
Das erste Ohr, das dieser Stimme Laut
Vernahm, der erste Mund, der mit ihr sprach,
Sie waren mein. Wir sind vom gleichen Stoff.
Seht ihr der Mücken Tanz, der Bienen Flug
Geschäftig dunklen Drangs, der Sonnenkringel
Hinhuschend Spiel auf grünbemoostem Stein?
Und Vogelruf lockt weither aus dem Forst.
Wohin des Wegs? Wozu? Der Forst verschweigt's.
Dies alles ist mir blutsverwandt, uralt
Wie ich und eingeboren diesem Grund,
Des Meister und Geschöpf ich vor euch steh'.

Was trieb mich her in eure bunte Menge,
Den Keulenmann, den Waldgott, Rübezahl? Vernehmt:
In meines Zauberwaldes tiefster Nacht,
Von bärtigen Fichten wie von Vorweltriesen
Ringsum bewacht, daß keines Menschen Fuß
Ihm je zu nahe tritt, steht unsichtbar
Mein Geisterschloß. Die Eule horstet dort,
Der Schuhu, Rab' und Fledermaus. Es heult
Der Bruder Sturm ins Ohr mir alte Weisen.
Wie Wiegenlieder klingt's aus grauen Zeiten,
Die Mutter Erde einst uns Brüdern sang.
Ich lieg' und träum' und grüble über Zeit
Und Raum und Welt und euer Menschenwerk,
Des Stahlgeflecht mein Reich stets eng und enger
Spinnwebenfein umschnürt. Die Zeit verfliegt –
Gleich jener weißen Wolke dort im Blau,
Die segelnd eurem Blick vorüberschwimmt.
Da blüht in meinem Garten, dicht zu Häupten
Des Träumenden, purpurnen Kelchs, schwül duftend,
Die Blume auf, die alle hundert Jahre
Nur blüht, die Wunderblume Zeitvorbei,
So heißt sie, und ihr Duften will mir künden:
Steh' auf! Mach deinen Rundgang durch dein Reich!
Die Uhr schlug! Hundert Jahr' sind wieder um!
's war heute solch ein Tag. Und Rechnung hielt ich
Mit allem, was in meines Reichs Bezirken
Mir Untertan, und mit euch Menschenvolk.
Auf meines Throns granitnem Gipfelsitz,
Die Augen trunken vom entwöhnten Licht,
Hinunter lugt' ich in die dunstige Ferne.
Gebreitet sah ich euer Menschenland
Wie einst, in weichem Schwung die Täler, Höhen,
Der Wiesen, Felder buntgesprenkelt Grün
Und Gelb. Und Herden weideten am Hang.
Ein friedlich Bild. Kein Flammenzeichen malte
In blutigem Rot den Horizont. Wie oft
Hab' ich den roten Hahn hier fliegen sehn
Von First zu First, gesträubten Kamms,
Von einem glühenden Funkenrad umsprüht.
Urväter Leid und Kampf! Wie nah! Wie weit!
's ist Friede heut! Wer weiß noch auf wie lang'!
Von ferner Dörfer Wohnstatt nur erspäht' ich
Der Feueressen schleierdünnen Rauch
Und schwarzen Qualm aus Schloten wolkenhoch,
Wie nie vordem mein Auge sie gekannt.
Da! Jäh nach rückwärts schnellt der Nacken! Steil
Den Blick empor gerichtet! Welch Geknatter
In den Lüften! Kam das Volk der Drachen wieder?
Zur Keule greif' ich, Urweltkampfs gedenkend.

Doch unbekümmert hoch im Grenzenlosen
Hinzieht der Menschenvogel seine Bahn.

So ward denn Wahrheit euer kühnster Traum.
Das Wolkenmeer bezwingt ihr mit dem Druck
Der Hand. Durch alle Fernen sendet ihr
Den Blitz des Geists, entkörpernd Raum und Zeit,
Reißt aus dem zuckenden Gedärm der Erde,
Aus Feuer, Wasser, Luft und Licht die letzten
Geheimnisse des Alls, erkenntnishungernd,
Und reckt euch zu der Gottheit Angesicht,
Als wär' sie euresgleichen, auf! ...
Weh euch!
Entzaubert und entgeistert steht ihr da,
In eures Wissens gletscherkalter Luft
Zu Eis erstarrt, entwurzeltes Geschlecht,
Fremd jedem Wahn von Glauben, Hoffen, Glück,
Doch nimmermüder Sehnsucht übervoll,
Umhergeschleudert zwischen Erd' und Himmel,
Fangball vom Schicksal und vom Tod! Verflucht
Zu leben! Verflucht zu sterben! Zweifach verflucht!

So schloß ich meine Rechnung mit euch Menschen
Und stieg von meinem Thron herab hierher.
Versammelt seh' ich euch, ein brandend Meer,
Auf allen Mienen freudiges Erwarten,
In allen Herzen diesen holden Trug,
Als blühte einmal noch ein Frühlingsgarten ...
Was wandelte in Hoffnung jenen Fluch?
Erhabener Dichtung hohe Götterworte
Erwarten segnend euch an dieser Pforte,
Verkünden euch, was Tiefstes Menschen litten,
Verzweifelnd schon, noch höchsten Sieg erstritten.
Und wie's von Wohllaut flutet durch den Wald,
Tanzt Mückenspiel und Vogelruf erschallt.
Begreif ich endlich eurer Sehnsucht Zug?
Versteh' ich tiefer euer wahrstes Wesen?
Hier, wo Natur zur Kunst die Brücken schlug,
Seh' ich euch ganz vom Lebenskrampf genesen.
Und ob auch alle anderen Götter schieden:
Hier grüßt euch Frieden, Frieden, heiliger Frieden.

Ich kehr' in meines Walds Einsiedelei
Und schlafe, bis die Blume Zeitvorbei
Von neuem blüht nach aber hundert Jahren.
Dann komm' ich zu der Enkelwelt gefahren.


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