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Im Quartier.

Am 8. Oktober erhielt ich den Befehl, eine Abteilung zum achten Korps, zu welchem ich gehörte und welches in Moschaisk stehen geblieben war, zurückzuführen. Ich verließ also Moskau und hatte es übernommen, eine deutsche Familie, welche hier gewohnt hatte, aber nun nach Deutschland zurückkehren wollte, mitzunehmen. Diese bestand aus der Mutter mit zwei Kindern und deren Wärterin. Sie saßen in einem schönen großen, mit vier Pferden bespannten Reisewagen, der mit ihrem sämtlichen geretteten Hab und Gut beladen war, weshalb die arme Frau in nicht geringer Sorge um ihr ferneres Durchkommen schwebte. Diesem Wagen folgte mein eigener, ein prächtiger englischer Staatswagen aus einem der ersten Magazine Moskaus, welcher außer meinen übrigen Habseligkeiten eine Menge der schönsten und kostbarsten Pelze enthielt, die ich für einen Spottpreis erhandelt hatte. Für Gold konnte man damals in der eben verlassenen unglücklichen Stadt alles haben, der tausend- und abertausendfache Wert konnte dafür eingehandelt werden. Diesen Wagen habe ich lange Zeit mit mir geführt, er wurde selbst über die Beresina gebracht, was wirklich zu den fabelhaften Dingen gehört, er ward unser Krankenwagen und ist erst bei Wilna endlich stehen geblieben, als die zum Stürzen ermüdeten und verhungerten Pferde ihn nicht mehr zu schleppen vermochten.

Ungefährdet kamen wir in Moschaisk an. Nach einem herzlichen Abschied von meinen Schutzbefohlenen meldete ich mich bei dem Befehlshaber der Abteilung, dem Oberstleutnant Schulz, mit dem ich persönlich befreundet war, und von dem ich aufs herzlichste aufgenommen wurde. Ich mußte viel erzählen, hörte aber auch von dem unermeßlichen Elend, welches überall zu herrschen anfing. Moschaisk war jedoch noch ausgenommen; denn durch die Vorsicht des Generals Alix war die Ernte eingebracht worden, unsere Soldaten droschen, mahlten, backten ganz vortreffliches Brot, kurz alles war im besten Zustande. Schulz selbst war wie ein Fürst eingerichtet. Zu den bestehenden Herrlichkeiten eines Palastes hatte er jeden beweglichen Luxus gefügt, welcher sich denken ließ, so daß das Auge von der Masse der herrlichsten Spiegel, Uhren, Vergoldungen, Gemälde und Teppiche ganz geblendet ward. So hofften wir sicher, nach den großen Drangsalen den Winter hier in der ganzen Gemächlichkeit unseres früheren Lebens angenehm zubringen zu können, und welche Gefahren, welche Mühseligkeiten hatten wir bald darauf zu bestehen! Mühseligkeiten, wie sie seitdem nie wieder in solchem Maße stattgefunden, ja kaum einzelne getroffen haben können. Entbehrungen, Not und Angst verschwinden zwar niemals ganz im Leben und erscheinen bald hier, bald da in verschiedener Gestalt; aber sie sind in Zeiten wie die unsrigen notwendig mehr vorübergehender Art, da kaum alle jene Zustände sich noch einmal vereinigen können, die damals unsere Leiden nicht allein an sich furchtbar, sondern auch so lange dauernd machten.

Nun eine Geschichte, die sich auf meinen Tabak bezieht. Auf dem vorletzten Verpflegungsort vor Moschaisk kommandierte ein Oberstleutnant v. B...., ein sonderbares Original, der alle möglichen Vorräte zusammenzubringen wußte, ohne daß er sich nur im geringsten mit den russischen Einwohnern hätte verständigen können. Kam er abends in das Quartier, so ließ er sogleich die erschrockene Wirtin vor sich bringen und erteilte ihr seine Instruktionen, und zwar auf folgende Art. »Für mich Kasaika, für mich Kochewatsch, Fleischowatsch und Kartoffelwatsch, ich will essowatsch, und dann will ich schlafowatsch, aber nicht auf Strohwatsch – Strohwatsch hartowatsch, auf Heuwatsch – Heuwatsch do weichowatsch. Rosumi?« – »Ni rosumi pan!« – »Krieg du die ni rosumi-sche Schwerenot! Hab ich es doch dem Weib so deutlich gesagt und nun versteht sie mich nicht.« Wie man also sieht, glaubte er, die unglückliche Frau müsse ihn verstehen, sobald er an ein deutsches Wort die Silbe »watsch« setze. Diesen Mann wußte ich im Besitz einer trefflichen Herde Schöpse, deren ich gern einige für meine hungernden Leute gehabt hätte, weshalb ich ihn darum ansprach. Aber wer davon nichts wissen wollte, war mein Krösus, den ich aber dennoch zu fangen wußte. Da ich seine große Leidenschaft für Tabak kannte, ließ ich ihn wie von ungefähr von meinem mitgebrachten Türkischen stopfen, aber kaum hatte er ein paar Züge getan, als er wild aus mich zusprang und, mir den Arm festhaltend, ausrief: »Kindchen, wo habt Ihr den prächtigen Tabak her?« – »Aus Moskau,« erwiderte ich trocken. – »Könnt Ihr mir nicht ein bißchen davon ablassen, liebes Kindchen?« sagte er ganz eifrig. – »O,« erwiderte ich, »der ist für meine Freunde in Moschaisk bestimmt, ich habe eine ganze Tonne davon mitgebracht.« – »Na, mir werdet Ihr doch auch welchen geben, hoffe ich?« – »O ja, wenn Ihr Schöpse gebt« – und das Ende vom Liede war, daß ich für eine mäßige Portion meines Tabaks zwei der schönsten Hammel für meine Leute erhielt.

In Moschaisk war ein gleiches Haschen nach meinem Tabak; ich teilte mit, so viel ich vermochte, unter andern auch an einen alten Wachtmeister, namens Altmann, der in dankbarer Erinnerung an diese Gabe mich später dafür vom Hungertode errettete. Obgleich dies Ereignis viel später stattfand, will ich es gleich hier erwähnen. Es war in einer der dunkeln, kalten und fürchterlichen Nächte auf dem Rückzug; ich war von meinen Gefährten abgekommen und irrte trostlos und mit sinkendem Mut von Feuer zu Feuer, ohne dieselben wiederfinden zu können. Seit zwei Tagen hatte ich nichts genossen, die Angst um meine Freunde nahm mir den letzten Rest von Besonnenheit, und eben wollte ich mich, erschöpft und hinsterbend wie ich war, am Wege niederlassen, von dem ich wohl nicht wieder erstanden wäre, als ich in dem dichten fortdrängenden Gewühl, welches mich umgab, jenen Altmann zu erkennen glaubte. Mit Anstrengung meiner letzten Kräfte rief ich seinen Namen, er hörte mich glücklicherweise, und auf meine Frage, ob er etwas zu essen habe, gab er mir einen warmen, aschenreichen Kleienkuchen, indem er sagte: »Hier, nehmen Sie, Herr Rittmeister, für Tabak hab' ich auch Brot!« – Wie ich den Kuchen verschlang, können sich meine Leser denken; er gab mir nicht allein Kräfte des Körpers, sondern auch meine moralische Stärke wieder, indem diese ungehoffte Hilfe aufs neue das verlorene Vertrauen auf eine gütige Vorsehung in mir befestigte und mir zugleich den Mut mitteilte, einen neuen Versuch zur Auffindung meiner Kameraden zu machen, die ich bald so glücklich war zu finden. Doch ich muß nach dieser Abschweifung nach dem erwähnten Moschaisk zurückkehren. Bis zum 25. Oktober lebten wir ein heiteres, und was mich bei meiner Freundschaft mit Schulz betraf, ein elegantes Garnisonleben, in welchem Tees, Spielpartien und Ausflüge auf das Schlachtfeld miteinander abwechselten.


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