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Die Werbung.

Heliade war nach einem Jahr auf Arran-Castle Tochter des Hauses und Gebieterin: so sehr wurde sie von ihren Pflegeltern geliebt und geachtet, so unvergleichlich füllte sie die Stelle aus, die sie bei diesem vortrefflichen Ehepaar einnahm. Sie fühlte sich auch sehr glücklich, denn sie konnte durch Liebe und Zärtlichkeit die Dankbarkeit ihres Herzens ausdrücken und sie lebte in einem Kreise, in welchem ihr edler, lebhafter Geist reiche Nahrung, Anregung und Belehrung fand. Arran-Castle war für alle irischen Katholiken eine heimische Stätte, auf der alle Fragen erörtert wurden, welche sich an die Kirche knüpften, mochten sie aus dem Gebiet der Politik, der Literatur, des bürgerlichen oder des innern Lebens aufgeworfen werden. Denn die Kirche war eben das, was sie sein soll: die Sonne, um welche sich das Planetensystem des katholischen Lebens bewegt. Man begnügte sich nicht damit, sehr pünktlich äußere Obliegenheiten zu erfüllen und für sich selbst im Stillen gläubig zu sein; – man trat mit seinem Glauben hervor, wie mit einem Licht und einem Maßstab, welche den Ereignissen ihre wahre Würdigung zukommen ließen – und die Leiden und Freuden der Kirche, ihr Aufschwung und ihre Ausbreitung, ihre Verfolgungen und ihr Marterthum gehörten jedem Einzelnen so innig, wie ein Stück seines eigenen Lebens an. Daraus entspringt eine hohe Universalität in der Auffassung, im Streben, denn je mehr die Grenze des Ichs und die Triebfeder des Egoismus vor der erhabenen katholischen Anschauung, welche in der Kirche den mystischen Leib Christi erblickt, zurücktritt, desto höher und freier steigen die Gedanken auf, und desto reiner wird die Liebe, diese schöne Mutter zahlloser Kinder – welche Opfer heißen.

Was die Katholiken Irlands damals auf's Allerlebhafteste beschäftigte, war der Plan, aus ihren eigenen Mitteln eine Universität zu gründen und zu erhalten, die ihren Söhnen die Garantie darböte, bei dem Studium der Wissenschaft nicht um den katholischen Glauben gebracht zu werden – ein Plan, der sich nach mehreren Jahren durch die Gründung von Maynooth verwirklichte.

Zu den eifrigsten Förderern dieses großen Werkes gehörte Lord Arran, dessen Vermögen und dessen Mangel an Nachkommenschaft ihm erlaubten, große pecuniäre Mittel beizutragen – und Bryan O'Connor, der alle katholischen Interessen mit doppelter Liebe umfaßte, weil er ihnen so lange fern gewesen war. Er kam häufig nach Arran-Castle, wo er ein willkommener Gast war und wo auch Heliade ihn stets freundlich begrüßte und mit gespannter Theilnahme allen Gesprächen folgte, welche jenen wichtigen Gegenstand berührten. Uebrigens hatte sie nicht die leiseste persönliche Theilnahme für Bryan und sie benahm sich mit ihm genau ebenso, wie mit allen übrigen Männern, welche Arran-Castle besuchten. Er betrachtete sie freilich mit andern Augen – und deshalb wollte es ihm scheinen, als könne er in der unendlichen Zartheit ihres Benehmens eine Schattirung entdecken, die ihm günstig sei.

Lord und Lady Arran wünschten von ganzem Herzen diese Verbindung. Es war ihnen eine Wonne, zu denken, daß Reginald O'Connor's Enkelin in dieser so natürlichen, so einfachen Weise das Erbe ihrer Väter wieder antreten werde. Sie nahmen sich vor, Heliade förmlich zu adoptiren und sie durch einen zwiefachen Grundbesitz an Irland zu binden. Ginge sie dann auch zum Besuch ihrer Großmutter nach Rom, so bliebe doch das grüne Erin ihre Heimath und Arran-Castle ihr Elternhaus. Freilich nahmen auch sie nicht den Schatten einer Neigung Heliadens für Bryan wahr, so daß der Graf einmal zu Lady Arran sagte:

»Ich bin so unvollkommen, daß ich fast ungeduldig über Heliadens gar so große Zurückhaltung werden möchte. Könnte sie nicht ein Lächeln, einen Blick für Bryan O'Connor haben, die ihn ermuthigten? Das ist ja nichts Sträfliches! . . . und sie müßte doch ahnen, was in ihm vorgeht.«

»Ja, wenn sie eine Neigung für ihn hätte! ein sympathisches Gefühl hat solche Ahnung – wo aber Gleichgültigkeit herrscht, kommt sie nicht auf.«

»Vielleicht denkt sie auch, daß sie, als ein ganz unbemitteltes Mädchen, keinen Anspruch an eine glänzende Verbindung habe.«

»Das würde ihr ganz ähnlich sehen.«

»Ich wünschte daher, Bryan möchte mit seiner Bewerbung hervortreten, Magdalene! Junge Mädchen, die bis dahin ganz gleichgültig erschienen, kommen zum Bewußtsein über ihre schöne Bestimmung – wenn ihnen der Bewerber nicht entschieden mißfällt . . . und davon kann ja bei Heliade und Bryan nicht die Rede sein.«

Heliade dachte nicht an den Ehestand, dachte nicht an Liebesglück. Aber – sie dachte an Peregrin . . . an Mariano Torrigi. Dies Andenken störte nicht den schönen Frieden ihrer Seele, machte sie weder mißvergnügt in der Gegenwart, noch unruhig über die Zukunft; aber sie dachte an ihn, und kein Morgen kam und kein Abend verging, ohne daß sie seinen Namen vor Gott genannt und seine Wege dem Schirm der Ewigen Liebe anbefohlen hätte. So weh es ihr that, ihn auf diesen Wegen wandelnd zu wissen: so bewahrte sie doch stets den Balsamtropfen des Trostes im Herzen: Er ist kein Gorm! er braucht sich nicht mehr für verpflichtet zu halten, sich gegen die göttliche Wahrheit abzuschließen. Kann ein Gorm nicht katholisch werden, so kann es doch ein Mariano Torrigi – ja, es ist nicht unmöglich, daß ein Mariano Torrigi katholischer Herkunft sei; allein es ist unmöglich, daß ein Mensch wie er, mit einem so offenen, ehrlichen Auge und Herzen für das Wahre, das Schöne, das Gute – nicht durch diese Richtung der Gnade zugeführt werden sollte. – Heliade hoffte gemäß der Eingebung der reinen Liebe. Sie kannte nicht die ungeheuern Verlockungen, mit denen eine materialistische, frivole Welt auf die Jugend einstürmt; sie wußte nicht, wie manches offene Auge sich von der Betrachtung des Schönen – zum Häßlichen herabsenkt; sie wußte nicht, wie manches redliche Herz, von der fürchterlichen Lüge der Leidenschaften umstrickt, die Wahrheit, die es geliebt hat, allmälig hassen lernt. Und das Alles, weil die Welt entchristlicht ist und die Sünde nicht kennt. Sie kennt Verbrechen, sie verurtheilt und straft sie im Namen der bürgerlichen Gesetze, welche das Verbrechen verletzt. Aber die Beleidigung göttlicher Gesetze kennt sie nicht und will sie nicht kennen – die Welt! sie will dahin leben in ihrem Rausch, in ihrem Taumel, in ihren jammervollen Freuden, in ihren leeren Genüssen, in ihrer Gottentfremdung – und das Alles soll nicht Sünde sein. – –

Bryan O'Connor war wieder auf Arran-Castle. Lady Arran wollte mit Heliade einen Morgenbesuch in der Nachbarschaft machen. Er begleitete sie an den kleinen offenen Wagen und reichte ihnen die Hand zum Einsteigen. Dann trabten die milchweißen Ponies munter von dannen. Bei einer Wendung des Wagens, der durch den Park seinen Weg nahm, grüßte Bryan noch einmal die Damen und Heliade winkte ihm freundlich mit der Hand den Gruß zurück. Ihr hellblauer Schleier schwebte wie ein Morgenwölkchen um ihr schönes Antlitz. Dann verschwand sie. Bryan horchte dem Wagen nach und als er sich besann und in das Schloß zurücktreten wollte, stand der Graf neben ihm und schlug einen Spazierritt vor.

»Ich habe heute Heliade meiner Frau abtreten müssen,« setzte er hinzu.

»Und ich soll sie ersetzen?« fragte Bryan lächelnd.

»Allen Respect vor Ihnen!« rief Lord Arran munter, »aber Heliade ist schwer zu ersetzen.«

Sie machten einen langen Ritt und kehrten mit einem Ausdruck von Zufriedenheit zurück, den sie einige Stunden früher nicht gehabt hatten. Lord Arran besonders sah strahlend aus und war bei dem Mittagessen, zu welchem sich noch andere Gäste einfanden, so ungemein heiter, daß Lady Arran, die ihn genau kannte, bei sich selbst dachte: Bryan wird sich erklärt haben! was wird Heliade thun?

Heliade war ahnungslos über das, was ihr bevorstand. Sie musicirte und plauderte den ganzen Abend mit einem halben Dutzend junger Männer und junger Mädchen und schien sich sehr gut zu unterhalten. Als sich die Gesellschaft getrennt hatte, bestätigte Lord Arran der Gräfin ihre Voraussetzung und wollte gleich am andern Morgen mit Heliade reden. Die Gräfin sagte etwas beklommen:

»Ich bitte Dich, warte, bis unsere Gäste fort sind; denn wenn Heliade Nein sagte, so würde das eine kleine Verstörung geben. In einem solchen Fall haben trotz der höchsten Discretion die Wände Ohren.«

»Wie wird sie denn Nein sagen!« rief der Graf mit einem Anflug von Unmuth. »Und gar, wenn sie erfährt, daß es uns betrüben würde! Sie erfüllt ja jeden unserer Wünsche mit einer rührenden Hingebung. Sie ist schmiegsam, wie ich nie Jemand gesunden habe . . . nach Dir, Magdalene.«

»Ja, schmiegsam wie eine Uhrfeder,« sagte Lady Arran.

»Nun, geschmeidiger Stahl ist ein vortreffliches Charakterelement,« entgegnete der Graf. »Indessen kannst Du doch Recht haben! . . . wir wollen warten.«

Am andern Morgen durchstreiften die jungen Leute den Park und Heliade führte sie zu der Stelle, die ihr am liebsten war, zu dem Wartthurm auf dem Felsenvorsprung über dem Meer. Das Innere desselben war ein kleiner Saal, der nach drei Seiten ein großes gothisches Fenster hatte, aus welchem der Blick abwärts – unmittelbar in die Tiefe der Brandung und Klippen fiel, geradeaus – über die Unendlichkeit des Oceans sich verlor. Eine kleine eiserne Wendeltreppe führte auf die Plattform, die mit Zinnen umgeben war und einen noch freieren Standpunkt und Blick gewährte.

Ein junges Mädchen rief ängstlich:

»Hu! mich überläuft ein Grauen, wenn ich nur hier aus dem Fenster sehe. Da oben würde mich der Schwindel fassen und in den Abgrund ziehen.«

»Komme nur!« sagte Heliade; »der Zinnenkranz ist eine sichere Brustwehr.«

Sie stieg hinauf. Einige folgten ihr; Andere blieben unten.

»Ich liebe die Höhen,« sagte ein junger Mann, der Heliade begleitete. »Die Welt und das Leben sehen schöner aus, wenn man sie von Oben herab betrachtet.«

»Ich finde es sehr hochmüthig von Ihnen.« rief ein allerliebstes munteres Mädchen, »daß Sie das Leben von Oben herab betrachten wollen . . . denn vom Betrachten zum Behandeln ist nur ein Schritt . . . und eine solche Behandlung verdient das schöne fröhliche Leben nicht. Trotzdem – liebe auch ich die Höhen . . . wenn sie interessant sind. Waren Sie in der Kugel von St. Peter in Rom?«

»Waren Sie auf der Pyramide des Cheops bei Cairo, Lady Jane?«

»O nein! zu wilden Völkerschaften, Beduinen u. dgl. reisen Damen nicht gern. Und was sieht man denn auf Ihrer Pyramide?«

»Die unermeßliche Wüste – und darin, wie einen bunten Teppich, Cairo mit seinen hundert Kuppeln und Minareten – und den Nil mit seinem schmalen bebauten Uferland, wie ein silbernes, grün besäumtes Band. Aber sonst nichts! nicht Baum noch Strauch, nicht Feld noch Hütte! nur die Wüste, gelb, grell, blendend; nach Norden und Süden – unübersehbar; nach Westen und Osten begränzt durch das lybische und arabische Gebirg.«

»Diesmal theile ich Ihren Geschmack,« sagte Lady Jane; »die Wüste schaue ich mir lieber von Oben herab an, als daß ich unten im Staube und im Sande wühlte.«

»Aber, Lady Jane! Sand und Staub sind ja eben auch die Hauptbestandtheile des Lebens.«

»Nun, und die Seele? Ist die nicht etwa ein Hauptbestandteil des Lebens? – – Ah, Sie schweigen! – Ich habe gesiegt.«

Heliade hörte nicht auf die Gespräche, die um sie her geführt wurden. Sie lehnte sich auf die Brustwehr der Zinnen und versank in eine gewisse träumerische Betrachtung, die aus der gleichförmigen Bewegung und dem einförmigen Rauschen der Wellen leicht hervorgeht. Sie bemerkte auch nicht, daß Bryan O'Connor neben ihr stehe. Ihre Gedanken waren auf der andern Hemisphäre, und als ob ihr schönes Auge müde geworden sei des vergeblichen Suchens, schloß sie es sanft – und da fiel eine große Thräne von ihren Wimpern. Sie drückte das Taschentuch vor's Gesicht und wendete sich dann mit hellem Blick nach der Gesellschaft um. Als aber ihr Auge über Bryan hinstreifte, begegnete sie dem seinen, das eigentümlich fragend, forschend, auf ihr ruhte. Sie erröthete bei dem Gedanken, daß er ihre Thränen gesehen haben könne – während er sich selbst fragte: Um wen weint sie? – Er hätte sich auch fragen können: Warum weint sie?– doch das fiel ihm nicht ein, obschon es ihn viel weniger beunruhigt haben würde.

Der Tag verging wie alle übrigen. Am nächsten Morgen reisten fast sämmtliche Gäste ab; die Zurückbleibenden waren ein Paar alte Freunde des Grafen, die keine Störung machten – und so wurde denn Heliade zu einer Zeit, wo sie sich auf ihrem Zimmer mit Malerei und Lectüre zu beschäftigen pflegte, in's Schreibcabinet von Lady Arran gerufen. Da war auch der Graf und er eröffnete das Gespräch, indem er sagte:

»Heliade, Du weißt, daß es unsere Absicht ist, im Oktober mit Dir nach Rom zu Deinem Großmutter zu reisen. Wäre es Dir unlieb, wenn wir einen Reisegefährten hätten?«

»Wie kannst Du nur so fragen, lieber Papa?« entgegnete Heliade unbefangen. »Wer Dir und der Mama genehm ist – wie sollte er es nicht mir sein.«

»Umsomehr, als es Bryan O'Connor ist, Heliade.«

»Ah! Bryan O'Connor!« rief sie überrascht und erröthete, denn sie dachte an den Blick, womit er sie gestern betrachtet hatte.

»Wäre Dir das unlieb, Heliade?«

»Es wäre mir lieber, wenn er nicht mitginge,« antwortete sie gefaßt.

»Er wünscht aber nur deshalb unser Reisegefährte zu werden, weil es sein höchster Wunsch ist, der Gefährte Deines Lebens zu werden und er läßt Dir durch mich diese Bitte aussprechen. Willst Du sie erhören, so machst Du nicht bloß ihn, sondern auch uns unaussprechlich glücklich, denn Du bleibst in Irland und bei uns.«

»In Irland und bei Euch, meine theuern Pflegeltern – o mit tausend Freuden, so lange Gott will!« rief Heliade; »aber Bryan O'Connor und ich – das geht nicht an! ich erkenne mit tiefer Dankbarkeit das Ehrenvolle dieses Antrages und das Vertrauen, das Bryan O'Connor in mich setzt – doch eine eheliche Verbindung kann ich nicht mit ihm eingehen.«

»Er ist doch ein junger Mann, dessen Charakter und Grundsätze Dir eine Garantie für ein friedliches Lebensglück darbieten würden,« sagte Lady Arran sanft. »Auf dem Boden einer tiefen Uebereinstimmung in allen Dingen, die Kirche und Glauben betreffen, ist die Heiligkeit des häuslichen Heerdes gesichert, Heliade – und wenn dann Verschiedenheiten des Geschmacks, der Ansichten, der Neigungen sich kund geben, so entspringt daraus keineswegs Disharmonie, sondern ein willkommener Anlaß zu kleinen Opfern.«

»Ich begreife das,« entgegnete Heliade schüchtern; »allein ich muß bekennen, daß mir Bryan O'Connor vollkommen gleichgültig ist und daß es mir unmöglich scheint, eine Ehe einzugehen, ohne eine kleine Neigung des Herzens für den Mann zu fühlen, der mir für's Leben der Theuerste sein soll. Dies kann Bryan O'Connor nie für mich sein – und deshalb schaudere ich vor dem Gedanken einer Verbindung mit ihm zurück.«

»Es ist durchaus angemessen, liebes Kind, daß Du nicht an eine Verbindung mit diesem oder jenem Mann denkst, ohne zu wissen, ob sie je stattfinden werde,« entgegnete Lady Arran. »Das erhält das Herz in schöner Ruhe. Aber weil es ruhig ist, darf es nicht leichthin einen ehrenvollen und in jeder Beziehung passenden Antrag ablehnen.«

»Manche junge Person hat im ersten Augenblick so gesprochen wie Du, Heliade,« sagte Lord Arran. »Dann aber hat sie den Bewerber genauer beobachtet, die Verhältnisse gründlicher erwogen – und der Schluß war: eine glückliche Ehe. Betrachte von jetzt an Bryan O'Connor nicht bloß als den vortrefflichen jungen Mann, der er ist, sondern auch als Denjenigen, der Dich genug liebt, um eine ganze Zukunft von reinem, edlen Glück von Dir zu hoffen – und ich bin überzeugt, Du kommst zu einem andern Schluß.«

»Bedenke auch, welch ein Trost für Deine Großmutter es wäre, welch eine Genugtuung für Alles, was ihr und ihren Kindern entzogen wurde – und welche Freude für uns alte Leute, die wir in Dir unser jüngstes Kind sehen und mit der vollen Zärtlichkeit des Alters, die sich nicht mehr über tausend Gegenstände erstreckt, dies letzte Kind lieben,« sagte Lady Arran mit seelenvoller Innigkeit.

Heliade faltete die Hände und weinte.

»Weine doch nicht, theures Kind!« sagte der Graf bewegt. »Ja, ja, Du hast ganz Recht . . . es ist namenlos schwer für ein junges Mädchen, zu dem Entschluß zu kommen, sich einen Herrn und Gemahl zu wählen. Also besinne Dich und lehne nur nicht kurzweg ab. Du weißt, Bryan O'Connor ist ein edler Mensch, der es nicht darauf anlegt, im Sturm Herzen zu erobern. Er wird nur noch mehr Vertrauen zu Dir fassen und noch höher Dich achten, wenn er sieht, wie ernst Du die Sache nimmst und wie das, was man eine glänzende Partie nennt, so gar nicht Dich blendet.«

»Nicht wahr, Heliade, wir dürfen ihm Hoffnung geben?« fragte Lady Arran, liebreich ihre Hände ergreifend und sie an sich ziehend.

Da erkannte Heliade, daß sie die Wahrheit sagen müsse. Sie glitt vor Lady Arran auf die Knie und sagte:

»Nein, geliebte Mutter, nein! . . . Vergebt mir, aber ich muß Nein sagen.«

»Du mußt, Heliade? Wer zwingt Dich dazu?« fragte Lady Arran.

»Mein Herz . . . das nicht mehr mir gehört,« erwiderte Heliade leise.

»Du bist bei uns seit fünfviertel Jahren, lebst mit uns in dem intimen Verhältniß einer Tochter, hast nie die leiseste Andeutung der Art gemacht oder errathen lassen – und trittst plötzlich mit einer Neigung aus früherer Zeit hervor!« rief Lady Arran befremdet.

»Das ist ein Vorwand!« rief der Graf.

»Kein Vorwand!« erwiderte Heliade sanft und ernst. »Mein Herz ist gefesselt.«

»Und ist Deine Wahl Deiner würdig?« fragte der Graf streng; – »steht eine Verbindung in Aussicht?«

»Da sie aus früherer Zeit ist, so müssen Deine Eltern darum gewußt . . . Dein Vater sie gebilligt haben . . . that er das?« fragte Lady Arran besorgt.

Heliade war in qualvoller Bewegung. Im Hinblick auf Peregrin Gorm hätte sie alle diese Fragen ruhig mit Ja beantworten können. Im Hinblick auf Mariano jedoch – war das nicht möglich. Den Zusammenhang aber zwischen Peregrin und Mariano durfte sie keinem Menschen offenbaren: das hatte sie Justinen gelobt! Sie wußte dies Geheimniß ja nur in einer Weise, die ihr nicht erlaubte, es zu enthüllen! Nannte sie Peregrin Gorm, so verzichtete sie auf Mariano – und nannte sie Mariano – ach! in welchem Licht mußte sie erscheinen! Sie schwieg und blickte flehend zu Lady Arran auf. Diese sagte mitleidig:

»Wenn es so ist, mein armes Kind, daß Du über diese Frage in eine kleine Verwirrung geräthst, so wollen wir sie fallen lassen, in der festen Ueberzengung, daß Du eine Neigung, an welche Du nur mit Beschämung denkst, aus Deinem Herzen verbannen werdest.«

Da stand Heliade auf und sagte ruhig, aber mit zitternder Stimme:

»Nein, theure Mutter, es ist nicht so, daß ich mich meiner Neigung zu schämen hätte – und eben deshalb und durch manches Leid . . . ist sie mir so fest in's Herz gewachsen, daß ich sie nicht heraufreißen kann . . . noch will! . . . Es sei denn, daß ich den Willen Gottes erkennte, der die Ueberwindung dieser Liebe von mir verlangte.«

»Und wird sie eben so innig und treu erwidert?« fragte Lady Arran.

»Das weiß ich nicht!« entgegnete Heliade; »aber – ich weiß, daß sie eine ganze Jugend ausgefüllt hat, bevor ich sie nur ahnte.«

»Und kann sie denn zu einem glücklichen Ziel führen, geliebtes Kind?«

»Das weiß ich nicht! Menschlich gesprochen ist wohl keine Aussicht.«

»Und an diese Chimäre will meine gute, klare, energische Heliade ihr Herz, ihre Jugend, ihr Leben verschwenden!« rief Lord Arran schwankend zwischen Zorn und Schmerz. »Stoße sie von Dir, diese Chimäre! blicke einfach edlen Verhältnissen in's Auge! erfülle den Wunsch eines vortrefflichen Mannes! beglücke Deine Eltern – das geziemt sich für Heliade!«

»Dem Einen die Hand . . . dem Andern das Herz? . . . Nein, mein lieber Vater, das ziemt sich nicht für Heliade,« sagte sie tieftraurig.

»Nun denn . . . wo . . . wer ist der Mann, an dem Dein Herz hängt? – Was kann man für ihn thun? . . . Wie heißt er? . . . – Wie heißt er?« wiederholte Lord Arran, da Heliade schwieg; – »Du bist uns schuldig, ihn zu nennen.«

»Er heißt . . . Mariano Torrigi,« sagte Heliade.

Der Graf fuhr entsetzt zurück. Lady Arran rief angstvoll:

»Wer ist es, Heliade?«

»Mariano Torrigi, der Violinspieler,« sagte sie.

Lady Arran brach in einen Strom von Thränen aus. Stumm und bleich saß der Graf da und rang nach Fassung. Marmorblaß und still stand Heliade vor ihnen, als erwarte sie ihren Urtheilspruch. Lord Arran faßte sich zuerst und sagte mild:

»Es ist gut, Heliade! geh' auf Dein Zimmer. Es versteht sich, daß von dem Allen, was wir mit Dir besprochen hatten, jetzt nicht mehr die Rede sein kann. Bryan O'Connor wird noch heute abreisen.«

Da fiel Heliade auf die Knie, ergriff seine und Lady Arrans Hand, bedeckte sie mit Küssen und Thränen – und verließ schweigend das Cabinet. Oben in ihrem Zimmer sank sie auf ihren Betschemel vor dem Bilde des Gekreuzigten nieder und flehte um Erleuchtung, ob sie auch in der Ueberraschung des unerwarteten Antrags verkehrt gesprochen, gehandelt habe . . . ob sie dem Wunsch ihrer Pflegeltern, ihrer Wohlthäter Gehör geben müsse. – – Aber die innere Stimme, die stets sich vernehmen läßt, wenn man sie hören will, sprach fort und fort: Nein! nein! . . . Dem Einen die Hand, dem Andern das Herz – das ist gewissenlos. Was meine Wohlthäter nun auch beschließen und ob sie mich fortschicken werden – ich muß wieder meine Welt in Trümmer stürzen lassen und Gott gehorchen! . . . denn durch mein Gewissen spricht Er zu mir . . . Nein! Nein! – –

»Magdalene, was ist dies für ein furchtbares Räthsel!« rief Lord Arran, als er allein mit seiner Frau war. »Heliade, die edle, die zarte, die ich »das Hermelin« nennen würde, wenn ich nicht fürchtete, sie eitel zu machen – Heliade verliebt sich in einen vagirenden Künstler, in einen Virtuosen! Nein, das übersteigt alle Begriffe, alle Erfahrung, alle Menschenkenntniß meiner grauen Jahre! Heliade läßt sich von einem genialischen Charlatan so bezaubern! – Ich bitte Dich, rede! was denkst Du, was meinst Du von diesem unerhörten Ereigniß!«

»Ich denke noch gar nichts!« sagte Lady Arran, ihre Thränen zurückdrängend; – »ich bin betäubt vom Schreck. Aber so wie Du es auffaßt – Heliade ergriffen von einer mächtigen, andauernden Leidenschaft für einen herumziehenden Virtuosen – das scheint mir unmöglich. Dazu sind in ihrem Charakter gar keine Anhaltpunkte. Nie ist eine romanhafte Grille, nie die Sucht nach Ungewöhnlichem, nie eine Vorliebe für Phantasiegebilde im wirklichen Leben – bei ihr zum Vorschein gekommen.«

»Es gibt unglaubliche Anomalien im weiblichen Charakter,« entgegnete Lord Arran. »Man ist nie sicher, ob es mit Euch in den Himmel oder in die Hölle geht. In Euren Seelen gibt's Fallthüren und Schlupfwinkel, welche unsere Seele nicht ahnt.«

»Da hast Du ganz Recht!« sagte Lady Arran; »der weiblichen Natur ist Scheu und Schüchternheit eingeboren. Gibt ihnen die Gnade keine gute Richtung, so geben ihnen die Leidenschaften eine schlimme und das Weib wird versteckt, unaufrichtig, hinterlistig und unzuverlässig. Aber das paßt nicht auf Heliade mit ihrer geraden, offenen Seele.«

»Und was sage ich an Bryan, dem ich so viel Hoffnung gemacht . . . so ihn ermuntert habe, als könne die Sache gar nicht fehlschlagen! . . . Soll ich ganz ablehnen? – Aber wenn Heliade zur Besinnung käme! – Soll ich vorerst ablehnen und auf die Zukunft hinweisen? – Aber wenn sie sich nicht besinnt . . . was dann!« –

»Sage ihm ganz einfach, Heliade wünsche nicht sich zu verheirathen und deshalb sei es besser, wenn er uns nicht nach Rom folge.«

»Ich bin wahrhaftig so beschämt dem armen Bryan gegenüber, daß ich mich freue, in zwei Monaten Irland zu verlassen und ihn auf längere Zeit nicht wiederzusehen. Heliade kann dann in Rom bei ihrer Großmutter bleiben . . . denn in unsern Plan paßt sie mit ihrer abenteuerlichen Neigung doch nicht mehr.«

»Nur nicht zu hastig, lieber Freund,« sagte Lady Arran sanft. »Vielleicht bringen die großen Eindrücke, die sie in Rom empfangen wird, auch eine große Wirkung in ihr hervor und lösen sie ab von kindischen Träumereien. Sie hat immer sehr einsam gelebt, einsam bei ihren Eltern, einsam bei der Baronesse Ruffach. Erst hier bei uns ist sie in einen jugendlichen Kreis eingetreten – und auch der umgibt sie nicht immer. In der Einsamkeit aber lebt das Herz lange von einen. starken Eindruck, weil kein neuer da ist, um ihn zu schwächen, zu verdrängen.«

So geschah es denn. Bryan O'Connor reiste sogleich nach dem Gespräch mit Lord Arran ab, während gegen Heliade mit keiner Sylbe, mit keiner Andeutung der Sache gedacht wurde. Lord und Lady Arran bewiesen ihr dieselbe Liebe, dieselbe Zärtlichkeit wie früher; kein Hauch von Verstimmung oder Erkältung trübte ihr gütiges Benehmen. Sie fragten auch nicht nach einer Lösung des unbegreiflichen Räthsels. Sie ließen über jene Eröffnung einen dichten Vorhang fallen und behandelten Heliade ganz wie früher. Sie wußten, daß Heliade durch diese Güte und dies Vertrauen zu unbegrenzter dankbarer Liebe gerührt werden würde – und knüpften daran unbestimmte Hoffnungen. Während der Graf zu Bryan O'Connor ging und ihm Heliadens ablehnende Antwort mittheilte, begab sich Lady Arran zu Heliade, welche sie in Thränen schwimmend auf ihrem Betschemel fand. Als Heliade statt der ernsten Vorstellungen, auf welche sie gefaßt war und welche sie in tiefer Demuth hinnehmen wollte, das liebreiche Wort hörte:

»Ich fürchtete wohl, Dich traurig zu finden, Heliade, und darum komme ich zu Dir. Gräme Dich nicht, trockene Deine Thränen, Du bist und bleibst unsere liebe Tochter, der wir vertrauen und von der wir hoffen, daß sie nie die Ehre Gottes und das Heil ihrer Seele über kleine Mädchenlaunen vergessen werde;« –

da sank Heliade mit einem Gemisch namenloser Empfindungen in Lady Arran's Arme. Denn ihr Gewissen gab ihr das Zeugniß, daß ihr die Ehre Gottes und das Heil ihrer Seele theurer gewesen sei, als ein süßes Liebesglück. Und während ihr das Vertrauen von Seiten ihrer Pflegeltern unsäglich wohl that, schmerzte es sie eben so tief, es nicht mit voller, aufrichtiger Offenheit beantworten zu können. Aber es war ja nicht ihr Geheimniß! ein fremdes offenbaren . . . das war Verrath des Vertrauens. Sie hatte Justinen ihr Wort gegeben, über Alles zu schweigen, was deren Correspondenz betraf: sie hielt es. Lag es im Plan Gottes, die räthselhafte Begebenheit zu enthüllen, die aus Mariano Torrigi . . . Peregrin Gorm – oder auch umgekehrt! – machte, so konnte das durch andere Mittel und Werkzeuge geschehen, als durch sie. Ihre Aufgabe war – schweigen! –

»O meine theure Mutter!« rief sie mit heißer Inbrunst: »Gott vergelte, mit welcher Liebe und Nachsicht Du mich behandelst! Vielleicht wird Er Dir dereinst offenbaren, daß ich dessen nicht ganz unwürdig bin.«

Damit war der Friede geschlossen und Lady Arran sagte zu ihrem Mann:

»Im Grunde weiß ich gar nicht, warum wir so sehr wünschen sollten, Heliade verheirathet zu sehen! Sie wird ja dadurch von uns getrennt, nicht bloß räumlich, sondern auch in ihren Interessen: Mann und Kinder gehen den Eltern vor. Hat eine Tochter Neigung zur Ehe – nun, so freut man sich, ihr Glück begründen zu können und übergibt sie mit großer Selbstverleugnung einem Gatten. Hat sie aber diese Neigung nicht, steht sie so ruhig und zufrieden aus ihrem Platz wie Heliade, so wollen wir uns doch recht freuen, sie behalten zu dürfen und die schöne, klare Stille ihres Wesens nicht verstören durch unzeitiges Drängen zum Ehestande.«

»Du hast ganz Recht, Magdalene!« entgegnete Lord Arran; »es ist viel schöner, wenn ein junges Mädchen sich im Elternhause glücklich fühlt, als wenn es, kaum erwachsen, sich sehnt nach dem eigenen Heerd. Allein bei Heliade ist ja der schreckliche Umstand mit dem Violinspieler im Hintergrunde; und der macht mir den Eindruck, als sei unser schneeweißes, zartes Hermelin in das garstige Netz einer ungeheuern, abscheulichen Kreuzspinne gerathen.«

»Welche übertriebene Vorstellung!« sagte sie lächelnd. »Ich habe bezüglich dieses Punktes große Hoffnung auf Rom gesetzt. Eine solche Reise wirkt mächtig auf ein junges, empfängliches Gemüth. Unter dem Schutt und der Größe von Jahrtausenden faßt der denkende Mensch seine Bestimmung ernster und höher als nach Jugendeindrücken und Liebesträumen auf.«

»Und des Contrastes wegen wollen wir unsern Weg über Paris nehmen. Dann kann sie Vergleiche anstellen und ihre Sympathien wählen. Bei ihr – nicht bei allen jungen Personen! – kann man das wagen.«

Heliade freute sich unaussprechlich zu der Reise. Für die Jugend hat das fremde Land, das da irgendwo hinter den dunkeln Bergen oder jenseits des blauen Meeres liegt, den vollen Zauber, den das Unbekannte mit all seinen Schätzen und Herrlichkeiten auf die Phantasie übt, welche noch nicht durch die Enttäuschungen der Wirklichkeit ernüchtert wurde. Ueberdies hatte Rom, als Colomba's Heimath, einen süßen Reiz für Heliade, die in ihrem Gedächtniß alle Jugenderinnerungen ihrer Mutter bewahrte. Ihr eigener früher Besuch bei der Großmutter, bevor sie mit den Eltern aus Florenz nach Dresden übersiedelte, hatte sich auf einige wenige Tage beschränkt, welche sie im Häuschen am Fuß des Celio verlebte, so daß ihr Rom für ihre Person etwas ganz Neues war. Sie studirte Beschreibungen, Bilder, Pläne von Rom – und diese Studien sollten dann an Ort und Stelle ganz gründlich fortgesetzt werden.

»Wenn uns nur kein Unfall zustößt, bis wir dort sind!« sagte sie zu Lord Arran; – »das Glück, in Rom zu sein, kommt mir für Katholiken so groß vor, daß ich noch gar nicht recht auf die Verwirklichung zählen mag.«

»Freue Dich getrost, Heliade!« erwiderte Lord Arran; – »mit Gottes Hülfe erreichen wir wohlbehalten die ewige Stadt. Aber vergiß nicht, daß sie auf unserer Erde, auf diesem kleinen, mittelmäßigen Planeten liegt, und daß diese Mittelmäßigkeit sich überall geltend macht, überall vordrängt, wo Menschen beisammen sind. Als ein Wunder der Gnade tritt uns zuweilen, flüchtig, vereinzelt, die Vollkommenheit entgegen – aber ihre Heimath ist nicht hienieden, wo überall der Tod, der physische, der seelische, ihr drohend entgegenstarrt. Ihre Heimath ist »das Land der Lebendigen« – wie die heilige Schrift so schön das ewige Leben nennt, das keinen Tod mehr zu fürchten hat. Vollkommenes Glück, vollkommene Tugend, vollkommener Friede für Alle und für immer entspricht nicht der Bestimmung des Menschen hienieden; – sie heißt Kampf.«

»Ja!« sagte Heliade, »sie heißt per aspera ad astra


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