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Die treue Tochter.

»Mein armes Kind, wie Du Dich ermüdest mit Deiner ununterbrochenen und so ganz nutzlosen Arbeit,« sagte Herr von Horburg zu Heliade, die emsig und aufmerksam mit Blumenmalerei beschäftigt war. Sie warf so eben mit leichtem Pinsel einen Zweig von rosenfarbenem Oleander auf graues Papier und die frische freie Behandlung der Zeichnung und der Farben verrieth viel Talent. Ohne von ihrem Blatt aufzusehen, antwortete Heliade:

»Meine Arbeit ist nicht unnütz, lieber Vater: sie verschafft uns hoffentlich Reisegeld nach Rom.«

»Wie viel haben wir dazu nöthig?« fragte er mit traurigem Lächeln.

»Genau weiß ich es nicht; aber doch wohl vier- bis fünfhundert Gulden,« erwiederte Heliade.

»Und wie viel hast Du bis jetzt ermalt?«

»O sehr wenig, lieber Vater! aber ich fange ja auch erst an! Mir gelingt noch nicht jedes Blatt. Ich wähle nur das Allerbeste aus, damit mein kleiner Pinsel einen guten Ruf bekomme.«

»Und für Dein allerbestes Blatt – was zahlt Dir die Kunsthandlung?«

»O Du mußt nicht fragen, was sie jetzt zahlt, lieber Vater, denn ein Gulden ist bitter wenig! Du mußt fragen, was sie zahlen wird – und das wird mit der Zeit ein Dukaten . . . ja das Doppelte und Dreifache sein! . . . und dann find wir bald am Ziel.«

»Ja, das ist richtig: dann sind wir bald am Ziel,« sagte er mit tiefer Schwermuth.

»Und in Rom wird ein unaussprechlich schönes und glückliches Leben für uns beginnen, mein geliebter Vater,« antwortete Heliade, ohne auf seinen schwermüthigen Gedanken einzugehen.

Der Schmerz und der Glaube hatten diesem Kinde eine Heldenseele gegeben. Heliade rang um ihren Vater mit allen ach, so starken Mächten der Irdischkeit. Seitdem sie das jammervolle Geheimniß seiner Seele wußte, betrachtete sie es als die Aufgabe ihres Lebens, das Werk zu beenden, das Gottes Barmherzigkeit an ihm durch ihre Mutter begonnen hatte. Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe: so spricht die heilige Schrift, – sagte Heliade zu sich selbst in dem Gedankengang, den sie immer verfolgte; – das Auge Gottes allein durchschaut die Verhältnisse, die Zeiten, die Einflüsse, unter denen wir leben und die auf uns wirken; es sieht also auch die entschuldigenden Gründe, an denen die Jugend meines armen Vaters so reich ist. Und deshalb will ihn die göttliche Barmherzigkeit nicht in seinem Elend lassen. Deshalb hat sie ihn mit meiner Mutter zusammengeführt. Deshalb hat sie mir durch meine Mutter einen so unüberwindlichen Glauben an die göttlich offenbarte Wahrheit der katholischen Kirche gegeben. Deshalb hat sie von mir das Opfer meiner Liebe und meines Erdenglücks verlangt – und da ein Opfer, um Gottes Willen gebracht, immer Kraft gibt: so verlangt sie jetzt von mir, daß ich, um meinen Vater von seiner schrecklichen Kette abzulösen, für ihn Ketten trage. Es hat Heilige gegeben, die sich selbst verkauften, um das Lösegeld armer Gefangener zu zahlen, die in Gefahr schwebten, bei den Ungläubigen ihren Glauben zu verlieren. So weit mir das möglich ist, will ich mich auch verkaufen! Meine Zeit, meine Arbeit, mein Talent, meinen Fleiß will ich verkaufen, um die Summe zu erwerben, die unsere Reise nach Rom ermöglicht. Sind wir dort, o, dann leben wir bei meiner Großmutter und mein armer Vater wird sicher dann zum Entschluß kommen, seinen Glauben nicht länger um eines armseligen Jahrgeldes willen zu verleugnen. Es werden vielleicht Jahre darüber hingehen, aber ich bin jung und muthig – und der liebe Gott, der meinen guten Willen sieht, wird gewiß die Barmherzigkeit haben, meinen Vater so lange leben zu lassen, bis seine arme Seele gerettet ist.

Und so machte sich denn Heliade an ihr Werk mit einer Geduld, einer Beharrlichkeit, einer Selbstverläugnung, einer Liebe, von deren hoher Tugend sie selbst keine Ahnung hatte und die ihr Vater kaum zu würdigen verstand. Sein Gewissen ließ ihm freilich in Betreff seiner Apostasie keine Ruhe, aber die lange Einschläferung hatte es jener Feinheit beraubt, die zur Genugtuung drängt und die um jeden Preis mit der Sünde, mit der Gottesbeleidigung bricht. Er meinte, Heliade sei eher eine gute Katholikin, als eine gute Tochter zu nennen, weil sie nur ihre Liebe, nicht ihren Glauben geopfert habe, während die Rücksicht auf ihn und die äußern Umstände das Gegentheil von ihr gefordert hätten. Dennoch konnte er sich einer gewissen Ehrfurcht vor diesem jungen Mädchen nicht erwehren, das der Liebe eines edlen Mannes, den heißen Wünschen des Vaters, der Neigung des eigenen Herzens, der glänzendsten Stellung in der Welt unerschütterlich widerstand, weil es eine Trübung des Glaubens, eine Gefahr für die Seele darin erkannte. Welchen unerhörten Werth mußte Heliade auf die idealen Güter legen, um den realen so vollkommen zu entsagen. Er begriff noch immer nicht, daß die idealen Güter die wirklichen, die wahrhaften, die unvergänglichen sind. Ja, zuweilen schien es ihm, als sei Heliadens Anschauungs- und Handlungsweise ein beständiger Vorwurf für ihn, eine Verurtheilung seines Verfahrens – und dann war er bitter und quälend für Heliade, obschon sie weit entfernt war, ihn zu richten und nur besorgt, ihn zu entschuldigen. Eine gewisse Grämlichkeit, die sich in Folge innerer, andauernder Verstimmung, des Mißmuths über sich selbst und der geistigen Unthätigkeit bei Horburg einstellte, machte Heliaden das schwere Leben noch schwerer. Aber sie dachte: Er ist ja so unaussprechlich unglücklich! das erdrückt ihn! ich muß ihn jetzt mehr denn je lieben und es ihm zeigen.

Ihr Lehrer war ein ausgezeichneter Blumenmaler. Seine Aquarelle gingen in die Kunsthandlungen von Frankfurt und Mannheim und von dort in alle eleganten Albums reisender Engländerinnen – und auch solcher Personen über, welche die anmuthigen Blätter nach ihrem künstlerischen Werth – nicht bloß nach ihrer Modeberühmtheit zu schätzen wußten. Herr Willbald hatte viel Freude an Heliadens Talent, das sich schon in Dresden bei einem tüchtigen Meister sehr glücklich entwickelt hatte. Er wiederholte oft, sie sei seine beste Schülerin, sie mache seinem Unterricht Ehre, sie werde ihn dereinst überflügeln. Als aber Heliade, ermuthigt durch dies Lob, ihn einmal fragte, ob er wohl glaube, daß ein Blatt mit einer Handvoll Schneeglöckchen, das ihr besonders gut gelungen war, einen Käufer finden werde, wenn sie es einer Kunsthandlung gebe – da machte Herr Willbald große Augen und entgegnete trocken, dazu sei sie noch lange nicht reif. Ueberdas sei sie ein unbekanntes Talent und er dürfe natürlich nicht seinen Namen auf ihre Blätter setzen – das hieße den Käufer betrügen; und ebenso wenig eine junge Dilettantin als Künstlerin empfehlen – das hieße die Kunsthandlung betrügen. Heliade erkannte sofort, daß Herr Willbald nicht die geringste Lust habe, ihr seinen Schutz angedeihen zu lassen. Sie sagte ruhig:

»Ich hätte gern einige meiner besten Blätter verkauft; denn ich wünsche vier bis fünf Stunden in der Woche bei Ihnen zu nehmen, weil ich mit zwei Stunden, wie bisher, nicht so vorwärts komme, wie ich es wünsche. Meinem Vater kann ich aber unmöglich die verdoppelte Ausgabe zumuthen.«

Herr Willbald zuckte die Achseln und schwieg. Heliade war aber entschlossen, wenn nicht von seiner Protection, so doch von seinem Unterricht so viel wie möglich Vortheil zu haben, und sie nahm wirklich vier Stunden in der Woche bei Herrn Willbald. Das Geld verschaffte sie sich dadurch, daß sie auf Alles verzichtete, was in ihrem Anzug über der knappsten Notwendigkeit lag und daß sie in den Abendstunden Stickereien im Auftrag von Weißzeug- und Tapisseriehandlungen anfertigte. So war sie immer angestrengt für ihr hohes Ziel in Thätigkeit, und weil sie dasselbe mit aller Kraft ihrer reinen Seele umfing, so löste diese Energie sie von dem langen Verweilen der Gedanken bei ihrem eigenen Schicksal ab. Es war ein Sommertraum! sprach sie zu sich selbst, wenn ihr einmal das junge Herz in dem ernsten mühsamen Leben, das sie führte, so schwer wurde, daß es ihr eine Thräne in's Auge drängte; – und es gibt ganz andere Dinge hienieden zu thun, als lieblich zu träumen. Ich habe auch in den Adern O'Connor-Blut; darum per aspera ad astra! mein Gestirn geht auf, sobald mein Vater vor einem katholischen Altar knien wird. Bis dahin verzichte ich auf Alles, was man Glück zu nennen pflegt. Und dann? – – ja, dann verzichte ich wieder darauf – bis er vor einem katholischen Altar gläubig kniet.

So tief hatte sich mit dem göttlichen Glauben und mit der heiligen Liebe die himmlische Hoffnung in Heliadens Seele gesenkt! –

Ein Jahr hatte sie nun in dieser Weise an der Seite ihres grämlichen Vaters verlebt, da kam sie eines Tages freudig zu ihm und sagte, indem sie ihn zärtlich umarmte und ein kleines Papier vor ihn hinlegte:

»Sieh, Papa, dies ist der Anfang meines Schatzes zur Reise nach Rom. Ich habe einige von meinen Aquarellen an eine Mannheimer Kunsthandlung geschickt – und dies dafür bekommen.«

Horburg schlug das Papier auseinander: es lagen fünf Gulden darin.

»O mein armes Kind, das für Geld arbeitet!« sagte Horburg mit tiefem Schmerz.

»Warum denn nicht, mein lieber Vater? die Arbeit Deiner Feder ist ja auch bezahlt worden.«

»Ich bin ein Mann, Heliade! dem Manne liegt es ob, für die Seinen so oder anders zu arbeiten. Aber ein junges Kind, wie Du . . . das ist schrecklich!«

»O gönne mir doch mein Glück!« sagte sie mit liebestrahlenden Augen.

Aber nicht immer nahm er die Sache so gut auf. Häufig quälte er sie durch Geringschätzung ihrer Arbeiten und bittere Bemerkungen über deren schwachen Erfolg. Und wenn er es denn dahin gebracht hatte, daß sich ein Schatten von Wehmuth über Heliadens schönes seelenvolles Antlitz legte, so hätte er gegen sich selbst wüthen mögen über seine unsinnige Barbarei. Der Unfriede einer zerrissenen, verwüsteten Natur durchdrang sein ganzes Wesen und floß in seinen Worten über.

Als Heliade mit so froher Zuversicht von ihrem glücklichen Leben in Rom sprach, entgegnete er:

»Es ist unbegreiflich, daß Deine Großmutter es nicht möglich macht, für das Reisegeld zu sorgen, da sie doch weiß, daß wir durch die Uebersiedelung nach Heidelberg und die Krankheit Deiner armen Mutter beschränkter denn je in unsern Mitteln sind.«

»Sie lebt ja auch in großer Beschränkung,« sagte Heliade, »nachdem sie vor einigen Jahren meinem Onkel Reginald das kleine Erbe gab, das er nach ihrem Tode erhalten hätte, damit er im Stande sei, auf seiner Mission in Peru ein Kloster, eine feste Station für seinen Orden, zu gründen. Noch in ihrem letzten Brief schrieb sie so liebevoll, daß sie zu jeder Stunde bereit sei, uns ein Plätzchen in ihrem kleinen Hause einzuräumen und Alles mit uns zu theilen.«

»Ich weiß wirklich nicht, ob ich je darauf eingehen werde, Heliade. Stelle Dir nur vor, welche beengte Existenz wir da führen müssen – mit Deiner Großmutter und ihrer frommen Genossenschaft.«

»Sie wird es schon so einrichten, daß Du, lieber Vater, Dich ganz zufrieden fühlen wirst,« entgegnete Heliade. »Und dann mußt Du auch das Glück der inneren Befreiung in Anschlag bringen. Das wird Dir eine Zufriedenheit geben, die Dich leicht über kleine Unbequemlichkeiten hinweghebt.«

»In wie ganz anderem Maß könnte das bereits geschehen sein,« rief Horburg heftig; »wie könnte ich zufrieden mit mir selbst und mit Deinem Schicksal sein – ohne Deinen Eigensinn!«

»Was hätte Dir diese Zufriedenheit genützt, mein lieber Vater,« sagte Heliade sanft und traurig, »wenn Gott nicht mit uns zufrieden gewesen wäre.«

»Deine Gewohnheit, mir immer mit »Gott« zu antworten, ist unleidlich!« brach er aus. »Freilich ist es sehr bequem, sich mit dem Ungehorsam hinter Gott zu verschanzen – aber es bleibt das Räthsel übrig, was Du gewonnen hast durch Eigensinn und Ungehorsam.«

Heliade unterdrückte die Thränen, die in ihrer Stimme zittern wollten, und sagte liebevoll:

»Der Tag wird kommen, der Dir dies Räthsel löset.«

»Ah, Du gibst also zu, eigensinnig und ungehorsam gewesen zu sein?«

»Ich schweige darüber, lieber Vater.«

»Das Schweigen ist auch unerträglich! es hat in diesem Falle einen Beigeschmack von Verachtung.«

»So will ich denn sagen, daß ich die feste Ueberzeugung habe, meine Mutter würde mir keine Vorwürfe machen.«

»Da hast Du Recht, Heliade!« sagte Horburg plötzlich besänftigt. »Nein . . . nicht Dir, wohl aber mir würde Deine herrliche Mutter Vorwürfe machen. O, mein armes Kind! ich bin Eurer nicht werth.«

»Sprich nicht so, mein geliebter Vater!« rief Heliade, verließ ihre Malerei und kniete vor ihm nieder; – »vergib mir nur den scheinbaren Widerspruch, in welchen ich zuweilen mit Dir gerathe! Er ist gewiß nur scheinbar . . . denn in Deinem Herzen gibst Du meiner Mutter ja Recht – und weil ich das weiß, so habe ich die Kraft, Deine Vorwürfe schweigend zu tragen.«

Horburg legte die Hand auf Heliadens Haupt und sagte, indem er ihr tief in's Auge sah:

»Eine solche Tochter hab' ich . . . ein solches Weib hatte ich . . . warum denn geht meine Seele nicht auf ihren himmlischen Wegen?«

»O versuche es, theurer Vater!« rief Heliade freudig; – »o wirf die häßliche Kette ab, die Dich zu Boden drückt, die Deine Schritte hemmt, die einzig und allein Dich unglücklich macht! wirf Dich in die Arme der göttlichen Vorsehung! ihre Barmherzigkeit läßt Niemand untergehen« . . . –

»Aber verhungern, Heliade, verhungern läßt sie doch zuweilen die Leute!« sagte Horburg abbrechend. »An mir läge nicht viel! daß aber sein Kind, sein einziges, sein vielgeliebtes, nicht verhungere . . . dafür muß der Vater sorgen. Hast Du das Reisegeld nach Rom beisammen, so gehen wir zu Deiner Großmutter . . . und dann schüttele ich die Kette ab. Das verspreche ich Dir! Aber erst dann! Es wäre Wahnwitz, Dich und mich in den Abgrund der äußersten Noth zu stürzen – das kann Gott unmöglich von einem Vater verlangen.«

Heliade erkannte zu klar ihres Vaters Kraftlosigkeit, um ihn zu einem Schritt zu drängen, gegen den er sich so sehr sträubte; sie würde ihn nur mehr und mehr in den Widerstand hineindrängen. Doch sagte sie:

»Meinst Du aber nicht, daß Du durch Deine literarischen Arbeiten im Stande sein könntest, uns vor Noth zu schützen? Sei der Ertrag noch so gering – wir nehmen vorlieb! und Du hättest dann doch wieder eine geistige Beschäftigung, die Dich zerstreuen und, um des Zweckes willen, erfreuen würde.«

»Ich habe kein schriftstellerisches Talent – und wo das fehlt, ist die Federarbeit eine Marter.«

»Ein wissenschaftliches Werk zu übersetzen, wäre gewiß keine Marter für Dich.«

»Es wäre aber eine jahrelange Arbeit, die ich schwerlich zu Ende brächte. Ich bin neunundsechszig Jahr alt: da schrumpft der Horizont des Lebens ein.«

Wenn Heliade an das Alter ihres Vaters und an seine Neigung zur Unthätigkeit dachte, die ein Zeichen ist, daß sich bei Menschen, welche früher sehr thätig und beweglich waren, die Last des Alters fühlbar macht: so erschauderte sie, weil der Gedanke ihr dann nahe trat, der Tod könne ihn abrufen, ehe die Reise nach Rom zu ermöglichen sei. In heißen Gebeten flehte sie zu Gott, nur diesen Kelch von ihr zu nehmen, und sie verdoppelte ihre Arbeit, ihre Anstrengung sowohl, wie ihre Sorgfalt und Zärtlichkeit für den Vater.

Der Arzt, der ihre Mutter behandelte, hatte eine herzliche Theilnahme für Heliade gefaßt, und obschon er mit Geschäften überhäuft war, so kam er doch bisweilen zu Horburg, um zu fragen, wie Vater und Tochter lebten. Nach einem dieser Besuche schrieb er an Heliade, er hätte Herr von Horburg in vier, fünf Monaten nicht gesehen und fände, daß derselbe während dieser Zeit auffallend abgenommen habe. Er sei zwar nicht krank, wohl aber ein erschöpfter Organismus. Sie möge Sorge tragen, daß er durch starken Wein und kräftige Speise gestützt werde.

Heliade erzitterte bis in's Herz hinein bei dieser Nachricht. Es war ja ein doppelter Schmerz! Das Leben ihres Vaters schien bedroht und es war ihre Pflicht, alle Mittel anzuwenden, zu denen der Arzt rieth. Da diese aber wahrscheinlich ihre kleinen Ersparnisse in Anspruch nehmen würden, so trat die Reise nach Rom, die sie als seine und ihre Erlösung betrachtete, in nebelhafte Ferne. Mein Gott, verlaß uns nicht! seufzte sie aus tiefster Seele.

Es war wieder Frühling geworden . . . ein Frühling so schön wie der, welcher vor zwei Jahren ihre Mutter in's Grab gelegt und Peregrin nach Heidelberg geführt hatte. Trotz aller Pflege, die sie während des Winters ihrem Vater zugewendet hatte, mußte sie sich gestehen, daß seine Kräfte beinahe ersichtlich abnahmen. Der Arzt verordnete ihm, viel im Freien zu sein, spazieren zu fahren, zu gehen. Das Alles that er nicht ohne Heliade. Sie mußte immer an seiner Seite sein, ihn am Arme führen, ihm vorlesen. Dadurch blieb ihr so wenig Zeit für ihre Aquarellen, daß fast nichts fertig wurde. Der kleine Erlös deckte kaum die Spazierfahrten, die täglich gemacht wurden. Dem Leibe nach erhielt sie ihren Vater; doch was wurde aus seiner Seele?

Er kannte seinen Zustand, ohne zu einem Entschluß zu kommen. Er sprach öfter von seinem Tode, aber immer mit dem Zusatz:

»Ich hoffe bis zum Spätjahr zu leben. Dann ist meine Pension fällig und ist die einmal ausgezahlt, so hast Du das Reisegeld nach Rom, armes Kind.«

»O lieber Vater,« seufzte Heliade, »quäle Dich nicht um zeitliche Dinge und denke an die Ewigkeit.«

»Ich denke an sie, Heliade, und ich will als Katholik sterben . . . das verspreche ich Dir.«

»Ach, mein lieber Vater, entspricht eine solche Bekehrung auf dem Sterbebett der großmüthigen Liebe, die unsern göttlichen Heiland in sein bitteres Leiden und Sterben getrieben hat?«

»Nein, mein armes Kind, sehr wenig. Aber gesetzt den Fall, daß ich mich jetzt bekehrte, und etwa noch ein Jahr lebte . . . oder zwei – und die Pension bliebe nun aus . . . dann wären wir ja am Verhungern.«

Heliade rang die Hände in stummer Trostlosigkeit. Konnte ihr Vater nicht eines Abends erschöpft einschlafen – und nicht wieder erwachen? Wem ist die Zusage gemacht worden, daß er auf dem Todesbett kräftig genug am Körper und klar genug am Geist sein werde, um mit vollem Bewußtsein die Sacramente der Kirche zu empfangen? Geht ein Leben im Glauben dem unvorbereiteten Tode vorher: so darf man hoffen, daß der Mensch im Stande der Gnade abgeschieden sei und zur ewigen Seligkeit gelangen werde. War aber das Leben vom Glauben abgewendet, ja entschieden abgefallen: so ist keine Hoffnung vorhanden, daß die unglückliche Seele, die sich im Erdenleben freiwillig von Gott und seiner Liebe getrennt hat, ihn in der Ewigkeit finden und schauen werde. All diese schrecklichen Gedanken bestürmten Heliade und zuweilen mit solcher Heftigkeit, daß sie die Versuchung hatte, an sich selbst irre zu werden – und sich fragte: Hätte ich nicht besser gethan, meine Seele vielleicht in Gefahr zu bringen, um die meines Vaters gewiß zu retten? . . . Habe ich Böses angestiftet, indem ich das Rechte thun wollte? . . . Habe ich umsonst das Opfer des irdischen Glückes gebracht? – – Dann flüchtete sie zu dem Tabernakel des Gottes, in welchem die Wahrheit und die Liebe untrennbar Eines sind – und hatte sie dort ihr Herz in Thränenströmen ausgegossen, so blieb ihr zwar ihr Kreuz mit seinen Wunden und Schmerzen, allein sie fand den Frieden wieder, der Denjenigen nie dauernd fehlt, die dem ersten Gebot treu sind und »keine Götter haben neben Ihm.« Unfriede ist nur da, wo den falschen Götzen gedient wird.

Heliadens heißester Wunsch ging dahin, ihrem Vater zu beweisen, daß sie ohne dies unselige Jahrgeld leben könnten und daß sie im Stande sei, mit ihrem Pinsel und ihrer Nadel den Lebensunterhalt zu erwerben. Mit der Morgendämmerung brach sie ihren Schlaf ab und arbeitete ungestört einige Stunden, bis das Glöckchen erklang, das sie zur heiligen Messe rief. In der halben Stunde sammelte sie sich Kraft und Gnaden für ihr mühsames Tagewerk und heiter und zärtlich begrüßte sie heimkehrend ihren Vater und ordnete sich dann ganz seinen Bestimmungen, seinen Einfällen, seinen Launen unter, was denn freilich ihre Arbeiten sehr unterbrach und ihnen keinen regelmäßigen Verlauf gestattete. Bestellungen, die für eine bestimmte Zeit fertig sein mußten, durfte sie nicht annehmen, weil sie nicht Herr ihrer Zeit war. Der für ein weibliches Wesen ohnehin unerhört schwere Erwerb des Lebensunterhaltes war ihr dadurch unmöglich gemacht. Und sie durfte nicht einmal äußern, wie sehr viel ihr an der Arbeit liege, weil ihr Vater alsbald gesagt haben würde, ein solches Unternehmen sei wahnsinnig und führe zu nichts weiter, als zum Ruin ihrer Gesundheit. Sie mußte erkennen, daß es ihr unmöglich sei, den Ausfall des Jahrgeldes durch ihre Handarbeit zu decken – und zugleich einsehen, daß sich das Leben ihres Vaters immer schneller dem Ende zuneige.

In der Mitte des Sommers konnte er das Bett nicht mehr verlassen. Er fühlte seinen Zustand und gab sich keiner Täuschung über seine zunehmende Schwäche hin. Aber seine Hoffnung, bis zum Spätjahr zu leben, war förmlich zur fixen Idee geworden.

»Wenn die herbstlichen Stürme kommen und die welken Blätter fortfegen, dann nehmen sie mich mit, mein armes Kind.«

»Leben und Tod liegen in der Hand Gottes,« entgegnen sie sanft. »Er weiß die Stunde, mein lieber Vater . . . nur Er.«

»Sei ruhig, armes Kind! ich verspreche Dir, daß ich – nicht in Rom, denn dahin komme ich nicht mehr – sondern in der Stunde, die mir mein Jahrgeld bringt, das Glaubensbekenntniß der katholischen Kirche ablegen werde.«

»Geliebter Vater!« rief Heliade neben seinem Bett auf die Knie sinkend; – »handle edel nach der Seite der Welt hin! handle großmüthig mit Gott! Thue das, wozu Dein Gewissen Dich drängt ohne Bedingung. Jenes Jahrgeld, das Dir, dem Protestanten, ausgezahlt wird, gehört Dir nicht mehr, da Du im Herzen Katholik bist.«

»Das bin ich vor Gott! vor den Menschen bin ich es erst, nachdem ich das trennende Glaubensbekenntniß ausgesprochen habe.«

»Das ist ganz richtig . . . und eben deßhalb solltest Du nicht zögern, das Aeußere mit dem Innern in Uebereinstimmung zu bringen. Mit der Halbheit erringst Du den Himmel nicht – und die Menschen würden gering von Dir denken.«

»Wenn die Menschen ein Kind haben, dem sie einen Zehrpfennig hinterlassen wollen, so werden sie das nicht thun, Heliade.«

»Lieber Vater, Du zwingst mich Dir zu erklären, daß ich von jenem Blutgeld Deiner armen Seele, sobald es Gott gefällt, Dich aus dem sterblichen Leben zu rufen, nicht einen Kreuzer nehmen oder behalten werde,« sagte sie mit sanfter Entschiedenheit.

»O das unselige Kind! . . . es will in Hunger und Elend umkommen!« seufzte Horburg matt.

»Nein, lieber Vater, das will ich nicht!« sagte Heliade bestimmt. »Ich kann und ich will arbeiten . . . und dann den lieben Gott von einem Tage zum andern für mich sorgen lassen. Dann bin ich besser versorgt, als wenn ich Millionen hätte . . . denn die kann ich verlieren, aber die Vatersorge meines Gottes verliere ich nicht.«

Es trat plötzlich eine große Veränderung in Horburgs Antlitz. Seine Züge verloren den Ausdruck von Erschlaffung und seine Augen die Mattigkeit, die auf ihnen lag. Er that einen tiefen Athemzug, legte die Hand aus Heliadens Haupt und sagte:

»Geliebtes Kind, Du sollst nicht einen Vater haben, der Deiner ganz unwürdig wäre! Gehe und bitte Deinen Beichtvater sogleich zu mir.«

Heliade taumelte vor Entzücken, vor Ueberraschung. Sie sprang auf . . . dann blieb sie wieder stehen und sah ihren Vater halb zweifelnd, halb selig an. Eine Frage aussprechen konnte sie nicht; die Wellen der namenlosesten Freude gingen zu hoch in ihrer Brust.

»Gehe nur – und bitte ihn, zu mir zu kommen,« sagte Horburg liebreich. »Ich weiß nicht, wie es gekommen ist . . . aber als Du eben von Deinem Gottvertrauen sprachst . . . da ergoß es sich auch in meine Seele und alle irdischen Rücksichten sind mir plötzlich untergegangen.«

In tiefster Andacht und Demuth fiel Heliade auf die Knie, drückte die Hand ihres Vaters an ihre Lippen und vollzog dann seinen Auftrag.

Der Geistliche kam zu Horburg und kam wieder und wieder zu ihm; und je öfter er kam, desto sanfter, stiller und froher wurde der Kranke, desto mehr löste sich der Wust der Welt, der Rost der Gottentfremdung, der Druck des belasteten Gewissens von ihm ab – und in demselben Maß traten heller die Züge der Kindschaft Gottes an ihm hervor. Wie eine Selige, die nichts mehr von Erdenleid weiß, webte und waltete Heliade um ihren Vater; – und als der Wonnetag kam, der ihm den Leib des Herrn brachte, da sagte sie nur:

»O, könnten wir jetzt zusammen sterben! denn etwas Höheres gibt es hienieden nicht.«

Horburg lebte noch mehrere Wochen, fast immer in großen Qualen, denn die Brustwassersucht hatte sich entschieden ausgebildet; – aber immer in großem Seelenfrieden. Seine Gespräche mit Heliade berührten nichts Irdisches mehr. Demüthiges Glauben und Hoffen erfüllten die arme Seele, die so lange, lange Jahre in ihrem Hochmuth fern von jedem, dem ewigen Leben entnommenen, tröstlichen und erhebenden Gedanken gewesen war. In Heliadens Brust wechselte die Jubelhymne beständig mit dem Klagelied ab. Jetzt, da sie so recht ihren Vater gewonnen hatte – jetzt sollte sie ihn verlieren! Es schien, als habe er das Bedürfniß, ihr alle Liebe auszusprechen, an der er sie, in seinen finstern Zeiten, so sehr hatte darben lassen und oft klagte er sich gegen sie an und bat sie um Verzeihung wegen seiner bittern Worte und rauhen Behandlung.

»Ich übertrug die Unzufriedenheit mit mir selbst auf Alles, was mich umgab,« sagte er, »und deshalb, mein armes Kind, hast Du viel leiden müssen.«

»O nichts, nichts – nichts hab' ich gelitten im Vergleich zu meinem Glück!« rief Heliade.

»Doch! doch! Du hast viel gelitten, Kind, sonst könntest Du jetzt nicht so glücklich sein; denn das übernatürliche Glück ist eine Blüthe, die ans dem Kreuz hervorbricht. Du hast es getragen für Dich und für mich – und sieh! nun sind wir Beide glücklich! O, solch ein Glück verdanken wenig Väter ihren Kindern.«

»Meine Mutter hat es mir erfleht,« sagte Heliade tief bewegt; »sie hat ohn' Unterlaß vor dem Thron Gottes für uns gebeten.«

Die Flamme des irdischen Lebens sank und sank, und je näher sie dem Verlöschen war, umsomehr faßten Vater und Tochter das Wiedersehen in's Auge – und als es erlosch, war Heliaden zu Sinn, als sei nicht der friedliche Tod, sondern das unfriedliche Leben ihrer Thränen werth. – – –

Aber sie befand sich jetzt sowohl in der äußersten Verlassenheit, als in der äußersten Armuth. Die langwierige Krankheit des Vaters und die Kosten des Begräbnisses hatten ihre Kasse vollkommen erschöpft. Mit der größten Einfachheit theilte sie dem Arzt, der ein sehr wohlwollender Mann und ihr sehr zugethan war, ihre Verhältnisse mit und sagte:

»Ich bin darauf angewiesen, mir mein Brod zu erwerben und mit Gottes Hülfe werde ich es ganz gut können. Die Hauptsache wäre nur, daß ich ein anständiges Unterkommen fände . . . irgend eine Stelle als Gesellschafterin, als Pflegerin einer Kranken oder dgl. – Hab' ich nur erst Dach und Fach, so werde ich schon nach und nach mein Reisegeld nach Rom zusammenbringen – und bei meiner Großmutter bin ich dann gut aufgehoben. Dahin muß ich streben. Hier sind ja immer viel Kranke der berühmten Aerzte wegen . . . und auch viel Reisende und Fremde. Es wäre nicht unmöglich, bei ihnen eine Stelle zu finden. Bitte, denken Sie an mich, Herr Doctor, wenn Sie von etwas Passendem hörend

Der Doctor versprach es, ganz bekümmert über die tiefe Verlassenheit der armen Heliade, die auf der weiten Welt Niemand hatte, als eine mittellose Großmutter im fernen Rom. Heliade verlor aber nicht den Muth. Das ist der irdische Vortheil der geprüften Seelen: Wo andere verzagen oder rathlos sein würden, legen sie Hand an's Werk. Die Hausfrau, bei der sie gewohnt hatte, seitdem sie in Heidelberg war, gab ihr ein ganz kleines Zimmerchen, in welchem sich Heliade sogleich mit ihren verschiedenen Arbeiten niederließ und vom frühen Morgen bis zum späten Abend durch nichts unterbrochen, als durch ihren Morgengang zur heiligen Messe, malte und stickte.

Nach zwei Tagen kam der Doctor und sagte:

»Eine Stelle soll besetzt werden, Fräulein Heliade; aber ob sie angenehm ist, weiß ich nicht.«

»Man muß es versuchen,« sagte sie freundlich.

»Seit einiger Zeit hält sich hier eine Baronesse Ruffach auf, um die Traubencur zu brauchen. Sie ist blind und will sich operiren lassen, wenn der Staar dazu reif geworden ist. Sie sucht eine gebildete Lectrice, die ihr vorlesen und der sie ihre Correspondenz dictiren könne – also eine anständige und zuverlässige Dame.«

»Das wäre ja vortrefflich, Herr Doctor!« rief Heliade. »Gewiß werden sich viele Personen für die Stelle melden! Wenn ich sie nur bekomme!«

»Aber es wird eine gar mühselige Stelle sein – bei einer Blinden! Haben Sie das überlegt?« sagte er mitleidig.

»Auf einige Mühe muß ich mich freilich gefaßt machen,« entgegnete sie ruhig; »aber die gehört nun einmal in den Plan, den der liebe Gott mit mir hat. Bietet sich mir ein anständiges Unterkommen, Herr Doctor, so darf ich vor keiner Mühe zurückschrecken.«

»Dann will ich Ihnen nur sagen, daß die Baronesse Ruffach Sie zu einer Besprechung erwartet und sehr geneigt ist, Ihnen den Vorzug zu geben, weil Sie von adliger Familie und von feiner Erziehung und Bildung sind. Ich kann Sie sogleich zu ihr führen.«


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