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Im grünen Erin.

In einer Kunsthandlung zu Heidelberg saß eine bejahrte Dame in Trauerkleidern und blätterte in einer großen Mappe, aus der sie einige Ansichten der Schloßruine wählte und bei Seite legte. Ein Mann ihres Alters stand neben ihr und sah andere Mappen durch. Beide hatten keine Spur von Aehnlichkeit in den Zügen; aber im Ausdruck von durchschmerzter Milde waren sie einander so gleich, daß man auf den ersten Blick ein Ehepaar erkannte, welches mit einem Herzen und einer Seele die Pilgerfahrt durch's Leben im Wechsel trüber und lichter Tage machte. Plötzlich legte der Herr ein Blatt vor der Dame hin und zeigte auf den Namen, der es in feinster Schrift unterzeichnete. Sie las diesen Namen. Er hieß Heliade von Horburg.

»Wo lebt die Malerin dieses schönen Blumenstücks?« fragte der Herr den Verkäufer.

»Sie lebt hier seit einigen Jahren.«.

»Und als Malerin von Profession?«

»Das nicht! Sie ist Dilettantin und hält sich seit einem halben Jahr nach dem Tode ihres Vaters als Gesellschafterin bei einer fremden Dame auf.

Die Dame gab dem Herrn das Blatt zurück und sagte auf englisch:

»Da hätten wir sie ja ganz leicht gefunden! laß uns zu ihr gehen.«

Sie kauften einige Blätter, fragten nach dem Namen der Adresse der Dame, bei welcher sich Heliade aufhalte und fuhren zur Baronesse Ruffach. Jacob trat ein und meldete, daß der Graf und die Gräfin von Arran einen Besuch bei Fräulein von Horburg zu machen wünschten. Da Heliade freudig sagte:

»Ein alter Freund meiner Familie, gnädige Baronesse!« so mußte sich Justine die Störung gefallen lassen und den Genuß unterbrechen, den sie bei Heliadens Zeitungslectüre hatte.

Jacob führte den Grafen und die Gräfin nach dem kleinen engen Zimmer, wo Heliade sie mit kindlicher Freude begrüßte. Obschon sie ihn nie gesehen, wußte sie, daß der Graf von Arran der beste Katholik Irland's und der treuste Freund ihrer Großeltern sei. So war denn bald eine herzliche Bekanntschaft gemacht und die Gräfin sagte zu Heliade:

»Wir haben Ihnen im Namen Ihrer lieben Großmutter einen Vorschlag zu machen, den ich mit der dringendsten Bitte unterstütze. Wir möchten Sie gern zu ihr nach Rom führen . . . aber mit einem kleinen Umweg über Irland, damit Sie die Heimath der O'Connor doch auch kennen lernen.«

Heliade warf einen flüchtigen Blick voll namenloser Dankbarkeit auf ein kleines Cruzifix, das über einem Tischchen hing, auf welchem Gebetbücher, Bildchen und kleine fromme Gegenstände lagen. In diesem Blick sprach sie die Leidenstiefe aus, in welche sie sich ruhig und schweigend gefügt hatte, bis es Gott gefallen werde, sie zu befreien. Die Gräfin verstand Alles, was Schmerz hieß. Sie nahm sanft Heliadens Hand und sagte zärtlich:

»Kommen Sie nur! Sie sollen bei uns eine liebe Tochter sein.«

»Und im nächsten Jahr bringen wir Sie nach Rom,« setzte der Graf hinzu; »denn wir kehren dahin zurück, weil unser letzter lieber Sohn dort zur ewigem Ruhe gegangen ist.«

Heliade kniete sanft vor der Gräfin nieder, küßte deren Hände und sagte mit leisem Weinen:

»Wie viel Thränen auf Erden . . . und wie viel Gnaden.«

»Ja, Kind!« entgegnete die Gräfin; »aber der Gnaden sind mehr als der Thränen! . . . wir erkennen sie nur nicht immer so deutlich. Aber das ist gewiß: ohne Thränen gibt es keine Gnaden!«

»Wie glücklich uns Alle die Bekehrung und der selige Tod Ihres Vaters machten, können Sie sich vorstellen. Das war auch eine Gnade, welche durch Ströme von Thränen errungen ist,« sagte der Graf.

»Kannten Sie meinen guten Vater?« fragte Heliade.

»Ich kannte ihn genau,« erwiderte die Gräfin, »ich heiße Magdalene de Coëtcan. Er war lange der Gast meines Vaters und ein treuer Waffengefährte meines Bruders in den Kriegen der Vendée.«

»Und meine Empfehlung öffnete ihm das Haus Ihrer Großeltern in Rom,« setzte der Graf hinzu. »Sie sehen also, daß Sie tausend Beziehungen zu uns haben, liebe Heliade, und nicht unter Fremden, sondern unter Ihren ältesten, besten Freunden leben werden.«

»Nicht wahr, Sie kommen sogleich mit uns?« sagte die Gräfin zärtlich. »Wir möchten morgen weiter reisen.«

»Ach, dann werde ich Sie schwerlich begleiten können!« seufzte Heliade. »Die Dame, bei der ich mich aufhalte, muß sich nächstens einer Augenoperation unterziehen; – da kann ich sie nicht verlassen.«

»Aber, liebes Kind,« sagte der Graf lebhaft, »die Dame wird einsehen, daß es sich hier um Ihre ganze Lebensstellung handelt, die sich fortan anders gestalten wird, als die einer Gesellschafterin. Sollte sie dazu nicht freudig durch Ihre Entlassung die Hand bieten?«

»Sie hat sich an mich gewöhnt,« entgegnete Heliade ausweichend; – »und sie ist blind und hülflos.«

»Sie werden doch nicht glauben, mein Fräulein, daß wir uns Ihretwegen wochenlang hier aufhalten werden?« rief der Graf ungeduldig. »Wir hatten gehofft, Sie würden uns gern begleiten.«

»Es würde all meine Wünsche erfüllen . . . ach! weit übertreffen,« sagte Heliade sanft und traurig. »Ist es denn aber auch recht, eine Blinde in diesem für sie so beängstigenden Augenblick zu verlassen?«

Die Gräfin sagte gerührt zu ihrem Mann:

»Ich bitte Dich, mache eine kleine Reise nach Paris und laß mich inzwischen hier. In einigen Wochen kommst Du wieder und holst uns ab.«

»Nein, Magdalene!« sagte er fast heftig; »dieser Bürgerkönig, in dem nicht eine katholische Ader ist, ruinirt mir Paris in seiner Art ebenso sehr, wie die Revolution und der Corse es gethan haben. Tritt in Paris nicht das katholische Leben kräftig und entschieden den Greueln Babylons entgegen, so ist da kein Platz für Patrik Arran!«

»Dann, lieber Patrik,« sagte die Gräfin lächelnd, »weiß ich keinen andern Rath, als daß wir beide ruhig hier warten, bis Heliadens Liebeswerk vollendet ist.«

Er schüttelte einen Augenblick so rasch den Kopf, daß seine weißen Locken flatterten; aber dann besann er sich, nahm sich zusammen und sagte gelassen:

»Gut denn! wir warten! und wenn Sie, Heliade, in dieser Zeit ein Liebeswerk üben, so übe ich einen langen, heroischen Tugendact der Geduld.«

Heliade war so erschüttert durch diesen urplötzlichen Wechsel ihrer Verhältnisse – durch die unerwartete Liebe, welche sie bei unbekannten Menschen fand – durch die zärtliche Rücksicht, die man auf sie nahm, als ob sie ein Wesen sei, das wirklich noch mitzähle unter ihres Gleichen, daß sie fassungslos in Thränen ausbrach und sich in die Arme der Gräfin warf. Diese sagte beruhigend und mütterlich:

»Fasse Dich, mein armes Kind . . . und dann frage Deine Blinde, ob wir sie besuchen können; denn wir wollen Dich nicht stehlen, sondern als Geschenk mitnehmen.«

Die arme Heliade war so ergriffen von dieser ungewohnten Liebe, daß sie bat, der Besuch möge auf einen andern Tag verschoben werden, da sie in diesem Augenblick ganz unfähig zu einem ruhigen Gespräch mit der Baronesse sei. Die Gräfin ging bereitwillig darauf ein, und da sie bemerkte, daß Heliade alle Fragen nach ihren Verhältnissen ausweichend beantwortete, so erzählte sie ihr Manches von ihrer Großmutter, die in ihrem Häuschen am Monte Celio eine Freistatt für hülflose Convertiten eröffnet und eine kleine Schaar solcher begnadeter Personen um sich versammelt habe, welche ihre Familie verloren, weil sie Christus in Seiner Kirche gefunden hatten.

Endlich erhob sich die Gräfin und sagte, indem sie Heliade umarmte:

»Morgen komme ich wieder.«

Und der Graf setzte hinzu, Heliadens Hand schüttelnd:

»Ich auch . . . denn wir sind immer beisammen.«

Heliade eilte zu Justinen zurück.

»Endlich!« sagte diese mit ihrem essigsauren Ton; – »ich war schon im Begriff, Sie durch Jacob rufen zu lassen. Ich vertrage nicht das Geschnatter, welches Jacobea Vorlesen nennt.«

Schweigend und ruhig nahm Heliade die Zeitung wieder auf, die Jacobea mit stummer Entrüstung fortgeworfen hatte, als sie nach jener Aeußerung ihrer Herrin aufstand und das Zimmer verließ.

»Ich bin jetzt der Zeitung satt und übersatt,« sagte Justine, als Heliade weiterlesen wollte; – »hier den Brief, den will ich hören.«

Zitternd entfaltete ihn Heliade. Diese Briefe taten ihr weher als Justinens rauhe Behandlung. Der Brief war datirt vom 1. Mai 1839 und lautete:

»Heute, liebe Justine, sind es zwei Jahre, seitdem der Pilger mich verlassen hat und in die weite Welt gegangen ist. O wie ist sie so schrecklich weit, die Welt, wenn man in ihr einem Einzelwesen nachspüren will! Freilich werden für uns alle Schritte erschwert, weil wir nicht ganz gradeaus auf Entdeckung ausgehen. Würde sie gemacht, so dürfte sie nicht offenkundig werden; sie soll nur mich beruhigen. Aber bis jetzt ist sie nicht gemacht und spurlos ist der Pilger verschwunden. Im Orient, dem ursprünglichen Ziel seiner Reise, war er nicht; das wissen wir jetzt. Alarich hat an die Consulate von Smyrna, Alexandrien und Beirut geschrieben, denn in einer dieser Hafenstädte hätte er erscheinen müssen, wenn er den Orient bereisen wollte. Dort aber weiß Niemand etwas von einem Grafen Gorm. Hat er einen andern Namen angenommen? . . . einen andern Paß? macht dieser Tausch ihn unentdeckbar . . . oder ist es der Tod? – Wir wissen keine Antwort auf diese Fragen! Und wenn man mich fragt – was tausendmal geschieht! – ob ich denn gar nichts über dies räthselhafte Verschwinden wisse: so kann ich es mit der aufrichtigsten Besorgniß und Unruhe verneinen. Eine Person gibt es, die sich im Lauf des Winters über dies Verschwinden getröstet zu haben scheint . . . und das ist Lydia. Sie weist nicht mehr jede Huldigung schroff zurück, wie im vorletzten Winter; – und das ist ein sicheres Zeichen, daß sie, wenn der Rechte kommt, ihn erhören wird. Mit großer Zuversicht hoffe ich, Alarich werde dieser Rechte sein. Abgesehen davon, daß er gegenwärtig die brillanteste Partie im Lande ist, ist er ein liebenswürdiger junger Mann geworden, der in Bezug auf Vortrefflichkeit des Charakters, Bildung und edlen Sinn nicht viele Nebenbuhler haben dürfte. Ich übereile diese Angelegenheit durchaus nicht, denn junge Leute haben es nicht gern, bei ihrer Wahl beeinflußt zu werden; allein ich freue mich unaussprechlich, daß die Wendung einzutreten scheint, auf die ich seit Jahren gerechnet habe . . . . selbst damals, als Lydia dem armen Pilger entschieden den Vorzug gab, bevor er arm und ein Pilger war.«

»So sind die jungen Mädchen!« rief Justine ingrimmig dazwischen; »von Treue, von einer Liebe haben sie gar keinen Begriff. In Schmeicheleien und Huldigungen, in Eitelkeit und Sinnlichkeit schwimmen sie mit Wonne, wie die Fische im trüben Wasser, welches – wie bekannt! – für die Angler am günstigsten ist. Heirathen! nur heirathen! ein höheres Ideal haben sie nicht! Ist es auch Ihr Ideal, Fräulein?« setzte sie mit scharfer Wendung hinzu.

»O nein, gnädige Baronesse! eine treue Liebe steht in meinen Augen höher,« entgegnete Heliade sanft und fest; »und hätte ich einen reichen und vornehmen Mann geliebt, so hoffe ich, daß mir Gott die Herzensstärke geben würde, ihn fortzulieben, wenn er ein armer Pilger würde – und dann erst recht.«

»Was meinen Sie? . . . Wovon reden Sie?« fragte Justine verstimmt.

»Von dem Fall, gnädige Baronesse, den dieser Brief bespricht.«

»Wie!« rief Justine, die sich freute, ihrem tiefen Unmuth über Heliadens Versäumniß einer Stunde Luft zu machen; – »Sie stellen Betrachtungen über den Inhalt meiner Briefe an! . . . das verräth wenig Zartgefühl!«

Seit jenem Brief Lucia's, der ihr klar sagte, daß von Peregrin und seinem für sie räthselhaften Schicksal die Rede sei, hatte die arme Heliade allerdings außerordentlich viel Betrachtungen über den Inhalt dieser Schreiben angestellt. Da es aber durchaus nicht in der Absicht geschah, um Familiengeheimnisse zu ergründen, sondern nur in Bezug auf Peregrin selbst, so antwortete sie ruhig:

»Mein Gewissen gibt mir das Zeugniß, keine Indiscretion begangen zu haben.«

»Ah bah, Gewissen! Gewissen und Gummi elasticum stehen auf der nämlichen Stufe der Dehnbarkeit.«

»Nicht für mich! gnädige Baronesse,« entgegnete Heliade kalt.

»Nach und nach wird Ihr Benehmen empörend, mein Fräulein,« sagte Justine schneidend; – »Sie machen meine Briefe zum Gegenstand Ihrer Studien über Ideale . . . . Sie vernachläßigen Pflicht und Dienst, um sich mit Ihren Freunden zu unterhalten . . . Sie setzen sich meinen Bemerkungen gegenüber auf's hohe Pferd Ihres guten Gewissens . . . – Das Alles streift an Insolenz, die ich mir nicht gefallen lasse! – Und deshalb kann ich Sie nicht länger brauchen. Welchen Datum haben wir heute?«

»Den 12. Mai, gnädige Baronesse.«

»Gut! am 15. Mai ist Ihr Monat zu Ende: dann sind Sie entlassen, Fräulein von Horburg. Ich kann keine Personen um mich dulden, die auf ihr Gewissen pochen, um mir zu trotzen. Ich werde ganz leicht eine andere Vorleserin finden . . . . und ist die Operation vorüber und geglückt – was ich gar nicht bezweifele – so brauche ich überhaupt dergleichen Individuen nicht mehr und das wird eine große Geldersparung und sonstige Wohlthat sein.«

Justine hatte nur die Absicht, Heliade zu demüthigen. Sie verfuhr so mit allen ihren Dienstboten. Baten diese aber um Vergebung und Nachsicht, so ließ sie sich erbitten – und nicht ungern. Auf Heliadens Antwort war sie keineswegs gefaßt:

»Gnädige Baronesse, es betrübt mich tief, Ihre Unzufriedenheit erregt zu haben. Wäre das nicht der Grund, so würde ich mit innigster Dankbarkeit meine Entlassung entgegen nehmen, da die Gräfin von Arran hier ist, um mich erst nach Irland und dann zu meiner Großmutter nach Rom zu bringen.«

»Nun, da gratulire ich gleichmäßig der Gräfin von Arran, Ihnen, mein Fräulein, und mir!« erwiderte Justine eisig und bitter.

»Die Gräfin möchte Ihnen gern einen Besuch machen: – würden Sie es erlauben, gnädige Baronesse?«

»Wenn die Gräfin Arran es wünscht – warum nicht? – Und jetzt seien Sie so gut, mir Jacobea zu rufen. Da sich Ihnen nunmehr andre Aussichten eröffnen, werden Sie jeden Augenblick, der Sie in der untergeordneten Stellung einer Lectrice zurückhält, unerträglich finden – und ich liebe es nicht, von solchen Personen umgeben zu sein.«

Diese Gesinnung war so ganz das Gegentheil von derjenigen, die Heliade hatte, daß sie einen Augenblick in Versuchung kam, Justine darüber aufzuklären. Doch immer bereit, sich in der Demuth zu üben, stand sie auf, küßte Justinens Hand und vollzog deren Befehl.

Als Jacobea erschien, sagte die Baronesse spitzig:

»Was Du zu viel sprichst – spricht Fräulein von Horburg zu wenig: das muß man gestehen!«

»Hat sie der gnädigen Baronesse nichts erzählt von der Herrschaft, die eben bei ihr war?« rief Jacobea, augenscheinlich sehr vergnügt, daß sie jetzt diese Mittheilung machen konnte. »Der Jacob hat den Lohndiener etwas befragt und der hat gesagt, so viel wie er von dem Kammerdiener erfahren habe, sei es eine sehr reiche Herrschaft, die auf lauter Inseln wohne. Und kinderlos wären sie . . . beide Söhne todt! und der älteste Sohn – was ist der gewesen? wenn die gnädige Baronesse das rathen, so will ich nicht Jacobea heißen.«

»Ich werde mir nicht die Muhe geben, mir mit Deinen Räthseln, Jacobea, den Kopf zu zerbrechen.«

»Und wenn die gnädige Baronesse es thäten, so würde es Ihnen gar nichts helfen!« erwiderte die unverbesserliche Jacobea. »Was ist er gewesen? . . . – Priester ist er gewesen! – Nein, das ist einzig!«

»Die Katholiken haben Bischöfe, Prälaten, hohe Würdenträger in ihrer Kirche. Warum sollte nicht ein Graf diese Carriere machen, Jacobea?«

»Warum? ja, das weiß ich nicht. Aber der junge Graf ist kein Prälat gewesen; – ein Priester ist er gewesen . . . und die Priester dürfen nicht heirathen. Vielleicht ist er aus Gram darüber gestorben! Das wird auf Tannhof kein Mensch begreifen, daß ein Pastor nicht heirathen darf und daß ein Graf Pastor wird. Wenn ich mir denke, daß Herr Graf Peregrin ein Pastor werden könnte – wir würden uns Alle halbtodt lachen – und nicht heirathen dürfte . . . halbtodt weinen.«

»Jacobea, Du bist mir durch Deine unerhörte Einfalt dermaßen erbarmenswert, daß meine Geduld unerschöpflich ist. Jetzt aber will ich Dir etwas erzählen; – ich fürchte nur Deine lästigen Thränen.«

»Nein, ich werde nicht weinen,« versicherte Jacobea im weinerlichen Ton; – »ist es denn aber sehr traurig?«

»Wir haben allen Grund zu fürchten, daß unser lieber Peregrin« . . . –

»Priester geworden ist!« platzte Jacobea heraus.

»Nein, meine Tochter . . . gestorben ist.«

»Todt!« schrie Jacobea laut auf.

»Ja, todt! und Gott allein weiß, welch ein Ende er genommen hat! Seit zwei Jahren ist kein Brief von ihm gekommen und in der ganzen Zeit hat ihn keine Seele gesehen.«

»Aber das ist ja ein schreckliches Unglück!« wehklagte Jacobea; – »was sagt denn die Frau Gräfin? . . . Nein, das ist zu schrecklich . . . Graf Peregrin todt!« . . . –

»Lamentire nicht so unangenehm – und rufe mir den Jacob; ich will mit ihm rechnen,« sagte Justine.

»Rechnen? . . . dann muß ich wohl Fräulein von Horburg rufen?« fragte Jacobea.

»Wenn ich sage Jacob, so meine ich Jacob,« versetzte Justine streng.

Jacobea vollzog mit großer, stiller Verwunderung den Befehl. Dann ging sie zu Heliade und sagte unter strömenden Thränen:

»Ach, gnädiges Fräulein, Sie haben ja ein mitleidiges Herz . . . es ist ein schreckliches Unglück passirt« . . . –

»Um's Himmelswillen!« rief Heliade und wollte hinauseilen: »die Baronesse« . . . –

»Ja, sie rechnet mit Jacob . . . zur Abwechselung heute,« versetzte Jacobea.

»Nun wo ist denn das Unglück geschehen?«

»Das wissen wir nicht! . . . aber geschehen ist es . . . denn Graf Peregrin Gorm ist todt!«

Sprachlos vor Entsetzen sank Heliade auf einen Stuhl.

»Nein, es ist zu schrecklich . . . nicht wahr? . . . So jung, so gut, so reich . . . und nun todt! Welch ein Lamento wird die Frau Gräfin anstellen! . . . Bei dem Allen wird sie froh sein, daß es nicht Graf Alarich ist. Ja, ja! gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen! . . . Aber ich kann es noch immer nicht glauben!« . . . –

Heliade hatte sich gesammelt und sich besonnen, daß der Brief von Gräfin Gorm durchaus nicht Peregrin's Tod als eine Gewißheit ausspreche; doch wollte sie auf keine Erörterungen mit Jacobea sich einlassen, und obschon sie gern etwas über Peregrin's früheres Leben gehört hätte, überwand sie sich und sagte mit einem sanften, traurigen Lächeln:

»Es wird auch an uns die Reihe kommen.«

»Wie ruhig sagen Sie das, gnädiges Fräulein!« rief Jacobea entrüstet; – »wenn Sie gestorben wären anstatt Graf Peregrin . . . so würden Sie die Sache nicht so ruhig aufnehmen . . . das glauben Sie nur!« –

Und empört über diesen Mangel an Theilnahme ging sie von dannen, während sich in Heliade die Hoffnung mehr und mehr befestigte, daß Peregrin's Verschwinden – kein Tod sei. Er war kein Gorm – er hatte sich von der Familie Gorm getrennt – er entzog sich jeder Nachforschung: dieses, aber nicht sein Tod, ging nach Heliadens Ansicht aus Lucia's Briefen hervor. Und mit jenem Tiefsinn, der aus dem Glauben hervorgeht, dachte Heliade weiter: Und vielleicht muß er alles Irdische verlieren, um das höchste Gut zu gewinnen! Die göttliche Vorsehung hat gewiß einen Plan voll himmlischer Liebe für seine Seele und wird ihn das Ideal finden lassen, nach welchem er sich sehnt. Aber . . . ob wir uns wiederfinden hienieden? – – O Herr! rette seine Seele . . . und ich verzichte auf jedes andere Glück. – – –

Am nächsten Tage kam die Gräfin von Arran allein zu Heliade und sagte:

»Mein Mann ist nach Speyer gefahren, um den Dom und die alten Kaisergräber zu sehen und sich etwas die Zeit unseres hiesigen Aufenthaltes zu vertreiben. Aber ich komme zu Dir, Heliade, denn meine Augen sind noch so voll römischer Bilder, daß mir die transalpinischen nicht gefallen wollen.«

Heliade theilte ihr so schonend für Justine wie möglich mit, daß sie ihre Entlassung plötzlich bekommen habe.

»O dafür will ich ihr herzlich danken,« sagte die Gräfin; »laß uns gleich zu ihr gehen.«

Dies geschah. Justine empfing Lady Arran äußerst frostig, als ob man sie beleidigt habe; doch diese dankte so verbindlich für den Schutz, den Heliade bei der Baronesse gefunden und für die liebenswürdig rücksichtsvolle Entlassung, die ihr jetzt gewährt sei, daß Justinen nichts übrig blieb, als die Rolle der Liebenswürdigkeit fortzusetzen, welche ihr zum ersten Mal in ihrem Leben octroyirt wurde. Indessen konnte sie nicht unterlassen, einen Augenblick zu benutzen, da Heliade das Zimmer verließ, um zu sagen:

»Mylady werden Fräulein von Horburg's Charakter etwas schwierig zu behandeln finden. Sie hat ihre kleinen Ideen, ihre kleinen Ansichten – und hält daran mit eiserner Festigkeit.«

»Das ist zuweilen der Fall bei jungen Personen von wenig Erfahrung, besonders dann, wenn ihnen keine Mutter rathgebend zur Seite steht,« sagte Lady Arran entschuldigend. »Doch Heliade ist fromm und klug, und so besitzt sie zwei Fähigkeiten, durch die man auf sie wirken und ihre kleinen Unvollkommenheiten mehr und mehr abschleifen kann.«

»Möge es Ihnen gelingen, Mylady! ich muß mein Unvermögen in diesem Punkt eingestehen. Sie trieb ihre Glaubenstreue bis zu einem Anstoß erregenden Fanatismus.«

»Dies wird von selbst wegfallen bei uns Katholiken in Irland und Rom.«

»Das kann sein; aber der Charakterzug bleibt . . . und ist bedenklich.«

»Dürfte man ihn nicht vielleicht Treue nennen? und verbürgt eine solche Glaubenstreue nicht Pflichttreue und Treue des Herzens? und gibt es für ein weibliches Wesen eine höhere Tugend und eine lieblichere Eigenschaft?« fragte Lady Arran sanft.

»Sie sind sehr eingenommen für Fräulein von Horburg, Mylady,« versetzte Justine trocken; – »ich gestehe Ihnen aber, daß rücksichtsvolle Schonung Anderer mir auch als eine liebenswürdige Eigenschaft vorkommt.«

»Wer würde nicht mit Ihnen einverstanden sein?« entgegnete Lady Arran; – »nur werden auch Sie mir gern zugeben, daß Rücksicht nach der einen Seite hin nicht nach der andern bis zur Verleugnung gehen dürfe.«

Justine erkannte, daß Lady Arran ihr gewachsen sei und daß sie bei ihr nicht den Ton durchführen könne, den sie sich in dem beständigen Verkehr mit Untergebenen und Abhängigen angewöhnt hatte. Die omnipotente Herrin auf Tannhof, vor deren Ansicht das ganze Verwaltungs- und Dienstpersonal schweigend sich beugte, war zwischen ihres Gleichen nur die Baronesse Ruffach, die nach keiner Seite hin den Zepter führen konnte. Diese Einsicht hatte Justine mehr und mehr dem geselligen Verkehr abhold gemacht. Kam sie in Berührung mit Standesgenossen, so empfand sie es immer auf's Neue wie eine Art von Beeinträchtigung daß sie nur auf Tannhof in jeder Beziehung Autokratin sei. Sie hatte deshalb selbst in ihrer Blindheit keine Freude an gesellschaftlichem Umgang, und als Lady Arran am andern Tage anfragen ließ, ob sie ihren Besuch wiederholen und Abschied nehmen dürfe, lehnte Justine es ab. Ihr Lebewohl an Heliade war kurz und kühl. War ihr einerseits deren große Zartheit, Bescheidenheit und Brauchbarkeit außerordentlich angenehm, so war ihr andererseits deren Unabhängigkeit des Charakters außerordentlich unangenehm, und sie hatte für Heliadens demütigen und innigen Dank nur einige kalte Worte. Jacobea schlug die Hände über dem Kopf zusammen, daß diese reichen, vornehmen Leute nach Heidelberg gekommen waren, um Heliade abzuholen.

»Es thut mir um das Fräulein recht leid, Jacob,« sagte sie; »denn es war für mich eine große Bequemlichkeit . . . sie that ja Alles . . . und behandelt wurde sie wahrhaftig nicht besser, als Sie und ich.«

Und zu Justinen sagte sie.

»Wie wird das aber nun mit dem Vorlesen, gnädige Baronesse? Ich kann es wirklich nicht aushalten, wenn Sie mich so sehr dabei verachten.«

»Ich treffe jetzt eine andere Einrichtung,« antwortete Justine, »und nehme mir eine Vorleserin auf Stunden. Briefe werde ich vor meiner Augenoperation nicht mehr dictiren, und nach derselben reisen wir so bald wie möglich nach Tannhof zurück. Ein Gesellschaftsfräulein wird nicht mehr meine Schwelle überschreiten.«

»Nun sehen Sie selbst, was dabei herauskommt, gnädige Baronesse!« rief Jacobea triumphirend. »Anfangs wollten Sie mich recht unterducken durch das gnädige Fräulein . . . und nun sind Sie froh, sie los geworden zu sein, während ich immer noch da bin und da bleibe!«

»Bleibe?« erwiderte Justine: »ich denke, das wird von mir abhängen, Jacobea. Bin ich mit Dir zufrieden, so bleibst Du; bin ich es nicht, so gehst Du.«

Heliade verließ Heidelberg mit tief bewegter und erschütterter Seele. Die Jahre in Heidelberg hatten eine ungeheure Umwälzung ihres ganzen inneren und äußeren Lebens hervorgerufen. In ungebrochener, kindlich froher Jugend war sie mit ihren geliebten Eltern nach Heidelberg gekommen. Wohl sah sie an ihrer Mutter, daß das Leben etwas Ernstes sei und schwere Pflichten auferlege. Wohl suchte sie diesen Ernst zu erheitern und diese Last zu erleichtern; aber unmittelbar wurde sie nicht davon berührt, nicht dadurch gedrückt: die Mutter stand zwischen ihr und zwischen der Sorge und dem Schmerz des Lebens. Mit Colomba's Tod fiel zuerst diese Schutzwehr für Heliade. Einsam an der Seite des schwermüthigen Vaters fehlte ihr der süße Sonnenschein der Mutterliebe – und mit ihr dasjenige, was ihr Glück gewesen war. Nun kam freilich eine andere Liebe, aber so zart, so leise . . . die allerinnersten Saiten ihres Herzens berührend und – eben weil es die innersten sind – einen solchen Hauch von Wehmuth und von eigenthümlich süßen Schmerzen um ihre Seele ziehend, daß sie nicht wußte, ist das Glück? ist das Leid? Und in dem Augenblick, als sie erfuhr, daß es wohl ein großes Glück sei, wenn sich zwei Herzen zu einander neigen, um sich ausschließlich gegenseitig zu geben und zu nehmen – da versank dies Glück auf ihr Wort, auf ihren Ausspruch, und mit eigener Hand mußte sie ihr Herz – und Peregrin's – und ihres Vaters Herz zerreißen. Aber während sie den herben Kelch der Entsagung annahm, that sie einen weiteren Schritt in das ungeheure Gebiet des Schmerzes hinein, das zwar nicht vor jedem Auge in seinem ganzen Umfang offen liegt, aber so groß ist, wie alle Reiche der Welt zusammen genommen. Dieser Schritt führte sie an den Abgrund, der in ihres Vaters Seele drohend lag. Der Schmerz, der ihr daraus erwuchs, war unendlich viel schneidender, als der ihrer geopferten Liebe. Jedes wahre Opfer ist ein Absenker des göttlichen Opfers am Kreuz, und hat dadurch Antheil wie am Leiden, so an der Gnade des Kreuzes. Unser eigenes Herzblut, wenn es über das Kreuz rieselt, wird zum besten Balsam für unsere Wunden: das fühlte Heliade. Allein die Seelenverfassung ihres Vaters war nicht von der Art, um ihr Balsam zu bieten; denn das Eine, das Schrecklichste, stand ihr dabei fortwährend vor Augen: die Gottes-Beleidigung! – und das ist für eine Heliadenseele schwerer als das schwerste persönliche Opfer. Das Jahr, wo sie wissend an der Seite ihres Vaters ging – das war ihr Kreuzesweg; aber die ewige Barmherzigkeit gab ihm am Ende kein Golgatha, sondern ein Thabor. Und als dieser Augenblick seliger Verklärung vorüber war, stand Heliade gänzlich verwaist vor einem zweiten Grabe und vor neuen Prüfungen. Sie mußte lernen, wie hart das Brod der Dienstbarkeit – und wie unsäglich schwer es für die Enterbten der äußern Glücksgüter sei, sich durch die Welt zu bringen. Und während sie diesen neuen Kampf mit einer Großmuth und Demuth bestand, die sie aus dem Glauben schöpfte, mußte sie erfahren, daß ein räthselhaftes Schicksal Denjenigen aus seinen glücklichen Verhältnissen vertrieben habe, dem sie entsagt hatte, insofern es ihr irdisches Glück – doch nicht, insofern es ihre Liebe betraf.

Das Alles trat in den lebendigsten Bildern jetzt, da ein neuer Lebensabschnitt begann, vor Heliadens Seele.

»Du bist so ernst, mein geliebtes Kind!« sagte Lady Arran, ihr das mütterliche Du gebend.

»Wie kann ich anders,« entgegnen Heliade sanft. »Ich kam hieher als ein glückliches Kind . . . und als Waise gehe ich.«

»Sieh, wie schön uns Gott zusammenführt!« sagte Lady Arran mit himmlischer Selbstverleugnung. »Anstatt meiner Söhne finde ich Dich – und Du sollst in uns Eltern finden.«

Heliade fragte nach dem Schicksal dieser Söhne. Der älteste war von Kindheit auf mit jener Liebe zu den himmlischen Dingen erfüllt gewesen, die gleichgültig gegen irdische Güter und Freuden macht. Damals gab es noch keine Emancipations-Bill für Irland, keine katholische Institute und Seminarien, keine katholische Universität in Irland. Das prahlerische, falsche England nannte sich den Hort der Freiheit, der menschlichen Würde, des Rechtes für jedermann, und pochte dabei auf seine Magna Charta, die allerdings ein Palladium für Englands Freiheit – aber aus Englands katholischen Tagen ist. Nimmermehr wären die feilen Höflinge, die um den Thron der beiden blutigen Tyrannen, Heinrich VIII. und Elisabeth krochen, im Stande gewesen, aus ihrer Apostasie heraus zu dem Bewußtsein sich zu erschwingen, aus dem die katholischen Barone Englands mit ihrer Magna Charta einst vor König Johann erschienen. Wie der Anglikanismus eine starre, todte, beschränkte, mehr politische als religiöse Anstalt ist: so machte er aus dem Engländer ein starres abgegrenztes Individuum und aus »merry old England« ein Land so frostig abgegrenzt, wie der Egoismus für Alles ist, was außerhalb der Insel seines Ichs liegt. Da liegt vor Allem die katholische Kirche. Sie hat nicht zu existiren. Der Anglikanismus lebt und webt einzig und allein in und von den Traditionen Heinrichs VIII. und Elisabeths, und da dies blutige Herrscherpaar die Nicht-Existenz der katholischen Kirche in Großbritannien decretirt hatte: so wurde sie bis in's volle neunzehnte Jahrhundert hinein, bis in unsere Tage des Lichtes, als eine Sache behandelt, die zu Recht weder bestehe, noch bestehen dürfe – und der Graf von Arran konnte nicht in seiner Heimath seinem Sohn die Erziehung und Bildung verschaffen, die demselben als katholischer Priester nöthig waren. Das Collegium zu Douay in Frankreich, wo die Katholiken Großbritanniens ihre Söhne studiren ließen, war in Folge der französischen Revolution untergegangen – und so erhielt denn der junge Patrik seine Erziehung in Rom.

»Wir konnten das!« sagte Lady Arran; – »aber wie wenigen Eltern stehen dazu Mittel und Verhältnisse frei! Die Vollendung von Patrik's priesterlicher Erziehung fiel mit der Emancipations Bill zusammen – und wir priesen Gottes Barmherzigkeit, denn jetzt stand ihm in Irland ein ungeheurer Wirkungskreis offen. Er empfing die heiligen Weihen in Rom, dann eilte er zu uns, um in der geliebten Heimath seine Primiz zu feiern. Das war für ihn und für uns der höchste Festtag unseres Lebens. Mit heiligem Jubel wurde er von Allen gefeiert, die mit uns irgendwie in Verbindung waren, und das Volk frohlockte einem Arran als Priester entgegen. Wir waren zu glücklich! – aber nur auf kurze Zeit. In einer armen Hütte, am Bett eines Sterbenden, athmete Patrik den Keim des Todes ein . . . und nach neun Tagen weinten wir . . . und war er selig! – In unaussprechlichem Frieden entschlief er zur ewigen Ruhe. Sein kleiner Bruder Arthur, damals ein Knabe von zwölf Jahren, sagte neben Patrik's heiligschöner Leiche: »Was er war, will ich werden! Priester will ich werden.« Er war unser einziges Kind . . . der letzte Arran. Aber die Gnade rief ihn und wir versuchten nicht, ihn zurückzuhalten – den herrlichen Knaben! Die Zeiten waren anders, er konnte in Irland bleiben. Durch ihn und seinen Entschluß wurden auch wir mehr und mehr zur Liebe Gottes hingezogen. Mein Mann lebte und sorgte für nichts so eifrig, so gern, als für das arme irische Volk und ich ging ihm dabei mit Freuden zur Hand. Wir wollten eine große Gottesfamilie bilden – und Arthur sollte dereinst unser geistlicher Vater sein. Und wiederum waren wir unaussprechlich glücklich . . . jahrelang. Aber vor drei Jahren fing Arthur an zu kränkeln. Bisher hatte er die kräftigste Gesundheit gehabt. Die Aerzte glaubten, er sei zu stark, zu schnell gewachsen. Genug, er hustete und war leidend. Er selbst hielt das Uebel für unwichtig. Bald aber mußten die anstrengenden Studien unterbrochen werden und wir gingen mit ihm nach Madeira, wo wir anderthalb Jahre zubrachten und wo Arthur's Gesundheit sich sehr besserte. Allmälig und in Uebergängen sollte er sich nun wieder an das europäische Clima gewöhnen; deshalb begaben wir uns nach Spanien und brachten den Sommer in Granada zu. Arthur freute sich unsäglich seiner scheinbar ganz erstarkten Gesundheit, denn sie erlaubte uns nach Rom zu gehen, wo er mit Feuereifer seine Studien wieder aufnehmen wollte. Im vorigen October kamen wir nach Rom, alle Drei voll froher Hoffnungen. Gottes Rathschluß war anders! Im December machte ein Blutsturz nach kurzem Krankenlager seinem jungen Leben ein Ende, und wir haben die seltene Gnade gehabt unsere beiden Söhne zu einem Doppelopfer darzubringen – zuerst als Priester und dann im Tode.«

Lady Arran sprach so friedlich, als ob sie selbst schon mit ihren Söhnen unter den Seligen sei. Sie war so still und ganz durchschmerzt und in die Wunden ihres Erlösers versenkt, daß sie ein Klagewort nicht mehr kannte. Heliade aber schwamm in Thränen. Ihr Herz war zu leidenvoll, um nicht vor solchen Prüfungen, wie diese Mutter sie bestanden hatte, zu erschauern.

Ohne sich unterwegs länger aufzuhalten, als nöthig war, um nicht allzu sehr zu ermüden, reiste der Graf von Arran mit seiner Frau und seiner Pflegetochter – wie er Heliade liebreich nannte – durch Belgien und über England nach der Westküste von Irland, wo an dem felsigen Klippengestade des atlantischen Oceans Schloß Arran lag.

»Das grüne Erin« ist ein eigentümliches Land. Der Küstenstrich ringsum – wunderschön, mit Buchten und Baien und der breiten Mündung der Flüsse, bald bebaut und bebaumt, bald mit wilden, großartigen Felsenufern, immer zerklüftet und bewegt, zuweilen von südländischer Lieblichkeit, wie im Südwesten der ganze Landstrich um Cork bis zu den Seen von Killarney; zuweilen großartig phantastisch, wie im Norden vom Vorgebirge Blackhead bis zum Riesendamm, – dieser ganz wunderbaren, aus dem Meer auftauchenden Basaltformation, welche an der Westküste von Schottland in der berühmten Grotte der Insel Staffa sich wiederfindet. Das Innere des Landes aber trägt die unverkennbare Spur langer, tiefer Verwahrlosung. Es ist nicht bloß schlecht oder wenig cultivirt; es ist ruinirt, und sowie man es erblickt, muß man sogleich ganz unwillkürlich sagen: Ein rechtloses Land Als ich das in Irland sagte, sprach ich noch gar nicht vom katholischen Standpunkt aus; denn es war im Jahr 1846.! – Die wenigen Jahre, seitdem Irland einigermaßen aufgehört hat, Großbritanniens Helote zu sein, können den fürchterlichen Charakter nicht verwischen, den Englands Katholikenhaß während Jahrhunderte dem Boden aufgeprägt hat. Ja, so brennend, so nagend war dieser Haß, diese ruh- und rastlose Unterdrückungswuth, daß der Boden aussieht, als wären die drei Reiter der Apokalypse über ihn hingezogen, die Pest, die Hungersnoth, der Krieg. Und sie sind es in Wahrheit. Diese Haiden, diese Torfmoore, diese menschenleeren, unbebauten Einöden sind ein gräßlicher Fleck auf der Civilisation, mit welcher England sich zu brüsten wagt; – ja er verräth, auf welcher schwachen Grundlage diese Civilisation ruht, denn da, wo keine Gerechtigkeit herrscht, ist die Civilisation nur eine oberflächliche Schminke. Und so ist dies »Smaragdene Kleinod« für England zum zweifachen Brandmal geworden! Es zeigt ein zertretenes Volk – und es zeigt die unerhörte Impotenz des Anglikanismus.

Der Graf von Arran begrüßte mit wehmüthiger Freude seine heimische Insel. Weil sie so leidenvoll war, liebte er sie um so zärtlicher. Aber ein Schmerz, den seine tiefe Frömmigkeit zwar in Frieden tragen lehrte, doch nicht hinwegnahm, lag für ihn in dem Gedanken, daß kein Sohn mehr da sei, um diese Liebe für das Volk und für die Heimath als geheiligte Tradition zu empfangen und auf die Nachkommen zu vererben. Die Gräfin trug in ihrem still gekreuzigten Herzen neben dem Kummer der vereinsamten Mutter auch den um ihren Mann, der sein treues Wirken in seinem eigenen Grabe zu Ende gehen sah.

Der Empfang, der ihnen auf Schloß Arran zu Theil wurde, war herzzerreißend; denn ach! sie kehrten ohne Lord Arthur zurück! Er war der Liebling, er war das Idol des ganzen Volkskreises; er war »das Kind von Arran«, an das sich tausend Hoffnungen knüpften, und das durch seine hochherzige Weltentsagung bewiesen hatte, daß es höhere Hoffnungen gebe, als die auf Geld und Gut. Wären nicht der Graf und die Gräfin, so wie sie den Reisewagen verließen, in die Schloßcapelle gegangen, wohin die Menge ihnen nachströmte, bis der Raum überfüllt war, so hätte die jammernde Wehklage kein Ende gefunden. Jetzt löste sie sich in Gebet und Thränen auf.

Vor Heliade öffnete sich groß und weit die Welt und das Leben. Hatte sie früher erkannt, daß es für sie andere Dinge zu thun gebe, als sich in ihr Liebesleid zu versenken, so sah sie sich jetzt gleichsam herausgehoben aus dem Boden ihrer alten Existenz und sie fragte innerlich: Mein Gott, was willst Du, das ich thun soll? Zeige mir, weshalb Du mich hieher geführt hast. Der plötzliche Wechsel ist zu groß, als daß er nicht höhere Fügungen verbergen sollte.

»Wie gefällt Dir Heliade?« hatte schon unterwegs der Graf seine Frau gefragt.

»Sie ist ein Ideal von Selbstlosigkeit,« entgegnen Lady Arran.

»Fast zu sehr! sie scheint ihren Willen nicht bloß unterzuordnen, sondern gar keinen zu haben.«

»Ah, das scheint nur so! Heliade hat einen Willen – aber nur für große Hauptsachen, wie ich glaube.«

»Und diese Schüchternheit . . . dies Stillschweigen! . . . Es ist wohl schön, wenn ein junges Mädchen recht zurückhaltend ist; aber das hat seine Grenzen!«

»Bedenke nur, wie vorsichtig sich Heliade ihrem Vater gegenüber äußern und benehmen mußte – und in welcher Schule sie nach seinem Tode war. Ist ein junges Mädchen dermaßen auf sich selbst angewiesen, so muß es bei Heliadens edlem Charakter schweigsam und in sich gekehrt werden. Sie ist wie eine Blume, über deren Knospe viel Sturm und Regen hingegangen ist, so daß sie sich noch nicht schönheitsfrisch entfalten konnte. Aber das wird kommen. Habe nur Geduld.«

»Geduld ist nicht das rechte Wort, Magdalene! Ich brauche keine Geduld mit dem herrlichen Mädchen zu haben. Ich möchte sie nur gern glücklich und froh sehen.«

»Wir wollen sie wie unsere Tochter behandeln; dann wird sie mit ihrem zarten Herzen sich gewiß sehr bald glücklich fühlen. Dir steht sie nah als die Enkelin Deines theuersten Freundes. Mir steht sie nah als das Kind eines Mannes, für den ich unaussprechlich viel gebetet habe – als das begnadete Kind, welches das Werkzeug seiner Seelenrettung war. Das sind freilich keine Bande des Blutes . . . aber es sind die geheimnißvollen Bande der Gnade, welche die Hand Gottes mit besonderer Liebe webt.« –

Und so wurde die arme, verlassene Heliade eine geliebte Tochter des Hauses. Und wie die Gräfin gesagt hatte, so geschah es: sie blühte auf wie eine Blume, die man aus der Schattenseite an die Sonnenseite verpflanzt.

Das Schloß war in seiner Anlage sehr alt, aber vom Grafen neu gebaut im normannisch-gothischen Styl, mit Erkern und Söllern, mit Thürmchen und Balcons, um überall weit und frei ausschauen zu können über Land und Meer. Es lag auf einer großen Fläche, die aber besser bebaut war und bessere Menschenwohnungen trug, als man zwischen irischem Torfmoor und Haidekraut zu finden gewöhnt ist. Eine schöne Kirche, ebenfalls ganz neu gebaut, mit Pfarr- und Schulhaus, lag eine Stunde vom Schloß und in der Mitte der Besitzung. Ihr schlanker Thurm, der das Kreuz hoch in die Lüfte hob, zog überall den Blick an und wies ihn gen Himmel. Ein weitläufiger, sehr gepflegter Park umgab das Schloß und dessen Nebengebäude. Die Bäume waren meistens Eichen, die, wegen der furchtbaren Stürme des atlantischen Oceans, minder hoch wie die deutschen, aber von ungemein kräftigem, malerisch zerzausten Wuchs und dem frischesten Grün sind. Hohe Eibischbäume, mit ihrem breiten und dunkeln Nadelgezweig, und Stechpalmen gruppirten sich um die Eichen. Aber auf Stellen, die gegen den Westwind geschützt waren, standen blühende Myrthenbüsche in freier Erde, denn die Luft ist weich und das Clima gelinde. Gegen das Meer zu fiel der Park plötzlich mit einer schroffen Felsenwand einige hundert Fuß tief ab, und da unten brandeten die ungeheuern Wellen zwischen Klippen, Felsblöcken und Steingerölle. Oben, unmittelbar am Felsenrand, war ein Pavillon im Styl einer kleinen Warte erbaut. Da breitete sich der unermeßliche Ocean grenzenlos aus, und ein eigentümliches Gefühl von Alleinsein des Menschen mit Gott brachte dort auch das unruhigste Herz zu momentaner Ruhe.

Heliade bewohnte im Schloß ein hochgelegenes Erkerzimmer mit weiter Aussicht auf den Park und das Meer. Bisher war Florenz für sie das Ideal der Naturschönheit gewesen – vielleicht deshalb, weil sich die Erinnerung an ihre glückliche Kindheit damit verwebte; doch jetzt sagte sie:

»Ich fange an, diese Natur mit irischem Auge zu betrachten, und da entzückt sie mich.«

Eine solche Aeußerung aber entzückte den Grafen, während die Gräfin durch Heliadens tiefe Demuth oft bis zu Thränen gerührt ward. Heliade war so gar nicht verwöhnt, daß sie Ansprüche keinerlei Art machte und nur immer versicherte, wenn die Gräfin sie um kleine Wünsche bezüglich ihrer Wohnung, ihrer Kleidung befragte, eine gute Fee sorge für sie. Eines Morgens kam Lady Arran zu ihr und sagte:

»Heliade, Du wirst hier tausend kleine Bedürfnisse, wenn auch nicht für Deine Person, haben – denn für die sorge ich. Du wirst Almosen geben, Du wirst arme Kinder beschenken, Du wirst die Kirche schmücken wollen. Ich bringe Dir also Nadelgeld, denn die Kasse eines jungen Mädchens ist gewöhnlich leer – nicht wahr?«

»Wohl nicht ganz,« sagte Heliade erröthend; »aber ich möchte gern das Geld behalten, das ich besitze.«

»Welch ein kleiner, seltsamer Einfall, Geld behalten zu wollen, da es doch nur etwas taugt, wenn man es gut auszugeben versteht,« sagte die Gräfin lächelnd.

Heliade nahm aus einem Fach ihres Schreibtisches einen kleinen Geldbeutel und aus demselben zwei Goldstücke und sagte:

»Dies habe ich von der Baronesse für den letzten Monat bekommen und ich möchte es gern behalten, um mich daran zu erinnern, in welchen bescheidenen Verhältnissen ich gelebt und mir mein Brod verdient habe. Hier könnte ich das so leicht vergessen . . . und dadurch weniger dankbar gegen Gott und meine Wohlthäter werden. Dies ist die Erklärung meiner Liebhaberei gerade für dieses Geld.«

»Nun, so behalte es,« entgegnete Lady Arran, gerührt Heliade umarmend; – »doch glaube ich, daß Du auch ohne dasselbe Dein dankbares Herz bewähren würdest.«


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