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Schloß Traun, den 15. September 1816.

Wie er mehr und mehr anschwillt der Kelch, in welchem ich Nektar finden wollte und Wermuth finde! Und je mehr das geschieht, desto häufiger fallen mir die Worte des Priesters von Nizza ein: »Nehmen Sie Ihr Kreuz von Gottes Hand an und tragen Sie es, so lange Er will.« Klingt nicht durch diese Worte ich weiß nicht was für eine Ahnung, daß Gottes Hand mir zu Seiner Zeit das Kreuz auch wieder abnehmen werde? – O hätte ich das damals verstanden!

 
1. October.

Alarich frohlockt über unsere Hoffnungen. Ich bin so stumpf, daß ich mich über nichts auf Erden freuen kann, am wenigsten über diese Aussicht. Ich bitte Gott nur um das Eine: mir eine Tochter zu schenken; – denn ein Sohn . . . ein Sohn nach Peregrin . . . . das wäre nicht zu ertragen.

 
21. December.

Gottes Gerichte sind furchtbar – besonders die verborgenen. Mein Kind lebt, gesund, kräftig . . . . ein Sohn! Ja, ein schöner, starker Knabe! – Wer hätte das erwartet nach eilf Jahren! nach vier unglücklichen Wochenbetten! – »Ausharren! ausharren!« sagte der Priester von Nizza. Warum setzte er nicht hinzu: »Ich weiß deine Zukunft: folge mir!« – O ich Unselige! ich fürchte manchmal den Verstand zu verlieren – und das darf ich nicht, denn der Irrsinn ist zuweilen geschwätzig und plaudert die traurigen Heimlichkeiten des Herzens aus. – Aber welch ein Glück . . . . oder welch eine Tugend ist der Glaube! Hätte ich damals geglaubt, was der Priester sagte, daß er als Stellvertreter Gottes zu den Seelen spreche, rathend, richtend, warnend, liebend: so wäre ich jetzt die glücklichste Gattin, die glücklichste Mutter! – Warum habe ich nicht den Trost eines solchen Glaubens? mein Gott, das ist ungerecht! – Aber um ihn zu üben – dazu gehört doch große Tugend. Denn in der allgemeinen Erkenntniß, daß wir zu glauben haben, liegt weiter nichts Tröstliches und die spezielle Einsicht in jeden besondern Fall ist uns nicht gegeben: so müssen wir denn immer unser Verlangen, unsern Willen, unsere Ansicht im Glauben unterwerfen – und das ist schwer! – – Um mich einigermaßen zu beruhigen, klammere ich mich an den Gedanken an, daß Alarich, ohne Peregrin's Dazwischenkunft, für mich verloren gewesen wäre, und wenn ich mir das lebhaft vorstelle, so bin ich mit Allem, was ich that, vollkommen ausgesöhnt und mein Gewissen verstummt – denn ich durfte Alarich nicht auf seinem Wege forttaumeln lassen.

 
2. Juli 1817.

Immer diese zwei Kinder vor Augen zu haben, beiden gleichmäßig Liebe beweisen zu sollen – und das Eine, das sich ganz und gar des Vaters Herz bemeistert hat – dies Eine beinahe zu hassen – ist das nicht, um den Verstand zu verlieren? – Die Leute sagen, ich sei launenhaft, ich sei melancholisch, ich quäle meinen Mann – das ist Alles wahr. Mich peinigen die furchtbarsten Gedanken! bald möchte ich Peregrin heimlich verschwinden lassen, bald mich Alarich zu Füßen werfen und ihm Alles gestehen, Alles, was ich aus Liebe zu ihm verbrochen habe. Aber ich bin nicht fähig, solche Dinge zu thun. Die Angst, wie Alarich eine solche Erklärung aufnehmen und was darauf folgen würde, ist so groß, daß ich lieber in meinem Elend verbleibe und mich von Alarich aus einem Badeort zum andern, von einer Zerstreuung zur andern führen lasse. Seine Liebe, Güte und Sorgfalt sind grenzenlos und sind mir dermaßen süß und wohlthuend, daß ich sie um keinen Preis entbehren kann und will. Eine Enthüllung über Peregrin könnte ihn aber möglicherweise, ja sehr wahrscheinlich, gegen mich erkälten, und da ich gerade dies vermeiden wollte: so muß ich schon ausharren in diesem geheimen Zwiespalt meines Lebens, das sich nach Außen zwischen Rosenhainen – nach Innen zwischen Nachtschatten bewegt.

 
25. November.

Mein Verhältniß zu Justine, früher so voll Vertrauen und Zärtlichkeit, ist ganz gestört. Ich habe ihr gegenüber alle Haltung verloren und weiß nicht, wie ich mich benehmen soll, obschon sie immer sehr liebevoll für mich ist und mich ungemein freundlich aufnimmt, wenn ich sie besuche. Auch gegen die Kinder ist sie gut – versteht sich, in ihrer kühlen Art, die ihr überhaupt in diesem Fall sehr zu statten kommt.

»Wer A gesagt hat, muß Z sagen,« spricht sie, »und muß beide Kinder ganz gleichmäßig behandeln.«

»Das ist für Dich leichter, als für eine Mutter,« entgegnete ich; »die fühlt nun einmal anders für das eigene Kind.«

»Die Gefühle sind Dir unbenommen,« sagte sie, »nur dürfen sie nicht hervortreten.«

»Das ist ungefähr so,« rief ich mit einiger Bitterkeit, »als wenn Du sprechen wolltest: Scheine nur, du Sonne, aber laß es nicht Tag werden.«

»Liebe Lucia,« entgegnete sie mitleidig, »wann wirst Du begreifen, daß Selbstbeherrschung allein den Verkehr der Menschen unter einander möglich macht. Jeder von uns trägt seine Paar Pfund oder Zentner Blei im Kämmerlein seines Herzens mit sich umher. Nun gut! das gehört zum Leben so gut wie der Athemzug und wie der Tod. Davon ist wirklich nicht so viel Aufhebens zu machen. Du hast gehandelt, wie Du handeln mußtest, und ich habe Dir gerathen, wie ich rathen mußte. Jetzt müssen wir die angenehmen Erfolge sowohl, als die unbequemen Folgen mit Gleichmuth annehmen.«

»Mit Gleichmuth! und das Schwert des Damokles, die Entdeckung . . . . schwebt über meinem Haupt!« rief ich; – »und die ganze Zukunft meines Sohnes wird beeinträchtigt! Die Liebe seines Vaters, sein Vermögen – Alles muß er theilen . . . und diesen Antheil hab' ich ihm geraubt!«

»Beruhige Dich, beste Lucia, und bedenke, daß er vielleicht gar nicht auf der Welt wäre und Du keinen Sohn hättest, wenn Peregrin ihm nicht vorausgegangen wäre. Und was das Vermögen betrifft, so können ja wir, Du und ich, ausschließlich das unsere ihm zuwenden. Sei also vernünftig, nimm das Leben wie es ist und ergrüble Dir nicht Sorgen für die ferne Zukunft, die Keinem von uns sicher ist. Du kannst sterben, Du kannst Wittwe werden, eines der Kinder oder alle beide können sterben: all diese Ereignisse sind möglich, denn überall lauert der Tod. Rüttle also nicht an diesem und nicht an jenem. Je ruhiger Du die Verhältnisse betrachtest und behandelst, desto besser wird es für alle Theile und desto glücklicher wirst Du sein.«

So sprach Justine fort und fort zu mir. Wie gern folgte ich ihr! Aber in mir spricht eine andere Stimme – und mitten im Besitz und Genuß von Allem, was ein Weib beglücken kann, habe ich nicht eine einzige glücklich-ruhige Stunde!! –

Peregrin las diese Blätter – und las sie wieder – und las sie abermals – und mehr und mehr mit der Empfindung, als werde sein Herz von einem Dornengestrüpp zerfleischt und von seinen Augen das milde, süße Licht hinweggenommen, in welchem er bis jetzt Welt und Leben, und sein eigenes und fremdes Schicksal betrachtet hatte. In ihm – Todeswunden – keine Eltern, keine Liebe, keine Heimath! Außer ihm – tiefste Nacht: keinen Namen, keine Zukunft! – Ihm war zu Sinn, als müsse er sterben, nachsterben dem Peregrin Gorm, der so eben vor seinen Augen in ein fürchterliches Grab versunken war. – –

Die Baronesse ließ ihm das Nachtessen ansagen. Der Diener, der mindestens ein Vierteljahrhundert in Tannhof gewesen war, kam zurück und meldete mit betrübter Miene:

»Graf Peregrin läßt sich entschuldigen; er wird erst morgen früh erscheinen.«

»Ist er unwohl?« rief Justine fast erschreckt.

»Wenn er es nicht ist, so muß er es werden, gnädige Baronesse . . . . vor Hunger. Während der Speisestunde war er unterwegs; hier hat er ein einziges Täßchen Kaffee genommen – und jetzt kein Nachtessen! das ruinirt die Gesundheit.«

»Wie sieht er denn aus . . . krank? angegriffen?«

»Ich habe ihn gar nicht gesehen, gnädige Baronesse. Ich klopfte an seine Thür, ein-, zweimal. Da ich keine Antwort bekam, dachte ich, Graf Peregrin sei in Schlaf gefallen – und versuchte leise zu öffnen; aber die Thür war von Innen geschlossen. Da erschrack ich, rüttelte unsanft am Schloß und rief: Herr Graf! Herr Graf! Nun kam er an die Thür und fragte, ohne sie zu öffnen, was ich wolle. Ich meldete, daß die gnädige Baronesse den Herrn Grafen zum Nachtessen erwarteten. Da sagte er: Ich danke; – ich werde morgen zum Frühstück kommen. Da sagte ich: Aber Herr Graf werden ja bis dahin vor Hunger umkommen. Da sagte er nichts weiter und im Zimmer war es mäuschenstill.«

»Ich will selbst hinaufgehen – vielleicht ist er krank,« sagte Justine.

Der Diener ergriff eine Kerze, um ihr vorzuleuchten; aber sie nahm ihm dieselbe aus der Hand und ging allein hinauf. Als ihr Anklopfen ohne Erfolg blieb, nannte sie sich und Peregrin sagte nun:

»Ja, morgen früh werde ich kommen, heute nicht.«

An der ernsten Bestimmtheit des Tones hörte Justine, daß hier nichts zu ändern sei. Sie sagte also.

»Nimm Dir die Sache nur nicht übertrieben zu Herzen, Peregrin. Du bleibst ja das, was Du bist. Sei verständig. Ich hoffe, die nächtliche Ruhe bringt Dir gute Gedanken.«

Sie bekam keine Antwort.

»Er hat eine starke Migräne und folglich keinen Appetit,« sagte Justine, als sie zu dem Diener zurückkam, dem man seine getäuschte Hoffnung ansah.

Sie setzte sich also allein zum Nachtessen, das sie in ihrer mäßigen Weise mit gutem Appetit verzehrte und dabei heimlich dachte: Hätte ich das gewußt, so hätte ich wahrlich nicht der Köchin die Mühe gemacht, eine Speise mehr zu bereiten.

Als dieser Act vorüber war, begann ein neuer. Die unglückliche Kammerfrau erschien mit dem trübseligsten Gesicht von der Welt, um ihr Vorleseramt zu verwalten: sie mußte diejenigen Artikel aus Zeitungen und Journalen vorlesen, welche Justine mit Rothstift bezeichnet hatte. Die französische Staatsweisheit war vor dreißig Jahren die bewunderte und gepriesene der europäischen Presse. Ihre Doctrinen über das constitutionelle Regiment des Bürgerkönigthums erregten in Deutschland bei derjenigen Partei, die sich liberal nannte, ein heftiges Verlangen nach ähnlichen glückseligen Zuständen und so wurde denn die Doctrin eines Perrier, Guizot, Thiers breit, weitläuftig, mit unendlichem und unermüdlichem Wortschwall in Leit- und sonstigen Artikeln dargelegt, beleuchtet, erörtert und erläutert – und die unglückliche Jacobea mußte diese abendlichen Vorlesungen halten, die ihr nicht anders vorkamen, als ob sie ebräisch mit deutschen Buchstaben vortrüge.

»So! nun stelle Dir die Lampe ganz nah,« sagte Justine, »und sprich die fremden Worte nach meiner Angabe aus. Gestern hast Du den ganzen Abend, wenn das Wort »Doctrin« vorkam. standhaft und regelmäßig gesagt »Doctorin« – und hast es immer mit einem Nachdruck ausgesprochen, als freutest Du dich, Dein tiefes Verständniß dieses Wortes kund zu geben. »Die Doctorin Guizots steht der Doctorin Thiers, wenn nicht feindlich, so doch auch nicht zustimmend gegenüber:« Das ist ja Unsinn. Also merk' es Dir.«

Jacobea's Vorlesung wurde aber fast gar nicht getadelt, weil die Baronesse sie heute wenig beachtete. Ihre Gedanken waren mit Peregrin beschäftigt. Sie ärgerte sich über den Leichtsinn, womit sie ihm Lucia's Tagebuch anvertraut hatte. Konnte er nicht einen bösen Gebrauch davon machen? Ungelegenheiten bereiten? – Ein untergeschobenes Kind . . . war das nicht so etwas wie ein Verbrechen . . . und zwar ein solches, wovon die Gerichte Notiz nehmen? – Aber was hätte er davon? . . . . Nein! sein Interesse fällt mit dem unsrigen zusammen und heißt: Schweigen.

Am andern Morgen erschien Peregrin zum Frühstück bei der Baronesse. Er sah aus wie ein aus dem Grabe Erstandener, der noch unter dem Schauer des Todes steht. Ihr versagte die Stimme bei seinem Anblick.

»Was ist denn jetzt eigentlich Eure Idee?« fragte er und setzte sich ihr gegenüber.

»Höchst einfach und kurz: der Gütertausch – damit Schloß Traun an den rechtmäßigen Erben komme. Deine unglückliche Mutter ist nämlich von der Vorstellung gepeinigt, daß ihr Mann ihr in Ewigkeit zürnen werde, wenn die Succession in der Familie keine regelrechte sei. Gewiß ein kindischer Gedanke! – denn wenn die Todten etwas wissen von irdischen Angelegenheiten, so müssen sie dieselben ganz anders beurtheilen, da sie nicht persönlich von ihnen berührt werden und folglich die Haupttriebfeder menschlicher Urtheile, die Selbstsucht – wegfällt. Nun gut! das faßt sie nicht! – Ihr melancholischer Zustand hat seinen Grund in ihrer Angst vor dem zürnenden Schatten ihres Mannes. Durch Schloß Traun hofft sie ihn zu versöhnen. Ich theile nun freilich diese Ansicht nicht; dennoch wünsche auch ich, daß Schloß Traun dem ächten Gorm bleibe: es scheint mir billig. Deine Mutter und ich . . . . wir glaubten, Du würdest, ihren Bitten nachgebend, den Tausch eingehen; – in diesem Fall hättest Du nie eine Sylbe von der Vergangenheit erfahren. Jetzt mußt Du es schon so einrichten, daß Alarich sich füge und daß Ihr Beide ein Abkommen treffet, welches Schloß Traun in seine Hände bringt, ohne Verdacht in ihm zu erregen.«

»Und dann soll ich ihm Coschau stehlen?« sagte Peregrin mit eisiger Ruhe.

»Welcher Unsinn! Du bist nun einmal der Adoptivsohn der Familie und nimmst, was Dir gebührt.«

»Mitnichten! ich bin kein Adoptivsohn! als solcher hätte ich allerdings die Rechte, die mein Vater gesetzlich auf mich übertragen hätte. Aber nie hat Derjenige, der mich und den ich als den zärtlichsten und besten Vater geliebt – nie hat er mich adoptirt . . . . nie den ungeheuern Betrug geahnt, dessen Opfer er war und ich bin. Mit Abscheu hätte er das untergeschobene Kind fortgewiesen und nie hätte er eine so teuflische Lüge, die ihr Gift in den Schooß einer Familie speit, durch Adoption gerechtfertigt.«

»Bist Du wahnsinnig geworden?« rief die Baronesse; – »das arme elternlose Kind aus dem Waisenhause zu Genua kommt zu Namen und Erziehung, Familie und Vermögen – und nennt das eine »teuflische Lüge?« Deine wirklichen Eltern hast Du verloren; Andere nehmen ihren Platz ein, überhäufen Dich mit Liebe . . . . und statt ihnen auf den Knien zu danken, geberdest Du dich, als habe man ein Verbrechen an Dir begangen?«

»Ein fluchwürdiges Verbrechen habt Ihr begangen . . . . Du und die unglückselige Mutter!« rief Peregrin. »Ja, es wäre eine gute Handlung von Eurer Seite und eine große Wohlthat für den armen Waisenknaben gewesen, wenn Ihr ihn erzogen und seiner Herkunft gemäß versorgt und das Alles mit Liebe gethan hättet. Aber ihn zu dem greulichsten Betrug zu brauchen, der sich erdenken läßt: und einen Vater glauben zu machen, es wäre sein Sohn – das verdient Abscheu . . . keinen Dank.«

»Wo ist das Tagebuch Deiner Mutter?« fragte die Baronesse beunruhigt.

»Ich habe es und werde es behalten.«

»Es gehört mir!« rief sie; – »Deine Mutter brachte es einmal her mit andern Briefen und Papieren, um Alles zu zerstören. Ich bat sie um das Tagebuch, weil es vielleicht einmal nützlich sein könne. Sie gab es mir nur unter der Bedingung, es vor kein menschliches Auge zu bringen und es vor meinem Tode zu vernichten. Ich versprach Beides. Als ich Dich gestern in so furchtbarer Aufregung sah, hielt ich für das Beste, Dir durch das Tagebuch die Wahrheit kund zu thun. Das ist geschehen . . . jetzt gib es zurück.«

»Ich behalte es!« entgegnete Peregrin. »Es ist für mich ein unschätzbares Document. Wer weiß, welche Intrigue Ihr wieder ersinnen, welche Behauptungen Ihr aufstellen könntet, wenn ich es nicht behielte. Hier habe ich die Wahrheit, aufgezeichnet von der Hand der unglückseligen Mutter und beglaubigt durch ihren ganzen Charakter, der sich hier in den klarsten Umrissen darstellt. Hier löst sich das Räthsel, das zugleich meine Demüthigung und mein Sporn war: ihre Vorliebe für Alarich. Hier erklärt sich ihre Unruhe, ihre nervöse Aufregung, ihre Melancholie: das Gewissen peinigte sie. Dafür danke ich Gott! es ist ein Zeichen, daß sie wenigstens ein menschliches Herz behielt.«

»Ich aber nicht – willst Du hiemit sagen, wie mir scheint,« entgegnete Justine achselzuckend. »Lebe Du einmal erst sechszig Jahre, wie ich gelebt habe . . . . und dann sieh zu, was von Deinem Herzen übrig sein wird! – In diesem besondern Fall nun handelte ich nach der Bestimmung einer höheren Nothwendigkeit und aus den edelsten Motiven: das Glück meiner Schwester, ihre Versöhnung mit ihrem Mann, eine musterhafte Ehe, vierundzwanzig Jahre voll Glück und Segen – das Alles ist mein Werk« . . . –

»Um den Preis einer Lüge!« rief Peregrin.

»Um den Preis der vortrefflichen Erziehung eines verwaisten Kindes zu einem vielversprechenden jungen Mann,« sagte sie kalt.

»Aber bist Du denn so durch und durch der Wahrheit entfremdet, daß Lüge und Betrug in Deinen Augen keine moralische Missethaten sind!« rief er heftig.

»In unserer sublunarischen Welt muß Jeder die Mittel anwenden, die ihm eben zu Gebot stehen, um sein Ziel zu erreichen,« entgegnete die Baronesse. »Der Mensch lebt in Illusionen – und desto glücklicher, je rosenfarbener sie sind. Dein Vater war zufrieden und froh durch die seine. Wie mancher Vater liebt ein Kind, das ihm in minder unschuldiger Weise präsentirt wird.«

»Mir grauet vor Dir,« sagte er schaudernd.

»Nun, so entsetzlich unschuldig wirst Du denn doch nicht sein,« sagte Justine mit Gleichgültigkeit, »daß Du keine Ahnung von den Dingen haben solltest, die in der Welt vorfallen.«

»Doch gewiß nur um sie zu verabscheuen – und nicht um mich auf sie, wie auf eine Entschuldigung für die eigenen Unthaten zu berufen,« sagte er.

Ein Wagen fuhr vor.

»Ist es der Deine?« fragte die Baronesse; – und setzte hinzu, als Peregrin es bejahete: »Gut! ich werde Dich begleiten! – Ist meine Gesellschaft Dir auch nicht sehr genehm, so will ich Dir doch beweisen, daß ich ein menschliches Herz habe und will Deiner armen Mutter zur Seite stehen bei der Scene, welche Du ihr bereiten wirst.«

»Ich fürchte Du langweilst Dich,« sagte Peregrin verstimmt; »denn ich fahre selbst.«

»Durchaus nicht! im Gegentheil! . . . ich habe ein ganzes Heft voll Gutsrechnungen durchzusehen.«

Bei diesen Worten schellte die Baronesse und sagte zu dem eintretenden Diener:

»Jacob! heute und morgen geht Alles ruhig seinen Gang im Hause fort – und morgen Abend bin ich wieder hier.«

»Befehlen Euer Gnaden nicht, daß ich mitfahre?« fragte Jacob verblüfft über dies unerhörte Ereigniß.

»Nein! Jacobea wird mitfahren,« entgegnen die Baronesse – und in fünf Minuten war sie pünktlich und ordentlich, wie ein alter Soldat, sammt ihrer Zofe zur Abfahrt gerüstet.

»Ich habe auch meine Meriten,« sagte sie mit ihrem kalten Lächeln zu Peregrin. »Wenig Damen würden mit so wenig Umständen einen kleinen Ausflug machen.«

Er verbeugte sich schweigend und gab ihr den Arm, um sie zum Wagen zu führen. Im Vorsaal hatten sich die Dienstboten versammelt, um von der Baronesse Abschied zu nehmen, denn seit zwanzig Jahren, seit Alarichs Geburt, hatte sie nie eine Nacht außerhalb Tannhof zugebracht. Alle wünschten glückliche Reise und glückliche Heimkehr, und als der Wagen verschwunden war und Jeder zu seinem Tagewerk zurückkehrte, wiegte die Haushälterin bedachtsam das Haupt und sagte prophetisch:

»Das hat etwas zu bedeuten.«

»Ja wohl . . . . das hat etwas zu bedeuten!« sagte Jacob mit Nachdruck.

»Eine Heirath, nicht wahr, Jacob?« fragte sie neugierig. »Graf Peregrin ist in den Jahren. Wer nur die Braut sein mag? ich hörte einmal von der Tochter eines böhmischen Fürsten munkeln.«

»Ach was munkeln! von Graf Peregrin's Braut würde man frank und frei sprechen – nicht munkeln!« sagte Jacob ungeduldig. »Aber immer denken die Frauenspersonen an's Heirathen. Gibt es denn gar nichts Anderes, was auf Gottes weiter Welt einem Menschenkind passiren kann, als zu heirathen!«

»Nun, nun!« erwiderte die Haushälterin boshaft, »Heirathsgedanken darf man mit allen Ehren haben – und es ist gewiß nicht sehr respectabel von den Mannspersonen, wenn sie sie nicht haben.«

»Mamsell!« sagte Jacob empört, »Sie verflechten immer Dinge, die gar nicht zusammen gehören. – Kann ich dafür, wenn keine Mannsperson Ihnen gegenüber Heirathsgedanken gehabt hat?«

»Mein guter Jacob, da sind Sie stark im Irrthum,« sagte sie geziert. »Aber was sind denn eigentlich Ihre Ansichten über diese merkwürdige Reise?«

»Daß Graf Peregrin krank ist . . . schwer krank. Er hat hier nicht einen einzigen Bissen genossen! Gestern Abend nichts . . . heute früh auch nichts! Einen Zwieback nahm er, als ich ihm zum Kaffee das Backwerk bot – aber auch der Zwieback liegt unberührt neben seiner Tasse. Und wie blaß sieht er aus.«

»Sehen Sie, Jacob, daß ich Recht habe?« rief triumphirend die Haushälterin; – »die Liebe raubt ihm allen Appetit und darum ist er blaß. Nun, unsere Baronesse wird die Sache schon in den gehörigen Gang bringen, und nächstens vermählt sich Graf Peregrin mit einer böhmischen Prinzessin.«

»Der klügste schweigt,« sagte Jacob gelassen und ging an seine Arbeit. Diesen Ausspruch hatte er oft von Justinen gehört. Trugen die Dienstboten ihr Zwistigkeiten vor, so mischte sie sich äußerst selten hinein, sondern sprach nur jene drei Worte, die Jacob jetzt mit stoischer Ruhe und zu seiner großen Befriedigung wiederholte: »Der Klügste schweigt.«

Justinens Abreise von Tannhof erregte nicht größeres Erstaunen, als ihre Ankunft in Schloß Traun. Lucia war in ihrem Cabinet, das in den Garten ging; aber sie hörte, wie die ungarischen Jucker in den Hof hinein brausten und wie sämmtliche Hunde anschlugen und sich dem Wagen entgegen und fast zwischen die Räder stürzten. Nun weiß er Alles! dachte sie und wollte aufstehen und ihm entgegen gehen. Aber ein Schwindel und ein furchtbares Herzklopfen hielt sie auf ihrem Sitz zurück. Als aber Justine und Peregrin eintraten, raffte sie sich mit größter Anstrengung zusammen und erhob sich; – aber nur, um zu seinen Füßen niederzufallen und mit herzzerschneidender Klage zu flehen:

»O Peregrin . . . . vergib! vergib mir! . . . . Da es geschehen war . . . . hätte ich schweigen sollen! Ich habe Dich unglücklich gemacht . . . vergib mir!«

»Ja, Du hast mich wahrhaft unglücklich gemacht,« sagte er mit tiefem Ernst, indem er sie aufhob; »denn Du hast mir nicht bloß die Mutter, sondern auch das Ideal der Mutter geraubt, das ich in Dir liebte und verehrte. Dennoch aber ist es mir ein Trost, die Wahrheit, die volle Wahrheit zu wissen, denn nun kann ich handeln, wie sie es gebietet und mich zurückziehen von dem grausigen Betrug.«

»Deshalb bin ich hergekommen,« sagte Justine, die ihren Pelz abgelegt, Lucia umarmt und sich am Camin niedergelassen hatte.

»Was meint er?« sagte die Gräfin zu Justine.

»Er meint,« sagte Peregrin mit schneidender Kälte, »daß die Comödie jetzt zu Ende ist: Graf Gorm ist todt; – Gräfin Gorm braucht nicht mehr zu sorgen, wie sie sein Herz zu fesseln habe; – der einzige Sohn tritt das Erbe an, das ihm gebührt; – und Derjenige, der, ohne es zu wissen, den Knoten der Comödie schürzte, tritt von der Bühne ab, wo er bisher eine Rolle spielte, die – wenn er es nicht bona fide gethan – ihn in's Zuchthaus geführt hätte.«

»So spricht ein Mensch, der Dir Alles verdankt!« sagte Justine zu Lucia, mit einem Blick des Hasses auf Peregrin.

»Und so spricht mein Gewissen!« seufzte die Gräfin.

»Ah bah!« rief Justine hart; »ich bin nicht gekommen, um Eure tugendhaften Expectorationen anzuhören, sondern um zu handeln, d. h. um zu verhüten, daß die Leidenschaft etwas unternehme und die Schwäche etwas zugebe, was gegen die Ehre des Hauses und des Namens wäre. Du, Lucia, bist immer derselbe armselige Charakter, ewig unterjocht von wechselnden Gefühlen, heute dermaßen die Sklavin einer Empfindung, daß Du besinnungslos das thust, was Du morgen verabscheuest – dermaßen kraftlos, daß Du nicht im Stande bist, Dich zu überwinden und Dir durch Entsagung den Abscheu zu ersparen. Folglich kannst Du gar nicht mit Peregrin verhandeln – und ich bin hier, damit dies in Deiner Gegenwart und mit Deiner Zustimmung geschehe.«

»Von Verhandlungen wird keine Rede sein,« erwiderte Peregrin gelassen. »Ich schüttele den Staub dieses Hauses von meinen Füßen und bin fortan ein namenloser Fremdling – nicht bloß hier, sondern überall auf Erden.«

Wie von Federkraft empor geschnellt sprang die Gräfin auf und zur Thür des Cabinets. Da stellte sie sich mit ausgespannten Armen hin, um Peregrin den Weg zu vertreten und rief:

»So lange ich lebe, wird das nicht geschehen!«

Peregrin lächelte traurig. Lucia rief ganz außer sich:

»Welch' ein Scandal würde das sein! was würde die Welt folgern! wie würde sie lästern! . . . . welche unverdiente Schmach fiele auf mich . . . auf die Familie . . . auf den Namen . . . auf das Andenken meines Mannes . . . . auf Alles, was mir heilig ist und Dir heilig sein sollte! Nein! das ist unmöglich! Die pecuniären Verhältnisse werden geordnet – und dann bleibt Alles, wie es ist.«

»Genau meine Ansicht,« sagte die Baronesse. »Ja, es bleibt so ganz wie es ist, daß selbst Alarich nichts erfahren darf, damit er in voller Unbefangenheit bleibe« . . . .

»Und nur ich Euer Opfer sei!« setzte Peregrin ruhig hinzu. »Ihr wollt von der Außenseite Eures Lebens die Schmach ferne halten: dafür soll ich sie in meinem Bewußtsein heimisch machen. Ich soll einen Namen stehlen, der mir nicht gebührt! . . . . ich soll ein Vermögen stehlen, das Alarich zukommt! ich soll eine Stellung in der Gesellschaft stehlen, aus der ich jeden Augenblick mit Schimpf und Schande fortgejagt werden kann!«

»Nein, nein! so ist das Alles nicht!« rief die Gräfin in fieberhafter Angst. »Den Namen Gorm haben wir Dir geschenkt . . . das Vermögen schenkt Dir Alarich – d. h. er würde es Dir schenken, wenn er die Verhältnisse kennte« . . . .

»Und was Deine Herkunft betrifft . . . . so ist sie unergründlich. Aus dem Waisenhause zu Genua habe ich Dich geholt,« sagte die Baronesse, »und habe ein schriftliches Versprechen gegeben, Dich zu erziehen und zu versorgen. Es kommt ja zuweilen der Fall vor, daß man ein fremdes Kind annimmt. Glaube nur nicht, daß wir dort eine Unthat begingen, um Deiner habhaft zu werden! Und eben weil das durchaus nicht geschah, kann auch die Sache nie zur Sprache kommen; denn die einzige Person, die darum wußte – die Frau, welche Deiner Mutter beistand – ist seit fünfzehn Jahren todt. Niemand sonst weiß um das Geheimniß.«

»Aber ich weiß darum!« sagte Peregrin. »In meiner Hand brennt das Vermögen wie glühendes Eisen – auf meiner Seele liegt der Name, der mein Stolz war, wie ein Brandmal – in meiner Brust nagt der Schmerz ohne Vater, ohne Mutter, ohne Heimath – ein Ausgestoßener der Menschheit zu sein – und in all' diesen Jammer soll ich mich finden, soll ihn ignoriren . . . . und den Betrug fortsetzen, den Ihr angefangen habt! – Nimmermehr!«

»Peregrin, erbarme Dich meiner!« rief Lucia mit versagender Stimme.

»Ja dadurch, daß ich Dich erlöse von der eisernen Maske, die Dich innerlich zerdrückt hat!« entgegnete Peregrin. »Hast Du denn nicht bis auf die Hefe den bittern Kelch geleert, welchen Dein Gewissen Dir bereitet hat? willst Du ihn auf's Neue vollschenken? und ich soll ihn mit Dir theilen? Das ist unmöglich! – Kein Schmerz wird meiner Zukunft erspart sein. Urplötzlich von Allem sich enterbt zu sehen, was dem Menschen das Dasein lieb und köstlich macht – das geht nicht ab ohne eine Schmerzenskette, deren erstes Glied ich bis jetzt nur kenne. Aber sei sie so lang und so schwer sie wolle: leicht wird sie mir sein im Vergleich zu dem Druck der Lüge, den Ihr mir zumuthet . . . denn sie macht mich nicht ehrlos.«

Die Gräfin sank auf einen Sitz und wimmerte leise. Die Baronesse sprach mit eiskaltem Zorn:

»Herzloser Mensch!«

»Das bin ich nicht,« sagte Peregrin, kniete neben der Gräfin nieder und bedeckte ihre eiskalten Hände mit Küssen.

»Ah bah!« rief Justine in ihrem harten Ton, »ein Handkuß bedeutet kein Herz! – Der Ausdruck des Herzens ist Liebe.«

»Ja,« sagte Peregrin; »aber das, was Ihr Liebe nennt, ist keine wahre Liebe. Dein Idol war meine Mutter; und das ihre – mein Vater; – und diesen Euren Idolen habt Ihr gedient, wie man seit Anfang der Welt ihnen gedient hat: blind, knechtisch, leidenschaftlich . . . . bis zur Unterdrückung jedes Gefühls für Recht und Wahrheit, bis zur Gewissenlosigkeit. Das ist nicht die Signatur der wahren Liebe! die gibt dem Herzen hohe sittliche Ideale und die Kraft, ihnen nachzugeben – gleichviel wie die irdischen Erfolge sein mögen und ob ein Paradies erbaut oder zerstört werde.«

Er legte die Hand über die Augen, denn in seinem Herzen – aber nicht auf seinen Lippen – zitterte der Name Heliade!

»Wem Du diese Deine sublime Liebe zuwendest, mögen die Götter wissen,« antwortete die Baronesse. »Deine arme Mutter hat keinen Theil an ihr – das weiß ich.«

»Es ist vergeblich, mit Dir über die Liebe zu streiten,« sagte Peregrin. »Du betrachtest sie als eine blinde Nöthigung zu jeder That, die in ihrem augenblicklichen Interesse liegt – ich kann sie nicht trennen von tiefer Ehrfurcht vor sittlicher Würde. Nach Deiner Ansicht müßte ich aus Liebe zu meiner Mutter in einen Betrug einwilligen, der uns Alle unaussprechlich erniedrigt; nach meiner Ansicht muß ich ihr die rettende Hand anbieten, um sie aus dem furchtbaren Abgrund heraus zu ziehen.«

»Ach, Peregrin, was willst Du denn eigentlich thun?« jammerte die Gräfin händeringend.

»Meine Reise nach dem Orient antreten – und nicht heimkehren,« sagte Peregrin ruhig.

»Nimmermehr!« rief die Gräfin, ihn leidenschaftlich umfassend. »Dazu hab' ich Dich viel zu lieb.«

»Ja, jetzt . . . in der Aufregung,« sagte er traurig.

»Nein, immer!« betheuerte sie.

»Arme Mutter! ich las ja Dein Tagebuch – und all' die Qualen, die Dein Herz zerrissen, weil Du im innersten Heiligthum Deiner Familie neben dem Gatten und dem Sohn das fremde Waisenkind als Dein eigenes behandeln mußtest.«

»Justine!« rief Lucia empört.

»Ah bah! ich gab es ihm in guter Absicht,« versetzte sie mißmuthig; – »doch jetzt verlange ich es zurück. In seinen Händen kann es uns compromittiren. Er ist ja wie wahnsinnig.«

»O mein armer, lieber Peregrin,« rief Lucia in Thränen, »das nimmt mich nicht Wunder bei Deinem warmen Herzen, bei Deiner Liebe zu mir und zu dem theuern Abgeschiedenen. Ich fühle wohl, daß der Schlag allzu hart ist . . . aber« . . . –

»Aber er ist gefallen!« unterbrach sie Peregrin; – »und wenn Du auch meinetwegen jammerst, daß es geschah: so fühlst Du dich doch innerlich von einer ungeheueren Last erlöst, weil Dein Sohn zu seinem Recht kommt.«

Die Gräfin fühlte tief die Richtigkeit dieser Bemerkung. Sie rief:

»Das leugne ich nicht! es würde aber die Last wieder auf mich zurückstürzen, wenn Du jetzt eigensinnig darauf beharrtest, nicht mehr für meinen Sohn gelten zu wollen. Mit welcher Stirn sollte ich vor Alarich hintreten, vor meine Freunde, vor die Welt . . . . wenn Du – – ich mag das gräßliche Wort gar nicht aussprechen! . . . . verschwinden wolltest! Auch will es mir scheinen, daß Du sowohl mir, als dem Namen und der Familie einige Rücksicht schuldest; denn wir haben Dich gehegt und gepflegt, erzogen und gebildet, so daß wir uns wohl mit Recht geistiger Weise Deine Eltern nennen können.«

»Deshalb werde ich auch geistiger Weise Dein Sohn, Dein dankbarer Sohn bleiben,« entgegnete Peregrin, vor Lucia niederkniend. »Ich danke Dir jetzt und immer für jedes freundliche Lächeln, für jeden guten Blick, für alle liebreiche Sorgfalt und Theilnahme, für alle Ermunterungen, die Du mir schenktest. Ich danke Dir, daß Dein edles Leben mir ein hohes und beschützendes Ideal von weiblicher Würde und das Verlangen gab, einer solchen Mutter nie Kummer zu bereiten. Ich danke Dir, daß meine Kindheit und meine Jugend unter dem unaussprechlich wohlthätigen Einfluß einer glücklichen Ehe, eines zufriedenen, harmonischen Familienlebens gestanden haben. Das sind unvergeßliche Wohlthaten! sie bilden einen Schatz, der mir auch in der Zukunft von Nutzen sein wird . . . . darauf verlasse Dich . . . . das tröste Dich. Eine gute Erziehung ist unter allen Umständen eine gute Rüstung und ein starker Schirm gegen das Böse.«

»O Kind, Du erquickst meine gefolterte Seele durch diese Anerkennung!« rief Lucia.

»Ja!« sagte Peregrin schmerzlich, »ich verleugne keine Wahrheit. Aber eben deshalb darf man mir keine Lüge zumuthen.«

»Was wird Alarich sagen!« wehklagte Lucia von Neuem; »Ihr lebtet immer als die besten Brüder in liebevoller Eintracht miteinander!«

»Nicht ich zerstörte sie . . . aber sie ist zerstört . . . auf immer!« rief Peregrin. »Wolltest Du die Sache vor Alarich verschweigen: so wäre ich sein Bruder – durch Betrug! Wolltest Du sie ihm mittheilen und ich sollte dann als Bruder von ihm geduldet werden: so kämen wir Alle in eine unerträgliche Lage, die so schief und so peinlich wäre, daß wir sie auf die Dauer nicht ertragen könnten. Für Euch wäre es eine widerliche Comödie, für mich – eine permanente Lüge. Und nun denke Dir den Fall, daß zwischen Alarich und mir irgend ein Conflict entstände! Denke Dir z. B., daß unsere Neigung auf eine und dieselbe Person fiele, daß sie mir den Vorzug gäbe: in welche Verzweiflung würdest Du gerathen . . . . und mit welchem Jammer müßte es ihn erfüllen! Die Versuchung läge für Euch Beide ganz nahe, mich als den Störer Eures Glückes zu hassen.«

Die Gräfin verstummte, denn sie dachte an Lydia Hohenfels, und daß Peregrin in diesem Falle nicht Unrecht habe, insofern es sie beträfe.

»Darum ist es am Besten, wie ich vorhin sagte – und wie es die Frucht von tausend Ueberlegungen und Combinationen dieser schrecklichen Nacht ist: ich scheide, ich verschwinde,« fuhr Peregrin mit tiefer Wehmuth fort. »Das soll nicht sogleich geschehen . . . . nicht in einer Weise, welche Dich compromittiren könnte. O nein! . . . Es ist ja nichts Unerhörtes, daß ein Mensch in der Wüste von Palmyra oder Nubien . . . . oder im Kampf gegen Abd el Kadr verschwinde.«

»Aber was wird dann aus Dir?« fragte die Gräfin und rang die Hände.

Diese Frage machte einen fürchterlichen Eindruck auf Peregrin: sie zeigte ihm, daß die Gräfin auf seinen Gedanken eingehe. Er wünschte es, er wollte es; er hatte ja all' seine Ueberredung dazu angewendet! Gleichwohl war es ein namenloser Schmerz, als Diejenige, in der er so zärtlich eine Mutter geliebt hatte, den Gedanken erfaßte und aussprach, daß er sich von ihr und von der Familie, deren Stolz und Freude er bisher gewesen war – trennen könne und werde. Ihm war zu Sinn, als erfasse ihn ein Wirbelwind und schleudere ihn von seinem ruhigen Pfade in ein stürmisches Meer; denn auf jene Frage wußte er keine andere Antwort zu geben, als ein dumpfes:

»Das weiß ich nicht.«

»Und ohne es zu wissen willst Du in die weite Welt gehen?« rief sie.

»Vor der Hand beruhige Dich . . . . denn ich kann nicht auf der Stelle Schloß Traun verlassen,« entgegnete Peregrin abbrechend; – »ich werde mich bemühen, in Frieden und Ordnung Alles zu lösen, was gelöst werden muß.«

Er küßte die Hand der Gräfin und verließ das Cabinet. Die Baronesse sah ihm nach; dann wiegte sie beistimmend das Haupt und sagte:

»Er hat freilich Unrecht, mit den Worten Lüge und Betrug um sich zu werfen, wie ein erhabener Don Quixote; aber darin hat er Recht, daß er geht. Mich hat seine Ueberlegenheit über Alarich längst verdrossen. Auch hat er eine gewisse Vorliebe für den Pöbel, die mit seiner Herkunft zusammenhängt.«

»Für den Pöbel? Peregrin? ich glaube Du träumst!« rief die Gräfin unmuthig.

»Das Volk! Volkswohl! Verbesserung der Zustände des Volks! . . . . dafür schwärmt Peregrin und damit hat er auch schon den armen Alarich angesteckt. Nun aber schwimmen die Grenzen zwischen Volk und Pöbel dermaßen in einander, daß Peregrin mit diesem Enthusiasmus auf falsche Fährte kommt,« entgegnete Justine.

»Das finde ich gar nicht,« entgegnete die Gräfin trocken. »Der Pöbel recrutirt sich aus allen Ständen – natürlich am zahlreichsten aus dem Stande, der überhaupt der zahlreichste ist. Niederträchtigkeit, Ehrlosigkeit, Gemeinheit: das ist das Charakteristische vom Pöbel . . . . aber keinesweges vom Volk allein. – und ich freue mich sehr, wenn Peregrin und Alarich ein offenes Herz für dasselbe haben. – O armer Peregrin! wie namenlos bedaure ich ihn . . . und mich.«

»Sei versichert, daß Du nach einiger Zeit sein Verschwinden gar nicht bedauern wirst . . . . höchstens seine Person . . . . die Lücke, die dadurch im nächsten Kreise entsteht.«

»Was wird aus ihm!« klagte die Gräfin; »er ist nicht dafür erzogen, um sein tägliches Brod sich zu erarbeiten!«

»Und nicht dafür geboren, daß ihm die gebratenen Tauben in den Mund fliegen!« ergänzte Justine. »Gib Dich jetzt zufrieden, daß Schloß Traun an den Stammhalter und das ganze Vermögen in eine Hand kommt.«

Lucia wickelte sich fest in ihre Mantille ein. Kalter Schauder überlief sie neben der Baronesse.

 


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