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Das Buch Heliade.

Alles geht zu Ende – also auch der schönste Ball. Um drei Uhr Morgens fuhr der letzte Wagen fort, die Lichter erloschen und aus den Gesellschaftszimmern begab sich die Familie in ihre Gemächer. Peregrin schloß in dem seinen die Thür hinter sich ab, zog die Vorhänge fest zu, schüttete Steinkohlen auf die Gluth im Kamin, trat zu einem kleinen Wandschrank, der in der Dicke der Mauer angebracht und mit einem Thürchen von geschnitztem Eichenholz geschlossen war, und öffnete diese mit einem kleinen starken Schlüssel, den er bei sich trug. In dem Schränkchen befanden sich nur zwei Fächer: auf dem einen lag ein Buch, auf dem andern stand ein Kasten – und in diesem befand sich Peregrin's »Amata,« seine Geige. Er nahm sie heraus, wie man etwas sehr Kostbares zu berühren pflegt, vorsichtig, langsam, leise; dann that er einen Bogenstrich und zog den langen, schwellenden, eigentümlichen Ton hervor, der – je nachdem die Hand begabt ist, die ihn weckt – wie eine Musik aus höheren Sphären klingt oder, in tausend Abstufungen, bis zum brutalsten Kreischen herabsinkt. Andere Instrumente werden, wenn sie schlecht gespielt werden, hölzern, fade, unangenehm, ton- und klanglos; aber nie so unerhört gemein, wie eine schlecht gespielte Violine: dafür erheben sie sich auch nicht – und wenn der größte Meister sie handhabt – zu jenem überirdischen Ton, welcher der Geige und vielleicht auch dem Cello entlockt werden kann. Diesen Ton rief Peregrins Bogen hervor. Es war, als berühre ein Zauberstab die Saiten – als erwache von der zarten Berührung ein seelenvolles Wesen, das auf ihnen schlafe – als gebe es Kunde seines Lebens durch den Ausdruck, welcher der Grundzug jedes Lebens ist: klagende, glühende Sehnsucht nach etwas Unendlichem.

So spielte Peregrin, und während er spielte, ging derselbe Ausdruck auf ihn selbst über, so daß die Geige die Stimme seiner Seele zu werden schien. Seine Heiterkeit verschwand, sein fröhliches Auge wurde ernst, trat tief unter seine Stirn zurück und blickte nach Innen und über seine Stirn, die fest und klar wie ein Marmorblock sich wölbte, flogen spielende Lichter – der Wiederschein von tausend Gedanken, die wie goldene Abendwolkenzüge seine Seele durchrankten. Er war einer von jenen seltenen, unerhört glücklich begabten Menschen, denen die Natur eine starke Richtung auf höhere Dinge – und einen eisernen Willen gab, dieselbe zu verfolgen. Mitten in dem glanzvollen Leben seiner Familie, der älteste Sohn des Hauses, vergöttert von seinem Vater, ging er nicht unter an der Klippe der Verweichlichung, die so manche jugendliche Kräfte kläglich lähmt. Das hatte Peregrin nächst seinen schönen natürlichen Gaben – seiner Mutter zu danken – wenigstens indirecter Weise. Seine Mutter hatte eine entschiedene Vorliebe für seinen jüngeren Bruder Alarich, während Peregrin eine grenzenlose, fast leidenschaftliche Liebe für seine Mutter hatte. Sie war sein Ideal und sein Idol. Ihre Vorliebe für seinen Bruder schmerzte ihn zuweilen tief, aber ohne ihn zu erbittern; denn weil er sie für vollkommen hielt, so nahm er ganz aufrichtig an, daß Alarich ihre Liebe mehr verdiene und sein ganzes Streben ging dahin, nicht sowohl Alarich den Rang abzulaufen; – nein! er gönnte ihm von ganzem Herzen sein Glück! – aber sich neben ihn zu stellen. So hatte Peregrin einen edlen Sporn, der seinen lebhaften Geist und seine Energie immer in Anregung und zugleich immer in heilsamen Schranken hielt. Ihm war kein Ideal zu hoch, kein Ziel zu fern, keine Aussicht zu groß, kein Hinderniß zu mühsam – er nahm Alles an! und mit der ungebrochenen, etwas stürmischen Kraft der Jugend und seiner Natur, wollte er das Alles verwirklichen, erreichen und besiegen. Dazwischen trat dann freilich oft das Bewußtsein der Unzulänglichkeit aller menschlichen Kräfte, der Unvollkommenheit alles menschlichen Thuns, der ungeheuern Kluft, die allzu oft zwischen dem Willen und dem Handeln liegt. Je stärker sein Drang und seine Sehnsucht nach der Vollkommenheit war, um desto tiefer ging sein Schmerz, daß ihn Sternenweiten von ihr trennten, um desto entschiedener nahm er immer wieder seine Kämpfe auf. So war in seiner Seele ein Gemisch und ein Gegensatz von jugendlicher Schwärmerei und männlicher Energie, von phantasievollem Talent und von klarem Verstand, wodurch er zugleich interessant und vielversprechend wurde. Von allen Menschen, mit denen Peregrin in Berührung stand, schien seine Mutter dies am Wenigsten zu finden. Sie hatte beständig etwas zu tadeln, zurechtzuweisen, und machte man ihr darüber eine Bemerkung, so erwiderte sie, sie müsse Peregrin »con sordini« behandeln, damit dieser Dämpfer ein Gegengewicht werde gegen die allzu große Gunst, die man ihm allgemein zu Theil werden lasse. Beobachtete man sie aber genauer, so fand man leicht heraus, daß es nicht ein Grundsatz der Vernunft war, nach welchem sie Peregrin behandelte, sondern die entschiedene Vorliebe für ihren jüngeren Sohn.

Dies war auch der Punkt, der zuweilen die schöne Harmonie ihres ehelichen Verhältnisses trübte. Mochte es wahr sein, was jene Freundin »der schönen Lucia« auf dem Ball gesagt hatte, mochte Graf Gorm in den ersten Jahren seiner Ehe nicht ganz tadellos gewesen sein, so war es doch gewiß, daß sich seit Peregrins Geburt nie ein Wölkchen aus jener Vergangenheit mehr gezeigt und nur die zärtlichste Liebe zwischen dem Ehepaar geherrscht hatte. War es Lucia's hingebende Treue – oder ihre fleckenlose Tugend – oder ihre seltene Schönheit – oder der Sohn, der heißersehnte, den sie endlich ihm schenkte – oder das Alles zusammengenommen und verstärkt durch das Bewußtsein, das in edlen Naturen so kräftig ist: die Vergangenheit gut machen zu müssen: genug, jene Freundin hatte ganz Recht zu sagen, Graf Gorm liebe quasi jünglingsmäßig seine schöne Lucia. Vertrauen, Bewunderung, Zärtlichkeit, Verehrung – die süßesten und edelsten Empfindungen, die das Weib einflößen kann, fühlte er für sie. Aber während Lucia dadurch einerseits unaussprechlich glücklich war, empfing sie, gerade dadurch, andererseits einen Dorn mitten in's Herz hinein, den schlimmen Dorn, der in schwachen, leidenschaftlichen Herzen die fürchterlichsten Wunden macht: den Dorn der Eifersucht. Peregrin's Geburt bewirkte am kräftigsten die Umwandlung des Grafen. Dem Kinde verdankte sie hauptsächlich die Liebe ihres Mannes: so stand denn dies Kind auf dem ersten Platz in seinem Herzen. Diesen Kummer konnte sie nicht überwältigen. Nach einigen Jahren hatte sie wieder einen Sohn. Es wäre ihr ein Trost gewesen, wenn ihr Mann den kleinen Alarich zu seinem entschiedenen Liebling hätte machen wollen. Das geschah aber nicht. Der Erstgeborne behielt den ersten Platz, obschon der Vater es dem Kleinen an keiner Liebe fehlen ließ. Lucia aber litt nun für sich selbst sowohl, als für ihren Alarich die eingebildete Zurücksetzung, womit die Eifersucht ihre Opfer martert. Rührte das Nervenzucken, das zuweilen ihre ganze Gestalt erschütterte, zuweilen ihr Antlitz entstellend überflog – rührte der erschreckte Aufblick ihres Auges, womit sie zuweilen aus stillem Nachdenken auffuhr, von jener Qual her?

Peregrin's Adagio verhallte in der stillen Nacht. Er legte die Violine in ihren Kasten zurück und sagte halblaut: Schlaf wohl, Amata! ach, Amata, ich fürchte . . . . ich fürchte sehr, daß du so etwas wie eine Rivalin bekommen hast! – Dann nahm er das Buch aus dem Wandschrank, setzte sich zum Kamin und las:

»Zum ewigen Gedächtniß!«

»So war die Begebenheit. Ein reizender Rauhreif bepuderte die ganze Landschaft. Alle Bäume des großen Gartens hatten die schönsten Perrücken von weißem Kandiszucker aufgesetzt. Aus dem spätem Morgenroth des Januars stieg die Sonne so groß und klar auf, als habe sie sich ihr herrliches Auge recht hell ausgeschlafen.

Er lief hinaus, aus der Stadt, um ein Paar Athemzüge in der frischen Morgenluft zu thun, bevor er an die Studien ging – an diese Cocosnüsse mit steinharter, rauher Schaale, aber angefüllt mit der süßen, nährenden Milch des Wissens. So heißt es.

Die Zeit war knapp gemessen. Er ging im Sturmschritt und hielt sich gar nicht mit Betrachtungen auf. Aber seine Augen schauten ringsumher – und fielen plötzlich auf einen seltsamen Gegenstand. Ein kleines schwarzes Wesen tummelte sich schlittschuhlaufend auf dem zugefrornen Bassin des großen Gartens, in den allergeschicktesten Evolutionen umher. Was war das für ein Wesen? war's ein kleiner Kamtschadale – ein Kobold – eine Elf? – Vor Sonnenaufgang auf dem Eise – hat der große Garten je eine solche Curiosität gesehen? schüttelten die Bäume nicht höchlichst verwundert ihre Zuckerperrücken? – Aber das Dingelchen lief und lief, als ob ihm das Bassin ganz allein gehöre.

Er ging näher. Das Wesen war allerdings ein kleiner Mensch, ein Menschenkind, obschon es nicht so aussah, sondern vielmehr wie ein Kätzchen; denn es trug – höchst decent! – einen Anzug von schwarzem Stoff und die weiten Pantalons waren am Fußknöchel – und des Kleides Aermel waren am Handgelenk mit einem weißen Pelzstreif zusammengehalten. Da sah er denn, in der Nähe, daß dies Figürchen kein schwarzes Kätzchen mit weißen Pfötchen, sondern ein kleines Mädchen sei. Er ergötzte sich ein Paar Augenblicke an dieser unglaublichen Geschicklichkeit. Plötzlich flog die Kleine wie ein Pfeil auf ihn zu; – aber doch nicht auf ihn, sondern nur in seine Nähe, wo er am Uferrand stand; und da schnallte sie ihre Schlittschuhe ab. Während sie damit beschäftigt war, ging er schnell auf sie zu und fragte scherzend:

»Seit wann laufen Kätzchen Schlittschuh?«

Da erhob sie sich aus ihrer gebückten Stellung und sah ihn an mit ein Paar Augen, die ihn dermaßen an den Sirius erinnerten, daß er geschwind hinzusetzte:

»Kleine Fee!«

Aber die Kleine antwortete gleichgültig:

»Das bin ich nicht.«

»Wer sind Sie denn?« fragte er etwas voreilig.

Statt zu antworten nahm sie ihre Schlittschuh auf und lief von dannen, denn in demselben Augenblick rief eine starke, fast rauhe Männerstimme:

»Heliade!«

Die Stimme erklang aus einem der Pavillons, die am Bassin liegen und die im Sommer gern und immer – im Winter selten bewohnt werden. Er blickte schnell sich um und sah einen Mann mit eisgrauem Haar am geöffneten Fenster stehen und der Kleinen entgegenblicken. Sie verschwand im Pavillon und das Fenster schloß sich. Er aber dachte: Sollte dieser Eisbär der Vater einer Heliade mit Siriusaugen sein können?

Er ging noch einige Mal früh Morgens in den großen Garten; – aber eine schlittschuhlaufende Heliade sah er nicht mehr. Auch die Fenster ihres Pavillons öffneten sich nicht und waren undurchsichtig gemacht durch leichte weiße Vorhänge, die unmittelbar auf den Scheiben auflagen.

Die Siriusaugen begannen in den Wolken der Vergessenheit unterzugehen.

Da führte ihn sein Weg einmal gegen Abend in den großen Garten. Es war viel Schnee gefallen; die Landschaft hatte etwas Todtes, Trauriges; der westliche Himmel war kupferroth; die Natur war still und melancholisch, wie ein hartbehandelter Mensch, der sich in sein Schicksal ergibt.

Da öffnete sich ein Fenster in Heliadens Pavillon. Die kleine Fee erschien, kehrte den Schnee von der Fensterbrüstung ab und begann Brodkrümchen und Samenkörnchen darauf zu streuen. Und als ob sie darauf gewartet hätten, – wahrscheinlich weil sie es so gewohnt waren – stürzten sich förmlich von allen benachbarten Bäumen ganze Schaaren halbverhungerter Vögelchen auf die Fensterbrüstung, um ein Körnlein zu erpicken. Das war ein Zwitschern und Zirpen, ein Girren und Quirlen, ein Flügelschlagen und Schnabelaufsperren, eine Hast und ein Gedränge, daß Heliade geschwinde ein Paar Handvoll Körner hinaus auf den Schnee warf, um ihre sämmtlichen Gäste zu speisen. Dann aber blieb sie ganz still stehen, regte sich nicht und blickte freundlich auf das Gewimmel der Vögel.

Er stand zehn Schritte vom Fenster auf dem großen Fahrweg und betrachtete die kleine gute Fee; aber sie bemerkte ihn nicht. Da ging er etwas näher und sagte halb gedankenlos:

»Heliade!«

Mit unbefangenem Erstaunen hob sich ihr schönes Köpfchen und wendete sich zu dem Sprechenden hin. Als sie ihn gewahrte, vielleicht erkannte, trat sie zurück, das Fenster schloß sich und das erschreckte gefiederte Reich stob auseinander und verschwand mit der Fee.

Er war etwas wüthend über sich selbst, dies liebliche Bild, das einen so milden, anmuthigen Seelensonnenstrahl auf die harte Natur warf, frech und roh verstört zu haben; aber es war geschehen und fest nahm er sich vor, künftig nie wieder so plump und vorlaut mit der Thür in's Haus zu fallen.

Er war nicht gebietender Herr seiner Zeit: das waren die Studien. Er kam nicht zu einsamen Spaziergängen im großen Garten. Die Tage vergingen, verflogen. Die Charwoche kam. Er ging immer fleißig in die katholische Kirche, wegen der Musik – und verfehlte nie, die Lamentationen zu hören. Dieser Ausdruck herzzerreißender, unirdischer Schmerzen, diese immense Klage um Etwas, das nicht der Erde angehört, that ihm unaussprechlich wohl. Obschon er solchen Schmerz nicht kannte und solche Klage nicht führte, so meinte er doch, daß in seinem tiefinnersten Wesen ein Punkt sei, von welchem er solchen Schmerz und solche Klage vollkommen verstehen, ja – in sie einstimmen könne; und dieser Punkt war nicht aus der musikalischen Erregung und Beistimmung hervorgegangen.

Als die Tenebrä am Charfreitag zu Ende waren und er die Kirche verließ, quoll ein Menschenstrom mit ihm heraus, während Andere noch hinein wollten. So entstand ein flüchtiges Gedränge, welches zwei Damen auf ihn zurückschob. Er legte seinen Arm zwischen sie und die Leute. Die Eine sah sich dankbar für die Schutzwehr um.

»Heliade!« sagten ganz unwillkürlich seine Lippen, weil er so überrascht war, sie hier zu finden. Sie gehörte in den Pavillon des großen Gartens, wie eine Perle in ihre Muschel. Aber ein Blitz von Unmuth zuckte in ihren Augenbrauen, aus ihren Lippen; ihre Siriusaugen schienen ganz schwarz zu werden und zu sagen: Nun ist's genug, sonst werde ich böse! – und damit war sie fort, drinnen in der Kirche. Er wäre ihr gern gefolgt; doch das war umsonst, denn die übliche Sitte schied auf's Strengste Männer und Frauen und wies jedem Geschlecht eine Seite der Kirche zu. – Sollte er warten, bis sie wieder herauskam? – aber er dachte an ihren schwarzen Blick! und dann mußte er sich ja auch sagen, daß es unaussprechlich unvernünftig sei, hier Schildwache zu stehen, bis ein kleines Mädchen an ihm vorübergehe. Da fiel ihm ein, daß einst ein Mann, der größten und berühmtesten Einer, daß Dante überselig gewesen sei, wenn ihm die neunjährige Beatrice begegnete. Ganz entschieden war Heliade nicht neun Jahr alt, sondern wohl dreizehn; aber ebenso entschieden war er – kein Dante. Und weil das Alles nur so halb paßte – oder eigentlich gar nicht paßte! – so blieb er da, das heißt er ging vor der Thür der Kirche und in ihrer Nähe hin und her, wohl eine halbe Stunde. Es fing an zu dämmern – siehe! da ging der Sirius auf! Am Arm einer Dame trat Heliade in die Thür und ging die Stufen zur Straße hinab, dann über den Platz und dem Neumarkt zu – dem kürzesten Weg zum großen Garten.

Er wunderte sich, daß Dante beglückt gewesen sei, wenn ihm Beatrice begegnete. Er war eher traurig. Heliade hatte ihn gar nicht bemerkt.

Hier endet der erste Theil des Buches Heliade – und hier beginnt der zweite.

Es war im nächsten Januar. Er ging nach der königlichen Bibliothek, um eine alte Ausgabe des Nibelungenliedes aufzusuchen. Als er mit einem der Bibliothekare diese Entdeckungsreise antrat, kamen sie durch ein großes Zimmer, in welchem an zwei langen Tischen mehrere Herren in tiefem Schweigen hinter Wall und Mauer von Büchern saßen und lasen, nachschlugen, verglichen, excerptirten, abschrieben. Der eine dieser Herren fiel ihm auf. Wo hatte er dies starke eisgraue Haar schon gesehen? der Mann war bleich und hager, mit scharfen Zügen und einem ungeheuer melancholischen Ausdruck. Im nächsten Zimmer fragte er den Bibliothekar, wer der graue Mann sei?

»Eine frappante Figur, wie in Erz gegossen« – sagte der Bibliothekar; »und auch seine Gewohnheiten sind wie auf ein Geleise von Erz gebannt. Er studirt die hebräische Sprache und alte Schriften, um die Ur-Religion zu entdecken – und wandert deßhalb von einer großen Bibliothek zur andern. Hier ist er seit etwa einem Jahr und seitdem vergeht kein Tag, an welchem er nicht den weiten Weg zum Japanischen Palais vom großen Garten, wo er wohnt, zu Fuß macht.«

»Ah! – der Herr wohnt im großen Garten!« rief er.

»Ja,« sagte der Bibliothekar, »im zweiten Pavillon, rechts vom Bassin, im Winter und Sommer.«

»Und ganz allein?«

»Das kann ich nicht sagen! indessen sieht der Pavillon aus, als wohne eine Familie darin.«

»Ist er ein Professor? gibt er Unterricht in den orientalischen Sprachen? persisch und arabisch lernte ich gern . . . der Dichter wegen.«

»Nein, damit gibt sich Herr von Horburg nicht ab. Das würde seine Forschungen nach der Ur-Religion allzu sehr unterbrechen.«

»Von Horburg? ein fremder Name!«

»Ja, hier fremd. Aber es ist eine alte Familie im Elsaß, wo überhaupt der alte, alemannische, ächt deutsche Adel recht zu Hause war – im ganzen Rheinthal bis hinauf in die Vogesen. Kürzlich las ich den Namen in einer höchst interessanten Schrift, welche der Kulturgeschichte des Mittelalters, wenigstens indirect, angehört und ein wunderschönes Licht über die mächtigen geistigen Strömungen jener unglaublich verkannten und verleumdeten Zeit wirft.«

»Und darin war der Name Horburg verflochten?«

»Ja; in einer Sammlung von Lebensbeschreibungen gottseliger Klosterfrauen [des] Dominicanerordens, die im dreizehnten Jahrhundert den Convent zu Unterlinden bei Colmar ebenso zu einer Stätte des höheren Gebetes und der heiligen Extase machten, wie es der Convent zu Adelhausen bei Freiburg im Breisgau that, wo zu derselben Zeit Cunigunde, Rudolph von Habsburgs Schwester, unter den gottgeweihten Jungfrauen sich befand. In der Monographiensammlung von Unterlinden, herausgegeben in Petz »Bibliotheca ascetica.« Tom. VIII., fand ich also jenen Namen und zwar Heliadis von Horburg.«

»Heliade!« rief er in höchster Ueberraschung.

»Ganz richtig – Heliade! so würden wir nach jetzigem Sprachgebrauch sagen, der auch bei Hildegardis, Mechtildis und ähnlichen Namen sich geltend gemacht hat,« erwiderte trocken der Bibliothekar.

Nun wußte er also, daß sie Heliade von Horburg heiße, von altem Adel sei und daß ihr Vater die Ur-Religion suche. Aber er hat sie nicht wieder gesehen.

Und hiemit endet der zweite Theil des Buches Heliade – und Heliade ist wohl so etwas wie eine Rivalin der Amata!«

Peregrin legte sein Buch, welches nur diese wenigen, von seiner Hand geschriebenen Seiten enthielt, in das Wandschränkchen zurück, verschloß es sorgfältig und suchte für kurze Zeit die Ruhe auf.


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