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Fünfzehnter Vortrag.

Entwickelung des Weltalls und der Erde. Urzeugung. Kohlenstoff-Theorie. Plastiden-Theorie.

Entwickelungs-Geschichte der Erde. Kant's Entwickelungs-Theorie des Weltalls oder die kosmologische Gas-Theorie. Entwickelung der Sonnen, Planeten und Monde. Erste Entstehung des Wassers. Vergleichung der Organismen und der Anorgane. Organische und anorgische Stoffe. Dichtigkeits-Grade oder Aggregat-Zustände. Eiweissartige Kohlenstoff-Verbindungen. Plasson-Körper. Organische und anorgische Formen. Krystalle und Moneren (strukturlose Organismen ohne Organe). Stereometrische Grund-Formen der Krystalle und der Organismen. Organische und anorgische Kräfte. Lebenskraft. Wachsthum und Anpassung bei Krystallen und bei Organismen. Bildungskräfte der Krystalle. Einheit der organischen und anorganischen Natur. Urzeugung oder Archigonie. Autogonie und Plasmogonie. Entstehung der Moneren durch Urzeugung. Entstehung der Zellen aus Moneren. Zellen-Theorie. Plastiden-Theorie. Plastiden oder Bildnerinnen. Cytoden und Zellen. Vier verschiedene Arten von Plastiden.

 

Meine Herren! Durch unsere bisherigen Betrachtungen haben wir vorzugsweise die Frage zu beantworten versucht, durch welche Ursachen neue Arten von Thieren und Pflanzen aus bestehenden Arten hervorgegangen sind. Wir haben diese Frage dahin beantwortet, dass einerseits die Bastardzeugung, andererseits die natürliche Züchtung im Kampf um's Dasein, die Wechselwirkung der Vererbungs- und Anpassungs-Gesetze, völlig genügend ist, um die unendliche Mannichfaltigkeit der verschiedenen, scheinbar zweckmässig nach einem Bauplane organisirten Thiere und Pflanzen mechanisch zu erzeugen. Inzwischen wird sich Ihnen schon wiederholt die Frage aufgedrängt haben: Wie entstanden die ersten Organismen, oder der eine ursprüngliche Stamm-Organismus, von welchem wir alle übrigen ableiten?

Diese Frage hat Lamarck 2) durch die Hypothese der Urzeugung oder Archigonie beantwortet. Darwin dagegen geht über dieselbe hinweg, indem er ausdrücklich hervorhebt, dass er »Nichts mit dem Ursprung der geistigen Grundkräfte, noch mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe«. Am Schlusse seines Werkes spricht er sich darüber bestimmter in folgenden Worten aus: »Ich nehme an, dass wahrscheinlich alle organischen Wesen, die jemals auf dieser Erde gelebt, von irgend einer Urform abstammen, welcher das Leben zuerst vom Schöpfer eingehaucht worden ist.« Ausserdem beruft sich Darwin zur Beruhigung Derjenigen, welche in der Descendenz-Theorie den Untergang der ganzen »sittlichen Welt-Ordnung« erblicken, auf einen berühmten Schriftsteller und Geistlichen, welcher ihm geschrieben hatte: »Er habe allmählich einsehen gelernt, dass es eine ebenso erhabene Vorstellung von der Gottheit sei, zu glauben, dass sie nur einige wenige, der Selbstentwickelung in andere und nothwendige Formen fähige Urtypen geschaffen, als dass sie immer wieder neue Schöpfungsakte nöthig gehabt habe, um die Lücken auszufüllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Gesetze entstanden seien.« Diejenigen, denen der Glaube an eine übernatürliche Schöpfung ein Gemüths-Bedürfniss ist, können sich bei dieser Vorstellung beruhigen. Sie können jenen Glauben mit der Descendenz-Theorie vereinbaren: denn sie müssen in der Erschaffung eines einzigen ursprünglichen Organismus, der die Fähigkeit besass alle übrigen durch Vererbung und Anpassung aus sich zu entwickeln, wirklich weit mehr Erfindungskraft und Weisheit des Schöpfers bewundern, als in der unabhängigen Erschaffung der verschiedenen Arten.

Wenn wir uns in dieser Weise die Entstehung der ersten irdischen Organismen, von denen alle übrigen abstammen, durch die zweckmässige und planvolle Thätigkeit eines persönlichen Schöpfers erklären wollten, so würden wir damit auf eine wissenschaftliche Erkenntniss derselben verzichten, und aus dem Gebiete der wahren Wissenschaft auf das gänzlich getrennte Gebiet der dichtenden Glaubenschaft hinübertreten. Wir würden durch die Annahme eines übernatürlichen Schöpfungs-Aktes einen Sprung in das Unbegreifliche thun. Ehe wir uns zu diesem letzten Schritte entschliessen und damit auf eine wissenschaftliche Erkenntniss jenes Vorgangs verzichten, sind wir jedenfalls zu dem Versuche verpflichtet, denselben durch eine mechanische Hypothese zu beleuchten. Wir müssen jedenfalls untersuchen, ob denn wirklich jener Vorgang so wunderbar ist, oder ob wir uns eine haltbare Vorstellung von einer ganz natürlichen Erstehung jenes ersten Stamm-Organismus machen können. Auf das Wunder der »Schöpfung« würden wir dann gänzlich verzichten können.

Zu diesem Zwecke müssen wir zunächst etwas weiter ausholen und die natürliche Schöpfungs-Geschichte der Erde sowohl als des ganzen Weltalls in ihren allgemeinen Grundzügen betrachten. Bekanntlich leiten wir aus dem Bau der Erde, wie wir ihn gegenwärtig kennen, die wichtige und bis jetzt noch nicht widerlegte Vorstellung ab, dass das Innere unserer Erde sich in einem feurig-flüssigen Zustande befindet; die feste aus verschiedenen Schichten zusammengesetze Rinde, auf deren Oberfläche die Organismen leben, bildet nur eine sehr dünne Kruste oder Schale um den feurig-flüssigen Kern. Zu dieser Anschauung sind wir durch verschiedene übereinstimmende Erfahrungen und Schlüsse gelangt. Zunächst spricht dafür die Erfahrung, dass die Temperatur der Erdrinde nach dem Innern hin stetig zunimmt. Je tiefer wir hinabsteigen, desto höher steigt die Wärme des Erdbodens, und zwar in dem Verhältniss, dass auf jede 100 Fuss Tiefe die Temperatur ungefähr um einen Grad zunimmt. In einer Tiefe von 6 Meilen würde demnach bereits eine Hitze von 1500° herrschen, hinreichend, um die meisten festen Stoffe unserer Erdrinde in geschmolzenem, feuerflüssigem Zustande zu erhalten. Diese Tiefe ist aber erst der 286ste Theil des ganzen Erddurchmessers (1717 Meilen). Wir wissen ferner, dass Quellen, die aus beträchtlicher Tiefe hervorkommen, eine sehr hohe Temperatur besitzen, und zum Theil selbst das Wasser im kochenden Zustande an die Oberfläche befördern. Sehr wichtige Zeugen sind endlich die vulkanischen Erscheinungen, das Hervorbrechen feuerflüssiger Gesteinsmassen durch einzelne berstende Stellen der Erdrinde hindurch. Die gluthflüssigen, soeben dem Erdinneren entstiegenen Lavaströme zeigen eine Temperatur von 2000° und darüber. Alle diese Erscheinungen führen uns mit grosser Sicherheit zu der wichtigen Annahme, dass die feste Erdrinde, vergleichbar der dünnen Schale eines Apfels, nur einen ganz geringen Bruchtheil von dem ganzen Durchmesser der Erdkugel bildet, und dass diese sich noch heute grösstentheils in geschmolzenem oder feuerflüssigem Zustande befindet.

Wenn wir nun auf Grund dieser Annahme über die einstige Entwickelungs-Geschichte des Erdballs nachdenken, so werden wir folgerichtig noch einen Schritt weiter geführt, nämlich zu der Annahme, dass in früherer Zeit die ganze Erde ein feurig-flüssiger Ball, und dass die Bildung einer dünnen erstarrten Rinde auf der Oberfläche dieses Balles erst ein späterer Vorgang war. Erst allmählich, durch Ausstrahlung der inneren Gluthitze in den kalten Weltraum, verdichtete sich die Oberfläche des glühenden Erdballs zu einer dünnen Rinde. Dass die Temperatur der Erde früher allgemein eine viel höhere war, wird durch viele Erscheinungen bezeugt. Unter Anderem spricht dafür die gleichmässige Vertheilung der Organismen in früheren Zeiten der Erd-Geschichte. Während bekanntlich jetzt den verschiedenen Erdzonen und ihren örtlichen Temperaturen verschiedene Bevölkerungen von Thieren und Pflanzen entsprechen, war dies früher entschieden nicht der Fall, und wir sehen aus der Vertheilung der Versteinerungen in den älteren Zeiträumen, dass erst sehr spät, in einer verhältnissmässig neuen Zeit der organischen Erd-Geschichte (im Beginn der sogenannten cänolithischen oder Tertiärzeit), eine Sonderung der Zonen und dem entsprechend auch ihrer organischen Bevölkerung stattfand. Während der ungeheuer langen Primär- und Secundärzeit lebten tropische Pflanzen, welche einen sehr hohen Temperaturgrad bedürfen, nicht allein in der heutigen heissen Zone unter dem Aequator, sondern auch in der heutigen gemässigten und kalten Zone. Auch viele andere Erscheinungen haben eine allmähliche Abnahme der Temperatur des Erdkörpers im Ganzen, und insbesondere eine erst spät eingetretene Abkühlung der Erdrinde von den Polen her kennen gelehrt. In seinen ausgezeichneten »Untersuchungen über die Entwickelungs-Gesetze der organischen Welt« hat Bronn 19) die zahlreichen geologischen und paläontologischen Beweise dafür zusammengestellt.

Auf diese Erscheinungen einerseits und auf die mathematisch-astronomischen Erkenntnisse vom Bau des Weltgebäudes andererseits gründet sich nun die Theorie, dass die ganze Erde vor undenklicher Zeit, lange vor der ersten Entstehung von Organismen auf derselben, ein feuerflüssiger Ball war. Diese Theorie aber steht wiederum in Uebereinstimmung mit der grossartigen Theorie von der Entstehung des Welt-Gebäudes und speciell unseres Planetensystems, welche auf Grund von mathematischen und astronomischen Thatsachen 1755 unser kritischer Philosoph Kant 22) aufstellte, und welche später die berühmten Mathematiker Laplace und Herschel ausführlicher begründeten. Diese mechanische Kosmogenie oder Entwickelungs-Theorie des Weltalls steht noch heute in fast allgemeiner Geltung; sie ist durch keine bessere ersetzt worden, und Mathematiker, Astronomen und Geologen haben dieselbe durch mannichfaltige Beweise immer fester zu stützen versucht.

Die Kosmogenie Kant's behauptet, dass das ganze Weltall in unvordenklichen Zeiten ein gasförmiges Chaos bildete. Alle Materien, welche auf der Erde und anderen Weltkörpern gegenwärtig in verschiedenen Dichtigkeitszuständen, in festem, fest-flüssigem, tropfbar-flüssigem und elastisch-flüssigem oder gasförmigem Aggregatzustande sich gesondert finden, bildeten ursprünglich zusammen eine einzige gleichartige, den Weltraum gleichmässig erfüllende Masse, welche in Folge eines ausserordentlich hohen Temperaturgrades in gasförmigem oder luftförmigem, äusserst dünnem Zustande sich befand. Die Millionen von Weltkörpern, welche gegenwärtig auf die verschiedenen Sonnensysteme vertheilt sind, existirten damals noch nicht. Sie entstanden erst in Folge einer allgemeinen Drehbewegung oder Rotation, bei welcher sich eine Anzahl von festeren Massengruppen mehr als die übrige gasförmige Masse verdichteten, und nun auf letztere als Anziehungsmittelpunkte wirkten. So entstand eine Scheidung des chaotischen Ur-Nebels oder Welt-Gases in eine Anzahl von rotirenden, mehr und mehr sich verdichtenden Nebelbällen. Auch unser Sonnensystem war ein solcher riesiger gasförmiger Dunstball, dessen Theilchen sich sämmtlich um einen gemeinsamen Mittelpunkt, den Sonnenkern, herumdrehten. Der Nebelball selbst nahm durch die Rotationsbewegung, gleich allen übrigen, eine Sphäroid-Form oder abgeplattete Kugel-Gestalt an.

Während die Centripetalkraft die rotirenden Theilchen immer näher an den festen Mittelpunkt des Nebelballs heranzog, und so diesen mehr und mehr verdichtete, war umgekehrt die Centrifugalkraft bestrebt, die peripherischen Theilchen immer weiter von jenem zu entfernen und sie abzuschleudern. An dem Aequatorialrande der an beiden Polen abgeplatteten Kugel war diese Centrifugalkraft am stärksten, und sobald sie bei weitergehender Verdichtung das Uebergewicht über die Centripetalkraft erlangte, löste sich hier eine ringförmige Nebelmasse von dem rotirenden Balle ab. Diese Nebelringe zeichneten die Bahnen der zukünftigen Planeten vor. Allmählich verdichtete sich die Nebelmasse des Ringes zu einem Planeten, der sich um seine eigene Axe drehte und zugleich um den Centralkörper rotirte. In ganz gleicher Weise aber wurden von dem Aequator der Planetenmasse, sobald die Centrifugalkraft wieder das Uebergewicht über die Centripetalkraft gewann, neue Nebelringe abgeschleudert, welche in gleicher Weise um die Planeten sich bewegten, wie diese um die Sonne. Auch diese Nebelringe verdichteten sich wieder zu rotirenden Bällen. So entstanden die Monde, von denen nur einer um die Erde, aber vier um den Jupiter, sechs um den Uranus sich bewegen. Der Ring des Saturnus stellt uns noch heute einen Mond auf jenem früheren Entwickelungsstadium dar. Indem bei immer weiter schreitender Abkühlung sich diese einfachen Vorgänge der Verdichtung und Abschleuderung vielfach wiederholten, entstanden die verschiedenen Sonnensysteme, die Planeten, welche sich rotirend um ihre centrale Sonne, und die Trabanten oder Monde, welche sich drehend um ihren Planeten bewegen.

Der anfängliche gasförmige Zustand der rotirenden Weltkörper ging allmählich durch fortschreitende Abkühlung und Verdichtung in den feurigflüssigen oder geschmolzenen Aggregatzustand über. Durch den Verdichtungsvorgang selbst wurden grosse Mengen von Wärme frei, und so gestalteten sich die rotirenden Sonnen, Planeten und Monde bald zu glühenden Feuerbällen, gleich riesigen geschmolzenen Metalltropfen, welche Licht und Wärme ausstrahlten, Durch den damit verbundenen Wärmeverlust verdichtete sich wiederum die geschmolzene Masse an der Oberfläche der feuerflüssigen Bälle und so entstand eine dünne feste Rinde, welche einen feurigflüssigen Kern umschloss. In allen diesen Beziehungen wird sich unsere mütterliche Erde nicht wesentlich verschieden von den übrigen Weltkörpern verhalten haben.

Der besondere Zweck dieser Vorträge gestattet uns nicht, die »natürliche Schöpfungs-Geschichte des Weltalls« mit seinen verschiedenen Sonnen-Systemen und Planeten-Systemen im Einzelnen zu verfolgen und durch alle verschiedenen astronomischen und geologischen Beweismittel mathematisch zu begründen. Ich begnüge mich daher mit den eben angeführten Grundzügen derselben und verweise Sie bezüglich des Näheren auf Kant's »Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels« 22), sowie auf das treffliche Werk von Carus Sterne, »Werden und Vergehen« 27). Nur die Bemerkung will ich noch hinzufügen, dass diese bewunderungswürdige Theorie, welche man auch die kosmologische Gas-Theorie genannt hat, mit allen uns bis jetzt bekannten allgemeinen Erscheinungsreihen in bestem Einklang steht. Ferner ist dieselbe rein mechanisch oder monistisch; sie nimmt ausschliesslich die ureigenen Kräfte der ewigen Materie für sich in Anspruch, und schliesst jeden übernatürlichen Vorgang, jede zweckmässige und bewusste Thätigkeit eines persönlichen Schöpfers vollständig aus. Kant's kosmologische Gas-Theorie nimmt daher in der Anorgologie, und insbesondere in der Geologie, eine ähnliche herrschende Stellung ein, und krönt in ähnlicher Weise unsere Gesammterkenntniss, wie Lamarck's biologische Descendenz-Theorie in der ganzen Biologie, und namentlich in der Anthropologie. Beide stützen sich ausschliesslich auf mechanische oder bewusstlose Ursachen (Causae efficientes), nirgends auf zweckthätige oder bewusste Ursachen (Causae finales). (Vergl. oben S. 89-92.) Beide erfüllen somit alle Anforderungen einer wissenschaftlichen Theorie und werden so lange in Geltung bleiben, bis sie durch bessere ersetzt werden.

Allerdings will ich andererseits nicht verhehlen, dass der grossartigen Kosmogenie Kant's einige Schwächen anhaften, welche uns nicht gestatten, ihr dasselbe unbedingte Vertrauen zu schenken, wie Lamarck's Descendenz-Theorie. Grosse Schwierigkeiten verschiedener Art hat die Vorstellung des uranfänglichen gasförmigen Chaos, das den ganzen Weltraum erfüllte. Eine grössere und ungelöste Schwierigkeit aber liegt darin, dass die kosmologische Gas-Theorie uns gar keinen Anhaltepunkt liefert für die Erklärung des ersten Anstosses, der die Rotationsbewegung in dem gaserfüllten Weltraum verursachte. Beim Suchen nach einem solchen Anstoss werden wir unwillkürlich zu der falschen Frage nach dem »ersten Anfang« verführt. Einen ersten Anfang können wir uns aber für die ewigen Bewegungserscheinungen des Weltalls eben so wenig denken, als ein schliessliches Ende.

Das Weltall ist nach Raum und Zeit unbeschränkt und unermesslich. Es ist ewig und es ist unendlich. Aber auch für die ununterbrochene und ewige Bewegung, in welcher sich alle Theilchen des Weltalls beständig befinden, können wir uns keinen Anfang und kein Ende denken. Die grossen Gesetze von der Erhaltung der Kraft 38) und von der Erhaltung des Stoffes, die Grundlagen unserer ganzen Naturanschauung, lassen keine andere Vorstellung zu. Die Welt, soweit sie dem Erkenntnissvermögen des Menschen zugänglich ist, erscheint als eine zusammenhängende Kette von materiellen Bewegungserscheinungen, mit einem fortwährenden Wechsel der Formen verknüpft. Jede Form, als das zeitweilige Resultat einer Summe von Bewegungserscheinungen, ist als solches vergänglich und von beschränkter Dauer. Aber in dem beständigen Wechsel der Formen bleibt die Materie und die davon untrennbare Kraft ewig und unzerstörbar; dies ist die wahre Unsterblichkeit.

Wenn nun auch Kant's kosmologische Gas-Theorie nicht im Stande ist, die Entwickelungs-Geschichte des ganzen Weltalls in befriedigender Weise über jenen Zustand des gasförmigen Chaos hinaus aufzuklären, und wenn auch ausserdem noch mancherlei Bedenken, namentlich von chemischer und geologischer Seite her, sich gegen sie aufwerfen lassen, so müssen wir ihr doch anderseits das grosse Verdienst lassen, den ganzen Bau des unserer Beobachtung zugänglichen Weltgebäudes, die »Anatomie« der Sonnen-Systeme und speciell unseres Planeten-Systems, vortrefflich durch ihre Entwickelungs-Geschichte zu erklären. Vielleicht war diese Entwickelung in der That eine ganz andere; vielleicht entstanden die Planeten, und also auch unsere Erde, durch Aggregation aus zahllosen kleinen, im Weltraum zerstreuten Meteoriten? Eine solche Theorie ist u. A. von Radenhausen, dem geistreichen Verfasser der trefflichen Werke »Isis« und »Osiris« aufgestellt worden 33). Aber meines Erachtens bieten diese und ähnliche Kosmogenien noch grössere Schwierigkeiten, als diejenige von Kant.

Nach diesem allgemeinen Blick auf die monistische Kosmogenie oder die »natürliche Entwickelungs-Geschichte des Weltalls« lassen Sie uns zu einem winzigen Bruchtheil desselben zurückkehren, zu unserer mütterlichen Erde. Wir hatten dieselbe im Zustande einer feurigflüssigen, an beiden Polen abgeplatteten Kugel verlassen, deren Oberfläche sich durch Abkühlung zu einer ganz dünnen festen Rinde verdichtet hatte. Die erste Erstarrungskruste wird die ganze Oberfläche des Erdsphäroids als eine zusammenhängende, glatte, dünne Schale gleichmässig überzogen haben. Bald aber wurde dieselbe uneben und höckerig. Indem nämlich bei fortschreitender Abkühlung der feuerflüssige Kern sich mehr und mehr verdichtete und zusammenzog, und so der ganze Erddurchmesser sich verkleinerte, musste die dünne, starre Rinde, welche der weicheren Kernmasse nicht nachfolgen konnte, über derselben vielfach sich runzeln, Falten bilden und zusammenbrechen. Es würde zwischen beiden ein leerer Raum entstanden sein, wenn nicht der äussere Athmosphärendruck die zerbrechliche Rinde nach innen hinein getrieben hätte. Andere Unebenheiten entstanden wahrscheinlich dadurch, dass an verschiedenen Stellen die abgekühlte Rinde durch den Erstarrungsprocess selbst sich zusammenzog und Sprünge oder Risse bekam.

Der feuerflüssige Kern quoll von Neuem durch diese Sprünge hervor und erstarrte abermals. So entstanden schon frühzeitig mancherlei Erhöhungen und Vertiefungen, die ersten Grundlagen der Festländer und Meeresbecken, der Berge und der Thäler.

Nachdem die Temperatur des abgekühlten Erdballs bis auf einen gewissen Grad gesunken war, erfolgte ein sehr wichtiger neuer Vorgang, nämlich die erste Entstehung des Wassers. Das Wasser war bisher nur in Dampfform in der den Erdball umgebenden Atmosphäre vorhanden gewesen. Offenbar konnte das Wasser sich erst zu tropfbar-flüssigem Zustande verdichten, nachdem die Temperatur der Atmosphäre bis auf 99°C. gesunken war. Nun begann die weitere Umbildung der Erdrinde durch die Kraft des Wassers. Indem dasselbe beständig in Form von Regen niederfiel, hierbei die Erhöhungen der Erdrinde abspülte, die Vertiefungen durch den abgespülten Schlamm ausfüllte, und diesen schichtenweise ablagerte, bewirkte es die ausserordentlich wichtigen neptunischen Umbildungen der Erdrinde. Seitdem dauerte die Sediment-Bildung beständig fort, und führte zur Entstehung der mächtigen geschichteten Gebirgsmassen, oder Sediment-Gesteine, auf welche wir im nächsten Vortrage noch einen näheren Blick werfen werden.

Erst nachdem die Erdrinde so weit abgekühlt war, dass das Wasser sich zu tropfbarer Form verdichtet hatte, erst als die bis dahin trockene Erdkruste zum ersten Male von flüssigem Wasser bedeckt wurde, konnte die Entstehung der ersten Organismen erfolgen. Denn alle Thiere und alle Pflanzen, alle Organismen überhaupt, bestehen zum grossen Theile oder zum grössten Theile aus tropfbar-flüssigem Wasser, welches mit anderen Materien in eigenthümlicher Weise sich verbindet, und diese in fest-flüssigen Aggregatzustand versetzt. Wir können also aus diesen allgemeinen Grundzügen der anorganischen Erd-Geschichte zunächst die wichtige Thatsache folgern, dass zu irgend einer bestimmten Zeit das organische Leben auf der Erde seinen Anfang hatte, dass die irdischen Organismen nicht von jeher existirten, sondern in irgend einem Zeitpunkte zum ersten Mal entstanden. Diese Thatsache ist von grösster Bedeutung.

Wie haben wir uns nun diese Entstehung der ersten Organismen zu denken? Hier ist derjenige Punkt, an welchem die meisten Naturforscher noch heutzutage geneigt sind, den Versuch einer natürlichen Erklärung aufzugeben, und zu dem Wunder einer unbegreiflichen Schöpfung zu flüchten. Mit diesem Schritte treten sie, wie schon vorher bemerkt wurde, ausserhalb des Gebietes der naturwissenschaftlichen Erkenntniss und verzichten auf jede weitere Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang der Natur-Geschichte. Ehe wir muthlos diesen letzten Schritt thun, ehe wir an der Möglichkeit jeder Erkenntniss dieses wichtigen Vorganges verzweifeln, wollen wir wenigstens einen Versuch machen, denselben zu begreifen. Lassen Sie uns sehen, ob denn wirklich die Entstehung eines ersten Organismus aus anorgischem Stoffe, die Entstehung eines lebendigen Körpers aus sogenannter lebloser Materie etwas ganz Undenkbares, ausserhalb aller bekannten Erfahrung Stehendes sei? Lassen Sie uns mit einem Worte die Frage von der Urzeugung oder Archigonie untersuchen! Vor allem ist hierbei erforderlich, sich die hauptsächlichsten Eigenschaften der beiden Haupt-Gruppen von Naturkörpern, der sogenannten leblosen oder anorganischen und der belebten oder organischen Körper klar zu machen, und das Gemeinsame einerseits, das Unterscheidende beider Gruppen andrerseits festzustellen. Auf diese Vergleichung der Organismen und Anorgane müssen wir hier um so mehr eingehen, als sie gewöhnlich sehr vernachlässigt wird, und als sie doch zu einem richtigen, einheitlichen Verständniss der Gesammtnatur ganz nothwendig ist. Am zweckmässigsten wird es hierbei sein, die drei Grundeigenschaften jedes Naturkörpers, Stoff, Form und Kraft, gesondert zu betrachten. Beginnen wir zunächst mit dem Stoff.

Durch die Chemie sind wir dahin gelangt, sämmtliche uns bekannte Körper in eine geringe Anzahl von Elementen oder Grundstoffen zu zerlegen; solche nicht weiter zerlegbare Körper sind z. B. Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, ferner die verschiedenen Metalle: Kalium, Natrium, Eisen, Gold u. s. w. Man zählt jetzt 64-66 solcher Elemente oder Grundstoffe. Die Mehrzahl derselben ist ziemlich unwichtig und selten, nur die Minderzahl ist allgemeiner verbreitet und setzt nicht allein die meisten Anorgane, sondern auch sämmtliche Organismen zusammen. Vergleichen wir nun diejenigen Elemente, welche den Körper der Organismen aufbauen, mit denjenigen, welche in den Anorganen sich finden, so haben wir zunächst die höchst wichtige Thatsache hervorzuheben, dass im Thier- und Pflanzenkörper kein Grundstoff vorkommt, der nicht auch ausserhalb desselben in der leblosen Natur zu finden wäre. Es giebt keine besonderen organischen Elemente oder Grundstoffe.

Beiläufig bemerkt, ist es höchst wahrscheinlich, dass alle diese sogenannten »Elemente« nur verschiedene Verbindungs-Formen von zwei verschiedenen Urelementen sind: Masse und Aether; die Massen-Atome Träger der Anziehungen (»Lust«); die Aether-Atome Träger der Abstossung (»Unlust«). Die Unterschiede unserer heutigen »Elemente« beruhen wahrscheinlich nur darauf, dass die Massen-Atome in verschiedener Zahl und Anordnung zusammengesetzt, oder durch die Aether-Atome in verschiedener Weise getrennt sind. Die gruppenweise Verwandtschaft der Elemente legt uns diese Vermuthung sehr nahe, wenn auch unsere unvollkommene Chemie bisher nicht im Stande gewesen ist, dieselbe experimentell zu begründen.

Die chemischen und physikalischen Unterschiede, welche zwischen den Organismen und den Anorganen existiren, haben also ihren materiellen Grund nicht in einer verschiedenen Natur der sie zusammensetzenden Grundstoffe, sondern in der verschiedenen Art und Weise, in welcher die letzteren zu chemischen Verbindungen zusammengesetzt sind. Diese verschiedene Verbindungsweise bedingt zunächst gewisse physikalische Eigenthümlichkeiten, insbesondere in der Dichtigkeit der Materie, welche auf den ersten Blick eine tiefe Kluft zwischen beiden Körpergruppen zu begründen scheinen. Die geformten anorganischen oder leblosen Naturkörper, die Krystalle und die amorphen Gesteine, befinden sich in einem Dichtigkeitszustande, den wir den festen nennen, und den wir dem tropfbar-flüssigen Dichtigkeitszustande des Wassers und dem gasförmigen Dichtigkeitszustande der Luft entgegensetzen. Es ist Ihnen bekannt, dass diese drei verschiedenen Dichtigkeitsgrade oder Aggregatzustände der Anorgane durchaus nicht den verschiedenen Elementen eigenthümlich, sondern die Folgen eines bestimmten Temperatur-Grades sind. Jeder anorgische feste Körper, z. B. Blei, kann durch Erhöhung der Temperatur zunächst in den tropfbar-flüssigen oder geschmolzenen, und durch weitere Erhitzung in den gasförmigen oder elastisch-flüssigen Zustand versetzt werden. Ebenso kann jeder gasförmige Körper, z. B. Kohlensäure, durch gehörige Erniedrigung der Temperatur zunächst in den tropfbar-flüssigen und weiterhin in den festen Dichtigkeits-Zustand übergeführt werden.

Im Gegensatze zu diesen drei Dichtigkeits-Zuständen der Anorgane befindet sich der lebendige Körper aller Organismen, Thiere sowohl als Pflanzen, in einem ganz eigenthümlichen, vierten Aggregatzustande. Dieser ist weder fest, wie Gestein, noch tropfbar-flüssig, wie Wasser, vielmehr hält er zwischen diesen beiden Zuständen die Mitte, und kann daher als der festflüssige oder gequollene Aggregat-Zustand bezeichnet werden. In allen lebenden Körpern ohne Ausnahme ist eine gewisse Menge Wasser mit fester Materie in ganz eigenthümlicher Art und Weise verbunden, und eben durch diese charakteristische Verbindung des Wassers mit der organischen Materie entsteht jener weiche, weder feste noch flüssige, Aggregat-Zustand, welcher für die mechanische Erklärung der Lebenserscheinungen von der grössten Bedeutung ist. Die Ursache desselben liegt wesentlich in den physikalischen und chemischen Eigenschaften eines einzigen Grundstoffs, des Kohlenstoffs.

Von allen Elementen ist der Kohlenstoff für uns bei weitem das wichtigste und interessanteste, weil bei allen uns bekannten Thier- und Pflanzen-Körpern dieser Grundstoff die grösste Rolle spielt. Er ist dasjenige Element, welches durch seine eigenthümliche Neigung zur Bildung verwickelter Verbindungen mit den andern Elementen die grösste Mannichfaltigkeit in der chemischen Zusammensetzung, und daher auch in den Formen und Lebens-Eigenschaften der Thier- und Pflanzen-Körper hervorruft. Der Kohlenstoff zeichnet sich ganz besonders dadurch aus, dass er sich mit den andern Elementen in unendlich mannichfaltigen Zahlen- und Gewichts-Verhältnissen verbinden kann. Zunächst entstehen durch Verbindung des Kohlenstoffs mit drei andern Elementen, dem Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff (zu denen sich meist auch noch Schwefel und häufig Phosphor gesellt), jene äusserst wichtigen Verbindungen, welche wir als das erste und unentbehrlichste Substrat aller Lebens-Erscheinungen kennen gelernt haben, die eiweissartigen Verbindungen oder Albumin-Körper (Proteinstoffe). Unter diesen sind wieder die wichtigsten die Plasson-Körper oder »Plasma-Verbindungen« (Karyoplasma und Protoplasma). Schon früher (S. 164) haben wir in den Moneren Organismen der aller einfachsten Art kennen gelernt, deren ganzer. Körper in vollkommen ausgebildetem Zustande aus weiter Nichts besteht, als aus einem Plasson-Stückchen oder einem fest-flüssigen eiweissartigen Plasma-Klümpchen; gerade diese einfachsten Organismen sind für die Lehre von der ersten Entstehung des Lebens von der allergrössten Bedeutung. Aber auch die meisten übrigen Organismen sind zu einer gewissen Zeit ihrer Existenz, wenigstens in der ersten Zeit ihres Lebens, als Ei-Zellen oder Keim-Zellen, im Wesentlichen weiter Nichts als einfache Klümpchen eines solchen eiweissartigen Bildungsstoffes, des Zellschleimes oder Protoplasma. Sie sind dann von den Moneren nur dadurch verschieden, dass im Innern des eiweissartigen Körperchens sich der Zell-Kern (Nucleus) von dem umgebenden Zell-Stoff (Cytoplasma) gesondert hat. Wie wir schon früher zeigten, sind Zellen von ganz einfacher Beschaffenheit die Staatsbürger, welche durch ihr Zusammenwirken und ihre Sonderung den Körper auch der vollkommensten Organismen, einen republikanischen Zellen-Staat, aufbauen (S.256). Die entwickelten Formen und Lebens-Erscheinungen des letzteren werden lediglich durch die Thätigkeit jener eiweissartigen Plastiden zu Stande gebracht, der wahren »Bildnerinnen« des Lebens.

Es darf als einer der grössten Triumphe der neueren Biologie, insbesondere der Gewebe-Lehre, angesehen werden, dass wir jetzt im Stande sind, das Wunder der Lebens-Erscheinungen auf diese Stoffe zurückzuführen, dass wir die unendlich mannichfaltigen und verwickelten, physikalischen und chemischen Eigenschaften der eiweissartigen Plasson-Körper als die eigentliche Ursache der organischen oder Lebens-Erscheinungen nachgewiesen haben. Alle verschiedenen Formen der Organismen sind zunächst und unmittelbar das Resultat der Zusammensetzung aus verschiedenen Formen von Zellen. Die unendlich mannichfaltigen Verschiedenheiten in der Form, Grösse und Zusammensetzung der Zellen sind aber erst allmählich durch die Arbeitstheilung und die Formspaltung der Plastidule oder Micellen entstanden; durch die Molekular-Selection jener einfachen gleichartigen Plasson-Körnchen, welche ursprünglich allein den Leib der Plastiden bildeten. Daraus folgt mit Nothwendigkeit, dass auch die Grund-Erscheinungen des organischen Lebens, Ernährung und Fortpflanzung, ebenso in ihren höchst zusammengesetzten wie in ihren einfachsten Aeusserungen, auf die materielle Zusammensetzung jenes eiweissartigen Bildungsstoffes, des Plasson, zurückzuführen sind. Aus jenen beiden Fundamental-Functionen haben sich aber die übrigen Lebensthätigkeiten erst allmählich hervorgebildet.

So hat denn gegenwärtig die allgemeine Erklärung des organischen Lebens für uns nicht mehr Schwierigkeit, als die Erklärung der physikalischen Eigenschaften der anorganischen Körper. Alle Lebens-Erscheinungen und Gestaltungs-Processe der Organismen sind eben so unmittelbar durch die chemische Zusammensetzung und die physikalischen Kräfte der organischen Materie bedingt, wie die Lebens-Erscheinungen der anorganischen Krystalle, d. h. die Vorgänge ihres Wachsthums und ihrer specifischen Formbildung, die unmittelbare Folgen ihrer chemischen Zusammensetzung und ihres physikalischen Zustandes sind. Die letzten Ursachen bleiben uns freilich in beiden Fällen gleich verborgen. Wenn Gold und Kupfer im tesseralen, Wismuth und Antimon im hexagonalen, Jod und Schwefel im rhombischen Krystallsystem krystallisiren, so ist uns dies im Grunde nicht mehr und nicht weniger räthselhaft, als jeder elementare Vorgang der organischen Formbildung, jede Selbstgestaltung der organischen Zelle. Auch in dieser Beziehung können wir gegenwärtig den fundamentalen Unterschied zwischen organischen und anorganischen Körpern nicht mehr festhalten, von welchem man früher allgemein überzeugt war.

Betrachten wir zweitens die Uebereinstimmungen und Unterschiede, welche die Formbildung der organischen und anorganischen Naturkörper uns darbietet. Als Hauptunterschied in dieser Beziehung sah man früher die einfache Structur der letzteren, den zusammengesetzten Bau der ersteren an. Der Körper aller Organismen sollte aus ungleichartigen oder heterogenen Theilen zusammengesetzt sein, aus Werkzeugen oder Organen, welche zum Zweck des Lebens zusammenwirken. Dagegen sollten auch die vollkommensten Anorgane, die Krystalle, durch und durch aus gleichartiger oder homogener Materie bestehen. Dieser Unterschied erscheint im Princip allerdings sehr wesentlich. Allein er hat alle Bedeutung verloren, seit wir vor 25 Jahren die höchst merkwürdigen und wichtigen Moneren kennen gelernt haben 15). Der ganze lebendige Körper dieser einfachsten von allen Organismen ist nur ein fest-flüssiges, formloses und structurloses Plasson-Klümpchen; vergleichbar einem Krystall, der aus einer einzigen anorganischen Verbindung, z. B. einem Metallsalze, oder einer sehr zusammengesetzten Kieselerde-Verbindung besteht. Freilich nehmen wir an, dass auch im homogenen Plasma des einfachsten Moneres eine sehr verwickelte Molekular-Structur besteht; allein diese ist weder anatomisch noch mikroskopisch nachweisbar; und ausserdem muss dieselbe eben so gut bei vielen Krystallen vorausgesetzt werden.

Ebenso wie in der inneren Structur oder Zusammensetzung, hat man auch in der äusseren Form durchgreifende Unterschiede zwischen den Organismen und Anorganen finden wollen, insbesondere in der mathematisch bestimmbaren Krystallform der letzteren. Allerdings ist die Krystallisation vorzugsweise eine Eigenschaft der sogenannten Anorgane. Die Krystalle werden begrenzt von ebenen Flächen, welche in geraden Linien und unter bestimmten messbaren Winkeln zusammenstossen. Die Thier- und Pflanzen-Form dagegen scheint auf den ersten Blick keine derartige geometrische Bestimmung zuzulassen. Sie ist meistens von gebogenen Flächen und krummen Linien begrenzt, welche unter veränderlichen Winkeln zusammenstossen. Allein wir haben in neuerer Zeit in den Radiolarien und in vielen anderen Protisten eine grosse Anzahl von niederen Organismen kennen gelernt, bei denen der Körper in gleicher Weise, wie bei den Krystallen, auf eine mathematisch bestimmbare Grundform sich zurückführen lässt; auch hier ist die Gestalt im Ganzen wie im Einzelnen durch geometrisch bestimmbare Flächen, Kanten und Winkel begrenzt. In meiner allgemeinen Grundformenlehre oder Promorphologie habe ich hierfür die ausführlichen Beweise geliefert, und zugleich ein allgemeines Formen-System aufgestellt, dessen ideale stereometrische Grundformen eben so gut die realen Formen der anorganischen Krystalle wie der organischen Individuen erklären (Gener. Morphol. I, 375-574). Ausserdem giebt es übrigens auch vollkommen amorphe Organismen, wie die Moneren, Amöben u. s. w., welche jeden Augenblick ihre Gestalt wechseln, und bei denen man eben so wenig eine bestimmte Grundform nachweisen kann, als es bei den formlosen oder amorphen Anorganen, bei den nicht krystallisirten Gesteinen, Niederschlägen u. s. w. der Fall ist. Wir sind also nicht im Stande, irgend einen principiellen Unterschied in der äusseren Form oder in der inneren Structur der Anorgane und Organismen aufzufinden.

Wenden wir uns drittens an die Kräfte oder an die Bewegungs-Erscheinungen dieser beiden verschiedenen Körper-Gruppen. Hier stossen wir auf die grössten Schwierigkeiten. Die Lebens-Erscheinungen, wie sie die meisten Menschen nur von hoch ausgebildeten Organismen, von vollkommneren Thieren. und Pflanzen kennen, erscheinen so räthselhaft, so wunderbar, so eigenthümlich, dass die Meisten der bestimmten Ansicht sind, in der anorganischen Natur komme gar nichts Aehnliches oder nur entfernt damit Vergleichbares vor. Man nennt ja eben deshalb die Organismen belebte und die Anorgane leblose Naturkörper. Daher erhielt sich bis in unser Jahrhundert hinein, selbst in der Wissenschaft, die sich mit der Erforschung der Lebens-Erscheinungen beschäftigt, in der Physiologie, die irrthümliche Ansicht, dass die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Materie nicht zur Erklärung der Lebens-Erscheinungen ausreichten. Heutzutage darf diese Ansicht durch die Fortschritte der Biologie als völlig überwunden angesehen werden. In der exacten Physiologie wenigstens hat sie nirgends mehr eine Stätte. Es fällt heutzutage keinem Physiologen mehr ein, irgend welche Lebens-Erscheinungen als das Resultat einer wunderbaren Lebenskraft aufzufassen, einer besonderen zweckmässig thätigen Kraft, welche ausserhalb der Materie steht, und welche die physikalisch-chemischen Kräfte gewissermassen nur zeitweilig in ihren Dienst nimmt. Die heutige Physiologie ist zu der streng monistischen Ueberzeugung gelangt, dass sämmtliche Lebens-Thätigkeiten, und vor allen die beiden Grund-Erscheinungen der Ernährung und Fortpflanzung, rein physikalisch-chemische Vorgänge sind, ebenso unmittelbar von der materiellen Beschaffenheit des Organismus abhängig, wie alle physikalischen und chemischen Eigenschaften oder Kräfte eines jeden Krystalles lediglich durch seine materielle Zusammensetzung bedingt werden. Da nun derjenige Grundstoff, welcher die eigenthümliche materielle Zusammensetzung der Organismen bedingt, der Kohlenstoff ist, so müssen wir alle Lebens-Erscheinungen, und vor allen die beiden Grund-Functionen der Ernährung und Fortpflanzung, in letzter Linie auf die Eigenschaften des Kohlenstoffs zurückführen. Lediglich die eigenthümlichen, chemisch-physikalischen Eigenschaften des Kohlenstoffs, und namentlich der festflüssige Aggregatzustand und die leichte Zersetzbarkeit der höchst zusammengesetzten eiweissartigen Kohlenstoff-Verbindungen, sind die mechanischen Ursachen jener eigenthümlichen Bewegungs-Erscheinungen, durch welche sich die Organismen von den Anorganen unterscheiden, und die man im engeren Sinne das »Leben« zu nennen pflegt.

Um diese »Kohlenstoff-Theorie«, welche ich im zweiten Buche meiner generellen Morphologie ausführlich begründet habe, richtig zu würdigen, ist es vor Allem nöthig, diejenigen Bewegungs-Erscheinungen scharf in's Auge zu fassen, welche beiden Gruppen von Naturkörpern gemeinsam sind. Unter diesen steht obenan das Wachsthum. Wenn Sie irgend eine anorgische Salzlösung langsam verdampfen lassen, so bilden sich darin Salz-Krystalle, welche bei weiter gehender Verdunstung des Wassers langsam an Grösse zunehmen. Dieses Wachsthum erfolgt dadurch, dass immer neue Theilchen aus dem flüssigen Aggregat-Zustande in den festen übergehen und sich an den bereits gebildeten festen Krystallkern nach bestimmten Gesetzen anlagern. Durch solche Anlagerung oder Apposition der Theilchen entstehen die mathematisch bestimmten Krystall-Formen. Ebenso durch Aufnahme neuer Theilchen geschieht auch das Wachsthum der Organismen. Der Unterschied ist nur der, dass beim Wachsthum der Organismen in Folge ihres fest-flüssigen Aggregat-Zustandes die neu aufgenommenen Theilchen in's Innere des Organismus vorrücken (Intussusception), während die Anorgane nur durch Apposition, durch Ansatz neuer, gleichartiger Materie von aussen her zunehmen. Indess ist dieser wichtige Unterschied des Wachsthums durch Intussusception und durch Apposition augenscheinlich nur die nothwendige und unmittelbare Folge des verschiedenen Dichtigkeits-Zustandes oder Aggregat-Zustandes der Organismen und der Anorgane.

Ich kann hier an dieser Stelle leider nicht näher die mancherlei höchst interessanten Parallelen und Aehnlichkeiten verfolgen, welche sich zwischen der Bildung der vollkommensten Anorgane, der Krystalle, und der Bildung der einfachsten Organismen, der Moneren und der nächst verwandten Protisten-Formen, vorfinden. Ich muss Sie in dieser Beziehung auf die eingehende Vergleichung der Organismen und der Anorgane verweisen, welche ich im fünften Kapitel meiner generellen Morphologie durchgeführt habe (Gen. Morph. I, 111 bis 166). Dort habe ich ausführlich bewiesen, dass durchgreifende Unterschiede zwischen den organischen und anorganischen Naturkörpern weder in Bezug auf Form und Structur, noch in Bezug auf Stoff und Kraft existiren; dass die wirklich vorhandenen Unterschiede von der eigenthümlichen Natur des Kohlenstoffs abhängen, und dass keine unübersteigliche Kluft zwischen der organischen und der anorganischen Natur existirt.

Besonders einleuchtend erkennen Sie diese höchst wichtige Thatsache, wenn Sie die Entstehung der Formen bei den Krystallen und bei den einfachsten organischen Individuen vergleichend untersuchen. Auch bei der Bildung der Krystall-Individuen treten zweierlei verschiedene, einander entgegenwirkende Bildungstriebe in Wirksamkeit. Die innere Gestaltungskraft oder der innere Bildungstrieb, welcher der Erblichkeit der Organismen entspricht, ist bei dem Krystalle der unmittelbare Ausfluss seiner materiellen Constitution oder seiner chemischen Zusammensetzung. Die Form des Krystalles, soweit sie durch diesen inneren, ureigenen Bildungstrieb bestimmt wird, ist das Resultat der specifisch bestimmten Art und Weise, in welcher sich die kleinsten Theilchen der krystallisirenden Materie nach verschiedenen Richtungen hin gesetzmässig an einander lagern. Jener selbstständigen inneren Bildungskraft, welche der Materie selbst unmittelbar anhaftet, wirkt eine zweite formbildende Kraft geradezu entgegen. Diese äussere Gestaltungskraft oder den äusseren Bildungstrieb können wir bei den Krystallen ebenso gut wie bei den Organismen als Anpassung bezeichnen. Jedes Krystall-Individuum muss sich während seiner Entstehung ganz ebenso wie jedes organische Individuum den umgebenden Einflüssen und Existenz-Bedingungen der Aussenwelt unterwerfen und anpassen. In der That ist die Form und Grösse eines jeden Krystalles abhängig von seiner gesammten Umgebung, z. B. von dem Gefäss, in welchem die Krystallisation stattfindet, von der Temperatur und von dem Luftdruck, unter welchem der Krystall sich bildet, von der Anwesenheit oder Abwesenheit ungleichartiger Körper u. s. w. Die Form jedes einzelnen Krystalles ist daher ebenso wie die Form jedes einzelnen Organismus das Resultat der Gegenwirkung zweier einander gegenüber stehender Factoren, des inneren Bildungstriebes, der durch die chemische Constitution der eigenen Materie gegeben ist, und des äusseren Bildungstriebes, welcher durch die Einwirkung der um gebenden Materie bedingt ist. Beide in Wechselwirkung stehende Gestaltungskräfte sind im Organismus ebenso wie im Krystall rein mechanischer Natur, unmittelbar an dem Stoffe des Körpers haftend. Wenn man das Wachsthum und die Gestaltung der Organismen als einen »Lebens-Process« bezeichnet, so kann man dasselbe ebenso gut von dem sich bildenden Krystall behaupten. Die teleologische Natur-Betrachtung, welche in den organischen Formen zweckmässig eingerichtete Schöpfungs-Maschinen erblickt, muss folgerichtiger Weise dieselben auch in den Krystall-Formen anerkennen. Die Unterschiede, welche sich zwischen den einfachsten organischen Individuen und den anorganischen Krystallen vorfinden, sind durch den festen Aggregat-Zustand der letzteren, durch den fest-flüssigen Zustand der ersteren bedingt. Im Uebrigen sind die bewirkenden Ursachen der Form in beiden vollständig dieselben. Ganz besonders klar drängt sich Ihnen diese Ueberzeugung auf, wenn Sie die höchst merkwürdigen Erscheinungen von dem Wachsthum, der Anpassung und der »Wechsel-Beziehung oder Correlation der Theile« bei den entstehenden Krystallen mit den entsprechenden Erscheinungen bei der Entstehung der einfachsten organischen Individuen (Moneren und Zellen) vergleichen. Die Analogie zwischen Beiden ist so gross, dass wirklich keine scharfe Grenze zu ziehen ist. In meiner generellen Morphologie habe ich hierfür eine Anzahl von schlagenden Thatsachen angeführt (Gen. Morph. I, 146, 156, 158).

Wenn Sie diese »Einheit der organischen und anorganischen Natur«, diese wesentliche Uebereinstimmung der Organismen und Anorgane in Stoff, Form und Kraft, sich lebhaft vor Augen halten, wenn Sie sich erinnern, dass wir nicht im Stande sind, irgend welche fundamentalen Unterschiede zwischen diesen beiderlei Körper-Gruppen festzustellen (wie sie früherhin allgemein angenommen wurden), so verliert die Frage von der Urzeugung sehr viel von der Schwierigkeit, welche sie auf den ersten Blick zu haben scheint. Die Entstehung des ersten Organismus aus anorgischer Materie erscheint uns dann viel leichter denkbar und viel verständlicher, als es bisher der Fall war; denn jene künstliche absolute Scheidewand zwischen organischer und anorgischer Natur, zwischen belebten und leblosen Naturkörpern ist jetzt beseitigt.

Bei der Frage von der Urzeugung oder Archigonie, die wir jetzt bestimmter beantworten können, erinnern Sie sich zunächst daran, dass wir unter diesem Begriff ganz allgemein die elternlose Zeugung eines organischen Individuums, die Entstehung eines Organismus unabhängig von einem elterlichen oder zeugenden Organismus verstehen. In diesem Sinne haben wir früher die Urzeugung (Archigonia) der Elternzeugung oder Fortpflanzung (Tocogonia) entgegengesetzt (S. 163). Bei dieser letzteren entsteht das organische Individuum dadurch, dass ein grösserer oder geringerer Theil von einem bereits bestehenden Organismus sich ablöst und selbstständig weiter wächst (Gen. Morph. II, 32).

Von der Urzeugung, welche man auch oft als freiwillige oder ursprüngliche Zeugung bezeichnet (Generatio spontanea, aequivoca, primaria etc.), müssen wir zunächst zwei wesentlich verschiedene Arten unterscheiden, nämlich die Autogonie und die Plasmogonie. Unter Autogonie verstehen wir die Entstehung eines einfachsten organischen Individuums in einer anorganischen Bildungs-Flüssigkeit, d. h. in einer Flüssigkeit, welche die zur Zusammensetzung des Organismus erforderlichen Grundstoffe in einfachen und beständigen Verbindungen gelöst enthält (z. B. Kohlensäure, Ammoniak, binäre Salze u. s. w.); Plasmogonie dagegen nennen wir die Urzeugung dann, wenn der Organismus in einer organischen Bildungs-Flüssigkeit entsteht, d. h. in einer Flüssigkeit, welche jene erforderlichen Grundstoffe in Form von verwickelten und lockeren Kohlenstoff-Verbindungen gelöst enthält (z. B. Eiweiss, Fett, Kohlen-Hydraten etc.) (Gen. Morph. I, 174; II, 33).

Der Vorgang der Autogonie sowohl als der Plasmogonie ist bis jetzt noch nicht direct mit voller Sicherheit beobachtet. In älterer und neuerer Zeit hat man über die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Urzeugung sehr zahlreiche und zum Theil auch interessante Versuche angestellt. Allein diese Experimente beziehen sich fast sämmtlich nicht auf die Autogonie, sondern auf die Plasmogonie, auf die Entstehung eines Organismus aus bereits gebildeter organischer Materie. Offenbar hat aber für unsere Schöpfungs-Geschichte dieser letztere Vorgang nur ein untergeordnetes Interesse. Es kommt für uns vielmehr darauf an, die Frage zu lösen: »Giebt es eine Autogonie? Ist es möglich, dass ein Organismus nicht aus vorgebildeter organischer, sondern aus rein anorgischer Materie entsteht?« Daher können wir hier auch ruhig alle jene zahlreichen Experimente, welche sich nur auf die Plasmogonie beziehen, und in den letzten Jahrzehnten mit besonderem Eifer betrieben worden sind, bei Seite lassen; zumal sie meist ein negatives Resultat hatten. Angenommen auch, es würde dadurch die Wirklichkeit der Plasmogonie streng bewiesen, so wäre damit noch nicht die Autogonie erklärt.

Die Versuche über Autogonie haben bis jetzt ebenfalls kein sicheres positives Resultat geliefert. Jedoch müssen wir uns von vorn herein auf das bestimmteste dagegen verwahren, dass durch diese Experimente die Unmöglichkeit der Urzeugung überhaupt nachgewiesen sei. Die allermeisten Naturforscher, welche bestrebt waren, diese Frage experimentell zu entscheiden, und welche bei Anwendung aller möglichen Vorsichtsmaassregeln unter ganz bestimmten Verhältnissen keine Organismen entstehen sahen, stellten auf Grund dieser negativen Resultate sofort die Behauptung auf: »Es ist überhaupt unmöglich, dass Organismen von selbst, ohne elterliche Zeugung, entstehen.« Diese leichtfertige und unüberlegte Behauptung stützten sie einfach und allein auf das negative Resultat ihrer Experimente, welche doch weiter Nichts beweisen konnten, als dass unter diesen oder jenen, höchst künstlichen Verhältnissen, wie sie durch die Experimentatoren geschaffen wurden, kein Organismus sich bildete. Man kann auf keinen Fall aus jenen Versuchen, welche meistens unter den unnatürlichsten Bedingungen in höchst künstlicher Weise angestellt wurden, den Schluss ziehen, dass die Urzeugung überhaupt unmöglich sei.

Die Unmöglichkeit der Urzeugung kann überhaupt niemals bewiesen werden. Denn wie können wir wissen, dass in jener ältesten unvordenklichen Urzeit nicht ganz andere Bedingungen, als gegenwärtig, existirten, und dass diese eine Autogonie ermöglichten? Ja, wir können sogar mit voller Sicherheit positiv behaupten, dass die allgemeinen Lebens-Bedingungen der Primordialzeit gänzlich von denen der Gegenwart verschieden gewesen sein müssen. Denken Sie allein an die Thatsache, dass die ungeheuren Massen von Kohlenstoff, welche wir gegenwärtig in den primären Steinkohlengebirgen abgelagert finden, erst durch die Thätigkeit des Pflanzenlebens in feste Form gebracht wurden; sie sind die mächtig zusammengepressten und verdichteten Ueberreste von zahllosen Pflanzenleichen, die sich im Laufe vieler Millionen Jahre anhäuften. Allein zu der Zeit, als auf der abgekühlten Erdrinde, nach der Entstehung des tropfbar-flüssigen Wassers, zum ersten Male Organismen durch Urzeugung sich bildeten, waren jene unermesslichen Kohlenstoffquantitäten in ganz anderer Form vorhanden, wahrscheinlich grösstentheils in Form von Kohlensäure in der Atmosphäre vertheilt. Die ganze Zusammensetzung der Atmosphäre war also ausserordentlich von der jetzigen verschieden. Ferner waren, wie sich aus chemischen, physikalischen und geologischen Gründen schliessen lässt, der Dichtigkeitszustand und die elektrischen Verhältnisse der Atmosphäre ganz andere. Ebenso war auch jedenfalls die chemische und physikalische Beschaffenheit des Urmeeres, welches damals als eine ununterbrochene Wasserhülle die ganze Erdoberfläche im Zusammenhang bedeckte, ganz eigenthümlich. Temperatur, Dichtigkeit, Salzgehalt u. s. w. müssen sehr von denen der jetzigen Meere verschieden gewesen sein. Es bleibt also auf jeden Fall für uns, wenn wir auch sonst Nichts weiter davon wissen, die Annahme wenigstens nicht bestreitbar, dass zu jener Zeit unter ganz anderen Bedingungen eine Urzeugung möglich gewesen sei, die heutzutage vielleicht nicht mehr möglich ist.

Nun kommt aber dazu, dass durch die neueren Fortschritte der Chemie und Physiologie das Räthselhafte und Wunderbare, das zunächst der viel bestrittene und doch nothwendige Vorgang der Urzeugung an sich zu haben scheint, grösstentheils oder eigentlich ganz zerstört worden ist. Es ist kaum sechzig Jahre her, dass sämmtliche Chemiker behaupteten, wir seien nicht im Stande, irgend eine zusammengesetzte Kohlenstoffverbindung oder eine sogenannte »organische Verbindung« künstlich in unseren Laboratorien herzustellen. Nur die mystische »Lebenskraft« sollte diese Verbindungen zu Stande bringen können. Als daher 1828 Wöhler in Göttingen zum ersten Male dieses Dogma thatsächlich widerlegte, und auf künstlichem Wege aus rein anorganischen Körpern (Cyan- und Ammoniak-Verbindungen) den rein »organischen« Harnstoff darstellte, war man im höchsten Grade erstaunt und überrascht. In der neueren Zeit ist es nun durch die Fortschritte der synthetischen Chemie gelungen, derartige »organische« Kohlenstoff-Verbindungen rein künstlich in grosser Mannichfaltigkeit in unseren Laboratorien aus anorganischen Substanzen herzustellen, z. B. Alkohol, Essigsäure, Ameisensäure u. s. w. Selbst viele höchst verwickelte Kohlenstoff-Verbindungen werden jetzt künstlich zusammengesetzt, so dass alle Aussicht vorhanden ist, auch die am meisten zusammengesetzten und zugleich die wichtigsten von allen, die Eiweiss-Verbindungen der Plasson-Körper, früher oder später künstlich in unseren chemischen Werkstätten zu erzeugen. Dadurch ist aber die tiefe Kluft zwischen organischen und anorganischen Körpern, die man früher allgemein festhielt, grösstentheils oder eigentlich ganz beseitigt, und für die Vorstellung der Urzeugung der Weg gebahnt.

Von noch grösserer, ja von der allergrössten Wichtigkeit für die Hypothese der Urzeugung sind endlich die höchst merkwürdigen Moneren, jene schon vorher mehrfach erwähnten Lebewesen, welche nicht nur die einfachsten beobachteten, sondern auch überhaupt die denkbar einfachsten von allen Organismen sind 15). Schon früher, als wir die einfachsten Erscheinungen der Fortpflanzung und Vererbung untersuchten, habe ich Ihnen diese wunderbaren »Organismen ohne Organe« beschrieben. Wir kennen jetzt schon acht oder zehn verschiedene Gattungen solcher Moneren, von denen einige im süssen Wasser, andere im Meere leben (vergl. oben S. 164-167, sowie Taf. I und deren Erklärung unten im Anhang). In vollkommen ausgebildetem und frei beweglichem Zustande stellen sie sämmtlich weiter Nichts dar, als ein structurloses Klümpchen einer eiweissartigen Kohlenstoff-Verbindung. Nur durch die Art der Fortpflanzung und Entwickelung, sowie der Nahrungsaufnahme, sind die einzelnen Gattungen und Arten ein wenig verschieden. Durch die Entdeckung dieser Organismen, die von der allergrössten Bedeutung ist, verliert die Annahme einer Urzeugung den grössten Theil ihrer Schwierigkeiten. Denn da denselben noch jede Organisation, jeder Unterschied ungleichartiger Theile fehlt, da alle Lebens-Erscheinungen von einer und derselben gleichartigen und formlosen Materie vollzogen werden, so können wir uns ihre Entstehung durch Urzeugung sehr wohl denken. Geschieht: dieselbe durch Plasmogonie, ist bereits lebensfähiges Plasma vorhanden, so braucht dasselbe bloss sich zu individualisiren, in gleicher Weise, wie bei der Krystallbildung sich die Mutterlauge der Krystalle individualisirt. Geschieht dagegen die Urzeugung der Moneren durch wahre Autogonie, so ist dazu noch erforderlich, dass vorher jenes lebensfähige Plasson, jener Urschleim, aus einfacheren Kohlenstoff-Verbindungen sich bildet. Jedenfalls muss ursprünglich die Autogonie der Plasmogonie vorhergegangen sein.

Da wir jetzt im Stande sind, in unseren chemischen Laboratorien ähnliche zusammengesetzte Kohlenstoff-Verbindungen künstlich herzustellen, so liegt durchaus kein Grund für die Annahme vor, dass nicht auch in der freien Natur sich Verhältnisse finden, unter denen ähnliche Verbindungen entstehen können. Sobald man früherhin die Vorstellung der Urzeugung zu fassen suchte, scheiterte man an der organologischen Zusammensetzung auch der einfachsten Organismen, welche man damals kannte. Erst seitdem wir mit den höchst wichtigen Moneren bekannt geworden sind, ist jene Hauptschwierigkeit gelöst. Denn in den structurlosen Plasma-Körpern der Moneren haben wir Organismen kennen gelernt, welche gar nicht aus Organen zusammengesetzt sind, welche bloss aus einer einzigen, chemisch gleichartig zusammengesetzten Masse bestehen, und dennoch wachsen, sich ernähren und fortpflanzen. Die Hypothese der Urzeugung hat dadurch denjenigen Grad von Wahrscheinlichkeit gewonnen, welcher sie berechtigt, die Lücke zwischen Kant's Kosmogenie und Lamarck's Descendenz-Theorie auszufüllen.

Nur solche homogene, noch gar nicht differenzirte Organismen, welche in ihrer gleichartigen molekularen Zusammensetzung den anorganischen Krystallen gleichstehen, konnten durch Urzeugung entstehen, und konnten die Ureltern aller übrigen Organismen werden. Bei der weiteren Entwickelung derselben haben wir als den wichtigsten Vorgang zunächst die Bildung eines Kernes (Nucleus) in dem structurlosen Plasson-Klümpchen anzusehen. Diese können wir uns physikalisch als Verdichtung der innersten, centralen Eiweiss-Theilchen vorstellen, womit eine chemische Veränderung derselben Hand in Hand ging. Die dichtere centrale Masse, welche anfangs allmählich in das peripherische Plasma überging, sonderte sich später ganz von diesem ab und bildete so ein selbstständiges rundes, chemisch etwas verschiedenes Eiweiss-Körperchen, den Kern. Durch diesen Vorgang ist aber bereits aus dem Moner eine Zelle geworden. Dass nun die weitere Entwickelung aller übrigen Organismen aus einer solchen Zelle keine Schwierigkeit hat, wird aus den bisherigen Vorträgen klar geworden sein. Denn jedes Thier und jede Pflanze ist im Beginn des individuellen Lebens eine einfache Zelle. Der Mensch so gut wie jedes andere Thier ist anfangs weiter Nichts, als eine einfache Ei-Zelle, eine Plasma-Kugel mit Kern (S. 295, Fig. 5).

Aehnlich wie der Kern der organischen Zellen durch Sonderung aus der centralen Masse der ursprünglich gleichartigen Plasma-Klümpchen entstand, bildete sich die erste Zellhaut oder Membran an deren Oberfläche. Auch diesen einfachen aber höchst wichtigen Vorgang können wir, wie schon oben bemerkt, entweder durch einen chemischen Niederschlag oder eine physikalische Verdichtung in der oberflächlichsten Rindenschicht erklären, oder auch durch eine Ausscheidung. Eine der ersten Anpassungsthätigkeiten, welche die durch Urzeugung entstandenen Moneren ausübten, wird die Verdichtung einer äusseren Rindenschicht gewesen sein, welche als schützende Hülle das weichere Innere gegen die angreifenden Einflüsse der Aussenwelt abschloss. War aber erst durch Verdichtung der homogenen Moneren im Inneren ein Zellenkern, an der Oberfläche eine Zellhaut entstanden, so waren damit alle die fundamentalen Formen der Bausteine gegeben, aus denen durch unendlich mannichfaltige Zusammensetzung sich erfahrungsgemäss der Körper sämmtlicher höheren Organismen aufbaut.

Wie schon früher erwähnt, beruht unser ganzes Verständniss des Organismus wesentlich auf der von Schleiden und Schwann im Jahre 1838 aufgestellten Zellentheorie. Danach ist jeder Organismus entweder eine einfache Zelle oder eine Gemeinde, ein Staat von eng verbundenen Zellen. Die gesammten Formen und Lebens-Erscheinungen eines jeden vielzelligen Organismus sind das Gesammtresultat der Formen und Lebens-Erscheinungen aller einzelnen ihn zusammensetzenden Zellen. In Folge der neueren Fortschritte der Zellen-Lehre ist es nöthig geworden, die Elementar-Organismen oder die organischen »Individuen erster Ordnung«, welche man gewöhnlich als »Zellen« bezeichnet, mit dem allgemeineren und passenderen Namen der Bildnerinnen oder Plastiden zu belegen. Wir unterscheiden unter diesen Bildnerinnen zwei Hauptgruppen, nämlich Cytoden und echte Zellen. Die Cytoden sind kernlose Plasmastücke, gleich den Moneren (S. 166, Fig. 1). Die Zellen dagegen sind Plasmastücke, welche einen Kern oder Nucleus enthalten (S. 169, Fig. 2). Jede dieser beiden Haupt-Formen von Plastiden zerfällt wieder in zwei untergeordnete Form-Gruppen, je nachdem sie eine äussere Umhüllung (Haut, Schale oder Membran) besitzt oder nicht. Wir können demnach allgemein folgende vier verschiedene Plastiden-Arten unterscheiden: 1. Urcytoden (S. 166, Fig. 1A); 2. Hüllcytoden, 3. Urzellen (S. 169, Fig. 2B); 4. Hüllzellen (S. 169, Fig. 2A).

Was das Verhältniss dieser vier Plastiden-Formen zur Urzeugung betrifft, so ist folgendes das Wahrscheinlichste: 1. die Urcytoden (Gymnocytoda), nackte Plasmastücke ohne Kern, gleich den heute noch lebenden Moneren, sind die einzigen Plastiden, welche unmittelbar durch Urzeugung entstanden; 2. die Hüllcytoden (Lepocytoda), Plasmastücke ohne Kern, welche von einer Hülle (Membran oder Schale) umgeben sind, entstanden aus den Urcytoden entweder durch Verdichtung der oberflächlichsten Plasmaschichten oder durch Ausscheidung einer Hülle;

3. Die Urzellen (Gymnocyta) oder nackte Zellen, Plasmastück mit Kern, aber ohne Hülle, entstanden aus den Urcytoden durch Verdichtung der innersten Plasma-Theile zu einem Kerne oder Nukleus, durch Differenzirung von centralem Kerne und peripherem Zellstoff; 4. die Hüllzellen (Lepocyta) oder Hautzellen, Plasma-Stücke mit Kern und mit äusserer Hülle (Membran oder Schale), entstanden entweder aus den Hüllcytoden durch Bildung eines Kernes oder aus den Urzellen durch Bildung einer Membran. Alle übrigen Formen von Bildnerinnen oder Plastiden, welche ausserdem noch vorkommen, sind erst nachträglich durch Cellular-Selection, durch Abstammung mit Anpassung, durch Differenzirung und Umbildung aus jenen vier Grund-Formen entstanden (S. 255).

Diese Plastiden-Theorie, diese Ableitung aller verschiedenen Plastiden-Formen (und somit auch aller aus ihnen zusammengesetzten Organismen) von den Moneren, bringt einfachen und natürlichen Zusammenhang in die gesammte Entwickelungs-Theorie. Die Entstehung der ersten Moneren durch Urzeugung erscheint uns als ein einfacher und nothwendiger Vorgang in dem Entwickelungs-Process des Erdkörpers. Ich gebe zu, dass diese Vorgang, so lange er noch nicht direct beobachtet oder durch das Experiment wiederholt ist, eine reine Hypothese bleibt. Allein ich wiederhole, dass diese Hypothese für den ganzen Zusammenhang der natürlichen Schöpfungsgeschichte unentbehrlich ist, das sie an sich durchaus nichts Gezwungenes und Wunderbares mehr hat, und dass sie keinesfalls positiv widerlegt werden kann. Ausserdem würde auch der Vorgang der Urzeugung, selbst wenn er alltäglich und stündlich noch heute stattfände, auf jeden Fall äusserst schwierig zu beobachten, ja mit untrüglicher Sicherheit als solcher überhaupt kaum festzustellen sein Diese Ansicht theilt auch der scharfsinnige Naegeli, welcher in seinem vortrefflichen Capitel über Urzeugung den Satz aufstellt: »Die Urzeugung leugnen heisst das Wunder verkünden.«


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